2017_0034_dialog_171_WEB
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
die welt<br />
Foto: Paul Stajan<br />
das wort<br />
Ökumene ist heute selbstverständlich, gehört zum guten Ton. Man akzeptiert<br />
sich, begegnet sich auf Augenhöhe, lädt sich gegenseitig zum Feiern<br />
ein. Vor allem aber engagieren sich ChristInnen gemeinsam in der Welt: für<br />
die Flüchtlinge und gegen Armut, für eine realistische Mindestsicherung<br />
und gegen Ausgrenzung.<br />
Es hat sich wirklich viel verändert in den letzten fünfzig Jahren! Man respektiert<br />
sich in den jeweiligen Grenzen, stellt weder sich selber noch die Überzeugungen<br />
der anderen in Frage. Wir wissen, was geht und was nicht geht.<br />
Das hilft. Gibt Sicherheit, schafft Vertrauen.<br />
Und hat seinen Preis. Manche sind resigniert. Haben sich mutigere Schritte<br />
erwartet. Ja, früher einmal! Da brannte ein ökumenisches Feuer! Da wurden<br />
Grenzen überschritten! Sie schwelgen in Erinnerungen an Zeiten mit großen<br />
Hoffnungen und Erwartungen. Priesterinnen in der römisch-katholischen<br />
Kirche; ProtestantInnen, die sich irgendwie mit dem Papst arrangieren.<br />
Sie sind enttäuscht von ihren Kirchen. Doch fürs Alltagsleben<br />
scheint es wenig relevant, wofür eine Kirche steht. Man arrangiert sich.<br />
Oder geht ganz!<br />
Gleichzeitig hat Religion und ihre Ausübung eine neue Brisanz bekommen.<br />
Weg mit der Religion aus dem öffentlichen Raum! Keine Kreuze, keine<br />
Minarette! Religion, egal welche, führe zu Gewalt und Feindschaft unter<br />
Menschen.<br />
Auch die Geschichte der ChristInnen war durch Jahrhunderte von Gewalt<br />
und Feindschaft geprägt. Von diesem Gegeneinander haben die Kirchen<br />
in Österreich zu einem Miteinander gefunden. Nicht gegen andere Religionen<br />
und nicht gegen „die Welt“, sondern für ein Leben, das von Hoffnung<br />
und Zuversicht getragen ist. Vom Glauben, dass Frieden möglich ist.<br />
Ökumene als Modell für eine multireligiöse Gesellschaft, in der unterschiedliche<br />
Kulturen ihren Platz haben?<br />
•<br />
Pfarrerin Ulrike Frank-Schlamberger<br />
gegeneinander<br />
Sechs christliche Kirchen sind Eigentümer<br />
der Grabeskirche in Jerusalem.<br />
Und sie liegen seit Jahrhunderten<br />
im Streit. Darüber, wer wann<br />
welchen Gottesdienst feiern darf,<br />
was wo von wem renoviert wird, wo<br />
genau ein Revier endet und das andere<br />
beginnt.<br />
Vor vielen Jahren kam es zwischen<br />
Mönchen zu einer Rauferei – um<br />
das Recht, eine bestimmte Stufe vor<br />
der Kirche kehren zu dürfen …<br />
nebeneinander<br />
Wegen der Streitigkeiten verwahrt<br />
die muslimische Familie Joudeh<br />
seit mehreren Jahrhunderten die<br />
Schlüssel der Kirche, und die ebenfalls<br />
muslimische Familie Nusseibeh<br />
schließt morgens auf und abends zu.<br />
Ein Erlass der Hohen Pforte – der<br />
osmanischen Regierung – regelt seit<br />
1852 den sogenannten „status quo“:<br />
alles bleibt so, wie es ist. Sogar eine<br />
nutzlos herumstehende Holzleiter<br />
bleibt seither an ihrem Platz …<br />
miteinander<br />
Millionen ChristInnen aus aller<br />
Welt besuchen alljährlich die Grabeskirche.<br />
Beten, staunen, lesen in<br />
der Bibel. Loben und danken Gott.<br />
Und hoffen am angeblichen Grab<br />
Jesu auf die Auferstehung.<br />
Das Osterwunder gibt übrigens dieser<br />
Kirche ihren international gebräuchlichen<br />
Namen: Anastasis.<br />
Auferstehung.<br />
Auferstehung – die Hoffnung, die<br />
uns über alle konfessionellen Grenzen<br />
und mitunter kleinliche Differenzen<br />
hinweg eint …<br />
•<br />
Ökumene – interessiert das<br />
heutzutage noch wen?<br />
Außer den inneren Kreis kirchlich<br />
Engagierter – bevorzugt der kleinen<br />
Kirchen? Und eventuell einige<br />
TheologInnen und Kirchenführer,<br />
die sich von Zeit zu Zeit treffen,<br />
um die konfessionellen Trennungen<br />
zu bedauern? Oder PolitikerInnen,<br />
die sich durch das Zusammen -<br />
wirken der Kirchen einen Beitrag<br />
zum gesellschaftlichen Frieden erhoffen?<br />
die fußnote<br />
von kurator<br />
heinz<br />
schubert<br />
Foto: Gentile<br />
Ja! Die meisten Evangelischen – vielleicht<br />
auch Sie? – betrifft die<br />
Ökumene nämlich in der eigenen<br />
Familie: In welcher Kirche heiraten?<br />
Wie die Kinder taufen lassen?<br />
Da geht es für viele um das<br />
Selbstverständnis, die eigene Identität.<br />
Was also liegt näher, als das Thema<br />
zur Jahreswende vom evangelischen<br />
Reformations- zum katholischen Diözesanjubiläumsjahr<br />
aufzugreifen?<br />
Dies umso mehr, als wir <strong>2017</strong> einen<br />
zumindest atmosphärischen Quantensprung<br />
im Verhältnis zwischen<br />
evangelischer und katholischer Kirche<br />
erleben durften.<br />
Sowohl den persönlichen wie den<br />
institutionellen Aspekt versuchen<br />
wir in dieser Ausgabe des <strong>dialog</strong> auszuleuchten.<br />
Und wir wünschen Ihnen sowie<br />
Ihren Angehörigen ein friedvolles<br />
Weihnachtsfest!<br />
•<br />
kurator@heilandskirche.st<br />
<strong>dialog</strong> dezember <strong>2017</strong> - nr. <strong>171</strong> 3