soziologie heute Februar 2018
erste Einblicke in die Inhalte
erste Einblicke in die Inhalte
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
e Dilemma<br />
ntitätspolitik<br />
sich auf einen problematischen<br />
iff nicht in Frage stellt, gerät in<br />
ur Diskriminierung skizziert und<br />
ufbegehren sich in das Dilemma<br />
sbildende für eine Politik nutzen<br />
h auch selbst neue Ausschlüsse<br />
der Geschlechterdebatte mit Be-<br />
Foto: pexels, Creative Commons<br />
Z<br />
unächst soll jedoch ein<br />
leicht simplifi zierendes<br />
Beispiel illustrieren, worum<br />
es geht. Eine kleine<br />
christliche Gemeinde am<br />
Rande des fundamentalistischen<br />
Spektrums<br />
hegt die Überzeugung,<br />
dass Rothaarige des Teufels sind, und<br />
beschließt, diese vom Gottesdienst<br />
auszuschließen. Was bleibt mir als<br />
Mensch mit roten Haaren dann anderes<br />
übrig, als die Empörung: „Rothaarige<br />
stehen keineswegs mit dem<br />
Teufel im Bunde!“ laut zu artikulieren,<br />
um damit auch die Forderung zu stellen:<br />
„Auch ich als Rothaariger habe<br />
das Recht, am Gottesdienst teilzunehmen!“.<br />
Das ist das Dilemma: Nur<br />
unter der Kategorie, mit der ich von<br />
einem Recht ausgeschlossen wurde,<br />
kann ich dieses Recht einklagen. 1<br />
Doch damit schreibe ich zugleich mindestens<br />
die Möglichkeit zu weiterer<br />
Diskriminierung fort, insofern ich die<br />
allgemeine Relevanz der Kategorie<br />
in vollem Umfang anerkenne, ja geradezu<br />
anerkennen muss, weil ich<br />
ja als so Angesprochener im gesellschaftlichen<br />
Fokus stehe. Sollte ich<br />
also als Rothaariger bei der Bürgermeisterin<br />
meinen Widerspruch einlegen<br />
und sollte ich mit meinem Protest<br />
Erfolg haben und erreichen, dass die<br />
Stadtverordnetenversammlung eine<br />
Verordnung erlässt, die Rothaarigen<br />
ausdrücklich den Besuch des Gottesdienstes<br />
erlaubt, hätte damit die Kategorie<br />
‚Rothaarige‘ Rechts-Charakter<br />
angenommen und die Sichtbarkeit<br />
und gesellschaftliche Relevanz würde<br />
deutlich gesteigert. Sollte sich der<br />
Gemeinderat sogar angesichts der<br />
steuerzahlenden Mitglieder jener besagten<br />
christlichen Gemeinde zu einem<br />
vermeintlichen Kompromiss hinreißen<br />
lassen, indem er den heiligen<br />
Sonntag verschont und Rothaarigen<br />
nur zum Vorabendgottesdienst per<br />
Gesetz Zutritt verschafft, dann wäre<br />
die Diskriminierung im Gesetz verankert.<br />
Letzteres mag an den Haaren<br />
herbeigezogen erscheinen, aber das<br />
ist genau das, was das Gesetz zur<br />
eingetragenen Lebenspartnerschaft<br />
(LPartG) bewirkt hat und was bisher<br />
auch durch das ‚Gesetz zur Einfüh-<br />
rung des Rechts auf Eheschließung<br />
für Personen gleichen Geschlechts‘<br />
nicht wesentlich verbessert wurde. 2<br />
Am Anfang steht eine Unterscheidung,<br />
so wie Spencer-Brown sagt: „draw a<br />
distinction“ – „Triff eine Unterscheidung.“<br />
(Spencer-Brown 1997:3). Diese<br />
Unterscheidung teilt die Welt nicht in<br />
zwei Teile. Vielmehr unterscheidet sie<br />
etwas, das Bedeutung hat, von dem<br />
unbestimmten und auch weiterhin<br />
unbestimmbaren Rest der Welt. Wenn<br />
nun das, was durch diese Unterscheidung<br />
in den Blick genommen wurde,<br />
unter einen Begriff gefasst, mit weiteren<br />
Unterscheidungen ausdifferenziert<br />
und präzisiert wird, erhalten wir<br />
eine Kategorie. Mit dieser Kategorie<br />
können wir wiederum weitere unbekannte<br />
Gegenstände in den Blick nehmen<br />
und prüfen, ob sie unter diese<br />
Kategorie subsumiert werden können<br />
oder nicht – ein für das Erkennen unerlässlicher<br />
Vorgang. Wenn solche Kategorien<br />
sich als alltagstauglich erweisen,<br />
ohne sie großartig hinterfragen<br />
zu müssen, dienen sie als Stereotype<br />
in der täglichen Verwendung. Ihre Alltagstauglichkeit<br />
schließt zwar keineswegs<br />
aus, dass man sie hinterfragen<br />
kann oder bisweilen sogar muss, aber<br />
zunächst einmal werden sie schlicht<br />
ein Bestandteil des Habitus (Bourdieu),<br />
der selbstverständlichen und<br />
damit nicht hinterfragten natürlichen<br />
Einstellung (Schütz).<br />
Wir neigen allerdings im Laufe unseres<br />
Lebens dazu, Stereotypisierungen<br />
als realitätsstrukturierende, komplexitätsreduzierende<br />
und damit entlastende<br />
Kategorien eher einen generalisierenden<br />
Charakter (‚alle‘ oder ‚immer‘)<br />
zu verleihen. Auf andere Menschen<br />
und ihre Zuordnung zu sozialen Gruppen<br />
angewendet, kann dies beispielsweise<br />
im Rahmen von wissenschaftlichen<br />
Studien oder zur Einsetzung<br />
ausgewählter politischer Maßnahmen<br />
durchaus hilfreich und damit sinnvoll<br />
sein. Aber in Verbindung mit einer<br />
negativen Bewertung steuert dieses<br />
Vorgehen geradewegs auf eine handfeste<br />
Diskriminierung zu. Wenn wir<br />
uns noch einmal der anfänglichen Unterscheidung<br />
– im Sinne von Spencer<br />
<strong>Februar</strong> <strong>2018</strong> <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> 19