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<strong>Fachtagung</strong> »Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?«<br />

Projekt »Gender Mainstreaming<br />

im Europäischen Sozialfonds«<br />

(GeM – ESF – BW)<br />

2. <strong>Fachtagung</strong><br />

» Gender Mainstreaming im ESF in Baden-Württemberg:<br />

Ausgangsbedingunen und Handlungsbedarf«<br />

2.6.05 in Stuttgart<br />

..


<strong>Fachtagung</strong> »Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?«<br />

Inhalt<br />

Fachvorträge<br />

Perspektivenwechsel im Verwaltungshandeln -<br />

zur Implementierung von Gender Mainstreaming<br />

in der Landesverwaltung Baden-Württemberg 5<br />

Dr. Diemer<br />

„… die Situation und Bedürfnisse von Frauen und<br />

Männern berücksichtigen …“ – was heißt das eigentlich?<br />

Stolpersteine und Widersprüche bei der Umsetzung von GeM 15<br />

Dr. Anne Rösgen<br />

Die Krise der Kerle.<br />

Männliche Lebensorientierung und<br />

der Wandel der Arbeitsgesellschaft 25<br />

Dr. Thomas Gesterkamp<br />

Wie kann eine Analyse des regionalen Arbeitsmarktes<br />

und geschlechtersensible Ermittlung von Zielgruppen gelingen? 33<br />

Dr. René Leicht<br />

Gesprächskreise (Protokolle)<br />

1. Merkwürdige Frauen und geschlechtslose Männer!?<br />

Wie kann der ESF alte geschlechtsspezifische<br />

Muster aufbrechen? 43<br />

2. Krise der Kerle - wie geht der ESF damit um? 45<br />

3. Warum der regionale Arbeits- und Beschäftigungsmarkt<br />

geschlechtsspezifisch analysiert werden muss und Statistik<br />

allein nicht ausreicht 47<br />

4. Mainstreaming Gender: Was kann der Mainstream aus<br />

den Frauenförderungsprojekten (Politikbereich E) lernen? 49<br />

ReferentInnen und ModeratorInnen 51<br />

..


<strong>Fachtagung</strong> »Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?«<br />

Perspektivenwechsel im Verwaltungshandeln –<br />

zur Implementierung von Gender Mainstreaming in der Landesverwaltung<br />

Baden-Württemberg<br />

Redemanuskript zur <strong>Fachtagung</strong> „Der Europäische Sozialfonds – nur ein<br />

Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?“<br />

am 2.6.05 in Stuttgart<br />

Dr. Susanne Diemer<br />

Referat Chancengleichheit für Frauen und Männer<br />

MINISTERIUM FÜR ARBEIT UND SOZIALES<br />

BADEN-WÜRTTEMBERG<br />

..


Perspektivenwechsel im Verwaltungshandeln<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?”<br />

Zur Implementierung von Gender Mainstreaming in der Landesverwaltung<br />

Baden-Württemberg<br />

Meine Aufgabe sehe ich heute darin, Ihnen als ESF-Kompetenzträgern und –trägerinnen<br />

Einblick zu geben in die Implementierungsprozesse von Gender Mainstreaming in der<br />

Landesverwaltung. Gleich vorweg: Ich möchte die mir zur Verfügung stehende Zeit nicht<br />

nutzen, um Ihnen eine komplette Auflistung aller Aktivitäten zu geben. Eine Auflistung<br />

können Sie nachlesen auf der Homepage des Ministeriums für Arbeit und Soziales. Dort<br />

finden Sie den Bericht über die 1. Phase der Umsetzung von Gender Mainstreaming in der<br />

Landesverwaltung.<br />

Einblick geben möchte ich vielmehr dahingehend, in welche Diskussionskontexte wir<br />

Gender Mainstreaming stellen könnten und sollten, welche Standortbestimmung wir vorzunehmen<br />

haben und welche Herausforderungen im Implementierungsprozess derzeit zu<br />

erkennen sind.<br />

Erwarten Sie also bitte eher einen Werkstatt- als einen Rechenschaftsbericht von mir.<br />

Die 1. These meines Werkstattberichtes lautet:<br />

Die konsequente Implementierung von Gender Mainstreaming kann für die<br />

Verwaltung nach Innen und das Verwaltungshandeln nach Außen ein hohes<br />

Innovationspotenzial entwickeln.<br />

Zur Ausgangslage:<br />

Die Verwaltung steht derzeit vor immensen Umbruchprozessen. Die Rahmenbedingungen<br />

für Verwaltungshandeln sind unumkehrbar in Bewegung geraten und oft sind es Konfliktstrukturen,<br />

unter denen Verwaltungshandeln stattfindet.<br />

Einige Beispiele:<br />

Verwaltungshandeln soll nachhaltig sein, gleichzeitig sind die gesellschaftlichen Pro-zesse<br />

und Lebenslagen, auf die Verwaltungshandeln eingehen soll und muss, in ei-nem ständigen<br />

Fluss. Komplexe gesellschaftliche Problemlagen erfordern aber auch einen komplexen Zugang<br />

durch Politik und Verwaltung.<br />

Weniger und qualitativ hochwertigere Richtlinien, Verordnungen und Gesetze sollen erlassen<br />

werden, gleichzeitig gab es historisch gesehen, wie Böhret (2005) aufzeigt, noch nie so<br />

viele Regelungsbereiche und Regelungsbedarfe.<br />

Die Verwaltung soll die Balance finden zwischen den Maßgaben der Politik und der gebotenen<br />

Fachlichkeit eines Themas.<br />

Der Erwartungsdruck der Bevölkerung an die Verwaltung im Bezug auf Nachvollzieh-barkeit<br />

und Transparenz nimmt legitimer Weise zu, gleichzeitig müssen immer mehr supranationale<br />

Anforderungen, etwa durch die EU, und Erfordernisse durch globale Prozesse<br />

beachtet werden, die selbst häufig der Transparenz und Nachvollziehbar-keit entbehren.<br />

Diese kurzen Andeutungen struktureller Umbrüche ließen sich fortsetzen, Sie alle kennen<br />

Beispiele. Sie wissen auch aus eigener Erfahrung, dass auf allen Verwal-tungsebenen und<br />

innerhalb von Institutionen seit geraumer Zeit mehr oder weniger systematisch nach angemessenen<br />

Antworten auf die Erfordernisse an eine moderne Verwaltung gesucht wird. Eine<br />

geradezu blühende Landschaft von Reformkonzepten und Innovationsmodellen überflutet<br />

die Verwaltung derzeit.<br />

Heute heißt das Zaubermittel Qualitätsmanagement, morgen BSC, es wird mit NSI operiert<br />

mit Rotationsmodellen und Wertanalysen, die Verwaltungsreform wird derzeit umgesetzt<br />

..<br />

Dr. Susanne Diemer<br />

Sozialministerium BW


Dr. Susanne Diemer<br />

..<br />

Perspektivenwechsel im Verwaltungshandeln<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?”<br />

(und bindet Ressourcen), man macht Anleihen bei der freien Wirtschaft, der Systemtheorie<br />

usw.<br />

In dieser fast krisenhaften Situation kommt jetzt „auch noch“ Gender Mainstreaming daher<br />

– von Vielen in der Verwaltung wahrgenommen als zusätzliche und mithin exotische<br />

Stilblüte im Gerangel der Reform- und Organisationsentwicklungskonzepte.<br />

Die Gefahr ist groß, dass das Innovationspotenzial, das Gender Mainstreaming für Verwaltungshandeln<br />

nach Innen und Außen hat, nicht angemessen in den Blick gerät.<br />

Der von mir nur sehr grob skizzierte Situationsbericht aus der Verwaltung erfordert – und<br />

das verbindet meines Erachtens viele Innovationskonzepte - einen Perspektivenwechsel.<br />

Mit Perspektivenwechsel meine ich, dass die Akteure und Akteurinnen erstens ihren Blick<br />

konsequent und systematisch auf die „Endverbraucher“ und „Endverbraucherinnen“ ihres<br />

Handelns zu richten und zweitens das Prozesshafte des eigenen Handelns anzuerkennen<br />

haben.<br />

Neben der Implementierung anderer Reformkonzepte hat der Ministerrat des Landes Baden-<br />

Württemberg 2002 beschlossen, Gender Mainstreaming in der gesamten Landesverwaltung<br />

umzusetzen. Die Verantwortung liegt bei den jeweiligen Ressorts, die Geschäftsführung<br />

beim Ministerium für Arbeit und Soziales.<br />

Wie sehen nun die Argumente aus, mit denen wir dafür werben, dass<br />

Gender Mainstreaming als soziale Folgenabschätzung administrativen Handelns besonders<br />

geeignet ist, den genannten Perspektivenwechsel in Gang zu setzen?<br />

• Gender Mainstreaming erfordert einen analytischen Blick auf das eigene Han-deln.<br />

• Gender Mainstreaming erfordert eine Kontextualisierung des Verwaltungshan-delns,<br />

kann also möglichen Blickverengungen entgegensteuern.<br />

• Gender Mainstreaming setzt, wie m. E. jedes brauchbare Organisationsentwicklungskonzept,<br />

auf der Handlungsebene an.<br />

• Gender Mainstreaming setzt Zieldefinitionen voraus.<br />

• Gender Mainstreaming erfordert selbstreflexive Prozesse.<br />

• Gender Mainstreaming bezieht sich auf alle Handlungsebenen (und nicht wie die derzeitig<br />

heftig debattierte Gesetzesfolgenabschätzung lediglich auf Gesetzesvorhaben).<br />

Soweit zum Innovationspotenzial von Gender Mainstreaming für die Landesverwaltung.<br />

Sie haben sicher genau hingehört, meine erste These lautete: Gender Mainstreaming kann<br />

für die Verwaltung und das Verwaltungshandeln ein hohes Innovationspotenzial entwickeln.<br />

Ob sich dieses Innovationspotenzial auch gebührend entwickelt, wäre also die<br />

nächste Frage.<br />

Meine zweite These lautet:<br />

In Baden-Württemberg sind die Fundamente für diesen Innovationsprozess<br />

auf der organisatorischen Ebene gelegt.<br />

Handlungsleitend für die Implementierung einer Organisationsstruktur in der Verwal-tung<br />

war die Überlegung, dass Verantwortlichkeiten sowohl auf der Funktionsebene der Entscheidungsträger<br />

und -trägerinnen als auch auf der Arbeitsebene zu schaffen sind und dass<br />

externes Fachwissen hilfreich ist.<br />

So gibt es in der Landesverwaltung eine Lenkungsgruppe als strategisches Gremium, in<br />

dem Führungskräfte aller Ressorts vertreten sind.<br />

In einer Projektgruppe, die ebenfalls Vertreterinnen bzw. Vertreter aller Ressorts umfasst,<br />

wird konzeptionell gearbeitet und innerhalb der Ressorts wirken Multiplikatoren und<br />

Multiplikatorinnen als Kompetenzträger / -innen an der konkreten Umsetzung mit. Zwischenzeitlich<br />

wurden auch in den vier Regierungspräsidien je drei Multiplika-torinnen bzw.<br />

Multiplikatoren von den Regierungspräsidenten und der Regierungspräsidentin benannt.


Perspektivenwechsel im Verwaltungshandeln<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?” Dr. Susanne Diemer<br />

Für alle diese Verantwortlichen fanden Workshops bzw. einschlägige Veranstaltungen statt,<br />

allerdings sehen wir, dass es hier noch Bedarfe gibt, auf die wir als Geschäftsführendes<br />

Ministerium auch eingehen werden.<br />

Begleitend wirkt ein externer Fachbeirat an der Implementierung von Gender Mainstreaming<br />

mit. Um einer Frage vorweg zu greifen: Bis auf den Fachbeirat, in dem keine<br />

Männer mitwirken, können wir auf ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis in den Gremien<br />

blicken.<br />

Die gewählte Struktur aus Lenkungs-, Projektgruppe sowie Multiplikator(inn)en verdeutlicht<br />

auch, dass den Ressorts die eigenverantwortliche Umsetzung von Gender Mainstreaming<br />

obliegt und gleichzeitig Synergieeffekte durch regelmäßigen Erfahrungsaustausch gewährleistet<br />

werden sollen. Dies erfordert ein hohes Maß an Kommunikation und Organisation.<br />

In dem o.g. Bericht über die 1. Phase ist zu lesen, dass sich diese Organisationsstruktur<br />

bewährt hat und dieser Auffassung bin ich tatsächlich:<br />

Gerade weil Gender Mainstreaming als Top-Down-Ansatz realisiert werden soll, brauchen<br />

Sie innerinstitutionell eine flächige Struktur und möglichst auf allen Hierarchieebenen<br />

Kompetenzträgerinnen und –träger. Derzeit wollen wir für die Mitglieder der Projektgruppe<br />

und die Multiplikatoren und Multiplikatorinnen ein „Train-the-Trainer“ – Modul anbieten,<br />

um diese Personen in Stand zu setzen, in allen Ressorts fachspezifische Workshops anzubieten.<br />

Der ressortspezifische und gleichzeitig res-sortübergreifende Ansatz ist deshalb<br />

wichtig, weil die Akzeptanz von Gender Mainstreaming erst dann überhaupt erkennbar<br />

wird, so meine Erfahrung, wenn in den Workshops ein hohes Maß an Fachkompetenz zum<br />

Tragen kommt.<br />

Auf der organisatorischen Ebene neu ist, dass wir gemeinsam mit Vertreterinnen der kommunalen<br />

Verbände in einer Arbeitsgruppe Anregungen für die Umsetzung von Gender<br />

Mainstreaming in den Kommunen in Baden-Württemberg vorbereiten.<br />

Dies ist ein noch junges Projekt, mit dem versucht werden soll, der wachsenden Bedeutung<br />

der Kommunen – auch im Zuge des Verwaltungsstrukturreformgesetzes - gerecht zu werden.<br />

Die Arbeitsgruppe stützt sich dabei auf die positiven Beispiele, die es in den Stadt- und<br />

Landkreisen zum Thema bereits gibt (vgl. Deutscher Städtetag 2003). Gender Mainstreaming<br />

wird dabei als kommunaler Standortvorteil verstanden.<br />

Hier sehe ich konkrete Anknüpfungspunkte für eine Kooperation, weil in den Kommunen in<br />

den ESF-Projekten die Genderkompetenz gebündelt vorhanden ist. Ich würde mich freuen,<br />

wenn wir darüber ins Gespräch kommen.<br />

Organisatorisch steht die Landesverwaltung also gut da.<br />

Dass die Organisationsstruktur zwar die halbe, aber eben nur die halbe Miete ist, wis-sen<br />

Sie. Und ich komme bei meinem Werkstattbericht nun zum dem Teil, bei dem wir zwar auf<br />

gutem Weg sind, aber eben doch erst in den Anfängen.<br />

Meine dritte These lautet:<br />

Die gebotene Nachhaltigkeit entwickelt sich jedoch erst dann, wenn alle<br />

Akteure und Akteurinnen auf der strategischen, operativen und konzeptionellen<br />

Ebene die methodischen Anforderungen von Gender Mainstreaming<br />

in Verwaltungspraxis transferieren. Maßgeblich ist zudem die Verknüpfung<br />

von Gender Mainstreaming mit anderen Reform- und Innovationsprozessen.<br />

Die oben genannten Akteure und Akteurinnen unseres differenzierten Netzes von Zuständigen<br />

agieren in den Ressorts sehr unterschiedlich. Deutlich ist, dass dort, wo die Amtsspitzen<br />

das Konzept unterstützen, den Worten auch Taten folgen. Allerdings muss kritisch<br />

festgehalten werden, dass dieser Prozess erst nach mühsamer Arbeit meiner Kolleginnen<br />

und Kollegen in den Ressorts eine gewisse Dynamik entwickelt. Eine der größten Gefahren<br />

..


Dr. Susanne Diemer<br />

0 ..<br />

Perspektivenwechsel im Verwaltungshandeln<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?”<br />

sehe ich darin, dass Nachhaltigkeit und Kontinuität keine Kategorien sind, die mit Gender<br />

Mainstreaming in Verbindung gebracht werden. So gibt es immer noch die Auffassung,<br />

eine allgemeine Info im internen Netz für die Mit-arbeiterinnen wäre ausreichend oder das<br />

Maximum sei die Mitarbeit in den genann-ten Gremien. Hier müssen wir noch deutlicher<br />

kommunizieren, dass verbale Willensbekundungen nicht genügen, sondern dass es um methodisches<br />

Know-How, Kontinuität und Nachhaltigkeit geht.<br />

Anwendungserfahrungen sind zwischenzeitlich vorhanden, aber sie sind faktisch noch<br />

eher singulär.<br />

Einige Beispiele:<br />

• Das ehemalige Landesinstitut für Erziehung und Unterricht hat im Auftrag des Ministeriums<br />

für Kultus, Jugend und Sport ein Modellprojekt Gender Mainstreaming in<br />

der Leseförderung durchgeführt. Ausgangspunkt waren die geschlechterdifferenten<br />

Ergebnisse der PISA - Studie im Bezug auf das Leseverhalten. Im Rahmen des Projektes<br />

wurden konkrete Maßnahmen und Qualitätsstandards für die Umsetzung von<br />

Gender Mainstreaming für den Gesamtkontext Schule und schulische Bildung erarbeitet.<br />

• Das Justizministerium ist mit dem Modellprojekt „Integration des Gendergedankens<br />

in fachliche Standards der Bewährungshilfe und der Führungsaufsicht“ an der<br />

Einführung von Gender Mainstreaming in der Landesverwaltung beteiligt. Auf der<br />

Basis einer analytischen Betrachtung der Geschlechtsspezifiken in der Bewährungshilfe<br />

wurde ein Passus in die Präambel der Richtlinien für das Bewährungshilfeverfahren<br />

und die Führungsaufsicht aufgenommen, demgemäß die Richtlinien das Ziel<br />

verfolgen, durch eine geschlechts- und sozialisationsspezifische Betrachtungsweise<br />

der Hilfe- und Betreuungsangebote der Bewährungshilfe die Chancengleichheit von<br />

männlichen und weiblichen Probanden der Bewährungshilfe zu fördern (Gender<br />

Mainstreaming) sowie dies in die Arbeit mit den Proband/inn/en zu integrieren.<br />

• Das Sozialministerium hat im Rahmen des Modellprojektes „Medienoffensive in der<br />

Jugendhilfe“ einen Schwerpunkt auf geschlechterspezifisches bzw. geschlechterdifferentes<br />

Medienverhalten gelegt und den Aspekt „Jungen, Mädchen und Koedukation“<br />

in die Schulungsinhalte der Medienpädagogischen Qualifizierungen gelegt.<br />

• Das Sozialministerium arbeitet zusammen mit dem Staatsministerium an einem Projekt<br />

„Gender Mainstreaming in Förderprogrammen“. Als konkretes Anwendungsfeld<br />

des Gender Mainstreamings sind Förderprogramme geeignet. Da Konsens bestand,<br />

nur neue Förderprogramme einzubeziehen, wurde Kontakt zur Landesstiftung aufgenommen<br />

mit dem Ziel, in Ausschreibungen von Förderprojekten Gender Mainstreaming<br />

als Fördervoraussetzung zu verankern.<br />

• Das Innenministerium hat das Modellprojekt „Gender Mainstreaming in der Vorschriftenanordnung“<br />

durchgeführt. Die Vorschriftenanordnung fasst die bisher in<br />

verschiedenen Verwaltungsvorschriften enthaltenen Regelungen zusammen. Zusätzlich<br />

wurde eine Regelungsfolgenabschätzung eingeführt. Dazu gehört auch die<br />

Prüfung der Auswirkung von Regelungsvorhaben auf die Lebenssituationen von<br />

Frauen und Männern. Die Ergebnisse der Prüfung sollen in einer für Entscheidungsträger<br />

nach-vollziehbaren, standardisierten und einfachen Form dargelegt werden.<br />

Hierfür enthält die Vorschriftenanordnung eine Anlage mit verschiedenen Prüffragen.<br />

Soweit Regelungsvorhaben dem Ministerrat vorzulegen sind, sind die gleichstellungspolitischen<br />

Auswirkungen auch in der Kabinettsvorlage darzulegen. Auch der<br />

Normenprüfungs-ausschuss wird künftig verstärkt darauf achten, dass dem Gender<br />

Mainstreaming Rechnung getragen wird.<br />

• Anlässlich der Novellierung der Landeshochschulgesetze wurde Gender Mainstreaming<br />

(Chancengleichheit als Leitprinzip) als Aufgabe der Hochschulen gesetzlich<br />

verankert.<br />

Alle Ressorts sind derzeit im Diskussionsprozess um weitere Anwendungsfelder. Wir bereiten<br />

dazu gerade mit einem Institut ein Arbeitsplatzbegleitprojekt vor, mit dem mögliche<br />

Anwendungsprojekte am Arbeitsplatz selbst professionell eruiert, initiiert und begleitet<br />

werden können.<br />

Wichtig ist uns dabei, dass wir von Modell- zu Anwendungsprojekten kommen, die verstetigt<br />

werden. Die Ressorts müssen sich verabschieden von der Fehlinterpretation, ein


Perspektivenwechsel im Verwaltungshandeln<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?” Dr. Susanne Diemer<br />

Modellprojekt zu Gender Mainstreaming genüge der Pflicht zur systematischen Implementierung.<br />

Alle, die sich mit Gender Mainstreaming in der Umsetzungspraxis befassen, wissen, dass<br />

so einfach und harmlos die einschlägigen Leitfragen für die Umsetzung auch klingen mögen,<br />

so komplex und schwierig die konkrete Operationalisierung ist. Da tun sich plötzlich<br />

Welten auf bei der Zieldefinition, da fehlen die nötigen Daten, da werden Fachdiskussionen<br />

überlagert von Verteilungskonflikten, nicht zuletzt provoziert Gender Mainstreaming geradezu<br />

aufmüpfig Fragen nach der Qualität dessen, was wir bisher getan haben und wir sehen<br />

vor lauter blinden Flecken nur noch schwarz.<br />

Die Umsetzung von Gender Mainstreaming braucht den Mut, Fragen zuzulassen, Diskussionen<br />

einzufordern und auch Wissenslücken zuzugeben.<br />

Um auch die m. E. zentrale Organisationsentwicklungsdimension von Gender Mainstreaming<br />

zu vermitteln, ist es notwendig, das leider oft noch zu wenig abgestimmte Reform-<br />

Szenario, das ich einführend angedeutet habe, durch einen integrativen Ansatz abzulösen.<br />

Bei einer Veranstaltung für die Lenkungsgruppe, also das strategische Gremium, haben wir<br />

uns deshalb mit dem Thema „Gender Mainstrea-ming als Aspekt des Change Management“<br />

befasst.<br />

Im Übrigen wünsche ich mir gerade hinsichtlich der Verknüpfung von Gender Mainstreaming<br />

mit anderen Reform- und Innovationsprozessen auch von Seiten des Bundes etwas<br />

deutlichere Worte als sie in einem Text über die derzeit hochaktuelle Gesetzesfolgenabschätzung<br />

zum Ausdruck kommen. Dort heißt es in einem Exkurs zu Gender Mainstreaming<br />

und Gesetzesfolgenabschätzung: „Da es sich bei der Gleichstellung der Geschlechter<br />

um eine Querschnittsaufgabe der Politik und um ein Staatsziel handelt, wäre es wünschenswert,<br />

wenn die besondere Beachtung des Gender-Aspektes innerhalb der Gesetzesfolgenabschätzung<br />

sichergestellt werden könnte.“ (Bundesministerium des Inneren, 2002, 27).<br />

Unverbindlicher geht es kaum.<br />

Immer wieder zu verdeutlichen, dass es um ein fachliches Instrument geht, dass Me-thodenkompetenz<br />

das A und O sind und dass wir alles tun, den Geschlechterdiskurs als mögliche<br />

positive Perspektive für Männer und Frauen in die Verwaltung zu trans-portieren,<br />

scheint mir unabdingbar.<br />

Ich komme zu meiner vierten These:<br />

Dieser Transformationsprozess setzt voraus, dass alle Akteure und Akteurin-nen<br />

befähigt werden, Gender Mainstreaming anzuwenden. Dies sollte<br />

Teil des Wissensmanagements in der Verwaltung sein.<br />

Damit ist eine der größten Handlungsfelder zur Implementierung von Gender Mainstreaming<br />

in der Landesverwaltung benannt. Um Rhetorik in Praxis und vor allem in Alltagspraxis<br />

zu übersetzen, brauchen Sie auf allen Verwaltungsebenen ein hohes Maß an Methodenkompetenz<br />

und dazu müssen die Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter aktiv befähigt<br />

werden.<br />

Die politischen Willensbekundungen sind unabdingbar – ohne diese Bekenntnisse zum<br />

Amsterdamer- Vertrag und damit zum Gender Mainstreaming können die Prozesse gar<br />

nicht erst in Gang gesetzt werden. Die Befähigung oder das Empowerment muss aber gewährleistet<br />

werden, sollen die Bekundungen nicht im Sande verlaufen.<br />

Die Workshops, die bisher stattfanden, liefen ermutigend gut an und wir setzen derzeit auf<br />

das organisierte Schneeball-Prinzip. Das heißt wir bieten Workshops an und versuchen die<br />

Personen dabei zu befähigen, selbst in den Ressorts aktiv zu werden. Zum einen sind die<br />

Mittel, um externe Trainer und Trainerinnen einzusetzen sehr begrenzt, zum anderen hat<br />

sich gezeigt, dass die Verknüpfung von Fachwissen und Gender Mainstreaming-Kompetenz<br />

die Akzeptanz bei den Workshops maßgeblich erhöht.<br />

..


Dr. Susanne Diemer<br />

2 ..<br />

Perspektivenwechsel im Verwaltungshandeln<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?”<br />

Dass die Gender Mainstreaming – Kompetenz notwendig ist für alle Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter ist derzeit deshalb gut zu vermitteln, weil die bereits erwähnte Vor-schriftenanordnung<br />

verbindlich eine Gender-Prüfung vorsieht – anders ausgedrückt: eine gewisse<br />

extrinsische Motivation, sich mit dem Thema ernsthaft zu befassen, wurde durch die Vorschriftenanordnung<br />

geschaffen.<br />

Meine fünfte und letzte These lautet:<br />

Die weitere Implementierung von Gender Mainstreaming in die Verwaltung<br />

und das Verwaltungshandeln braucht als Rahmenbedingungen Lern- und<br />

Fehlerkul-turen sowie streitkulturelle Praxen auch für das Ziel der Chancengleichheit.<br />

Mike Pedler und John Boydell definieren ein lernendes Unternehmen folgenderma-ßen:<br />

„Ein lernendes Unternehmen ist eine Organisation, die allen ihren Mitgliedern ständiges<br />

Lernen ermöglicht und dabei sich selbst und ihr Umfeld verändert.“ (1997).<br />

Es geht also darum, das Lernen der Mitglieder und die Veränderungspraxis der Insti-tution<br />

dialogisch und nicht als Einbahnstraße zu verstehen.<br />

Die Erkenntnis, dass Veränderungen ein selbst veränderungsbereites Umfeld brau-chen,<br />

stellt derzeit eine der größten Herausforderungen für die Implementierung von Gender<br />

Mainstreaming dar.<br />

Während sich Frauenförderung, so zumindest meine frühere Erfahrung an der Hoch-schule,<br />

noch sehr einfach gettoisieren und den malestream relativ unberührt ließ, verweist Gender<br />

Mainstreaming sehr viel deutlicher auf die Frage nach dem Umfeld und der Gesamtverfassung<br />

der Institution bzw. Organisation.<br />

Die Landesverwaltung steht vor der Aufgabe, dieses dialogische Lernverständnis und die<br />

institutionelle Lernbereitschaft als ständige Aufgabe zu begreifen.<br />

Nun ist es einfach, sich mit quasi moralischem Impetus zu erheben und Stagnation und<br />

Beharrungsvermögen von Organisationen und Institutionen zu geißeln. Das hilft wenig<br />

konkret weiter.<br />

Diese Aussage verweist vielmehr auch auf die Kommunikation innerhalb der Frauen-politik:<br />

Mit dem Begriff „streitkultureller Praxis“ meine ich, dass wir Raum, Zeit und Erfahrungen<br />

brauchen, um Differenzen in den Zielen und Vorgehensweisen auch kontrovers zu<br />

erstreiten und diese unterschiedlichen Zugänge auch wertschätzen und respektieren sollten.<br />

Ich nehme an, dass hier viele Frauen vertreten sind, die sich der Frauenpolitik in der<br />

Verwaltung verpflichtet fühlen und ich denke, dass auch wir noch besser lernen müssen,<br />

den produktiven Streit um unterschiedliche Konzepte zur Erreichung des gemeinsamen<br />

Ziele Chancengleichheit gemeinsam zu führen.<br />

Wir sollten uns jedoch hüten, Frauenpolitik und Gender Mainstreaming gegeneinan-der<br />

auszuspielen, darin sehe ich eine wirkliche Gefährdung des Gesamtprojektes Chancengleichheit.<br />

Ernst zu nehmen sind die Befürchtungen von allen Seiten:<br />

die der frauenpolitisch Engagierten, auch in der Verwaltung, Gender Mainstreaming träte<br />

als Konkurrenzmodell auf, die der Anwenderinnen und Anwender, Fehler zu machen bei<br />

der Umsetzung.<br />

Ernst zu nehmen sind die Ursachen und Gründe für Widerstände gegen Veränderungen.<br />

Wer Gender Mainstreaming praktisch umsetzt, wird zwangsläufig Fragezeichen produzieren,<br />

das Terrain ist neu und auch die gleichstellungspolitischen Ziele müssen immer wieder<br />

neu ausgehandelt werden.


Perspektivenwechsel im Verwaltungshandeln<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?” Dr. Susanne Diemer<br />

Doch wenn - so meine Vision - in einigen Jahren für Führungskräfte und Mitarbei-ter(innen)<br />

der Landesverwaltung im Kompetenzprofil Genderkompetenz als Qualifikationskriterium<br />

eingefordert wird, dann wäre doch schon etwas gewonnen.<br />

Literatur:<br />

Behning, Ute / Sauer, Birgit (eds.), 2005: Was bewirkt Gender Mainstreaming? Evalu-ierung<br />

durch Policy-Analysen Frankfurt / New York.<br />

Böhret, Carl, 2004/2005: Gesetzesfolgenabschätzung: Heutiger Stand der Methodik und<br />

Erfahrungen mit der Integration in die Gesetzesvorbereitung in Deutschland. In:<br />

Schäffer, Heinz (ed.), 2004/2005: Evaluierung / Gesetzesfolgenabschätzung in<br />

Öster-reich und im benachbarten Ausland. Wien.<br />

Bundesministerium des Inneren (ed.), 2002: Moderner Staat – Moderne Verwaltung. Praxistest<br />

zur Gesetzesfolgenabschätzung. Berlin. (www.staat-modern.de ).<br />

Chancengleichheit als Leitprinzip. Gender Mainstreaming in der Landesverwaltung. Bericht<br />

über Phase 1. Sozialministerium Baden-Württemberg, Stuttgart, September<br />

2004 www.sozialministerium-bw.de ).<br />

Deutscher Städtetag (ed.), 2003: Gender Mainstreaming. Best-Practice-Beispiele aus den<br />

Kommunen. ( www.staedtetag.de )<br />

Lang, Klaus / Mönig-Raane, Margret / Pettersson, Gisela / Sommer, Michael (eds.), 2004:<br />

Die kleine große Revolution. Gender Mainstreaming – Erfahrungen, Beispiele,<br />

Strategien aus Schweden und Deutschland. Hamburg.<br />

Netzwerk Gender Training (ed.), 2004: Geschlechterverhältnisse bewegen. König-stein.<br />

Pedler, Mike / Burgoyne, John / Boydell, Tom, 1997: The Learning Company. A Stra-tegy<br />

for Sustainable Development. London.<br />

Stuber, Michael, 2004: Diversity. Das Potenzial von Vielfalt – den Erfolg durch Offen-heit<br />

steigern. München.<br />

..


<strong>Fachtagung</strong> »Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?«<br />

»...die Situationen und Bedürfnisse von<br />

Frauen und Männern berücksichtigen...«<br />

Was heißt das eigentlich?<br />

Vortrag zur <strong>Fachtagung</strong><br />

„Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?“<br />

am 2.6.05 in Stuttgart<br />

Dr. Anne Rösgen, <strong>proInnovation</strong> <strong>GmbH</strong><br />

..


Stolpersteine & Widersprüche bei der Umsetzung<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?”<br />

Guten Tag!<br />

„... „ die Situationen, Interessen und Bedürfnisse von Frauen und Männern berücksichtigen“,<br />

dieser Teil der Definition von Gender Mainstreaming klingt harmlos und unstrittig<br />

– wer will das nicht? Aber dahinter stecken eine Menge Probleme. Nach unserer letzten<br />

<strong>Fachtagung</strong> schrieb jemand – offenbar ziemlich entnervt – in den Rückmeldungsbogen:<br />

Ich weiß, dass ich nichts weiß! Nach der GeM Schulung vor 2 Jahren dachte ich „toll, jetzt<br />

hab ich kapiert, was GM ist“, an guten praktischen Beispielen wie z.B. Lebenswirklichkeit<br />

von Frauen berücksichtigt werden kann (Teilzeit-Angebote, Anbindung an ÖPNV usw.). Heute<br />

höre ich nun, diese Berücksichtigung kann auch zu Zementierung bestehender Wirklichkeit<br />

führen; d.h. wer hilft mir aus dem Dilemma „wie man’s macht, ist es falsch?“<br />

In der Tat: ein Dilemma! Dazu ein Beispiel 1 : Die Förderung der Beschäftigung von Frauen<br />

in traditionellen Frauenberufen macht Sinn, „berücksichtigt“ die Nachfrage von Frauen,<br />

aber folgt auch dem Arbeitsmarktesbedarf. Den betreffenden Frauen wird dadurch<br />

der Berufseinstieg ermöglicht, die Beschäftigungschancen sind besser. ABER: gleichzeitig<br />

wird die horizontale Arbeitsmarktsegregation reproduziert und Frauen finden sich in den<br />

schlechter bezahlten Berufen mit den geringeren Aufstiegschancen und überdies in einem<br />

engen Spektrum. Bleibt man also bei diesem ersten Schritt – den sog. „pragmatischen“ oder<br />

praktischen Bedürfnissen stehen, können geschlechtsspezifische Ungleichheiten tatsächlich<br />

ungewollt zementiert werden. Gender Mainstreaming beinhaltet deshalb immer eine<br />

strategische Perspektive.<br />

Auf der linken Seite der Abb. 1 sehen Sie Beispiele für pragmatische oder praktische Bedürfnisse<br />

(von Frauen), die unmittelbare und kurzfristige Bedürfnisse widerspiegeln. Zur<br />

Verfolgung de Ziels Gleichstellung ist der pragmatische Ansatz alleine jedoch nicht ausreichend.<br />

Auf der rechten Seite der Abb.1 sehen Sie strategische Ansätze, die langfristig auf<br />

die Verringerung struktureller Ungleichheiten zielen – und dies sind im übrigen auch die<br />

gleichstellungspolitischen Ziele der EU.<br />

Abbildung 1<br />

Leider gibt es zu dem Dilemma pragmatische Bedürfnisse und strategische Perspektiven<br />

keine einfachen Lösungen. Im Idealfall ergänzen sich beide Ansätze, da pragmatische Förderung<br />

alleine langfristig zu kurz greift, strategische Maßnahmen jedoch ohne die Berücksichtigung<br />

unmittelbarer Problemlagen und Hemmnisse auf individueller Ebene zum<br />

Scheitern verurteilt sind (vgl. Pimminger, Irene, Wien 2001).<br />

Im ESF bewegen wir uns genau in diesem Spannungsverhältnis. Im folgenden Zitat aus<br />

der Mitteilung der EU Kommission (1996) wird noch einmal sehr deutlich, dass tatsächlich<br />

grundlegende Veränderungen angestrebt werden:<br />

1 In Anlehnung an Pimminger, Irene, Wien 2001, S. 17<br />

..<br />

Dr. Anne Rösgen<br />

<strong>proInnovation</strong>


Dr. Anne Rösgen<br />

..<br />

Stolpersteine & Widersprüche bei der Umsetzung<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?”<br />

„Die Förderung der Gleichstellung ist nicht einfach der Versuch, statistische Parität zu erreichen.<br />

Es geht darum, eine Weiterentwicklung der Elternrollen, der Familienstrukturen,<br />

der institutionellen Praxis, der Formen der Arbeitsorganisation und der Zeiteinteilung usw.<br />

zu fördern. Daher betrifft die Chancengleichheit nicht allein die Frauen, die Entfaltung ihrer<br />

Persönlichkeit und ihre Selbständigkeit, sondern auch die Männer und die Gesellschaft<br />

insgesamt (...)<br />

Daher ist es nicht hinnehmbar, dass bisher mit ESF Förderung sogar eher eine Verstärkung<br />

der geschlechtsspezifischen Muster und der Segregation stattgefunden hat, denn es gibt im<br />

wesentlichen Beratungs- und Qualifizierungsmaßnahmen in geschlechtstypischen Feldern.<br />

Es fehlen strategisch orientierte Projekte und die EU KOM sieht hier mögliche Maßnahmen<br />

zur Beseitigung des Lohngefälles, zum Aufstieg von Frauen in Entscheidungspositionen<br />

und in zukunftsträchtige Berufsfelder, Maßnahmen, die nicht nur Kinderbetreuung anbieten,<br />

sondern sich auch um das Problem der Pflege abhängiger Angehöriger bemühen und<br />

solche, die Männer ansprechen, z.B. im Hinblick auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf,<br />

ggf. Teilzeit (vgl. EU KOM 2002).<br />

Erster Schluss: Also müssen wir zusehen, dass wir es schaffen, mehr Gewicht auf die strategische<br />

Perspektive zu legen.<br />

Es gibt aber noch eine zweite Falle, wenn lediglich die kurzfristigen und praktischen Bedürfnisse<br />

berücksichtigt werden: Frauen erscheinen dann als „Problemgruppe“ mit spezifischen<br />

Schwierigkeiten. Diesen Eindruck bekommt man auch beim Lesen der ESF Projektbeschreibungen:<br />

Frauen sind diejenigen mit dem Vereinbarkeitsproblem, sie haben zudem<br />

unterbrochene Berufsbiographien, veraltete Qualifikationen – mit anderen Worten: kumulierende<br />

Vermittlungshemmnisse. Männer dagegen erscheinen als seltsam geschlechtslose<br />

Wesen, sie sind einfach arbeitslos 2 . Betrachtet man aber nicht nur unterschiedliche Bedürfnisse,<br />

sondern hinterfragt, was die Ursachen für diese Unterschiede zwischen Frauen und<br />

Männern sind, so stellt sich schnell heraus, dass nicht die Frauen das Problem sind, sondern<br />

die gesellschaftlichen Strukturen, die den Unterschieden zwischen den Geschlechtern zugrunde<br />

liegen.<br />

Diese Strukturen stammen aus der Industriegesellschaft, sind aber gegenwärtig durch den<br />

Übergang zur postindustriellen Gesellschaft oder dem Informationszeitalter im Umbruch<br />

begriffen. Also müssen wir beides betrachten: wie es wurde wie es ist und was sich nun<br />

ändert.<br />

Arbeitsteilung der Geschlechter in der Industriegesellschaft<br />

Nicht einmal der Begriff „Arbeit“ meint für Männer und<br />

Frauen dasselbe, denn während die einen dabei nur an die<br />

Erwerbstätigkeit denken, bedeutet Arbeit für die anderen<br />

bezahlte und unbezahlte Tätigkeiten.<br />

Dazu der Männerforscher Walter Hollstein:<br />

„Der Grundwiderspruch der Geschlechterverhältnisse ist die<br />

industriegesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen Mann und<br />

Frau. Daraus resultiert die rigide Rollenerwartung und stereotype<br />

Eigenschaftszuweisung von männlicher Versorgungsfunktion<br />

und weiblicher Fürsorgefunktion“.<br />

http://www.walter-hollstein.de/krise.html<br />

Die Ausweitung des Industriekapitalismus bedeutete die Zunahme<br />

von außerhäuslicher Lohnarbeit und diese war nur<br />

möglich unter Rückgriff auf die Ressource der von Frauen<br />

ausgeübten Hausarbeit und emotionalen Versorgung (“Unabhängig<br />

von den Methoden, die zur Berechnung der Familienarbeit<br />

angewendet werden wird der Anteil der Haus- und Familienarbeit an der Wert-<br />

2<br />

In diesem Vortrag wird die Männerperspektive nur angedeutet, da der zweite Vortrag von Thomas Gesterkamp diese ausführlich<br />

bearbeitet.


Stolpersteine & Widersprüche bei der Umsetzung<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?” Dr. Anne Rösgen<br />

schöpfung der Volkswirtschaft von 30 bis 50 % ausgewiesen. (...)“ (Stolz-Willig, Brigitte, S.<br />

79) Dieser ökonomische Wert wird aber erst zögerlich zur Kenntnis genommen).<br />

Seit der verstärkten Erwerbsarbeit von Frauen ist auch der Arbeitsmarkt geprägt von der<br />

geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung:<br />

„Das massenhafte Einströmen von Frauen in bezahlte Arbeit ist einerseits auf die Informationalisierung,<br />

Vernetzung und Globalisierung der Wirtschaft zurückzuführen; andererseits<br />

auf die geschlechtsspezifische Segmentierung des Arbeitsmarktes, die sich die spezifische<br />

soziale Lage von Frauen zunutze macht (...) Castells: 170)<br />

Der Übergang (in die postindustrielle Gesellschaft) wurde nur geschafft, weil in den neuen<br />

Dienstleistungsbereichen vorwiegend Frauen beschäftigt wurden, das „die spezifische Lag<br />

soziale Lage von Frauen zunutze machen“ bedeutet aber noch mehr: Frauen bekommen für<br />

gleiche oder ähnliche Arbeit weniger Geld und Frauen sind flexiblere Arbeitskräfte z.B.<br />

durch ihren Wunsch nach bzw. ihre Einsetzbarkeit in Teilzeitarbeit.<br />

Es gibt also eine Geschlechterhierarchie in der Arbeitswelt:<br />

„Männliche Privilegierung in der Erwerbsarbeit ist so gesehen nicht nur die Dominanz in<br />

einem gesellschaftlichen Sektor unter anderem, die durch die etwaige Präsenz in anderen<br />

Bereichen, z.B. der Familie, ausgeglichen werden könnte. Vorherrschaft in diesem Bereich<br />

ist gleichbedeutend mit der Privilegierung im für unsere Gesellschaften wichtigsten Bereich.<br />

An ihr wird die grundsätzliche Überordnung von Männern und Unterordnung von Frauen im<br />

Geschlechterverhältnis sichtbar. In ihr mündet auch eine historische Entwicklung, in der im<br />

Zuge der Industrialisierung Erwerbsarbeit zum entscheidenden Mittel männlicher Vorherrschaft<br />

geworden ist. (Lehner 2002)<br />

Soweit einige Grundlagen zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der Industriegesellschaft,<br />

gänzlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit.<br />

Postindustrielles oder Die neue Unübersichtlichkeit. Wechselwirkungen mit<br />

Kontinuität und Wandel in den Geschlechterverhältnissen<br />

Unstrittig ist, dass es z.Zt. umfassende gesellschaftliche, politische und ökonomische Transformationsprozesse<br />

gibt, die einerseits die Geschlechterverhältnisse beeinflussen oder aber<br />

Produkt von deren Wandel sind. Auf jeden Fall gibt es Wechselwirkungen.<br />

Nicht so klar ist, wie die Veränderungsprozesse mit Kontinuität und Wandel in den Geschlechterverhältnissen<br />

korrespondieren. Wir wissen beispielsweise nicht, ob Manuel Castells<br />

Recht behält, der nicht nur eine „Krise der Kerle“ sondern eine Krise des Patriarchats<br />

sieht. Richtig ist aber sicher:<br />

„Die massenhafte Einbeziehung von Frauen in die bezahlte Arbeit hat die Verhandlungsmacht<br />

von Frauen gegenüber Männern erhöht und die Legitimität der Herrschaft der Männer<br />

aufgrund ihrer Position als Ernährer der Familie untergraben“.<br />

Andere Geschlechterforschungen legen allerdings nahe, dass lediglich eine Modernisierung<br />

des Patriarchalismus stattfindet.<br />

Das industriearbeitsgesellschaftliche „Normalarbeitsverhältnis“ beruhte wesentlich auf einer<br />

klaren geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die jetzt zerbricht. Frauen übernahmen<br />

berufliche Aufgaben, die es zunehmend schwierig machen, neben der Erwerbsarbeit noch<br />

für die reproduktiven Arbeitsbereiche zuständig zu sein, die aber genauso wichtig für die<br />

gesellschaftliche Entwicklung sind wie die ökonomische Produktion.<br />

Ein weiteres Phänomen ist die „Verflüssigung von Zeit“ (vgl. Bertram): In allen bisherigen<br />

Gesellschaften galten klare Zeitrhythmen, die jetzt verschwinden. Die meisten Dienstleistungen<br />

folgen nicht mehr dem Arbeitsrhythmus der Produktion. Berufliche Zeit lässt sich<br />

nicht mehr in allen Fällen zusammenhängend organisieren (z.B. in 8 Stunden-Tagen z.B.).<br />

..


Dr. Anne Rösgen<br />

20 ..<br />

Stolpersteine & Widersprüche bei der Umsetzung<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?”<br />

Gleichförmige Arbeitsrhythmen werden immer seltener, also ist viel Koordination und Balance<br />

erforderlich. Die industriegesellschaftliche Balance von Beruf und Privatleben hat<br />

für einen immer größeren Teil der Beschäftigten keine Gültigkeit mehr.<br />

Auch die Biografien ändern sich, wie Abb. 3 zeigt. Bisher galt die „Treppe“, bei der auf eine<br />

Phase der Ausbildung eine lange Zeit der Erwerbstätigkeit folgt und auf diese die Rente.<br />

Nun gibt es die sog. Patchworkbiografien, die diese drei Bereiche im Wechsel integrieren.<br />

Es findet eine Flexibilisierung und Intervallisierung von Lebensverläufen statt: daher gibt<br />

es neue Probleme der Abstimmung von Ausbildungszeiten, Familien- und Karriereplanung<br />

und der Organisation der<br />

Alltagszeit.<br />

Für Frauen sind unterbrocheneErwerbsarbeitsverläufe<br />

auch ein Problem,<br />

aber nicht neu. Eine<br />

selbstverständliche Reproduktion<br />

tradierter Männlichkeitsentwürfe<br />

ist aber<br />

immer weniger möglich.<br />

Gering oder gar nicht Qualifizierte<br />

nimmt der Arbeitsmarkt<br />

nicht mehr auf, hier<br />

sind Männer anders betroffen<br />

als Frauen, können sich<br />

nicht in die Familienrolle<br />

zurückziehen.<br />

Die emotionale Reproduktion des Mannes ist gefährdet, Identitätskrisen aller Art sind feststellbar.<br />

Eine Neudefinition der Geschlechterrollen zeichnet sich ab.<br />

„Im digitalen Kapitalismus sucht sich das Kapital seine Sozialformen quer durch die männliche<br />

und weibliche Welt. Die Folge ist der zweischneidige Segen der Befreiung von den<br />

traditionellen Einfassungen der Geschlechter. Die globalisierte Logik des Gewinnens und<br />

Verlierens kümmert sich nicht mehr um die Geschlechter“ (Böhnisch)<br />

Chancen für den Wandel der Geschlechterverhältnisse<br />

Die gegenwärtig stattfindenden Umbrüche in Arbeit und Beschäftigung bieten Chancen<br />

für den Wandel der Geschlechterverhältnisse.<br />

Allerdings verändert<br />

sich die geschlechtsspezifische<br />

Arbeitsteilung<br />

nicht von allein durch<br />

die sich wandelnden Arbeitsmarktstrukturen<br />

und<br />

–verhältnisse, es sind auch<br />

„Eigenleistungen der Subjekte“<br />

(Kahlert/Kajatin)<br />

und entsprechende gesellschaftlicheRahmenbedingungen<br />

nötig. Was ist darunter<br />

zu verstehen?


Stolpersteine & Widersprüche bei der Umsetzung<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?” Dr. Anne Rösgen<br />

Eigenleistungen der Subjekte<br />

„Es gilt die geschlechtlichen Identitäten neu zu bestimmen, in eine neue, egalitäre Beziehung<br />

zueinander zu setzen sowie entsprechende Repräsentationen zu entwickeln und zu verbreiten“<br />

(Kahlert, S. 67) Männer müssten bereit sein, den Geschlechtervertrag neu zu verhandeln<br />

(Kahlert/Katjatin). Dafür gibt es auch im Interesse von Männern viele gute Gründe,<br />

aber ob es passiert? Frauen müssen damit umgehen, dass sich andere Ungleichheitsverhältnisse<br />

(arm/reich, Nord/Süd) verstärken, und es mehr Unterschiede zwischen Frauen gibt.<br />

(Stichworte: die polnische Putzfrau, aber auch die tschechische Altenpflegerin...)<br />

Ich muss gestehen, dass mir im Zusammenhang mit der Frage, inwiefern sich auch Frauen<br />

verändern müssen (nicht nur die Männer) die Einschätzung von Barbara Vinken sehr zu<br />

denken gibt, die in ihrem Buch mit dem Titel „die deutsche Mutter“ – den langen Schatten<br />

dieses Mythos’ untersucht: von Luther, den sie übrigens als Hauptübeltäter ausmacht über<br />

Pestalozzi, die erste deutsche Frauenbewegung und den Nationalsozialismus:<br />

„Während man sich im übrigen Europa und in den USA darin einig ist, dass eine frühe Sozialisation<br />

unter Gleichaltrigen für die Kinder unverzichtbar ist, weil sie Selbständigkeit und<br />

Soziabilität fördert sieht man darin in DE (...) einen Notbehelf. Wofür hat man sich schließlich<br />

Kinder „angeschafft“, wenn man sie sofort wieder „abschiebt“? Die Ganztagskrippe ab<br />

sechs Monaten ist eine Provokation für die deutsche Mutter. Da könne sie es ja gleich zur<br />

Adoption freigeben, befindet sie und zählt drohend besorgt die lange Liste der Störungen auf,<br />

die ein solches, um Mutterliebe geprelltes Kind zwangsläufig befallen. (...) Man fragt sich,<br />

wie es dann kommt, dass französische, dänische und italienische Kinder als Erwachsene so<br />

schrecklich normal und nicht allesamt als krippengeschädigte Bindungsunfähige herumlaufen.<br />

Der deutsche Sonderweg schadet Kindern und Müttern gleichermaßen. Die fehlende<br />

Kinderbetreuung hat DE im internationalen Vergleich in Sachen Karriere von Frauen, Verdienstmöglichkeiten<br />

UND Geburtenrate ganz nach hinten katapultiert“(19)<br />

Relativierend muss gesagt werden, dass nicht alles, was nach Entscheidung von Männern<br />

und Frauen aussieht, wirklich freiwillig geschieht: Wohlfahrtsstaatliche Regulierungen<br />

wie beispielsweise die Familien- und Steuerpolitik oder Arbeitszeitregime und Betreuungsinfrastruktur<br />

setzen Arbeitsteilungsmuster voraus, was die Entscheidungen von Paaren<br />

vorstrukturiert (so verhalten sich Paare wirtschaftlich rationell, wenn SIE zuhause bleibt<br />

bei Kindsgeburt, weil sie in der Regel weniger verdient und der Staat die Hausfrauenehe<br />

finanziell stark fördert. Zu den Rahmenbedingungen gehören aber neben wohlfahrtsstaatlichen<br />

Regulierungen auch kulturell-normative Rahmungen, wie Leitbilder und Normalitätsvorstellungen<br />

von Familie, Geschlecht und geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung (...) Rüling<br />

S. 207<br />

Deutschland nimmt in Europa zunehmend eine Sonderrolle ein. Indem es am traditionellen/industriegesellschaftlichen<br />

Geschlechtervertrag festhält gilt es als idealtypisch für<br />

einen christdemokratisch oder<br />

konservativ genannten Sozialstaatstyp<br />

(Esping-Andersen<br />

1990 und Pfau-Effinger 2000,<br />

zit. nach Schmid, S. 142). Die Integration<br />

von Frauen in den Arbeitsmarkt<br />

ist immer noch „begrenzt“<br />

(überwiegend teilzeitig)<br />

und „widerruflich“ (s. Clement)<br />

und die familiale Arbeitsteilung<br />

zwischen Frauen und Männern<br />

ist über die Maßen stabil.<br />

„Leitbilder wie Regulierungen<br />

basieren in Deutschland noch<br />

weitgehend auf dem traditionellen<br />

Ernähermodell[1].“ (Rüling<br />

207). „Ein besonders eklatanter Fall in der BRD ist das Splittingsystem der Einkommensbesteuerung,<br />

das nach wie vor die Institution Ehe subventioniert, auch wenn sie kinderlos<br />

ist oder bleibt“ (Schmid, S. 157) „Dies wird noch einmal verstärkt durch die Regulierung der<br />

.. 2


Dr. Anne Rösgen<br />

22 ..<br />

Stolpersteine & Widersprüche bei der Umsetzung<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?”<br />

Elternzeit, die in DE im Vergleich zu anderen Ländern in der zeitlichen Dimension zwar sehr<br />

großzügig, in de finanziellen Kompensation aber recht mager ist (Schmid S. 158)<br />

Es ist zu befürchten, dass aus der Familienpolitik, die in Deutschland nun verstärkt am Ziel<br />

der Erhöhung der Geburtenrate orientiert wird, wieder zunehmend sehr zweifelhafte Orientierungen<br />

kommen. Der Abschied vom Industrialismus geht in Deutschland also deutlich<br />

langsamer vonstatten als anderswo. In Europa sind – nicht zuletzt aus wirtschaftlichen<br />

Gründen - bereits andere Modelle maßgeblich. Dazu hat auch beigetragen, dass die am<br />

Ernährermodell hängenden Sozialen Sicherungssysteme deutlich strukturelle Unzulänglichkeiten<br />

aufweisen.<br />

Was kommt nach dem Ernährermodell?[1]<br />

Diese Frage ist im Rahmen der EU Beschäftigungsstrategie, insbesondere seit den Gipfeln<br />

von „Lissabon“ und „Barcelona“ bereits beantwortet. Neues Leitbild ist das „adult worker<br />

model“, bei dem es doppelterwerbstätige Eltern einerseits und Maßnahmen zur Vereinbarkeit<br />

von Familie und Beruf für Männer und Frauen andererseits gibt. Alle erwachsenen<br />

Personen (müssen) einer Erwerbstätigkeit nachgehen, um den eigenen Lebensunterhalt zu<br />

sichern und unterliegen somit einer Individualisierung bezüglich materieller Absicherung<br />

(vgl. Leitner/Ostner/Schratzenstaller 2004)<br />

Dieses Modell wird – wohlgemerkt – aus wirtschaftlichen Gründen favorisiert, denn Staaten<br />

mit höheren Erwerbsquoten haben weniger Arbeitslosigkeit, schaffen den Übergang zur<br />

Dienstleistungsgesellschaft besser und verschwenden – volkswirtschaftlich betrachtet –<br />

weniger Humanressourcen, indem sie die best ausgebildetste Frauengeneration aller Zeiten<br />

zum Einsatz bringen. Zur Erreichung der Ziele ist es nötig, auch Bevölkerungsgruppen, die<br />

bisher weniger hohe Erwerbsquoten haben, wie Mütter und Ältere besser einzubeziehen. Die<br />

Mitgliedsstaaten – und hier insbesondere immer wieder DE – werden aufgefordert, etwaige<br />

Negativanreize in Steuer- und Sozialsystemen abzubauen, auch das Benchmarking in der<br />

Kinderbetreuung dient der Durchsetzung des adult woker models.<br />

So wünschenswert dieses Modell auch ist – hier treffen sich ja alte Forderungen von Frauenbewegungen<br />

mit der EU Politik- so sehr müssen jedoch die Bedingungen seiner Umsetzung<br />

im Auge behalten werden. So wird zu Recht darauf hingewiesen, dass mit dem Rückzug des<br />

Staates in DE aus sozial- und familienpolitischen Aufgaben lediglich die Risiken individualisiert<br />

werden. Gleichzeitig verstärkt sich das Angewiesensein auf familiäre Strukturen und<br />

somit bedeutet es eher nicht die erhoffte Entlastung von Frauen, insbesondere, wenn all dies<br />

(im Unterschied zu den skandinavischen Ländern) in Deutschland ohnehin als Privatsache<br />

gehandelt wird. Dies legt auch weiterhin eine prekäre Kombination aus Erwerbs- und Familienarbeit<br />

nahe, die nicht geschlechtergerecht und für Frauen häufig leider nicht einmal<br />

existenzsichernd ist.<br />

Damit bin ich am Schluss angekommen und hoffe, dass es mir gelungen ist, wenigstens aufscheinen<br />

zu lassen, was gemeint ist, wenn von GeM als der „systematischen Einbeziehung<br />

der jeweiligen Situationen, der Prioritäten und der Bedürfnisse von Männern und Frauen“<br />

die Rede ist. Das alles wird ja noch fortgeführt durch die weiteren Vorträge. Ich freue mich<br />

auf den Gesprächskreis, bei dem wir dann sehen, wie wir diese Komplexität mit den Projekten<br />

und der Situation vor Ort in Verbindung bringen und klären, wie der ESF mehr sein<br />

kann als ein Spiegel der Verhältnisse. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!


Stolpersteine & Widersprüche bei der Umsetzung<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?” Dr. Anne Rösgen<br />

Literatur<br />

Baatz, Dagmar/Rudolph, Clarissa/Satilmis, Ayla (Hrsg.) 2004: Hauptsache Arbeit? Münster<br />

Bertram, Hans 2001: Statement anlässlich der Pressekonferenz „work & life<br />

balance“ am 5.6.01 in Bonn und in der Broschüre mit dem gleichnamigen Titel.<br />

Hrsg. Deutsche Telekom Böhnisch, Lothar 2003: Die Entgrenzung der Männlichkeit.<br />

Verstörungen und Formierungen des Mannseins im gesellschaftlichen<br />

Übergang, Opladen Castells, Manuel 2003: Das Ende des Patriarchalismus. In:<br />

Die Macht der Identität. Bd. 2 der Trilogie Das Informationszeitalter, Opladen.<br />

Dienel, Christiane 2004: Eltern, Kinder und Erwerbsarbeit: Die EU als familienpolitischer<br />

Akteur. In: Leitner, Sigrid/Ostner, Ilona/Schratzenstaller, Margit (Hrsg.) 2004, S.<br />

285 ff<br />

Esping-Andersen, G. 1990: The Three Worlds of Welfare Capitalism. Princeton<br />

Gesterkamp, Thomas 2004: Die Krise der Kerle, Männlicher Lebensstil und der Wandel der<br />

Arbeitsgesellschaft, Münster<br />

Kahlert, Heike/Kajatin, Claudia (Hg.) Arbeit und Vernetzung im Informationszeitalter. Wie<br />

neue Technologien die Geschlechterverhältnisse verändern. Frankfurt/New York<br />

Klammer/Klenner 2004: Geteilte Erwerbstätigkeit – gemeinsame Fürsorge. Strategien und<br />

Perspektiven der Kombination von Erwerbs- und Familienleben in Deutschland.<br />

In: Kahlert/Kajatin (Hg.) 2004, S. 177ff<br />

Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Chancengleichheit für Frauen und Männer<br />

in der Europäischen Union 2002, Luxemburg 2005<br />

Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat,<br />

das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den<br />

Ausschuss der Regionen . Implementierung des Gender Mainstreaming in den<br />

Strukturfonds-Programmplanungsdokumenten 2000-2006. Brüssel 20.12.2002<br />

Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission. Einbindung<br />

der Chancengleichheit in sämtliche politischen Konzepte und Maßnahmen der<br />

Gemeinschaft, Brüssel 1996.<br />

Lehner, Erich 2002: Frauen-, Männer-, Geschlechterpolitik oder: Wer braucht Männerpolitik?<br />

In: Zulehner S. 226<br />

Leitner, Sigrid/Ostner, Ilona/Schratzenstaller, Margit (Hrsg.) 2004: Wohlfahrtsstaat und<br />

Geschlechterverhältnis im Umbruch. Was kommt nach dem Ernährermodell?<br />

Wiesbaden<br />

Meuser, Michael; Neusüß, Claudia 2004: Gender Mainstreaming. Konzepte – Handlungsfelder<br />

- Instrumente. Kann für EUR 2,-- bestellt werden bei der Bundeszentrale<br />

für Politische Bildung, www.bpb.de<br />

Oppen, Maria/Simon, Dagmar 2004: Verharrender Wandel. Institutionen und Geschlechterverhältnisse,<br />

Berlin.<br />

Pfau-Effinger, B. 2000: Kultur und Frauenerwerbstätigkeit in Europa. Theorie und Empirie<br />

des internationalen Vergleichs. Opladen<br />

Pimminger, Irene 2001: Handbuch Gender Mainstreaming in der Regionalentwicklung.<br />

Wien<br />

Rüling, Anneli 2004: Familiale Arbeitsteilung im Informationszeitalter: Egalitäre Arrangements<br />

von Arbeit und Leben als Herausforderung. In: Kahlert/Kajatin (Hg.)<br />

2004, S, 187 ff<br />

Schmid, Günther 2004: Gleichheit und Effizienz auf dem Arbeitsmarkt. In: Oppen, Ma-ria/<br />

Simon, Dagmar: Verharrender Wandel. Institutionen und Geschlechterverhältnisse,<br />

S. 139 ff Schratzenstaller, Margit 2004: Neue Dilemmata – neue Bedarfe:<br />

Synapse und Ausblick. In: Leitner, Sigrid/Ostner, Ilona/Schratzenstaller, Margit<br />

(Hrsg.) 2004, S. 381 ff Stolz-Willig, Brigitte 2004: Familie und Arbeit zwischen<br />

Modernisierung und (Re-) Traditionalisierung. In: Baatz/Rudolph/Satilmis<br />

(Hrsg.): Hauptsache Arbeit? S. 70 ff Vinken, Barbara 2001: Die deutsche Mutter.<br />

Der lange Schatten eines Mythos. Zürich Zulehner, Paul M. 2003: MannsBilder.<br />

Ein Jahrzehnt Männerentwicklung. Ostfildern<br />

.. 2


<strong>Fachtagung</strong> »Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?«<br />

»Krise der Kerle« -<br />

Männlicher Lebensstil und der Wandel der<br />

Arbeitsgesellschaft<br />

Vortrag zur <strong>Fachtagung</strong><br />

„Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?“<br />

am 2.6.05 in Stuttgart<br />

Dr. Thomas Gesterkamp, Journalist & Buchautor, Köln<br />

.. 2


Die Krise der Kerle<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?”<br />

Guten Tag.<br />

Ich arbeite als Journalist in Köln für Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunksender. Außerdem<br />

schreibe ich Bücher über Männer, genauer gesagt: über Männer und ihr Verhältnis zur<br />

Arbeit, über Männer zwischen Beruf und Familie. Im letzten Buch ging es um “die neue<br />

Balance von Arbeit und Liebe”, also um das “Vereinbarkeitsproblem” - aber eben nicht aus<br />

Frauen-, sondern aus Männersicht. Die “Krise der Kerle”, die dem heutigen Vortrag die Oberzeile<br />

geliefert hat, ist der popularisierte Titel meiner gerade erschienenen Dissertation über<br />

“Männliche Arbeits- und Lebensstile in der Informationsgesellschaft”.<br />

Angesichts der knappen Zeit will ich mich auf zwei Kernpunkte beschränken.<br />

Zum einen:<br />

Die Akteure der deutschen Arbeitsmarktpolitik - also die Initiatoren der Hartz-Gesetze,<br />

die Fachleute in den Wirtschaftsministerien, die Experten der politischen Parteien, aber<br />

auch viele Praktiker im Umfeld der Bundesagentur für Arbeit - sie alle denken und handeln<br />

weitgehend “geschlechtsblind”. Sie ignorieren die Gender-Aspekte des Themas, und vor<br />

allem ignorieren sie den wichtigsten gesellschaftlichen Wandel seit der Industrialisierung:<br />

die steigende Erwerbsbeteiligung der Frauen und die Konsequenzen daraus für den Arbeitsmarkt.<br />

Meine zweite These:<br />

Das simple Erklärungsschema “männliche Täter, weibliche Opfer” bedarf gerade für die<br />

Arbeitsmarktpolitik einer Überprüfung. In der Logik der traditionellen Gleichstellungspolitik<br />

ist es einfach, Frauen zu den Hauptverliererinnen von “Hartz IV” zu erklären und<br />

den Männern die Rolle der weniger Betroffenen - oder gar der Profiteure - zuzuweisen.<br />

Tatsächlich aber entwickelt sich Arbeitslosigkeit in wachsendem Umfang zu einem männlichen<br />

Problem. Das ist ein Gender-Blick auf das Thema, mit dem ich auf frauenpolitischen<br />

Veranstaltungen manchmal auf Irritation und Abwehr stoße. Die “Krise der Kerle” ist eine<br />

Identitätskrise gerade der Industriearbeiter und zugleich der politischen Strukturen, die auf<br />

dem Mann als Haupternährer beruhen. Dazu später mehr.<br />

Zunächst zur “Geschlechtsblindheit” in der Arbeitsmarktpolitik. Politiker wie Journalisten<br />

halten diese für ein “hartes Thema” - im Gegensatz etwa zur “weichen” Frauen- und Familienpolitik.<br />

“Harte Themen” zeichnen sich dadurch aus, dass Männer sie ganz sachorientiert<br />

“in den Griff” bekommen wollen - wie die Lösung eines mathematischen Problems, ganz<br />

ohne “Gedöns” und ohne Berücksichtigung der leidigen Geschlechterfrage.<br />

Wie passt dazu das folgende Zitat? “Eine Voraussetzung für das Erreichen eines hohen Beschäftigungsstandes<br />

und einer sich ständig verbessernden Beschäftigungsstruktur ist die<br />

Chancengleichheit von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt”, hieß es im Bericht der<br />

Hartz-Kommission. Alle weiteren Schritte, so wörtlich, “müssen vor diesem Hintergrund<br />

detailliert überprüft werden, inwieweit sie dem Postulat der Gleichstellung Rechnung tragen<br />

bzw. direkt oder indirekt Benachteiligungen fortschreiben oder neue entstehen lassen.”<br />

Bravo! Das ist doch praktiziertes “Gender Mainstreaming” in Reinkultur! Noch Fragen? Wo<br />

liegt dann das Problem?<br />

Sie wissen es vermutlich aus eigener Erfahrung: Das Papier, auf dem das Wort “Gender<br />

Mainstreaming” steht, ist äußerst geduldig. Jeder Dorfbürgermeister schmückt sich mittlerweile<br />

mit diesem Etikett - nicht unbedingt, weil er geschlechterpolitisch besonders reflektiert<br />

ist, sondern weil sich auf diese Weise in Zeiten des eisernen Sparens so prima<br />

begründen lässt, dass seine Gemeinde auf eine eigene Frauenbeauftragte getrost verzichten<br />

kann. Ist doch längst im Mainstream angekommen, Bestandteil aller Ressorts!<br />

Und bei Hartz? Zumindest die erste, im Sommer 2002 vorgelegte Fassung der Empfehlungen<br />

dieses Gremiums verblüffte durch ein äußerst traditionelles Rollenbild. Etwa im “Modul 1“ ,<br />

das sich mit der so genannten “familienfreundlichen Quickvermittlung” beschäftigt - Peter<br />

Hartz liebt ja die blumigen Begriffe. Dort hieß es: “Jeden Montag erhalten die Leiter des<br />

Arbeitsamtes und der Vorsitzende der Bundesanstalt für Arbeit eine Liste der arbeitslosen<br />

1 Siehe dazu auch die Homepage des Projektes: www.dji.de/kjhgender<br />

.. 2<br />

Dr. Thomas Gesterkamp<br />

Journalist & Buchautor


Dr. Thomas Gesterkamp<br />

2 ..<br />

Die Krise der Kerle<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?”<br />

Familienväter.” “Familienvater” - ein seltsam altmodisches Wort. Es impliziert automatisch<br />

den Ernährer - das können Sie schon daran erkennen, dass das Wort “Familienmutter” wenig<br />

Sinn macht. Ebensowenig wie umgekehrt der “berufstätige Vater”. Nur Frauen fragen<br />

sich im Gespräch vor dem Kindergartentor: “Sind Sie berufstätig?” Das würden sich Männer<br />

nie fragen, denn die sind immer “berufstätig” - oder arbeitslos.<br />

Zurück zum Modul 1 der Hartz-Kommission: Dass Mütter Wesentliches zum Haushaltseinkommen<br />

beitragen könnten, dass es auch alleinlebende und alleinerziehende Frauen gibt,<br />

lag offenbar jenseits des Horizontes dieser Herrenrunde. Zu Tage trat - eher unabsichtlich,<br />

aber gerade darum authentisch - die alte patriarchale Denkweise: Erwerbslose Männer, die<br />

ihre Versorgerrolle nicht mehr ausfüllen können, gelten als ein gesellschaftliches Problem<br />

ersten Ranges. Erwerbslose Frauen hingegen sind kein so großes Problem - sie können ja<br />

meist auf einen “Ernährer” zurückgreifen und einfach zu Hause bleiben. So denkt Mann<br />

offenbar in der Hartz-Kommission. Immerhin sorgte eine Art “Gender”-Prüfung durch die<br />

einzige Frau in dem 15-köpfigen Zirkel, einer Gewerkschafterin von ver.di, für eine sprachliche<br />

Korrektur. Nicht mehr “Familienväter” werden jetzt bevorzugt vermittelt - so stand es<br />

dann in der Endfassung des Hartz-Berichtes - sondern “Arbeitslose, die besondere Verantwortung<br />

für abhängige betreuungsbedürftige Personen oder Familienangehörige tragen”.<br />

Das klingt politisch korrekt. Verbale Entgleisungen, die unterschwellig die Rezepte des<br />

Stammtisches propagieren, werden heute also durch das Instrument des “Gender Mainstreaming”<br />

aufgefangen! Interessant an der Geschichte des “Modul 1“ ist aber weniger die<br />

sprachliche Verwandlung als der Subtext: das, was in der Regel nicht gesagt, sondern nur<br />

gedacht wird. Sehr schön hat das Wirtschaftsminister Wolfgang Clement in einem Interview<br />

der Frankfurter Allgemeine Zeitung demonstriert. Darin gab er sich gewohnt optimistisch<br />

über die Zukunft des Arbeitsmarktes in Deutschland. “Wir können die Arbeitslosenquote<br />

in einem Jahrzehnt halbieren”, war das Gespräch überschrieben. Und an einer Stelle<br />

rutschte es raus, was der Vater von fünf Töchtern - mit “Familienmanagerin” zu Hause,<br />

selbstverständlich! - für den Kern des Problems hält. O-Ton Clement: “Wer genau hinschaut,<br />

der wird erkennen, daß die neuen Vermittlungs- und Zumutbarkeitsregelungen bewirken<br />

werden, daß wir uns auf die wirklichen Jobsucher konzentrieren können.” Dann kommt,<br />

wen Herr Clement nicht zu den “wirklichen Jobsuchern” zählt - neben den “Komatösen”, die<br />

ihm angeblich die Sozialämter untergeschoben haben. Zitat: “Einmal drastisch gesprochen:<br />

Die Ehefrauen gutverdienender Angestellter oder Beamter akzeptieren einen Mini-Job oder<br />

müssen aus der Arbeitsvermittlung ausscheiden.”<br />

Tja, da war “die Katze aus dem Sack”, wie der Deutsche Frauenrat in einem offenen Brief an<br />

den Minister formulierte. So was sollte man lieber nicht öffentlich äußern als Mitglied einer<br />

Regierung, die sich offiziell das Prinzip des “Gender Mainstreaming” zu eigen gemacht<br />

hat! Clements Bemerkung ist aber nur ein besonders verräterisches Beispiel für eine Sicht<br />

der Dinge, die in dem von Männerbündelei geprägten Politikbetrieb nach wie vor gang und<br />

gäbe ist. Der Kern dieser Denkweise besteht darin, das Thema “Arbeitsmarkt”, ebenso wie<br />

andere Politikfelder, als geschlechtsneutrales Problem zu betrachten - also das genaue Gegenteil<br />

dessen, was das Prinzip “Gender Mainstreaming” fordert.<br />

Die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland von registriert fünf Millionen, einschließlich der<br />

so genannten “stillen Reserve” eher sieben Millionen Menschen, lässt sich ohne den Blick<br />

auf die Kategorie “Geschlecht” kaum verstehen. Verkürzt formuliert: Wir haben heute gar<br />

nicht weniger Arbeitsverhältnisse als zu den im Rückblick glorifizierten Zeiten der “Vollbeschäftigung”.<br />

Geändert hat sich nicht das Angebot, sondern die Nachfrage nach Erwerbsarbeit.<br />

Die Zahl der nachfragenden Frauen ist deutlich gestiegen - gewachsene weibliche<br />

“Erwerbsneigung” nennen das die Wirtschaftswissenschaftler.<br />

“Erwerbsneigung” ist ein Wort, das nach Hobby klingt, nach “Neigungsfächern” in der<br />

Schule, die man wählen, aber auch vernachlässigen kann. Ich halte es für keinen Zufall,<br />

dass männliche Experten diesen Begriff benutzen, wenn sie den Umgang von Frauen mit<br />

bezahlter Beschäftigung beschreiben wollen. Konservative Ökonomen wie Meinhard Miegel<br />

haben für Westdeutschland vorgerechnet, dass es rund drei Millionen Erwerbspersonen weniger<br />

gäbe, wenn die Gruppe der berufsorientierten Frauen seit den sechziger Jahren nicht


Die Krise der Kerle<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?” Dr. Thomas Gesterkamp<br />

deutlich gestiegen wäre. Eigentlich meinten sie damit: Würden die Mütter wie früher zu<br />

Hause bleiben, verschwänden rein statistisch zwei Drittel der Arbeitslosen.<br />

Von solcher Stammtisch-Arithmetik distanzieren sich offiziell alle Parteien. Die Parole<br />

“Frauen zurück an den Herd” gilt bei der Lösung der Arbeitsmarktkrise als nicht opportun.<br />

Doch indem die Politik die Kategorie “Geschlecht” weitgehend vermeidet, ignoriert sie den<br />

latent stets mitschwingenden Konflikt zwischen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt.<br />

Denn das männliche Normalarbeitsverhältnis ließ sich - und lässt sich zum Teil bis<br />

heute - nur realisieren, wenn Ehefrauen die private Fürsorgearbeit leisten und ganz oder<br />

zeitweise zu Hause bleiben. Als Nebeneffekt entlasten sie auf diese Weise auch noch die<br />

Statistik - das gilt gerade hier im konservativen Südwesten mit seinen niedrigen Arbeitslosenquoten!<br />

Die Rezepte, die die Hartz-Gesetze offerieren, beruhen mithin auf unzureichenden Diagnosen<br />

- zumindest, was das Geschlechterverhältnis betrifft. Die alte “Vollbeschäftigung”,<br />

die Wolfgang Clement und seine Mitstreiter als Ziel bemühen, war in der Vergangenheit<br />

stets eine Vollbeschäftigung für Männer. Vollzeitarbeit für beide Geschlechter aber hat es<br />

zumindest in Westdeutschland nie gegeben und wird es voraussichtlich auch künftig nicht<br />

geben.<br />

Zum Syndrom der “geschlechterpolitischen Blindheit” gehört, dass die Arbeitsmarktprobleme<br />

im öffentlichen Raum kaum nach Männern und Frauen differenziert betrachtet werden.<br />

Von “geschlechtersensibler Ermittlung von Zielgruppen” - darüber wird gleich Rene<br />

Leicht reden - kann zumindest auf bundespolitischer Ebene keine Rede sein. Immerhin wird<br />

in der Statistik, wenn man sie genau liest, nach Männern und Frauen differenziert. Und da<br />

ist es interessant, die Erwerbslosenquoten von Männern und Frauen in einem Zehn-Jahres-<br />

Zeitraum zu vergleichen. Heraus kommt ein brisantes Ergebnis: Die männliche Arbeitslosenquote<br />

ist von 1992 bis 2002 von 7,1 Prozent auf 11,3 Prozent gestiegen. Im gleichen<br />

Zeitraum ist die Quote der Frauen mit 10,3 Prozent - 1992 waren es 10,2 Prozent - nahezu<br />

konstant geblieben.<br />

Ich gebe zu, ich habe einen besonders drastischen Vergleich gewählt. Und der Korrektheit<br />

halber sei auch angemerkt, dass es sich bei den Zahlen um die registrierten Arbeitslosen<br />

handelt. Die überwiegend von Frauen gefüllte “stille Reserve” - also jener, die sich gar nicht<br />

erst arbeitslos melden - bleibt ebenso unberücksichtigt wie die Tatsache, dass die weibliche<br />

Beschäftigung stärker auf Teilzeitarbeit und geringfügiger Entlohnung basiert.<br />

Selbstverständlich belegt der Blick in eine beliebige Führungsetage die fortbestehende<br />

männliche Vorherrschaft in den Spitzenpositionen von Wissenschaft, Technik und Industrie.<br />

Nach wie vor dominieren Männer die Erwerbsarbeit und bestimmen ihre Regeln. Der<br />

australische Männerforscher Robert Connell spricht vom “Macht-Mann” oder gar vom “globalisierten<br />

Mann” an der Spitze von Hierarchie und Einkommenspyramide. Dieser funktioniert<br />

als Leitbild für andere erwerbsorientierte Männer mit relativ guter Qualifikation, die<br />

sich erhoffen, so von der “patriarchalen Dividende”, wie es Connell nennt, zu profitieren.<br />

Der entsprechende berufliche Habitus, charakterisiert durch Leistungsorientierung, überlange<br />

Arbeitszeiten und die Abgabe sämtlicher Fürsorgepflichten an Frauen, findet sich<br />

als vorherrschendes Muster in den männlichen Lebensstilen der Mittelschicht. Der stolze<br />

“Alleinverdiener” mag vom “Haupternährer” mit Teilzeit-Gattin abgelöst worden sein. Das<br />

Leitbild des “Breadwinners” und entscheidenden Geldbeschaffers hat aber weiterhin eine<br />

hohe Priorität.<br />

Die Hegemonie von global agierenden Managern, Börsenspekulanten oder hochspezialisierten<br />

Programmierern verdeckt, dass andere Gruppen von Männern mit Rollenirritationen<br />

und sozialer Deklassierung konfrontiert sind. Statt fester Anstellung droht vor allem jungen<br />

Berufseinsteigern, Migranten und gering Qualifizierten die lebenslange Probezeit. An die<br />

Stelle des klassischen männlichen Musters “Vollzeit ohne Unterbrechung bis zur Rente” tritt<br />

für sie eine von beruflichen Brüchen und Phasen der Erwerbslosigkeit geprägte Biografie.<br />

Die “Giroväter” - wie Dieter Schnack und ich sie in unserem Buch “Hauptsache Arbeit?”<br />

genannt haben - bekommen damit Probleme, ihrer Familie eine verlässliche Perspektiven<br />

zu sichern. Es macht keinen Sinn, einen Bausparvertrag zu bedienen, wenn Mann nur einen<br />

.. 2


Dr. Thomas Gesterkamp<br />

0 ..<br />

Die Krise der Kerle<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?”<br />

Zeitvertrag in der Tasche hat. Der Stolz der Ernährer ist vor allem in den unteren sozialen<br />

Schichten angeknackst; das Band der Treue zwischen paternalistischem Unternehmertum<br />

und fleißiger Belegschaft ist zerrissen. Angelernte Industriearbeiter sind die Hauptverlierer<br />

des Wandels zur Dienstleistungsgesellschaft.<br />

Selbst in Ostdeutschland, einst eine Hochburg der erwerbslosen Frauen, sind inzwischen<br />

ebenso viele Männer ohne Job. “Starke Typen, aber keine Bräute”, überschrieb “Geo” im<br />

letzten Jahr einen Bericht, der ehemalige Braunkohlearbeiter mit verrußten Gesichtern in<br />

der Ruine ihrer ehemaligen Fabrik abbildete und im Text eine Studie über die demografische<br />

Entwicklung in Deutschland vorstellte: Im sächsischen Hoyerswerda kommen auf 100 Männer<br />

im Alter von 18 bis 29 Jahre nur noch 83 Frauen, im Landkreis Uecker-Randow sind es<br />

gar nur 76. In Mecklenburg-Vorpommern liegen halb verlassene Dörfer, in denen fast nur<br />

noch Alte und männliche Alkoholiker leben. Junge Frauen kehren deutlich häufiger als<br />

junge Männer den strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands den Rücken und bauen<br />

sich im Westen eine neue Existenz auf. Zurück bleiben, wie es der “Spiegel” despektierlich<br />

nannte, die “arbeitslosen Stadtdeppen ohne Chance auf Paarbeziehung”.<br />

Die Fabrikjobs haben einst schlecht ausgebildeten Männern ermöglicht, vom aufmüpfigen<br />

Jugendlichen zum ehrbaren Familienvater aufzusteigen. Mit ihrer Hände Arbeit vermochten<br />

sie die hungrigen Mäuler zu Hause zu stopfen. Wer das nicht mehr bieten kann, hat in<br />

der Tat Schwierigkeiten, eine Partnerin zu finden. Von “Double losers” spricht der norwegische<br />

Männerforscher Oystein Holter. Das uralte Verfahren, die zornigen jungen Männer in<br />

der Ehe zu “zivilisieren”, funktioniert nicht mehr. “Sie bleiben in einer Peter-Pan-Welt des<br />

gelegentlichen Sex und der Kriminalität stecken”, überspitzt die britische Autorin Suzanne<br />

Franks. “Uneducated, unemployed, unmarried” - ohne Ausbildung, ohne Job, ohne Liebe,<br />

formuliert plakativ der Londoner “Economist”, der schon in den neunziger Jahren Ärger<br />

mit den Männern (“The trouble with men”) prognostizierte: Die einstigen Helden der Arbeit<br />

seien “Tomorrow’s second sex”, das zweitrangige Geschlecht von morgen.<br />

Die Krise am Arbeitsmarkt ist also auch eine Krise der Männlichkeit, eine “Krise der Kerle”.<br />

Die Basis, auf der Männer ihr Selbstbild aufgebaut haben, bröckelt; sozialer Abstieg und<br />

persönliche Verunsicherung sind die Folgen. Sozialarbeiter in den Brennpunkten des sozialen<br />

Wohnungsbaus berichten, dass es vor allem die arbeitslosen Männer sind, die ihnen<br />

Anlass zur Sorge geben. Diese kämen mit dem Leben ohne eine bezahlte Tätigkeit besonders<br />

schlecht zurecht. Sie ziehen sich sich vor den Bildschirm zurück und entwickeln sich zu<br />

“Virtuosen der Fernbedienung” - während sich die Frauen trotz ebenfalls fehlender Jobs<br />

immerhin weiter in gesellschaftliche Netzwerke einbinden lassen.<br />

Die Privilegien der “Kerle” schwinden in der Arbeitsmarktpolitik, wie sich etwa bei der<br />

Frühverrentung zeigt: Vorruhestand und Altersteilzeit waren und sind Instrumente, die<br />

ganz überwiegend von männlichen Industriearbeitern genutzt werden. Gesellschaftlich<br />

ist der berühmte “goldene Handschlag” auf Kosten der Sozialkassen längst nicht mehr so<br />

akzeptiert wie noch vor zehn Jahren. Und die rechtlichen Möglichkeiten, sich vor dem<br />

Erreichen der Altersgrenze ohne große Einbußen aus der Erwerbsarbeit zu verabschieden,<br />

werden nach und nach eingeschränkt<br />

Auch beim Thema Ausbildung sieht es für das männliche Geschlecht nicht günstig aus Das<br />

Risiko, arbeitslos zu werden, wächst bei geringer Qualifikation. In deutschen Haupt- und<br />

Sonderschulen sitzen doppelt so viele Jungen wie Mädchen. 60 Prozent der GymnasiastInnen<br />

sind weiblich, unter den StudienanfängerInnen überwiegen inzwischen ebenfalls die<br />

Frauen. Dass Mädchen die “moderneren” Kinder sind, wie es Jugendforscher formulieren,<br />

und umgekehrt die “kleinen Helden in Not” geraten, ist fast 15 Jahre nach dem gleichnamigen<br />

Buch von Dieter Schnack und Rainer Neutzling im publizistischen und politischen<br />

Mainstream angekommen. Illustrierte widmen dem Thema alarmierte Titelgeschichten.<br />

Die CDU-Bundestagsfraktion stellte vor einem Jahr eine Anfrage zur “Verbesserung der<br />

Zukunftsperspektive für Jungen” und monierte, die Bundesregierung habe hierfür “kein<br />

Gesamtkonzept”. Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sorgt sich um die<br />

Leistungen männlicher Schüler: Die Vernachlässigung der Jungen habe - Zitat - “negative<br />

Konsequenzen für deren berufliche Perspektiven” und verursache “hohe gesellschaftliche<br />

Kosten”. Die Kultusminister, so fordern die Kammern, müssten sich mit dem Thema befas-


Die Krise der Kerle<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?” Dr. Thomas Gesterkamp<br />

sen. Jungen müssten mit gezielter Förderung aus dem Abseits geholt werden. Sonst drohe,<br />

so wörtlich, ein “männliches Proletariat”.<br />

“Männer, jung, Hauptschule” - das war auch die Kurzzusammenfassung der Wahlforscher<br />

nach den Erfolgen der NPD in Sachsen. Und Mike Davis, ein US-amerikanischer Stadtsoziologe,<br />

hat nach der Wiederwahl von Präsident Bush die “American liberals”, also die Intellektuellen<br />

rund um die Demokratische Partei, aufgefordert ,“über die historischen Umstände<br />

nachzudenken, die aus den Helden der Arbeiterklasse von gestern die Barbaren vor den<br />

Stadttoren von heute gemacht haben”. Er hat das am Beispiel von West Virginia erläutert,<br />

eines alten Stahl- und Minenreviers mit hoher Arbeitslosigkeit und langer “demokratischer”<br />

Tradition - wo Kerry im letzten Herbst mit 13 Prozent Abstand verloren hat.<br />

Schon deswegen könnte nach dem Thema “Jungen” bald auch das Thema “sozial deklassierte<br />

Männer” aus dem Schatten der Randständigkeit treten und breitere Kreise erreichen.<br />

Zumindest für die gering Qualifizierten gilt: Beide Geschlechter sind nun mit jenen prekären<br />

Erwerbsverläufen konfrontiert, die für Frauen schon immer “normal” waren. Die<br />

Hartz-Gesetze nivellieren das Geschlechterverhältnis auf prekärem Niveau: Auch Männer<br />

werden in die Selbstständigkeit abgedrängt, müssen sich mit Niedriglöhnen, Mini-Jobs oder<br />

befristeter Beschäftigung auseinander setzen. Zur gleichen Zeit triumphiert an der Spitze<br />

der Hierarchie eine modernisierte Form der männlich-hegemonialen Organisationskultur<br />

- und diesem Arbeitshabitus, der auf private Belange wenig Rücksicht nimmt, verpflichten<br />

sich auch Teile der gut ausgebildeten - und häufig kinderlosen - Frauen.<br />

Welche Spielräume gibt es vor diesem Hintergrund für den Wandel traditioneller Männerbilder<br />

und - rollen? Und welche Konsequenzen hat das für die Beschäftigungspolitik, also<br />

für Ihre konkreten Arbeitsfelder?<br />

Männlichkeit ist in unserer Gesellschaft eng an Erwerbsarbeit gekoppelt.<br />

Gerade für junge und nicht besonders gut ausgebildete Männer wächst das Gefälle zwischen<br />

Anspruch und Realität: zwischen der immer noch mächtigen Erwartung, die Ernährerrolle<br />

auszufüllen, und ihren tatsächlichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Darauf sind sie wenig<br />

vorbereitet.<br />

Folgt man den Ergebnissen von Jugendstudien, halten die Zwanzig- bis Dreißigjährigen die<br />

Geschlechterdifferenz nur noch für wenig relevant. Typisch männliche und typisch weibliche<br />

Lebensmuster haben sich in der Wahrnehmung der befragten Altersgruppe scheinbar<br />

aufgelöst. Das Lebensgefühl junger Frauen ist dabei von einem selbstverständlichen Anspruch<br />

auf gleiche Chancen geprägt. Erst mit der Realisierung des Kinderwunsches gerät<br />

dieses Selbstvertrauen ins Wanken. In einer späteren biografischen Phase als früher sind<br />

Frauen heute mit gravierenden Erfahrungen von Benachteiligung und Diskriminierung<br />

konfrontiert. Plötzlich müssen sie feststellen, dass Vollwerwerbstätigkeit und Familiengründung<br />

in Deutschland für sie nahezu unvereinbar sind. Betriebliche Hindernisse, noch<br />

mehr aber gesellschaftliche Normen und entsprechende politische Regularien legen Frauen<br />

dann für Jahre auf die Mutterrolle fest - und Männer umgekehrt auf die Rolle des “Haupternährers”.<br />

Schule wie auch beruflicher Qualifizierung und politischer Bildung kommt die Aufgabe<br />

zu, vor der entscheidenden Situation der Familiengründung einem “Realitätsschock” vorzubeugen.<br />

Jungen Frauen sollte zum Beispiel frühzeitig deutlich gemacht werden, welche<br />

persönlichen Risiken sie eingehen, wenn sie einen schlecht bezahlten “typischen” Frauenberuf<br />

wählen. Sie brauchen Ermunterung, ihre künftige Erwerbsarbeit ernst zu nehmen.<br />

Umgekehrt sind junge Männer wenig darauf vorbereitet, dass ihnen zwar gesellschaftlich<br />

weiterhin die Rolle des “Breadwinners” zugewiesen sind, sie an dieser Aufgabe aber in einer<br />

rapide umstrukturierten Erwerbswelt immer häufiger scheitern.<br />

Ganz selbstverständlich gehen die meisten von ihnen davon aus, auch künftig den Löwenanteil<br />

eines künftigen Familieneinkommens nach Hause zu bringen. Die Vaterrolle mit<br />

starkem Familienengagement auszufüllen, erscheint ihnen weit weniger attraktiv als die<br />

Verheißungen eines monetär erfolgreichen Erwerbslebens. Es liegt oft jenseits ihrer Vorstellungskraft,<br />

dass sie als Verlierer des gesellschaftlichen Wandels demnächst vielleicht<br />

weniger verdienen könnten als ihre gleich gut oder besser qualifizierte Partnerinnen. Noch<br />

seltener antizipieren sie die möglichen Konsequenzen: Eine “Ernährerin” im Rücken, sollen<br />

..


Dr. Thomas Gesterkamp<br />

2 ..<br />

Die Krise der Kerle<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?”<br />

sie sich plötzlich um Haushalt und Kinder kümmern oder dabei einen Beitrag leisten, der<br />

über gelegentliches Assistieren hinausgeht.<br />

Die “Berufsvorbereitung” in den Schulen müsste junge Männer so besehen nicht nur auf<br />

eine künftige unregelmäßige Erwerbsbiografie, sondern auch auf die “Arbeit des Alltags”<br />

im Haushalt und bei der Kinderversorgung vorbereiten. Das vermittelte männliche Leitbild<br />

kann sich nicht mehr einseitig am “Berufsmann” orientieren. Doch es braucht Mut und<br />

Selbstbewusstsein, sich dem betrieblichen und gesellschaftlichen Druck zu entziehen und<br />

den Spott über andere männliche Lebensorientierungen als das zu betrachten, was er auch<br />

ist: Ausdruck einer tief sitzenden Irritation. Über die “Krise der Kerle” eben. Ich danke für<br />

Ihre Aufmerksamkeit.<br />

Erwähnte Literatur<br />

CDU-Bundestagsfraktion (2004): Verbesserung der Zukunftsperspektive für Jungen.<br />

Drucksache 15/3516<br />

Clement, Wolfgang: Wir können die Arbeitslosenquote in einem Jahrzehnt halbieren. In:<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.10.2003<br />

Connell, Robert (2000): Der gemachte Mann, Opladen<br />

Davis, Mike: Stahl statt Aspirin. Konservative Werte gegen den Lebensstil von “Sex and<br />

the city”. In: Die Zeit vom 10.11.2004<br />

The Economist: The trouble with men, vom 28.10.96<br />

Franks, Suzanne (1999): Frauen, Männer und die Zukunft der Arbeit, Stuttgart<br />

Geo: Starke Typen, aber keine Bräute. Heft 5/2004, S. 103<br />

Gesterkamp, Thomas (2004): Die Krise der Kerle - Männlicher Lebensstil und der Wandel<br />

der Arbeitsgesellschaft, Münster<br />

Gesterkamp, Thomas (2002): Gutesleben.de - Die neue Balance von Arbeit und Liebe,<br />

Stuttgart<br />

Hartz, Peter u.a (2002): Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt - Bericht der Kommission,<br />

Berlin<br />

Holter, Oystein (2003): Can men do ist? Men and gender equality - the nordic experience,<br />

Kopenhagen<br />

Roth, Eva: Wirtschaft will Jungs aus dem Abseits holen. In: Frankfurter Rundschau vom<br />

10.8.2004<br />

Schnack, Dieter / Gesterkamp, Thomas (1998): Hauptsache Arbeit? Männer zwischen Beruf<br />

und Familie, Reinbek<br />

Schnack, Dieter / Neutzling, Rainer (1990, Neuauflage 2000): Kleine Helden in Not - Jungen<br />

auf der Suche nach Männlichkeit, Reinbek<br />

Der Spiegel: Angeknackste Helden. Heft 21/2004, S. 82


<strong>Fachtagung</strong> »Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?«<br />

Wie kann eine Analyse des regionalen Arbeitsmarktes<br />

und geschlechtersensible Ermittlung<br />

von Zielgruppen gelingen?<br />

Vortrag zur <strong>Fachtagung</strong><br />

„Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?“<br />

am 2.6.05 in Stuttgart<br />

Dr. René Leicht,<br />

Institut für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim (ifm)<br />

..


Arbeitsmarkt und geschlechtersensible Zielgruppenermittlung<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?”<br />

Schönen guten Tag, Frauen und Männer,<br />

die Frage “Wie kann eine Analyse des regionalen Arbeitsmarktes und eine geschlechtersensible<br />

Ermittlung von Zielgruppen gelingen?“ kann man eigentlich erst beantworten, wenn<br />

ein paar Worte dazu gefallen sind, warum eine solche Analyse überhaupt sinnvoll und<br />

erforderlich ist.<br />

Über allem schwebt die Erkenntnis, dass die Umsetzung von Gender Mainstreaming durch<br />

einen Mangel an aussagekräftigen und vor allem geschlechterdifferenzierten Daten behindert<br />

wird. Um diese Diagnose einschätzen zu können ist zunächst ein Blick auf die Zielebene<br />

erforderlich:<br />

• Das Ziel einer „Chancengleichheit von Frauen und Männern“ ist fast schon Allgemeingut,<br />

wenngleich auch noch weit entfernt.<br />

• Die Forderung, dass dies ein „integraler Bestandteil allen staatlichen Handelns“ sein<br />

sollte, hat mehr Implikationen als auf den ersten Blick ersichtlich: Dies setzt voraus,<br />

dass<br />

a) überhaupt gehandelt wird. D.h. ein Problem könnte eher das Nicht-Handeln sein.<br />

b) dem Staat, dem Land oder der regionalen Körperschaft bekannt ist, in welchen<br />

Bereichen gehandelt werden muss, und dass<br />

c) jeweils allen auch die Wirkungen ihres Handeln bewusst ist.<br />

Das heißt jeglicher Weg zu einem gewollten Soll-Zustand, setzt voraus, dass der Ist-Zustand<br />

und letztlich die Situation, in der wir uns im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit<br />

befinden, wirklich bekannt ist.<br />

• Deshalb fordert unter anderem die EU-Kommission die „Verfügbarkeit von nach Geschlecht<br />

aufgeschlüsselten Daten (Art. 36)“.<br />

• Soweit die Handlungsebene der Arbeitsmarkt ist, kommt in Baden-Württemberg eine<br />

Spezifika hinzu, da hier die ESF-Maßnahmen stark dezentralisiert sind, „weshalb<br />

Projekte auf Grundlage regionaler Arbeitsmarktanalysen“ erfolgen.<br />

Zweck von Daten und Analysen<br />

An dieser Stelle ist bereits anzumerken, dass die Forderung nach Daten und die nach Analysen<br />

zwar eine logische Abfolge bilden, aber nicht das gleiche meint.<br />

Eigentlich sprechen Daten nicht „für sich“, sondern erst durch die mit ihnen durchgeführten<br />

Analysen. Das wird schon deutlich, wenn wir nach dem Nutzen von Daten fragen. Daten<br />

dienen zunächst mal<br />

..<br />

Dr. René Leicht<br />

ifm


Dr. René Leicht<br />

6 ..<br />

Arbeitsmarkt und geschlechtersensible Zielgruppenermittlung<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?”<br />

• der „Beurteilung des Status Quo / Ungleichheitsstrukturen / Problemfelder“, ferner<br />

• der „Ermittlung benachteiligter Gruppen und der Zielbestimmung“,<br />

• der „Erkennung von Handlungsbedarf“ (was ich vorher bereits erwähnte) sowie letztlich<br />

• der „Entwicklung von Handlungsstrategien“<br />

Weniger analytisch als vielmehr deskriptiv ist der Nutzen von Daten, wenn es<br />

• um den „Nachweis gleichgewichtiger Beteiligung von Frauen und Männern an<br />

Maßnahmen“ geht. Dieser Anwendungszusammenhang ist voraussichtlich der am<br />

gebräuchlichste. Er assoziiert aber leider auch häufig eine verkürzte oder falsche Vorstellung<br />

von Gender-Mainstreaming.<br />

• Der letzte hier aufgelistete Punkt, die „Bewertung von Strukturfonds-Interventionen“,<br />

ist wohl eher ein Thema bzw. eine Sache der Evaluatoren.<br />

Anwendung von Daten im Kontext der „Doppelstrategie“<br />

Im Zusammenhang mit Gender Mainstreaming hat längst ein geflügeltes Wort um sich gegriffen:<br />

Das der sogenannten „Doppelstrategie“, deren Bedeutung Sie ja alle kennen. Aber<br />

welche Bedeutung haben Daten und Analysen in diesem Kontext? Und welche Rolle spielen<br />

Daten dann in den regionalen Arbeitskreisen?<br />

• Reagieren die AK eher in einer pragmatischen Form auf ein Problem oder ein Defizit,<br />

oder befördern in reaktiver Weise ein bestimmtes Projekt, dann erfüllen Daten vielleicht<br />

einen sehr spezifischen Zweck.<br />

Vorstellbar ist bspw., dass eine Region Computerkurse für Migranten durchführt und<br />

die Zahl der Teilnehmenden daher nach Geschlecht erfasst. Hier könnte sich dann<br />

rausstellen, dass 10 Türken, aber nur 2 Türkinnen teilnehmen. Eine logische Konsequenz<br />

wäre, dass man dann im weiteren Schritt Computerkurse speziell für türkische<br />

Frauen anbietet.<br />

• Würde man aber eine Arbeitsmarktanalyse durchführen und daher wissen, dass Frauen<br />

unter der türkischen Bevölkerung die Hälfte ausmachen, aber unter den Erwerbspersonen<br />

nur ein Drittel, dann könnte ein AK strategisch vorgehen bzw. eventuell zu<br />

anderen Schlussfolgerungen und daher zu anderen Projekten kommen.<br />

Um bei dem genannten Beispiel zu bleiben: Im Rahmen eines integrativen Gleichstellungsansatzes<br />

würde man feststellen, dass die türkischen Frauen überhaupt erst<br />

dann an einem Computerkurs teilnehmen, wenn sie auch die Möglichkeit haben, die


Arbeitsmarkt und geschlechtersensible Zielgruppenermittlung<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?” Dr. René Leicht<br />

Kenntnisse im Berufsleben anzuwenden. Dann würde der nächste Schritt vielleicht zu<br />

einer ganz anderen Maßnahme führen.<br />

• Ich sage bewusst „vielleicht“, weil die Arbeitsmarktanalyse nur dann vollständig und<br />

sinnvoll ist, wenn der AK bzw. die Region oder Kommune weiß, wohin sie denn überhaupt<br />

steuern möchte. Das heißt, wenn die Region bzw. der Arbeitskreis den Soll-Zustand<br />

im Diskurs definiert. Eine solche klare Zielbestimmung erfolgt leider nicht sehr<br />

häufig, denn sie geht im „Tagesgeschäft“ meist verloren.<br />

• Um jedoch den Soll-Zustand anvisieren zu können, ist eine Problemanalyse zum Status-Quo<br />

(Ist-Zustand) erforderlich.<br />

• Während also zu einem reaktiven Vorgehen eher ausgewählte Daten sinnvoll sind,<br />

die situativ nützen (Folie linkes Feld),<br />

• sind für eine strategische Vorgehensweise Daten und Analysen zum Geschlechterverhältnis<br />

generell und vor allem zu den Ungleichheitsstrukturen erforderlich (Folie<br />

rechtes Feld).<br />

Anmerkungen zur Entwicklung des Geschlechterverhältnisses:<br />

Kontinuität oder Wandel?<br />

Es wäre wünschenswert (bevor ich weiter auf den Gegenstand von Arbeitsmarktanalysen<br />

eingehe) zu diskutieren, in welchen Bereichen, sich das Geschlechterverhältnis konserviert<br />

hat und wo es sich gewandelt hat. Dazu fehlt mir jetzt hier im Vortrag aber dann doch die<br />

Zeit.<br />

..


Dr. René Leicht<br />

..<br />

Arbeitsmarkt und geschlechtersensible Zielgruppenermittlung<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?”<br />

Vielleicht können wir im nachfolgenden Gesprächskreis diskutieren, ob - wenn überhaupt<br />

- ein Wandel<br />

• im privaten Bereich,<br />

• im Bereich von Recht und sozialer Sicherung<br />

• oder in der Beschaffenheit des Arbeitsmarktes<br />

• oder gar in der Politik zu verspüren ist.<br />

Sinn dieser hier vorgebrachten Frage ist nur, darauf hinzuweisen, dass sich natürlich längst<br />

auch ein Art „Gleichheitsrhetorik“ entwickelt hat. Das heißt: Um zu erkennen, ob wir es mit<br />

einem Wandel nur im Bewusstsein oder auch mit einem Wandel der objektiven Lage zu tun<br />

haben, sind – oder wären – wieder Daten erforderlich.<br />

Determinanten von Ungleichheitsstrukturen<br />

Eine grundlegende Prämisse für die Analyse von Arbeitsmärkten (zumal in der Perspektive<br />

von Gender Mainstreaming) ist die Identifizierung von Ungleichheitsstrukturen.<br />

Diesbezüglich können wir zunächst zwischen 3 Ebenen unterscheiden.<br />

1. Die erste Frage ist schon die, wer überhaupt am Arbeitsmarkt partizipiert. Das heißt<br />

wie sieht die Erwerbsbeteiligung aus? Wer zeigt aus welchem Grund welche Erwerbsorientierung?<br />

2. Aber auch wenn wir uns auf die Gruppe derjenigen beschränken, die partizipiert,<br />

besteht eine weitere Ungleichheit darin, wer durch Arbeitssuche<br />

3. und wer durch Beschäftigung am Arbeitsmarkt in Erscheinung tritt.<br />

Damit nicht genug: Auch die Beschäftigung kennt verschiedene Dimensionen bzw. Ungleichheiten:<br />

Wir haben es mit ArbeiterInnen, Angestellten, Selbständigen, Führungskräften,<br />

WerkvertragsnehmerInnen, Teilzeitkräften, Vollzeitkräften usw. usw. zu tun. Frauen<br />

nehmen hier jeweils spezifisch andere Positionen als Männer ein.<br />

Ungleichheitsstrukturen zeigen sich aber auch in der Arbeitslosigkeit, wenn wir nach ihrer<br />

Form und nach ihrer Dauer unterscheiden. Hier wird allerdings das Merkmal „Geschlecht“<br />

unter Umständen durch sog. Drittvariablen, d.h. durch den Einfluss weiterer Faktoren,<br />

überdeckt.<br />

Was sind die Determinanten bzw. die Bestimmungsfaktoren solcher Ungleichheiten? Ich<br />

möchte das zunächst mal nur hypothetisch aufzeigen, denn konkrete Ergebnisse sind – zumindest<br />

was die regionale Ebene in Baden-Württemberg betrifft – ja erst mit der Durchführung<br />

der Analysen zu erwarten. Ein Grundproblem der Analyse besteht darin, dass einzelne<br />

Elemente der Ungleichheitsstrukturen gleichzeitig sowohl abhängige als auch unabhängige<br />

Variablen im Erklärungszusammenhang sind.


Arbeitsmarkt und geschlechtersensible Zielgruppenermittlung<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?” Dr. René Leicht<br />

• Lebensformen: Bei Frauen und Männern haben sich die Ansprüche an die Gestaltung<br />

des Lebens im Zeitverlauf zwar angenähert, aber in ihrer Realisierung zeigen sich immer<br />

noch Unterschiede. So sind Frauen bspw. weit häufiger alleinerziehend, was nicht<br />

ohne Einfluss auf die Erwerbsmöglichkeiten oder die Balance von Arbeit und Leben<br />

ist.<br />

• Allem voran dürfte jedoch das tradierte Rollenverhalten und damit die geschlechtspezifische<br />

Arbeitsteilung eine zentrale Determinante von Ungleichheitsstrukturen<br />

sein. Trotz gestiegener Erwerbsbeteiligung von Frauen ist das männliche „Ernährermodell“<br />

noch immer ein weitverbreitetes Muster.<br />

• Entsprechend unterschiedlich ist auch die Arbeitsorganisation: Frauen arbeiten weit<br />

häufiger in Teilzeit oder von zuhause aus (z.B. Telearbeit), und daher oftmals in Arbeitsformen,<br />

die auch ihre Einkommenssituation bestimmen.<br />

• Eine zentrale Determinante der Ungleichheit von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt<br />

ist das Berufswahlverhalten bzw. die berufliche Segregation. Noch immer<br />

greifen Mädchen häufiger auf typische Frauenberufe und Studentinnen auf frauentypische<br />

Studienfächer zurück. Da Berufe aber die Chancen und Positionen im Erwerbsleben<br />

bestimmen, finden sich Frauen und Männer in unterschiedlichen betrieblichen<br />

Stellungen und in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen.<br />

• In punkto formaler „Bildung“ haben zumindest in den jüngeren Generationen die<br />

Frauen die Männer überholt. Der Anteil höherer Schulabschlüsse ist bei Frauen überproportional<br />

gestiegen. Da aber nicht nur formale Bildung, sondern auch Berufs- und<br />

Arbeitserfahrung für die Allokation von Arbeitsplätzen verantwortlich zeichnen,<br />

hinkt die Verwertung von Bildungsabschlüssen hinter der bei den Männern zurück.<br />

• Geschlechtsspezifische Charakteristika werden unter Umständen durch andere Disparitäten<br />

am Arbeitsmarkt verstärkt. So können auch regionale Besonderheiten oder<br />

bestimmte Bevölkerungsstrukturen (z.B. Migrantenanteil) vorhandene Ungleichgewichte<br />

noch verstärken.<br />

Schwerpunkte der Analysen<br />

Wenngleich hier nicht alle maßgeblichen Bestimmungsgrößen aufgelistet werden können,<br />

müssen sich die Analysen zur Identifizierung von Ungleichheitsstrukturen am Arbeitsmarkt<br />

zunächst an den dargestellten Faktorengruppen orientieren. Mit Blick auf die jeweiligen<br />

Gegebenheiten in den Regionen stellen sich also unter anderem folgende Fragen<br />

(wobei deren Reihenfolge nicht unbedingt auch ihren Stellenwert widerspiegelt):<br />

• Wie ist es um die Infrastruktur für eine work-life-balance in den Regionen bestellt?<br />

Wie ist die Kinderbetreuung geregelt bzw. in welcher Form tragen Landkreise, Gemeinden<br />

und Arbeitgeber für familienfreundliche Lebens- und Arbeitsbedingungen<br />

bei?<br />

• Welche Chancen haben bspw. BerufsrückkehrerInnen?<br />

• In welchem Umfang werden Teilzeitarbeitsplätze bereit gestellt und für wen? Bleibt<br />

Teilzeitarbeit in den Regionen eine „Frauenangelegenheit“? Wer übernimmt Familienverantwortung?<br />

..


Dr. René Leicht<br />

40 ..<br />

Arbeitsmarkt und geschlechtersensible Zielgruppenermittlung<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?”<br />

• Organisatorischer Wandel und die Flexibilisierung von Arbeit und Beschäftigung<br />

greifen in Tätigkeitsfeldern um sich, die zu einem hohen Anteil von Frauen eingenommen<br />

werden: In welchem Maße sind Frauen bspw. von der Ausweitung von<br />

Arbeitszeiten und Niedriglohnsektor oder der Befristung von Arbeitsverhältnissen<br />

betroffen?<br />

• Wie steht es um die Gründungs- und unternehmerischen Neigungen von Frauen? Wie<br />

stark ist das „gender gap“ in der beruflichen Selbständigkeit und in den betrieblichen<br />

Führungspositionen?<br />

• Das Ausmaß beruflicher Segregation wird ein zentraler Untersuchungsgegenstand<br />

regionaler Analysen sein. D.h. wie entwickelt sich die Ungleichheit zwischen den<br />

Geschlechtern in Bezug auf das Berufs- und Studienwahlverhalten?<br />

• Wie partizipieren Mädchen und Frauen an der Besetzung von Ausbildungsplätzen?<br />

• Wie stark ist das Lohngefälle zwischen Frauen und Männern in den einzelnen Regionen?<br />

• Inwieweit korrelieren ethnienspezifische und geschlechtsspezifische Faktoren?<br />

• Gibt es Ansätze einer „geschlechtersensiblen“ Politik in den Regionen und welche<br />

Unterschiede zeigen sich?<br />

Instrumente, Methoden und Quellen<br />

Unser Vorschlag sieht zunächst die Erarbeitung eines Forschungsüberblicks zur Frage der<br />

geschlechtsspezifischen Ungleichheit am Arbeitsmarkt sowie – im Hinblick auf das Analyseinstrumentarium<br />

– einen Methodenmix aus quantitativen und qualitativen Analysen<br />

vor.<br />

Die vorgesehenen Methoden bzw. Arbeiten umfassen<br />

• Dokumentenanalysen und ExpdertInnengespräche.<br />

• Im Mittelpunkt wird aber sicher die Aufbereitung von Sekundärdaten stehen wobei<br />

• die Analysen sowohl auf der Basis von Aggregatdaten als auch von Mikrodaten (Individualdaten)<br />

erfolgen.<br />

Als Datenproduzenten bzw. Institutionen mit statistischen Ressourcen kommen vor allem<br />

• das Statistische Landesamt<br />

• die Bundesagentur für Arbeit,<br />

• ferner die Kommunen und<br />

• die Berufsorganisationen in Frage.<br />

Allerdings verfügen die beiden letztgenannten in der Regel nur über wenige aussagekräftige,<br />

Daten, was insbesondere die Geschlechterdifferenzierung betrifft.<br />

Denn natürlich steht die Differenzierbarkeit der Daten nach Geschlecht und Region im Vordergrund<br />

der Anforderungen.<br />

Mögliche Indikatoren einer regionalen Arbeitsmarktanalyse:<br />

Soziodemografische Merkmale Erwerbstätiger bzw. Beschäftigter innerhalb einer Region<br />

• Geschlecht<br />

• Alter<br />

• Qualifikation (Schul- und Berufsbildung)<br />

• Staatsangehörigkeit<br />

Betriebe, Beschäftigung und Qualifikationsbedarf auf regionaler Ebene<br />

• Verteilung und Entwicklung von Betrieben nach Wirtschaftszweig und Betriebsgröße<br />

• Struktur und Entwicklung der Beschäftigung (nach Wirtschaftszweig und Betriebsgröße)<br />

• Betrieblicher Qualifikationsbedarf<br />

Geschlechtsspezifische Erwerbsmuster innerhalb einer Region<br />

• Erwerbsbeteiligung von Frauen insgesamt<br />

• Geschlechterunterschiede in Bildung und Weiterbildung<br />

• Berufliche Segregation am Arbeitsmarkt<br />

• Einkommensverteilung<br />

• Besetzung von Führungspositionen


Arbeitsmarkt und geschlechtersensible Zielgruppenermittlung<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?” Dr. René Leicht<br />

• Teilzeit und geringfügige sowie befristete Beschäftigung<br />

Arbeitslosigkeit<br />

• Entwicklung der Arbeitslosigkeit<br />

• Arbeitslosigkeit von Frauen und Männern<br />

• Arbeitslosigkeit von Migranten<br />

• Verteilung der Arbeitslosen nach Berufen, Qualifikationen und Branchen<br />

• Langzeitarbeitslose sowie zusätzliche Beeinträchtigungen<br />

Familienfreundlichkeit<br />

• Öffentliche und private Infrastruktur zur Betreuung<br />

• Betriebliche Politik zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für<br />

Frauen und Männer<br />

• Existenz von lokalen Netzwerken<br />

Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung auf regionaler Ebene<br />

• Übersicht über bestehende Maßnahmen zur Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Existenzgründungsförderung<br />

sowie zur Qualifizierung<br />

• Identifizierung geschlechtsspezifischer Unterschiede<br />

Gleichzeitig sollte eine Bestandsaufnahme der regional verfügbaren Daten und damit eine<br />

Bewertung erfolgen, inwieweit auf regionaler Ebene wichtige Indikatoren verfügbar bzw.<br />

verfügbar zu machen sind.<br />

Vorgehensweise<br />

Die geplante Vorgehensweise ist nachfolgender Folie zu entnehmen:<br />

1. An erster Stelle steht eine Bestandsaufnahme, die sich vor allem auf eine Sichtung<br />

und Bewertung der vorhandenen Datenressourcen bezieht.<br />

2. Die Frage, welche arbeitsmarkt- und gleichstellungsrelevanten Indikatoren überhaupt<br />

zur Analyse verwendet werden, bedarf einer Abstimmung mit allen Beteiligten, insbesondere<br />

mit den Modellarbeitskreisen bzw. den dort durchgeführten Projekten, dem<br />

Beirat sowie mit ProInnovation.<br />

3. Der Kern der Arbeit besteht natürlich in der Durchführung der geschlechter- und<br />

zielgruppendifferenzierten Arbeitsmarktanalysen. Dieser Teil wird sicher auch mit<br />

dem höchsten Zeitaufwand verbunden sein, insbesondere wenn es (mit Blick auf die<br />

.. 4


Dr. René Leicht<br />

42 ..<br />

Arbeitsmarkt und geschlechtersensible Zielgruppenermittlung<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?”<br />

Nachhaltigkeit des Projekts) gelingen sollte, in exemplarischer Weise Analysen in<br />

Zusammenarbeit mit den Modellarbeitskreisen durchzuführen.<br />

4. Schließlich müssen die Projektergebnisse ausgiebig mit den Beteiligten diskutiert<br />

werden, wobei es vor allem um<br />

- die Rückkopplung der Ergebnisse mit den Modellarbeitskreisen,<br />

- die Entwicklung von Vorschlägen zur Konzeption innovativer Projekte im Hinblick<br />

auf regionale Beschäftigungsförderung insgesamt sowie um<br />

- eine gemeinsame Bestimmung von Gleichstellungszielen auf der Grundlage der<br />

geschlechterspezifischen Daten über den Arbeitsmarkt und die Wirtschaftsstruktur<br />

in der Region geht.<br />

5. Zum Abschluss des Projekts sollen die Befunde auf der Basis der Analyse, der ExpertInnengespräche<br />

und der Rückkoppelung einer abschließenden Bewertung zugeführt<br />

werden, die zum einen erlaubt, Notwendigkeit und Nutzen geschlechterdifferenzierender<br />

regionaler Arbeitsmarktanalysen für den effizienten Einsatz von<br />

Arbeitsmarktinstrumenten abzuschätzen. Unter dem Blickwinkel der Umsetzung von<br />

GeM-Maßnahmen wird insbesondere geprüft, inwieweit geschlechterdifferenzierende<br />

Analysen die Basis für die Aufstellung von Gleichstellungszielen und deren Durchsetzung<br />

sein können. Idealerweise erfolgt neben der Unterstützung in der Konzeption<br />

von Projekten eine Bewertung der Wirkung einzelner Maßnahmen mit Blick auf die<br />

Gleichstellung der Geschlechter. Darüber hinaus wird geprüft, in welchem Umfang<br />

Daten auch regional zur Verfügung stehen sollten, sowie, auf welchen Wegen dies am<br />

effizientesten erfolgen kann.<br />

Zusammenfassung und Schlussbetrachtung<br />

Profunde Daten zur sozialen und beruflichen Positionierung von Frauen und Männern am<br />

Arbeitsmarkt und letztlich zur Gleichstellungssituation dienen mehreren Zwecken, worin<br />

sich gleichzeitig die Doppelstrategie aus speziellen Maßnahmen (reaktiv) und einem integrativen<br />

Gleichstellungsansatz (proaktiv) widerspiegelt: Auf der Ebene einzelner Projekte<br />

flankieren sie die Begründung, Ausgestaltung und Bewertung von Maßnahmen, indem<br />

bspw. projektbezogene Leistungsindikatoren eine möglichst objektive Vergleichsgrundlage<br />

erfahren. Von weit höherer Bedeutung sind geschlechterdifferenzierende Daten jedoch zur<br />

Erkennung von grundlegendem Handlungsbedarf, denn eine den gesamten Arbeitsmarkt<br />

umfassende Implementierung von GeM kann nur gelingen, wenn die Daten nicht nur die<br />

angestoßenen Projekte legitimieren, sondern dazu beitragen, Maßnahmen systematisch und<br />

zielgruppenorientiert zu initiieren. Dies wiederum setzt voraus, dass die Strukturen und<br />

Wirkungen geschlechterspezifischer Arbeitsteilung nicht nur<br />

a) erkannt, sondern<br />

b) auch bewertet und<br />

c) konzeptionell angegangen werden.<br />

Das heißt, letztlich ist die Sicherstellung von nach Geschlecht aufgeschlüsselten Statistiken<br />

(Forderung der EU-Kommission) nur der erste Schritt. Ein zweiter besteht in der gendersensiblen<br />

Analyse der Daten.<br />

Mit Blick hierauf ist die Umsetzung der ESF-Ziele mit Hilfe regionaler Arbeitskreise eine<br />

Herausforderung und Chance zugleich: Eine Herausforderung besteht darin, dass eine Disaggregierung<br />

der Daten nach Stadt- und Landkreisen die Verfügbarkeit begrenzt. Eine<br />

Chance ergibt sich hingegen dadurch, dass die Regionalisierung das Abstraktionsniveau<br />

verringert und die mit den Daten erzielten Erkenntnisse in unmittelbare Nähe der Entscheidungsträger<br />

rücken. Durch die direkte „Bindung“ der Daten an das Projektumfeld und die<br />

Kooperation mit dem ifm können die kommunalen Akteure mittelfristig in die Lage versetzt<br />

werden, einzelne Auswertungen in eigener Regie durchzuführen.


„Merkwürdige Frauen & geschlechtslose Männer!?”<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?” Gesprächskreis 1<br />

Dr. Anne Rösgen – Aus dem Gesprächskreis 1<br />

Merkwürdige Frauen – geschlechtslose Männer?<br />

Wie kann der ESF alte geschlechtsspezifische Muster aufbrechen?<br />

Der Gesprächkreis beschäftigte sich mit der Frage, wie die strategische Perspektive des<br />

Gender Mainstreaming verstärkt werden kann. Zunächst gab es Fragen und Kommentare<br />

zum Vortrag von Frau Dr. Rösgen am Vormittag („...die Situationen, Interessen und Bedürfnisse<br />

von Frauen und Männern berücksichtigen ....“ was heißt das eigentlich?)<br />

Es wurden konkrete Sachfragen gestellt: wer hat berechnet, dass der Anteil der Haus- und<br />

Familienarbeit an der Wertschöpfung der Volkswirtschaft ca. 30 % mindestens beträgt?<br />

Was ist genau mit der Veränderung der Lebensverläufe gemeint? Zum anderen wurde gefragt,<br />

wie man denn gesellschaftliche Strukturen, die zudem im Umbruch sind, beeinflussen<br />

kann? Wie kann man EntscheidungsträgerInnen zum Umdenken bewegen im Sinne<br />

einer strategischen Perspektive? Wie kann man bei Männern Betroffenheit im Hinblick auf<br />

Geschlechterpolitik auslösen und Einstellungen verändern usw.<br />

Die Kommentare bezogen sich u.a. auf die Probleme, die durch die „Reformen“ der Arbeitsmarktpolitik<br />

bestehen, z.B. kann man in den immer kürzeren Maßnahmen, die die Bundesagentur<br />

fördert, schlecht solche längerfristigen Ziele verfolgen, die Individualisierung<br />

der Förderung macht Projekte unmöglich, die bundesweite Ausschreibung von Maßnahmen<br />

führt dazu, dass es regional keine wirklichen AnsprechpartnerInnen mehr gibt, mit denen<br />

Konzepte diskutiert werden könnten etc. Ein anderer Kommentar aus einer Beratungsstelle<br />

Frau und Beruf bestätigte die Einschätzung, dass man sich bisher hauptsächlich auf die<br />

kurzfristigen, „pragmatischen“ Bedürfnisse von Frauen konzentriert habe (Kinderbetreuung,<br />

Teilzeitarbeit) und hier eine ganze Palette von Unterstützungsmaßnahmen anbieten<br />

könne, dass aber Initiativen im Hinblick auf „große Lösungen“ noch kaum unternommen<br />

wurden – aus Zeitgründen, aber auch wegen ungünstiger Rahmenbedingungen in einem<br />

konservativen Landkreis. Von mehreren Seiten wurde geschildert, dass sich inzwischen<br />

eine gewisse Gender Mainstreaming Rhetorik breit macht, der auch Bürgermeister kleiner<br />

Gemeinden mächtig sind, ohne allerdings wirklich etwas umzusetzen. Mehrere TeilnehmerInnen<br />

äußerten sich unzufrieden damit, dass von Seiten der Programmverantwortlichen<br />

noch immer wesentlich auf Überzeugungsarbeit gesetzt werde und fanden es an der<br />

Zeit, Sanktionen für die Nichtumsetzung von Gender Mainstreaming zu verhängen, sei es<br />

von Seiten der EU oder auch auf der Landesebene (L-Bank, Ministerien) oder der ESF – Arbeitskreise.<br />

In der anschließenden Diskussion wurde herausgearbeitet, dass es beide Ansätze braucht:<br />

die Sensibilisierung und Qualifizierung ebenso wie die Änderung von Verfahren („EntscheidungsträgerInnen<br />

verpflichten und qualifizieren“). Frau Brich vom Modellarbeitskreis<br />

Heidelberg bezog sich auf die Diskussionen über die Folgen des demografischen Wandels,<br />

die zur Zeit auf vielen Ebenen geführt werden und wies darauf hin, dass die Veränderungen<br />

auf dem Arbeitsmarkt (verstärkte Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften; veränderte<br />

Bedarfe in einzelnen Berufen und Branchen), die im Rahmen des demografischen Wandels<br />

erwartet werden, dazu genutzt werden sollten, um Führungskräfte vom wirtschaftlichen<br />

Nutzen von GeM zu überzeugen.<br />

Von Herrn Pfeiffer aus dem ESF Modellarbeitskreis Mannheim wurde dargestellt, dass es<br />

hilfreich ist, wenn die Mitglieder der Arbeitskreise Methoden, Handwerkszeug (wie die „4<br />

Schritte“) bekommen und den Einsatz üben, damit sie qualifizierter die von den Trägern<br />

vorgelegten Anträge beurteilen können. Es gab große Einigkeit darüber, dass es darauf ankomme,<br />

dass die Arbeitskreise nach einer Analyse der Ausgangslage Vereinbarungen über<br />

Ziele und Schwerpunkte der Förderung treffen, auch Indikatoren für die Zielerreichung im<br />

Hinblick auf Gender Mainstreaming ausweisen, transparent machen und vor allem den Verlauf<br />

der Projekte evaluieren. Hier wurde deutlich, dass es dafür gegenwärtig an Ressourcen<br />

fehlt. Es wurden Lücken im Top Down Prozess festgestellt (Beispiel: Der GeM Prozess im<br />

Kultusministerium kommt bei den Schulämtern offenbar nicht an), es fehlt dem Top Down<br />

.. 4


Gesprächskreis 1<br />

44 ..<br />

„Merkwürdige Frauen & geschlechtslose Männer!?”<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?”<br />

Prozess wohl auch an Kontrolle. Resümierend wurde festgestellt, dass es nötig ist, die strategischen<br />

Perspektiven von GeM überhaupt erst einmal aufzuzeigen und deutlich zu machen,<br />

dass es um einen kulturellen Wandel geht. Noch immer herrscht vielfach die Einschätzung<br />

vor, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland gegeben sei, daher ist<br />

immer noch eine Sensibilisierung für die geschlechterpolitischen Realitäten wichtig.


Krise der Kerle - wie geht der ESF damit um?<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster? Gesprächskreis 2<br />

Dr. Ronald Schulz – Aus dem Gesprächskreis 2<br />

„Krise der Kerle - wie geht der ESF damit um?“<br />

Im Gesprächkreis gingen wir zwei Fragestellungen nach:<br />

1. Wie geht der ESF bisher mit den Männern um? Und 2., welchen Bildungsbedarf haben<br />

Männer?<br />

Bisher sind aus den Projekten kaum „Männerprojekte“ identifizierbar gewesen. Auch den<br />

GK-Teilnehmenden sind keine Projekte, die Männer explizit als Zielgruppe benennen, bekannt.<br />

Eine Teilnehmerin berichtete von Projektanträgen, die vom AK zurückgewiesen<br />

wurden, weil sie als es reine Männerprojekte konzipiert waren. Diese Projekte orientierten<br />

sich dann inhaltlich um. Diejenigen Projekte, in denen Männer qualifiziert und betreut<br />

werden, waren eigentlich nicht geschlechtsspezifisch geplant. Die Zielgruppe habe sich auf<br />

Grund der speziellen Angebote (z.B. Qualifizierung im metallverarbeitenden Gewerbe) so<br />

ergeben.<br />

Die 2. Frage beschäftigte sich mit dem Bildungsbedarf von Männern. Diese Bildungsbedarfe<br />

sollten Entwicklungsmöglichkeiten Männerprojekte aufzeigen. In der Diskussion wurde<br />

deutlich, dass Männer einen vielfältigen Bildungsbedarf haben. Als Themen wurden genannt:<br />

• andere Lebensmodelle als die traditionellen Versorgermodelle<br />

• spezielle Erziehungsaufgaben von Vätern<br />

• Gewaltprävention bei Jungen<br />

• Sprache und Bewegung.<br />

Die TN sehen den Bedarf für spezifische Männerprojekte, insbesondere in den Bereichen:<br />

• der Mediennutzung, zur Vermeidung der „Medienverwahrlosung“ bei Jungen<br />

• des Übergangs von Schule in den Beruf<br />

• Sprachkurse für Männer.<br />

Abschließend kamen die Teilnehmenden des GK2 darin überein, dass die Rahmenbedingungenn<br />

des ESF (z.B. zu kurze Perspektive, Politikbereich E als Frauenförderung) nicht<br />

gerade dazu geeignet sind, Träger zur Focussierung auf „neue“ Zielgruppen zu ermutigen.<br />

Hier wird ein Impuls von der Steuerungsebene erwartet.<br />

.. 4


Geschlechtsspezifische Analyse des regionalen Arbeitsmarktes<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?” Gesprächskreis 3<br />

Brigitte Maas – Aus dem Gesprächskreis 3<br />

„Warum der regionale Arbeits- und Beschäftigungsmarkt geschlechtsspezifisch<br />

analysiert werden muss und Statistik allein nicht ausreicht“<br />

Nach einer Vorstellungsrunde der Teilnehmenden nannte Herr Dr. René Leicht (ifm Mannheim)<br />

einige Stichpunkte zum geplanten Projekt des ifm (gefördert durch ESF-Mittel des<br />

Sozialministeriums BW). In enger Kooperation mit dem Coaching Begleitprojekt sollen<br />

beispielhaft regionale geschlechtsspezifische Arbeitsmarktanalysen durchgeführt werden,<br />

welche die notwendigen Daten für eine zielgerichtete Umsetzung von Gender Mainstreaming<br />

durch die ESF-Arbeitskreise und -Akteure liefern sollen [siehe hierzu auch Vortragsmanuskript<br />

Dr. René Leicht].<br />

Im nächsten Schritt benannte Herr Dr. Leicht einige wichtige Eckpunkte (Fragestellungen)<br />

für die Durchführung von Regionalanalysen:<br />

• Welche Kompetenzen sind in Regionen vorhanden? (z.B. Statistische Landesamt, Bundesagentur<br />

für Arbeit, Kommunen / Ämter, Wissenschaftliche Einrichtungen, Berufsverbände,<br />

Kammern etc.)<br />

• Welche Daten gibt es? (Teilweise liegen amtliche und halbamtliche Daten vor, das<br />

Geschlecht ist jedoch häufig nicht dokumentiert. Datenproduzenten: Statis-tisches<br />

Landesamt, Bundesagentur für Arbeit/Regionalstellen, Kommunen, Berufsorganisationen.)<br />

• Welche Qualität haben diese? (Regional-, geschlechter-, zielgruppendifferenziert;<br />

Begrenzung Aussagefähigkeit, z.B. kaum Geschlechtervergleiche)<br />

• Wer bekommt die Daten? (Datenschutz)<br />

• Wie können die Daten mit der erkannten Problemstellung in Verbindung gebracht<br />

werden?<br />

• Wie werden Auswertungen / Analysen - als Grundlange für die Konzeption von regionalen<br />

Handlungsstrategien - durchgeführt?<br />

Der Hauptteil des Gesprächskreises 3 befasste sich mit der Situation der ESF-Arbeitskreise<br />

und der beteiligten Trägerorganisationen:<br />

Herausforderungen für die ESF-Arbeitskreise:<br />

Als positives Beispiel für Regionalanalysen wurde die Region Bodensee / Freiburg angeführt.<br />

Hier wird ein Arbeitsmarktmonitoring aufgebaut, welches den Akteuren sowohl Daten<br />

zu Zielgruppen als auch zur Wirtschaftsstruktur liefern soll. Aus Sicht der Akteure ist<br />

es notwendig, sowohl die Nachfrageseite als auch die Angebotsseite des Arbeitsmarktes zu<br />

bewerten. Und zwar in quantitativer wie auch in qualitativer Hinsicht.<br />

ESF-Arbeitskreise nehmen Schwerpunktsetzungen vor und benutzen diese auch als Steuerungsmöglichkeit<br />

bei der Projektauswahl (Jugendliche, Wiedereinsteigerinnen, auch Beschäftigte<br />

in KMU (ESF-WM)). Wo Datenmangel besteht, müssen die ESF-Arbeitskreise ggf.<br />

selbst aktiv werden. Ein praktisches Beispiel aus Karlsruhe: Datenerhebung zu ausländisch<br />

geführten Unternehmen, um mit diesen Handlungsorientierungen für die Zielgruppe der<br />

Jugendlichen (Jungen und Mädchen) nichtdeut-scher Herkunft zu entwickeln.<br />

Als Herausforderung für die ESF-AK wurde benannt, dass die Kommunen [unabhängig<br />

von den vorhandenen Trägerstrukturen und deren (zielgruppenspezifischen) Interessen]<br />

Schwerpunkte setzen und Modellversuche mit übergeordneten Interessen verfolgen müssten<br />

(Problemgruppen / Genderspezifik).<br />

Herausforderungen für die Trägerorganisationen:<br />

Zunächst wurden zwei wesentliche Erschwernisgründe für die Umsetzung von zielgruppenorientierten<br />

Projekten identifiziert:<br />

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Gesprächskreis 3<br />

4 ..<br />

Geschlechtsspezifische Analyse des regionalen Arbeitsmarktes<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?”<br />

– Der eine Grund liegt in der Zuweisung von ProjektteilnehmerInnen durch die kooperierenden<br />

öffentlichen Institutionen („Wir arbeiten mit denen, die zugewiesen<br />

werden.“). D.h. es erfolgen - je nach Situation - keine bzw. nicht passfähige TeilnehmerInnen-Zuweisungen<br />

für innovative Projekte. Geplantes Handeln der Akteure kann<br />

dadurch ggf. nicht umgesetzt werden.<br />

– Es gibt ein Kofinanzierungsproblem, da für bestimmte Zielgruppen keine oder nicht<br />

ausreichende Kofinanzierungsmittel von Seiten der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik<br />

zur Verfügung stehen. Landesmittel sind knapp.<br />

Die Trägerorganisationen arbeiten „trägerspezifisch“ - d.h. sie sind häufig auf bestimmte<br />

spezifische Zielgruppen, Methoden und Instrumente spezialisiert. Einerseits können dadurch<br />

zusätzliche wichtige zielgruppenspezifische Erfahrungen und Erkenntnisse aus der<br />

Praxis in die Arbeit mit einfließen - andererseits sind die Trä-gerorganisationen dadurch in<br />

ihrer Flexibilität in Bezug auf „neue“ Zielgruppen und Strategien der Arbeitsmarktpolitik<br />

eingeschränkt („Interessenskonflikte“).<br />

Im Rahmen eigener Beobachtungen und Auswertungen zu TeilnehmerInnen sowie im Rahmen<br />

von Fachkreisen erheben die Trägerorganisationen eigene Daten. Es gibt aber auch<br />

Lücken bei der Lieferung von Basisdaten durch die öffentliche Ver-waltung. Beispiel: Es<br />

gibt zwar SchulabgängerInnen-Zahlen am Jahresende, aber keine Ergebnisse zu Zwischenabgängen.<br />

In Bezug auf die Durchführung von Arbeitsmarktanalysen besteht bei den Trägerorganisationen<br />

ein Zeit- und Ressourcenproblem: Im Rahmen von häufig kurzfristigen Antragstellungen<br />

(mit spezifischer Aufgabenstellung und ungewissem Ergebnis) kann nur ein<br />

begrenzter personeller und finanzieller Aufwand betrieben werden.<br />

Fragestellungen sowie Bezugspunkte zum Projekt des ifm Mannheim:<br />

Im Zusammenfassenden Teil des Gesprächskreises 3 wurden folgende Frage- und Aufgabenstellungen<br />

als wesentlich erachtet, die weiter behandelt werden sollten:<br />

Wie schlagen sich Erkenntnisse in Handlungsstrategien um?<br />

Wie werden entwickelte Handlungsstrategien implementiert?<br />

Empirische Unterlegung von Ergebnissen und Unterfütterung mit entsprechenden Daten:<br />

Das Projekt des ifm soll hier Hilfestellung leisten durch exemplarische Arbeitsmarktanalysen<br />

in ausgewählten Regionen Baden-Württembergs unter Berücksichtigung der geschlechterspezifischen<br />

Strukturen und zur Unterstützung der Kon-zeption von ESF-Ziel 3-Maßnahmen.<br />

Ausstattung von Statistikstellen mit Genderwissen<br />

Wichtig: Institutionalisierung von Erkenntnissen -<br />

Welche Einrichtung wird dafür finanziert?<br />

Erstellung von Handlungsanleitungen für regionale Arbeitskreise und die beteiligten Akteure<br />

(Beispiel: ifm soll eine Bestandsaufnahme der regional genderdifferzierend verfügbaren<br />

Daten und eine methodische Beurteilung der Nutzbarkeit der Daten vornehmen und<br />

in Form eines Leitfadens an die AK weiterleiten)


Lernen aus Frauenföderungsprojekten<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Der ESF – nur ein Spiegel geschlechtsspezifischer Muster?” Gesprächskreis 4<br />

Ute Wanzek – Aus dem Gesprächskreis 4<br />

Mainstreaming Gender: Was kann der Mainstream aus den Frauenförderungsprojekten<br />

(Politikbereich E) lernen?<br />

Der Gesprächkreis beschäftigte sich mit der Frage, welche Bedeutung Frauenförderungsprojekte<br />

im doppelstrategischen Ansatz der Gleichstellungspolitik (spezifische Maßnahmen<br />

zum Ausgleich von Benachteiligungen bei einem Geschlecht einerseits und Gender Mainstreaming<br />

andererseits) haben, worin die Komplementarität beider Ansätze besteht und<br />

was aus der langjährigen Erfahrung mit Frauenförderung als Mehrwert für den (Gender)<br />

Mainstream ableitbar wäre.<br />

Dabei klärten die TeilnehmerInnen des Gesprächskreises zunächst ihr Verständnis der Doppelstrategie.<br />

Als besonders wichtig wurde herausgearbeitet, dass der spezifische Ansatz<br />

nicht nur Frauen-, sondern auch Männerförderung beinhalten kann und dass Gender Mainstreaming<br />

eine umfassende Strategie darstellt, die mit Methoden und Instrumente integrativ<br />

und präventiv zu gestalten ist.<br />

Für beide Seiten, und dies ist eine der wesentlichen Erkenntnisse, also auch für die<br />

Frauenförderpolitik sind exakte Gender-Analysen die unabdingbare Voraussetzung.<br />

Dies eben um (reaktiv) mit spezifischen Maßnahmen Benachteiligungen wirkungsvoll zu<br />

beseitigen, als auch grundsätzlich als Prinzip in Entscheidungsprozessen (pro-aktiv).<br />

Die Diplomsozialpädagogin Susann Herzog bei der Kontaktstelle Frau& Beruf Neckar Alb<br />

in Reutlingen stellte ihr Projekt „Basis- und Schlüsselkompetenzen für den beruflichen<br />

Einstieg in personen- und unternehmensbezogenen Dienstleitungen“ vor, an Hand dessen<br />

sie Herangehensweisen und Qualitätsanforderungen darstellte.<br />

Von hier aus wurde eine rege Diskussion z.B. darum geführt,<br />

• inwieweit Bedürfnislagen der Individuen in einer Zielgruppe Rahmenbedingungen,<br />

denen alle Zielgruppenmitglieder „ausgesetzt“ sind, überlagern können,<br />

• ob und in wie weit es gerechtfertigt, möglich und nötig ist, mit allen Projekten etwas<br />

gegen die horizontale Segregation des Arbeitsmarktes zu bewirken (kann es manchmal<br />

gerechtfertigt sein, Frauen/Männer in für sie typische Berufe zu orientieren?)<br />

und<br />

• welche pädagogischen Ansätze der Beratung, Bildung und Begleitung denkbar wären.<br />

Die Teilnehmer/innen stimmten dahingehend überein, dass der Zugang zu Bildung und zum<br />

(regionalen) Arbeitsmarkt mit den individuellen Stärken und Schwächen und den vorhandenen<br />

Rahmenbedingungen in Übereinstimmung gebracht werden muss. Als entscheidend<br />

wurde herausgearbeitet, dass durch eine gezielte Analyse geklärt werden muss, welche Ziele<br />

und Wirkungen mit der Maßnahme für die anvisierte Zielgruppe erreicht werden sollen.<br />

Die Teilnehmer/innen der Gesprächsrunde wurden sich auch in der Forderung einig, dass<br />

frauen(männer)spezifische Projekte notwendig sind, sie aber in dem Politikfeld stattfinden<br />

sollten, wo der Bedarf offensichtlich ist. Dies würde die Wirksamkeit dieser Projekte entscheidend<br />

erhöhen, weil sie damit aus der „Frauenecke“ (Zielgruppe und Zuständigkeit) in<br />

die richtigen fachpolitischen Zusammenhänge gestellt würden.<br />

Aus dieser Diskussion leiteten die Teilnehmer/innen des Gesprächskreises drei weitere zentrale<br />

Erkenntnisse ab, was der Mainstream von Frauenförderprojekten lernen kann:<br />

1. Ableitung von strukturpolitischen Forderungen (z.B.)<br />

- infrastrukturelle Bedingungen (wie Kindertagesstätten, Ganztagsschulen, etc.)<br />

- Arbeitsplatzangebote am 1. Arbeitsmarkt (geschlechterdifferenzierte, -spezifische<br />

Nachfrage),<br />

2. daraus ableitend die Notwendigkeit der Verknüpfung von Fonds,<br />

3. das gesamte (strukturelle) Sozialgefüge gerät bei Frauenprojekten in den Blick und<br />

legt benachteiligende Rahmenstrukturen offen.<br />

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ReferentInnen und ModeratorInnen<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Gender Mainstreaming im ESF”<br />

Dr. Susanne Diemer<br />

Ministerium für Arbeit und Soziales<br />

Baden Württemberg<br />

Referat Chancengleichheit für Frauen und Männer<br />

Schellingstraße 15, 70174 Stuttgart,<br />

0711 – 123 – 3842 Email: diemer@sm.bwl.de<br />

Ausbildung<br />

Studium der Politologie und Rhetorik,<br />

Absolventin der Führungsakademie des Landes<br />

Baden-Württemberg<br />

Arbeitsfelder<br />

Verschiedene Tätigkeiten in Forschungsprojekten<br />

(DDR-Forschung, Herrschaftssoziologie,<br />

Geschlechterforschung),<br />

Gleichstellungsreferentin an der Hochschule,<br />

Lehrbeauftragte im Fachbereich Politik/Wirtschaft,<br />

seit 1994 in der Landesverwaltung (Arbeitsfelder<br />

u.a.: Rehabilitation von Menschen mit Behinderung,<br />

Pflegeberufe, Frauenpolitik, Gender Mainstreaming).<br />

Interessengebiete<br />

Changemanagement, Institutionelles Lernen,<br />

Gender Mainstreaming<br />

Dr. Thomas Gesterkamp<br />

geboren 1957, Journalist und Buchautor, lebt in Köln und<br />

ist Vater einer Tochter.<br />

Studium der Soziologie, Pädagogik und Publizistik in Hamburg und<br />

Münster. Zwei Jahre Redakteur, dann Mitbegründer eines Kölner<br />

Journalistenbüros. Promotion in Politikwissenschaft an der Universität<br />

Köln über “Männliche Arbeits- und Lebensstile in der<br />

Informationsgesellschaft”. Beiträge im Hörfunk und in Printmedien,<br />

daneben Tätigkeit als Referent, Hochschuldozent, Moderator und<br />

in der Weiterbildung.<br />

Buchveröffentlichungen:<br />

„Hauptsache Arbeit? - Männer zwischen Beruf und Familie“<br />

(mit Dieter Schnack), Rowohlt Verlag, Reinbek 1996,<br />

Neuauflage als Taschenbuch 1998.<br />

“Vater, Sohn und Männlichkeit” (u.a. mit Wassilios Fthenakis),<br />

Tyrolia Verlag, Innsbruck/Wien 2001.<br />

“Gutesleben.de - Die neue Balance von Arbeit und Liebe”,<br />

Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2002.<br />

“Die Krise der Kerle - Männlicher Lebensstil und der Wandel der<br />

Arbeitsgesellschaft”, LIT-Verlag, Münster 2004.<br />

Zahlreiche Texte in Tages- und Wochenzeitungen sowie in<br />

Sammelbänden und Fachzeitschriften; über 250 Vortrags- und<br />

Diskussionsveranstaltungen im deutschsprachigen Raum.<br />

Kontakt:<br />

Dr. Thomas Gesterkamp, Theodor-Schwann-Str. 13, 50735 Köln.<br />

Telefon/Fax: 0221-7604899. E-Mail: thomas.gesterkamp@t-online.de<br />

..


2 ..<br />

ReferentInnen und ModeratorInnen<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Gender Mainstreaming im ESF”<br />

Dr. René Leicht<br />

geb. 21.10.1953<br />

gegenwärtige Tätigkeit<br />

Forschungsbereichsleiter<br />

kom. Geschäftsführer<br />

am ifm Universität Mannheim<br />

Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte:<br />

Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung im Bereich:<br />

• Selbständigen- und Gründungsforschung (v.a.: Ethnische Ökonomie, Frauenselbständigkeit,<br />

kleinstbetriebliche Selbständigkeit)<br />

• KMU-Forschung (v.a. Strukturanalysen, Organisationswandel))<br />

• Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (v.a. Betriebliche Aus- und Weiterbildung, Geringqualifizierte)<br />

• Entwicklungssoziologie<br />

Universität Mannheim<br />

Institut für Mittelstandsforschung (ifm)<br />

68131 Mannheim<br />

0621-181-2788<br />

leicht@mail.ifm.uni-mannheim.de<br />

http://www.ifm.uni-mannheim.de/<br />

Brigitte Maas<br />

Diplom-Betriebswirtin; Master of Business Administration<br />

Zusatzqualifikation als Europa-Expertin<br />

• Qualifizierung und Coaching von Existenzgründern und Existenzgründerinnen in<br />

Berlin<br />

• Beratung von kleinen und mittleren Unternehmen<br />

• Beratung und Begleitung von Organisationen bei der Entwicklung, Umsetzung und<br />

Abrechnung von EU-Projekten<br />

• Wissenschaftliche Begleitung und Evaluation von Projekten und Netzwerken (ESF<br />

Ziel 4, ADAPT , EQUAL )<br />

• Programmentwicklung (Technische Hilfe EQUAL / Kapital für soziale Zwecke)<br />

e-mail: brigitte.maas@proinnovation.de<br />

Dr. Anne Rösgen<br />

Ausbildung:<br />

Diplompädagogin, Sozialpädagogin und Kauffrau<br />

Ausbildung zur Prozessgestalterin (Change Management), FHS Ffm<br />

Arbeitsfelder:<br />

• Seit 1998 freiberuflich tätig; Gender (Mainstreaming) Expertin; Evaluation/wissenschaftliche<br />

Begleitung von EU – Projekten und –programmen, Hochschuldozentin,<br />

Beratung und Begleitung von Veränderungsprozessen in Verwaltungen und Betrieben<br />

• Freie Mitarbeiterin im Gender Institut Sachsen-Anhalt G/I/S/A, Magdeburg seit 2001<br />

Ausgewählte Veröffentlichungen:<br />

• Es ist nichts weniger gefordert als eine Kulturrevolution. In: Hollstein, Walter: Geschlechterdemokratie.<br />

Männer und Frauen: Besser miteinander leben. Opladen 2004


ReferentInnen und ModeratorInnen<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Gender Mainstreaming im ESF”<br />

• Gendertrainings als Instrument des Gender Mainstreamings. In: Frauenmi-nisterium<br />

Luxemburg: Gender Training, 2004<br />

• Gender Mainstreaming: Der aktuelle Stand der Diskussion. In: Brackert/Hoffmeister-<br />

Schönfelder Rechtshandbuch für Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte, Hamburg,<br />

2003.<br />

• Chancengleichheit und Gender Mainstreaming in der EU. Studienbrief des postgradualen<br />

und weiterbildenden Fernstudiengangs Europäisches Verwaltungsmanagement,<br />

Fernstudienagentur des FVL (Hrsg.), Sitz: FHTW Berlin. (zus. m. M-T. Kratz), 2003.<br />

• Das Gender - Mainstreaming - Potenzial erhöhen - Gender Kompetenz entwickeln. (mit<br />

Ute Wanzek). In: Ministerium für Gesundheit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt<br />

(Hrsg.), Gender Mainstreaming in Sachsen - Anhalt/ Konzept und Erfahrungen.<br />

Opladen 2002<br />

• Gender Specific Learning Styles? In: Cuk, A./Del Campo, F. One community and many<br />

Identities on the crossroads of a new Europe. Trieste 2001, 481 – 485<br />

• Gender Training - A Fresh Look at Old Problems. Wie können amerikanische Arbeitsansätze<br />

für die Entwicklung eines Bausteines „Geschlechtsspezifik für Personalverantwortliche“<br />

nutzbar gemacht werden? In: Koordinierungsstelle der Initiative<br />

‘Frauen geben Technik neue Impulse’ des bmb+f, der Bundesanstalt für Arbeit und der<br />

Deut-schen Telekom AG (Hrsg.): Strategien des beruflichen Auf- und Wiedereinstiegs<br />

von Frauen in Technik und Wirtschaft“, 1999<br />

Dr. Ronald Schulz<br />

Ausbildung<br />

Diplomsoziologe, Supervisor (DGSv), Prozessgestalter (FH Ffm), Genderexperte<br />

Arbeitsfelder/Tätigkeitsschwerpunkte<br />

• Begleitung von Gender Mainstreaming Prozessen<br />

• Beratung von Teams und Organisationen<br />

• Wissenschaftliche Begleitung einer gleichstellungspoliti-schen Landesinitiative<br />

• Seminare und Workshops zum Gender Mainstreaming<br />

Berufserfahrung<br />

• Bis 1999 angestellt in unterschiedlichen sozialen Dienstleistungsorganisationen (Kommunalverwaltung,<br />

Wohlfahrtsverband und Bildungsträger)<br />

• Seit 1999 freiberuflich tätig<br />

Themenrelevante Veröffentlichungen<br />

Monografie:<br />

• Stehpinkeln. Die letzte Bastion der Männlichkeit? Identität und Macht in einer männlichen<br />

Alltagshandlung. Bielefeld: Kleine Verlag, 2000<br />

Aufsätze:<br />

• Veränderung in der Arbeitswelt – eine Chance für die Neuorientierung männlicher<br />

Lebensweisen? In: Schweizer Bundesamt für Gesundheit (Schweiz) (Hg.): Gründungstagung<br />

des Forschungsnetzwerkes Gender Health am 14. November 2003 in Bern,<br />

Bern 2004<br />

• (zusammen mit Andrea von Marschall): Vom Mauerblümchen zum Straßenfeger?<br />

Geschlechtliche Gleichstellung als Querschnittsaufgabe in Organisationen und Unternehmen,<br />

in: Boekle, Bettina / Ruf, Michael (Hg.): Eine Frage des Geschlechts. Ein<br />

Gender-Reader, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2004<br />

• (Zusammen mit Marc Gärtner, Stephan Höyng, Ralf Puchert, Vera Riesenfeld): Work<br />

Changes Gender. Ein europäisches Forschungsprojekt untersucht, wie sich männliche<br />

Identitäten und Lebensweisen aufgrund veränderter Arbeitsbedingungen neu orientieren<br />

(müssen) und fragt nach den Chancen für die Gleichstellung der Geschlechter.<br />

In: Switchboard. Zeitschrift für Jungen- und Männerarbeit Nr.157, April/Mai 2003<br />

• (zusammen mit Stephan Höyng): Gender Mainstreaming – Möglichkeiten und Grenzen<br />

aus der Perspektive von Männern, in: Barbara Nohr / Silke Veth (Hrsg.) Gender<br />

Mainstreaming. Kritische Reflexionen einer neuen Strategie, Berlin: Dietz, 2002<br />

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4 ..<br />

ReferentInnen und ModeratorInnen<br />

<strong>Fachtagung</strong> “Gender Mainstreaming im ESF”<br />

Dipl.Ing. Ute Wanzek<br />

Ausbildung<br />

Diplombauingeneurin<br />

Arbeitsfelder<br />

• seit 2001 eine der beiden Geschäftsführer/innen und Inhaber/innen der G/I/S/A,<br />

Gender-Institutes Sachsen-Anhalt GbR; verantwortlich für die Bereiche Gender<br />

Mainstreaming-Bildung und -Beratung zur Implementation in Organisationen, nationale<br />

und internationale Projekte zum Gender Mainstreaming, nationale und internationale<br />

Vernetzungsarbeit zum Gender Mainstreaming,<br />

• seit 2001 im Auftrag der Landesregierung Sachsen-Anhalt tätig<br />

außerdem:<br />

• Weiterbildung- und Weiterbildungsberatung für das Land Sachsen-Anhalt;<br />

• Bildung und Beratung zum Technologietransfer an Schnittstelle Hochschule/ Wirtschaft,<br />

zur Existenzgründung und zum Mentoring unter geschlechtsspezifischen<br />

Aspekten, Projekte zur Förderung von Frauen in Naturwissenschaft, Ingenieurwesen,<br />

Technologie (Otto-v.-Guericke-Universität Magdeburg), div. Veröffentlichungen<br />

• Generalsekretärin des Europäischen Vereins WiTEC e.V. www.witec-eu.net<br />

Ausgewählte Veröffentlichungen<br />

• „Gender Mainstreaming in Sachsen-Anhalt – Konzepte und Erfahrungen“<br />

(leske+budrich, 2003, Hrg. Ministerium für Gesundheit und Soziales des Landes<br />

Sachsen-Anhalt 2003, ISBN 3-8100-3696-X)<br />

• Gender Mainstreaming – Challenge for the dialog of the generations, 2003, OLZOG<br />

• Gender Mainstreaming in Saxony-Anhalt, 2004, in Magazin Lehren und und Lernen,<br />

1/2004,<br />

• Gender Mainstreaming als Veränderungsprozess in Organisatio-nen, in Jugendsozialarbeit<br />

im Gender Mainstream, Ulrike Richter (Hrsg.), Übergänge in Arbeit, Band 4,<br />

Verlag DJI, 2004, ISBN 3-87966-408-0<br />

• Broschüre für Kommunale Gleichstellungsbeauftragte in Sachsen-Anhalt (Gender<br />

Mainstreaming) erscheint 2004<br />

• www.g-i-s-a.de

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