Ikonen der Kriegs- und Krisenfotografie - Mediaculture online
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Die Gebärde des Entsetzens <strong>und</strong> <strong>der</strong> Trauer zeigt sich auch in <strong>der</strong> zur Ikone geronnenen<br />
Aufnahme von 1970 des damaligen Fotografiestudenten John Paul Filo. Bei einer<br />
Antikriegsdemonstration in den USA, in Kent State, kam es zu Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />
zwischen Studenten <strong>und</strong> Polizei. Dabei wurden mehrere Demonstranten erschossen. Filo<br />
fotografierte die junge Frau, die sich neben einer <strong>der</strong> Toten gekniet hatte <strong>und</strong> entsetzt<br />
schreit. Er erhielt 1971 den Pulitzer-Preis für diese Aufnahme (vgl. ZEITBILDER 2000:<br />
92f.). Auch Nick Uts Aufnahme eines vor dem Napalm-Bombenangriff fliehenden<br />
Mädchens von 1972 drückt das Entsetzen in <strong>der</strong> Gebärde aus (vgl. HELLMOND 1999;<br />
PAUL 2005). Die Aufnahme vom 8. Juni 1972 erschien schon am nächsten Tag auf dem<br />
Titel <strong>der</strong> New York Times <strong>und</strong> Ut erhielt dafür 1973 den Pulitzer-Preis (vgl. ZEITBILDER<br />
2000:102f.).<br />
Diese Aktualisierung von Pathosformeln lässt sich auch als Form <strong>der</strong> Entzeitlichung<br />
bezeichnen, die Bil<strong>der</strong> bleiben nur noch als Symbole für das Leid, das Elend, den<br />
Schmerz von Kriegen <strong>und</strong> Konflikten in Erinnerung. Die Emotionalität schlägt sich in<br />
kollektiv verankerten <strong>und</strong> daher lesbaren Gesten von emotionaler Intensität nie<strong>der</strong> - das<br />
Motiv sowie dessen Bedeutung sind im Bildgedächtnis gespeichert <strong>und</strong> werden vom<br />
Betrachter wie<strong>der</strong>erkannt. Die Inszenierung o<strong>der</strong> Reduktion auf intermedial generierte <strong>und</strong><br />
sinngenerierende Posen scheinen als conditio sine qua non eine entscheidende Rolle zu<br />
spielen. Dem gegenüber stehen die ästhetischen Strategien <strong>der</strong> Verzeitlichung, die als<br />
letzter Punkt behandelt werden.<br />
5.4 Bildästhetik <strong>und</strong> Strategien <strong>der</strong> Verzeitlichung: Der entscheidende<br />
Augenblick<br />
Die Kritik an Bil<strong>der</strong>n wird häufig damit begründet, dass sie lediglich Aufnahmen eines<br />
Augenblicks darstellten, somit nie in <strong>der</strong> Lage seien, Zusammenhänge diskursiv<br />
herzustellen. Der Fotojournalismus hat selbst den Mythos des entscheidenden<br />
Augenblicks 16 hervorgebracht, <strong>der</strong> als professioneller Anspruch die Aufnahme eines<br />
zentralen Handlungsmoments des Gesamtereignisses beschreiben soll.<br />
16 Der Begriff wurde von Henri Cartier-Bresson geprägt <strong>und</strong> hat sich zu einem Topos des Fotojournalismus<br />
entwickelt (vgl. CARTIER-BRESSON 1983).<br />
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