Vergütung intensimedizinischer Leistungen im DRG-System
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Leitthema<br />
Med Klin Intensivmed Notfmed<br />
https://doi.org/10.1007/s00063-017-0390-x<br />
Eingegangen: 22. November 2017<br />
Angenommen: 29. November 2017<br />
© Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von<br />
Springer Nature 2017<br />
Redaktion<br />
H. Burchardi, Bovenden<br />
R. Riessen, Tübingen<br />
R. Riessen 1 ·C.Hermes 2 ·K.-F.Bodmann 3 ·U.Janssens 4 ·A.Markewitz 5<br />
1<br />
Internistische Intensivstation, Department für Innere Medizin, Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen,<br />
Deutschland<br />
2<br />
Bonn, Deutschland<br />
3<br />
Klinik für Internistische Intensiv- und Notfallmedizin und Klinische Infektiologie, Klinikum Barn<strong>im</strong> GmbH,<br />
Werner Forßmann Krankenhaus, Eberswalde, Deutschland<br />
4<br />
Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin, St.-Antonius-Hospital, Eschweiler,<br />
Deutschland<br />
5<br />
Bendorf, Deutschland<br />
<strong>Vergütung</strong> intensivmedizinischer<br />
<strong>Leistungen</strong> <strong>im</strong> <strong>DRG</strong>-<strong>System</strong><br />
Aktuelle Probleme und Lösungsvorschläge<br />
Seit dem Jahr 2004 werden die Krankenhausleistungen<br />
in Deutschland zu<br />
etwa 80 % durch ein einheitliches <strong>System</strong><br />
von Fallpauschalen, das sog. Germandiagnosis-related-groups[G-<strong>DRG</strong>]-<strong>System</strong>,<br />
finanziert [38]. In seiner Grundkonstruktion<br />
unterscheidet sich das deutsche<br />
Gesundheitssystem damit deutlich von<br />
anderen Gesundheitssystemen. In den<br />
meisten Ländern haben die <strong>DRG</strong> eine<br />
geringere Bedeutung zugunsten andere<br />
<strong>Vergütung</strong>ssysteme, die z. B. auch Sicherstellungszuschläge,<br />
Zuschläge für<br />
die Notfallversorgung oder besondere<br />
Regelungen für Max<strong>im</strong>alversorger beinhalten.<br />
Mit der Einführung des G-<strong>DRG</strong>-<br />
<strong>System</strong>s verfolgte der Gesetzgeber verschiedene<br />
Ziele in der Krankenhausversorgung:<br />
Es sollten die Transparenz<br />
der Leistungserbringung verbessert, der<br />
Wettbewerb verstärkt, Anreize für eine<br />
Verkürzung der Verweildauer eingeführt<br />
und eine bedarfsgerechte Verteilung der<br />
Ressourcen erreicht werden. Übergeordnetes<br />
Ziel der Reform war eine Eindämmung<br />
der Gesundheitskosten sowohl<br />
durch Verbesserung der Produktivität<br />
und Wirtschaftlichkeit als auch durch<br />
Ausscheiden von wirtschaftlich nicht<br />
mehr konkurrenzfähigen Krankenhäusern.<br />
Strukturelle Besonderheiten, wie<br />
z. B. die Aufrechterhaltung der Not-<br />
C. Hermes ist Fachkrankenpfleger Anästhesie<br />
und Intensivpflege und Betriebswirt <strong>im</strong> SozialundGesundheitswesen(IHK).<br />
fallversorgung auf dem Land oder die<br />
besonderen Aufgaben der Max<strong>im</strong>alversorger,wurdenindiesem<strong>System</strong>nicht<br />
berücksichtigt.<br />
Die bis dato für die Krankenhausstrukturplanung<br />
zuständigen Länder<br />
haben sich seitdem aus dieser Aufgabe<br />
weitgehend zurückgezogen und überlassen<br />
den Krankenhausträgern großteils<br />
die Steuerung der Kapazitäten [39]. Zudem<br />
sind die Länder ihrer <strong>im</strong> G-<strong>DRG</strong><br />
gesetzlich verankerten Pflicht zur Übernahme<br />
der Investitionskosten der Krankenhäuser<br />
bis zum heutigen Tage nur<br />
völlig unzureichend nachgekommen.<br />
Um ihre wirtschaftliche Existenz zu<br />
sichern, haben die meisten Krankenhäuser<br />
strategisch ihre Leistungszahlen<br />
und damit konsekutiv die Personalbelastung<br />
erhöht. So stieg Daten des<br />
Statistischen Bundesamts (Destatis) zufolge<br />
die Zahl der Operationen in der<br />
Zeit von 2005–2013 um 30 % und befindet<br />
sich <strong>im</strong> internationalen Vergleich<br />
<strong>im</strong> oberen Bereich [13]. Bei der Betreuungsrelation<br />
von Pflegekraft zu Patient<br />
steht Deutschland dagegen in Europa<br />
mit an letzter Stelle [1, 16]. Ein weiteres<br />
Problem ergibt sich aus der Kalkulation<br />
der <strong>DRG</strong>-Fallpauschalen, die auf der<br />
Basis der Ist-Kosten an sog. Kalkulationskrankenhäusern<br />
unabhängig von<br />
Personalstandards oder Qualitätskriterien<br />
errechnet werden. Auch tarifbedingte<br />
Steigerungen der Personalkosten werden<br />
nicht automatisch <strong>im</strong> Landesbasisfallwert<br />
berücksichtigt. Um <strong>im</strong> <strong>DRG</strong>-<strong>System</strong><br />
keine Verluste zu machen, müssen Kliniken<br />
mit überdurchschnittlich hohen<br />
Kosten versuchen, diese unter diesen<br />
Durchschnitt zu senken. Dadurch sinkt<br />
der Durchschnittspreis in der nächsten<br />
Kalkulationsrunde jedoch weiter ab. Ohne<br />
entsprechende Gegenmechanismen<br />
fördert dieser sog. Kellertreppeneffekt<br />
einen fortwährenden Personalabbau,<br />
bisher meist in der Pflege, bzw. eine<br />
erhöhte Personalbelastung aller an der<br />
Behandlung Beteiligten [39]. Um dieser<br />
inzwischen auch von der Gesundheitspolitik<br />
erkannten Entwicklung entgegenzuwirken,<br />
wird derzeit <strong>im</strong> Rahmen<br />
eines laufenden Gesetzgebungsverfahrens<br />
über die Einführung von Personaluntergrenzen<br />
be<strong>im</strong> Pflegepersonal<br />
u. a. auf Intensivstationen diskutiert, die<br />
in diesem Fall auch Auswirkungen auf<br />
die <strong>Vergütung</strong> intensivmedizinischer<br />
<strong>Leistungen</strong>habensollen[5]. In diesem<br />
Beitrag sollen wichtige Faktoren benannt<br />
werden, die bei einer solchen Initiative<br />
zu berücksichtigen sind, und Vorschläge<br />
für eine Umsetzung <strong>im</strong> Rahmen einer<br />
umfassenderen Reform der Abbildung<br />
der Intensivmedizin <strong>im</strong> G-<strong>DRG</strong>-<strong>System</strong><br />
gemacht werden.<br />
<strong>DRG</strong>-basierte Finanzierung der<br />
Intensivmedizin<br />
Wie in dem Beitrag von Burchardi in dieser<br />
Ausgabe ausführlich dargestellt [4]<br />
Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin
Leitthema<br />
sollte <strong>im</strong> G-<strong>DRG</strong>-<strong>System</strong> weltweit erstmalig<br />
auch der Aufwand von <strong>Leistungen</strong><br />
der Intensivstationen weitgehend in Fallpauschalen<br />
abgebildet werden [37]. Auf<br />
der Basis in den Kalkulationshäusern<br />
berechneter Durchschnittswerte wird<br />
seit dem Jahr 2003 der Aufwand für<br />
eine intensivmedizinische Behandlung<br />
in die entsprechende <strong>DRG</strong> einkalkuliert<br />
(z. B. <strong>im</strong> Rahmen eines Myokardinfarkts).<br />
Andere <strong>DRG</strong>, bei denen eine<br />
Intensivbehandlung nur ausnahmsweise<br />
vorkommt, enthalten in ihrer <strong>DRG</strong><br />
einen kleinen Beitrag <strong>im</strong> Sinne einer<br />
Art Versicherungsgebühr für eine Intensivbehandlung.<br />
Um wirtschaftlich<br />
zu arbeiten, ist es für ein Krankenhaus<br />
günstig, bei diesen Patienten möglichst<br />
wenig intensivmedizinische <strong>Leistungen</strong><br />
einzusetzen. Gelingt dies der Mehrzahl<br />
der Krankenhäuser, sinkt in der nächsten<br />
Kalkulationsrunde jedoch auch dieser<br />
<strong>Vergütung</strong>santeil. Bei Einführung dieses<br />
<strong>System</strong>s wurde rasch deutlich, dass<br />
aufwändige, komplexe und langwierige<br />
Intensivtherapien so nicht abzubilden<br />
waren. Der gut begründete Vorschlag<br />
der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung<br />
für Intensiv- und Notfallmedizin<br />
(DIVI), diesen Aufwand durch einen<br />
nach der Versorgungsstufe des Krankenhauses<br />
gestaffelten Tageswert zu<br />
vergüten, wurde aus politischen Gründen<br />
abgelehnt. Stattdessen erfolgte die<br />
<strong>Vergütung</strong> bei diesen Patienten zunächst<br />
über die Beatmungsdauer, später ergänzt<br />
durch einen Operationen- und Prozedurenschlüssel(OPS)undAufwandsindizes<br />
für eine intensivmedizinische Komplexbehandlung.<br />
Diese basieren auf einem<br />
Risikoscore (S<strong>im</strong>plified Acute Physiology<br />
Score [SAPS] II ohne Glasgow Coma<br />
Scale) und dem Core Therapeutic Intervention<br />
Scoring <strong>System</strong> (TISS) 10, einem<br />
stark reduzierten TISS. Die Abrechnung<br />
dieser Aufwandsindizes ist an gewisse<br />
Strukturkriterien geknüpft, die allerdings<br />
überwiegend auf das medizinische<br />
LeistungsangebotdesKrankenhausesbezogen<br />
sind. Als Leistungsanforderungen<br />
an die Intensivstation wurden nur sehr<br />
basale Mindestmerkmale formuliert:<br />
1. kontinuierliche 24-stündige Überwachung<br />
und akute Behandlungsbereitschaft<br />
durch ein Team von<br />
Pflegepersonal und Ärzten, die in<br />
der Intensivmedizin erfahren sind<br />
und die aktuellen Probleme ihrer<br />
Patienten kennen;<br />
2. Behandlungsleitung durch einen<br />
Facharzt mit der Zusatzweiterbildung<br />
„Intensivmedizin“;<br />
3. Gewährleistung einer ständigen<br />
ärztlichen Anwesenheit auf der<br />
Intensivstation.<br />
Es stellte sich jedoch heraus, dass die intensivmedizinischen<br />
<strong>Leistungen</strong> besonders<br />
bei Extremkostenfällen durch dieses<br />
<strong>System</strong> nicht ausreichend abzubilden<br />
waren. Daher wurde in Folge letztlich der<br />
OPS 8–98 f „aufwändige intensivmedizinische<br />
Komplexbehandlung“ eingeführt,<br />
die mit etwas verschärften Strukturkriterien<br />
verbunden die Abrechnung dieser<br />
OPSaufdiekleineGruppeder33Universitätskliniken<br />
und anderer weniger Max<strong>im</strong>alerversorger<br />
eingrenzen sollte und<br />
auch als „Super-SAPS“ bekannt geworden<br />
ist. Dieser Versuch einer besseren<br />
Differenzierung des <strong>System</strong>s scheiterte<br />
ebenfalls. Nach Angaben des Spitzenverbands<br />
der gesetzlichen Krankenkassen<br />
(GKV) haben <strong>im</strong> Jahr 2015 etwa 441<br />
Kliniken diese aufwändige intensivmedizinische<br />
Komplexbehandlung abgerechnet.<br />
» Der Versuch einer besseren<br />
Differenzierung des <strong>System</strong>s<br />
scheiterte<br />
Dies hat dazu geführt, dass die OPS-Kriterien<br />
für das Jahr 2018 besonders <strong>im</strong><br />
Hinblick auf die Präsenz von Intensivmedizinern<br />
verschärft worden sind. Zudem<br />
überprüft der Medizinische Dienst<br />
der Krankenkassen (MDK) vermehrt die<br />
Einhaltung der aktuellen Strukturkriterien<br />
für die aufwändige intensivmedizinischeKomplexbehandlungmitderKonsequenzvonerheblichenfinanziellenRückforderungen<br />
der Krankenkassen.<br />
In dem Beitrag von Mitsch in dieser<br />
Ausgabe werden die Prüfkriterien<br />
des MDK beschrieben [27]. Hier spielen<br />
z. B. die Definition einer Blutbank<br />
oder die organisatorische Zugehörigkeit<br />
des Herzkatheterlabors eine Klinikums<br />
zu einem ausgegründeten Herzzentrum<br />
eine bedeutende Rolle. In Einzelfällen<br />
haben die Krankenkassen die Zahlung<br />
der aufwändigen intensivmedizinischen<br />
Komplexbehandlung auch verweigert, da<br />
die ärztliche Leitung der Intensivstation<br />
nicht die nötige intensivmedizinische<br />
Qualifikation hatte. Die sonstige personelle<br />
Ausstattung der Intensivstation war<br />
bislang jedoch noch nicht Gegenstand<br />
der Prüfung.<br />
Die personelle Ausstattung einer Intensivstation<br />
mit einer ausreichenden<br />
Anzahl und Qualifikation von Ärzten<br />
und Pflegekräften ergänzt durch weiteres<br />
medizinisches Fachpersonal ist<br />
der wichtigste Faktor für eine qualitativ<br />
hochwertige intensivmedizinische<br />
Versorgung [30, 44], sodass sowohl die<br />
DIVI wie auch die European Society<br />
of Intensive Care Medicine (ESICM)<br />
hier klare Empfehlungen für die personelle<br />
Ausstattung von Intensivstationen<br />
herausgegeben haben [10, 43]. Bislang<br />
haben diese Empfehlungen nur <strong>im</strong> Krankenhausplan<br />
2015 des Lands Nordrhein-<br />
Westfalen und <strong>im</strong> Tarifvertrag der Charité<br />
Beachtung gefunden [25, 26], haben<br />
aber insgesamt keinen verbindlichen<br />
Charakter und werden nicht flächendeckend<br />
umgesetzt.<br />
» Es fehlen klare Personalstandards<br />
Da klare Personalstandards fehlen und<br />
die intensivmedizinische Versorgung<br />
in der insgesamt sehr zurückhaltenden<br />
Krankenhausplanung der Länder keine<br />
deutlich erkennbare Rolle spielt, steuern<br />
die Regeln des <strong>DRG</strong>-<strong>Vergütung</strong>ssystems<br />
besonders stark die Bedingungen für<br />
die intensivmedizinische Versorgung<br />
in Deutschland. Daher müssen speziell<br />
die von dem G-<strong>DRG</strong>-<strong>System</strong> ausgehenden<br />
Fehlsteuerungspotenziale auf einen<br />
der kostenintensivsten Bereiche eines<br />
Krankenhauses [21] kritisch hinterfragt<br />
werden.<br />
Anreize <strong>im</strong> <strong>DRG</strong> für eine<br />
hochwertige Intensivmedizin<br />
Aus Sicht von Patienten und Angehörigen<br />
definiert sich die Qualität einer<br />
Intensivbehandlung pr<strong>im</strong>är am Ergebnis:<br />
eine niedrige Rate an (vermeidbaren)<br />
Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin
Zusammenfassung · Abstract<br />
Todesfällen, der Erhalt von Organfunktionen,<br />
Lebensqualität und Alltagsfunktionalität<br />
bei gleichzeitig möglichst kurzer<br />
Verweildauer an einer Beatmungsmaschine<br />
und auf einer Intensivstation.<br />
Zudem ist eine allgemeine Zufriedenheit<br />
mit der Behandlung, eine gute Kommunikation<br />
und Zuwendung, die Respektierung<br />
der Patientenautonomie und ggf.<br />
auch eine angemessene Therapie am Lebensende<br />
bedeutsam. Um diese Ziele zu<br />
erreichen, muss eine Intensivstation eine<br />
gute Struktur, Personal- und Prozessqualität<br />
aufweisen, wie sie z. B. in den Qualitätsindikatoren<br />
„Intensivmedizin“ definiert<br />
sind [24]. Für die Erfüllung dieser<br />
Qualitätskriterien ist das Intensivpersonal<br />
von zentraler Bedeutung und stellt<br />
mit mehr als 60 % den größten Kostenfaktor<br />
einer Intensivstation dar [21, 28,<br />
40]. Da es keine direkte <strong>Vergütung</strong> für<br />
die Vorhaltung dieser Personalressource<br />
<strong>im</strong> deutschen <strong>DRG</strong>-<strong>System</strong> gibt, müssen<br />
diese Vorhaltekosten mit möglichst<br />
vielen lukrativen Fällen gegenfinanziert<br />
werden. Je mehr risikoreiche Operationen,<br />
Eingriffe und Behandlungen an einem<br />
Krankenhaus durchgeführt werden,<br />
desto höher ist natürlich auch der intensivmedizinische<br />
Versorgungsbedarf.<br />
» Personalvorhaltekosten<br />
müssen mit möglichst vielen<br />
lukrativen Fällen gegenfinanziert<br />
werden<br />
Bei den Patienten, bei denen eine intensivmedizinische<br />
Komplexbehandlung<br />
nicht abgerechnet werden kann bzw.<br />
nicht gruppierungsrelevant ist, ist es<br />
für Krankenhäuser günstig, für diese<br />
möglichst wenige Intensivbelegungstage<br />
einzusetzen. Anders sieht es jedoch<br />
bei der intensivmedizinischen Komplexbehandlung<br />
aus. Ein hoher intensivmedizinischer<br />
Aufwand vornehmlich<br />
mit einer langen Beatmungsdauer sowie<br />
schlechte Vital- und Laborparameter<br />
führen zu einer höheren <strong>Vergütung</strong>.<br />
Wirtschaftlich ist es für den Krankenhausträger<br />
auch hier vorteilhaft, wenn<br />
die Personalkosten insgesamt so niedrig<br />
wie möglich gehalten werden. Mit<br />
einem schlechten Personalschlüssel sind<br />
Med Klin Intensivmed Notfmed https://doi.org/10.1007/s00063-017-0390-x<br />
© Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2017<br />
R.Riessen·C.Hermes·K.-F.Bodmann·U.Janssens·A.Markewitz<br />
<strong>Vergütung</strong> intensivmedizinischer <strong>Leistungen</strong> <strong>im</strong> <strong>DRG</strong>-<strong>System</strong>.<br />
Aktuelle Probleme und Lösungsvorschläge<br />
Zusammenfassung<br />
Die <strong>Vergütung</strong> intensivmedizinischer und<br />
pflegerischer <strong>Leistungen</strong> erfolgt seit dem<br />
Jahr 2004 <strong>im</strong> deutschen Gesundheitssystem<br />
weitgehend über Fallpauschalen (Germandiagnosis-related-groups[G-<strong>DRG</strong>]-<strong>System</strong>).<br />
Da in Deutschland eine übergeordnete<br />
Krankenhausstrukturplanung weitgehend<br />
fehlt, sind die Vorgaben des G-<strong>DRG</strong>-<strong>System</strong>s<br />
inzwischen zum wichtigsten (Fehl-)Steuerungsfaktor<br />
<strong>im</strong> Gesundheitswesen geworden.<br />
Die deutsche Intensivmedizin lässt sich <strong>im</strong><br />
internationalen Vergleich inzwischen durch<br />
folgende Merkmale charakterisieren: viele<br />
Intensivbetten, niedrige Personalausstattung<br />
pro Patient, fehlende Einstufung von<br />
Intensivstationen in eine Versorgungshierarchie<br />
sowie eine min<strong>im</strong>ale Erhebung von<br />
intensivmedizinischen Strukturdaten. Unter<br />
den gegebenen Bedingungen stellt ein<br />
zunehmender Personalmangel die wichtigste<br />
Bedrohung für die Patientenversorgung dar.<br />
Zur Behebung dieser Schwächen schlagen<br />
die Autoren folgende Maßnahmen vor:<br />
1) eine Eingliederung der Intensivstationen<br />
in das geplante Stufensystem der Notfallversorgung,<br />
2) eine verpflichtende Erhebung<br />
eines strukturierten Datensatzes von allen<br />
Intensivstationen mit Erfassung von Qualitätskriterien,<br />
3) eine Reform der <strong>Vergütung</strong><br />
intensivmedizinischer und pflegerischer<br />
<strong>Leistungen</strong> unter Berücksichtigung der<br />
personellen Vorhaltekosten, 4). Maßnahmen<br />
zur Personalbindung, -rekrutierung und<br />
-qualifikation.<br />
Schlüsselwörter<br />
Intensivmedizin · Personalbesetzung · „Diagnosis<br />
related groups“ · Gesundheitskosten ·<br />
Gesundheitsversorgung<br />
Re<strong>im</strong>bursement of intensive care services in the German <strong>DRG</strong><br />
system. Current problems and possible solutions<br />
Abstract<br />
The re<strong>im</strong>bursement of intensive care and<br />
nursing services in the German health system<br />
is based on the diagnosis-related groups (G-<br />
<strong>DRG</strong>) system. Due to the lack of a central<br />
hospital planning, the G-<strong>DRG</strong> system has<br />
become the most <strong>im</strong>portant influence on the<br />
development of the German health system.<br />
Compared to other countries, intensive<br />
care in Germany is characterized by a high<br />
number of intensive care beds, a low nurseto-patient<br />
ratio, no official definition of the<br />
level of care, and a min<strong>im</strong>al available data set<br />
from intensive care units (ICUs). Under the<br />
given circumstances, a shortage of qualified<br />
intensive care nurses and physicians is<br />
currently the largest threat for intensive care<br />
jedoch Maßnahmen zur Verkürzung<br />
der Beatmungsdauer und zur Reduktion<br />
eines Delirs und anderer akuter<br />
Verwirrtheitszustände, wie z. B. eine<br />
Frühmobilisation, eine flache Sedierung<br />
und ein frühzeitiges Weaning, nur erschwert<br />
umsetzbar. Gleiches gilt für die<br />
nicht konsequente Umsetzung und Einhaltung<br />
von Hygienemaßnahmen mit<br />
der möglichen Folge eine erhöhten Rate<br />
in Germany. To address these deficiencies,<br />
we suggest the following measures:<br />
(1) Integration of ICUs into the levels of care<br />
which are currently developed for emergency<br />
centers at hospitals. (2) Mandatory collection<br />
of structured data sets from all ICUs including<br />
quality criteria. (3) A reform of intensive<br />
care and nursing re<strong>im</strong>bursement under<br />
consideration of adequate staffing in the<br />
individual ICU. (4) Actions to <strong>im</strong>prove ICU<br />
staffing and qualification.<br />
Keywords<br />
Critical care · Personel staffing · Diagnosis<br />
related groups · Health care costs · Public<br />
health<br />
und Übertragung von nosokomialen<br />
Infektionen [23]. Aus solchen Faktoren<br />
resultierende Qualitätsmängel wirken<br />
sich für ein Krankenhaus finanziell nicht<br />
negativ aus. Verstirbt ein Patient <strong>im</strong><br />
Rahmen der Intensivbehandlung z. B.<br />
an einer solchen Komplikationen, ist dies<br />
für das Krankenhaus sogar erlöstechnisch<br />
günstig, da eine oft langwierige<br />
und schlechter vergütete normalstatio-<br />
Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin
Leitthema<br />
Tab. 1 Zahlen für die intensivmedizinische Versorgung an deutschen Krankenhäusern <strong>im</strong> Jahre 2016. (Nach [17])<br />
Krankenhausmerkmale<br />
Sachverhalt<br />
Behandlungsfälle mit Beatmung<br />
während intensivmedizinischer<br />
Versorgung<br />
Behandlungsfälle in der<br />
intensivmedizinischen Versorgung<br />
Berechnungs-/<br />
Belegungstage in der intensivmedizinischen<br />
Versorgung<br />
Betten zur intensivmedizinischen<br />
Versorgung<br />
Krankenhäuser mit Betten<br />
zur intensivmedizinischen<br />
Versorgung<br />
Gesamtzahl der<br />
Krankenhäuser<br />
1951 1172 27.609 8.112.930 2.162.221 425.777<br />
Krankenhäuser<br />
insgesamt<br />
näre Weiterbehandlung <strong>im</strong> Anschluss an<br />
die Intensivbehandlung entfällt. Da die<br />
Intensivstationsmortalität in Deutschland<br />
nicht systematisch erfasst wird,<br />
bleiben solche Qualitätsmängel zumeist<br />
verborgen.<br />
Kritisch zusammen gefasst ist für<br />
eine Intensivstation als wirtschaftende<br />
Einheit eines Krankenhauses <strong>im</strong> deutschen<br />
<strong>DRG</strong>-<strong>System</strong> folgende Konstellation<br />
am profitabelsten: eine hohe Zahl<br />
an Intensivbetten, viele Belegungstage<br />
mit abrechenbarer intensivmedizinischer<br />
Komplexbehandlung und eine<br />
möglichst geringe Personalausstattung.<br />
Umgekehrt zahlt sich eine erfolgreiche,<br />
personalintensive, auf eine Vermeidung<br />
oder Verkürzung einer maschinellen<br />
Beatmung und Min<strong>im</strong>ierung der Intensivverweildauer<br />
ausgerichtete Therapie<br />
für die Intensivstation in der <strong>DRG</strong>-Abrechnung<br />
nicht unbedingt aus, oder sie<br />
lässt sich unter den gegebenen Bedingungen<br />
nicht mehr realisieren.<br />
Im nächsten Abschnitt soll dargestellt<br />
werden, ob sich diese allgemein abgeleiteten<br />
und auf Erfahrungen basierenden<br />
Hypothesen auch durch Zahlen belegen<br />
lassen.<br />
Entwicklung der Intensivmedizin<br />
seit <strong>DRG</strong>-Einführung<br />
Insgesamt gibt es in Deutschland nur<br />
sehr rud<strong>im</strong>entäre offiziell verfügbar Zahlen<br />
über die intensivmedizinische Versorgung.<br />
Ein Datensatz wird vom Informationssystem<br />
der Gesundheitsberichterstattung<br />
des Bundes zur Verfügung gestellt<br />
(. Tab. 1; [17]).<br />
Im europäischen Vergleich weist<br />
Deutschland nach den Zahlen aus dem<br />
Jahr 2009 mit 29,2 Intensivbetten pro<br />
100.000 Einwohner die höchste Zahl<br />
an Intensivbetten aus (. Abb. 1; [32]).<br />
Der europäische Durchschnitt liegt bei<br />
11,5 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner.<br />
Die Zahl an Krankenhausbetten<br />
pro Bevölkerung ist dabei ebenfalls<br />
hoch. Im Jahr 2012 erhöhte sich die<br />
Zahl der Intensivbetten weiter auf 31,8<br />
pro 100.000 Einwohner [3]. Dänemark<br />
hält z. B. <strong>im</strong> Vergleich nur 7,5 Intensivbetten<br />
pro 100.000 Einwohner vor.<br />
Die täglichen Kosten pro Intensivbett<br />
wurden für Deutschland mit 1092 €<br />
berechnet, für Dänemark dagegen mit<br />
3302 €. Diese erheblichen Unterschiede<br />
könnten mit unterschiedlichen Definitionen<br />
von Intensivbetten zusammenhängen.<br />
So wird in Deutschland häufig<br />
nicht zwischen Intensivbetten und anderen<br />
Überwachungs-/Intermediatecare(IMC)-Betten<br />
unterschieden. Eine<br />
genaue Definition von IMC-Betten ist<br />
erst kürzlich von der DIVI veröffentlicht<br />
worden [8]. Einer aktuellen Umfrage zufolge<br />
sind 76 % aller Intensivbetten mit<br />
Beatmungsplätzen ausgestattet [7]. Diese<br />
Zahlen unterstützen die These, dass das<br />
deutsche <strong>System</strong> eher die Ausweisung<br />
einer hohen Anzahl an Intensivbetten<br />
mitgeringerPersonalausstattungfördert.<br />
Andere Länder setzen offensichtlich eher<br />
auf weniger Intensivbetten mit einer besseren<br />
Personalausstattung. Dabei ist aber<br />
zu berücksichtigen, dass in Deutschland<br />
die Personalausstattung auf den Normalstationen<br />
so gering ist, dass kränkere<br />
Patientenhieroftnichtmehradäquatversorgt<br />
werden können [1, 16]. Es ist aber<br />
auch möglich, dass in anderen Ländern<br />
die Indikation für eine Intensivtherapie<br />
oder für Eingriffe, die eine Intensivtherapie<br />
oder -überwachung erfordern, bei<br />
best<strong>im</strong>mten Patientengruppen restriktiver<br />
gehandhabt wird und hier z. B. bei<br />
stark eingeschränkter Lebenserwartung<br />
oder -qualität früher eine palliativmedizinische<br />
Therapie eingeleitet wird oder<br />
evtl. auch eine Unterversorgung vorliegt.<br />
Deswegen müssen solche Zahlen<br />
<strong>im</strong> Gesamtversorgungskontext der Länder<br />
betrachtet werden.<br />
In eine Arbeit von Thattil wurde ein<br />
deutlicher Anstieg der Intensivbettenkapazitäten<br />
und der Intensivbelegtage<br />
<strong>im</strong> Zeitraum von 1991–2009 dargestellt<br />
(. Abb. 2; [41]). Kleine und mittelgroße<br />
Häuser behandelten in jüngerer Zeit etwa<br />
50 % aller Intensivfälle, während sehr<br />
große Krankenhäuser etwa 20 % betreuten.<br />
In den sehr großen Häusern stieg<br />
die Fallzahl <strong>im</strong> Zeitraum von 2002–2009<br />
mit 4 % am geringsten <strong>im</strong> Vergleich zu<br />
2-stelligenZuwachsratenindenanderen<br />
Häusern. Dafür verlängerte sich die<br />
Intensivliegedauer in den sehr großen<br />
Häusern mit 11 % am stärksten. Die<br />
Gründe für diese Zuwachsraten mögen<br />
mannigfaltig und z. T. mit demographischen<br />
Faktoren und dem medizinischen<br />
Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin
Abb. 1 8 Graphische Darstellungmit einerlinearenRegressionsanalysederBettenaufIntensivstationen<br />
und in Akutkrankenhäusern in verschiedenen europäischen Ländern <strong>im</strong> Jahre 2009. Dargestellt<br />
ist die Regressionslinie mit ihren 95%-Konfidenzintervallen (r = 0,13, p = 0,05). (Aus [32])<br />
Fortschritt erklärbar sein. Anscheinend<br />
werden aber auch in kleineren Häusern<br />
<strong>im</strong>mer mehr Patienten etwa <strong>im</strong> Rahmen<br />
von Operationen und Interventionen<br />
intensivmedizinisch behandelt. In den<br />
großen Krankenhäusern könnte die Zunahme<br />
der Intensivliegedauer z. B. als<br />
Indiz für eine Zunahme der Krankheitsschwere<br />
gewertet werden.<br />
In einer aktuellen Arbeit von Isfort<br />
beruhend auf Daten des Statistischen<br />
Bundesamts wurde für die Intensivstationen<br />
in Deutschland <strong>im</strong> Zeitraum von<br />
2002–2015 ein Anstieg der Behandlungsfälle<br />
um knapp 13 % auf 2,15 Mio.,<br />
der Bettenkapazität um 19 % auf 27.490<br />
und der Berechnungstage um 21,6 % auf<br />
8,05 Mio. beschrieben [19]. Besonders<br />
auffällig ist dabei eine Zunahme der Behandlungsfälle<br />
mit Beatmung um 45,5 %<br />
auf 413.000.<br />
Angesichts dieser Entwicklungen und<br />
der Bedeutung der Intensivmedizin <strong>im</strong><br />
Rahmen der stationären Versorgung erscheint<br />
es völlig unverständlich, das in<br />
Deutschland keine verlässlichen Zahlen<br />
über die Anzahl von Intensivstationen<br />
in deutschen Krankenhäusern vorliegen.<br />
Angaben zur Struktur und Organisation<br />
der Intensivstationen sind ebenfalls nicht<br />
verfügbar. Regelhaft werden in größeren<br />
Kliniken mehrere konservative und operative<br />
Intensivstationen betrieben. In vielenanderenLändernsinddieintensivmedizinischen<br />
Versorgungsstrukturen dagegen<br />
wesentlich besser erfasst [3, 22].<br />
Ein Beispiel dafür ist Österreich, dessen<br />
<strong>System</strong> in dem Beitrag von Joannidis<br />
in dieser Ausgabe ausführlich dargestellt<br />
wird [20].<br />
» Offizielle Daten zur<br />
personellen Besetzung von<br />
Intensivstationen liegen nicht vor<br />
Offizielle Daten zur personellen Besetzung<br />
von Intensivstationen liegen ebenfalls<br />
nicht vor. In den letzten Jahren wurden<br />
dazu 3 Befragungen durchgeführt<br />
[6, 7, 19]. In der aktuellen Befragung<br />
des deutschen Krankenhausinstituts <strong>im</strong><br />
Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft<br />
wurden neben Daten zum Personal<br />
auch Strukturdaten erhoben. Dabei<br />
verwendete diese Analyse interessanterweise<br />
eine Datenbank der Deutschen<br />
Stiftung Organspende (DSO), da sichkeine<br />
bessere DatenbankfürKrankenhäuser<br />
mit Intensivstationen fand [7]. Von den<br />
1261 bei der DSO als Entnahmekrankenhaus<br />
registrierten Krankenhäusern nahmen<br />
314 (25 %) an der Befragung teil,<br />
davon 9 Universitätskliniken.<br />
Aus dem umfangreichen Gutachten<br />
seien hier nur die wichtigsten Daten<br />
genannt [7]. Bei den angegebenen Personalschlüsseln<br />
ist zu berücksichtigen,<br />
dass diese sich auf die belegten Betten bei<br />
einer durchschnittlichen berichteten Belegungsrate<br />
von 80 % beziehen. Dies steht<br />
<strong>im</strong> Widerspruch zu den Empfehlungen<br />
der ESICM, die eine Belegungsrate (allerdings<br />
auf Stundenbasis) von 70–75 %<br />
empfehlen und den Personalschlüssel<br />
auf 100 % Intensivbehandlungsplätze<br />
beziehen, da ansonsten eine adäquate<br />
Versorgung von Notfällen bei der ständig<br />
schwankenden Auslastung einer Intensivstation<br />
als nicht ausreichend möglich<br />
erachtet wird [10, 43]. Aus betriebswirtschaftlicher<br />
Sicht werden in Deutschland<br />
gerne auch Belegungsraten von ≥85 %<br />
gewünscht, was zu erheblichen Versorgungsengpässen<br />
auf Intensivstationen<br />
führen kann.<br />
» Belegungsraten von<br />
≥85 % können zu erheblichen<br />
Versorgungsengpässen auf<br />
Intensivstationen führen<br />
Die ESICM teilt Intensivpatienten in<br />
3 Kategorien ein und empfiehlt eine<br />
pflegerische Betreuungsrelation je nach<br />
Krankheitsschwere von 1:1, 1:2 und 1:3<br />
pro Schicht [43]. Die DIVI, wie auch<br />
die Deutsche Gesellschaft für Fachkrankenpflege<br />
und Funktionsdienste (DGF<br />
e. V.), bezieht ihre Personalempfehlungen<br />
auf die Intensivbehandlungsplätze<br />
und empfiehlt generell pflegerische Betreuungsrelation<br />
von 1:2 pro Schicht bei<br />
Intensivpatienten, 1:1 bei einem hohen<br />
Anteil (>60 %) an Patienten mit Organersatzverfahren<br />
und 1:3 bei IMC-<br />
Patienten [10]. Für Ärzte werden 7 Ärzte<br />
für 8–12 Intensivbehandlungsplätze<br />
empfohlen. Zudem sollen bei den Personalschlüsseln<br />
Stationsleitungspositionen<br />
oder spezielle Aufgaben (z. B. Rean<strong>im</strong>ationsdienste,<br />
Intensivtransporte) großzügig<br />
abgebildet werden.<br />
Unter diesen Prämissen liegt das in<br />
dem Gutachten angegebene Arzt-zu-Patient-Verhältnis<br />
mit 7 Arztstellen (Vollzeitstellen)<br />
auf 10 belegte Intensivbetten<br />
unter den Empfehlungen. Fast jedes drit-<br />
Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin
Leitthema<br />
die Fachweiterbildung abgeschlossen.<br />
Nach Aussage des Gutachtens bilden<br />
Stellenbesetzungsprobleme die größte<br />
Herausforderung in der Intensivpflege.<br />
Insgesamt konnten 53 % aller Krankenhäuser<br />
offen Stellen in der Intensivpflege<br />
nur unzureichend besetzen, zumal pro<br />
Jahr jede 11. Pflegekraft in der Intensivpflege<br />
(9 %) den Intensivbereich ihres<br />
Krankenhauses verlassen hatte.<br />
InderaktuellenBefragungvonIsfort<br />
war eine pflegerische Betreuungsrelation<br />
von ≥1:3 bei >60 % der Intensivstationen<br />
die Regel und war <strong>im</strong> Vergleich mit einer<br />
Betreuungsrelationvon≤1:2miteinergesteigerten<br />
Wahrnehmung von Risiken in<br />
der Patientenversorgung und einer geringeren<br />
Arbeitszufriedenheit assoziiert<br />
[19].<br />
» In der Intensivpflege konnten<br />
53 % aller Krankenhäuser<br />
offene Stellen nur unzureichend<br />
besetzen<br />
Abb. 2 8 a Anzahl der Intensivbetten (y-Achse) der allgemeinen Krankenhäuser in Deutschland bezogen<br />
auf die Zahl der Gesamtbettenanzahl der jeweiligen Krankenhäuser (x-Achse) von 1991–2009.<br />
b Anteil der Intensivbelegtage an allen Belegtagen in Deutschland von 1991–2009. Aus [41]<br />
te Krankenhaus (29 %) hatte Ende des<br />
Jahrs 2016 Schwierigkeiten, offene Arztstellen<br />
auf Intensivstationen zu besetzen.<br />
Der Facharztanteil war in den kleinen<br />
Häusern höher als in den großen Krankenhäusern.<br />
Eine Pflegekraft versorgte<br />
in allen 3 Kategorien der befragten Krankenhäuser<br />
(600 Betten)<br />
trotz Hinweisen für eine zunehmende<br />
Krankheitsschwere in den größeren<br />
Häusern durchschnittlich 2,2 Intensivfälle<br />
pro Schicht, wobei auch hier wieder<br />
die Bezugsgrößen zu berücksichtigen<br />
sind und die tatsächliche pflegerische<br />
Betreuungsrelation pro Behandlungsplatz<br />
deutlich niedriger liegt (s. oben).<br />
Im Durchschnitt hatten 44 % des Intensivpflegepersonals<br />
je Krankenhaus<br />
Ob die durch die Einführung des <strong>DRG</strong>-<br />
<strong>System</strong>s ausgelösten Veränderungen auf<br />
deutschen Intensivstationen tatsächlich<br />
Qualitätsprobleme nach sich ziehen, ist<br />
aufgrund weitgehend fehlender Zahlen<br />
schwer zu beurteilen. Im Gegensatz zu<br />
vielen anderen europäischen Ländern<br />
müssen Intensivstationen in Deutschland<br />
keine Mortalitätsdaten und keine<br />
„standardized mortality ratio“ (SMR)<br />
berichten [24, 33]. Die SMR stellt das<br />
Verhältnis von der tatsächlichen Mortalität<br />
zur anhand von Risikoscores wie<br />
dem SAPS II geschätzten Mortalität dar.<br />
Eine SMR von 1 entspricht der Mortalität<br />
in dem Referenzkollektiv, das in<br />
den 1980er-Jahren erhoben wurde. Auf<br />
Initiative der DIVI wurde in den Jahren<br />
2000–2010 an 24 Kliniken freiwillig der<br />
sog. Kerndatensatz Intensivmedizin erhoben,<br />
der auch eine SMR auf der Basis<br />
des SAPS II (allerdings ohne Glasgow<br />
Coma Scale) beinhaltete [2]. Die Daten<br />
von insgesamt 94.398 Patienten sind in<br />
. Abb. 3 dargestellt und zeigen zum Zeitpunkt<br />
der Einführung des <strong>DRG</strong>-<strong>System</strong>s<br />
in den Jahren 2003/2004 eine SMR von<br />
etwa 0,8. Diese stieg in den Folgejahren<br />
auf 1,0 – allerdings bei insgesamt niedriger<br />
Mortalität der Patienten. Diese nahm<br />
bei steigender Krankheitsschwere <strong>im</strong> Beobachtungszeitraum<br />
von 5,7 auf 8,5 % zu.<br />
Zum Vergleich lag die SAPS-II-SMR in<br />
Österreich <strong>im</strong> Zeitraum von 1998–2007<br />
bei 0,84 [29]. Die Bemühungen der DI-<br />
VI, die Erhebung des Kerndatensatzes<br />
Intensivmedizin <strong>im</strong> Rahmen des sog.<br />
DIVI-REVERSI-Registers fortzuführen<br />
[9], sind gescheitert:<br />
4 Die Datenerhebung in den Krankenhäusern<br />
wird nicht unterstützt.<br />
4 Es besteht keine Grundlage für<br />
die automatisierte Erfassung dieser<br />
Daten bei einer insgesamt noch viel<br />
zu gering verbreiteten elektronischen<br />
Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin
Abb. 3 9 Entwicklung der<br />
aus dem S<strong>im</strong>plified Acute<br />
Physiology Score II berechneten<br />
standardisierten<br />
Mortalitätsrate (SMR) in<br />
den Daten des Kerndatensatzes<br />
Intensivmedizin aus<br />
den Jahren 2000–2010,<br />
erhoben an 24 deutschen<br />
Kliniken. (Aus[2])<br />
Patientendatenerfassung („patient<br />
data management systems“, PDMS).<br />
4 Die Kliniken müssen die Auswertung<br />
der Daten selber finanzieren.<br />
Insgesamt befindet sich die Erfassung<br />
und Auswertung von intensivmedizinischen<br />
Routinedaten in Deutschland<br />
<strong>im</strong> internationalen Vergleich auf äußerst<br />
niedrigem und unzureichendem Niveau.<br />
Ein weiteres Probleme besteht in diesem<br />
Kontext darin, dass in Deutschland eine<br />
objektive Erfassung der Langzeitmortalität<br />
z. B. über Daten der Sozial- oder<br />
Krankenversicherung <strong>im</strong> Gegensatz etwa<br />
zu den skandinavischen Ländern nicht<br />
möglich ist [12].<br />
Personaluntergrenzen und<br />
Richtlinien<br />
Können die Probleme in der IntensivmedizinüberdieEinführungvonPersonaluntergrenzen,<br />
wie sie der Gesetzgeber<br />
jetzt berät, gelöst werden [5]? Grundsätzlich<br />
sind Initiativen, die sich dem<br />
Druck des <strong>DRG</strong>-<strong>System</strong>s zum permanenten<br />
Personalabbau widersetzen, zu<br />
begrüßen. Bei der Einführung von wenig<br />
differenzierten und methodisch unterlegten<br />
Personaluntergrenzen muss jedoch<br />
befürchtet werden, dass sich die<br />
Verwaltungen der Krankenhäuser diese<br />
Untergrenzen zum Soll und automatisch<br />
zum Max<strong>im</strong>um definieren und besonders<br />
personalintensive Bereiche dadurch<br />
sogar noch geschwächt werden.<br />
Einen anderen Weg schlägt der Gemeinsame<br />
Bundesausschuss (G-BA)<br />
derzeit ein. Für operative Eingriffe bei<br />
Bauchaortenaneurysmen und in der<br />
Kinderherzchirurgie sowie für min<strong>im</strong>alinvasive<br />
Herzklappeninterventionen<br />
hat der G-BA Qualitätssicherungsrichtlinien<br />
herausgegeben, die eine best<strong>im</strong>mte<br />
Qualifikation und z. T. auch Anzahl von<br />
Ärzten und Pflegekräften auf Intensivstationen<br />
vorgeben [7]. Einen ähnlichen<br />
Weg hat der G-BA zuvor auch schon<br />
in der Neonatologie eingeschlagen, mit<br />
der Folge, dass auch die absoluten Max<strong>im</strong>alversorger<br />
diese Vorgaben nicht<br />
einhalten konnten und mit z. T. wenig<br />
sinnvollen Maßnahmen versuchen, diese<br />
Kriterien zumindest formal und sei es<br />
nur <strong>im</strong> Dienstplan zu erfüllen, um nicht<br />
die <strong>Vergütung</strong> aberkannt zu bekommen.<br />
Die Beschränkung auf einzelne Eingriffe<br />
erscheint auch sehr fragwürdig und<br />
medizinisch wenig begründet. Wenn<br />
durch solche Maßnahmen Eingriffe zu<br />
Max<strong>im</strong>alversorgern hin gelenkt werden<br />
sollen, erscheint dies auch nicht zielführend,<br />
da gerade diese unter einem<br />
Personalmangel <strong>im</strong> Intensivbereich leiden<br />
und <strong>im</strong>mer mehr Betten wegen<br />
Personalmangels sperren müssen. Insgesamt<br />
bedroht der Personalmangel in<br />
der Intensivpflege unter den aktuellen<br />
Bedingungen zunehmend die Aufrechterhaltung<br />
der intensivmedizinischen<br />
Versorgung besonders bei den Max<strong>im</strong>alversorgern.<br />
Bei der Einführung von<br />
Personalstandards sind solche Faktoren<br />
zu berücksichtigen, ansonsten drohen<br />
unbeabsichtigte negative Konsequenzen<br />
für die Patientenversorgung.<br />
Insgesamt sind die Probleme in der<br />
Intensivmedizin durch isolierte Regelungen<br />
nicht zu lösen und müssen vielmehr<br />
<strong>im</strong> Gesamtkontext des Gesundheitssystems<br />
gesehen und angegangen werden.<br />
Im Folgenden sollen 4 Reformvorschläge<br />
für die Organisation und Finanzierung<br />
der Intensivmedizin in Deutschland vorgestellt<br />
werden.<br />
» Der Personalmangel in der<br />
Pflege bedroht die Aufrechterhaltung<br />
der intensivmedizinischen<br />
Versorgung<br />
Ziel dieser Reformvorschläge sind eine<br />
Verbesserung der Strukturen und der<br />
Qualität der Intensivmedizin in Deutschland<br />
und die Vermeidung von Fehlsteuerungsanreizen,<br />
um letztlich auch längerfristigeinevernünftigeundkosteneffektive<br />
intensivmedizinische Versorgung der<br />
Bevölkerung zu gewährleisten.<br />
Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin
Leitthema<br />
Tab. 2 Wichtige Parameter eines Datensatzes für Intensivstationen<br />
Strukturdaten Zahl der Intensivbehandlungsbetten (mit der Möglichkeit der invasiven Beatmung,<br />
Organersatzverfahren), Zahl der IMC-Betten, die unmittelbar an die Intensivstation<br />
angebunden sind und von dem gleichen Team versorgt werden<br />
(eigenständige IMC-Einheiten werden in diesem <strong>System</strong> nicht berücksichtigt),<br />
Darlegung von organisatorischen Besonderheiten der Station<br />
Personaldaten Leitungsstrukturen mit Qualifikation der Leitung, Anzahl und Qualifikation der<br />
Ärzte, Pflegekräfte und von sonstigem auf der Intensivstation tätigen Personal<br />
(z. B. Physiotherapeuten, Atmungstherapeuten, Stationsassistenz) mit Hinterlegung<br />
der Personaleinsatzpläne; unbesetzte Stellen, Personalfluktuation<br />
Leistungsdaten Leistungszahlen des Vorjahrs: Zahl der Patienten, Zahl der beatmeten Patienten,<br />
Behandlungstage, mittlere Verweildauer, beatmete Patienten, Beatmungsstunden,<br />
alle intensivmedizinisch relevanten <strong>DRG</strong>-Abrechnungsdaten,<br />
Anteil an medizinischen und chirurgischen Notfallpatienten<br />
Qualitätsdaten Intensivstationsmortalität,Krankenhausmortalität der intensivmedizinisch<br />
behandelten Patienten, SAPS II bei Aufnahme, standardisierte Mortalitätsrate<br />
(SMR), Daten nach Infektionsschutzgesetz<br />
<strong>DRG</strong> „diagnosis related groups“, IMC „intermediate care“, SAPS S<strong>im</strong>plified Acute Physiology Score<br />
Reformvorschläge zur<br />
Organisation und Finanzierung<br />
Einbindung der Intensivmedizin<br />
in das Stufensystem der<br />
Notfallversorgung<br />
Wie in dem gemeinsamen Positionspapier<br />
der DIVI, der Deutschen Gesellschaft<br />
für Internistische Intensivmedizin<br />
und Notfallmedizin (DGIIN) und der<br />
Deutschen Gesellschaft interdisziplinäre<br />
Akut- und Notfallmedizin (DGINA) zur<br />
ReformdermedizinischenNotfallversorgung<br />
in Deutschland [35] gefordert,hat<br />
der Gesetzgeber <strong>im</strong> Krankenhausstrukturgesetzt2016denG-BAbeauftragt,eine<br />
Stufensystem für die stationäre Notfallversorgung<br />
einzuführen. Die Notfallmedizin<br />
wird in dem Gesetz als Teil der<br />
medizinischen Daseinsvorsorge bezeichnet.<br />
Die Kriterien für das Stufensystem<br />
sollen demnächst veröffentlicht werden<br />
und enthalten viele Parallelen zu den Kriterien<br />
der intensivmedizinischen Komplexbehandlung,<br />
die pr<strong>im</strong>är die Strukturen<br />
des Klinikums betreffen. Gleichzeitig<br />
sind die vorgehaltenen intensivmedizinischen<br />
Kapazitäten voraussichtlich<br />
eines der Kriterien für die Einstufung<br />
<strong>im</strong> Rahmen der Notfallversorgung. Eine<br />
Sonderregelung sollte fürSpezialkliniken<br />
getroffen werden, die hochspezialisierte<br />
aufwändige intensivmedizinische Versorgung<br />
anbieten (z. B. Unfallkliniken,<br />
Verbrennungen, Herzzentren usw.).<br />
Die Autoren schlagen daher vor, dass<br />
<strong>im</strong>RahmeneinerumfassenderenReform<br />
der <strong>Vergütung</strong> intensivmedizinischer<br />
und pflegerischer <strong>Leistungen</strong> <strong>im</strong> <strong>DRG</strong>-<br />
<strong>System</strong> (s. unten) die strukturellen Vorhaltekosten<br />
der intensivmedizinischen<br />
<strong>Leistungen</strong> gemeinsam mit den Kosten<br />
für die allgemeine Notfallversorgung direkt<br />
über entsprechende Zuschläge kostendeckend<br />
finanziert werden sollten.<br />
Dies beinhaltet die Vorhaltung in folgenden<br />
Bereichen auf der jeweiligen Versorgungsstufe:<br />
Präsenz,- Bereitschaftsund<br />
Rufdienste von (Fach-)Ärzten und<br />
nichtärztlichem Personal, Operationssäle,<br />
andere Einrichtungen für 24 h-<br />
Notfallinterventionen (z. B. Herzkatheter,<br />
Endoskopie), Transfusionsmedizin,<br />
radiologische Diagnostik und Labordiagnostik.<br />
Die Investitionskosten müssen<br />
prioritär von den Bundesländern übernommen<br />
werden.<br />
» Die Investitionskosten<br />
müssenprioritärvonden<br />
Bundesländern übernommen<br />
werden<br />
Die Einstufung der Intensivstationen einer<br />
Klinik sollte pr<strong>im</strong>är der Einstufung<br />
der Klinik in das <strong>System</strong> der Notfallversorgung<br />
folgen; diese offizielle Kategorisierung<br />
könnte z. B. über ein von der<br />
zuständigen Landesgesundheitsbehörde<br />
eingesetztes Gremium mit der entsprechenden<br />
Fachkompetenz erfolgen. Für<br />
die Intensivstationen der jeweiligen Versorgungsstufe<br />
sollten zusätzlich auf der<br />
Basis einer genauen Erhebung der Ist-<br />
Daten Struktur- und Qualitätskriterien<br />
von Expertengremien erarbeitet werden<br />
(siehe 2.).<br />
Umfassende Erhebung der<br />
Struktur- und Leistungsdaten<br />
Eine genaue Beurteilung und Weiterentwicklung<br />
der intensivmedizinischen<br />
Versorgung ist nur möglich, wenn über<br />
den Status quo vollständige und verlässliche<br />
Daten vorliegen, sodass eine<br />
standardisierte Datenmatrix mit möglichst<br />
allen relevanten Daten entwickelt<br />
werden sollte. Die Krankenhäuser sollten<br />
gesetzlich verpflichtend für jede organisatorisch<br />
eigenständige Intensiveinheit<br />
oder -abteilung einen entsprechenden<br />
Datensatz in ein entsprechendes Register<br />
liefern. Auch hier können andere Länder<br />
wie Österreich als Vorbild und der Fragebogen<br />
des Gutachtens der Deutschen<br />
Krankenhausgesellschaft (DKG) und des<br />
Deutschen Krankenhaus Instituts (DKI)<br />
[7] ebenfalls als Vorlage dienen. Der<br />
Datensatz sollte von einer unabhängigen<br />
Kommission von Intensivmedizinern,<br />
Vertretern der Intensivpflege und<br />
anderen Spezialisten für das Gesundheitssystem<br />
(z. B. Vertreter der Deutschen<br />
Krankenhausgesellschaft [DKG],<br />
der Gesetzlichen Krankenversicherung<br />
[GKV], des Verbands der Universitätsklinika<br />
Deutschlands [VUD] und<br />
des Instituts für das Entgeltsystem <strong>im</strong><br />
Krankenhaus [INEK]) erstellt werden.<br />
Eine koordinierende Rolle könnten hier<br />
z. B. das Institut für Qualitätssicherung<br />
und Transparenz <strong>im</strong> Gesundheitswesen<br />
(IQTIG) einnehmen [18]. Beispielhaft<br />
zu erhebende Parameter sind in . Tab. 2<br />
dargestellt.<br />
Grundsätzlich ist eine routinemäßige<br />
und wenig aufwändige elektronische<br />
Erhebung von Behandlungsdaten durch<br />
Patient-Data-Management- und Krankenhausinformationssysteme<br />
zwingend<br />
erforderlich. Entsprechend konfigurierte<br />
<strong>System</strong>e sollten <strong>im</strong> Rahmen eines<br />
Förderprogramms entwickelt und den<br />
Krankenhäusern <strong>im</strong> Rahmen von In-<br />
Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin
vestitionsförderungsprogrammen zur<br />
Verfügung gestellt werden.<br />
Die Erhebung von pflegerischen <strong>Leistungen</strong><br />
mit dem TISS-10-Score ist pr<strong>im</strong>är<br />
aus Praktikabilitätsgründen eingeführt<br />
wordenund bildetdentatsächlichenpflegerischen<br />
und medizinischen Aufwand<br />
sehr unzureichend ab. Die <strong>Vergütung</strong>srelevanz<br />
von nicht evidenzbasierten<br />
Maßnahmen (z. B. Pulmonaliskatheter<br />
[31], Therapie mit multiplen Katecholaminen<br />
[34]) ist zudem anfechtbar.<br />
Aspekte zusätzlichen Aufwands, wie<br />
bei der Betreuung von isolierten Patienten<br />
mit multiresistenten Erregern,<br />
Delirpatienten und Patienten mit anderen<br />
neurologischen Problemen, werden<br />
ebenfalls nicht abgebildet [15, 23].<br />
Um den pflegerischen Aufwand bei<br />
Intensivpatienten besser darzustellen,<br />
sollten alternative Erfassungssysteme<br />
untersucht, miteinander verglichen und<br />
ggf. weiterentwickelt werden. In Österreich<br />
ist der sog. TISS-A, ein modifizierter<br />
TISS-28, <strong>im</strong> Einsatz [20]. In<br />
Deutschland verwenden eine Reihe von<br />
Kliniken das am Universitätsklinikum<br />
Heidelberg entwickelte INPULS-<strong>System</strong><br />
[42].<br />
Reform der <strong>Vergütung</strong><br />
intensivmedizinischer <strong>Leistungen</strong><br />
Auf der Basis dieser Daten sollte das<br />
INEK für jede der 3 Versorgungsstufen<br />
sowie für die Spezialversorger die<br />
Kosten einer Intensivbehandlung berechnen.<br />
Die direkten Personalkosten<br />
der Intensivstationen (Ärzte, Pflegekräfte,<br />
übriges Personal) sollten dabei<br />
gesondert aufgeschlüsselt werden. Dabei<br />
sind auch Kosten (einschließlich Ausfallzeiten)<br />
z. B. für Stationsleitungen, Fachweiterbildung,<br />
akademisch ausgebildete<br />
Intensivpflegekräfte und Praxisanleiter,<br />
Atmungstherapeuten sowie für benötigtes<br />
Personal für zusätzliche Aufgaben<br />
(z. B. Rean<strong>im</strong>ationsdienste) zu berücksichtigen.<br />
Für jede Versorgungsstufe<br />
könnten <strong>im</strong> Rahmen der Qualitätskriterien<br />
Personaluntergrenzen definiert<br />
werden, die <strong>im</strong> Durchschnitt nicht unterschritten<br />
werden sollten. Je nach<br />
Leistungsvolumen einer Intensivstation<br />
ist jedoch von einem deutlich höheren<br />
Personalbedarf auszugehen. Dabei ist<br />
auch zu berücksichtigen, dass speziell<br />
Intensivstationen, die eine hohe Anzahl<br />
von ungeplanten Notfällen versorgen,<br />
hier auch bislang nicht vergütete Vorhaltekosten<br />
zu tragen haben. In Österreich<br />
wird in einem gestuften <strong>System</strong> aus den<br />
Leistungsdaten einer Intensivstation ein<br />
Intensivtagespunktwert berechnet, der<br />
die fixen Pflegepersonalkosten einer Intensivstation<br />
bei Einhaltung der für diese<br />
Versorgungsstufe vereinbarten Personalvorgaben<br />
für Intensivbehandlungsplätze<br />
bzw. IMC-Betten abdecken soll [20]. Unterschreitet<br />
der Ist-Personalschlüssel der<br />
jeweiligen Intensivstation den Norm-<br />
Personalschlüssel, ist dies die Grundlage<br />
für entsprechende Gegenmaßnahmen.<br />
Die Kosten für den ärztlichen Dienst der<br />
Intensivstation sind <strong>im</strong> österreichischen<br />
<strong>System</strong> leider nicht abgebildet.<br />
» Für jede Versorgungsstufe<br />
könnten Personaluntergrenzen<br />
definiert werden<br />
Ein anderer Ansatz würde darin bestehen,die<strong>DRG</strong>füreineBehandlungauf<br />
der Intensivstation mit der für diese<br />
Versorgungsstufe festgelegten Personaluntergrenze<br />
zu kalkulieren und die<br />
darüber hinausgehenden Personalkosten<br />
durch einen Zuschlag zu finanzieren.<br />
Eine Alles-oder-nichts-Lösung wie bisher<br />
mit Aberkennung der kompletten<br />
intensivmedizinischen Komplexbehandlung<br />
bei Nichterfüllung eines Kriteriums<br />
gäbe es so nicht. Bei Personalmangel<br />
würden die nicht anfallenden Personalkosten<br />
entsprechend auch zu einer<br />
proportionalen Senkung der <strong>Vergütung</strong><br />
führen. Ein notwendiger Personalaufbau<br />
oder Investitionen in die Qualifikation<br />
der Mitarbeiter sollten dagegen zu einer<br />
proportionalen Anhebung der <strong>Vergütung</strong><br />
führen. Ein Krankenhaus könnte<br />
so aber auch nicht durch eine Min<strong>im</strong>ierung<br />
des Personalansatzes versuchen,<br />
den Gewinn zu max<strong>im</strong>ieren.<br />
Die Personalkosten von Intensivstationen<br />
würden somit ganz oder zumindest<br />
teilweise aus den klassischen <strong>DRG</strong><br />
herausgenommen, sodass die <strong>DRG</strong> pr<strong>im</strong>är<br />
den normalen Sachaufwand einer<br />
Intensivbehandlung bei der jeweiligen<br />
Erkrankung abdecken. Das <strong>System</strong> sollte<br />
Anreize min<strong>im</strong>ieren, einen Intensivaufenthalt<br />
über das notwendige Maß hinaus<br />
zu verlängern. Ebenfalls sollte kein<br />
Anreiz bestehen, ein vermeintlich besser<br />
vergütetes Verfahren (z. B. invasive Beatmung)<br />
anstelle eines in dieser Situation<br />
gleichwertigenwenigerinvasivenVerfahrens<br />
(z. B. High-flow-Sauerstofftherapie,<br />
nichtinvasive Beatmung) einzusetzen.<br />
Besonders teure intensivmedizinische<br />
Zusatzleistungen (z. B. extrakorporale<br />
Membranoxygenierung [ECMO],<br />
Blutgerinnungsfaktoren) sollten über<br />
Zusatzentgelte vergütet werden, die die<br />
angefallenen Sachkosten kostendeckend<br />
abdecken ohne wirtschaftliche Anreize<br />
für ihren Einsatz zu bieten. So sollten z. B.<br />
bei Gerinnungsfaktoren die <strong>Vergütung</strong><br />
nicht an verabreichte Mindestmengen<br />
gekoppelt sein und die tatsächlichen<br />
Kosten ersetzt werden. Betreibt eine<br />
Intensivstation einen besonders großen<br />
apparativen Aufwand (z. B. offizielles<br />
ECMO-Zentrum), muss das für diese<br />
Hochleistungsmedizin notwendige und<br />
zusätzlich ausgebildete Personal in die<br />
Berechnung der Soll-Personalausstattung<br />
für diese Station einfließen und<br />
über diesen Weg vergütet werden.<br />
» Besonders teure intensivmedizinische<br />
Zusatzleistungen<br />
sollten über Zusatzentgelte<br />
vergütet werden<br />
Insgesamt sollte bei Einführung eines<br />
solchen <strong>System</strong>s die Notwendigkeit von<br />
Einzelfallprüfungen durch den MDK<br />
deutlich reduziert werden. Stattdessen<br />
sollte der MDK die jährlichen einzureichenden<br />
Struktur-, Leistungs-, Personalund<br />
Qualitätsdaten (s. oben) einsehen<br />
und überprüfen können. Weichen die<br />
hier errechneten Werte bzw. die sonstigen<br />
vorgelegten Daten deutlich von<br />
den Standardwerten ab, könnte auf Veranlassung<br />
des MDK, aber auch des<br />
Krankenhauses oder der zuständigen<br />
Landesgesundheitsbehörde ein standardisiertes<br />
Audit auf der Intensivstation<br />
nach dem Vorbild des Peer-Reviews der<br />
Landärztekammern und der DIVI beantragt<br />
werden [11]. Das Auditgremium<br />
sollte z. B. aus einem erfahrenen Inten-<br />
Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin
Leitthema<br />
sivmediziner, einem Vertreten der Intensivpflege,<br />
einem Vertreter des MDK,<br />
einem Vertreter der Krankenhäuser<br />
(z. B. Landeskrankenhausgesellschaft)<br />
und einem Vertreter der Landesgesundheitsbehörde<br />
bestehen. Ziel sollte es sein,<br />
unter Berücksichtigung der konkreten<br />
Versorgungssituation die Intensivstation<br />
z. B. <strong>im</strong> Hinblick auf ihre Bettenzahl<br />
und ihre Personalbesetzung angemessen<br />
einzuschätzen. Sollten bei diesem Audit<br />
Struktur-, Personal- oder Qualitätsprobleme<br />
<strong>im</strong> Austausch mit den Vertretern<br />
der jeweiligen Klinik deutlich werden,<br />
müssen daraus Maßnahmen zur Lösung<br />
dieser Probleme entwickelt werden und<br />
ggf. ein Reaudit erfolgen.<br />
Maßnahmen zur Personalförderung<br />
Viele Intensivstationen in Deutschland,<br />
speziellauchbeidenMax<strong>im</strong>alversorgern,<br />
können unter den derzeit gegebenen Bedingungen<br />
ihren Personalbedarf nicht<br />
mehr decken. Für viele Ärzte und Pflegekräfte<br />
ist die oft äußerst anstrengende<br />
Betreuung schwerstkranker Patienten<br />
<strong>im</strong> Schichtdienst, an Wochenenden und<br />
Feiertagen weniger attraktiv als andere<br />
Tätigkeiten in- oder außerhalb des<br />
Gesundheitssystems. Angesichts der demographischen<br />
Entwicklung bei den<br />
Patienten, aber auch be<strong>im</strong> Krankenhauspersonal<br />
ist hier in Zukunft noch<br />
mit einer erheblichen Verschärfung des<br />
Problems zu rechnen. Daher ist es unumgänglich,<br />
dass eine für die qualitativ<br />
hochwertige und kosteneffektive intensivmedizinische<br />
Versorgung notwendige<br />
Personalausstattung an den dafür vorgesehenen<br />
Kliniken auch gedeckt werden<br />
kann.<br />
Folgende Maßnahmen sollten beispielhaft<br />
erwogen werden:<br />
4 Verbesserung der <strong>Vergütung</strong> von<br />
Schicht-, Wochenend-, Nacht- und<br />
Feiertagsdiensten auf der Intensivstation;<br />
4 flexible und attraktive Arbeitszeitmodelle;<br />
4 Förderung und Steigerung der Attraktivität<br />
der Fachweiterbildung Anästhesie-<br />
und Intensivpflege inklusive<br />
Verbesserung der <strong>Vergütung</strong>sanreize;<br />
4 Einführung eines Masterstudiengangs<br />
Critical Care für Pflegekräfte;<br />
4 Förderung der Zusatzweiterbildung<br />
und ggf. auch eines Schwerpunkts<br />
Intensivmedizin und Einrichtung<br />
vonLeitungspositionenfürIntensivmediziner<br />
[36].<br />
Fazit für die Praxis<br />
4 Für die medizinische Daseinsvorsorge<br />
der Bevölkerung notwendige Krankenhäuser<br />
müssen von dem Druck<br />
entlastet werden, hohe Kosten oder<br />
sogar Defizite in der Intensivmedizin<br />
und in der übrigen Notfallversorgung<br />
durch eine ständige Leitungssteigerung<br />
bzw. durch Personalabbau zu<br />
kompensieren.<br />
4 Es sind Versorgungsstrukturen in<br />
der Intensivmedizin vorzuhalten, die<br />
mit dem zur Verfügung stehenden<br />
Personal ihren Versorgungsauftrag<br />
möglichst gut und angemessen<br />
ausüben können.<br />
4 Es muss auch über den opt<strong>im</strong>alen<br />
Einsatz bzw. die Grenzen der Intensivmedizin<br />
offen diskutiert werden<br />
ebenso wie über die notwendigen Kapazitäten<br />
<strong>im</strong> Kontext der jeweiligen<br />
Krankenhausstruktur <strong>im</strong> Einzugsgebiet<br />
[14]. Es müssen Maßnahmen<br />
ergriffen werden, den medizinisch<br />
begründbaren Personalbedarf wirklich<br />
zu decken.<br />
4 Das <strong>DRG</strong>-<strong>System</strong> in Deutschland sollte<br />
14 Jahre nach seiner Einführung in<br />
seinen Auswirkungen auf die Intensivmedizin<br />
grundsätzlich evaluiert<br />
und neu ausgerichtet werden.<br />
Korrespondenzadresse<br />
Prof. Dr. R. Riessen<br />
Internistische Intensivstation, Department für<br />
Innere Medizin, Universitätsklinikum Tübingen<br />
Otfried-Müller-Str. 10, 72076 Tübingen,<br />
Deutschland<br />
re<strong>im</strong>er.riessen@med.uni-tuebingen.de<br />
Danksagung. Die Autoren danken Herrn Prof. Dr.<br />
Wolfgang Hartl für seine Kommentare und Anregungen.<br />
Einhaltung ethischer Richtlinien<br />
Interessenkonflikt. R. Riessen, C. Hermes, K.-F. Bodmann,<br />
U. Janssens und A. Markewitz geben an, dass<br />
kein Interessenkonflikt besteht.<br />
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren<br />
durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.<br />
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