soziologie heute Februar 2018

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Studie Neue Selbstständige Zwischen Unabhängigkeit und unsicherer Lebensrealität von Heidemarie Pöschko und Katharina Wurzer Ob Unabhängigkeit, freie Zeit- oder Ortseinteilung –der Erwerbsstatus der Selbstständigkeit wird im Alltag trotz aller Herausforderungen (z.B. Absicherung im Sozialsystem) auch als positives Gegenteil eines Angestelltenverhältnisses gesehen. Dennoch sind all diese Aspekte je nach Branche und Arbeitssituation unterschiedlich. Während „klassische Selbstständige“ über einen Gewerbeschein verfügen und durch die Wirtschaftskammer vertreten werden, haben Neue Selbstständige keine „automatische Interessensvertretung“ und benötigen zudem keine Gewerbeberechtigung. Welche Personengruppen zu dieser Kategorie zählen, wie hoch ihre Anzahl in Oberösterreich ist und mit welchen Herausforderungen Neue Selbständige durch ihre Tätigkeiten konfrontiert sind, hat eine Studie von P und P Sozialforschung in Freistadt im Auftrag der VFQ –Gesellschaft für Frauen und Qualifikation mbH untersucht. Foto: pexels, Creative Commons 14 soziologie heute Februar 2018
Neue Selbstständige können weder der Arbeitgeber/innen- noch der Arbeitnehmer/innen-Seite eindeutig zugeordnet werden. Um die Fragestellungen beantworten zu können, hat die Forschungsgruppe, bestehend aus Heidemarie Pöschko, Veronika Prieler, Regina Matuschek, und Ricarda Reichinger, den Forschungsstand zur Situation Neuer Selbstständiger aufgearbeitet, mit Fokus auf Oberösterreich vertieft und um sozialrechtliche Bestimmungen ergänzt. Die Ergebnisse und Daten, die in der Folge dargestellt werden, stammen aus Literaturrecherchen und bisherigen empirischen Untersuchungen zu Neuen Selbstständigen, sowie aus der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA). Neue Selbstständige als Sammelkategorie? Die Debatte in der Literatur zum Begriff der Neuen Selbstständigen dreht sich unter anderem rund um das Phänomen einer zweiten Generation von Selbstständigkeit (vgl. Bologna, 2006, 9). In den Blick genommen werden dabei die Herausbildung einer Informationsgesellschaft, Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik und ihr Einfl uss auf Arbeits- und Beschäftigungsstrukturen oder die Arbeitsrealitäten von Selbstständigen in bestimmten Bereichen wie der Kreativwirtschaft oder dem IT-Sektor. Beispiele für derartige Kontextualisierung von Neuer Selbstständigkeit sind der Sammelband „Game Over? Neue Selbstständigkeit und New Economy nach dem Hype“ von Eichmann et al. (2002), die organisationspsychologische Dissertation zum Thema Arbeitsanforderungen, Ressourcenpotenziale und Erholungsfähigkeit von IT-Fachkräften von Gerlmaier (2002) oder auch die juristische Auseinandersetzung mit dem Begriff des Arbeitnehmers in der Informationsgesellschaft von Koch (2010). Alle diese Arbeiten thematisieren Neue Selbstständigkeit im Kontext des Übergangs von der Industriezur Informationsgesellschaft. Neue Selbstständigkeit wird als Beispiel einer neuen Beschäftigungsform diskutiert. Manche Studienautor/ inn/en schreiben über Befürchtungen wie das Ersetzen regulärer Angestellter, damit Unternehmen sozial- und arbeitsrechtliche Standards unterwandern und kollektivvertragliche Vereinbarungen umgehen können (vgl. Schrattenecker und Bennert, 2002/ Mosberger und Steiner, 2002/ Schönbauer und Laburda, 2003 / Fink et al. 2005). In der Arbeitssoziologie ist von einem Leitbild der Selbstständigkeit die Rede, das die gesamte Arbeitswelt und damit auch „klassische Dienstnehmer/ innen“ erfasst hat. Alle Arbeitenden sollen unternehmerische Fähigkeiten entwickeln und selbstständig handeln (vgl. Neundlinger 2010, 79). Dazu passt der Begriff des „Arbeitskraftunternehmers“ (Voß und Pongratz, 1998), der Eigenschaften wie eine erweiterte Selbstkontrolle, Selbstorganisation, Selbstökonomisierung und eine Verbetrieblichung der Lebensführung aufweisen soll. Sozialversicherungsrechtlich ist die Defi nition Neuer Selbständiger hingegen eindeutiger. „Das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz (GSVG) regelte ursprünglich nur die Versicherungspfl icht von Mitgliedern der Wirtschaftskammer, die eine Gewerbeberechtigung besaßen oder persönlich haftende Gesellschafter/innen einer GmbH waren. Mit der 22. Novellierung des § 2 (1) 4 GSVG im Jahr 1997 wurden Werkvertragsnehmer/innen als ‚Neue Selbstständige‘ in die Sozialversicherung integriert.“ (Haydn, 2007, 33, zit. nach Pöschko und Prieler, 2017, 82 f.). Die Branchen, in der Neue Selbstständige arbeiten, sind damit ebenso divers wie ihre Arbeitssituation und ihr Unterstützungsbedarf. Sie können als eine Art Sammelkategorie betrachtet werden, die 2001 um einen neuen Kreis von Versicherungspfl ichtigen (freiberufl ich tätige Journalist/inn/ en, Dentist/inn/en, Tierärzte/ärztinnen, Künstler/innen und Wirtschaftstreuhänder/innen) erweitert wurde (vgl. GBl Nr. 139/1998). Insgesamt besteht ein wesentliches gemeinsames Merkmal der Gruppe darin, dass sie weder der Arbeitgeber/innen- noch der Arbeitnehmer/ innen-Seite eindeutig zugeordnet werden können. Ohne Gewerbeschein sind Neue Selbstständige nicht Mitglied der Wirtschaftskammer. Mitglied der Arbeiterkammer sind Neue Selbstständige auch nur dann, wenn sie neben ihrer selbstständigen Tätigkeit gleichzeitig ein Dienstverhältnis haben oder einem Präsenz- bzw. Zivildienst nachgehen, ( vgl. arbeiterkammer.at, 2017). Entwicklung und Merkmale Unabhängig davon, ob es sich um Neue oder um Alte Selbstständige – sprich die Personengruppe, für die das Gesetz ursprünglich zugeschnitten war (vgl. Fink et al. 2005, 6) - handelt, ist die Zahl seit den 1980er Jahren in einem Großteil der OECD-Staaten (vgl. Schulze Buschoff, 2007,119/ Leicht und Luber, 2002) gestiegen. In Oberösterreich lag die Gesamtzahl aller selbstständig Erwerbstätigen im Jahr 2014 bei mehr als 60.000 Personen, davon sind rund neun Prozent Neue Selbstständige. Laut Datenmaterial der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) sind Neue Selbstständige in Oberösterreich zwischen 2003 und 2014 kontinuierlich mehr geworden. So gab es im Jahr 2003 3.439 Neue Selbstständige, 2007 wurde die 4.000er-Marke geknackt, fünf Jahre später die 5.000er, und Februar 2018 soziologie heute 15
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