08.02.2018 Aufrufe

soziologie heute Februar 2018

erste Einblicke in die Inhalte

erste Einblicke in die Inhalte

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

EINFACH ZUM NACHDENKEN<br />

Das soziale Geschlecht von Liebe<br />

von Gertraud Grießler<br />

„Welches Auto fährst du? Wieviel verdienst<br />

du monatlich? Wohnst du in<br />

einem Haus oder nur in einer Mietwohnung?<br />

Was schenkst du zu Weihnachten?“<br />

Diese und ähnliche Fragen<br />

begleiten uns Tag für Tag.<br />

Wie oft werden wir hingegen gefragt:<br />

„Welche guten Taten hast du im letzten<br />

Monat begangen? Hilfst du deiner<br />

gebrechlichen älteren Nachbarin bei<br />

ihren Einkäufen? Besuchst du ab und<br />

zu die einsamen Leute im Altersheim?<br />

Hast du manches Mal Mitleid mit den<br />

Armen auf der Straße? Tust du was?<br />

Oder gehst du weiter ohne jegliche<br />

Gefühlsregung? Hilfst du dem alleine<br />

gelassenen und heulendem Kind auf<br />

im Einkaufszentrum? Wann hast du<br />

zuletzt eine Liebeserklärung gemacht<br />

oder selbst bekommen? Wann hast<br />

du das letzte Mal deinem Nächsten<br />

geholfen und wie?“ Wie oft beantworten<br />

wir diese Fragen - wenn sie denn<br />

überhaupt gestellt werden - offen und<br />

ehrlich? Denken wir dabei an die Liebe<br />

bzw. wissen wir denn überhaupt, was<br />

Liebe ist bzw. was Liebe ausmacht?<br />

Ich meine, dass Liebe sehr oft gesellschaftlich<br />

bestimmt wird. Der Ort<br />

dazu, die Zeit, das „Wer“, das „Wie“<br />

und nicht zuletzt das „Wieviel“ an<br />

Geld. In schnelllebigen Zeiten wie<br />

diesen setzen wir oftmals Prioritäten.<br />

Aber sind es auch die richtigen?<br />

Erfüllen uns diese tatsächlich oder<br />

machen sie uns vielleicht sogar leer?<br />

Karriere, Profi tgier, sozialer Aufstieg.<br />

Mehr Geld, mehr Macht, mehr Ruhm,<br />

mehr Ansehen. Das ist das, was in<br />

den meisten unserer Köpfe herumschwirrt,<br />

nicht wahr?<br />

Wenn wir uns mit diesem Thema eingehender<br />

beschäftigen, fällt uns auf,<br />

dass die Liebe uns ganz häufi g gesellschaftlich<br />

vorgegeben wird. Wo wir<br />

lieben und zu helfen haben. Wen wir<br />

lieben sollten und wen nicht? Wem wir<br />

helfen und wem nicht? Wie wir zu lieben<br />

haben und wie nicht. Wann wir zu<br />

lieben haben bzw. zu welchen Zeiten.<br />

Und auch wieviel uns diese auferlegte<br />

Liebe denn kosten darf. Bewusst im fi -<br />

nanziellen Sinne, unbewusst im übertragenen<br />

Gedanken und in erheblich<br />

größerem Ausmaß, vor allem wenn wir<br />

im Nachhinein bemerken, was wir aufgegeben<br />

haben bzw. worauf wir verzichtet<br />

haben und wieviel Gutes man<br />

hätte bewirken können, wären wir den<br />

Weg der Liebe mit unserem eigenen<br />

Herzen gegangen.<br />

Dabei sollte der Liebe als an sich größtes<br />

und bedingungsloses Geschenk<br />

und stärkste Kraft mehr Achtung beigemessen<br />

werden. Diese Tugend ist<br />

etwas Wunderbares und man fi ndet<br />

sie eigentlich überall. Eigentlich, weil<br />

wir unseren eigenen Blick dafür schärfen<br />

müssen. Unseren Blick von materiellen<br />

Geschenken oder von Sichtweisen,<br />

wie wir von anderen gesehen<br />

werden (wollen) abwenden müssen.<br />

So fi ndet man sie auch nicht (nur)<br />

an speziellen Orten und nicht (nur)<br />

zu gewissen Zeiten des Jahres, nicht<br />

nur zu Weihnachten oder zu anderen<br />

besonderen Anlässen. Nicht in Spenden,<br />

die wir tun, um unser Gewissen<br />

zu beruhigen und um unser Umfeld zu<br />

beeindrucken.<br />

In diesem komplizierten Konstrukt eines<br />

Netzes hängen wir an den einzelnen<br />

Fäden, solange dieses Konstrukt<br />

von der Gesellschaft erhalten wird.<br />

Es hält uns fest und entscheidet über<br />

unserer Position und unser Wohlbefi n-<br />

den. Vielleicht fi nden es manche von<br />

uns ja ganz angenehm, an vorgegebenen<br />

Haltungen und Meinungen gegenüber<br />

der Liebe zu kleben und an<br />

der Oberfl äche zu baumeln, bis sie ein<br />

frischer Wind überrascht, wegweht<br />

und auf den Boden der oftmals kühlen<br />

Realität wirft, welche uns dann mit<br />

etwas Glück erkennen lässt, was die<br />

Liebe denn wirklich ausmacht.<br />

Die Liebe ist überall dort, wo wir sie<br />

nicht sofort erkennen. Sie ist dort , wo<br />

wir sonst achtlos vorbeigehen, dort wo<br />

wir sie vielleicht nicht erwarten. Helfen<br />

wir dem Fremden auf der Straße, so<br />

ist das ein Akt der Liebe. Auch Jugendliche<br />

in unserem Umfeld zu unterstützen,<br />

die es schwer haben, ist ein Akt<br />

der Liebe. Der älteren Nachbarin beim<br />

Tragen ihrer Einkäufe zu helfen ist Liebe.<br />

Aber auch dem Obdachlosen, den<br />

wir auf der Straße sehen, mal einfach<br />

so zum Essen einzuladen, ist Liebe,<br />

ihm Geld zu geben, auch oder gerade<br />

deswegen, weil man selbst gerade<br />

nicht viel hat. Dem Mann im Bus<br />

den Sitzplatz anzubieten, ist ebenfalls<br />

ein Akt der Liebe, oder mal einfach<br />

so die Frau, die es an der Kassa eilig<br />

hat, vorzulassen, oder den Leuten,<br />

denen es schlechter als einem selbst<br />

geht, beim Arztbesuch den Vortritt zu<br />

lassen. Auch mal jemanden die Türe<br />

aufzuhalten etc.<br />

Selbstverständlichkeit? Leider nein.<br />

Nicht das, was offensichtlich schön<br />

ist und unsere Gesellschaft für schön<br />

erklärt, bestimmt die Liebe. Die Liebe<br />

bestimmt die Schönheit der Dinge,<br />

und diese zeigt sich nur dann, wenn<br />

wir ihren nicht immer schönen und angenehmen<br />

Weg bewusst und selbstbestimmt<br />

gehen.<br />

Viele von uns suchen die Liebe in Filmen<br />

und Märchen. Dabei ist doch unser<br />

Leben der zauberhafteste Schauplatz<br />

der Liebe, und sie selbst ist das<br />

allerschönste Märchen, deren Seiten<br />

wir nur mit unserem Herzen lesen<br />

können.<br />

38 <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> <strong>Februar</strong> <strong>2018</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!