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Jetzt mal ernsthaft! - Rondo

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Sturmszenen in der Oper<br />

Achtung,<br />

frischer Wind<br />

Wenn sich mit Herbstbeginn der Wind zurückmeldet,<br />

bläst er den kulturbeflissenen Städter<br />

zusammen mit einem Wirbel goldgelber blätter<br />

durch die Straßen – und in die Opernhäuser.<br />

Das Schönste am ende des Sommers ist wahrscheinlich<br />

der Saisonbeginn im Musiktheater.<br />

Doch der Sturm, der den alten Sommerstaub ausfegt,<br />

macht auch vor der Opernbühne keineswegs<br />

Halt. Im Gegenteil – vom barock ausgehend,<br />

kommt musikalischen Unwettern in der französischen<br />

Oper eine dramaturgische Schlüsselfunktion<br />

zu. Sarah Kesting hat sich für rOnDO<br />

ein<strong>mal</strong> kräftig die Ohren durchpusten lassen<br />

und gibt einen kleinen einblick in ein stürmisches<br />

Kapitel der Operngeschichte.<br />

18 RONDO 5/2011<br />

Herbstzeit – Opernzeit: Die parallel zum Saisonbeginn wütenden Herbststürme<br />

sorgen auch auf der Bühne für frischen Wind in der Handlung.<br />

Interpretation oder »nachahmung«? Seit Anbeginn beschäftigt sich die<br />

Kunst mit ihrem Verhältnis zur Wirklichkeit, insbesondere zur natur. Im<br />

Unterschied zu anderen Künsten ist Musik auch in der Lage, Geräusche<br />

zu imitieren – etwa von Wind, Wellen oder Stürmen. Diese naturerscheinungen<br />

fanden seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert im Zuge der sogenannten<br />

»nachahmungsästhetik« eingang in die französische barockoper,<br />

meist als Attribut von Göttern, die das Handeln der Menschen lenken:<br />

Unter Donner und blitz steigen sie mit großem bühneneffekt vom Himmel<br />

herab oder lassen einen Sturm aufkommen, der zu einem Schiffbruch<br />

führt.<br />

Marin Marais, Gambist Ludwigs XIV. und Leiter der »Académie royale<br />

de Musique«, erfindet 1706 für seine Oper »Alcione« den Prototyp einer ausgereiften<br />

Sturmszene: ein wirkungsvolles Stück mit donnernden bässen,<br />

Orgelpunkten, trommelwirbeln und tremoli. rasant auf- und absteigende<br />

Zweiunddreißigstel-Ketten imitieren das rollen der Wellen. Instrumentale<br />

Parts wechseln mit solistischen Passagen der Schiffbrüchigen, nah- und<br />

fernchören. Damit hat Marais ein Vokabular der musikalischen Sturmdarstellung<br />

formuliert, das fortan fester bestandteil der französischen Oper ist,<br />

oft als Dreh- und Wendepunkt der Handlung. Die Komponisten können<br />

so mit Klangwirkungen experimentieren und erweitern das Instrumentarium.<br />

Wind- und Donnermaschinen treten effektvoll zur Musik hinzu,<br />

und dank spektakulärer bühnentechnik kann sogar ein Schiffsuntergang<br />

simuliert werden: Die Sturmszene wird ein Spektakel, fast im Sinne eines<br />

Gesamtkunstwerks.<br />

Die musikalische Sprache des Sturms bleibt für das ganze 18. Jahrhundert<br />

gültig und wirkt mehr oder weniger stark auch im 19. und 20. Jahrhundert<br />

weiter. Doch mit dem Wandel des naturverständnisses wächst das Interesse<br />

für die wilde und entfesselte natur, für das »erhabene«. Das gilt auch<br />

in der Sturmszene: Wo früher antike Götter blitz, Donner und Sturm regierten,<br />

treten die naturvorgänge selbst in den Vordergrund. rameau erweitert<br />

für »Les Indes galantes« 1735 das Katastrophenspektrum um erdbeben<br />

und Vulkanausbruch.<br />

Auch die Grenze zwischen naturalistischer und psychologischer naturnachahmung<br />

verwischt sich, die Darstellung von Stürmen verschränkt<br />

sich mit der beschreibung von Seelenzuständen. bestes beispiel: die große<br />

Sturmmusik am Anfang von Glucks »Iphigénie en tauride« von 1779.<br />

Gluck steigert nicht nur wirkungsvoll die klang<strong>mal</strong>erischen Ausdrucksmöglichkeiten<br />

(durch Piccoloflöten), er lässt auch die Sturmmusik der<br />

Ouvertüre direkt in die 1. Szene mit Chor und rezitativ überleiten. Der<br />

Schiffbruch Orests verbindet sich musikdramatisch mit dem Seelenzustand<br />

Iphigenies.<br />

In der italienischen Opera seria des 18. Jahrhunderts herrscht flaute.<br />

Die Winde zerren lediglich in den sogenannten Gleichnisarien (›aria di<br />

tempesta‹) am Seelenfrieden. Die französische tradition der Sturmszene,<br />

die über Gluck bis zu berlioz und Meyerbeer weiterwirkt, ist nicht teil<br />

der Gattungskonvention, findet aber mit den bestrebungen um eine französisch-italienische<br />

Mischform eingang. bekanntestes beispiel: Mozarts<br />

»Idomeneo« von 1781 – über ein ursprünglich französisches Sujet. Auch<br />

hier steht die Sturmszene in engem bezug zu den inneren Vorgängen der<br />

figuren, am eindringlichsten im Seelensturm von elettras Arie »tutto nel<br />

cor vi sento«, die unmittelbar in den Meeressturm mit Idomeneos Schiffbruch<br />

überleitet. Die vor<strong>mal</strong>s agierenden Götter bleiben schattenhaft, der<br />

Mensch selbst und die bedrohung durch die natur rücken ins Zentrum.<br />

eine noch<strong>mal</strong>ige Aufwertung erleben die musikalischen naturbilder im<br />

Zeichen eines schwärmerischen »naturgefühls« in der romantik. Die natur<br />

ist allzeit präsent und gewinnt eine eigene, über szenische effekte und<br />

menschliche Affekte hinausgehende tiefendimension. In rossinis letzter<br />

Oper »Guillaume tell« werden natur und Sturm in den revolutionären<br />

Stoff einbezogen und träger politischer bezüge – als Symbol sowohl der<br />

Unterdrückung durch die Habsburger als auch des freiheitskampfes der

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