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20<br />

Senegal - Schweiz 1:1<br />

Schweiz<br />

Modul 2 Einwanderung und Auswanderung<br />

In der Schweiz<br />

Schätzungsweise 140 Millionen Menschen sind weltweit unterwegs. Die einen auf der<br />

Suche nach Arbeit, Ausbildung oder einem besseren Leben, die andern auf der Flucht vor<br />

Terror, Verfolgung und Krieg. In der Schweiz befanden sich 2005 rund 160 000 Arbeitsmigrantinnen<br />

und -migranten und gegen 50 000 Flüchtlinge, Sans-Papiers nicht mitgezählt.<br />

Hinter diesen Zahlen stecken Menschen mit unterschiedlichsten Biografien. Die<br />

Schweiz hat schon immer gerne qualifizierte Arbeitskräfte aufgenommen. Für Menschen,<br />

die aus Not kommen, wird es jedoch zunehmend schwieriger, in der Schweiz Aufenthalt<br />

zu finden. Dabei war die Schweiz selber noch im 19. Jahrhundert ein Auswanderungsland.<br />

Die Armut zwang viele Schweizer, ins Ausland bis hin nach Nordamerika zu ziehen.<br />

An der italienisch-schweizerischen Grenze bei Luino (1973)<br />

Die Schweiz – ein Auswanderungsland<br />

Im 19. Jahrhundert war die Schweiz ein Auswanderungsland.<br />

Etwa eine halbe Million Schweizerinnen und Schweizer<br />

emigrierten bis zum Ausbruch des Weltkriegs 1914<br />

nach Übersee. Die enorme Bevölkerungszunahme seit der<br />

Mitte des 18. Jahrhunderts erzeugte immer wieder Notsituationen.<br />

Vor allem in den Bergregionen veranlassten<br />

Armut und Hungerkrisen viele Menschen dazu, nach Übersee<br />

auszuwandern. Auswanderungsagenturen lockten mit<br />

«Billigangeboten». Flugblätter und Zeitungsinserate riefen<br />

zur Auswanderung auf. Aber auch viele von der Armut<br />

betroffene Gemeinden unterstützten die Auswanderung.<br />

So finanzierte die Tessiner Gemeinde Airolo mit 25000<br />

Franken die Emigration von 50 Einwohnern nach Kalifornien.<br />

Nach 1854 erreichte die Auswanderung in den Jahren<br />

1882/83 mit rund 13300 Emigrantinnen und Emigranten<br />

einen neuen Höhepunkt. Ziele waren die USA (83 %),<br />

Argentinien (11%), Kanada (4%) und Brasilien (2%).<br />

Nach 1914 nahm die Emigration aus der Schweiz wie im<br />

übrigen Europa stark ab.<br />

Die Schweiz – ein Einwanderungsland<br />

Nach 1880 wanderten zunächst vor allem viele junge Männer<br />

aus Deutschland und Italien in die Schweiz ein und<br />

fanden Arbeit beim Bau der grossen Eisenbahntunnels<br />

durch die Alpen und bei der Errichtung neuer städtischer<br />

Wohnquartiere. 1914 betrug der Anteil der Ausländerinnen<br />

und Ausländer an der schweizerischen Wohnbevölkerung<br />

14,7 % und war damit der höchste in Europa. Fast die<br />

Hälfte davon waren Frauen, die vor allem im Gastgewerbe,<br />

in der Krankenpflege und in der Industrie tätig waren.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte erneut ein starker<br />

Zuzug ausländischer Arbeitskräfte ein, vorerst aus Italien,<br />

später auch aus Spanien, Ex-Jugoslawien, Portugal und der<br />

Türkei.<br />

2005 betrug der Anteil der Ausländerinnen und Ausländer<br />

an der Bevölkerung rund 21,7 %. Der hohe Anteil erklärt<br />

sich auch daraus, dass viele Gemeinden zurückhaltend einbürgern,<br />

auch wenn Ausländer schon Jahrzehnte in der<br />

Schweiz leben.<br />

Basler Schulklasse – Abbild einer multikulturellen Schweiz


Senegal<br />

In Senegal<br />

Bis in die 1970er Jahre war Senegal ein Einwanderungsland. Dieses Phänomen war in der<br />

Kolonialzeit, als Dakar zur Hauptstadt von Französisch-Westafrika erklärt wurde, besonders<br />

ausgeprägt (>M1). Franzosen und Einwanderer aus dem heutigen Nahen Osten kontrollierten<br />

die Wirtschaft und die Verwaltung, während Einwanderer aus den Nachbarkolonien<br />

(Mali, Guinea, Mauretanien, Obervolta, Dahomey) als landwirtschaftliche Arbeitskräfte im<br />

Bereich des Erdnussanbaus oder im Detailhandel tätig waren.<br />

Vorwiegend Arbeiter und Händler aus Senegal wanderten damals ins Mutterland (Frankreich),<br />

in die Länder am Golf von Guinea und ins südliche Afrika aus.<br />

Durch das Bevölkerungswachstum (>M6) und die Dürreperioden in den 1970er Jahren<br />

(>M5) und die damit verbundenen Strukturanpassungspläne der 1980er Jahre (>M7) nahm<br />

auch die Zahl der Menschen, die in die Industrieländer (Westeuropa, USA, Kanada) auswanderten,<br />

stark zu.<br />

Senegal, ein sehr altes Einwanderungsland<br />

Die historischen Königreiche im Nordwesten und im zentralen Westen lösten Migrationsströme<br />

aus, welche die Vorfahren der heutigen Senegalesen in den senegambischen Raum<br />

brachten (>M1).<br />

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Migrationsüberschuss ein Faktor, der zum Bevölkerungswachstum<br />

Senegals beitrug. Während eines halben Jahrhunderts kamen die<br />

Navétanes aus Mali, Guinea und sogar Burkina Faso, um beim Erdnussanbau zu helfen. Er<br />

erfordert sehr viele Arbeitskräfte , weil er in dieselbe Zeit fällt wie der Anbau jener Pflanzen,<br />

die der eigenen Ernährung dienen (>M7). Viele dieser Saisonniers liessen ihre Familie<br />

nachkommen oder heirateten vor Ort und wurden Senegalesen. Auch in den 1960er Jahren<br />

hielt die Einwanderung aus den Nachbarländern noch an, da der freie Personenverkehr in<br />

der Sahelzone zu einer jahrhundertealten Tradition geworden war und Senegal seine im<br />

Vergleich zu den Nachbarländern hohe Attraktivität zu wahren wusste.<br />

Senegal, ein Auswanderungsland<br />

Die Auswanderung, die zu Beginn der Kolonialisierung noch gering war, wurde nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg (1945) von Frankreich gefördert, das Arbeitskräfte für den Wiederaufbau<br />

und die nachfolgenden Jahre der Hochkonjunktur benötigte und durch den Konflikt mit<br />

Algerien die Herkunft seiner Gastarbeiter diversifizieren wollte.<br />

So kam es in den 1980er Jahren zu einer Trendwende. Senegal wurde von einem Einwanderungs-<br />

zu einem Auswanderungsland, wobei sich die Auswanderungsstruktur in neuerer<br />

Zeit veränderte. In den 1990er Jahren wanderten immer weniger Senegalesen in afrikanische<br />

Länder aus und immer mehr nach Europa oder in neue Zielländer wie die arabischen<br />

Staaten und die USA. Die Migrationsstruktur Senegals, die ursprünglich auf Frankreich<br />

(früher wichtigstes Einwanderungsland), Mauretanien und die Elfenbeinküste ausgerichtet<br />

war, sieht heute sowohl für den Süden als auch für den Norden ganz anders aus. Die<br />

Migrationsströme innerhalb Afrikas führen vor allem in die angrenzenden Länder, wobei<br />

Gambia an erster Stelle steht. Die interkontinentalen Migrationsströme umgehen Frankreich,<br />

das als fremdenfeindlich gilt, und bevorzugen den Süden Europas und damit zwei<br />

Länder, die noch vor nicht langer Zeit Auswanderungsländer waren: Italien und Spanien.<br />

Bahnhof von Dakar: Ort der<br />

Ankunft und des Aufbruchs für<br />

verschiedene Schicksale<br />

Jumbojet am Boarding Gate<br />

Boat People<br />

Senegal - Schweiz 1:1<br />

21


Modul 2 Einwanderung und Auswanderung<br />

Schweiz<br />

Auswanderung im 19. Jahrhundert<br />

Auswanderung aus der Schweiz nach Nordamerika zwischen 1840 und 2002. Zwischen 1980 und 2000 wanderten<br />

jährlich zwischen 3000 und 4000 Schweizerinnen und Schweizer nach Nordamerika aus<br />

Warum gingen viele Schweizer weg (Push-Faktoren)?<br />

Während der Hungersnot von 1816/17 wanderten rund<br />

10000 Schweizer nach den USA aus. 1819 vermittelten die<br />

Behörden von Fribourg die Auswanderung von 2006 Menschen<br />

nach Brasilien, wo sie die Kolonie «Nova Friburgo»<br />

gründeten. Die Reise von Holland nach Südamerika dauerte<br />

je nach Schiff zwischen zwei und fünf Monaten; 20 %<br />

der Auswanderer starben während der langen Reise, vor<br />

allem an Typhus. Die Auswanderung nach Nordamerika<br />

setzte nach 1848 in grösserem Massstab ein. Die bevorzugten<br />

Gebiete waren die nördlichen Bundesstaaten der USA.<br />

Was trieb die Menschen aus ihrer Heimat weg?<br />

– Die Bevölkerungszunahme von 1,7 (1800) auf 3,3 Mio.<br />

(1900) schuf regionale Nahrungsknappheit, vor allem<br />

nach schlechten Ernten.<br />

– Es herrschte Arbeitsplatzmangel, etwa als Ostschweizer<br />

Baumwollspinnereien nach 1815 plötzlich billiger<br />

englischer Konkurrenz ausgesetzt waren.<br />

– Europäische Wirtschaftskrisen wirkten sich auch auf<br />

die Schweiz aus.<br />

– Der Bau grosser Dampfschiffe verbilligte die Überfahrt<br />

über den Atlantik.<br />

22 Senegal - Schweiz 1:1<br />

Die europäische<br />

Auswanderung<br />

1870–1914<br />

Nordamerika<br />

Weshalb waren die USA so attraktiv (Pull-Faktoren)?<br />

Die weitaus grösste Zahl der Schweizer Auswanderinnen<br />

und Auswanderer im 19. Jahrhundert zog es in die USA.<br />

Welche Motive waren dafür ausschlaggebend?<br />

– Die USA galt als das «Land der unbeschränkten Möglichkeiten»:<br />

Alle hatten angeblich die Chance zum<br />

sozialen Aufstieg.<br />

– Die weiten Ebenen des mittleren Westens der USA<br />

boten vor allem Bauernfamilien die Möglichkeit, einen<br />

eigenen Landwirtschaftsbetrieb in einem günstigen<br />

Klima zu gründen. Dies war in der Schweiz kaum mehr<br />

möglich.<br />

– Die rasch wachsende Industrie im Osten und im Norden<br />

der USA bot zahlreiche Arbeitsplätze an.<br />

– Im 19. Jh. gab es kaum Beschränkungen der Einwanderung<br />

für gesunde und arbeitswillige Menschen.<br />

Wie man heute annimmt, erreichten bis zu 50 Prozent der<br />

Auswanderinnen und Auswanderer ihr erträumtes Ziel<br />

nicht.<br />

Südamerika<br />

Europa<br />

Afrika


Senegal<br />

Das Dilemma der Emigration<br />

Wer sind diese Migranten?<br />

Wenn ein Europäer Europa verlässt, um in Dakar zu arbeiten,<br />

hat er nicht denselben Status wie ein Afrikaner, der<br />

Afrika verlässt, um sich in Europa niederzulassen. Ersterer<br />

wird oft als «Entwicklungshelfer» bezeichnet, während<br />

Letzterem der Stempel «Einwanderer» aufgedrückt wird.<br />

Dennoch haben beide dasselbe getan. Dass dasselbe Vorgehen<br />

weder dieselbe Bedeutung noch dieselben Ursachen<br />

und Ziele hat und dass es eine Rolle spielt, ob man<br />

vom Norden in den Süden geht oder umgekehrt, ist auf<br />

politische und wirtschaftliche Faktoren zurückzuführen.<br />

Einerseits ist das Land, aus dem der Entwicklungshelfer<br />

kommt, im Allgemeinen ein reicher Staat, der mit dem<br />

Land, aus dem der Einwanderer stammt, eine unausgewogene<br />

Beziehung unterhält (dominantes Land und dominiertes<br />

Land). Andererseits sind auswandernde Afrikaner<br />

Push-Faktoren (die vertreiben)<br />

– Konflikte und Unterdrückung (Flüchtlinge)<br />

– politische Verfolgung (Flüchtlinge)<br />

– Unzufriedenheit<br />

– soziale Zwänge<br />

– Wirtschaftskrisen<br />

– Naturkatastrophen (Dürren, Heuschrecken)<br />

– kein Ausweg aus der Subsistenzwirtschaft<br />

– Mangel an Lohnarbeit<br />

– Arbeitslosigkeit (20 bis 50% in Senegal)<br />

– Überbevölkerung bei zu geringen Ressourcen<br />

– Neid denen gegenüber, die schon gegangen sind<br />

Ein Dorf<br />

meist wenig qualifizierte Angehörige der ländlichen Bevölkerung,<br />

welche die Härte der Lebensbedingungen aus<br />

ihrem Dorf vertrieben hat. Meist gehen sie zuerst in die<br />

Städte des Landes und von dort weiter nach Europa. Die<br />

Migrationsströme fliessen hauptsächlich von den Entwicklungsländern<br />

in die wohlhabenden Industrieländer.<br />

Warum gehen sie weg?<br />

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) unterteilt<br />

die internationalen Migranten in zwei Gruppen:<br />

Flüchtlinge (getrieben von äusseren Einflüssen) und jene,<br />

die das Land freiwillig verlassen (aus persönlichen Gründen).<br />

Obwohl es verschiedene Gründe für die Auswanderung<br />

gibt, ist nur ein kleiner Teil der Weltbevölkerung davon<br />

betroffen. Lediglich 2,5% sind internationale Migranten.<br />

Pull-Faktoren (die anlocken)<br />

– Wunsch nach einem besseren Leben<br />

– Familienzusammenführung<br />

– Abenteuerlust<br />

– Aufstiegschancen<br />

– generell mehr und bessere Möglichkeiten<br />

– sozialer Erfolg<br />

– Ausbildung (Studium)<br />

– Anziehungskraft der Industrieländer<br />

– berufliche Weiterentwicklung<br />

Die Stadt<br />

Senegal - Schweiz 1:1<br />

23


Modul 2 Einwanderung und Auswanderung<br />

Schweiz<br />

Die Einwanderung in den letzten 150 Jahren<br />

Vom Gastarbeiter zum Immigranten: Italienische Arbeiter beim Tunnelbau<br />

in der Schweiz Ende des 19. Jahrhunderts. © Schweiz. Landesmuseum<br />

Demonstration von Saisonniers (1970)<br />

Empfangsstelle an der Grenze (2005)<br />

24 Senegal - Schweiz 1:1<br />

Immigrantinnen und Immigranten aus Italien und<br />

Deutschland 1880 bis 1914<br />

Viele junge Männer und Frauen aus Deutschland verdienten<br />

ihr Geld als Facharbeiter, Dienstbotinnen und Kellnerinnen<br />

in Basel. Oder junge Männer aus Italien arbeiteten<br />

unter unwürdigen Bedingungen am Bau der Eisenbahntunnels.<br />

Bei Streiks setzten die Behörden am Gotthard-,<br />

Ricken- und Grenchenbergtunnel sogar Armeeeinheiten<br />

ein. In den Krisenjahren der Zwischenkriegszeit kam es in<br />

einigen Schweizer Städten zu Konflikten zwischen italienischen<br />

und schweizerischen Arbeitern, die um ihre Arbeit<br />

bangten, weil Schweizer Unternehmer es oft vorzogen, italienische<br />

Maurer zu beschäftigen, die besser und vor allem<br />

billiger als die Einheimischen arbeiteten. Angesichts des<br />

hohen Anteils an Ausländerinnen und Ausländern in der<br />

Wohnbevölkerung wurde die so genannte «Überfremdung»<br />

schon vor dem Ersten Weltkrieg ein Thema.<br />

Die «Saisonniers» aus Italien 1950 bis 1970<br />

Nach 1950 setzte in der Schweiz – wie in ganz Westeuropa<br />

– eine kräftige Hochkonjunktur ein. Da die Schweizer Industrie<br />

keine Kriegszerstörungen zu beheben hatte, blieb<br />

eine Erneuerung der industriellen Infrastruktur weitgehend<br />

aus. Die Unternehmer setzten auf billige Arbeitskräfte.<br />

Vor allem aus Italien reisten viele Arbeiter als so<br />

genannte «Saisonniers» zur Arbeit in die Schweiz: Sie durften<br />

während neun Monaten hier arbeiten und mussten<br />

dann für drei Monate zurück in ihr Land reisen. Ihren Familien<br />

war die Einreise nicht erlaubt. Rechtsstehende politische<br />

Parteien befürchteten ab den 1960er Jahren erneut<br />

die «Überfremdung» der Schweiz und schlugen in verschiedenen<br />

Initiativen eine Beschränkung der ausländischen<br />

Wohnbevölkerung vor. Alle diese Vorschläge wurden<br />

jedoch in den Volksabstimmungen abgelehnt.<br />

Die neuen Immigrantinnen und Immigranten aus dem<br />

Balkan und der iberischen Halbinsel<br />

Nach 1975 wanderten vermehrt Menschen aus dem ehemaligen<br />

Jugoslawien, aus Spanien und aus Portugal ein.<br />

Vor allem während der kriegerischen Konflikte im ehemaligen<br />

Jugoslawien (1991–1995) stieg der Anteil der Arbeitskräfte<br />

aus dieser Region vorübergehend stark an; gleichzeitig<br />

stieg auch die Zahl der Flüchtlinge. Auch die Zahl der<br />

Einwanderinnen und Einwanderer aus Spanien und Portugal<br />

nahm zu, während die Einwanderung aus Italien<br />

abnahm. Viele Ausländerinnen und Ausländer in der<br />

Schweiz stammen heute aus Ländern, die nicht an die<br />

Schweiz grenzen und sich kulturell stärker unterscheiden.


Senegal<br />

Wem nutzt die Migration?<br />

Manchen afrikanischen Ländern kommt die Emigration<br />

der Afrikanerinnen und Afrikaner nicht ungelegen. Denn<br />

blieben diese Menschen zu Hause, müsste man Arbeitsplätze<br />

für sie schaffen. Die vielen Arbeitslosen bedeuteten<br />

für die afrikanischen Regierungen eine zusätzliche Last<br />

und ein politisches Risiko.<br />

Die Überweisungen von Arbeitsmigranten an ihre in Entwicklungsländern<br />

lebenden Familien sind in diesen Ländern<br />

zu einer starken Triebfeder der Entwicklung geworden.<br />

In Senegal soll das Budget der privaten Haushalte zu<br />

30–80% aus diesen Geldüberweisungen aus dem Ausland<br />

bestehen. 1998 belief sich der von senegalesischen, in<br />

Frankreich lebenden Migranten durchschnittlich transferierte<br />

Jahresbetrag auf 1340 Euro, d.h. auf 13,5% eines<br />

durchschnittlichen Jahressalärs.<br />

Die Abkommen zwischen den Ländern der ECOWAS gewähren<br />

Personenfreizügigkeit innerhalb Westafrikas. Die<br />

nationalen Migrationspolitiken hingegen bringen die<br />

Migranten manchmal in eine arbeitsrechtlich gesehen illegale<br />

Situation. In Senegal ist die Regierung der Ansicht,<br />

dass die relativ geringe Anzahl Ausländer (laut offiziellen<br />

Zahlen weniger als 2% der Gesamtbevölkerung) keine spezielle<br />

Immigrationspolitik erforderlich macht. Diese Toleranz<br />

wahrt letztlich die traditionelle Vorstellung der<br />

«Téranga» (Gastfreundschaft gegenüber Fremden), die das<br />

senegalesische Volk als Markenzeichen für sich in Anspruch<br />

nimmt. In Dakar wurden die internationalen<br />

Migranten, die in den informellen Handel gut integriert<br />

sind, dank ihrer Tatkraft von der in der Hauptstadt grassierenden<br />

Arbeitslosigkeit weniger betroffen als die Einheimischen.<br />

Junge Migranten in Los Cristianos Port, Teneriffa<br />

(29.9.2006)<br />

Wem nutzt die Emigration?<br />

Afrika scheint ein riesiges Reservoir an Arbeitskräften für<br />

die reichen Länder zu sein. Damit setzt eine zweite internationale<br />

Spezialisierung ein: Nachdem Afrika Europa<br />

lange Zeit als Rohstofflager und Abnehmerland für dessen<br />

Produkte diente, stellt es heute auch Arbeitskräfte, und<br />

zwar sowohl im Bereich des wenig qualifizierten als auch<br />

des hoch qualifizierten Personals. Wollte man in Europa<br />

die unattraktiven Arbeiten, die wenig qualifizierte Migranten<br />

erledigen, ausschliesslich von Europäern ausführen<br />

lassen, müssten die Arbeitgeber die Löhne erhöhen und<br />

grosse Investitionen tätigen, um die Arbeitsbedingungen<br />

zu verbessern.<br />

Im Bereich der hoch qualifizierten Arbeitskräfte verlor<br />

Afrika laut einer Schätzung des UNDP von 1993 zwischen<br />

1985 und 1990 rund 60000 Fachleute (Wissenschaftler,<br />

Ärzte, Ingenieure, usw.). 100000 gut ausgebildete Afrikaner<br />

sind heute in Europa und in den USA tätig – ein Drittel der<br />

qualifizierten Arbeitskräfte des afrikanischen Kontinents.<br />

Zwischen 1991 und 2002 sind mehr als 7% der Dozenten<br />

und Forscher der Universität Dakar und mehr als 20% der<br />

Universität St-Louis in die Forschungszentren und Universitäten<br />

der Länder des Nordens abgewandert, besonders<br />

nach Frankreich und in die USA. Die Studierenden, vom<br />

übersättigten und nicht auf sie zugeschnittenen senegalesischen<br />

Arbeitsmarkt enttäuscht, folgen diesem Beispiel.<br />

Die Aufnahmeländer profitieren von der Abwanderung<br />

qualifizierter Arbeitskräfte und fördern sie mit gezielten<br />

Ein- und Ausreiseerleichterungen. Die Amerikaner haben<br />

ausgerechnet, dass sie für jeden Kadermitarbeiter, den sie<br />

aus Entwicklungsländern abwerben, jährlich zwischen<br />

20000 und 30000 Dollar an Ausbildungskosten sparen. Für<br />

Afrika sind die Kosten des Brain Drain also hoch.<br />

Senegal - Schweiz 1:1<br />

25


Modul 2 Einwanderung und Auswanderung<br />

Schweiz<br />

Die Schweiz und die Flüchtlinge<br />

Die Schweiz gilt als traditionelles Asylland. Glaubensflüchtlinge<br />

des 16./17. Jahrhunderts, Revolutionsflüchtlinge<br />

ab 1789 sowie Republikaner und Sozialisten aus Frankreich<br />

und den europäischen Monarchien des 19. Jahrhunderts<br />

fanden in ihr mal mehr, mal weniger grosszügig Aufnahme.<br />

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde<br />

Flüchtlingen aus kommunistischen Ländern bereitwillig<br />

Asyl gewährt. Anlass zu heftiger Kritik jedoch gab im Inund<br />

Ausland die Flüchtlingspolitik der Schweiz zur Zeit des<br />

Zweiten Weltkriegs.<br />

Die Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg<br />

Wie im Ersten Weltkrieg erklärte sich die Schweiz auch von<br />

1939 bis 1945 als neutral und beteiligte sich nicht an den<br />

militärischen Konflikten. Als nicht Krieg führendes Land,<br />

das zwischen 1940 und 1944 von den Achsenmächten fast<br />

vollständig eingeschlossen war, stellte sie für Flüchtlinge<br />

verschiedener Herkunft den rettenden Bestimmungsort<br />

dar; 51000 Zivilpersonen fanden während des Krieges hier<br />

Zuflucht. Ausserdem nahm das Land rund 103000 Soldaten<br />

aus den kriegführenden Ländern auf.<br />

Sehr umstritten war die gegenüber jüdischen Flüchtlingen<br />

angewandte Politik. 1938 führte Nazideutschland auf Anregung<br />

der Schweiz den J-Stempel ein. Diese restriktive<br />

Flüchtlingspolitik gegenüber jüdischen Flüchtlingen wurde<br />

1942 weiter verschärft, obwohl der Regierung die Existenz<br />

von Vernichtungslagern bekannt war. Jüdischen Flüchtlingen<br />

wurde das Recht, in der Schweiz Schutz zu finden, mit<br />

der Formel abgesprochen, sie seien «Flüchtlinge nur aus<br />

Rassegründen». Schätzungsweise 20000 dieser Schutzsuchenden<br />

wurden an der Grenze zurückgewiesen. Für<br />

viele von ihnen bedeutete dies den Tod, andere begingen<br />

aus Verzweiflung Selbstmord.<br />

Gegen diese Flüchtlingspolitik wandten sich zum Teil<br />

erfolgreich Vertreter der politischen Linken, kirchliche<br />

Kreise, jüdische Organisationen sowie Privatpersonen, wie<br />

beispielsweise eine Schulklasse aus Rorschach. Privatleute<br />

und Solidaritätsorganisationen halfen bei der Unterbringung<br />

der Flüchtlinge.<br />

Flüchtlinge heute<br />

Die Zahl der Ausländerinnen und Ausländer, die in der<br />

Schweiz jährlich um Asyl nachsuchen, erreichte 1991 sowie<br />

1998 und 1999 mit jeweils über 40000 Personen Maximalwerte.<br />

In den folgenden Jahren lagen die Zahlen der jährlichen<br />

Asylgesuche auf einem Niveau von etwa 20000.<br />

Ähnlich entwickelte sich der Bestand der in der Schweiz<br />

anwesenden Personen des Asylbereichs. Nach einem stetigen<br />

Anstieg bis 1999 (107000 Personen) ist deren Zahl 2004<br />

auf knapp 64600, 2005 auf gut 48000 Personen gesunken.<br />

Die grossen Schwankungen sind unter anderem bedingt<br />

26 Senegal - Schweiz 1:1<br />

Die Schweiz wird abgeriegelt (1940)<br />

Neu eingereichte Asylgesuche und Personen des Asylbereichs in 1000<br />

Flüchtlingsaufnahmezentrum<br />

heute<br />

Genfer Flüchtlingskonvention<br />

Grundlage der Schweizer Asylpolitik<br />

bildet – neben Bestimmungen<br />

der Bundesverfassung –<br />

die Genfer Flüchtlingskonvention.<br />

Als Flüchtling akzeptiert<br />

wird nur, wer glaubhaft nachweisen<br />

kann, dass er in seiner Heimat<br />

körperlichen oder seelischen<br />

Bedrohungen ausgesetzt<br />

ist.<br />

durch die Konflikte und politischen Spannungen in Ex-<br />

Jugoslawien und Sri Lanka.<br />

Viele Menschen versuchen auch, illegal in die Schweiz einzureisen.<br />

2002 wurden vor allem in den Grenzregionen<br />

7100 Menschen aufgegriffen.


Senegal<br />

Emigration hat viele Gesichter<br />

Heutzutage verstärkt sich die Emigration in die Industrieländer (Westeuropa,<br />

USA). Es gibt hauptsächlich zwei Formen der Emigration.<br />

Legale Emigration<br />

Sie besteht aus einem Flug von wenigen Stunden mit gültigen Papieren in der<br />

Tasche und genügend Geld sowie der Freude, Verwandte und Freunde wiederzusehen.<br />

Illegale Emigration<br />

Sie bedeutet, ohne Papiere und mit Ersparnissen eines ganzen Lebens oder<br />

einer ganzen Familie, mit Geld, das man vor Betrügern schützen muss, die<br />

Wüste zu durchqueren, lange auf eine Gelegenheit zu warten, über das Mittelmeer<br />

zu kommen und ständig Angst vor dem Scheitern zu haben. Für einige<br />

Migranten endet das Abenteuer mit dem ersehnten Erfolg eines gesellschaftlichen<br />

Aufstiegs, doch auf die meisten warten Desillusionierung, Ungerechtigkeiten,<br />

Schwierigkeiten mit der Polizei und schliesslich Rückschaffung.<br />

Erfolgreiche Emigration<br />

Welches auch immer der Grund für ihre Ausreise ist,<br />

Frauen und Männer, die emigrieren, wählen das Exil nicht<br />

nur mit dem Gedanken an eine Rückkehr, sondern mit der<br />

Vorstellung, als Bessergestellte zurückzukommen. Denn<br />

für Auslandsenegalesen bedeutet das Verlassen ihrer<br />

Familien, ihrer Wurzeln und ihres Landes eine tiefe innere<br />

Zerrissenheit. Doch gerade dieses Gefühl von Schmerz und<br />

Tugend zugleich hat den meisten geholfen, durch gewissenhafte<br />

und oft harte Arbeit einen gewissen sozialen Aufstieg<br />

zu erlangen. Vielleicht hat er nicht immer dem<br />

erträumten Erfolg entsprochen, hat aber doch ermöglicht,<br />

den Lebensunterhalt zu bestreiten und die im Land verbliebenen<br />

Angehörigen zu unterstützen. Einzelne oder<br />

Gruppen aus den Aufnahmeländern schicken regelmässig<br />

Einkünfte nach Senegal. Die besser organisierten richten<br />

Ambulatorien ein und bauen Schulen oder kulturelle Einrichtungen<br />

(>M2). Die Kühnsten erwerben Immobilien<br />

oder investieren in Handelsunternehmen oder Betriebsstätten.<br />

Einige Künstler aus Senegal sind in der Musikszene<br />

oder in der Welt der Mode sehr gefragt, was der<br />

senegalesischen Kultur ein starkes und attraktives Image<br />

verleiht.<br />

Emigration als Drama<br />

Nicht jede Auswanderung verläuft erfolgreich. Die Einreisemöglichkeiten<br />

nach Europa werden restriktiver und<br />

beschwerlicher, was die Auswanderungswilligen in die<br />

Arme illegaler Schlepper treibt und mit grossen Risiken<br />

verbunden ist (Durchqueren der Sahara, Umherirren, eng<br />

Migranten bei der Ankunft in einem Fischerboot,<br />

Teneriffa (23.9.2006)<br />

zusammengepfercht in heruntergekommenen Hotelzimmern<br />

übernachten, Verlust persönlicher Habseligkeiten<br />

oder Diebstahl des für die Schlepper bestimmten Geldes,<br />

risikoreiche Überfahrt über das Meer in nur bedingt seetüchtigen<br />

Booten). Endlich in Europa angelangt, ist der Leidensweg<br />

noch lange nicht zu Ende. Denn ohne Aufenthaltsrecht<br />

und ohne Einkommen sind die «Sans-Papiers»<br />

den Profiteuren der Schwarzarbeit, der Polizei und so<br />

genannten «marchands de sommeil» (Eigentümer von heruntergekommenen,<br />

gesundheitsschädlichen, aber teuer<br />

vermieteten Unterkünften im Aufnahmeland) ausgeliefert.<br />

Das Netzwerk Migreurop schätzte am 1. Januar 2006 die<br />

Zahl der Frauen und Männer, die bisher beim Versuch, nach<br />

Europa zu gelangen, umkamen, auf mehr als 7000 Menschen.<br />

Portugal<br />

Sanlúcar<br />

Cádiz<br />

Gibraltar<br />

Ceuta<br />

Tanger<br />

Rabat<br />

Casablanca<br />

Marokko<br />

Málaga<br />

Transitwege zwischen Marokko und Spanien<br />

Spanien<br />

Motril<br />

Melilla<br />

Senegal - Schweiz 1:1<br />

27


Modul 2 Einwanderung und Auswanderung<br />

Schweiz<br />

Ausländerin oder Ausländer in der Schweiz<br />

18,8%<br />

22,8%<br />

5,3% 0,9%<br />

28 Senegal - Schweiz 1:1<br />

54,5%<br />

Ausländische Erwerbstätige nach Anwesenheitsbewilligung, 2005, Jahresmitte, in %<br />

Die «Sans-Papiers»<br />

«Sans-Papiers» sind Personen, die ohne eine Aufenthaltsbewilligung<br />

in der Schweiz leben und sich auch nicht im<br />

Asylverfahren befinden. Damit haben sie keine legale<br />

Möglichkeit zu arbeiten oder eine Berufsausbildung zu<br />

absolvieren zu können. Es verwundert daher auch nicht,<br />

dass sie in der oben gezeigten Grafik fehlen.<br />

Ihre Zahl wird, je nach Studie, auf 70000 bis 300000<br />

geschätzt. Sie bilden eine ausgesprochen heterogene<br />

Gruppe:<br />

– «Sans-Papiers», die gut integriert sind;<br />

– Prostituierte aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa,<br />

die oft als Halbgefangene ohne Rechte arbeiten<br />

müssen;<br />

Unterscheidung nach Status<br />

1. Niedergelassene: mit festem Wohnsitz in der Schweiz,<br />

aber nicht eingebürgert.<br />

2. Aufenthalter: meist ausländische Arbeitnehmer mit<br />

einem Arbeitsvertrag von einem Jahr oder mehr.<br />

3. Grenzgänger: wohnen in Nachbarländern, arbeiten in<br />

der Schweiz.<br />

4. Kurzaufenthalter: Aufenthalt und Arbeitsbewilligung<br />

zwischen vier Monaten und einem Jahr.<br />

5. Übrige: Personen des Asylbereichs, Personal der<br />

Schweizer Botschaften und Hochseeflotte.<br />

– Saisonniers, die nach der Aufhebung des Saisonnierstatuts<br />

1997 in die Illegalität gerieten (vor allem Männer<br />

aus Ex-Jugoslawien);<br />

– abgewiesene, untergetauchte Asylsuchende; sie leben<br />

meist von Schwarzarbeit und in prekären Verhältnissen;<br />

– Menschen, die nicht mehr freiwillig in ihr Heimatland<br />

zurückkehren können, weil sie für ihre Familien als<br />

«Versagerinnen und Versager» aus dem «goldenen<br />

Europa» gelten;<br />

– ausländische Ehepartnerinnen und -partner, die vor der<br />

Frist von fünf Jahren wieder geschieden worden sind.


Senegal<br />

Stimmen zur Migration<br />

Der Traum<br />

«Die meisten von ihnen sind nur körperlich in der Schule anwesend; Kopf und<br />

Herz sind anderswo. Die Schule kümmert sie wenig. Sie träumen davon, wegzugehen,<br />

und das Lernen ist für sie nichts als ein Zeitvertreib, eine Beschäftigung<br />

während der Wartezeit, bis sie ein Visum bekommen.»<br />

(Ein Lehrer der Sekundarstufe aus Louga über seine Schüler)<br />

Die Geschichte eines Scheiterns<br />

«Das Leiden hat ein Ende. All das ist hinter mir. Ich werde<br />

erst wieder den Fuss nach Afrika setzen, wenn ich meine<br />

Situation in Ordnung gebracht habe, mit viel Geld und<br />

neuen Kleidern», dachte vor vier Monaten Idrissa Baldé,<br />

als er den Stacheldrahtzaun an der Grenze überwunden<br />

hatte und sich nun auf spanischem Boden befand – in<br />

Europa. Und: «Hier ist das Eldorado!» Diesem «alten»<br />

Traum, der Armut in Afrika zu entkommen, konnte er nur<br />

kurz nachgehen. Die spanischen Grenzwächter machten<br />

ihn zunichte. Und gestern im Flughafen Léopold Sédar<br />

Senghor sah der Junge sehr unglücklich aus. Seine Kleider<br />

waren schmutzig, die Haare struppig. «Ich weiss wirklich<br />

nicht, was ich sagen soll. Es ist, wie wenn man alles in ein<br />

Illegale Migranten aus Senegal auf dem Weg nach Oujda, Marokko<br />

(12.10.2005)<br />

Eine Erfolgsgeschichte: Bassirou, Schneider in Paris<br />

«Ich bin vor fast 20 Jahren nach Frankreich gekommen, mit nichts als ein paar Jahren<br />

Primarschule, einer Lehre als Schneider und … dem Willen, erfolgreich zu sein. Ein Verwandter<br />

hat mich bei sich aufgenommen, aber er ist bald danach weggegangen und<br />

hat es mir allein überlassen, an meiner Zukunft zu bauen.<br />

Heute bin ich 47 und mein Schneideratelier in Paris läuft ganz ordentlich. Vor kurzem<br />

habe ich meinen Laden für Schneiderei und Änderungsarbeiten im Süden der Hauptstadt<br />

vergrössert, wo es viele Kunden gibt. Es sind anspruchsvolle Kunden, und doch<br />

sind sie mit meinen Leistungen zufrieden. Ich weiss, man muss die Arbeiten immer<br />

perfekt ausführen und termingerecht liefern. Das bedeutet harte und mühsame Arbeit<br />

im Atelier, zehn Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Mit meinen ein oder zwei<br />

Hilfskräften sind wir nur zu zweit oder zu dritt, um die vielen Kleidungsstücke umzuarbeiten,<br />

die in der grossen, hellen Boutique hängen, die man auch ständig sauber und in<br />

Ordnung halten muss.»<br />

(aus der Zeitschrift «L’Essor des Sénégalais de l’Extérieur», juin 1999)<br />

Geschäft investiert, das dann ins Wasser fällt. Es ist hart.<br />

Ich fühle mich sehr niedergeschlagen», sagte er mit<br />

stockender Stimme. Idrissa Baldé aus der Stadt Kolda ist<br />

einer der 140 Senegalesen, die gestern aus Marokko in ihr<br />

Herkunftsland zurückgeschafft wurden. Nach der Abweisung<br />

an der Grenze wurde er zu einer mehrtägigen<br />

Wüstendurchquerung gezwungen.<br />

Vor drei Jahren war Idrissa Baldé mit wenigen Habseligkeiten<br />

im Reich König Mohammeds VI. angekommen. Er<br />

wollte über Spanien nach Europa gelangen. Zusammen<br />

mit anderen Immigranten wollte er illegal über einen Stacheldrahtzaun<br />

klettern. Dies wird «Attacke» genannt. An<br />

jenem Tag hatte er sich auch eine schwere Verletzung am<br />

Knie zugezogen.<br />

Immigranten in einem Zelt des Roten Kreuzes, Fuertaventura (12.10.2005)<br />

Senegal - Schweiz 1:1<br />

29


Modul 2 Einwanderung und Auswanderung<br />

Schweiz<br />

Migration und Ausländerpolitik<br />

Ausländerpolitik ist nicht gleich Asylpolitik<br />

Seit Jahrzehnten werden die Ausländerpolitik und die Asylpolitik<br />

in der politischen Diskussion vermengt. Für viele<br />

Stimmbürger und -bürgerinnen gibt es keine klare Unterscheidung,<br />

und das Thema wird emotional von einzelnen<br />

Parteien für ihre Zielsetzungen verwendet.<br />

In der Gesetzgebung wird aber klar unterschieden zwischen<br />

Ausländern und Ausländerinnen und Flüchtlingen.<br />

Am 24. September 2006 hiessen die Stimmberechtigten<br />

das revidierte Asylgesetz gut. Flüchtlinge ohne Papiere<br />

können sofort abgewiesen werden und die Wegweisungen<br />

sollen durchgesetzt werden. Nach dem ebenfalls in der<br />

Volksabstimmung angenommenen neuen Ausländergesetz<br />

steht u.a. der Arbeitsmarkt nur noch für Menschen<br />

aus der EU und der EFTA offen, Menschen aus anderen<br />

Ländern müssen sich über hohe Qualifikationen ausweisen.<br />

Asylinitiative der SVP im November 2002<br />

30 Senegal - Schweiz 1:1<br />

Manifest der Grünen 2002<br />

«Wir bekämpfen die heutige diskriminierende und willkürliche<br />

Politik der Behörden entschieden. Sie ist oft unmenschlich<br />

gegenüber Asylsuchenden, gewährt Migranten<br />

und Migrantinnen nur sehr eingeschränkte Rechte und<br />

zwingt jene, die über keinen legalen Status verfügen, zu<br />

einem Leben unter unwürdigen Bedingungen. Sie wird so<br />

zum Nährboden von mehr Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.<br />

Wir fordern eine kollektive Aufnahmeregelung für<br />

Papierlose, erleichterte Einbürgerungsregelungen, die Aufhebung<br />

des rassistischen Zweikreise-Modells, politische<br />

Rechte für AusländerInnen und eine grosszügigere Aufnahme<br />

von Gewaltflüchtlingen.»<br />

Issa Barry aus Senegal, heute in Basel<br />

«In Afrika denkt man, Europa sei das Paradies, und wenn<br />

man einmal dort sei, dann ständen einem alle Türen offen.<br />

Diese Einstellung hängt mit den Bildern zusammen, die<br />

wir im afrikanischen Fernsehen sehen. Es gibt keine negativen<br />

Bilder über Europa. Man sieht nur den Luxus. … In<br />

Afrika denkt man, jeder Cousin in Frankreich baut dort ein<br />

Haus und schickt seine Mutter nach Mekka. Auch ein Afrikaner,<br />

der an einer afrikanischen Uni war, weiss nicht, wie<br />

es in Europa wirklich funktioniert. Ich glaube, auch heute<br />

sind noch viele davon überzeugt, dass ein Afrikaner, der es<br />

in Europa finanziell zu nichts bringt, etwas falsch macht.<br />

Das stimmt aber nicht! … In Senegal kommen die<br />

falschen Bilder an und motivieren die Leute, nach Europa<br />

zu gehen.»<br />

(aus: Matare, Eleonora et al.: Black, Noir, Schwarz –<br />

Zwölf Porträts aus Basel. Basel 2002, S. 154f.)<br />

Abstimmungsplakat gegen die Verschärfung<br />

von Asyl- und Ausländergesetz<br />

(1987)<br />

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) 2003<br />

«Die Schweiz ist auf Grund ihrer Grösse und<br />

ihrer Bevölkerungsdichte kein Einwanderungsland.<br />

Dennoch wurde sie in den letzten Jahren<br />

zum Ziel vieler Scheinflüchtlinge und illegaler<br />

Einwanderer. Der Bundesrat steht dieser Entwicklung<br />

konzeptlos und überfordert gegenüber.<br />

Wegen der laschen Politik der anderen Parteien<br />

hat die Schweiz heute einen der höchsten<br />

Ausländeranteile Europas.»


Senegal<br />

Der Beitrag der Auswanderer<br />

Bananenfeld<br />

Yao Assogba (2002) schreibt:<br />

«Neue Formen der Zusammenarbeit entstanden im Laufe<br />

der 1990er Jahre. Es handelt sich dabei vor allem um Partnerschaften<br />

zwischen Diasporaverbänden und Vereinigungen<br />

oder NGO des Einwanderungslandes. Dies ist auch bei<br />

den Auswanderern aus der Sahelzone in Frankreich der<br />

Fall. Das bekannteste und am häufigsten genannte Beispiel<br />

ist das der Diasporaverbände aus dem Tal des Flusses<br />

Senegal (Mauretanien, Senegal und Mali). Dank ihrem Einsatz<br />

konnten Dörfer mit einer Grundinfrastruktur ausgerüstet<br />

werden. Diese umfasst Schulen, Ambulanzen,<br />

Gesundheitszentren, Getreidesilos, Bewässerungsanlagen,<br />

Getreidebanken, Trinkwasser, Sanierungen usw.<br />

Gemäss dem Institut Panos gab es in den 1990er Jahren<br />

etwa 400 solcher Verbände in Frankreich. Diese Vereinigungen<br />

für internationale Partnerschaft und Solidarität spielten<br />

und spielen eine wichtige Rolle für die Entwicklung<br />

Afrikas.<br />

Die Diasporaverbände beteiligen sich auch an sozialwirtschaftlichen<br />

Aktivitäten: Förderung von Mikrofinanzierung,<br />

Verkehr, Genossenschaften in verschiedenen Sektoren<br />

usw. (Dembélé, 1999). Der Soziologe Babacar Sall weist<br />

auf den Fall der senegalesischen Auswanderer in Italien<br />

hin. ‹Im Januar 1996›, schreibt er, ‹erlebte ich in Senegal ein<br />

bedeutendes Beispiel für dieses Phänomen: Die Auswanderer<br />

in Italien sorgten für die Elektrifizierung von Ndiaye<br />

Tioro, einem Dorf, das etwa 150 km von Dakar entfernt liegt<br />

(…). Es gibt noch viele Beispiele dieser Art in Senegal. Es<br />

werden nämlich überall Gesundheitszentren, Schulen und<br />

Poststellen mit den Ersparnissen oder den Solidaritätsbeiträgen<br />

von Auswanderern errichtet› (Sall, 1996).<br />

Die Auswanderung von hoch qualifizierten Berufs- und<br />

Fachleuten (Brain Drain) bewirkt, dass auch Privatgelder<br />

vom Herkunftsland in die Einwanderungsländer fliessen.<br />

(…). Im Fall von Afrika südlich der Sahara befinden sich<br />

zurzeit 34% dieses Vermögens in den Aufnahmeländern<br />

der Auswanderer (…). Eine attraktive Steuer- und Geldpolitik<br />

der afrikanischen Staaten könnte die Auswanderer<br />

dazu bewegen, ihr Geld in ihrem Herkunftsland anzulegen».<br />

(Yao Assogba: «Et si les africains de la diaspora étaient des acteurs du<br />

développement de l’Afrique? » Québec : Juli 2002)<br />

Senegal - Schweiz 1:1<br />

31

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