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Zeit für Reform von Ellen G. White

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

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<strong>Zeit</strong> <strong>für</strong> <strong>Reform</strong><br />

es die Göttin der Vernunft in der Person eines lasterhaften Frauenzimmers anbetete — dies in der<br />

Nationalversammlung, durch die Vertreter des Volkes und durch seine höchsten zivilen und gesetzgebenden<br />

Behörden! Ein Geschichtsschreiber sagt: „Eine der Zeremonien dieser wahnsinngen <strong>Zeit</strong> steht unübertroffen<br />

da wegen ihrer mit Gottlosigkeit verbundenen Abgeschmacktheit. Die Tore des Konvents wurden einer<br />

Schar <strong>von</strong> Musikanten geöffnet, der in feierlichem Zuge die Mitglieder der Stadtbehörde folgten, während<br />

sie ein Loblied auf die Freiheit sangen und den Gegen- stand ihrer zukünftigen Anbetung, ein verschleiertes<br />

Frauenzimmer, welches sie die Göttin der Vernunft nannten, geleiteten. Als man sie innerhalb der Schranken<br />

gebracht, mit großer Förmlichkeit entschleiert und zur Rechten des Präsidenten hingesetzt hatte, erkannte<br />

man sie allgemein als eine Tänzerin aus der Oper ... Dieser Person, der passendsten Vertreterin jener<br />

Vernunft, die man anbetete, brachte die Nationalversammlung Frankreichs öffentliche Huldigung dar.<br />

Jene gottlose und lächerliche Mummerei wurde zu einem gewissen Brauch, und die Einsetzung der<br />

Göttin der Vernunft wurde in der ganzen Nation an allen Orten, wo die Bewohner sich auf der Höhe der<br />

Revolution zeigen wollten, erneuert und nachgeahmt.“ Der Redner,der die Anbetung der Vernunft<br />

einführte,sagte: „Mitglieder der gesetzgebenden Versammlung! Der Fanatismus ist der Vernunft gewichen.<br />

Seine getrübten Augen konnten den Glanz des Lichts nicht ertragen. Heute hat sich eine unermeßliche<br />

Menge in den gotischen Gewölben versammelt, welche zum erstenmal <strong>von</strong> der Stimme der Wahrheit<br />

widerhallen. Dort haben die Franzosen die wahre Anbetung der Freiheit und der Vernunft vollzogen; dort<br />

haben wir neue Wünsche <strong>für</strong> das Glück der Waffen der Republik ausgesprochen; dort haben wir die leblosen<br />

Götzen gegen die Vernunft, dieses belebte Bild, das Meisterwerk der Natur, eingetauscht.“<br />

Als die Göttin in den Konvent geführt wurde, nahm der Redner sie bei der Hand und sagte, indem er<br />

sich an die Versammlung wandte: „‚Sterbliche, hört auf vor dem ohnmächtigen Donner eines Gottes zu<br />

beben, den eure Furcht geschaffen hat. Hinfort erkennet keine Gottheit außer der Vernunft. Ich stelle euch<br />

ihr reinstes und edelstes Bild vor; müßt ihr Götter haben, so opfert nur solchen wie dieser ... O Schleier der<br />

Vernunft, falle vor dem erlauchten Senat der Freiheit! ...‘<br />

Nachdem der Präsident die Göttin umarmt hatte, wurde sie auf einen prächtigen Wagen gesetzt und<br />

inmitten eines ungeheuren Gedränges zur Liebfrauenkirche geführt, damit sie dort die Stelle der Gottheit<br />

einnehme. Dann wurde sie auf den Hochaltar gehoben und <strong>von</strong> allen Anwesenden verehrt.“ Bald darauf<br />

erfolgte die öffentliche Verbrennung der Bibel. Bei einem derartigen Anlaß betrat die „Gesellschaft der<br />

Volksfreunde“ den Saal der höchsten Behörde mit dem Ruf: „Es lebe die Vernunft!“ Auf der Spitze einer<br />

Stange trugen sie die halbverbrannten Überreste verschiedener Bücher, darunter Gebetbücher, Meßbücher<br />

und das Alte und Neue Testament, die wie der Präsident sich ausdrückte, „in einem großen Feuer die<br />

gesamten Torheiten sühnten, die zu begehen sie das menschliche Geschlecht veranlaßt hatten“.<br />

Das Papsttum hatte das Werk begonnen, das die Gottesleugner nun vollendeten. Roms Politik hatte<br />

jene gesellschaftlichen, politischen und religiösen Zustände zur Folge die Frankreich dem Verderben<br />

zutrieben. Schriftsteller, die die Schrecken der Revolution schildern, sagen, daß jene Ausschreitungen dem<br />

Thron und der Kirche zur Last gelegt werden müssen. Ein gerechtes Urteil muß sie der Kirche zurechnen.<br />

Das Papsttum hatte Voreingenommenheit gegen die <strong>Reform</strong>ation in die Gemüter der Könige gesät, als wäre<br />

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