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Kikeriki_Juni_2017_WEB

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Seite 14 www.kikerikizeitung.at<br />

Ausgabe <strong>Juni</strong> <strong>2017</strong><br />

Gedanken<br />

zur Zeit<br />

Eigentlich wäre<br />

ich gern Bäuerin<br />

geworden. Viele<br />

dafür notwendigen<br />

Eigenschaften<br />

hätte ich mitgebracht: die<br />

Freude an körperlicher Arbeit,<br />

die Liebe zu den Jahreszeiten,<br />

die Begeisterung für die Natur.<br />

Wenn ich diese ganz alten, vergilbten<br />

Schwarzweißfotografien<br />

mit den gezackten Rändern<br />

anschaue, würde ich jedesmal<br />

am liebsten hineinkriechen und mich dazusetzen zu all diesen<br />

knorrigen Männern und den oft zahnlosen Frauen in ihren<br />

Schürzen und Stiefeln, die ewig langen Mädchenzöpfe bis zum<br />

Tod als mauserartiges Gespinst zum Knoten gewunden und unter<br />

einem weder religiös noch politisch umstrittenen Kopftuch<br />

verborgen. Wie sie da unter blühenden Mostbirnbäumen sitzen<br />

oder mit Sensen ihre hohen Wiesen mähen. Stets könnte ich<br />

mich aufs Neue verlieren in dieser längst verlorenen Welt.<br />

Jetzt, im wunderbaren Frühsommer, fehlt mir meine verstorbene<br />

Großmutter ganz besonders. Denn von ihr habe ich die<br />

Namen aller Gräser und Wiesenblumen gelernt, auch wie man<br />

Pflanzen setzt, Obst einkocht und<br />

die Zeichen der Natur deutet.<br />

Noch heute orientiere ich mich<br />

bei der Gartenarbeit nicht an Wettervorhersage<br />

oder Mondkalender,<br />

sondern nur an den Bauern,<br />

die die angrenzenden Felder bearbeiten.<br />

Ich weiß, wenn sie Gülle<br />

ausführen wird es regnen, und<br />

wenn sie mähen, bleibt es eine<br />

Weile trocken und heiß fürs Heu.<br />

Bauern haben nämlich ein großes<br />

Wissen und denken in elementaren<br />

Zusammenhängen. Auch meine<br />

Oma entstammte noch diesem Menschenschlag, einfache<br />

Leute mit bäuerlichem Hintergrund, deren Vorfahren Kleinoder<br />

Kleinstbauern waren, Keuschler mit ein paar Hühnern und<br />

einem Schwein oder sie waren überhaupt nur Dienstboten. Das<br />

waren Menschen, die konnte man eigentlich alles fragen, was<br />

im Leben wirklich zählte.<br />

Und nun also das: ein kleiner Absatz nur in einem Gutachten;<br />

kürzlich verfasst von einem so genannten Sachverständigen,<br />

darin wird Bauernarbeit vor dem Gesetz als 'geistig' 'mäßig<br />

schwierig' eingestuft. Zurecht sehen viele Landwirte darin eine<br />

Beleidigung und fordern empört eine neue Bewertung ihres<br />

Berufsbildes. Abgesehen davon, dass heute fast jeder Landwirt<br />

eine Ausbildung an einer Fachhochschule absolviert hat<br />

und auch im Umgang mit moderner Technik und neuen Medien<br />

sattelfest ist, zeigt so ein dummes, kleines Gutachten einmal<br />

mehr, wer derzeit in der Gesellschaft den Ton angibt, nämlich<br />

so genannte Experten. Allerorten treibt diese neue Spezies ihr<br />

Unwesen und macht sich wichtig. Bleiben wir beim Geistigen.<br />

Wenn es um Schulen geht, führen neuerdings Bildungsexperten<br />

das große Wort. Aber was für Experten sind das genau? Um<br />

sich etwa mit Kindern auszukennen, muss man nicht einmal<br />

eigene haben. Es genügt vollends, selbst einmal Kind gewesen<br />

zu sein! Die meisten Erwachsenen kommen praktisch schon<br />

als Kinder zur Welt. Mehr Expertentum ist ja kaum möglich.<br />

Bedenkt man, dass heute in einer Schulklasse oft zwei bis drei<br />

Pädagogen anwesend sind, um nur ja allen Bedürfnissen der unterschiedlichen<br />

Kinder gerecht zu werden, gelang es in früher<br />

Zeit einem einzigen Lehrer, gleich vier Schulstufen im selben<br />

Raum zu unterrichten. Aus diesen mehrklassigen Volksschulen<br />

mit ihren fähigen Universalpädagogen, die Wissen UND Bildung<br />

vermittelten, kamen immerhin mehrheitlich Leute mit sicheren<br />

Grundkenntnissen heraus, die sogar sinnerfassend lesen<br />

konnten. Einen speziellen Expertenterror üben auch die Terrorexperten<br />

aus, die in den Medien stets alle Gefahren so lange<br />

beschwichtigen, bis der nächste Anschlag erfolgt und sie ihr<br />

abstraktes Fachwissen wieder von neuem auspacken.<br />

Oder erinnern wir uns an den letzten US-Wahlkampf. Die einhellige<br />

Meinung der politischen Experten war, dass Herr Trump<br />

als Präsident nie und nimmer eine Chance haben würde. Dennoch<br />

steht die merkwürdige Witzfigur mit der originellen Haartracht<br />

und dem konfliktfreudigen Weltbild nun an der Spitze einer<br />

Weltmacht... Ganz zu schweigen von den Gesundheits- und<br />

Lifestyle-Experten, den Top-Auskennern in Sachen Beruf und<br />

Erfolg. Bei den Bauern, den Wald- oder Bergbauern im kleineren<br />

Stil etwa, heißt es immer noch: Arbeit. Nicht Karriere. Und:<br />

Ernte statt Erfolg. Zu dem: Bewegung statt Sport. Heute geht<br />

man nicht einmal ins Fitnessstudio zu Fuß, dann aber dafür<br />

gleich den kompletten Jakobsweg. Zuviel Sauberkeit und Desinfektion<br />

haben die gegenwärtig<br />

so häufigen Allergien vermutlich<br />

mit bedingt. Das Immunsystem<br />

krankt am Gesundheitswahn, seit<br />

Erde und Dreck plötzlich dasselbe<br />

sein sollen. Sicher, man darf<br />

nichts schönreden!<br />

Die vielen, den Markt flutenden<br />

Bücher und Zeitschriften, die das<br />

schöne Landleben preisen, haben<br />

mit dem immerwährenden Existenzkämpf<br />

hinter der Idylle nichts<br />

gemeinsam. Da wird nur auf<br />

Hochglanz poliert- und damit: arrangiert. Bäuerlichkeit verkauft<br />

man als Country-Chic, Natur als Vintage und Einfachheit als<br />

Retrocharme. Und, nein, früher war bei Gott nicht alles besser:<br />

Ich wäre als Bäuerin spätestens an meiner Tierliebe gescheitert.<br />

Denn die Zuneigung eines Landwirts zu seinem Vieh ist immer<br />

eine Liebe ohne Erbarmen. Und muss es auch sein. Auch vor der<br />

Massentierhaltung ging es nicht nur artgerecht und tierfreundlich<br />

zu. Aber dem Bauernstand Wissen und Weisheit abzusprechen,<br />

ist ein Skandal. Und jedesmal, wenn ich nach Gärten, in denen<br />

Mähroboter öde Flächen scheren an einer hohen bäuerlichen<br />

Wiese vorbeikomme, begrüße ich im Geist mit meiner Oma namentlich<br />

alle Rispen, Dolden und Halme und freue mich über<br />

meine eigene sensentaugliche Wiese statt eines Rasens. Soviel<br />

Bäuerinsein habe ich nämlich doch geschafft.<br />

Andrea Sailer/Weiz

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