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BUNDESKONGRESS<br />

DES DEUTSCHEN<br />

ALTPHILOLOGEN<br />

VERBANDES<br />

<strong>2016</strong><br />

GRUSSWORT<br />

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BUNDESKONGRESS<br />

DES DEUTSCHEN<br />

ALTPHILOLOGEN<br />

VERBANDES<br />

<strong>2016</strong><br />

Wilhelm von Humboldt<br />

Uvo Hölscher<br />

Es giebt einen vierfachen Genuss des Alterthums:<br />

in der Lesung der alten Schriftsteller,<br />

in der Anschauung der alten Kunstwerke,<br />

in dem Studium der alten Geschichte,<br />

in dem Leben auf classischem Boden. –<br />

Griechenland, Empfindungen tieferer Wehmut.<br />

Rom, höherer Standpunkt,<br />

mehr Vollständigkeit der Uebersicht.<br />

Alle diese verschiedenen Genüsse geben im Ganzen<br />

denselben, nur zu anderen Graden gesteigerten<br />

Eindruck, und das Charakteristische dieses Eindrucks<br />

besteht darin, dass jeder andre Gegenstand immer<br />

nur zu einer einzelnen Beschäftigung tauglich, das<br />

Alterthum hingegen eine bessere Heimath, zu der man<br />

jedesmal gern zurückkehrt, scheint, dass von ihm aus<br />

alle mannigfaltigen menschlichen Sinnes und Vorstel-<br />

lungsarten verständlich werden, die man, wenn man<br />

unmittelbar von einer zu anderen übergienge, nicht<br />

leicht verstehen würde, dass viele andre Gegenstände<br />

auf vielfache Weise ergreifen, allein keiner so alle<br />

Ansprüche befriedigt, so in nichts anstösst, so eine<br />

vollkommene und zugleich energische Ruhe einflösst,<br />

dass die Beschäftigung mit dem Alterthume die<br />

Untersuchung nie zu einem Ende und den Genuss nie<br />

zur Sättigung führt, dass es scheint, als könne man<br />

auf einem kleinen, eng begrenzten Felde in immer<br />

unergründlichere Tiefe graben,<br />

um immer größere Ansichten<br />

zu erhalten, dass die längst<br />

bekannten Formen immer zu<br />

neuer Erhabenheit und Lieblichkeit<br />

übergehen, und zu neuem Einklang<br />

zusammentreten.<br />

In der Tat, der am Altertum Erzogene entfernt sich von der Gegenwart<br />

in einer Weise, die ihm die Gegenwart fragwürdig machen kann.<br />

Keine Vertiefung ins Französische oder Englische, oder ins Mittelalter,<br />

bringt ihn in solchen Abstand von seiner Zeit. Wohl wirkt auf ein vordergründiges<br />

Interesse auch das Altertum erstaunlich, was es „auch<br />

schon gehabt hat“; aber in tieferer Weise gerade das, worin es anders<br />

ist. Eine solche Wirkung übt wiederum nicht das ganz Andere – China,<br />

Indien, so hoch ihre Kultur, so überlegen der griechischen ihre Weisheit<br />

ist: es fällt zu schwer, das Dortige auf uns zu beziehen; wie ja auch die<br />

abendländische Kultur nicht bildend auf die östliche gewirkt hat. Rom<br />

und Griechenland sind uns das nächste Fremde, und das vorzüglich<br />

Bildende an ihnen ist nicht sowohl ihre Klassizität und „Normalität“,<br />

sondern dass uns das Eigene dort in einer anderen Möglichkeit, ja<br />

überhaupt im Stande der Möglichkeiten begegnet. Wenn dem aus<br />

einer klassischen Schule Hervorgegangenen heute irgendein Vorzug<br />

vor dem polytechnisch Geschulten, selbst technisch-naturwissenschaftlichen<br />

Aufgaben gegenüber, zukommt, so würde ich ihn nicht<br />

so sehr in der formalen Bildung seines Geistes sehen […], sondern in<br />

einer Art kritischer Phantasie: der Fähigkeit, nicht nur mit dem<br />

Gelernten richtig umzugehen, sondern schöpferisch seine<br />

Möglichkeiten zu denken, vom Zwang des Gegebenen, der Majorität,<br />

des Zeitgemäßen Abstand zu nehmen.<br />

Uvo Hölscher<br />

Die Chance des Unbehagens, Göttingen 1965<br />

Wilhelm von Humboldt<br />

Latium und Hellas oder Betrachtungen<br />

über das classische<br />

Alterthum, 1806<br />

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29. März bis 02. April <strong>2016</strong> · Humboldt-Universität zu Berlin<br />

29. März bis 02. April <strong>2016</strong> · Humboldt-Universität zu Berlin<br />

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