klangspuren zeitung sept05 - Klangspuren Schwaz Tirol
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September 05<br />
NATUR IM KALEIDOSKOP Nina<br />
Treffen sich zwei Planeten. „Wie geht´s so?“,<br />
fragt der eine. „Schlecht“, erwidert der andere,<br />
„ein blöder Hautausschlag plagt mich,<br />
Homo sapiens heißt er angeblich.“ – „Ach,<br />
das kenne ich“, antwortet sein Bekannter, „ist<br />
aber nichts Lebensbedrohliches, und es geht<br />
wieder vorbei.“<br />
Wenn in den Medien Saure-Gurken-Zeit<br />
herrscht, dann sind Schreckensmeldungen zu<br />
zivilisationsbedrohenden Naturkatastrophen<br />
recht beliebt. Grassierte in den 80er-Jahren<br />
noch die Angst vor dem Waldsterben und<br />
dem sauren Regen, so stand eine Dekade<br />
später das Ozonloch an erster Stelle in den<br />
Hilfe-wir-sterben-aus-Charts, und als Evergreen<br />
schlägt die globale Erwärmung. Zwischendurch<br />
versuchen Forscher zu beruhigen:<br />
Eh alles nicht so schlimm, reinste Panikmache<br />
werde betrieben. Und doch: Die Sorge um die<br />
Natur treibt die Gesellschaft offensichtlich.<br />
Geschieht tatsächlich Drastisches – Hochwasser,<br />
Tsunami, Lawinenabgänge – lautet<br />
die Diagnose, oft aus weiter Ferne getroffen:<br />
„Die Natur schlägt zurück“. Als würden Natur<br />
und Zivilisation einander bekriegen.<br />
Ob es die Kontinentalverschiebungen, die<br />
Eiszeiten oder eben die Technologien sind, die<br />
der Mensch entwickelt: Über die Jahrmillionen<br />
hinweg bewegte sich die Erde ständig. Ein<br />
bisschen Homo sapiens kann vielleicht ihre Haut<br />
verätzen, umbringen kann er sie wahrscheinlich<br />
nicht so leicht. Allerdings sich selbst.<br />
Die Landesausstellung 05 mit dem Titel „Die<br />
Zukunft der Natur“ versteigt sich weder in<br />
Allmachtsfantasien noch in Ökofundamentalismus,<br />
malt nicht den Teufel, aber auch keine<br />
lieblichen Idyllen an die Wand. Vorgenommen<br />
hat man sich viel: nämlich die „Darstellung<br />
und Deklinierung der Welt mit den Mitteln<br />
<strong>Tirol</strong>s“. Das schreibt Intendant Martin Heller,<br />
der mit Projektleiter Benedikt Erhard die Federführung<br />
übernommen hat. Für die Ausstellung,<br />
die in Kooperation mit Südtirol und dem<br />
Trentino durchgeführt wurde, hat man aus<br />
etwa 170 Einreichungen zwei Teams gewählt.<br />
Die beiden denkbar verschiedenen Konzepte<br />
und Inszenierungen wurden an zwei Orten<br />
umgesetzt, die auf unterschiedliche Weise<br />
belastet sind: Hall, dessen Saline heute nur<br />
noch an den Niedergang einer Industrie erinnert.<br />
Und Galtür, das trotz eines wieder aufkeimenden<br />
Tourismus in den meisten Köpfen<br />
unweigerlich mit dem Lawinenabgang im Jahr<br />
1999 verbunden wird.<br />
Im ehemaligen Salzlager Hall haben der Berliner<br />
Künstler Via Lewandowsky und der Zürcher<br />
Architekt Piet Eckert für ihren Zugang zur<br />
Natur eine hochzivilisatorische Metapher gewählt:<br />
In der Tourismusregion <strong>Tirol</strong> nicht ganz<br />
unpassend, haben sie ihren Teil der Ausstellung<br />
in den hohen Hallen als Hotel konzipiert.<br />
Hat man erst einmal an einem der Eingänge<br />
eingecheckt, wandelt man durch Korridore,<br />
entdeckt Notausgangs-Pläne, sieht Türen<br />
sich öffnen und schließen, Besucher von ei-<br />
nem Zimmer ins nächste schlüpfen. Schon<br />
aus purer Neugier, aus simplen Voyeurismus<br />
möchte man es ihnen sofort gleichtun – was<br />
verbirgt sich hinter dieser Türe, was hinter<br />
jener? Allerdings tappt man nicht in stinknormale<br />
Hotelzimmer, sondern auch in Räume,<br />
die üblicherweise nicht für Hotelgäste zugänglich<br />
sind. Diesen wurden je nach Funktion die<br />
passende Fragestellung zugeordnet. „Was<br />
schmeckt der Natur“ fragt etwa die „Küche“,<br />
„Wird die Natur zum Pflegefall“ die „Sauna“,<br />
und der „Kosmetikraum“ möchte klären, ob<br />
die Natur hässlich sein könne.<br />
Man merkt es schon: Nicht Zeigefinger-Didaktik<br />
lautet das Motto, sondern Spiel, nicht<br />
wissenschaftliche Strenge, sondern lockere<br />
Veranschaulichung. Dementsprechend sieht<br />
auch die Gestaltung aus – wie etwa in einer<br />
„verwüsteten Suite“: Kästen und Fernsehmonitore,<br />
Lampen und Betten stapeln sich<br />
in wildem Durcheinander übereinander. Eine<br />
gruselige Anaconda-Haut schlängelt sich aus<br />
einer Kommode. Ein makabrer Raubtier-Bettvorleger<br />
stiert uns aus künstlichen Augen an.<br />
Und in einem Video der Künstlerin Anna Möller<br />
wird ein harmloses Kätzchen wenig schmeichelhaft<br />
als „herrisch“ oder „großkotzig“<br />
bezeichnet. Alles klar: Die Perversionen im<br />
Umgang mit der Natur werden hier demonstriert.<br />
In der „Bar“ dagegen kann man weder<br />
einen Drink zu sich nehmen noch fette Zigarren<br />
rauchen – dafür an Telefonen den Tipps<br />
einer Sexualtherapeutin à la Dr. Sommer lauschen:<br />
Da beklagt sich etwa ein australischer<br />
Tarnfliegenmann, dass er immer wieder von<br />
den Weibchen durchgeprügelt werde, wenn<br />
er sich auf deren Abwehr hin zurückziehe.<br />
„Zum Teufel mit der Political Correctness“,<br />
herrscht ihn die Briefkastentante an, „die Mädels<br />
wollen, dass Sie Ihnen zeigen, wo es lang<br />
geht!“ Stehen offensichtlich auf sadistischen<br />
Sex, diese australischen Tarnfliegenfrauen.<br />
Bunte Tierpenisse und witzige Limericks von<br />
Robert Gernhardt ergänzen den schummrigen<br />
Raum, der uns – Schlagwort Verführung – die<br />
animalische Libido näher bringen will.<br />
Recht ernsthaft klingt das vielleicht nicht gerade.<br />
Eine wilde Mischung aus Naturalia und Artificialia<br />
breitet sich aus in diesem eigenartigen<br />
Hotel; und doch ist all das sortiert – wie in den<br />
faszinierenden Kunst- und Wunderkammern<br />
des 16. und 17. Jahrhunderts. Hier allerdings<br />
selten wie damals nach Materialien, sondern<br />
meist nach Themen. Das hat Charme, ist riskant<br />
und geht manchmal schief. Der Erkenntnisgewinn<br />
bleibt machmal oberflächlich. In<br />
ihrer waghalsigen Inszenierung, die in der Geschichte<br />
der Landesausstellungen eine Novität<br />
darstellt, wandern die Ausstellungsmacher<br />
auf einem schmalen Grat zwischen Witz und<br />
Übertreibung. Dennoch: Entziehen kann man<br />
sich ihren schrägen Ideen schwer.<br />
Konventioneller geht es im zweiten Teil der<br />
Ausstellung zu. Kein Wunder: An einem Ort<br />
wie Galtür wäre eine derartige Erlebnis-Sze-<br />
Schedlmayer<br />
DIE LANDESAUSSTELLUNG 05 STELLT DIE FRAGE NACH DER „ZUKUNFT DER NATUR“. ZUM GLÜCK VER-<br />
SUCHT SIE NICHT, DIESE ZU BEANTWORTEN. SONDERN KÜMMERT SICH ERST MAL UM DIE GEGENWART.<br />
STRENGE WISSENSCHAFT IST DABEI ALLERDINGS NICHT ANGESAGT. LANGEWEILE ABER AUCH NICHT.<br />
nografie kaum vorstellbar. Schon gar nicht<br />
im Alpinarium, das 1999 als Teil der großen<br />
Lawinenmauer errichtet wurde. Hier sind die<br />
Ausstellungsgestalter – die deutsche Künstlerin<br />
Franziska Bark und Holzer Kobler Architekturen<br />
subtiler an das Thema herangegangen.<br />
Wird im „Hotel“ der Begriff der Natur generell<br />
befragt, so bohren Bark/Holzer Kobler tiefer.<br />
Für ihr Konzept haben sie an Türen geklingelt,<br />
sich zum Kaffee eingeladen, lange mit den<br />
Bewohnern des Paznauntals geplaudert, ohne<br />
freilich bereits von Anfang an zu wissen, was<br />
sie eigentlich herausfinden wollten. Erfahren<br />
haben sie dennoch vieles, wie sich in der Ausstellung<br />
zeigt. „Die Mauer“ erzählt vom Leben<br />
und Überleben im Gebirge, davon, wie sich<br />
der Mensch – siehe Lawinenmauer – der Natur<br />
anpasst. Selten, aber doch führt man auch<br />
hier Sachverhalte ähnlich plakativ vor Augen<br />
wie im „Hotel“. Da präsentiert man etwa auf<br />
Regalen eine ganze Reihe von Gegenständen<br />
fürs Survival-Training im Gebirge. Um etwa<br />
in die Haut eines Salamanders zu schlüpfen,<br />
müsste sich der Mensch schon ziemlich<br />
kostspielig ausstaffieren: Samentaschen für<br />
die erfolgreiche Fortpflanzung, eine Taschenlampe<br />
zur Verstärkung der schwächlichen<br />
Menschenaugen, eine Dose Pfefferspray zur<br />
Verteidigung. Neben dem kleinen präparierten<br />
Salamander nimmt sich das humane Überle-<br />
Die Bar im HOTEL: Mit wem lässt sich die Natur ein? Die Rezeption im HOTEL: Welches Zimmer nimmt die Natur?<br />
bens-Gerät recht aufwändig aus.<br />
In den anderen Räumen gingen die Ausstellungsmacher<br />
mehr auf die Bergbewohner der<br />
Gattung Homo sapiens ein. Arme Familien, so<br />
erfahren wir etwa, schickten ihren Nachwuchs<br />
im 19. Jahrhundert zum Arbeiten ins Schwabenland.<br />
Beim Abschied auf der „Reanhütten“<br />
haben die Väter ihre weinenden Knirpse<br />
oft mit der Rute verdroschen – „damit sie kein<br />
Heimweh kriegen“, wie ein alter, gütig dreinblickender<br />
Mann in einem Video erzählt. Amüsanter<br />
klingt da die Geschichte von der eingeschworenen<br />
<strong>Tirol</strong>er Gemeinde Treze Tílias, zu<br />
deutsch Dreizehnlinden, in Brasilien: Während<br />
der Wirtschaftskrise waren 1933 junge <strong>Tirol</strong>er<br />
dorthin ausgewandert. Über siebzig Jahre<br />
lang haben die Bewohner in ihrer Enklave ihre<br />
Kultur wie in einem Rexglas konserviert: Fotos<br />
von jodelnden Trachtenpärchen oder ein Telefonbuch,<br />
dessen Einträge sich weitgehend<br />
lesen wie jene aus Wattens oder Landeck<br />
bezeugen das.<br />
Auch wenn es zunächst nicht so aussehen<br />
mag: Auch über all diese Erzählungen erfahren<br />
wir viel über das Verhältnis zwischen Mensch<br />
und Natur in dieser Region, und: Migration<br />
kann naturgemäß auch in den <strong>Tirol</strong>er Alpen ein<br />
Thema sein – wer zu einem bestimmten Zeitpunkt<br />
in den Bergen nicht leben kann, muss<br />
ihnen eben entfliehen. Entdeckungen wie<br />
diese setzen Bark/Kobler dem Klischee vom<br />
engstirnigen, unbeweglichen Älpler entgegen:<br />
„Wer in den Bergen lebt“, so das Fazit, „muss<br />
sich in Bewegung setzen.“<br />
Hoffentlich tut das nicht der Turm, der vom<br />
spuren ZUKUNFT<br />
9<br />
Innsbrucker Architekten Helmut Reitter entworfen<br />
wurde. Mächtige Stahlträger halten<br />
tausende Baumstämme, aus denen man 8<br />
Millionen Tages<strong>zeitung</strong>en drucken oder über<br />
60 Millionen Bleistifte herstellen könnte, in<br />
Zaum. Sieht aus, als würden die Stämme<br />
jederzeit auseinanderkullern – diese Angst<br />
ist allerdings unbegründet. Der Turm fungiert<br />
an der Rückseite des Alpinariums als temporärer<br />
Eingang: „Die Mauer“, sagt Benedikt<br />
Erhard, „sollte sichtbarer werden.“ Betritt<br />
der Besucher nämlich von der Straße her das<br />
Alpinarium über seinen regulären Eingang, so<br />
bleibt ihm die Lawinenmauer verborgen. Um<br />
den hölzernen Turm zu besteigen, muss er<br />
hingegen an der Mauer entlanggehen – einem<br />
Bollwerk, das elf Tonnen Schneemasse pro m³<br />
aufhalten kann. Ihre Wände sind vergleichbar<br />
mit jenen der Wiener Flaktürme, einen, an<br />
manchen Stellen eineinhalb Meter. Applizierte<br />
Steine verbergen den Betonkern, und an einer<br />
Stelle zieht sich die amorphe Oberkante giebelähnlich<br />
nach oben – soll das eine urtümliche<br />
Wehrhaftigkeit deutlich machen? Gegenüber<br />
der Mauer erhebt sich bedrohlich-faszinierend<br />
der Berg, der Lawinenkegel, von dem die für<br />
31 Menschen tödliche Staublawine abging.<br />
Von tragischen Schicksalen erzählt Benedikt<br />
Erhard, Familien, die beim Nachmittagskaffee<br />
in der Küche überrascht wurden, aber auch<br />
Hotelbesitzern, die sich gerade noch in den<br />
Keller retten konnten und damit wenigstens<br />
ihr eigenes Leben. Die Natur schlägt zurück.<br />
Die Natur, ein Racheengel in eigener Mission?<br />
Eine willentlich die Zivilisation attackierende<br />
dämonische Größe? Oder am Ende der verlängerte<br />
Arm Gottes? „Die Natur“, schreibt<br />
die Schriftstellerin Stefanie Holzer, „ist viel<br />
mehr Vorstellung als Wirklichkeit.“ Die Landesausstellung<br />
05 führt uns keine singuläre<br />
Vorstellung von Natur vor, sondern ein ganzes<br />
Kaleidoskop, überhöht nicht, sondern mikroskopiert.<br />
Sie legt eher die Gegenwart dar, als<br />
kühne Zukunftsprognosen zu wagen. Und<br />
dennoch, eines scheint gewiss: Einige Jahre<br />
wird es der Planet mit dem Hautausschlag<br />
Homo sapiens noch aushalten müssen.<br />
Nina Schedelmayr ist Kulturredakteurin<br />
von Profil, der Wiener Zeitung und Camera<br />
Austria.<br />
www.la05.at, bis 6.11.2005<br />
Täglich 10-18 Uhr, donnerstags bis 22 Uhr<br />
Landesausstellung 05<br />
Das Hotel – Salzlager Hall<br />
Saline 18, 6060 Hall i. T.<br />
Tel +43 5223 5855.450<br />
Die Mauer – Alpinarium Galtür<br />
Hauptstraße 29c, 6563 Galtür<br />
Tel +43 5443 20000