Jetzt mal ernsthaft! - Rondo
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Eine faszinierende Vorkämpferin für historisch inspirierte Klangwelten: Die Pianistin und Cembalistin Wanda Landowska auf dem Gut von Leo Tolstoj (r.),<br />
1904 an einem Klavier (l), im Eingang zu ihrem Temple de la Musique Ancienne (2.v.l.) und ganz selbstreflexiv beim Anhören eigener Aufnahmen 1955 (2.v.r).<br />
Wanda Landowska<br />
Kampfgeist auf Samtsohlen<br />
Am 24. September 1911 lud die Leipziger neue bachgesellschaft medienwirksam zu einem »Duell«<br />
in den Konzertsaal des Hotels fürstenhof in eisenach: Zu hören waren Werke von bach, im Wechsel<br />
gespielt auf einem modernen Klavier und einem Cembalo. Die Herausforderin an dem für überholt<br />
geltenden Kielflügel war Wanda Landowska. Das bachhaus eisenach hat der Polin, die hartnäckig<br />
für die renaissance des Cembaloklangs kämpfte, eine sehenswerte Ausstellung gewidmet. Carsten<br />
niemann hat sie für rondo besucht.<br />
Die 32-jährige Polin galt als eine der musikalisch interessantesten Verfechterinnen<br />
der Wiederbelebung des Cembalos, eines fast vergessenen Instruments,<br />
von dem es hieß, dass es wegen seines »zwirnsmäßigen« tons »für<br />
das einigermaßen ästhetisch gebildete Ohr auf die Dauer unerträglich« sei.<br />
Doch Landowska, die bereits vor tolstoi, rodin und Albert Schweitzer gespielt<br />
und erste Aufnahmen des Instruments auf Walzen gemacht hatte,<br />
gewann das Duell haushoch und sollte kurz darauf zum ersten Star des<br />
Cembalos der neuzeit werden.<br />
Hundert Jahre später ist die Landowska nun wieder in eisenach: als Gegenstand<br />
einer jener kleinen aber feinen Kabinettaustellungen, mit denen<br />
Eine sehens- und hörenswerte Ausstellung hat das Bachhaus Eise nach der<br />
polnischen Musikerin 100 Jahre nach ihrem Besuch vor Ort gewidmet.<br />
sich das bachhaus in den letzten Jahren profiliert hat. Die Schau, die von<br />
Martin elste akribisch recherchiert und liebevoll mit Objekten aus Landowskas<br />
nachlass eingerichtet wurde, reduziert die Künstlerin nicht auf<br />
ihre rolle als »Pionierin des Cembalos«. Objekte und Dokumente zeichnen<br />
vielmehr das bild einer vielseitigen Ausnahmekünstlerin, die der historischen<br />
Aufführungspraxis zwar die türen öffnete, aber letztlich eine<br />
höchst individuelle Auseinandersetzung mit bach und der Alten Musik<br />
verfolgte. Dies sieht man nicht zuletzt an Landowskas Cembalo: Das türkisfarbene<br />
Instrument mit den sieben Pedalen, das die firma Pleyel 1912<br />
12 RONDO 5/2011<br />
nach ihren Wünschen angefertigt hatte, unterscheidet sich deutlich von<br />
den Instrumenten der bachzeit.<br />
Geheimnisse über Landowskas bühnenausstrahlung und Spieltechnik<br />
verraten die neben dem Instrument ausgestellten Samtschläppchen: Auf<br />
ihnen konnte die kurzsichtige Interpretin nicht nur effektvoll in den Saal<br />
gleiten; sie dienten ihr auch dazu, unmerklich von Pedal zu Pedal zu wechseln<br />
und fließende Übergänge zwischen einer Vielzahl von registern herzustellen.<br />
effekte, die auf bachs Instrumenten so nicht möglich gewesen<br />
wären. Auch der nach Plänen von Landowska erbaute »temple de la Musique<br />
Ancienne« in Saint-Leu-la-forêt bei Paris war alles andere als eine<br />
rekonstruktion des Vergangenen, sondern ein bau der klassischen Moderne<br />
mit lichtem Glasdach, in dem die Künstlerin von 1927 bis zu ihrer<br />
emigration in die USA Meisterklassen, Konzerte und Vorlesungen veranstaltete<br />
sowie Aufnahmen produzierte. Dass Wanda Landowska von ihren<br />
Gegnern nichtsdestotrotz »Musealität« vorgeworfen wurde, gehört zu den<br />
vielen Paradoxien ihres öffentlichen Wirkens, das in seinen widersprüchlichen<br />
facetten erst noch zu entdecken ist.<br />
»Erinnerungen an Wanda Landowska«.<br />
Sonderausstellung, bis zum 13. november 2011, 10 – 18 Uhr,<br />
bachhaus eisenach – www.bachhaus.de<br />
Martin Elste: »Die Dame mit dem Cembalo.<br />
Wanda Landowska und die Alte Musik. Bilder und Texte«,<br />
Schott Verlag, Mainz 2010, 240 Seiten, 39,95 eUr<br />
Neu erschienen:<br />
Wanda Landowska – Le Temple de la<br />
Musique Ancienne.<br />
Aufnahmen und Dokumente.<br />
Paradizo/harmonia mundi PA0009<br />
DG/Universal 4779634<br />
Abonnenten finden<br />
einen Ausschnitt auf<br />
der beiliegenden<br />
RONDO CD #47 Titel 12<br />
Institur für Musikforschung, Library of Congress