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Komplett. Das Sauerlandmagazin. Zwischen Volme und Lister. Ausgabe Winter 2017/2018

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sich aufgr<strong>und</strong> ihres Dienstgrades immer noch als Vorgesetzte<br />

aufspielen mussten. Wir wurden gut verpflegt. Es<br />

gab sogar ein kleines Taschengeld. Davon habe ich meine<br />

erste Coca Cola gekauft. Ich hatte also ein durchaus<br />

besseres Leben als meine Mutter <strong>und</strong> Schwester in der<br />

Heimat in Lüdenscheid“, so Gräwe, dessen Vater schon<br />

1940 im Kriegseinsatz gefallen war.<br />

Unterricht in Englisch, Französisch <strong>und</strong><br />

Spanisch<br />

Mit der Queen Mary gen Amerika<br />

Schon bald stellt der 18-jährige Panzergrenadier aus<br />

dem Sauerland fest: „Glücklicher hätte es mich nicht treffen<br />

können!“ Von Caen aus waren die deutschen Kriegsgefangenen<br />

nach Southampton auf die britische Insel<br />

gebracht worden. Doch das ist nur <strong>Zwischen</strong>station für<br />

eine deutlich weitere Reise: Mit dem zum Truppentransporter<br />

umgebauten Ozeanriesen, der Queen Mary, geht<br />

es gen Amerika. <strong>Das</strong> ist beileibe keine Ferienreise, aber<br />

die Verhältnisse sind für die deutschen Soldaten viel besser<br />

als sie es erhoffen durften. Untergebracht in 6-Mann-<br />

Kabinen, „durchaus komfortabel, dazu gutes <strong>und</strong> reichliches<br />

Essen, das uns auf Blechtellern serviert wurde, ein<br />

absoluter Kontrast zu dem schrecklichen Erleben noch<br />

wenige Wochen zuvor an der Invasionsfront“, erinnert<br />

sich Günter Gräwe. Nach der Ozeanüberquerung wird<br />

man mit der Bahn von Maine an der Ostküste aus quer<br />

durch die Weiten der Vereinigten Staaten bis nach Fort<br />

Lewis im B<strong>und</strong>esstaat Washington transportiert. Es ist einer<br />

von insgesamt r<strong>und</strong> 500 Orten, an denen die Amerikaner<br />

in eingezäunten Camps bis zu 400.000 Kriegsgefangene<br />

festhalten.<br />

In Fort Lewis sind es r<strong>und</strong> 6.000 deutsche Soldaten, zu<br />

denen auch Günter Gräwe gehört. Schnell gewöhnt er<br />

sich an das straff durchorganisierte Lagerleben. Die amerikanischen<br />

Bewacher, fördern es, dass die internen Abläufe<br />

von den Deutschen selbst geregelt werden. „So<br />

hatten wir einen deutschen Lagerleiter, übrigens einen<br />

Oberfeldwebel, der aus Altena stammte“, berichtet<br />

Gräwe. Die Kriegsgefangenen werden von den Amerikanern<br />

gut <strong>und</strong> respektvoll behandelt. „Ich hatte nie etwas<br />

zu bemängeln. Kein amerikanischer Aufseher bedachte<br />

uns jemals mit Schimpfnamen oder schrie uns an – ganz<br />

im Gegensatz übrigens zu deutschen Mitgefangenen, die<br />

Günter Gräwe nutzt die Möglichkeiten, die ihm das Lagerleben<br />

bietet. Unter den Mitgefangenen gibt es auch<br />

etliche Pädagogen, die Unterricht in verschiedensten Fächern<br />

anbieten. Günter Gräwe, der nach eigener Einschätzung<br />

nie ein besonders strebsamer Schüler gewesen<br />

war, entwickelt nun einen besonderen Ehrgeiz. „Ich<br />

hatte erkannt, dass die Kenntnis von Fremdsprachen<br />

viele Möglichkeiten eröffnet.“ Er lässt sich in Englisch,<br />

Französisch <strong>und</strong> Spanisch unterrichten. Schon bald kann<br />

er sich fließend mit den Bewachern unterhalten – was<br />

ihm sogar vorübergehend die bevorzugte Anstellung als<br />

Hilfskraft in der Lager-Apotheke einbringt.<br />

Seine im Gefangenenlager erworbenen Fremdsprachenkenntnisse<br />

sollten sich nach dem Krieg <strong>und</strong> der Rückkehr<br />

in die Heimat noch besonders auszahlen. Gräwe<br />

übernahm nach Beendigung der kaufmännischen Lehre<br />

eine leitende Stelle im Export einer Lüdenscheider Firma,<br />

machte sich dann 1970 mit einem Importunternehmen<br />

für den Handel mit Haushaltswaren selbstständig.<br />

Der Umgang mit den Lieferanten in Asien fiel ihm dank<br />

seiner erworbenen Kenntnisse aus der Zeit im amerikanischen<br />

Gefangenenlager immer leicht. Gräwe baute<br />

ein gut florierendes Handelsunternehmen auf, das inzwischen<br />

von seinen beiden Söhnen weitergeführt wird.<br />

Im Laufe der Jahrzehnte reiste Gräwe mehrmals in die<br />

USA. Doch erst als seine Frau im Mai 2016 starb, fasste<br />

er den Entschluss, nunmehr schon hoch betagt, noch<br />

einmal an den Ort seiner Kriegsgefangenschaft zurückzukehren.<br />

Bei Internetrecherchen war er in Kontakt mit<br />

einer Organisation gekommen, die die Geschichte des<br />

Staates Washington für eine Enzyklopädie erforscht hat.<br />

Über diese Quelle konnte Gräwe in Erfahrung bringen,<br />

was aus dem einstigen Lager Fort Lewis geworden ist.<br />

Es ist in den Gr<strong>und</strong>zügen noch erhalten, dient heute als<br />

militärische Ausbildungsstätte für Hubschrauberbesatzungen.<br />

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