2017_2_franziskaner
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
was brauchen wir und was<br />
nicht?<br />
Politisch und gesellschaftlich traditionelle<br />
Werte und konservative Positionen<br />
zu vertreten, ist völlig legitim. Problematisch<br />
wird es jedoch immer dann, wenn<br />
sich wertkonservative Grund haltungen<br />
mit rechtspopulistischen Tendenzen<br />
und rechten Weltbildern verbinden. Für<br />
viele Christen hat beispielsweise der<br />
Schutz der Familie eine hohe Bedeutung.<br />
Gefährlich wird es dann, wenn<br />
sich dies zum »Anti-Genderwahn« und<br />
zur »Homophobie« ausweitet. Ähnliches<br />
gilt für den Umgang mit Andersgläubigen,<br />
wenn der Schutz der Christen und<br />
der christlichen Lebenskultur zum Antiislamismus<br />
(Islamophobie) oder Antijudaismus<br />
wird. Allgemein gesprochen:<br />
Alar mierend wird es immer dann, wenn<br />
die eigene Identität durch Feindbilder<br />
und Ausgrenzung abgesichert werden<br />
soll.<br />
Wie reagieren die Kirchen auf diese Entwicklung?<br />
Wie zahlreiche Beispiele zeigen,<br />
wenden sie sich mit großer Klarheit<br />
gegen den (Rechts-)Populismus. Doch<br />
was bedeutet es aus christlicher Sicht,<br />
wenn laut einer Umfrage der Tageszeitung<br />
»La Croix« 46 Prozent der gelegentlich<br />
praktizierenden und etwa ein Drittel<br />
der regelmäßig praktizierenden Katholiken<br />
bei der französischen Präsidentschaftswahl<br />
für Marine Le Pen und<br />
den Front National gestimmt haben?<br />
Dass sich so viele Christen von ab- und<br />
ausgrenzenden Parolen ansprechen lassen,<br />
mag insbesondere bei den Älteren<br />
auch daran liegen, dass die Kirchen lange<br />
Zeit autoritäre Staats- und Gesellschaftsvorstellungen<br />
vertreten und den Gläubigen<br />
ein einfaches Gut/Böse-Denken<br />
vermittelt haben.<br />
Während Rechtspopulisten gern den<br />
Begriff des »Volkes« als Gegenbegriff<br />
zum politischen Establishment ins Spiel<br />
bringen als Bekundung einer vermeintlichen<br />
Mehrheit, die Minderheiten vehement<br />
ausgrenzt, sollten Christen mit<br />
dem Begriff »Volk Gottes« gerade die<br />
universale Weite der einen Menschheitsfamilie<br />
ins Spiel bringen. Europa braucht<br />
eine Seele, wie Jacques Delors zu Recht<br />
angemahnt hat. Es braucht Spiritualität,<br />
und wer wäre da kompetent, wenn nicht<br />
die Kirchen.<br />
wie können wir europa<br />
wieder beseelen?<br />
Wie geht es weiter mit Europa? Einem<br />
Europa, das seine Bedeutung und weltweite<br />
Verantwortung derzeit in nationalistischen<br />
Egoismen zu verlieren droht.<br />
Einem Europa, das sich durch die Entwicklungen<br />
in den USA vor die Aufgabe<br />
gestellt sieht, seine Rolle ganz neu zu<br />
definieren. Wird es wieder ein Europa<br />
der offenen Grenzen werden? Ein Europa<br />
bunter Vielfalt, ein Europa der Regionen?<br />
Ein Europa, das sich nicht durch das Einstimmigkeitsprinzip<br />
permanent selbst<br />
blockiert? Ein Europa der unterschiedlichen<br />
Geschwindigkeiten? Ein Europa<br />
mit mehr Transparenz?<br />
Laut Hirnforschung sind sowohl Entscheidungen<br />
wie Erinnerungen stark an<br />
Emotionen gebunden. Unser Gehirn ist<br />
durch die Evolution darauf ausgerichtet,<br />
aus der Vergangenheit eine gewünschte<br />
Zukunft zu gestalten. Dazu werden die<br />
als erinnerungswert geglaubten Wahrnehmungen<br />
an entscheidungsrelevante<br />
Emotionen gekoppelt wie etwa gut, böse,<br />
lustig, gefährlich, wichtig. Darin liegt<br />
einerseits die Gefahr der Verführbarkeit<br />
beispielsweise für populistische Parolen,<br />
andererseits die Chance, Menschen mit<br />
wirklich guten Ideen und Projekten zu<br />
begeistern. Auf die zunehmenden rechtsextremen<br />
Tendenzen reagieren immer<br />
mehr Menschen mit kreativen Aktionen<br />
zugunsten Europas. Wieder Begeisterung<br />
für Europa zu wecken, versucht etwa die<br />
Bewegung »Pulse of Europe«, die regelmäßig<br />
in zahlreichen Städten Menschen<br />
versammelt, um für ein vereintes Europa<br />
zu werben. Europa braucht neue Perspektiven,<br />
es braucht Visionen. Es braucht<br />
neben dem großen Ganzen eines geeinten<br />
Europas Teilnahme und Teilhabe,<br />
Mitentscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten<br />
vor Ort, um den Begriff<br />
»Europa« wieder mit emotional positiven<br />
Erfahrungen zu besetzen. Das zunehmend<br />
als formale Verwaltungseinheit<br />
empfundene Europa wieder zu »beseelen«<br />
und als attraktiven Lebensraum<br />
zu gestalten, ist die große Herausforderung<br />
der kommenden Jahre. n<br />
stefan federbusch ofm (49)<br />
ist Redaktionsleiter der Zeitschrift<br />
»Franziskaner« und Leiter des<br />
Exerzitienhauses in Hofheim<br />
© bilder-erzbistum-köln.de<br />
Rainer Maria Kardinal Woelki<br />
»Die Kirche lehnt die politische Programmatik des Rechtspopulismus ab, bestimmten rechtspopulistischen<br />
Positionen und Kampagnen widerspricht sie entschieden und ächtet sie. Die Kirche lehnt<br />
auch die Frontstellung gegenüber den gesellschaftlichen Unterschichten im Rechtspopulismus ab.<br />
Sie tritt ein für die Inklusion und für die gesellschaftliche Teilhabe aller gesellschaftlichen Schichten (…)<br />
Die Kirche lehnt die Frontstellung gegenüber vermeintlich ›Fremden‹ im Rechtspopulismus ab.<br />
Stattdessen tritt sie für die ethnische, kulturelle und religiöse Vielfalt ein. Christen unterscheiden nicht<br />
nach Herkunft, Kultur und Religion, sondern erkennen in jedem Menschen das Abbild Gottes. (…)<br />
Die Kirche ächtet rechtspopulistische Positionen und Kampagnen, die gegen die Menschenwürde verstoßen oder gegen die Gewährleistung<br />
von Menschenrechten gerichtet sind. (…)<br />
Gegen die Menschenwürde verstoßen Positionen und Kampagnen (…) wenn sie einzelne gesellschaftliche Gruppen pauschal<br />
diskriminieren. Dies ist der Fall bei der Pegida-Kampagne gegen eine vermeintliche ›Islamisierung‹ des Abendlands oder auch<br />
bei der ausgrenzenden Position der AfD, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre.«<br />
(aus »AFD, Pegida und Co.«, Herder Verlag <strong>2017</strong>)<br />
8 europa