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soziologie heute Februar 2018

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e Dilemma<br />

ntitätspolitik<br />

sich auf einen problematischen<br />

iff nicht in Frage stellt, gerät in<br />

ur Diskriminierung skizziert und<br />

ufbegehren sich in das Dilemma<br />

sbildende für eine Politik nutzen<br />

h auch selbst neue Ausschlüsse<br />

der Geschlechterdebatte mit Be-<br />

Foto: pexels, Creative Commons<br />

Z<br />

unächst soll jedoch ein<br />

leicht simplifi zierendes<br />

Beispiel illustrieren, worum<br />

es geht. Eine kleine<br />

christliche Gemeinde am<br />

Rande des fundamentalistischen<br />

Spektrums<br />

hegt die Überzeugung,<br />

dass Rothaarige des Teufels sind, und<br />

beschließt, diese vom Gottesdienst<br />

auszuschließen. Was bleibt mir als<br />

Mensch mit roten Haaren dann anderes<br />

übrig, als die Empörung: „Rothaarige<br />

stehen keineswegs mit dem<br />

Teufel im Bunde!“ laut zu artikulieren,<br />

um damit auch die Forderung zu stellen:<br />

„Auch ich als Rothaariger habe<br />

das Recht, am Gottesdienst teilzunehmen!“.<br />

Das ist das Dilemma: Nur<br />

unter der Kategorie, mit der ich von<br />

einem Recht ausgeschlossen wurde,<br />

kann ich dieses Recht einklagen. 1<br />

Doch damit schreibe ich zugleich mindestens<br />

die Möglichkeit zu weiterer<br />

Diskriminierung fort, insofern ich die<br />

allgemeine Relevanz der Kategorie<br />

in vollem Umfang anerkenne, ja geradezu<br />

anerkennen muss, weil ich<br />

ja als so Angesprochener im gesellschaftlichen<br />

Fokus stehe. Sollte ich<br />

also als Rothaariger bei der Bürgermeisterin<br />

meinen Widerspruch einlegen<br />

und sollte ich mit meinem Protest<br />

Erfolg haben und erreichen, dass die<br />

Stadtverordnetenversammlung eine<br />

Verordnung erlässt, die Rothaarigen<br />

ausdrücklich den Besuch des Gottesdienstes<br />

erlaubt, hätte damit die Kategorie<br />

‚Rothaarige‘ Rechts-Charakter<br />

angenommen und die Sichtbarkeit<br />

und gesellschaftliche Relevanz würde<br />

deutlich gesteigert. Sollte sich der<br />

Gemeinderat sogar angesichts der<br />

steuerzahlenden Mitglieder jener besagten<br />

christlichen Gemeinde zu einem<br />

vermeintlichen Kompromiss hinreißen<br />

lassen, indem er den heiligen<br />

Sonntag verschont und Rothaarigen<br />

nur zum Vorabendgottesdienst per<br />

Gesetz Zutritt verschafft, dann wäre<br />

die Diskriminierung im Gesetz verankert.<br />

Letzteres mag an den Haaren<br />

herbeigezogen erscheinen, aber das<br />

ist genau das, was das Gesetz zur<br />

eingetragenen Lebenspartnerschaft<br />

(LPartG) bewirkt hat und was bisher<br />

auch durch das ‚Gesetz zur Einfüh-<br />

rung des Rechts auf Eheschließung<br />

für Personen gleichen Geschlechts‘<br />

nicht wesentlich verbessert wurde. 2<br />

Am Anfang steht eine Unterscheidung,<br />

so wie Spencer-Brown sagt: „draw a<br />

distinction“ – „Triff eine Unterscheidung.“<br />

(Spencer-Brown 1997:3). Diese<br />

Unterscheidung teilt die Welt nicht in<br />

zwei Teile. Vielmehr unterscheidet sie<br />

etwas, das Bedeutung hat, von dem<br />

unbestimmten und auch weiterhin<br />

unbestimmbaren Rest der Welt. Wenn<br />

nun das, was durch diese Unterscheidung<br />

in den Blick genommen wurde,<br />

unter einen Begriff gefasst, mit weiteren<br />

Unterscheidungen ausdifferenziert<br />

und präzisiert wird, erhalten wir<br />

eine Kategorie. Mit dieser Kategorie<br />

können wir wiederum weitere unbekannte<br />

Gegenstände in den Blick nehmen<br />

und prüfen, ob sie unter diese<br />

Kategorie subsumiert werden können<br />

oder nicht – ein für das Erkennen unerlässlicher<br />

Vorgang. Wenn solche Kategorien<br />

sich als alltagstauglich erweisen,<br />

ohne sie großartig hinterfragen<br />

zu müssen, dienen sie als Stereotype<br />

in der täglichen Verwendung. Ihre Alltagstauglichkeit<br />

schließt zwar keineswegs<br />

aus, dass man sie hinterfragen<br />

kann oder bisweilen sogar muss, aber<br />

zunächst einmal werden sie schlicht<br />

ein Bestandteil des Habitus (Bourdieu),<br />

der selbstverständlichen und<br />

damit nicht hinterfragten natürlichen<br />

Einstellung (Schütz).<br />

Wir neigen allerdings im Laufe unseres<br />

Lebens dazu, Stereotypisierungen<br />

als realitätsstrukturierende, komplexitätsreduzierende<br />

und damit entlastende<br />

Kategorien eher einen generalisierenden<br />

Charakter (‚alle‘ oder ‚immer‘)<br />

zu verleihen. Auf andere Menschen<br />

und ihre Zuordnung zu sozialen Gruppen<br />

angewendet, kann dies beispielsweise<br />

im Rahmen von wissenschaftlichen<br />

Studien oder zur Einsetzung<br />

ausgewählter politischer Maßnahmen<br />

durchaus hilfreich und damit sinnvoll<br />

sein. Aber in Verbindung mit einer<br />

negativen Bewertung steuert dieses<br />

Vorgehen geradewegs auf eine handfeste<br />

Diskriminierung zu. Wenn wir<br />

uns noch einmal der anfänglichen Unterscheidung<br />

– im Sinne von Spencer<br />

<strong>Februar</strong> <strong>2018</strong> <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> 19

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