Naturfreund 3 | 2017
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GRAUBÜNDEN | UNTERWEGS<br />
Romerio ist weg vom Schuss! Von weit, weit<br />
oben sieht man hinunter aufs Tal; man sitzt 800<br />
Meter schier senkrecht über dem Seespiegel,<br />
an dessen Ufer kurvt – wie eine Spielzeugeisenbahn<br />
– ein Rhb-Zug gegen Süden; man<br />
überblickt die Talenge von Brusio, in der Ferne<br />
dahinter sind Aussenquartiere von Tirano auszumachen;<br />
den südlichen Abschluss bildet ein<br />
erster Wall der Bergamasker Alpen. Und umgekehrt,<br />
gegen Norden hin, reicht der Blick in die<br />
Welt der 4000er, hinauf ins Berninamassiv.<br />
Wer auf San Romerio ein paar Stunden, oder<br />
gar zwei, drei Tage verweilt, wird allmählich<br />
wahrnehmen, dass hier jemand eine eigentliche<br />
Oase hat entstehen lassen. Und dieser jemand<br />
ist der aus Brusio stammende Gino Bonguliemi<br />
mit seiner Familie. Als jüngstes von sieben<br />
Kindern hat Gino die Alp 1989 von seinem<br />
Onkel übernommen. Was er seither hier alles<br />
hingekriegt hat, ist erstaunlich – und einer, der<br />
darüber ebenfalls mitunter selbst ins Staunen<br />
kommt, ist Gino selbst. Nun, er hat Grund<br />
dazu. Heute gibt’s Duschen in diesem Haus<br />
(das vor 30 Jahren eine blosse Hütte war), es<br />
gibt Gästezimmer, wohlige Betten, es gibt eine<br />
Gaststube und es gibt elektrisches Licht. Es<br />
gibt alles! Und rund ums Haus, all die Arbeiten<br />
am Terrain, die Terrassen und Trockensteinmauern!<br />
Und dann der Gemüsegarten! Er ist<br />
ein Bijou. Am überraschendsten ist dessen<br />
Üppigkeit. Die Salate wachsen dicht an dicht,<br />
wie ein grüner Teppich; und in diesem Garten<br />
ebenfalls zu sehen ist ein Gewächs, das einst als<br />
eine Basis der lokalen Küche gegolten hat, das<br />
dann aber nahezu völlig abgedrängt worden<br />
ist und heute, auch im Zuge der Slow-Food-<br />
Bewegung, eine kleine Renaissance feiert: es ist<br />
der Buchweizen.<br />
Und von diesem Garten führt der Weg entweder<br />
direkt in die Küche (und auf den Teller),<br />
oder aber in den Crot. So ein Puschlaver Crot<br />
ist – ein Lagerhaus aus Stein, oder treffender:<br />
es ist ein Kühlschrank, wie er natürlicher nicht<br />
sein könnte! Auf San Romerio gibt es zwei<br />
davon. Gino hat sie eigenhändig errichtet. Aus<br />
Hunderten von Steinplatten, einzeln aufeinander<br />
geschichtet, schwer wie ein Zementsack,<br />
Zentimeter genau eingefügt, wie die Schindeln<br />
auf einem alten Bauernhausdach. Über vier<br />
Jahre hat Gino in seiner Freizeit an dem einen<br />
der beiden Crot gearbeitet. Wem die Gelegenheit<br />
zufällt, einen Blick ins Innere dieses igluförmigen<br />
Gebäudes zu werfen, wird im Herzen<br />
berührt. Da gibt’s keinen Mörtel, keinen<br />
Verputz, keine Stützen. Im runden, gewölbten<br />
Innern des Crot lagert in zwei, drei übereinander<br />
angebrachten Regalen allerlei Gemüse und<br />
Salat, von den Karotten bis zu den Radieschen;<br />
und ganz unten, auf dem Erdboden, fliesst<br />
dem Rand der inneren Steinmauer entlang ein<br />
etwa 20 Zentimeter breites Bächlein, dessen<br />
(Quell-)Wasser ist auch mitten im Sommer<br />
kaum über 5°. Darin in Tupperware eingesetzt<br />
ein paar Lebensmittel, die besonderer Kühlung<br />
bedürfen. Und dann, vom Besucher als eine<br />
Art kleine Zugabe empfunden: das Wasser, das<br />
hier im Crot zum Kühlen der Nahrungsmittel<br />
genutzt wird, hat zuvor nebenan eine kleine<br />
Turbine betrieben – zur Stromerzeugung.<br />
Regionale Köstlichkeiten:<br />
entweder direkt auf den<br />
Teller oder zuerst in den<br />
steinernen Crot.<br />
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