VN-03-2017
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Editorial<br />
Liebe Berufskolleginnen,<br />
liebe Berufskollegen,<br />
Wie sieht eigentlich ein Steuerparadies<br />
aus?<br />
Die internationale Presse bringt in regelmäßigen<br />
Abständen Meldungen<br />
darüber in Umlauf, wie weltweit agierende<br />
Großkonzerne ihre Gesamtsteuerbelastung<br />
durch günstige nationale<br />
Steuergesetze und teilweise auch unter<br />
Ausnutzung von Lücken im Gesetz<br />
optimieren. Aktuell wurde mit den Paradise<br />
Papers die Isle of Man publik<br />
gemacht. Diese reiht sich neben Liechtenstein,<br />
den Niederlanden, Panama,<br />
Luxemburg, der Schweiz und den<br />
anderen Ländern, die dazu einladen,<br />
Vermögen geringer zu besteuern als<br />
andere Länder, in eine lange Reihe ein.<br />
Dass auf diese Weise Ländern wie<br />
Deutschland nicht unerhebliche Nachteile<br />
entstehen, liegt auf der Hand. In<br />
dem Wissen verwundert es nicht, dass<br />
regierungsseitig die Idee der Anzeigepflicht<br />
von Steuergestaltungen laut<br />
wird. Rein praktisch stellt sich allerdings<br />
die Frage, wo der Unterschied<br />
zwischen Gesetzesanwendung und<br />
anzeigebedürftiger Steuergestaltung<br />
liegen soll. Sind Sonder- oder leistungsabhängige<br />
Abschreibungen anzeigepflichtige<br />
Gestaltungen? Ist eine<br />
Eheschließung im Hinblick auf die<br />
mögliche Progressionsglättung vorab<br />
genehmigungspflichtig? Und wie hoch<br />
wird der Steuerspareffekt bei Produktionsverlegungen<br />
ins Ausland vor dem<br />
Hintergrund vieler anderer Faktoren<br />
wie Lohnkostenvorteile, bürokratische<br />
Hürden, staatliche Subventionen usw.<br />
zu gewichten sein? Die zeitliche Dimension<br />
sowohl im Hinblick auf den<br />
Mehraufwand für die Beraterschaft als<br />
auch die Finanzverwaltung ist vor dem<br />
Hintergrund schon fast zu vernachlässigen.<br />
Die deutschen Staatseinnahmen sprudeln<br />
aktuell auf hohem Niveau. Der<br />
Arbeitskreis Steuerschätzung der<br />
Bundesregierung hat darüber hinaus<br />
festgestellt, dass das mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />
weiter anhalten wird.<br />
Wenn also der geschäftsführende<br />
Bundesfinanzminister auf die zur Verfügung<br />
stehenden Mittel blickt, sollte<br />
der Begriff Steuerparadies für ihn eine<br />
ganz neue Bedeutung bekommen.<br />
Eine gute Basis jedenfalls für die angekündigte<br />
Unternehmenssteuerreform,<br />
die Deutschland im internationalen<br />
Vergleich aus steuerlicher Sicht wettbewerbsfähiger<br />
machen soll. Ein Weg<br />
Richtung Steuerparadies Deutschland?<br />
Die ursprüngliche Idee der Steuererklärung<br />
auf dem Bierdeckel erscheint<br />
möglicherweise dem einen oder anderen<br />
Steuerpflichtigen, der sich regelmäßig<br />
durch die Fälle an seitenlangen<br />
Erklärungen und Anträgen kämpft,<br />
ebenfalls als paradiesischer Zustand.<br />
Auch wenn hier das Ziel wohl so schnell<br />
nicht erreicht wird, bringt doch die vorausgefüllte<br />
Steuererklärung zumindest<br />
Erleichterung.<br />
Mit der rasant voranschreitenden<br />
Möglichkeit der Digitalisierung und<br />
Automatisierung gehören schon heute<br />
in Steuerkanzleien viele monotone<br />
Eingabearbeiten der Vergangenheit<br />
an. Technisch stehen wir damit noch<br />
reichlich am Anfang. Die Prophezeiungen<br />
der Softwareanbieter verheißen<br />
enorme Zeitersparnisse bei der<br />
Datenaufbereitung und Erstellung der<br />
Steuererklärungen und Raumersparnis<br />
durch digitale Archivierung. Für Steuerberater<br />
sind das doch angesichts des<br />
immer deutlicher werdenden Fachkräftemangels<br />
und der Entwicklung<br />
der Immobilienpreise paradiesische<br />
Aussichten.<br />
Auch die Finanzämter rüsten technisch<br />
auf. Die digitalen Daten eröffnen eine<br />
Bandbreite neuer Prüffelder. Die Kassenbuchprüfung<br />
wird ab 2018 sicher<br />
nicht selten vor Augen führen, wie gläsern<br />
wir sind. Aber auch alle anderen<br />
EDV-Vorerfassungssysteme werden<br />
seitens des Fiskus auf Unregelmäßigkeiten<br />
durchleuchtet. Vor dem Hintergrund<br />
der Grundsätze ordnungsgemäßer<br />
digitaler Buchführung, deren<br />
Praktikabilität sich derzeit erweisen<br />
muss, ergeben sich aktuell zumindest<br />
theoretisch unzählige Einstiegsmöglichkeiten<br />
für Hinzuschätzungen des<br />
Finanzamtes – ein Prüferparadies!<br />
Das Steuerparadies liegt wohl immer<br />
im Auge des Betrachters.<br />
Ihre<br />
Anett Böringer<br />
Verbandsnachrichten 3/<strong>2017</strong> | 3