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soziologie heute Februar 2015

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dem Volk heraus wachsen und nicht<br />

einer subtilen politischen Steuerung<br />

unterliegen. Dies wäre wahre Subsidiarität.<br />

Deshalb ist es eine Überlegung<br />

wert, diese Verbände aufzulösen<br />

und damit die Möglichkeit<br />

zu schaffen, dass eine neue Form<br />

sozialer Vernunft entstehen kann.<br />

Es würde ein sozialer Urknall stattfi<br />

nden und wie beim Anfang des<br />

Universums würden sich eine Menge<br />

neuer Strukturen generieren, die<br />

dann ein neues soziales Bewusstsein<br />

und eine Form der allgemeinen<br />

Wohlfahrt hervorbringen könnte, die<br />

diesen Namen auch verdient. Es<br />

könnte eine soziale Arbeit aufkommen,<br />

die sich im Bedarfsfalle aktiv<br />

gegen die herrschende Politik wendet<br />

und nicht nur davon redet, wie<br />

ungerecht die Welt ist, und darauf<br />

hinweisen, dass es im Jenseits einmal<br />

besser werden würde.<br />

Weil durch die Abschaffung der<br />

Verbände Unsummen an Geld freigesetzt<br />

würden, würde eine Vielfalt<br />

an alternativer sozialer Arbeit entstehen,<br />

von der man <strong>heute</strong> nur träumen<br />

kann: Altersheime, in denen<br />

die Bewohner nicht von überlasteten<br />

und unterbezahlten Pfl egern ans<br />

Bett gefesselt und totgespritzt werden,<br />

weil sie unruhig geworden sind;<br />

psychiatrische Kliniken könnten entstehen,<br />

in denen nicht überbezahlte<br />

Ärzte im Auftrag der Pharmaindustrie<br />

Menschen mit Psychopharmaka<br />

chemisch zum Verstummen<br />

bringen. Krankenhäuser, in denen<br />

nicht nur deshalb das Skalpell locker<br />

sitzt, weil man nur so vie Geld<br />

verdienen kann. Rehabilitationskliniken<br />

könnten ihre Pforten öffnen,<br />

die den Menschen nicht nur als ein<br />

Arbeitstier, als einen errechenbaren<br />

Wert sehen, der im Auftrag der<br />

Wirtschaft repariert werden muss,<br />

sondern als ein Wesen mit Würde<br />

betrachten und dementsprechend<br />

behandeln; differenziertere Formen<br />

des Religiösen könnten sich neben<br />

den klassischen Kirchen gleichberechtigt<br />

institutionell etablieren.<br />

Auch die Langzeitarbeitslosigkeit<br />

würde endlich effektiv bekämpft,<br />

denn es entstünde ein Wettbewerb,<br />

der diesen Namen auch verdient,<br />

und damit viele neue und kreative<br />

Arbeitsplätze.<br />

Dr. Michael Mayer, geb. 1960, Studium<br />

der Sozialarbeit, mehrjährige Tätigkeit in<br />

verschiedenen sozialen Einrichtungen im<br />

In- und Ausland, Promotion in Soziologie<br />

(Schwerpunkt Systemtheorie), gastwissenschaftliche<br />

Tätigkeit an der Universität<br />

Ulm. Derzeit freier Wissenschaftler<br />

(Schwerpunkt Identifi kation Mechanismen<br />

sozialer Evolution), Pädagoge und<br />

Publizist.<br />

Kontakt: allheit@yahoo.de<br />

Steuerungsproblemen zwischen<br />

freiwilligem Engagement/Partizipation<br />

und hierarchischer Führung/<br />

abhängiger Beschäftigung gegenüber<br />

sehen.<br />

Der stets an knappen Kassen leidende<br />

Staat delegierte nur zu gerne<br />

über Jahrzehnte hinweg seine Fürsorgepfl<br />

icht an die Verbände, verlor<br />

dadurch sukzessive an Kompetenz<br />

und meinte, diese verloren gegangene<br />

Kompetenz durch ein Mehr an<br />

Bürokratie wettmachen zu können.<br />

In manchen Bereichen scheint es<br />

derzeit so, dass Evaluierungen ein<br />

größerer Stellenwert eingeräumt<br />

wird als den sozialen Aktivitäten<br />

selbst.<br />

Die Wohlfahrtsverbände sind zunehmend<br />

zu Sozialunternehmen geworden,<br />

unterscheiden sich kaum noch<br />

von gewinnorientierten Unternehmen<br />

und haben eine vom Staat delegierte<br />

Verantwortlichkeit erreicht,<br />

welche ein Scheitern nicht mehr<br />

erlaubt. Als „Getriebene“ der Sozial-<br />

und Sparpolitik des Staates befi<br />

nden sie sich in einer Zwickmühle.<br />

Einerseits sind sie laufenden Professionalisierungs-<br />

und Effi zienzsteigerungszwängen<br />

unterworfen, andererseits<br />

geht es ihnen jedoch auch<br />

um die Pfl ege der Unternehmenskultur<br />

und um das Selbstverständnis<br />

gegenüber den Freiwilligen.<br />

Jede Organisation – ob groß oder<br />

klein – verfolgt auch Eigeninteressen<br />

und ist daran interessiert,<br />

die eigene Existenz abzusichern.<br />

Manche werfen gerade den großen<br />

Wohlfahrtsorganisationen in diesem<br />

Zusammenhang Besitzstandswahrung<br />

vor. Die Absicherung der<br />

eigenen Existenz hat jedoch auch<br />

etwas mit der Erfüllung der Mission<br />

und der Verantwortung der eigenen<br />

Mitarbeiterschaft (Hauptamtliche u.<br />

Freiwillige) gegenüber zu tun.<br />

Der gesellschaftliche Zusammenhalt<br />

wird allgemein als Ausdruck<br />

eines intakten und solidarischen<br />

Gemeinwesens gesehen und impliziert<br />

eine normativ wünschenswerte<br />

Qualität. Als prägende Faktoren gelten<br />

dabei die sozialen Beziehungen<br />

zu anderen Menschen, die emotionale<br />

Verbundenheit mit dem Gemeinwesen<br />

und die Orientierung am<br />

Gemeinwohl. Der Staat hat dabei<br />

für den entsprechenden rechtlichen<br />

Rahmen und die ausreichende materielle<br />

Basis Sorge zu tragen.<br />

Moderne westliche Gesellschaften<br />

stehen einer Reihe von Herausforderungen<br />

gegenüber, welche als<br />

Bedrohungen des gesellschaftlichen<br />

Zusammenhalts erscheinen.<br />

Eine dieser Herausforderungen ist<br />

die demographische Enwicklung<br />

mit tiefgreifenden Veränderungen<br />

im sozialen, wirtschaftlichen und<br />

gesellschaftlichen Bereich. Mit der<br />

lokal und regional sehr differenziert<br />

verlaufenden Bevölkerungsentwicklung<br />

gehen Anforderungen u. a. an<br />

die Infrastruktur und an das gesellschaftliche<br />

Zusammenleben einher.<br />

Der zunehmende Anteil an älteren,<br />

betreuungs- und pfl egebedürftigen<br />

Menschen erfordert sowohl eine<br />

Vielzahl an Maßnahmen seitens<br />

öffentlicher Einrichtungen als auch<br />

10 <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> <strong>Februar</strong> <strong>2015</strong>

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