E_1939_Zeitung_Nr.074
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N°74<br />
DIENSTAG, 19. SEPTEMBER <strong>1939</strong>. AUTOMOBIL-REVUE fl<br />
DIE KLEI<br />
Zur Lage des Autogewerbes:<br />
WAS TUN?<br />
Unter den vieten Zweigen unserer Volkswirtschaft<br />
gibt es kaum einen, den der Kriegsausbruch<br />
härter getroffen hätte als das Automobilgewerbe.<br />
Nicht nur, dass der überwiegende<br />
Teil seiner Angehörigen unter den Fahnen<br />
steht; auch die Funktion, welche die<br />
Branche im Rahmen des Ganzen zu erfüllen<br />
hatte, ist durch die weitgehende Einschränkung<br />
des zivilen Motorfahrzeugverkehrs erschüttert.<br />
Der Benzinverbrauch ist rationiert, ein bedeutender<br />
Teil der Wagen wurde requiriert, und<br />
von den noch im Verkehr gebliebenen soll so<br />
wenig als möglich Gebrauch gemacht werden,<br />
um den Brennstoffkonsum auf das strikteste<br />
zu beschränken. Die Lage sieht, man wäre<br />
fast geneigt zu sagen trostlos aus.<br />
Es kann aber nicht in der Art eines fortschrittlich<br />
gesinnten und positiv eingestellten<br />
Geschäftsleiters liegen, eine durch äussere Umstände<br />
eingetroffene Lage mit fatalistischem<br />
Gleichmut hinzunehmen und sich den Verhältnissen<br />
ohne jeglichen Reaktionswillen zu fügen.<br />
Er wird im Gegenteil die entstandenen<br />
Schwierigkeiten als eine Herausforderung an<br />
seine eigene Intelligenz, an sein Können und<br />
vor allem an seinen Willen betrachten. Er<br />
wird den Kampf ersf dann aufgeben, wenn er<br />
die Hindernisse besiegt hat, oder wenn die<br />
Aussichtslosigkeit aller 'weiteren Bemühungen<br />
auf keinen Fall mehr abgestritten werden<br />
kann und er die Gewissheit hat, alle möglichen<br />
Wege versucht und alle ihm zur Verfügung<br />
stehenden Kräfte eingesetzt zu haben.<br />
Glauben Sie nicht, wir möchten Ihnen mit<br />
diesen Darlegungen einen, wie man im Aktivdienst<br />
sagt, « Seelentürgg », vorsetzen! Wenn<br />
es einen zweiten Berufszweig gibt, der die Ungunst<br />
der Verhältnisse zu spüren bekommt, so<br />
sind es ganz bestimmt die <strong>Zeitung</strong>sverlage, deren<br />
Inseratenerträgnisse gegenwärtig auf einen<br />
Bruchteil der früheren Höhe zusammengeschrumpft<br />
sind. Sehen Sie deshalb in uns nicht<br />
etwa theorieerfüllte Federfuchser, die weiter<br />
nichts suchen als hinterm grünen Tisch und<br />
blauer Brille ihr Geschreibsel mehr oder weniger<br />
der Tagessituation anzupassen. Betrachten<br />
Sie uns vielmehr als Mitkämpfer, die, wenn<br />
auch in anderer Richtung als Sie, nicht minder<br />
unter den Umständen zu leiden haben und<br />
Sie darum mit der Einsicht und dem Mitgefühl<br />
von Leidensgefährten verstehen und begreifen.<br />
Aus dieser Einstellung heraus<br />
möchten wir Sie heute wieder einmal zu einer<br />
« Stunde der Besinnlichkeit > einladen,<br />
zu einem Hock, an dem Sie sich alle Probleme<br />
durch den Kopf gehen lassen, die Ihnen die<br />
Wellen der Ereignisse zugespült haben. Wir<br />
sind überzeugt, dass Sie da und dort einen<br />
unerwarteten Lichtblick entdecken werden, der<br />
Ihnen nicht nur helfen wird, sich durch die<br />
schwarzen Tage hindurchzubeissen, sondern<br />
auch den Uebergang in freundlichere Zeiten<br />
richtig vorzubereiten. Vergessen wir auch<br />
heute nicht, dass früher oder später — wann<br />
ist allerdings noch unbestimmt — die Armee<br />
von den Grenzen zurückkehren, das Leben<br />
wieder seinen normalen Rhythmus annehmen<br />
und die Personen- und Lastwagen so unbeschränkt<br />
verkehren werden, wie es vor dem<br />
29. August der Fall war. In jenem Augenblick<br />
gilt es dann bereit zu sein, was nur möglich<br />
ist für den, der sich ständig den fortwährend<br />
ändernden Verhältnissen anzupassen vermag.<br />
Die nachstehenden Feststellungen und Ueberlegungen<br />
dürften Ihnen Anlass bieten, die Liste<br />
Ihrer Kunden in diesem Sinne nach bestehenden<br />
Geschäftsmöglichkeiten zu überprüfen.<br />
Erstens: Mochte es im Zeitpunkt der Generalmobilisation<br />
scheinen, als ob der zivile<br />
Automobilverkehr vollständig unterbunden<br />
sei, so sieht man mit jedem Tacf eine grössere<br />
Anzahl Wagen ohne militärische Detachementsnummern<br />
durch die Strossen rollen.<br />
Allerdings sind es entweder Fahrzeuge<br />
mit verhältnismässig kleinem Hubvolumen,<br />
oder dann solche älteren Datums. Diese<br />
letzteren kommen in erster Linie als Service-<br />
. und Reparaturobjekte in Frage, und zwar<br />
vor allem deswegen, weil ihre Besitzer<br />
heute mehr denn je Veranlassung haben,<br />
mit der beschränkten ihnen zur Verfügung<br />
stehenden Menge Brennstoff ein Maximum<br />
an Fahrdistanz herauszuholen. Diese Tatsache<br />
bietet für den auf Arbeitsbeschaffung<br />
erpichten Automobilfachmann Gelegenheit<br />
zu einem ersten Anknüpfungspunkt.<br />
Zweitens: Alle behördlichen Massnahmen geben<br />
immer wieder Anlass zu Missverständnissen.<br />
Ganz bestimmt befinden sich unter<br />
Ihren Kunden solche, die fälschlicherweise<br />
der Ansicht sind, sie dürften heute überhaupt<br />
nicht mehr fahren. Dabei ist der<br />
Zweck der Fahrbeschränkung eine grundsätzlich<br />
andere: Nicht das Wirtschaftsleben<br />
zu unterbinden, sondern nach Möglichkeit<br />
Treibstoffe zu sparen. Diese Leute können<br />
Sie alle auf ihren Irrtum aufmerksam<br />
machen und ihnen zeigen, wie sie den Wagen<br />
ausgerechnet unter den gegenwärtigen<br />
Umständen in ihrem eigenen Interesse<br />
und demjenigen der Allgemeinheit benutzen<br />
können.<br />
Drittens: Viele Wagenbesitzer haben ihre<br />
Fahrzeuge der Armee zur Verfügung stellen<br />
müssen, trotzdem sie dieselben, sei es<br />
für Vertreterbesuche, sei es für Lieferungen,<br />
j unbedingt notwendig haben. Andere Vehi-<br />
* kel, die den Anforderungen des betreffenden<br />
Dienstes in jeder Hinsicht zu genügen<br />
vermöchten, stehen, da sie aus irgendeinem<br />
Grunde abgeschätzt wurden, unbenutzt<br />
herum. Ihr Kunde wird Ihnen ganz bestimmt<br />
dankbar sein, wenn Sie ihm solche Perso-<br />
. nen- und Lieferwagen mietweise vermitteln<br />
können, die es ihm ermöglichen, den Einschränkungen,<br />
welche seine Berufstätigkeit<br />
anders erfahren würde, zu begegnen.<br />
Viertens: Es besteht die Möglichkeit, gewisse<br />
Fahrzeuge auf Gesuch hin vom Dienst zu<br />
dispensieren, wenn deren Notwendigkeit<br />
für das private Unternehmen hinreichend<br />
bewiesen werden kann. Sicher haben<br />
manche Ihrer Kunden von dieser Möglichkeit<br />
keine Kenntnis,- auch in dieser Richtung<br />
können Sie ihnen nützliche Dienste leisten,<br />
indem Sie ihnen bei der Abfassung des<br />
Gesuches beistehen.<br />
Fünftens: Wenn die Fahrzeuge einmal zurückkommen,<br />
wird dieses und "jenes verschiedene<br />
Reparaturen notwendig hqb^ri.>Durch<br />
eine starke militärische .Beanspruchung der<br />
Fahrzeuge ergeben ..sich immer wieder<br />
Schäden, die bei der Demobilisierung nicht<br />
festgestellt werden .können und durch den<br />
Besitzer aus der, Vergütung, die er für die<br />
Benützung des Fahrzeuges erhält, beglichen<br />
werden müssen. Sie wissen, dass jeder<br />
Fahrzeughalter pro Tag eine Vergütung<br />
von 1 %o des Schatzungswertes erhält, was<br />
besagen will, dass er nach 100 Diensttagen<br />
10% des Schatzungswertes ausbezahlt erhält.<br />
Dieser Befrag dürfte von manchem<br />
dazu verwendet werden, sein Fahrzeug<br />
wieder derart in instandzusetzen, wie es vor<br />
der Mobilisation war.<br />
Sechstens: Wenn Ihre Garage-Apparate und<br />
-Maschinen heute stillstehen, so bieten sie<br />
Ihnen trotzdem verschiedene Möglichkeiten.<br />
Manche Drehbank hat während des Weltkrieges<br />
ihrem fachkundigen Besitzer hübsche<br />
Einnahmen verschafft; Esse, Schleifapparate<br />
und Bohrmaschinen waren immer<br />
noch nützliche Dinge, wenn es galt, Ersatz<br />
für einen grossen Marerialverschleiss zu<br />
schaffen.<br />
• - - • ? •<br />
Es ist allerdings, möglich, dass idiese oder<br />
jene. Anstrengung,; zu jder .Sie sich auf Grund<br />
Ihrer « Stunde der Besinnlichkeit > entschlossen,<br />
letzten Endes nützlos "sein iwird. Lassen Sie<br />
sich aber dadurch nicht von den Anstrengungen<br />
abhalten, die einzig' und allein noch eine<br />
Aussicht bieten, aus der misslichen Lage herauszuführen,<br />
in die uns die Weltereignisse gestürzt<br />
haben.<br />
Noch aus einem andern Grund möchten<br />
wir Ihnen dazu raten: Wer seine Initiative und<br />
Findigkeit nicht ständig praktisch, anwendet,<br />
dem werden sie auch dann nicht mehr zur<br />
Verfügung stehen, Wenn sich der Zeitlauf einmal<br />
zum Besseren wendet. =<br />
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