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W O W<br />
Wiesbach observiert die Welt<br />
im November 2015<br />
Quint Edition Heft 6
Allerheiligen<br />
W O W<br />
November<br />
2015<br />
W O W<br />
Weil der November oft bedichtet – <strong>WOW</strong> jedoch nur gereimt berichtet<br />
seien zwei Gedichte präsentiert – die <strong>WOW</strong> respektvoll hier zitiert<br />
Der Novembertag<br />
Kalter Herbst vermag den Tag zu knebeln,<br />
seine tausend Jubelstimmen schweigen;<br />
hoch vom Domturm wimmern gar so eigen<br />
Sterbeglocken in Novembernebeln.<br />
Auf den nassen Dächern liegt verschlafen<br />
weißes Dunstlicht; und mit kalten Händen<br />
greift der Sturm in des Kamines Wänden<br />
eines Totenkarmens Schlußoktaven.<br />
Rainer Maria Rilke<br />
Der November<br />
Ach, dieser Monat trägt den Trauerflor ...<br />
Der Sturm ritt johlend durch das Land der Farben.<br />
Die Wälder weinten. Und die Farben starben.<br />
Nun sind die Tage grau wie nie zuvor.<br />
Und der November trägt den Trauerflor.<br />
Der Friedhof öffnete sein dunkles Tor.<br />
Die letzten Kränze werden feilgeboten.<br />
Die Lebenden besuchen ihre Toten.<br />
In der Kapelle klagt ein Männerchor.<br />
Und der November trägt den Trauerflor.<br />
GD, Spätherbst, Öl, 1964<br />
Was man besaß, weiß man, wenn man‘s verlor.<br />
Der Winter sitzt schon auf den kahlen Zweigen.<br />
Es regnet, Freunde, und der Rest ist Schweigen.<br />
Wer noch nicht starb, dem steht es noch bevor.<br />
Und der November trägt den Trauerflor ...<br />
Erich Kästner<br />
GD, Portrait an Allerheiligen, 180 x 103 cm, Firnisfarbe Holz, 1981<br />
Impressum auf Seite 11 © Quint Edition 2015<br />
GD, Portrait an Allerheiligen, Öl, 1964<br />
Hunde sind am Friedhof streng verboten<br />
denn sie graben Löcher mit den Pfoten<br />
(erspart sei hier der Reim mit Toten)<br />
Da gibt es nix zu lamentieren<br />
geh eh mit Quinta gern spazieren
So hat es einstmals ausgesehen<br />
Es war hart – war es schön<br />
Almabtrieb in einem Lande<br />
das Pieter nur von Reisen kannte<br />
Pieter Bruegel d. Ä., Die Heimkehr der Herde (Oktober / November), 1565<br />
Wenn auch den Flüchtling niemand malt<br />
er wird im Fernsehn ausgestrahlt<br />
in Talkshows abends diskutiert<br />
von Demonstranten massakriert<br />
Heut werden Menschen fortgetrieben<br />
die gern in ihrer Heimat blieben<br />
Das Flüchtlingselend ist enorm<br />
man spricht vom displaced persons storm<br />
Bei Pieter gibts ein Frühlingsbild<br />
Zwar weht der Sturm noch ziemlich wild<br />
doch kann man eine Hoffnung spüren<br />
Die sollten wir auch heute schüren<br />
Drei Kühe kommen übers Meer<br />
ursprünglich waren es viel mehr<br />
Der Rest ist leider abgesoffen<br />
Nur ein paar Stiere sind betroffen<br />
Der Sturm in Übersee wird stärker<br />
wütet wüst wie ein Beserker<br />
Es rette sich geschwind wer kann<br />
und schwimme übern Ozean<br />
Drei Kühe wären hier willkommen<br />
Die hätten wir gern aufgenommen<br />
Eine Million ist uns zuviel<br />
Sucht euch gefälligst andres Ziel<br />
Pieter Bruegel d. Ä., Der düstere Tag (Frühling), 1565<br />
So sprach der Rat der weißen Rinder | wir Ochsen brauchen keine Kinder | heilig ist die Kuh doch nur dem Inder
Dichter Nebel<br />
Es war vor langen Zeiten schon<br />
als hier ein Vater mit dem Sohn<br />
durch den dichten Nebel ritt<br />
(anscheinend ritt John Wolfgang mit)<br />
Es war wie heute schlechte Sicht<br />
man sah die Hand vor Augen nicht<br />
Dem Kind war hörbar angst und bang<br />
ihm dauerte der Ritt zu lang<br />
Irgend jemand war zugegen<br />
Kind konnte sich nicht mehr bewegen<br />
John Wolfgang hat Person enttarnt<br />
die heut als Erlenkönig ist bekannt<br />
Der werte Leser kennt nun schon<br />
das Schicksal von des Vaters Sohn<br />
Geheimrat Goethe aber sitzt im Warmen<br />
will uns vor Nebelbänken warnen<br />
Denn Poesie wie er wohl weiß<br />
ist wirklich wert nur ihren Preis<br />
wenn sie wie zum Brot der Speck<br />
hat für das Leben einen Zweck<br />
GD, Nebel (B 16), Linolschnitt, 1972<br />
Caspar David Friedrich, Der Wanderer über dem Nebelmeer, um 1818
Zäune<br />
13. 11. 2015<br />
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Stoppt den Flüchtlingsstrom sofort<br />
Die solln an einen andren Ort<br />
Baut um Europa einen Zaun<br />
da können sie ja drüber schaun<br />
Alle brauchen einen Zaun<br />
sollten niemandem vertraun<br />
In einer Zeit wie jetzt<br />
wird Mauer zum Gesetz<br />
GD, Dachau, Monotypie, 2004<br />
Mauerbauen hat Geschichte<br />
so es Freiheit schütze und vernichte<br />
Wird Mauer wieder abgerissen<br />
jubilieren Menschen und Gewissen<br />
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Fotos: Stephan Orth (oben), Reuters<br />
Foto: Frank Baake, Fotoarchiv Thomas Gade<br />
Foto: Zoltan Gergely
Kriege<br />
Keine Siege<br />
Konferenzen allenthalben<br />
Längst verflogen sind die Schwalben<br />
Erst wenn zum Mars die Tauben fliegen<br />
hört es auf mit diesen Kriegen<br />
Mars scheint nur ein Fernsehspot<br />
Mars ist süß Mars ist Gott<br />
Mitarbeit:<br />
Marjane Satrapi Hannah <strong>Dengler</strong> Francisco de Goya August Renoir Otto Moderson Pieter Bruegel d.Ä.<br />
Pablo Picasso Juan Gris René Magritte Georges Braque Caspar David Friedrich Hieronymus Bosch Edward Hopper<br />
<strong>WOW</strong><br />
© Quint Edition 2015 gerd-dengler.com Druck: Wenzel GmbH Repros: Vohler, Casino, Net
Helmut Schmidt † 10. 11 2015<br />
Van Bosch tot Bruegel – Museum Boijmans van Beuningen Rotterdam<br />
Aktuelle Ausstellungen<br />
Aus Madrid nach Rotterdam<br />
Maler Bosch mit seinem Wagen kam<br />
Das Heu auf diesem Wagen<br />
war in jenen Tagen<br />
was heute Öl, Uran und Geld<br />
das am Kapitalmarkt zählt<br />
Zu Bosch hat Pieter Bruegel sich gesellt<br />
auch weil ihm Rotterdam gefällt<br />
Hier im Museum wird an seinem Turm gebaut<br />
von dem man in den Himmel schaut<br />
Als wir noch einen König hatten<br />
virtuell zwar – doch in seinem Schatten<br />
tummelten sich Gartenzwerge<br />
von der See bis an die Berge<br />
Fragten den König gern um Rat<br />
glänzten selten mit der Tat<br />
Als sie ein Rauchverbot erließen<br />
ließ sichs der König nicht verdrießen<br />
Otto Modersohn, Moorlandschaft, 1903<br />
Er residierte malte schrieb<br />
Fast alle hatten ihn nun lieb<br />
Er achtete der Künste Zunft<br />
pflegte pragmatische Vernunft<br />
Und rauchte weiter wie ein Schlot<br />
König Helmut Schmidt ist tot<br />
Hieronymus Bosch, Der Heuwagen, Mitteltafel des Triptychons,<br />
um 1490, Museo del Prado, Madrid<br />
Besuch aus USA in Londons National Gallery<br />
Franciscos Cayetana aus der Alba-Dynastie<br />
Goya: The Portraits – National Gallery London<br />
Pieter Bruegel der Ältere, Turmbau zu Babel, 1563,<br />
60 × 74,5 cm, Museum Boijmans van Beuningen<br />
Als GD sie neunzehnsiebenundsechzig malte<br />
sah sie – seltsam – aus wie eine Alte<br />
<strong>WOW</strong> als Abonnent der Zeit<br />
hält für Helmut stets bereit<br />
ein virtuelles Päckchen Zigaretten<br />
um sein Königreich zu retten<br />
GD, Stilleben für K., 1981<br />
Francisco de Goya, La Duquesa de Alba, 1797, 210 × 149 cm,<br />
Hispanic Society of America, New York<br />
GD, Hallo Goya, ola!, 1967, 93 x 68 cm,<br />
Kunstbewahrung Wiesbach
Kubisten<br />
Vor hundert Jahren in Paris<br />
trank ich mit Pablo zwei Pastis<br />
aß mit Georges Baguette-fromage<br />
war auf Juans Vernissage<br />
Ich spielte damals noch Guitarre<br />
schnorrte Kahnweilers Zigarre<br />
hab im Café du Dôme geprasst<br />
war bei Gertrude Stein zu Gast<br />
Perser & Iran<br />
Persepolis Figuren Bauten und Gedichte<br />
zeugen von der Mächtigen Geschichte<br />
Persepolis, Comic von Marjana Satrapi<br />
Marjana zeichnet spannende Geschichten<br />
die vom Alltag heut berichten<br />
Eindringlich einfach in der Form<br />
Schwarz weiße Wirkung ist enorm<br />
Im Kaspischen Meer<br />
wird der Stör<br />
langsam wieder mehr<br />
wo käme sonst der Kaviar her<br />
K ist aus Persien gut retour<br />
mit Eindrücken Erlebnis pur<br />
<strong>WOW</strong> ist dem Orient gewogen<br />
es wäre aber glatt gelogen<br />
dass es neutral berichten kann<br />
Fragt direkt bei Karin an<br />
oder fahrt selbst nach Teheran<br />
Der Perser schreibt mit viel Elan<br />
Auch so man das nicht lesen kann<br />
ist reine Eleganz zu sehen<br />
wie Zeichen zueinander stehen<br />
wie statt Bild das Ornament<br />
triumphiert im Orient<br />
Ästhetisch und mit Temprament<br />
Eh ich zur Guitarre greife<br />
rauch ich immer eine Pfeife<br />
Das hat mich Georges Brassens gelehrt<br />
Auch deshalb hab ich ihn verehrt<br />
Picasso Braque und Gris<br />
saßen gern im Chez Marquis<br />
Doch eines Abends im November<br />
o.k. – vielleicht wars auch Dezember<br />
schlugen die Kubisten die Guitarre kurz und klein<br />
malten die Trümmer und heizten sie ein<br />
Wie man auf Bildern sehen kann<br />
stammt aus Persien Supermann<br />
Suleika und die Haremsfraun<br />
gebannt auf ihren Macho schaun<br />
Das war in alten Zeiten so<br />
der Macho mag es heut noch so<br />
Allah ist ja auch ein Mann<br />
auf den man sich berufen kann<br />
<<br />
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Zoleikha (the Pharaoh‘s wife) and her<br />
copanions while unconcious at the sight of<br />
Yousef‘s beauty; Qajar period<br />
Ibrahim Naghash bashi Isfahani, ><br />
Imam Ali and his sons, Hassan and Hossein,<br />
Qajar period (= 1794 to 1925)
Crime<br />
süß & salzig<br />
Auguste Renoir, On the Terrace, 1881<br />
Renoir, Gabrielle à la chemise ouverte, 1907 Renoir, La baineuse endormie, 1897<br />
Aus Irland schickte Hannah dieses Bild<br />
Ein Idyll – das nun als Tatortfoto gilt<br />
Jack Taylor Irlands Detektiv<br />
weiß dass der See ist ziemlich tief<br />
Er sieht zwei Enten dort im Schatten<br />
die weder Alibi noch Zeugen hatten<br />
Doch ganz hinten auf dem Weg<br />
nahe bei dem Badesteg<br />
steht ein grün getarnter Mann<br />
Taylor kombiniert sodann<br />
Der läuft davon der hats getan<br />
Die dritte Ente abgeschossen<br />
danach die Tat auch noch genossen<br />
Jack überführt den Mörder einwandfrei<br />
Doch das Gericht spricht Jäger frei<br />
Ein zweiter Fall ist sonnenklar<br />
Jack ahnt schon wer der Täter war<br />
Doch die Lady mit dem roten Kleid<br />
war unbekannt und tat Jack leid<br />
So musste er vom Felsen springen<br />
war ja erfahren in so Dingen<br />
Tauchte in die Irish Sea<br />
fand der Lady linkes Knie<br />
Anderntags Pathologie<br />
checkte mittels DNA<br />
Andre Ladyteile waren da<br />
Jack Taylor<br />
wo sie Taylor schon vermutet<br />
Die Lady war im Atelier verblutet<br />
Der Maler malte eine falsche Fährte<br />
die sich bei Jack doch nicht bewährte<br />
In USA wurd ein Shitstorm losgetreten<br />
gegen den Impessionismus-Exegeteten<br />
Jeder hier kennt ihn beim Namen<br />
denn Renoir malt gerne Damen<br />
Max Meiler protestiert nun vor Museen<br />
will Renoir gar nicht mehr sehen<br />
Die Bilder wären süßlich hingepinselt<br />
dass selbst ein Hund vor ihnen winselt<br />
Der Kunstbetrieb ist aufgeregt<br />
Ein Lieblingsmaler der bewegt<br />
würde in den Dreck gezogen<br />
Sammler um viel Geld betogen<br />
Ist süß jetzt immer ungesund<br />
verführt nicht mehr ein roter Mund<br />
betört ein schöner Busen nicht<br />
auch nicht ein lieblich Angesicht<br />
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Hier ein winterliches Foto<br />
Es zeigt ein Labyrinth von Yamamoto<br />
Ist aus purem Salz gemacht<br />
Wird einst wieder weggebracht<br />
Löst im Meer sich völlig auf<br />
Kunst gleicht so dem Lebenslauf<br />
Motoi Yamamoto, Labyrinth, 2012, Salz, 4 x 12 m,<br />
Bellvue Arts Museum. USA<br />
Motoi Yamamoto, Labyrinth, 2012,<br />
Ich fass es nicht was ich hier seh<br />
Florian vor einem Reh<br />
hält einen Hasen fest im Arm<br />
Waidmans Heil! mein Sohn mit Charme<br />
Bambi-Gala am 12. 11. 2015<br />
Kristallpalast Berlin
L‘anniversaire<br />
Das Nachtgespenst hat heute Nacht<br />
in Hoppers Bar Rabatz gemacht<br />
Es schwankt so gegen viertel Vier<br />
zum Auto durch die Eingangstür<br />
In seiner rechten Hand<br />
trägt es ganz offen und charmant<br />
eine Flasche Schampus aus der Bar<br />
singt dazu „wie wunderbar<br />
kann das Geistesleben sein“<br />
Nachtgespenst fällt plötzlich ein<br />
um sechs muss es zuhause sein<br />
Es teilt den Schampus mit dem Hund<br />
Der aber tut vernehmlich kund<br />
der Alkohol sei ungesund<br />
Da muss Nachtgespenst nur lachen<br />
Erzähl mir keine dummen Sachen<br />
Jeden Abend in des Malers Haus<br />
trinkt GD zwei Flaschen aus<br />
René wollte gerne rauchen<br />
geruhsam eine Pfeife schmauchen<br />
doch seine Gattin La Geogette<br />
war diesbezüglich gar nicht nett<br />
Als René dieses Werk betrachtet<br />
hat er nach Pfeifenrauch geschmachtet<br />
ja sogar danach gerochen<br />
Geogette hätt fast mit ihm gebrochen<br />
Sie wollte ihre Brüssler Spitzen<br />
vor Nikotin und Rauch beschützen<br />
Kurzerhand und rigoros<br />
war René die Pfeife los<br />
An Renés Geburtstag jedes Jahr*<br />
rauch ich auf den Jubilar<br />
eine Pfeife oder zwei<br />
Geogette ist hier ja nicht dabei<br />
Hier hört der Maler auf zu dichten<br />
René ersann nun eine List<br />
ein Bild das keine Pfeife ist<br />
Ob das Ersatz fürs Rauchen war<br />
ist auch Experten nicht ganz klar<br />
Ich hoffe dass dem alten Knaben<br />
solch virtuelle Festtagsgaben<br />
die in Bildern sind verpackt<br />
genießbar und genug vertrackt<br />
will nur noch kurz berichten<br />
von blonder Maid in Hoppers Bar<br />
bei der Enttäuschung sichtbar war<br />
Nachtgespenst hat sie betört<br />
Helfen konnte nur ein Kommissar<br />
der mit René befreundet war<br />
Er fälschte nämlich Renés Text<br />
doch diese Tat war wie verhext<br />
René Magritte,<br />
La bonne foi, 1965<br />
* RM, * 21. 11. 1898<br />
** GD, * 23. 11. 1939<br />
Nur zwei Tage drauf **<br />
steht an ein neuer Pfeifen-Kauf<br />
Die Tradition halte ich ein<br />
rauche dann die Neue ein<br />
wurde auch von ihr erhört<br />
Gespenst hat ihren roten Schal gestohlen<br />
mit Schampus Schal auf leisen Sohlen<br />
sich auf Gespensterart empfohlen
W O W<br />
Heft 6 Wiesbach observierte die Welt im November<br />
Quint Edition