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03/2018

Fritz + Fränzi

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Fr. 7.50 3/März <strong>2018</strong><br />

Remo Largo<br />

Wie wir es schaffen,<br />

das passende Leben<br />

zu führen.<br />

Transkinder<br />

Lukas, 14, lebt jetzt als<br />

Lea. Und ist glücklich.<br />

Eine Reportage.<br />

Kindeswohl nach der Trennung:<br />

heute bei Mama, morgen bei Papa?<br />

Scheidung


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AUFGEDECKT:<br />

ZWEI MYTHEN RUND UMS SNACKEN<br />

Um kaum ein zweites Alltagsthema ranken sich so viele Mythen wie um unser Essen. Gerade in Sachen<br />

Zwischenmahlzeiten und Snacks für Kinder haben sie sich über Jahre festgesetzt. Viele Eltern fragen sich deshalb,<br />

welche davon stimmen wirklich? Wir haben zwei gängige Annahmen unter die Lupe genommen.<br />

SIND SNACKS WIRKLICH UNGESUND<br />

FÜR KINDER?<br />

Das kann man so pauschal nicht sagen. Es kommt natürlich darauf an,<br />

was gegessen wird. Experten raten grundsätzlich zu je einem kleinen<br />

Znüni und Zvieri. So kommen Kinder konzentrierter und fi tter durch den<br />

Tag. „Dabei sollte ein Snack für Kinder nicht mehr als ca. 150 kcal und<br />

gleichzeitig Mineralstoffe und Vitamine enthalten. Früchte, Milch und Milchprodukte<br />

sowie Gemüsesnacks eignen sich dafür“, erklärt Mira Koppert,<br />

Danone Ernährungsexpertin und Diplom Ökotrophologin.<br />

IST EIN NORMALER FRUCHTJOGHURT EINE<br />

BESSERE WAHL ALS EIN DANONINO?<br />

Nein. Seit 1981 konnte der Zuckergehalt von Danonino um 30 Prozent gesenkt<br />

werden (auf 11,8 g pro 100 g). Auch im Zuge der jüngsten Veränderung<br />

wurde dabei der zugesetzte Zucker angepasst. Im Vergleich zu durchschnittlichen<br />

Fruchtjoghurts (15 g Zucker pro 100 g) sind Danonino als<br />

Nachmittags-Snack mit ihrem ausgewogenen Nährwertprofi l die bessere<br />

1 Müsliriegel<br />

Wahl, die sowohl Eltern als auch Kinder glücklich macht. 1 (25 g)<br />

Fett (g/Portion)<br />

ohne Konservierungsstoffe,<br />

weniger Zucker,<br />

..<br />

ohne kunstliche Farbstoffe<br />

1 2 3 4 5 6<br />

1 Müsliriegel<br />

(25 g)<br />

6 Butterguetzli<br />

(30 g)<br />

1 Kinderpudding<br />

(125 g)<br />

1<br />

Angabe für Fruchtjoghurt vgl. Souci, Fachmann, Kraut (2016): Die Zusammensetzung der Lebensmittel.<br />

1 Danonino<br />

*Quelle: SFK= Souci-Fachmann-Kraut; Zusammensetzung der Lebensmittel; 2008<br />

Becher (50 g)<br />

BELIEBTE KINDERSNACKS IM VERGLEICH<br />

Die Grafi k zeigt übliche Portionsgrössen beliebter Kindersnacks im Vergleich.<br />

Snacks mit niedrigem Fett- und Zuckergehalt fi ndet man in der<br />

linken unteren Ecke.<br />

Fett (g/Portion)<br />

1 2 3 4 5 6<br />

1 Kinderpudding<br />

(125 g)<br />

Werte für 100 g:<br />

1 Portion Naturjoghurt<br />

(fettarm, 50 g)<br />

6 Butterguetzli<br />

(30 g)<br />

1 Danonino<br />

Becher (50 g)<br />

1 Müsliriegel<br />

(25 g)<br />

1 Portion Apfelmus<br />

(50 g)<br />

5 10 15 20 25 30<br />

*Quelle: SFK= Souci-Fachmann-Kraut; Zusammensetzung der Lebensmittel; 2008<br />

6 Butterguetzli<br />

Apfelmus:<br />

(30 g)<br />

19,2 g Zucker; 0,1 g Fett pro 100 g<br />

1 Fruchtjoghurt<br />

(vollfett, Butterguetzli: 125 g)<br />

22,8 g Zucker; 11 g Fett pro 100 g<br />

1 Danonino<br />

Fruchtjoghurt, vollfett:<br />

Becher (50 g)<br />

15 g Zucker; 2,62 g Fett pro 100 g<br />

Danonino:<br />

1 Portion Apfelmus<br />

11,8 g Zucker; 2,9 g Fett pro 100 g<br />

(50 g)<br />

Kinderpudding:<br />

13 g Zucker, 3,9 g Fett pro 100 g<br />

5 1 Fruchtjoghurt 10 15 20 25 30<br />

(vollfett, 125 g)<br />

Müsliriegel:<br />

Zucker (g/Portion)<br />

34 g Zucker; 17,6 g Fett pro 100 g<br />

1 Portion Naturjoghurt<br />

(fettarm, 50 g)<br />

Naturjoghurt, fettarm:<br />

4,5 g Zucker (Laktose);<br />

Zucker (g/Portion)<br />

1 Kinderpudding<br />

(125 g)<br />

1 Fruchtjoghurt<br />

(vollfett, 125 g)<br />

Apfelmus:<br />

19,2 g Zucker; 0,1 g Fett pro 100 g<br />

Butterguetzli:<br />

22,8 g Zucker; 11 g Fett pro 100 g<br />

Fruchtjoghurt, vollfett:<br />

15 g Zucker; 2,62 g Fett pro 100 g<br />

Danonino:<br />

11,8 g Zucker; 2,9 g Fett pro 100 g<br />

Kinderpudding:<br />

13 g Zucker, 3,9 g Fett pro 100 g<br />

Müsliriegel:<br />

34 g Zucker; 17,6 g Fett pro 100 g<br />

Naturjoghurt, fettarm:<br />

4,5 g Zucker (Laktose);<br />

1,6 g Fett pro 100 g<br />

* Quelle: Souci, Fachmann, Kraut (2016):<br />

Die Zusammensetzung der Lebensmittel.


Editorial<br />

Bild: Geri Born<br />

Nik Niethammer<br />

Chefredaktor<br />

Liebe Leserin, lieber Leser<br />

Neulich erzählte unser Sohn zu Hause, ein Schüler habe im Unterricht ganz fest geweint.<br />

«Jona geht es nicht gut. Seine Eltern streiten immer. Jona sagt, er wolle nicht, dass Papa weggeht.<br />

Er habe ihn genauso lieb wie seine Mama.» Unsere kleine Tochter hatte aufmerksam<br />

zugehört. «Ihr beide seid ja verheiratet», sagte sie erleichtert. «Ihr bleibt immer zusammen.»<br />

Das ist der Urwunsch jedes Kindes. Die Realität sieht anders aus. Beinahe jede zweite Ehe<br />

wird heute geschieden. Im vorliegenden Dossier «Scheidung» geht unser Autor Andres<br />

Eberhard der Frage nach: Wie schaffen es Eltern, nach der Trennung als Familie weiter zu<br />

bestehen und sich zum Wohle des Kindes zu verhalten?<br />

Heute zu Papa, morgen zu Mama? – ab Seite 10.<br />

Lukas ist drei Jahre alt, als den Eltern auffällt, wie sehr sich ihr Kind für die Barbies der Cousine<br />

interessiert. Und wie gerne es deren Röckchen anzieht. Das ist nur eine Phase, denken<br />

sie. Mit sieben wird Lukas von einer Freundin der Mutter gefragt: «Wenn du ganz allein auf<br />

der Welt wärst, was würdest du sein wollen?» Lukas zögert keine Sekunde: «Ein Mädchen.»<br />

Lukas ist heute Lea, ein 14-jähriges Mädchen mit langen, blonden Haaren. «Ich kann mich<br />

nicht erinnern, dass ich mich je als Bub gefühlt habe.» Lea ist ein Transmädchen, ein Mädchen<br />

geboren in einem Bubenkörper. Lea ist eines von rund 8000 Kindern in der Schweiz,<br />

die sich nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren können.<br />

«Die Gesellschaft sollte<br />

psychische Leiden ebenso<br />

betrachten wie gebrochene<br />

Knochen, Nierensteine oder eine<br />

Grippe – als ganz normales Auf<br />

und Ab des menschlichen Lebens.»<br />

Aaron Reuben & Jonathan Schaefer, Psychologen,<br />

Duke University, North Carolina, USA<br />

Mein Kollege Florian Blumer, den ich als neues Redaktionsmitglied<br />

von Fritz+Fränzi herzlich begrüsse, hat Lea getroffen. Er erzählt die<br />

Geschichte eines Teenagers, der nur einen Wunsch hat: als Mädchen<br />

leben zu dürfen.<br />

Lukas ist jetzt Lea – ab Seite 52.<br />

Vor einem Monat hatte ich Ihnen an dieser Stelle einen Bericht über<br />

die Zusammenschulung von Joel mit seinem Begleithund angekündigt.<br />

Sie erinnern sich: Der siebenjährige Junge aus Frutigen BE hat<br />

das Asperger-Syndrom, eine Variante des Autismus. Er wünscht sich<br />

sehnlichst einen Hund, der ihm Sicherheit gibt. Seine Mutter wandte<br />

sich an uns mit der Bitte, sie bei der Finanzierung zu unterstützen. Dank Ihren vielen kleinen<br />

und grossen Spenden bekamen wir den erforderlichen Betrag zusammen.<br />

Am 12. Februar hätte Joel erstmals mit seinem neuen Begleiter zusammenkommen sollen.<br />

Aufgrund eines plötzlichen Todesfalls in der Familie der Hundetrainerin wurde der Termin<br />

kurzfristig abgesagt. Wir bleiben dran und werden Ihnen Text und Bilder nachliefern,<br />

sobald der Kennenlerntermin hat stattfinden können.<br />

Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen und Ihre Treue. Bleiben Sie uns gewogen.<br />

Herzlichst, Ihr Nik Niethammer<br />

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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2018</strong>3


Inhalt<br />

Ausgabe 3 / März <strong>2018</strong><br />

Viele nützliche Informationen finden Sie auch auf<br />

fritzundfraenzi.ch und<br />

facebook.com/fritzundfraenzi.<br />

Augmented Reality<br />

Dieses Zeichen im Heft bedeutet, dass Sie digitalen Mehrwert<br />

erhalten. Hinter dem ar-Logo verbergen sich Videos und<br />

Zusatzinformationen zu den Artikeln.<br />

10<br />

Dossier: Scheidung<br />

10 Trennung im Guten<br />

40 Prozent der Ehen werden heute<br />

geschieden. Die gute Nachricht ist: In<br />

vielen Fällen leiden die Kinder nicht<br />

darunter. Betroffene und Experten<br />

erzählen, wie das geht.<br />

Bild: iStockphoto<br />

30 Reden ist Silber<br />

Psychologin Sonya Gassmann erklärt,<br />

warum sie in Beratungsgesprächen mit<br />

Scheidungskindern keine Fragen stellt.<br />

Und warum für die Kinder auch im<br />

Kontakt mit den Eltern Reden nicht das<br />

Wichtigste ist.<br />

Cover<br />

Wenn ein Partner<br />

auszieht, muss das<br />

nicht gleichzeitig das<br />

Ende einer guten<br />

Elternschaft bedeuten.<br />

Bilder: Thomas Schweigert / 13 Photo, Christian Grund / 13 Photo, Fabian Unternaehrer / 13 Photo, iStockphoto<br />

4 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


32<br />

52<br />

64<br />

Remo Largo, haben Sie ein Leben geführt,<br />

das zu Ihnen passt?<br />

Lea wurde als Lukas geboren. Doch als Bub<br />

hat sie sich nie gefühlt.<br />

Alles Fake? Vieles, was über das Handy als<br />

Nachricht daherkommt, ist frei erfunden.<br />

Erziehung & Schule<br />

42 Aufdringliche Eltern<br />

Der Lehrpersonenverband LCH<br />

hat einen Leitfaden für das Verhältnis<br />

zwischen Eltern und Lehrpersonen<br />

herausgegeben. Eine Lehrerin prüft<br />

ihn auf seine Praxistauglichkeit.<br />

52 Transkinder<br />

Kim wollte auf keinen Fall Röckchen<br />

tragen, Lukas wollte sie nach dem<br />

Verkleiderlis nicht mehr ausziehen:<br />

Die Geschichte zweier Kinder, die im<br />

falschen Körper geboren wurden.<br />

68 Aufschieben? Anpacken!<br />

Lerncoach Fabian Grolimund<br />

zeigt, mit welchen Tricks man<br />

vom Aufschieber zum Anpacker<br />

wird.<br />

Ernährung & Gesundheit<br />

60 Wettlauf gegen die Zeit<br />

Je früher eine Blutvergiftung erkannt<br />

wird, desto grösser sind die<br />

Überlebenschancen. Doch selbst für<br />

erfahrene Ärzte ist es schwierig,<br />

die Symptome richtig zu deuten.<br />

Digital & Medial<br />

64 Fake News<br />

Viele Jugendliche informieren sich<br />

heute ausschliesslich über die<br />

sozialen Medien – dies birgt Gefahren.<br />

67 Falsche Reality<br />

Lassen Sie Ihre Kinder nicht mit<br />

Castingshows alleine!<br />

Rubriken<br />

<strong>03</strong> Editorial<br />

06 Entdecken<br />

32 Monatsinterview<br />

Remo Largo sagt: Wir können unsere<br />

Grundbedürfnisse nicht mehr<br />

befriedigen. Er erklärt, was es braucht,<br />

damit wir das für uns passende<br />

Leben führen können.<br />

40 Mikael Krogerus<br />

Das Kinderbuch «Wunder» über einen<br />

entstellten Buben ist eine Geschichte,<br />

die auch Erwachsene zu Tränen rührt.<br />

46 Jesper Juul<br />

Strafe durch Belohnung als<br />

Erziehungsmethode zu ersetzen,<br />

ist keine gute Idee.<br />

48 Leserbriefe<br />

50 Elterncoaching<br />

Warum lügt mein Kind?<br />

Zum Beispiel, um sich soziale<br />

Kompetenzen anzueignen.<br />

74 Eine Frage – drei Meinungen<br />

Was tun, wenn die Tochter<br />

ihre Schulnoten nicht mehr zur<br />

Unterschrift vorlegt?<br />

Service<br />

63 Verlosung<br />

70 Ein Wochenende in ...<br />

... Hall-Wattens<br />

72 Sponsoren/Impressum<br />

72 Abo<br />

73 Buchtipps<br />

Tierische Freunde<br />

Die nächste Ausgabe erscheint<br />

am 5. April <strong>2018</strong>.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2018</strong>5


Entdecken<br />

3 FRAGEN<br />

Mehr Hirn<br />

Im Laufe der Jugend wird die Hirnrinde<br />

dünner und das Volumen des<br />

Nervengewebes nimmt ab. Gleichzeitig<br />

verbessern sich die kognitiven<br />

Fähigkeiten. Wie kann das sein? Ein<br />

Team von der University of Pennsylvania<br />

in Philadelphia bietet nun eine<br />

mögliche Erklärung: Die Neurowissenschaftler<br />

konnten mit Hilfe<br />

von Hirnscans bei mehr als 1000<br />

Teilnehmern im Alter zwischen 8<br />

und 23 Jahren belegen, dass das<br />

Hirn volumen zwar tatsächlich<br />

abnimmt. Die graue Masse der<br />

Grosshirnrinde wird dadurch jedoch<br />

dichter – ihre äusseren Schichten<br />

enthalten neuronale Netzwerke, die<br />

unter anderem für höhere geistige<br />

Funktionen verantwortlich sind.<br />

an Simon Weiss, Aktionsleiter der Kampagne time:out,<br />

Blaues Kreuz Schweiz<br />

«Es dauert, bis sich das Hirn umprogrammiert»<br />

Störende Gewohnheiten hat jeder von uns. Mit der Aktion time:out fordert<br />

das Blaue Kreuz uns heraus, für einige Wochen auf die eine oder andere<br />

von ihnen zu verzichten – der eigenen Gesundheit und Fitness zuliebe.<br />

Aktionsleiter Simon Weiss sagt, dass sich gerade die Fastenzeit dafür<br />

bestens eignet.<br />

Interview: Evelin Hartmann<br />

Herr Weiss, auf was kann ich während meiner Teilnahme an der<br />

Kampagne time:out verzichten?<br />

Auf alles, was Sie möchten: Süssigkeiten, Zigaretten, Alkohol, Ihr Smartphone<br />

... Aber Sie sollten sich auf ein bis zwei Gewohnheiten beschränken.<br />

Wichtig ist ausserdem, dass Sie sich nicht zu hohe Ziele setzen und sich<br />

vier bis sechs Wochen Zeit nehmen für den Verzicht. Man weiss, dass es<br />

21 bis 40 Tage dauert, bis sich das Gehirn umprogrammiert hat.<br />

Wie funktioniert die Teilnahme?<br />

Auf unserer Homepage können Teilnehmer ein Formular ausfüllen, in dem<br />

sie unter anderem festlegen, worauf sie verzichten wollen. Dieser<br />

(unverbindliche) Vertrag macht das Durchhalten leichter. Ebenso finden<br />

Sie dort Tipps, die Sie unterstützen. So ist es beispielsweise leichter, sich<br />

etwas zu zweit oder in der Gruppe vorzunehmen. Wer mitmacht, nimmt<br />

zudem an einem Wettbewerb teil.<br />

Worauf wird am meisten verzichtet?<br />

Zwei Drittel der Teilnehmer verzichten auf Süssigkeiten. Übrigens: Der<br />

überwiegende Teil der Teilnehmenden ist weiblich, 40 Prozent sind<br />

zwischen 10 und 16 Jahre und 25 Prozent zwischen 17 und 30 Jahre alt.<br />

An diese junge Zielgruppe richtet sich die Aktion auch hauptsächlich.<br />

www.timeoutschweiz.ch<br />

39,6 % der Schweizer Schülerinnen und Schüler<br />

sind mit ihrem Leben «sehr zufrieden».<br />

Im Durchschnitt der OECD-Länder sind lediglich<br />

34,1 % sehr zufrieden. Unzufrieden zeigten<br />

sich in der Schweiz 7,4 %. Im Durchschnitt der<br />

OECD-Länder sind es 11,8 %.<br />

(Quelle: www.tagesanzeiger.ch,<br />

Beitrag: «Schweizer Schüler sind wenig ehrgeizig, aber zufrieden»)<br />

Raus ins echte Leben<br />

Jugendliche, die Sport treiben, nach<br />

draussen gehen und direkt mit<br />

Menschen interagieren, sind<br />

glücklicher als Teeanger, die ihre<br />

Zeit mit dem Smartphone oder in<br />

sozialen Medien verbringen, sagt<br />

eine Studie der San Diego State University. Die Forscher<br />

haben Daten von mehr als 1 Million US-Teenagern ausgewertet<br />

und sehen einen Zusammenhang zwischen Nutzungsdauer und<br />

Glücklichkeit: Die zufriedensten Teenager nutzen digitale Medien<br />

demnach eine Stunde am Tag, mit steigender Nutzung steigt<br />

die Unzufriedenheit stetig. Studienleiterin Jean M. Twenge<br />

empfiehlt, das Smartphone und digitale Medien nicht mehr als<br />

zwei Stunden am Tag zu nutzen – ein Ratschlag, der auch für<br />

Erwachsene nützlich sein könnte.<br />

6 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


«Die Berufsbildung muss ihre<br />

Rekrutierungspraktiken überdenken. Nur<br />

so können sie tatsächliches Potenzial<br />

entdecken und Talente fördern. Heute<br />

stehen bei der Rekrutierung vor<br />

allem die Höhe des Schulabschlusses<br />

und die Schulnoten im Fokus.»<br />

(Quelle: Beitrag auf www.aargauerzeitung.ch über die<br />

Studien ergebnisse der Erziehungswissenschaftlerin Margrit<br />

Stamm zum dualen Bildungssystem der Schweiz)<br />

Margrit Stamm ist<br />

emeritierte Professorin der<br />

Universität Freiburg<br />

und Direktorin des<br />

Forschungsinstituts Swiss<br />

Education in Bern.<br />

Geschichten mit Menschen<br />

sind lehrreicher<br />

Kindern fällt es offenbar leichter, Geschichten<br />

zu verstehen, wenn Menschen die Hauptrolle<br />

spielen. Das haben Wissenschaftler der Universität<br />

von Toronto herausgefunden. Viele moderne<br />

Kinderbücher, -filme oder -videospiele handelten<br />

von Tiercharakteren, doch seien Kinder<br />

schlechter dazu in der Lage, soziale Lektionen<br />

aus solchen Erzählungen auf ihren Alltag zu<br />

übertragen, meinen die Forscher. Das hänge<br />

vermutlich damit zusammen, dass Kinder keine<br />

allzu grosse Ähnlichkeit zwischen sich selbst<br />

und den sprechenden Tieren sehen. Eltern und<br />

Lehrer sollten deshalb lieber zu Büchern mit<br />

Geschichten über Menschen greifen, wenn sie<br />

Kindern eine spezielle Botschaft vermitteln<br />

wollen, raten die kanadischen Forscher.<br />

Bilder: ZVG, iStockphoto<br />

Wenn Mami nervt … Nervensägen sind weiblich. Auf diese einfache<br />

Formel lassen sich die Studienergebnisse einer Forschergruppe von der kalifornischen<br />

Berkeley University grob zusammenfassen. Die 1100 Teilnehmer sollten angeben, mit<br />

welchen Menschen sie Umgang haben und welche davon sie eher schwierig und fordernd<br />

bewerten würden. Dabei stellte sich heraus, dass Beziehungen zu weiblichen Verwandten<br />

als besonders schwierig eingeschätzt werden. Ist also was dran an der ständig nörgelnden<br />

Ehefrau und Mutter? Die Erklärung der Forscher: Frauen verbringen in der Regel mehr Zeit<br />

alleine mit den Kindern, sind auch physisch stärker eingebunden und tragen mehr<br />

Verantwortung als die Väter – da sind Konflikte (öfter) vorprogrammiert.<br />

Für gesunde<br />

Kinderrücken<br />

Bald gehts los! Zumindest was die<br />

Vorbereitungen auf den ersten<br />

Schultag betrifft. Wichtige Infos zum<br />

Thema Schulthek bietet zum Beispiel<br />

die Aktion Gesunder Rücken (AGR)<br />

e. V. Ob Spider-Man-, Lillifee- oder<br />

Dino-Aufdruck: Entscheidend ist<br />

demnach, dass ein leerer Thek mit<br />

einem Volumen von 15 Litern nicht<br />

mehr als 1,3 Kilogramm wiegen sollte.<br />

Wichtig ist ausserdem eine stabile<br />

Form des Schultheks, die sich der<br />

natürlichen Form der Wirbelsäule<br />

anpasst. Und eine atmungsaktive und<br />

rutschfeste Polsterung mit seitlicher<br />

Führung sorgt für einen optimalen,<br />

mittigen Sitz des Theks, der die<br />

Wirbelsäule entlastet.<br />

www.agr-ev.de<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2018</strong>7


Entdecken<br />

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8 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Rubrik<br />

W<br />

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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2018</strong>9


Dossier<br />

Mahalia Kelz trennte<br />

sich nach elf Jahren<br />

von ihrem Mann.<br />

«Was meine Söhne<br />

und ich danach<br />

durchmachen<br />

mussten, wünsche<br />

ich keiner Familie.»<br />

10 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Und plötzlich lassen sich<br />

die Eltern scheiden<br />

In den letzten 50 Jahren hat sich die Scheidungsrate in der Schweiz mehr<br />

als verdoppelt. Besonders für die betroffenen Kinder ist das eine traurige<br />

Bilanz. Fast jedes Kind möchte, dass Mama und Papa zusammenbleiben.<br />

Eine Trennung muss aber nicht zwingend einen negativen<br />

Einfluss auf die kindliche Entwicklung haben, sind sich Forscher heute<br />

einig. Vorausgesetzt, die Eltern schaffen es, sich zum Wohle des Kindes<br />

zu verhalten. Aber wie geht das?<br />

Text: Andres Eberhard Bilder: Thomas Schweigert / 13 Photo<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2018</strong>11


Dossier<br />

Fast alle negativen Folgen<br />

einer Trennung können durch<br />

das Verhalten der Eltern<br />

positiv gesteuert werden.<br />

Es gab Zeiten, da wurde<br />

eine Scheidung der<br />

Eltern für fast alles verantwortlich<br />

gemacht,<br />

was im Leben der Kinder<br />

schiefgehen kann: psychische<br />

Störungen, Drogenmissbrauch,<br />

Straffälligkeiten und vieles mehr.<br />

Dass selbst einige Wissenschaftler<br />

diesen «Broken home»-Ansatz vertraten,<br />

war eine Steil vorlage für konservative<br />

Scheidungsgegner.<br />

Heute weiss man: Kinder leiden<br />

nicht unter der Trennung an sich,<br />

häufig aber unter ihren Folgen. Die<br />

Scheidungsfolgenforschung hat die<br />

Zusammenhänge gut untersucht:<br />

Als direkte Folgen einer Trennung<br />

gelten Konflikte zwischen den<br />

Eltern, der Verlust eines Elternteils,<br />

die psychische Verfassung des erziehenden<br />

Elternteils und ein allfälliger<br />

«ökonomischer Abstieg». Als indirekte<br />

Folgen, welche Kinder im<br />

negativen Sinne prägen können,<br />

gelten ein Umzug, der Verlust von<br />

anderen Beziehungen und die<br />

Gründung einer Zweitfamilie.<br />

Nun möchte aber kaum eine<br />

Mutter, kaum ein Vater, dass das<br />

Kind unter der Trennung seiner<br />

Eltern leiden muss. Nur, wie kriegt<br />

man das hin? Wir haben für dieses<br />

Dossier betroffene Familien und<br />

Expertinnen und Experten gefragt,<br />

worauf es an kommt.<br />

Die gute Nachricht zuerst: Fast<br />

alle der erwähnten negativen Folgen<br />

einer Trennung können durch das<br />

Verhalten der Eltern positiv gesteuert<br />

werden. Das wiederum heisst<br />

nichts anderes als: Eine Trennung,<br />

bei der die Kinder glimpflich davonkommen,<br />

ist zu schaffen. Dass die<br />

Scheidungsrate von 1970 bis heute<br />

von 15 auf rund 40 Prozent gestiegen<br />

ist, klingt für viele erst einmal wie<br />

das Ende des Modells «Familie».<br />

Nicht vergessen werden sollte aber,<br />

dass es darunter sehr viele «gute<br />

Scheidungen» gibt: In etwa 85 Prozent<br />

aller Fälle schaffen es die Eltern,<br />

die Beziehung aufzulösen, die Familie<br />

aber in neuer Form zu erhalten.<br />

Gleichwohl stellt eine Trennung<br />

eine grosse Herausforderung an die<br />

Eltern dar – gerade, weil sie sich selber<br />

in einer emotionalen Ausnahmesituation<br />

befinden. Besonders<br />

schwer tun sich viele Eltern damit,<br />

ihre eigenen Konflikte nicht aufs<br />

Kind zu übertragen. Der Ratschlag,<br />

der von Experten bei Weitem am<br />

häufigsten zu hören ist, lautet deshalb:<br />

Trennen Sie die Rolle als Partner<br />

oder Partnerin von Ihrer Rolle<br />

als Mutter oder Vater, dann kommt<br />

es gut.<br />

«Viele Konflikte entstehen auf der<br />

Paarebene, werden aber auf der<br />

Elternebene ausgetragen», sagt<br />

Danielle Estermann vom Schweizerischen<br />

Verband alleinerziehender<br />

Mütter und Väter (SVAMV). Und<br />

Oliver Hunziker vom Verein für<br />

elterliche Verantwortung (VeV) verdeutlicht:<br />

«Wenn man es schafft, zu<br />

erkennen, dass man selber seinen<br />

eigenen Partner unmöglich findet,<br />

der gemeinsame Sohn ihn aber lieb<br />

hat, dann ist man auf gutem Weg.»<br />

Auf den Punkt gebracht: Kinder<br />

sollten nicht in den Streit der Eltern<br />

involviert werden. Das klingt<br />


Dossier<br />

Alternierende<br />

Obhut: Vier Tage<br />

pro Woche sind<br />

Lynn, Léna, Léon<br />

und Léonor bei<br />

Karin Benninger,<br />

drei Tage bei<br />

ihrem Vater.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2018</strong>13


Dossier<br />

Marc Benninger<br />

mit Ex-Frau Karin:<br />

«Das Wichtigste<br />

ist, den Fehler<br />

bei sich und nicht<br />

beim anderen<br />

zu suchen.»<br />

14 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

einfach, ist es aber natürlich<br />

nicht. Denn kommt es zur Trennung,<br />

streiten die Eltern – so sehr<br />

man das auch zu verhindern versucht<br />

– oft auch um die Kinder. Erstens,<br />

weil niemand die Kinder verlieren<br />

möchte. Und zweitens, weil es<br />

im Trennungsverfahren immer auch<br />

um den Unterhalt der Kinder geht.<br />

Oliver Hunziker findet dafür einfachere<br />

Worte: «Kinder bedeuten eben<br />

auch Geld.»<br />

Wenig förderlich zeigt sich dabei<br />

die Systematik unseres Rechtssystems.<br />

Eine Scheidung muss immer<br />

vor Gericht. Dafür braucht es in der<br />

Regel Anwälte. Und die sind dazu<br />

da, die Interessen einer einzigen Person<br />

zu vertreten. Wir werden also<br />

regelrecht auf ein Seilziehen ge ­<br />

trimmt, bei dem jeder seine eigenen<br />

Interessen durchsetzen will. «Die<br />

Aufgabe von Gerichten ist, herauszufinden,<br />

wer recht hat», sagt Hunziker.<br />

Dabei würde eine gute Scheidung,<br />

vor allem wenn Kinder im<br />

Spiel sind, ein pragmatisches Miteinander<br />

brauchen: Kommunikation,<br />

Kompromisse, aufeinander zugehen.<br />


Dossier<br />

draussen im Auto, ins Treppenhaus<br />

darf er nicht. Als Ge winner<br />

sieht sich Keller nicht. «Das Verhältnis<br />

zu den Kindern ist viel schlechter<br />

als vorher. Es ist viel kaputtgegangen<br />

in diesen zwei Jahren.»<br />


Dossier<br />

Matthias Lehmann,<br />

Martina Kral, Sohn<br />

Tom: «Wir haben es<br />

geschafft, uns zu<br />

trennen, ohne dass<br />

die Elternschaft<br />

darunter<br />

leiden musste.»<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2018</strong>17


Dossier<br />

«Ich lebe bei<br />

meiner Mutter,<br />

habe aber bei<br />

meinem Vater<br />

ein Zimmer. Für<br />

mich stimmt es<br />

so», sagt Tom<br />

Lehmann.<br />

18 <br />

März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />


Dossier<br />

«Das Wichtigste und<br />

zugleich Schwierigste<br />

ist, solidarisch zu<br />

bleiben, den Partner<br />

vor den Kindern nicht<br />

schlechtzumachen»,<br />

sagt Karin Benninger.<br />

Vater. Eine gänzlich harmonische<br />

Trennung sei es nicht gewesen,<br />

erzählt Mutter Karin, «aber für uns<br />

beide war klar, dass wir über unseren<br />

Schatten springen mussten. Die Kinder<br />

leiden unter der Trennung schon<br />

genug.» Noch während der Weltreise<br />

informierten sie die Kinder über<br />

den Entscheid. Diese seien erleichtert<br />

gewesen. «Sie merkten ja, das<br />

etwas nicht stimmt, wussten aber<br />

nicht, was los ist.» Marc Benninger<br />

sagt, dass nicht alle die Trennung<br />

problemlos weggesteckt hätten. Ein<br />

Kind hatte vermehrt Schlafprobleme,<br />

ein anderes sei wütend auf die<br />

Mutter gewesen, welche die Trennung<br />

ausgesprochen hatte.<br />

Zwei Jahre später steuert die<br />

Familie auf ruhigere Gewässer zu.<br />

Die Eltern versuchen, miteinander<br />

zu reden, über schulische Dinge<br />

oder darüber, wie man mit den Kindern<br />

über die neue Situation spricht.<br />

«Das Wichtigste und Schwierigste<br />

zugleich ist es, solidarisch zu bleiben»,<br />

sagt Karin Benninger. Damit<br />

meint sie, dass man vor den Kindern<br />

den Partner nicht schlechtmacht,<br />

nicht versucht, den anderen mit<br />

einem besseren Kinderprogramm<br />

zu überbieten. Und dass man an<br />

einem gemeinsamen Strick zieht,<br />

damit die Kinder ihre Eltern nicht<br />

gegeneinander ausspielen. Nicht<br />

das, nicht dies, nicht jenes: Für viele<br />

Eltern, die sich in einer emotional<br />

stressigen Trennungssituation befinden,<br />

kann das wirken wie Hohn.<br />

Auch Karin Benninger weiss das:<br />

«Am Anfang schafft man das nicht<br />

immer. Es soll aber das Ziel sein.<br />

Und mit der Zeit gelingt es auch.»<br />

Geholfen hat der Familie Benninger<br />

auch, dass sich die Eltern bereits<br />

vor der Trennung die Erziehung der<br />

Kinder aufgeteilt hatten, wie Karin<br />

Benninger sagt. «Wir haben beide<br />

relativ flexible Arbeitszeiten.» Ein<br />

zentraler Punkt sei zudem, dass die<br />

Kinder in ihrer gewohnten (Schul-)<br />

Umgebung bleiben konnten. So zog<br />

Mutter Karin nach der Trennung ins<br />

Nachbardorf, das nur eine fünf-<br />


Urlaub auf Familisch<br />

in 55 Familienhotels in Europa<br />

Kinder leiden, wenn es den<br />

Eltern schlecht geht. Eltern<br />

sollten sich deshalb nach einer<br />

Trennung auch um ihr eigenes<br />

Wohlbefinden kümmern.<br />

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minütige Autofahrt entfernt liegt.<br />

Das biete auch für die Eltern Vorteile:<br />

«Wenn etwas vergessen geht,<br />

kann man es schnell holen gehen.»<br />

Eltern verarbeiten eine Trennung<br />

sehr individuell<br />

Eine nicht zu vernachlässigende<br />

Erkenntnis der Scheidungsfolgenforschung:<br />

Kinder leiden, wenn es<br />

den Eltern schlecht geht. Aus diesem<br />

Grund sollten sich Eltern auch um<br />

ihr eigenes Wohlbefinden kümmern<br />

– und Strategien für die Verarbeitung<br />

einer Trennung entwickeln.<br />

Marc Benninger, der Vater von Lynn,<br />

Léon, Léna und Léonor, meditiert<br />

seit Jahren 15 Minuten pro Tag. «Das<br />

hat mir enorm geholfen, die Trennung<br />

zu akzeptieren und Frieden zu<br />

finden.» Etwas vom Wichtigsten sei<br />

es, den Fehler bei sich zu suchen und<br />

nicht beim anderen, sagt Benninger.<br />

Wie Eltern eine Trennung verarbeiten,<br />

ist sehr individuell. Manche<br />

wie Marc Benninger tun das für sich,<br />

andere sprechen mit Freunden, wieder<br />

andere suchen sich professionelle<br />

Hilfe bei Psychologen oder Mediatoren.<br />

Einen anderen Weg, eine<br />

Trennung zu verarbeiten, schlägt<br />

Andrea Marco Bianca, reformierter<br />

Pfarrer aus Küsnacht, vor. Und zwar<br />

einen, der besonders für Kinder gut<br />

geeignet ist: Bianca rät, sogenannte<br />

Scheidungsrituale durchzuführen.<br />

Dabei handelt es sich um symbolische<br />

Akte, bei denen es um die<br />

Auflösung des Eheversprechens und<br />

eine Neuformulierung des Elternversprechens<br />

geht. Zum Beispiel<br />

trifft man sich an einem bedeutungsvollen<br />

Ort – in einer Kirche,<br />

im Wald, auf einem Berg –<br />


Dossier<br />

und führt eine kurze Zeremonie<br />

durch. Beim Ritual gilt: Alles ist<br />

möglich, vom einfachen Handschlag<br />

oder dem Anstossen mit einem Glas<br />

Prosecco in den eigenen vier Wänden<br />

bis hin zu einer gros sen Zeremonie<br />

mit Pfarrer und Gästen an<br />

einem Lagerfeuer, bei dem die Ex-<br />

Partner ihre Eheringe ver graben.<br />

Zentral ist, dass Eltern im Rahmen<br />

der Zeremonie ein paar persönliche,<br />

vorbereitete Worte aussprechen.<br />

«Dem Ex-Partner wird für<br />

das Gute ge dankt und für das<br />

Schlechte vergeben», sagt Bianca.<br />


Dossier<br />

Mahalia Kelz kämpfte<br />

vier Jahre um das<br />

Besuchsrecht für ihre<br />

Kinder. Sie liess sich<br />

nebenberuflich zur<br />

Mediatorin ausbilden.<br />

23


Dossier<br />

Marc Benninger<br />

wohnt nur fünf<br />

Autominuten von<br />

seiner Ex-Frau<br />

entfernt. Drei Tage<br />

pro Woche sind die<br />

vier Kinder bei ihm.<br />

24 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

«Es ist wichtig, Kindern nach<br />

einer Trennung die Schuld und<br />

die Verantwortung zu nehmen»,<br />

sagt Pfarrer Andrea Bianca.<br />


Dossier<br />

Wahl einer kinderfreundlichen<br />

Obhutslösung können Eltern<br />

zudem dafür sorgen, dass das Kind<br />

durch die Trennung keinen Elternteil<br />

verliert.<br />

Nicht vergessen werden sollten<br />

dabei die indirekten Folgen, die eine<br />

Trennung auf das Kind haben kann:<br />

Umzug, Verlust von Bekannten und<br />

häufig auch eine neue Familie.<br />

Gerade ein Umzug kann für Kinder<br />

schlimm sein, weil sie aus ihrem<br />

sozialen Umfeld gerissen werden.<br />

Viele Eltern wie die Familie Benninger<br />

sorgen darum dafür, dass sie<br />

auch nach der Trennung nah beieinander<br />

wohnen. Mit guter Kommunikation<br />

nach aussen – warum nicht<br />

mit einem Scheidungsritual – lässt<br />

sich zudem verhindern, dass sich<br />

Verwandte oder Bekannte aus Unsicherheit<br />

abwenden.<br />


Dossier<br />

den Erziehungsstil ihrer Eltern beschreiben als diese<br />

selbst. Das hängt wohl damit zusammen, dass Kinder<br />

dank dem Austausch mit ihren Freunden und Gleichaltrigen<br />

die Erziehungspraktiken ihrer Eltern besser mit<br />

denjenigen anderer Eltern vergleichen können.<br />

6) Co-Parenting ist immer besser als alleine erziehen.<br />

Am besten sind die Betreuungsmodelle, die individuell<br />

gut funktionieren. Gemäss den Untersuchungen der<br />

Familienrechtsprofessorin Hildegund Sünderhauf ist eine<br />

funktionierende alternierende Obhut der «Rolls-Royce»<br />

unter den Betreuungsmodellen. Klappt es damit aber<br />

nicht gut, sei ein Residenzmodell vorzuziehen – wenn<br />

dieses funktioniert. Schlecht und belastend für Kinder ist<br />

immer die Fortsetzung der elterlichen Konflikte, unabhängig<br />

vom Betreuungsmodell.<br />

Quellen:<br />

- Familienbericht des Bundes, 2017<br />

- Pasqualina Perrig-Chiello, François Höpflinger, Christof Kübler,<br />

Andreas Spillmann: «Familienglück – was ist das?»<br />

- Hildegund Sünderhauf: «Wechselmodell: Psychologie – Recht<br />

– Praxis»<br />

«Wir tauschen uns<br />

einmal im Monat<br />

über alles aus, was<br />

unseren Sohn Tom<br />

betrifft», sagen<br />

Matthias Lehmann<br />

und seine Ex-Frau<br />

Martina Kral.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2018</strong>27


Dossier<br />

Entspannung beim<br />

Harfenspiel: «Der<br />

egoistische Kampf<br />

der Eltern schadet<br />

Kindern am<br />

meisten», sagt<br />

Mahalia Kelz.<br />

28 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

halte in finanzielle Schwierigkeiten,<br />

meist alleinerziehende<br />

Mütter. Die Gründe für den «ökonomischen<br />

Abstieg» liegen darin,<br />

dass die Mütter vor der Trennung<br />

nicht oder nur Teilzeit berufstätig<br />

waren und dann auf einen Schlag<br />

zur Haupternährerin der Familie<br />

werden. Dies lässt sich kaum verhindern,<br />

es sei denn, man teilt Betreuungs-<br />

und Arbeitsverhältnisse<br />

bereits vor der Trennung auf. Danielle<br />

Estermann vom SVAMV rät:<br />

«Im besten Fall wird die Betreuung<br />

bereits thematisiert, wenn das Kind<br />

unterwegs ist.»<br />

Wohl jede Familie wünscht sich,<br />

dass sie zusammenbleibt, am besten<br />

bis ans Ende aller Tage. Gelingt das<br />

nicht, fühlt sich das an wie ein Scheitern.<br />

Ein Happy End trotz Trennung<br />

scheint erst einmal un denkbar. Wer<br />

an diesem Punkt ist, sollte sich einen<br />


Dossier<br />

«Fragen verschliessen<br />

das Herz der Kinder»<br />

Sonya Gassmann begleitet Eltern in der Trennungszeit. Wichtiger als reden sei es,<br />

präsent zu sein und mit den Kindern etwas zu unternehmen, sagt die Psychologin.<br />

Interview: Andres Eberhard<br />

Frau Gassmann, was bedeutet es für<br />

ein Kind, wenn Eltern sich trennen?<br />

Typisch sind drei Reaktionen: Verunsicherung,<br />

Verlustängste und<br />

Schuldgefühle. Gerade kleine Kinder<br />

wissen nicht, was bei einer Trennung<br />

passiert. Vor allem können sie nicht<br />

abschätzen, dass die Elternschaft<br />

trotz einer Trennung weitergeht.<br />

Wenn Eltern sich streiten, hören<br />

Kinder heraus, dass es um sie geht,<br />

selbst wenn das nicht so sein sollte.<br />

Das erzeugt Schuldgefühle und<br />

Scham. Eltern beziehen in solchen<br />

Extremsituationen unbewusst ihre<br />

Kinder zu wenig mit ein, weil sie so<br />

stark mit sich selbst beschäftigt sind.<br />

Deswegen ist es wichtig, dem Kind<br />

ein Sprachrohr zu geben. In meinen<br />

Beratungen trete ich als eine Art<br />

Kinderanwältin auf.<br />

Wie tun Sie das?<br />

Zu den wichtigsten Schutzfaktoren<br />

für Kinder gehört, dass sie während<br />

der Trennungsphase eine Vertrauensperson<br />

haben, mit der sie das<br />

Ereignis einordnen und Strategien<br />

für die Bewältigung finden können.<br />

«Das Allerwichtigste ist,<br />

dass die Eltern die<br />

Grundbedürfnisse des Kindes<br />

weiterhin beachten.»<br />

Dafür muss ich die Bedürfnisse der<br />

Kinder kennen. Wenn die Eltern<br />

einverstanden sind, kommen die<br />

Kinder ohne sie zu mir. Dann geht<br />

es darum, das Vertrauen der Kinder<br />

zu gewinnen. Mein wichtigstes Credo<br />

dabei: Ich stelle keine Fragen.<br />

Denn die verschliessen das Herz der<br />

Kinder.<br />

Wie sonst erfahren Sie, was Kinder<br />

wollen?<br />

Ich versuche auf spielerische Art und<br />

Weise herauszufinden, was sie brauchen.<br />

Zum Beispiel zeichne ich ganz<br />

rudimentär zwei Häuser auf ein Flipchart:<br />

«Mutters Haus» und «Vaters<br />

Haus». Ganz automatisch beginnt<br />

das Kind selbst zu zeichnen und zu<br />

erzählen, was ihm gefällt, was es vermisst<br />

und wie es sein neues Zuhause<br />

gestalten möchte.<br />

Und, welches sind die wichtigsten<br />

Bedürfnisse der Kinder?<br />

Dass Mami und Papi für sie da sind.<br />

Das Kind hat ja beide gern und sollte<br />

nicht in einen Loyalitätskonflikt<br />

geraten. Auch ganz wichtig sind<br />

beständige Strukturen wie Familienrituale,<br />

zuverlässige Regelungen und<br />

verbindliche Absprachen sowie konstante<br />

Bezugspersonen neben den<br />

Eltern.<br />

Welche Folgen kann eine Trennung<br />

oder Scheidung für die Entwicklung<br />

eines Kindes haben?<br />

Ungefähr jedes dritte Kind verändert<br />

sein Verhalten in der Schule. Diese<br />

Kinder ziehen sich entweder zurück<br />

oder werden verhaltensauffällig.<br />

Schulische Schwierigkeiten treten oft<br />

im Alter von sechs bis acht Jahren<br />

sowie während der Pubertät auf. In<br />

diesen Phasen baut das Kind wichtige<br />

Stufen seiner Ich-Entwicklung<br />

auf – unter anderem die Konzentrationsleistung.<br />

Eine Trennung der<br />

Eltern kann diesen Prozess beeinträchtigen.<br />

Sie kann auch ein Kompensationsverhalten<br />

auslösen: eine<br />

verstärkte Nutzung von sozialen<br />

Medien einhergehend mit Sozialkontaktverlust<br />

oder ein verändertes<br />

Ess- und Schlafverhalten. Zudem ist<br />

es möglich, dass die Entwicklung des<br />

Kindes verzögert oder beschleunigt<br />

wird. Bei all diesen Folgen gilt: Je<br />

konfliktreicher eine Trennung – also<br />

je mehr Streitgespräche, Wut und<br />

Aggressionen –, desto schlimmer für<br />

das Kind und desto stärker die möglichen<br />

Folgen.<br />

Welche Schäden können bis ins<br />

Erwachsenenalter bleiben?<br />

In meiner Praxis berate ich auch<br />

erwachsene Einzelpersonen. Scheidungskinder<br />

haben später öfter<br />

Schwierigkeiten, sich in Beziehungen<br />

längerfristig zu binden. Auch der<br />

Selbstwert kann leiden. Vergessen<br />

wir aber nicht: Im besten Fall wird<br />

das Wohlbefinden des Kindes von<br />

einer Trennung überhaupt nicht<br />

beeinträchtigt und das Kind gewinnt<br />

an Selbständigkeit und Bewältigungsstrategien<br />

hinzu.<br />

Wie kommt man als Eltern dahin?<br />

Das Allerwichtigste ist, die Grundbedürfnisse<br />

des Kindes weiterhin zu<br />

30 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


eachten. Das Kind soll nicht unter<br />

der negativen Stimmung zwischen<br />

den Eltern leiden müssen. Dafür<br />

müssen die Eltern natürlich erst wissen,<br />

wie es dem Kind geht und was<br />

es braucht. Das geht nur mit Empathie,<br />

grossem Interesse und gründlicher<br />

Information, damit es die<br />

Entscheidungen der Eltern besser<br />

verstehen kann.<br />

Haben Sie konkrete Tipps?<br />

Etwas vom Wichtigsten: Eltern sollen<br />

handeln, nicht nur reden. Für die<br />

Kinder ist es eine nicht alltägliche<br />

Situation, in der ihnen signalisiert<br />

werden muss, dass beide Eltern weiterhin<br />

für sie da sind. Das schafft<br />

man am besten mit erhöhter Präsenz,<br />

indem man mit den Kindern<br />

etwas Konkretes unternimmt: zum<br />

Beispiel im Winter im Schnee spazieren<br />

und im Sommer zusammen<br />

baden gehen. Besonders wichtig ist<br />

auch, wie die Eltern ihre Beziehung<br />

nach einer Trennung zueinander<br />

gestalten. Falls es die Eltern noch gut<br />

miteinander haben, empfehle ich ein<br />

gemeinsames Nachtessen pro Monat,<br />

abwechselnd bei Vater und Mutter.<br />

Eine konkrete Massnahme wäre<br />

auch, dass Vater oder Mutter das<br />

Arbeitspensum auf 80 Prozent reduzieren.<br />

Für das Kind ist das ein starkes<br />

Signal.<br />

Wie bringt man einem Kind eine<br />

Trennung bei?<br />

Gerade jüngere Schulkinder sind<br />

sehr verunsichert. Sie vergleichen<br />

stark, sehen nur die sogenannt intakten<br />

Familien aus dem Umfeld. Was<br />

ich ganz oft höre: «Die sind doch<br />

auch zusammen, warum wir nicht?»<br />

Ganz wichtig ist es darum, zu betonen,<br />

dass die Trennung nichts mit<br />

der Liebe zu den Kindern zu tun hat,<br />

dass Mama und Papa trotz zwei<br />

Wohnungen Eltern bleiben werden.<br />

Im Idealfall kommunizieren Eltern<br />

gemeinsam zu Hause am Familientisch<br />

– und signalisieren den Kindern,<br />

dass sie auch konfliktfrei miteinander<br />

umgehen können.<br />

Und wenn die Kinder schon älter sind?<br />

In der Pubertät kann ein Kind schon<br />

sehr gut abschätzen, was eine Trennung<br />

bedeutet und dass eine solche<br />

in vielen Familien vorkommt. Dann<br />

ist es umso wichtiger, dass das Kind<br />

merkt, dass seine Bedürfnisse und<br />

Interessen weiterhin berücksichtigt<br />

werden: Die sind vermehrt auch<br />

sozialer sowie finanzieller Art –<br />

Freunde, Kleider, Smartphone und<br />

so weiter.<br />

In der Theorie klingt das gut, in der<br />

Realität scheint es schwierig zu<br />

schaffen: Schliesslich befinden sich<br />

die Eltern in einer psychischen Ausnahmesituation.<br />

Wo kriegen sie Hilfe?<br />

Eine Familienmediation kann helfen.<br />

Da geht es darum, dass alle<br />

Familienmitglieder ihre eigenen<br />

«Falls es die Eltern noch gut<br />

miteinander haben, empfehle<br />

ich ein gemeinsames<br />

Nachtessen pro Monat.»<br />

Bedürfnisse gut kennen, sich austauschen<br />

und auch gut zuhören können,<br />

was die Bedürfnisse der anderen<br />

sind. Tun sie das nicht, entsteht eine<br />

Erwartungshaltung, die nicht erfüllt<br />

werden kann. Oder umgekehrt<br />

gesagt: Wer weiss, was er braucht,<br />

kann auch auf die Bedürfnisse der<br />

anderen besser eingehen.<br />

Zur Person<br />

Sonya Gassmann ist Psychologin lic.phil.,<br />

Mediatorin und Dozentin. In der eigenen<br />

Praxis in der Stadt Bern berät sie<br />

Einzelpersonen, Paare und Familien. Dabei<br />

arbeitet sie auch direkt mit Kindern und<br />

Jugendlichen, die von einer Trennung<br />

betroffen sind. Gassmann war als<br />

Berufsschullehrerin und Schulleiterin tätig<br />

sowie als Expertin für Konfliktsituationen<br />

und Gesprächsführung beim Bundesamt<br />

für Sport.<br />

Im nächsten Heft:<br />

Achtsamkeit<br />

Bild: iStockphoto<br />

Langsamkeit gilt oft als rückständig, hinderlich,<br />

uncool. Dabei empfehlen Experten schon länger,<br />

sich wieder mehr Zeit zu nehmen, bewusster im<br />

Moment zu leben, achtsam zu sein. Wie das mit<br />

Kindern funktioniert, ist Thema des April-Dossiers.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2018</strong>31


«Eltern sollten endlich<br />

darauf vertrauen, dass<br />

jedes Kind lernen will»<br />

30 Jahre lang hat er die Abteilung für Entwicklungspädiatrie am Kinderspital<br />

Zürich geleitet, seine Elternratgeber sind Longseller, «Babyjahre» und<br />

«Kinderjahre» stehen in (fast) jedem elterlichen Bücherregal. Getrieben wurde<br />

Remo Largo sein ganzes Arbeitsleben von der Frage, was das Wesen des<br />

Menschen ausmacht. Antworten gibt er in seinem wahrscheinlich letzten Buch<br />

«Das passende Leben». Der bekannteste Kinderarzt der Schweiz über<br />

die heutige Massengesellschaft, überforderte Kinder und neue Formen<br />

des Zusammenlebens. Interview: Evelin Hartmann Bilder: Christian Grund / 13 Photo<br />

Sechs Jahre hat<br />

Remo Largo an<br />

seinem Buch «Das<br />

passende Leben»<br />

gearbeitet.


Monatsinterview<br />

Ein trüber Dienstagmorgen,<br />

Schneeflocken wirbeln durch die Luft,<br />

Autos mühen sich eine steile Strasse<br />

in Uetliburg, Kanton St. Gallen, hinauf.<br />

Dort oben wohnt Remo Largo, schönes<br />

Einfamilienhaus, traumhafter Blick bis<br />

zum Zürisee. «Habens Sie’s gut<br />

gefunden?», fragt der Kinderarzt,<br />

nimmt Mantel und Schal ab. «Ich<br />

mache Ihnen einen Tee», sagt er und<br />

bittet in den Salon, wo man sich die<br />

nächsten Stunden unterhalten wird.<br />

Remo Largo, Ihr Buch «Das passende<br />

Leben» ist seit einem Jahr auf dem<br />

Markt. Das Medienecho war gross,<br />

zum Teil nicht gerade positiv. Hat Sie<br />

das überrascht?<br />

Im Nachhinein nicht. Ich kann verstehen,<br />

dass meine Thesen vielen<br />

Lesern nicht behagen. Sie erwarten<br />

leicht umsetzbare Ratschläge. Im<br />

Buch geht es darum, sich selbst und<br />

sein Leben zu hinterfragen.<br />

Was ist für Sie ein «passendes<br />

Leben»?<br />

Ein passendes Leben zu führen, ist<br />

ein Grundprinzip der Evolution. Das<br />

will jedes Lebewesen, sei es ein Bakterium,<br />

eine Pflanze, ein Tier oder<br />

ein Mensch. Wir sind ständig<br />

bemüht, uns anzupassen oder eine<br />

Umwelt zu finden, die unseren<br />

Bedürfnissen entspricht. Ausserdem<br />

geht es darum, seine ganz eigenen<br />

Kompetenzen anwenden zu können<br />

«Die Familie war<br />

nie ein soziales<br />

Eiland, auf dem die<br />

Eltern ihre Kinder<br />

alleine grossgezogen<br />

haben.»<br />

– ohne dauerhaft überfordert oder<br />

unterfordert zu sein. Dies nenne ich<br />

das «Fit-Prinzip» – das wesentlich<br />

den Sinn des Lebens ausmacht.<br />

Sich selbst treu bleiben zu können<br />

und als derjenige wahrgenommen zu<br />

werden, der man wirklich ist, das<br />

wünscht sich jeder Mensch. Warum<br />

gelingt dies nur noch wenigen?<br />

Wir verändern unsere Umgebung<br />

seit etwa 150 Jahren massiv. Das hat<br />

vor allem mit dem technischen Fortschritt<br />

sowie der Vermassung der<br />

Gesellschaft, der Globalisierung zu<br />

tun. Doch wir Menschen sind nicht<br />

beliebig anpassungsfähig. Unsere<br />

Vorfahren haben während mindestens<br />

200 000 Jahren in Lebensgemeinschaften<br />

mit vertrauten Menschen<br />

gelebt. Nur selten kam jemand<br />

vorbei, den man nicht kannte. Diese<br />

Art des Zusammenlebens hat uns<br />

geprägt. Jetzt leben wir in einer anonymisierten<br />

Massengesellschaft, für<br />

die wir nicht gemacht sind.<br />

Und in der Massengesellschaft können<br />

wir unsere Grundbedürfnisse nicht<br />

mehr ausreichend befriedigen?<br />

Davon bin ich überzeugt. Insbesondere<br />

die sozialen und emotionalen.<br />

Geborgenheit, soziale Anerkennung<br />

und eine gesicherte Stellung in der<br />

Gemeinschaft sind Grundbedürfnisse,<br />

die wir immer weniger befriedigen<br />

können. Darunter leiden vor<br />

allem Kinder und ältere Menschen.<br />

Das müssen Sie genauer erklären.<br />

«Es braucht ein ganzes Dorf, um ein<br />

Kind aufzuziehen», besagt ein afrikanisches<br />

Sprichwort. Da reicht eine<br />

Kleinfamilie nicht aus. So bekommen<br />

die Kinder nicht mehr die<br />

Geborgenheit, die sie eigentlich<br />

brauchen. Zusätzlich sind viele<br />

Eltern gestresst. Sie haben Angst, in<br />

unserer Leistungsgesellschaft den<br />

Anschluss zu verlieren. Diese Angst<br />

geben sie als Druck an ihre Kinder<br />

weiter.<br />

Unsere Kinder wachsen heute<br />

mehrheitlich in Kleinfamilien auf ...<br />

... und haben zu wenig weitere<br />

Be zugspersonen. Die Grosseltern<br />

wohnen oftmals zu weit weg, um sich<br />

an der Kinderbetreuung aktiv beteiligen<br />

zu können, zu seinem direkten<br />

Umfeld, etwa der Nachbarschaft,<br />

pflegt man keinen intensiven Kontakt.<br />

Wir haben uns an ein Leben mit<br />

grossen individuellen Freiheiten und<br />

wenig zwischenmenschlichem Um -<br />

gang und Verantwortung ge wöhnt<br />

und sind nur ungern bereit, darauf<br />

zu verzichten.<br />

Ganz nach dem Motto: «Wir als<br />

Familie müssen es alleine schaffen.»<br />

Aber das ist quasi unmöglich. Die<br />

Familie war zu keiner Zeit ein soziales<br />

Eiland, auf dem die Eltern ihre<br />

Kinder alleine grossgezogen haben.<br />

Sie war immer in eine Lebensgemeinschaft<br />

eingebunden, in der es<br />

mehrere tragende Bezugspersonen<br />

gab: die erweiterte Familie, Nachbarschaft,<br />

Menschen, mit denen Kinder<br />

das Leben geteilt haben – und natürlich<br />

viele andere Kinder.<br />

Man kann Aufgaben an Dienstleister<br />

delegieren: Haushaltshilfen, Kitas ...<br />

... Zu mehr emotionaler Unterstützung<br />

sowie Geborgenheit gelangt<br />

man dadurch aber nicht. Oder<br />

anders gesagt: Der Krippenerzieherin<br />

erzähle ich nichts von meinen<br />

Eheproblemen, der vertrauten Nachbarin<br />

vielleicht schon. Ich bin der<br />

festen Überzeugung, dass diese Vereinzelung<br />

unser Wohlbefinden be -<br />

einträchtigt. Gerade Kleinfamilien<br />

sind damit völlig überfordert. Als<br />

zutiefst soziale Wesen brauchen wir<br />

langjährige tragfähige Beziehungen<br />

mit vertrauten Menschen.<br />

Aber verklären Sie diese Lebensformen<br />

vergangener Zeiten nicht<br />

zu sehr? >>><br />

34 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Remo Largo hat<br />

drei Töchter und<br />

vier Enkel. Er lebt<br />

in Uetliburg im<br />

Kanton St. Gallen.


«Für ein weiteres<br />

Buch fehlt mir<br />

die Kraft», sagt<br />

Remo Largo.<br />

>>> Sie haben recht, die soziale<br />

Kontrolle und damit der Druck in<br />

einem Dorf des 18. oder 19. Jahrhunderts<br />

war hoch. Die meisten Bewohner<br />

hatten schlichtweg keine andere<br />

Wahl, als dort zu leben. Diese Zeiten<br />

will keiner zurück. Mir schweben<br />

freiwillig eingegangene Gemeinschaften<br />

vor. Eine Gruppe von Menschen<br />

gründet beispielsweise eine<br />

Wohnbaugenossenschaft, an der<br />

man sich mit einem finanziellen Beitrag<br />

beteiligt. Man unterstützt sich<br />

gegenseitig bei der Kinder- oder<br />

Altenbetreuung, pflegt Hobbys und<br />

treibt gemeinsam Sport. Es müssen<br />

Lebensräume geschaffen werden, die<br />

viel Raum für Begegnungen lassen.<br />

Dafür müssen alle Bewohner, auch<br />

die Kinder, in die Planung der<br />

Gemeinschaft und deren Aktivitäten<br />

miteinbezogen werden.<br />

Nun gibt es solche Wohngemeinschaften<br />

hierzulande bereits. Jedenfalls<br />

in Ansätzen. Manche Menschen<br />

gehen darin auf – andere wollen so<br />

viel Nähe schlichtweg nicht, wünschen<br />

sich mehr Privatsphäre.<br />

Es soll auch niemand gezwungen<br />

werden, so zu leben. Wer möchte,<br />

kann weiterhin in seinem Einfamilienhaus<br />

mit eingezäuntem Garten<br />

wohnen bleiben. Aber alle anderen<br />

sollen die Möglichkeit bekommen,<br />

ein für sie passendes Leben führen<br />

zu können.<br />

Eine weitere Forderung, die Sie seit<br />

Jahren stellen, betrifft einen grundlegenden<br />

Umbau unseres Bildungswesens.<br />

Heute scheint das Bildungswesen<br />

nur eine Aufgabe zu haben: Arbeitskräfte<br />

für die Wirtschaft heranzuziehen.<br />

Unser Bildungswesen ist eine<br />

Planwirtschaft. Oben wird ein Lehrplan<br />

ausgeheckt, die Lehrer müssen<br />

ihn durchsetzen und die Kinder<br />

werden mit Prüfungen kontrolliert.<br />

Was Kinder, Eltern und Lehrer<br />

unglücklich macht. Das ist nicht das,<br />

was ich unter Bildung verstehe. Echte<br />

Bildung besteht darin, das Kind<br />

in all seinen Kompetenzen zu fördern,<br />

auch in den sozialen. Dafür<br />

müssen wir unser Menschenbild<br />

hinterfragen. Ich wünsche mir, dass<br />

aus einem Kind ein kompetenter<br />

Erwachsener mit einem guten<br />

Selbstwertgefühl und guter Selbstwirksamkeit<br />

wird, der sich der<br />

Gemeinschaft verpflichtet fühlt.<br />

Woran fehlt es?<br />

Das Traurige ist, dass sich die meisten<br />

jungen Erwachsenen heute nicht<br />

mehr spüren, weil ihnen von klein<br />

auf gesagt wurde, was sie zu tun<br />

haben. Die Kinder stehen unter ständigem<br />

Leistungsdruck, der sie demotiviert.<br />

Mit dem Resultat, dass wir<br />

am Ende junge Erwachsenen haben,<br />

die völlig fremdbestimmt sind und<br />

kein gutes Selbstvertrauen und keine<br />

gute Selbstwirksamkeit haben. Dabei<br />

wollen doch alle Kinder Leistungen<br />

erbringen. Wir sollten endlich darauf<br />

vertrauen, dass alle Kinder lernen<br />

wollen, aber in ihrem eigenen Tempo<br />

und auf ihre Weise.<br />

Fehlendes Zutrauen – ist das<br />

eine Ursache dafür, dass es vielen<br />

36 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Monatsinterview<br />

Menschen so schwerfällt, das für sie<br />

passende Leben zu finden?<br />

Genau, Zutrauen in sich selbst, das<br />

müssen Kinder lernen. Sie müssen<br />

die Erfahrung machen, dass sie<br />

selbstbestimmt Dinge erreichen<br />

können. Ich habe während meiner<br />

wissenschaftlichen Arbeit am Kinderspital<br />

Zürich einen Jungen kennengelernt,<br />

der mathematisch hochbegabt<br />

war. Er hat später theoretische<br />

«Eltern sollen ihr<br />

Kind so annehmen,<br />

wie es ist.<br />

Und es soll eine<br />

Schulkarriere<br />

machen dürfen, die<br />

ihm entspricht.»<br />

Physik studiert, mit das Schwerste<br />

überhaupt, was man studieren kann.<br />

Nach Abschluss seines Studiums hat<br />

er gesagt: So, und jetzt werde ich<br />

Schreiner. Er hat genau gespürt, was<br />

ihn glücklich macht. Diese innere<br />

Freiheit hat mich sehr beeindruckt.<br />

Fällt es Menschen mit einem hohen<br />

kognitiven Potenzial nicht grundsätzlich<br />

leichter, ihren Beruf frei zu<br />

wählen? Ihnen stehen (fast) alle Türen<br />

offen. Sie haben als Leiter der<br />

Entwicklungspädiatrie in Zürich sicher<br />

öfter die gegenteiligen Fälle erlebt,<br />

bei denen man die Eltern auf die<br />

Entwicklungsdefizite ihrer Kinder hinweisen<br />

musste – und dass diese nicht<br />

«wegtherapiert» werden können.<br />

Unzählige Male. Aber daraus muss<br />

keine Tragödie werden. Was Eltern<br />

nicht wollen, ist, dass ihr Kind<br />

ge brandmarkt und ausgegrenzt wird.<br />

Eine Legasthenie kann man nicht<br />

wegtherapieren. Man kann aber dem<br />

Kind helfen, das Beste aus seinen<br />

begrenzten Lesekompetenzen zu<br />

machen und sollte es dabei nicht<br />

überfordern. Mütter und Väter können<br />

ihr Kind meist haargenau einschätzen;<br />

sie wissen ganz genau, was<br />

es kann und was nicht. Daran muss<br />

man anknüpfen und das Umfeld des<br />

Kindes so gestalten, dass es Erfolg<br />

haben kann. Erfolg bringt die Lernmotivation<br />

zurück.<br />

Viele Eltern machen sich Sorgen,<br />

wenn ihr Kind hinter der «Norm»<br />

zurückbleibt, oder sogar Vorwürfe:<br />

«Mein Kind genügt den Anforderungen<br />

nicht. Hätte ich es mehr fördern<br />

müssen?»<br />

Wissen Sie, ich kenne keine Studie,<br />

die gezeigt hat, dass man Kinder über<br />

ihr Begabungspotenzial hinaus fördern<br />

kann. Beim Wachstum akzeptieren<br />

wir die individuellen Grenzen<br />

doch auch. Jeder weiss, dass ein Kind<br />

durch übermässiges Essen nicht<br />

grös ser, sondern dicker wird. Das gilt<br />

genauso für die geistigen und sprachlichen<br />

Fähigkeiten.<br />

Aber haben Sie kein Verständnis für<br />

die Existenzsorgen eines Vaters,<br />

dessen 15-jähriger Sohn die Schule<br />

ohne Abschluss schmeissen will?<br />

Doch, natürlich. Ob er in der Gesellschaft<br />

erfolgreich sein wird, hängt<br />

jedoch nicht von aufgepfropftem<br />

Wissen ab, sondern ob er seine Kompetenzen<br />

entfalten konnte, genau<br />

weiss, wo seine Stärken liegen,<br />

gelernt hat, mit seinen Schwächen<br />

umzugehen. Nur so kommt er zu<br />

einem guten Selbstvertrauen: Ich<br />

schaffe es in dieser Gesellschaft.<br />

Die Wissenschaft hält gerade für<br />

ehrgeizige Eltern eine bittere Einsicht<br />

bereit: Je begabter sie sind, desto<br />

grösser ist die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass ihre Kinder weniger begabt sind.<br />

Das ist eine biologische Gesetzmässigkeit,<br />

die für alle Lebewesen gilt.<br />

Regression to the mean heisst zu ­<br />

sammengefasst, dass Kinder im Vergleich<br />

mit ihren Eltern mit ihren<br />

Eigenschaften wie Wachstum oder<br />

Intelligenz zur Mitte hin tendieren.<br />

Wenn beispielsweise Eltern einen IQ<br />

von 130 aufweisen, ist die Wahrscheinlichkeit<br />

mehr als 80 Prozent,<br />

dass ihre Kinder einen IQ haben<br />

werden, der unter dem ihrigen liegt.<br />

Allerdings beträgt bei Eltern mit<br />

einem IQ unter 70 die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass der IQ ihrer Kinder<br />

höher sein wird, ebenfalls 80 Prozent.<br />

Was können Eltern demnach dafür<br />

tun, dass ihre Kinder ein passendes<br />

Leben führen?<br />

Sie sollten genau hinschauen: Welche<br />

Bedürfnisse hat mein Kind? Wie<br />

sieht es mit seinen Kompetenzen<br />

aus? Sie sollen ihr Kind so annehmen,<br />

wie es ist. Es soll eine Schulkarriere<br />

machen dürfen, die ihm entspricht.<br />

Das schützt ihr Kind vor<br />

einer ständigen Überforderung und<br />

den späteren Erwachsenen vor<br />

unausweichlichem Scheitern.<br />

Lieber eine zufriedene Gärtnerin als<br />

eine unglückliche Ärztin?<br />

Sie spielen auf meine älteste Tochter<br />

an. Eva wusste bereits mit 12 Jahren,<br />

dass sie Gärtnerin werden will. Mit<br />

16 hat sie die Schule beendet und ist<br />

eine begeisterte Gärtnerin geworden.<br />

Wir haben von allen Seiten gehört:<br />

«Wieso geht sie nicht ans Gymnasium,<br />

mit zwei Akademikern als<br />

Eltern?»<br />

Hat Sie das beunruhigt?<br />

Überhaupt nicht. Vielleicht auch,<br />

weil ich selber nicht aus einer Akademikerfamilie<br />

stamme. Als damals<br />

«Ich sollte nicht<br />

studieren, sondern<br />

die mechanische<br />

Werkstatt meines<br />

Vaters<br />

übernehmen.»<br />

mein bester Freund aufs Gymnasium<br />

gekommen ist, hatte mein Vater<br />

sogar Angst, dass ich nachziehe. Ich<br />

sollte nicht studieren, sondern seine<br />

mechanische Werkstatt übernehmen.<br />

Also bin ich auf die Sekundarschule<br />

gegangen. Erst als mein jüngerer<br />

Bruder sich dafür entschieden<br />

hat, Werkzeugmechaniker zu werden,<br />

war ich frei.<br />

>>><br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2018</strong>37


Monatsinterview<br />

>>> Was würden Sie sagen: Abteilung «Wachstum und Entwicklung»<br />

Rolle als Vater vereinbar, als es die<br />

Haben Sie ein Leben geführt, das<br />

Ihren Begabungen entspricht, das gut<br />

zu ihnen passt?<br />

Mal mehr, mal weniger. In ständiger<br />

Übereinstimmung mit seiner<br />

Umwelt zu leben, ist gar nicht möglich.<br />

am Kinderspital Zürich, da<br />

wollte nie einer hin. Das war mein<br />

Glück. Ich hatte einen Chef, der an<br />

mich glaubte und mich unterstütze.<br />

Tätigkeit eines Chirurgen gewesen<br />

wäre.<br />

Also haben Sie auch privat das<br />

passende Leben geführt.<br />

Ich konnte oft von zu Hause aus<br />

arbeiten und war somit für meine<br />

Ich verstehe das Fit-Prinzip<br />

«Ich bin der festen<br />

drei Töchter präsent. Was den meisten<br />

Vätern verwehrt blieb. Leider<br />

auch nicht als Ziel, sondern als Weg.<br />

Die Lebenssituationen, in die man Überzeugung, haben sich die Lebensbedingungen<br />

gerät, sind immer wieder anders,<br />

dass wir unsere<br />

für die Familien seitdem überhaupt<br />

man muss sich immer wieder neu<br />

nicht verbessert, im Gegenteil: Sie<br />

anpassen. Was mich persönlich am Gesellschaft sind schlechter geworden.<br />

stärksten zur Anpassung gezwungen<br />

Womit wir wieder beim Fehler im<br />

radikal überdenken<br />

hat, war meine massiv beeinträchtigte<br />

Gesundheit.<br />

sollten.»<br />

Auch, wenn es manche Leser ver-<br />

System wären.<br />

Anfang der 70er-Jahre erkrankten Sie<br />

schwer, verloren das Gehör auf dem<br />

rechten Ohr, litten ständig unter<br />

Schwindel und sonstigen gesundheitlichen<br />

Problemen.<br />

Damit war mein Berufswunsch,<br />

Kinderchirurg zu werden, passé.<br />

Durch Zufall kam ich 1974 auf die<br />

Ich konnte 30 Jahre lang über die<br />

kindliche Entwicklung forschen und<br />

eine Poliklinik für Kinder mit Entwicklungs-<br />

und Verhaltensauffälligkeiten<br />

aufbauen. Ausserdem war<br />

diese Position viel besser mit meiner<br />

schrecken wird: Ich bin der festen<br />

Überzeugung, dass wir unsere<br />

Gesellschaft radikal überdenken<br />

sollten.<br />

Was heisst das in Bezug auf Familienthemen?<br />

Es bräuchte endlich eine treibende<br />

politische Kraft, die die Gesellschaft<br />

Remo Largos<br />

Bücher (z. B.<br />

«Schülerjahre»)<br />

zählen zu den<br />

Klassikern der<br />

Erziehungsliteratur.<br />

Zur Person<br />

Remo Largo, 1943 in<br />

Winterthur geboren, studierte<br />

Medizin und Entwicklungspädiatrie.<br />

Von 1978 bis<br />

zur Pensionierung leitete er<br />

die Abteilung «Wachstum<br />

und Entwicklung» am<br />

Universitäts-Kinderspital<br />

Zürich. Die Longitudinalstudien,<br />

die er leitet, zählen<br />

zu den umfassendsten<br />

Studien in der weltweiten<br />

Entwicklungsforschung.<br />

38 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


so verändern will, dass eine Familie<br />

zu gründen Freude macht. Im Alter<br />

von 20 Jahren wünschen sich 90 Prozent<br />

der jungen Menschen einmal<br />

Kinder. In den folgenden Jahren<br />

vermiest ihnen übermässiger Stress<br />

diesen Wunsch immer mehr. Das hat<br />

Folgen. Um die schweizerische<br />

Gesellschaft stabil zu halten, hätten<br />

in den letzten 40 Jahren eine Million<br />

Kinder mehr auf die Welt kommen<br />

müssen, als tatsächlich geboren wurden.<br />

Die Schweiz ist nicht familienund<br />

kinderfreundlich.<br />

Was schwebt Ihnen vor?<br />

Eine Familien- oder noch besser<br />

eine Frauenpartei. Ich bin überzeugt<br />

davon, dass diese grossen Zulauf<br />

fände. Themen gibt es genügend:<br />

Die Vereinbarkeit von Familie und<br />

Beruf, eine Wirtschaft, die auf<br />

Eltern Rücksicht nimmt, kosten lose<br />

Kinderbetreuung, Infrastrukturen<br />

im Wohnungswesen, die die Familien<br />

zusammenbringen, eine kindgerechte<br />

Schule und so weiter und<br />

so fort.<br />

Aber das Geschlecht allein sagt<br />

doch noch nichts über die politische<br />

Gesinnung aus.<br />

Es geht weniger um die politische<br />

Gesinnung als vielmehr darum, was<br />

Frauen und Männer als lebenswert<br />

empfinden. Und da würde ich meinen,<br />

besteht ein grosser Unterschied.<br />

Ich sage ja auch nicht, dass alle Frauen<br />

und keine Männer dieser Partei<br />

beitreten sollen. Aber der Lead soll<br />

bei den Frauen liegen. Sie müssen<br />

politische Verantwortung übernehmen<br />

für diejenigen Lebensbereiche,<br />

für welche die etablierten Parteien<br />

seit Jahrzehnten nur blumige Worte<br />

übrighaben.<br />

>>><br />

Buchhinweis<br />

Remo Largo: «Das<br />

passende Leben. Was<br />

unsere Individualität<br />

ausmacht und wie<br />

wir sie leben können.»<br />

Fischer Verlag 2017,<br />

Fr. 37.90.<br />

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im Schlaf»<br />

Sind Sie auch überzeugt, dass Ihr Kind im<br />

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im Bett liegen, selbst wenn sie sich im Schlaf bewegen: Unser Futon-Federelement passt sich<br />

optimal dem Körperbau und Gewicht des Kindes an, der Bewegungsapparat wird perfekt gestützt.<br />

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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März <strong>2018</strong>39<br />

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Kolumne<br />

Wunder<br />

Mikael Krogerus<br />

ist Autor und Journalist.<br />

Der Finne ist Vater einer Tochter<br />

und eines Sohnes, lebt in Basel<br />

und schreibt regelmässig für<br />

das Schweizer ElternMagazin<br />

Fritz+Fränzi und andere<br />

Schweizer Medien.<br />

Streng genommen gibt es drei Arten von Kinderbüchern. Solche,<br />

die Kinder mögen, solche, die Eltern mögen, und solche, die<br />

beiden gefallen. Zur ersten Gruppe gehört «Gregs Tagebuch»<br />

von Jeff Kinney. Ich weiss nicht, ob Sie mal reingelesen haben, es<br />

ist wirklich gut, spricht direkt ins Herz verzweifelter Heranwachsender.<br />

Aber wenn man weiterliest, wird sofort deutlich, wie viel<br />

man von der eigenen Kindheit verdrängt hat. Und auch, warum. Anders<br />

gesagt, es ist ein gutes Buch, weil es für Kinder und nicht für Erwachsene<br />

geschrieben wurde.<br />

Zur zweiten Gruppe – Bücher, die Eltern mögen – gehören all jene, in<br />

denen die Autoren die Welt «mit Kinderaugen» zu sehen versuchen.<br />

Nirgends ist das deutlicher als in Antoine de Saint-Exupérys «Der Kleine<br />

Prinz». Es ist zweifellos ein Meisterwerk, aber ich erinnere mich noch gut,<br />

wie ich bei dem Satz «Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche<br />

ist für die Augen unsichtbar» zum ersten Mal die Augen verdrehte.<br />

In dieser Kategorie Bücher geht es oft mehr um eine pädagogisierte<br />

Sehnsucht von Erwachsenen nach einem unverdorbenen Ideal-Kindsein;<br />

einem quasi-religiösen Zustand, in dem sie die Begegnung mit der komplizierten,<br />

verrotteten Wirklichkeit vermeiden wollen und sich lieber auf<br />

einem perfekten Planeten fern von allem imaginieren.<br />

Die dritte Gruppe sind Bücher, die Eltern wie Kindern gefallen. Jene<br />

Werke also, bei denen man sich auf die Lektüre freut wie auf einen<br />

guten Freund, bei denen wir dem Kind vorschlagen: «Noch ein Kapitel,<br />

okay?» und nicht umgekehrt. Für manche ist das vielleicht «Harry Potter»,<br />

für andere «Die rote Zora». Ich machte jüngst bei «Wunder» von<br />

Raquel Palacio diese Erfahrung. Erzählt wird die Geschichte des<br />

zehnjährigen Auggie Pullman, dessen Gesicht infolge einiger<br />

komplizierter Gendefekte derart entstellt ist, dass alle, die ihn sehen,<br />

entweder erschrocken wegschauen oder ihn anstarren wie einen Autounfall.<br />

Auggie selbst erklärt es dem Leser so: «Wie auch immer Sie sich<br />

mein Gesicht vorstellen, es ist vermutlich noch schlimmer.» Jeder<br />

Schultag ist für Auggie eine Qual, jede Begegnung eine Überwindung.<br />

Mit der Zeit aber lernen seine Klassen kameraden, den Menschen hinter<br />

der Maske zu sehen. Auggie erfährt Freundschaft und Zuspruch. Palacio<br />

benutzt zwei sehr kluge literarische Tricks: Erstens sind die Kapitel<br />

vorlesefreundlich kurz, zweitens wird Quentin-Tarantino-mässig aus der<br />

Perspektive verschiedener Personen erzählt, sodass wir Mobbingszenen<br />

aus Sicht des Opfers, des Täters und des Zeugen sehen und somit<br />

gezwungen sind, uns ein differenziertes Bild zu machen. Wir malen uns<br />

aus, wie es wäre, Auggie zu sein, und wie es wäre, ihn zu sehen. Das klingt<br />

furchtbar pädagogisch, und doch war ich erstaunt, wie sehr meine<br />

Tochter auf das Buch ansprach – und wie oft ich beim Lesen Tränen in<br />

den Augen hatte.<br />

Was ich sagen will: In «Wunder» erfahren wir, was uns in «Der Kleine<br />

Prinz» gepredigt wird, nämlich dass man nur mit dem Herzen gut sieht,<br />

weil das Wesentliche für die Augen unsichtbar bleibt.<br />

Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />

40 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Publireportage<br />

WEITERE TIPPS<br />

UND HIGHLIGHTS<br />

Reka-Feriendorf Blatten-Belalp<br />

• atemberaubende Massaschlucht-Hängebrücke<br />

• Freizeitpark Hexenkessel mit<br />

Seilpark<br />

Reka-Ferien für die<br />

ganze Familienbande<br />

Ob Pumptrack, Babybaden oder Chillen am Strand –<br />

Reka-Feriendörfer bieten Abwechslung nicht nur für<br />

Kleinkinder sondern auch für Teenies. Und auch<br />

die Erwachsenen kommen nicht zu kurz.<br />

Parkhotel Brenscino in Brissago<br />

• Panoramaterrasse,<br />

Swimmingpool und Minigolf<br />

• Indoor-Spielraum und viele<br />

Spielgeräte im Garten<br />

• eigener botanischer Park auf<br />

38 000 m 2<br />

Reka-Feriendorf Montfaucon<br />

• Motto: «rund um die Uhr die<br />

Zeit vergessen»<br />

• «Tissot-Minigolf-Cup» mit<br />

Uhrenverlosung<br />

• Bikehotel mit geführten Touren<br />

• Eigener Wellness-Bereich mit<br />

Massagen<br />

Am Fusse des Nationalparks<br />

Eingebettet zwischen Silvretta-Gipfeln<br />

und den «Engadiner Dolomiten»<br />

bietet das familiäre Wander- und<br />

Naturparadies Scuol kleinen und<br />

grossen Gästen zahlreiche Sportund<br />

Erholungsmöglichkeiten. Die auf<br />

die Wintersaison 2017/18 neu renovierte<br />

Reka-Ferienanlage Scuol<br />

eignet sich bestens für Familienferien<br />

wie auch für Aktivferien – ab Frühling<br />

<strong>2018</strong> wird sie zudem als offizielles<br />

Bike-Hotel geführt.<br />

Ganz hinten im Val d’Anniviers<br />

«Blackbox» heisst der Teil im Jugendraum<br />

des Reka-Feriendorfs Zinal, wo<br />

man richtig chillen kann. Man trifft sich<br />

zum Töggele, Billard oder Ping Pong<br />

spielen. Draussen sorgt der Bike-<br />

Pumptrack für Nervenkitzel und am<br />

Kletterfelsen können sich angehende<br />

Bergsteiger üben. Im Teens Club<br />

trifft man sich abends für coole Aktivitäten.<br />

Er ist fester Bestandteil des<br />

Familienprogramms, das alle Reka-<br />

Feriendörfer anbieten. Und in der<br />

Lounge im oberen Stock gönnen sich<br />

die Eltern ein Glas Wein.<br />

Aktive Erholung in der Toskana<br />

Das Reka-Ferienresort Golfo del Sole<br />

liegt direkt am feinsandigen Strand,<br />

rund 3 km nördlich der toskanischen<br />

Stadt Follonica. Zum Resort gehören<br />

eine Tennis- und eine Surfschule,<br />

Velo- und Bikevermietung sowie<br />

diverse Restaurants und Bars. Zusätzliches<br />

Plus: Hotelservice in den<br />

Bungalows und Ferienwohnungen<br />

(gegen Gebühr), nummerierte<br />

Liegestühle mit Sonnenschirm am<br />

Strand und geführte Biketouren im<br />

Frühling und im Herbst.<br />

In einigen Reka-Ferienwohnungen<br />

haben neu auch Vierbeiner<br />

Zutritt. reka.ch/dog<br />

Hoilday on Bike mit Reka und<br />

Thömus in der Toskana oder in<br />

einem der Swiss Bike Hotels von<br />

Reka in der Schweiz.<br />

reka.ch/hob<br />

Exklusiv in den Reka-Feriendörfern<br />

sorgt das kostenlose<br />

Rekalino-Familienprogramm<br />

für Unterhaltung bei den Kids.<br />

Informationen und Buchung:<br />

reka.ch, +41 31 329 66 99 (Montag bis Freitag, 8 – 17 Uhr)


Was Lehrer tun können,<br />

wenn Eltern Druck machen<br />

Im Sommer 2017 verfasste der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH einen<br />

Leitfaden zur Gestaltung der Zusammenarbeit von Schule und Eltern mit dem Ziel, diese<br />

Beziehung zu verbessern. Aber wie praxistauglich ist solch ein Leitfaden?<br />

Wir haben eine Lehrperson gefragt. Ihre Gedanken zu einem Thema, das Lehrpersonen<br />

wie Eltern gleichermassen unter den Nägeln brennt.<br />

Text: Die Autorin möchte anonym bleiben. Sie ist Lehrperson und unterrichtet im Kanton Zürich.<br />

Es ist Freitagmorgen, die<br />

Primarlehrerin Sabine<br />

Bächli* hat ihren monatlichen<br />

Waldtag. Es ist<br />

kalt und es schneit. Sabine<br />

erhält die erste SMS einer Mutter<br />

mit der Frage, ob sie heute in den<br />

Wald gingen.<br />

Sabine Bächli schreibt: «Wir trotzen,<br />

wie schon am Elternabend<br />

informiert, jedem Wetter.» – Als<br />

Mami könne sie unmöglich hinter<br />

dieser Entscheidung stehen, kommt<br />

es postwendend zurück. Sie habe<br />

keine Lust, wieder einen kranken<br />

Sohn zu Hause zu haben. Sie werde<br />

Niklas nicht in die Schule schicken.<br />

Die Primarlehrin beschliesst, darauf<br />

nicht zu antworten.<br />

Nach zehn Minuten erhält sie<br />

eine weitere SMS mit der Feststellung,<br />

dass sie sich in der Eltern-<br />

WhatsApp-Gruppe ausgetauscht<br />

Die SMS der Eltern zeigen<br />

Wirkung – der Waldtag wird<br />

abgesagt. Die Lehrerin ist<br />

frustriert, fühlt sich in<br />

ihrer Autorität eingeschränkt.<br />

habe und zehn andere Eltern fänden,<br />

dass an diesem Freitagmorgen<br />

kein Waldtag stattfinden solle. Das<br />

Wetter sei zu schlecht. Drei weitere<br />

SMS von drei anderen Eltern folgen.<br />

Sabine Bächli fühlt sich überfordert.<br />

Sie sucht die Schulleitung auf,<br />

zeigt die SMS. Die Schulleitung<br />

beschliesst, den Waldmorgen abzusagen.<br />

Die Lehrerin ist erleichtert,<br />

aber auch frustriert, da es sich<br />

anfühlt, als würde ihre Autorität<br />

infrage gestellt. Das Problem ist aufgeschoben,<br />

nicht aufgehoben.<br />

Das Beispiel verdeutlicht, wie<br />

komplex das Verhältnis zwischen<br />

Eltern und Lehrpersonen ist. Mit<br />

dieser Thematik setzt sich der Leitfaden<br />

«Schule und Eltern – Gestaltung<br />

der Zusammenarbeit» des<br />

Dachverbands Lehrerinnen und<br />

Lehrer Schweiz (LCH) auseinander.<br />

Im Vorwort des Leitfadens lese<br />

ich über die anspruchsvoller werdende<br />

Elternarbeit, über Helikoptereltern,<br />

über Eltern, die mit dem<br />

Anwalt drohen. Ziel des Leitfadens<br />

sei es, die Zusammenarbeit zwischen<br />

Schule und Elternhaus als Kooperation,<br />

nicht als Belastung zu erleben.<br />

Danach folgt eine ausführliche Analyse<br />

der sich verändernden Rahmenbedingungen.<br />

Es wird unter anderem<br />

auf den Zustand der Schulen,<br />

die Rolle der Medien und In tegrationsanforderungen<br />

eingegangen.<br />

Der LCH-Leitfaden beschreibt<br />

sorgfältig die Komplexität des heutigen<br />

Schulalltags. In den Fallbeispielen<br />

greift er Themen auf, die<br />

tatsächlich den konkreten Fragestellungen<br />

des Schulalltages nahekommen<br />

und sinnvollerweise zwischen<br />

pädagogischen und juristischen<br />

Überlegungen differenzieren. Was<br />

ist pädagogisch zu raten, was ist<br />

rechtlich erlaubt?<br />

Ein Fokus des Leitfadens liegt auf<br />

der Rollenklärung. Was ist meine<br />

Rolle als Lehrperson? Was ist meine<br />

Rolle als Elternteil? Wo gibt es in<br />

diesen Kompetenzen Überschneidungen,<br />

wo Abgrenzungen? Das<br />

ergibt Sinn. Und doch frage ich<br />

mich: Wo liegt der Nutzen für die<br />

Primarlehrerin Sabine Bächli aus<br />

unserem Beispiel?<br />

Meine Kollegin müsste den Leitfaden<br />

zur Hand nehmen, ihn durchlesen<br />

oder zumindest überfliegen.<br />

Vielleicht würde sie bei den Fallbeispielen<br />

stoppen, aber schnell merken:<br />

Auf meinen konkreten Fall<br />

bezogen gibt es keine Antwort.<br />

Für mich zeigt sich im Bereich<br />

Schule und Elternhaus ein weit grösseres<br />

Thema: das Thema der Leistungsgesellschaft,<br />

die sich gerade<br />

42 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Erziehung & Schule<br />

selber ins Absurde führt. Der<br />

grundsätzliche Optimierungsdrang,<br />

der sich tief in unser System eingegraben<br />

hat, sei es vonseiten des<br />

Elternhauses oder des Schulsystems,<br />

produziert Kollateralschäden. Angst<br />

und Überforderung – die dem Ziel,<br />

«erfolgreich und in angenehmer<br />

Atmosphäre zu lernen», ursächlich<br />

im Wege stehen.<br />

Die Rahmenbedingungen in der<br />

Schule müssten sich grundsätzlich<br />

verändern, hin zu weniger Druck<br />

und mehr Entfaltungsraum, hin zu<br />

mehr Vertrauen und weniger Angst,<br />

hin zu möglichen Lebensläufen, die<br />

sich entwickeln dürfen und nicht<br />

bereits im Kindergarten geplant und<br />

optimiert werden müssen.<br />

Der Medien- und Konsumgesellschaft<br />

müsste dafür kurz mal die<br />

Stopptaste gedrückt werden. In diesem<br />

Sinne zeigt der LCH-Leitfaden<br />

die wunden Punkte auf, nur spielt er<br />

das Spiel mit, indem er eine vermeintliche<br />

Lösung anbietet, statt<br />

eine Frage zu stellen.<br />

Als Lehrperson muss ich wissen,<br />

wo meine Grenzen und Kompetenzen<br />

liegen. Wenn ich weiss, wann<br />

und wo ich mich abgrenzen kann,<br />

läuft es rund. Doch das reicht nicht<br />

aus, um das Ziel, «erfolgreich und in<br />

angenehmer Atmosphäre zu lernen»,<br />

zu leben. Dazu bräuchte es<br />

strukturelle Bedingungen, Schulen<br />

und Schulleiterinnen, die klare Werte<br />

ermöglichen und vorleben. Schulen,<br />

die den Rahmenbedingungen<br />

trotzen und sagen: Zu unserem Programm<br />

gehören Freundlichkeit,<br />

Gesundheit, Wärme, Güte, Musse,<br />

Vertrauen ins Leben, in den Menschen,<br />

in die Lehrperson, ins Kind,<br />

in die Eltern.<br />

Wir brauchen einen Leitfaden,<br />

der diesen gesellschaftlichen Wandel<br />

einläutet und nicht nur wie ein<br />

Die Rahmenbedingungen an<br />

unseren Schulen müssten sich<br />

grundsätzlich ändern;<br />

weg von Druck und Angst,<br />

hin zu mehr Vertrauen.<br />

Pflaster fungiert, das sich die Lehrperson<br />

dann aufkleben kann, wenn<br />

der Lastwagen namens «Forderungen<br />

von allen Seiten» über sie hinwegrollt.<br />

Und was macht meine Kollegin<br />

Sabine Bächli? Sie holt sich Hilfe<br />

und Untersützung in der Supervision.<br />

Bezahlt von der Schulleitung.<br />

* Name von der Redaktion geändert<br />

LCH-Leitfaden:<br />

Drei konkrete Fälle aus dem Schulalltag.<br />


Ein Junge mit schlechten<br />

Leistungen, Eltern, die ihre<br />

Tochter überbehüten, und ein<br />

renitenter Sekschüler: drei<br />

Beispiele aus dem Schulalltag –<br />

und was der LCH-Leitfaden<br />

Lehrpersonen rät<br />

Getrennt lebende Eltern<br />

Während des Beurteilungsgesprächs schieben sich die<br />

geschiedenen Eltern der 9-jährigen Alisha gegenseitig<br />

die Schuld an den ungenügenden Leistungen zu. Die<br />

Mutter erwartet eine klare Stellungnahme der Lehrerin.<br />

Pädagogische Überlegungen<br />

Klassenlehrpersonen sollten die familiäre Situation ihrer<br />

Schülerinnen und Schüler und die Regelung der elterlichen<br />

Sorge und Obhut kennen. Lehrpersonen bleiben<br />

stets neutral und übernehmen in Konfliktsituationen<br />

keine Vermittlungsfunktionen. Bei Konflikten zwischen<br />

den Eltern kann auf Fachstellen hingewiesen werden.<br />

Juristische Überlegungen<br />

Das Scheidungsrecht löst die Ehe zwischen Mann und<br />

Frau auf, nicht jedoch die Verwandtschaft zwischen dem<br />

Kind und dem nicht sorgeberechtigten Elternteil. Das<br />

ZGB regelt explizit, dass Eltern ohne elterliche Sorge<br />

über besondere Ereignisse im Leben des Kindes benachrichtigt<br />

und vor Entscheidungen, die für die Entwicklung<br />

des Kindes wichtig sind, angehört werden sollen<br />

(…). Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass der<br />

sorgeberechtigte Elternteil nach einer Trennung oder<br />

Scheidung den anderen Elternteil über die Vorkommnisse<br />

in der Schule informiert. Nicht sorgeberechtigte<br />

Eltern haben ein Auskunftsrecht und können bei Drittpersonen,<br />

die an der Betreuung des Kindes beteiligt<br />

sind, in gleicher Weise wie der Inhaber der elterlichen<br />

Sorge Auskünfte über den Zustand und die Entwicklung<br />

des Kindes einholen. (…) Dies bedeutet, Eltern müssen<br />

aktiv auf die Lehrperson zugehen, damit diese weiss,<br />

wen sie über die wichtigen Belange des Kindes zu informieren<br />

hat. Es ist Sache des sorgeberechtigten Elternteils,<br />

die Auskunft erteilende Drittperson über allfällige<br />

Schranken zu informieren. Zur Sicherheit kann ein<br />

Auszug aus dem Scheidungsurteil oder der Verfügung<br />

der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde verlangt<br />

werden.<br />

Schulweg<br />

Die Eltern von Lena begleiten die Zweitklässlerin jeden<br />

Morgen in die Schule. Der Klassenlehrer erwartet, dass<br />

Lena den Schulweg allein geht. Doch die Eltern sind der<br />

Meinung, dass der Schulweg zu gefährlich ist.<br />

Pädagogische Überlegungen<br />

Der Schulweg ermöglicht Kindern und Jugendlichen<br />

wichtige Schritte in die Eigenständigkeit, stellt aber auch<br />

Anforderungen an das Verhalten im Strassenverkehr<br />

und den Erwerb von Strategien zur Bewältigung von<br />

Streitigkeiten und Ausgrenzungen. Kommt es wiederholt<br />

zu Streitigkeiten, Übergriffen oder zu gefährlichen<br />

Verkehrssituationen, suchen Eltern, Lehrpersonen und<br />

Schulleitungen im Gespräch gemeinsam Lösungen. Die<br />

Schule interveniert, wenn es wiederholt zu gefährdenden<br />

Situationen kommt, auch wenn der Schulweg nicht<br />

in den Verantwortungsbereich der Schule gehört. Wenn<br />

Eltern ihre Kinder regelmässig mit dem Auto zur Schule<br />

bringen, werden diese von der Schulleitung auf die<br />

Bedeutsamkeit des Schulwegs sowie auf die Gefährdung<br />

anderer Schulkinder durch die dadurch entstehende<br />

Verkehrssituation vor dem Schulhaus hingewiesen.<br />

Juristische Überlegungen<br />

Die örtliche Zuständigkeit und somit die Weisungsgewalt<br />

der Lehrpersonen endet rechtlich an der Grenze<br />

des Schulareals respektive bei Schultransporten bei der<br />

Ein-/Aussteigestation der Kinder. Der Schulweg und die<br />

damit allenfalls zusammenhängenden Probleme fallen<br />

in den Verantwortlichkeitsbereich der Eltern. Die Schule<br />

kann helfen, Probleme auf dem Schulweg zu lösen,<br />

darf jedoch keine Strafen verhängen. Wie die Kinder<br />

den Schulweg bewältigen, liegt ebenfalls in der Kompetenz<br />

der Eltern. Die Eltern entscheiden, ob ihr Kind zu<br />

Fuss, mit dem Skateboard, mit Rollerblades, mit dem<br />

Trottinett, dem Fahrrad oder dem Mofa den Schulweg<br />

zurücklegt. Die Schule ist nicht verpflichtet, Parkraum<br />

zur Verfügung zu stellen, und kann festlegen, ob beispielsweise<br />

das Areal mit Rollerblades befahren werden<br />

darf oder das Schulhaus ausschliesslich zu Fuss zu betreten<br />

ist. In Absprache mit der Polizei und weiteren kommunalen<br />

und/oder kantonalen Stellen ist es möglich,<br />

mittels bedingter Fahr-, Halte- oder Parkverboten, in<br />

der näheren Umgebung der Schule die Sicherheit zu<br />

erhöhen. Das Erteilen von Bussen ist in der Regel Sache<br />

der Polizei.<br />

44 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Erziehung & Schule<br />

Disziplin<br />

Der Sekundarschüler Urs stört den Unterricht immer<br />

wieder massiv und befolgt Anweisungen nicht. Die<br />

Eltern finden, die Lehrerin sei für das Verhalten ihres<br />

Sohnes im Unterricht zuständig.<br />

Pädagogische Überlegungen<br />

Eine ruhige und konzentrierte Lernatmosphäre ist<br />

bedeutsam für den Lernerfolg. Wenn Schülerinnen<br />

oder Schüler ein ruhiges Lernen verunmöglichen, so<br />

treffen Lehrpersonen die entsprechenden pädagogischen<br />

oder disziplinarischen Massnahmen und nehmen<br />

gegebenenfalls Kontakt mit den Eltern der Störenden<br />

auf. Schülerinnen und Schüler wissen, dass die<br />

Lehrpersonen und die Eltern gemeinsam am gleichen<br />

Strick ziehen, weil sich beide für den Lernerfolg einsetzen.<br />

Eine gemeinsam getragene Schulkultur unterstützt<br />

Kinder, Lehrpersonen und Eltern. Bei nicht lösbaren<br />

Konflikten sollte die Schulleitung bzw. eine Beratungsstelle<br />

beigezogen werden. An Anlässen für Eltern können<br />

lediglich generelle Probleme thematisiert werden.<br />

Juristische Überlegungen<br />

Die Lehrperson trägt die Verantwortung für das<br />

Klassen klima und sorgt dafür, dass sich alle Schülerinnen<br />

und Schüler wohl fühlen. Es gilt zwischen Erziehungs-<br />

und Disziplinarmassnahmen zu unterscheiden.<br />

Erstere liegen im Ermessen der Lehrperson und haben<br />

keinen Strafcharakter. Für die Anwendung von Disziplinarmassnahmen<br />

hat sich die Lehrperson an den in den<br />

Bildungsgesetzen zur Verfügung gestellten Strafenkatalog<br />

zu halten. Jede Strafe muss zudem verhältnismässig<br />

sein. Sowohl Geld- oder Kollektivstrafen als auch<br />

Kuchenbacken oder Ähnliches als Strafe sind verboten.<br />

Beschämungen und jede andere Art grausamer,<br />

unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder<br />

Bestrafung sind zu unterlassen. Teilgehalt der von der<br />

Verfassung garantierten persönlichen Freiheit ist die<br />

körperliche und physische Unversehrtheit.<br />

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Kolumne<br />

Erwünschtes Verhalten zu<br />

belohnen, ist Machtmissbrauch<br />

Viele Eltern wollen ihre Kinder heute nicht mehr bestrafen. Doch ist Belohnung<br />

die bessere Erziehungsmethode? Familientherapeut Jesper Juul sagt: Nein!<br />

Jesper Juul<br />

ist Familientherapeut und Autor<br />

zahlreicher internationaler Bestseller<br />

zum Thema Erziehung und Familien.<br />

1948 in Dänemark geboren, fuhr er<br />

nach dem Schulabschluss zur See, war<br />

später Betonarbeiter, Tellerwäscher<br />

und Barkeeper. Nach der<br />

Lehrerausbildung arbeitete er als<br />

Heimerzieher und Sozialarbeiter<br />

und bildete sich in den Niederlanden<br />

und den USA bei Walter Kempler zum<br />

Familientherapeuten weiter. Seit 2012<br />

leidet Juul an einer Entzündung des<br />

Rückenmarks und sitzt im Rollstuhl.<br />

Jesper Juul hat einen erwachsenen<br />

Sohn aus erster Ehe und ist in zweiter<br />

Ehe geschieden.<br />

Vor einiger Zeit habe<br />

ich einen Artikel<br />

über Belohnung als<br />

Teil der Kindererziehung<br />

verfasst. Meine<br />

Aussagen haben eine breite Debatte<br />

ausgelöst. Ich war sehr überrascht,<br />

wie viele Menschen glauben, dass es<br />

in Ordnung ist, Kinder zu belohnen,<br />

um als Erwachsener etwas von<br />

ihnen zu bekommen. Unter anderem<br />

stellte ich die Frage: Sollen Kinder<br />

belohnt werden, wenn sie höflich<br />

sind?<br />

Belohnen ist seit einiger Zeit als<br />

Erziehungsmethode auf dem Vormarsch<br />

und wird heute sowohl in<br />

Kindergärten als auch Schulen praktiziert.<br />

Aber tun wir unseren Kindern<br />

damit wirklich etwas Gutes?<br />

Um das zu beantworten, müssen wir<br />

zuerst unterscheiden: Wird das Kind<br />

für eine Leistung belohnt – in der<br />

Schule, beim Sport oder in der Theatergruppe?<br />

Oder für erwünschtes<br />

Verhalten – also wenn es sich den<br />

elterlichen Vorgaben gemäss verhält?<br />

Der zweite Fall, also das kind-<br />

Viele Eltern landen letztlich<br />

bei der Zuckerbrot-und-<br />

Peitsche-Methode.<br />

liche Verhalten durch Belohnung zu<br />

kontrollieren und zu steuern, ist<br />

meiner Meinung nach ein Machtmissbrauch.<br />

Andernfalls wäre es nur<br />

damit zu entschuldigen, dass viele<br />

Menschen immer noch glauben,<br />

dass Kinder sich absichtlich schlecht<br />

benehmen, um Erwachsene zu<br />

ärgern. Doch diese Theorie wurde<br />

vor mehr als 20 Jahren widerlegt.<br />

Immer mehr wollen<br />

Das Problem mit der Belohnungsmethode<br />

ist, dass sie tatsächlich oft<br />

funktioniert, ganz besonders bei einbis<br />

fünfjährigen Kindern. Jedoch<br />

meist nur für kurze Zeit. Dann stellen<br />

sich die Kinder darauf ein: Sie<br />

fordern eine immer grössere Belohnung<br />

oder reagieren gar nicht mehr<br />

darauf.<br />

Ein weiteres Problem ist, dass die<br />

Methode logischerweise nach<br />

Bestrafung verlangt, wenn die<br />

Belohnung nicht mehr funktioniert.<br />

Viele Eltern landen deshalb – trotz<br />

anfänglichem Widerwillen – letztlich<br />

bei der Zuckerbrot-und-Peitsche-Methode.<br />

In der Debatte nach meinem<br />

Artikel zeigten sich manche Eltern<br />

überzeugt, dass es unmöglich ist,<br />

Kinder ohne Strafe – heute wird oft<br />

das Wort «Konsequenz» benutzt –<br />

zu erziehen. Sie setzen auf Einschüchterung.<br />

Dies wird auch in der<br />

Schule oft so gemacht, wenn auch<br />

nicht in aktiver Art und Weise. Die<br />

Frage, ob Erziehen ohne Strafen<br />

Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />

46 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


möglich ist, wurde bereits vor langer<br />

Zeit beantwortet: Viele Eltern rund<br />

um den Globus lassen ihre Kinder<br />

ohne Strafen heranwachsen – und<br />

das mit grossem Erfolg. Also ist es<br />

möglich! Deshalb müssen wir die<br />

Frage vielleicht anders formulieren:<br />

Gibt es Eltern, die ihre Kinder ohne<br />

den Einsatz von Strafe und Belohnung<br />

erfolgreich grossziehen? Ja, die<br />

gibt es.<br />

Im Laufe der Zeit haben wir die<br />

Manipulation unserer Kinder<br />

immer sanfter gestaltet. Wir haben<br />

unsere Beziehung zu ihnen demokratisiert<br />

und gewähren ihnen grössere<br />

Autonomie und das Recht, ihre<br />

eigene Wahl im Leben zu treffen.<br />

Beides sind meiner Einschätzung<br />

nach gute Ideen.<br />

Die Erwartungen überdenken<br />

Ein Grossteil der Eltern will heute<br />

vieles mit sanfteren Mitteln erreichen.<br />

Aber das ist schwierig. Das<br />

konfrontiert uns Erwachsene mit der<br />

Wahlmöglichkeit: Werden wir effizientere<br />

Erziehungsmethoden finden,<br />

oder überdenken wir unsere<br />

Erwartungen und Anforderungen?<br />

Viele Eltern mögen es beispielsweise,<br />

wenn ihr Kind ruhig bei Tisch<br />

sitzt und isst. Als Kind hatte ich<br />

einen Freund, bei dem ich sehr gerne<br />

ass. In seiner Familie war es nett,<br />

sich bei Tisch zu unterhalten, das<br />

Essen selbst auszuwählen, und es<br />

herrschte nie Hektik am Tisch. In<br />

allen anderen Familien, meine eigene<br />

eingeschlossen, war die Stimmung<br />

angespannt, und es herrschte<br />

die Überzeugung, dass Kinder<br />

«gesehen, aber nicht gehört» werden<br />

sollten. Es ging darum, das Essen<br />

irgendwie zu überstehen, Bestrafungen<br />

zu vermeiden und so schnell wie<br />

möglich wieder an die frische Luft<br />

zu kommen.<br />

Heute erleben viele Fami lien ein<br />

regelrechtes Chaos bei Tisch. Diesem<br />

Chaos liegt immer das Fehlen<br />

von Führung oder eine schlechte<br />

Führung zugrunde. Den Kindern in<br />

diesen Familien wird nun die Führungsmethode<br />

der Belohnung angeboten:<br />

«Wenn du ruhig sitzt und<br />

brav isst, bekommst du ...» Ist das<br />

eine angemessene Entschädigung<br />

für eine schlechte elterliche Führung<br />

oder ein wünschenswerter Ersatz für<br />

eine gute Beziehung?<br />

Das eigentliche Problem ist sehr<br />

viel komplizierter: Es ist die Botschaft<br />

hinter der Belohnung, die<br />

dem Kind mitteilt: «Ich vertraue<br />

nicht darauf, dass du dich angemessen<br />

benimmst, wenn ich dich nicht<br />

belohne.» Das ist ein eindeutiger<br />

Misstrauensantrag an das Kind. Er<br />

ignoriert die nachgewiesene Fähigkeit<br />

des Kindes und seine Bereitschaft,<br />

sich «anzupassen» und zu<br />

kooperieren. Die überwiegende<br />

Mehrheit von Eltern, die ich kennengelernt<br />

habe, wünscht sich, dass<br />

ihre Kinder mit einem guten Selbstwertgefühl<br />

und viel Selbstvertrauen<br />

aufwachsen. Ganz anders als die<br />

Generation meiner Eltern.<br />

Liebe als Tauschhandel<br />

Strafe und Belohnung als Verhaltensmethoden<br />

haben eines gemeinsam:<br />

Sie setzen Endorphine im Gehirn der<br />

Kinder frei. Ein Hormon, das ein<br />

kurzfristiges Glücksgefühl verursacht,<br />

wie beim Sport oder beim<br />

Einkaufen. Aber das Hormon wird<br />

nicht im «Selbst» gespeichert. Es<br />

erzeugt keine existenzielle Substanz,<br />

sondern Abhängigkeit. Diese Art der<br />

Abhängigkeit verlangt eine permanente<br />

Rückbestätigung von aussen.<br />

Jede Frau und jeder Mann, die<br />

bzw. der versuchen würde, den Partner,<br />

die Partnerin mit einem Beloh­<br />

Heute erleben viele Familien ein<br />

regelrechtes Chaos bei Tisch.<br />

Diesem Chaos liegt ein Fehlen<br />

von Führung zugrunde.<br />

nungssystem zu regulieren, würde<br />

sich zum Gespött machen. Stellen<br />

wir uns vor, eine Frau ist verärgert,<br />

weil ihr Mann am Sonntagmorgen<br />

arbeitet, anstatt Zeit mit ihr zu verbringen.<br />

Wenn man davon überzeugt<br />

wäre, dass eine Belohnung die<br />

angemessene Form für eine auf Liebe<br />

basierende Beziehung ist, könnte<br />

dieser Mann zu ihr sagen: «Wenn du<br />

still bist, bis ich fertig bin, können<br />

wir am Nachmittag zum Strand<br />

gehen.»<br />

In diesem Fall wäre Liebe ein<br />

Tauschhandel. Der einzige Unterschied<br />

zwischen dieser Frau und<br />

einem Kind ist, dass ein Kind seine<br />

Eltern bedingungslos liebt und es<br />

deshalb viel einfacher ist, es zu<br />

manipulieren. Aber ist es das, was<br />

wir wollen?<br />

Die Kolumnen von Jesper Juul entstehen<br />

in Zusammenarbeit mit<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2018</strong>47


Leserbriefe<br />

«Die Schule darf nicht zum<br />

Sündenbock gemacht werden»<br />

«Fritz+Fränzi bietet Leuten<br />

eine Plattform, die sich<br />

nicht an die Gesetze halten»<br />

Dossier «Wir sind Familie!», Heft 2/<strong>2018</strong><br />

Nachdem die Mehrheit des letzten Hefts einer Minderheit von<br />

20 Prozent der Schweizer «Familien» gewidmet war, interessiert mich<br />

Fritz+Fränzi nicht mehr (vor allem nicht fürs Wartezimmer). Ich<br />

möchte deshalb das Wartezimmerabo kündigen. Besonders störend<br />

fand ich, dass Leute, die sich nicht an die Schweizer Gesetze halten,<br />

anschliessend sich und ihre Kinder (die sie übrigens selber zu Opfern<br />

gemacht haben) als Opfer dieser Gesetze darstellen und ihnen<br />

Fritz+Fränzi dafür eine Plattform bietet.<br />

Dr. med. Urs L. Dürrenmatt (per Mail)<br />

«Meine Enkel bauen einen<br />

Rollstuhl aus Stühlen und<br />

Schnur»<br />

«Eine Frage – drei Meinungen» zum Thema,<br />

ob man seine Kinder mit Krücken spielen<br />

lassen soll, Heft 2/<strong>2018</strong><br />

Ich musste schmunzeln beim Lesen: Zwei meiner Enkel spielen wahnsinnig gern<br />

mit meinen Krücken. Arzt und Spital war schon immer ein sehr beliebtes Thema:<br />

Ich habe unzählige Druck- und Gipsverbände gemacht, und bei mir gibt es zwei<br />

prall gefüllte Doktorköfferli mit fast allem, was das Herz begehrt. Meine Enkel<br />

bauen auch regelmässig einen Rollstuhl aus Kinderstühlen und Schnur. Als ich<br />

selbst an Krücken gehen musste, verstaute ich diese danach schon gar nicht<br />

mehr im Keller. Denn sie sind bei den Mädchen sehr gefragt. Allerdings sage ich<br />

fast jedes Mal: «Gebt Sorge, dass ihr euch kein Bein bricht damit.» Dazu muss ich<br />

noch anmerken, dass keines der Kinder je im Spital oder überhaupt verletzt war.<br />

«50 Prozent der biologischen<br />

Identität werden ausgeblendet»<br />

(Dossier «Wir sind Familie!», Heft 2/<strong>2018</strong>)<br />

Ich spreche den porträtierten Personen nicht ab, dass<br />

auch sie sich liebevoll um ihre Kinder kümmern. Dass<br />

diese Kinder zum Teil fremdgezeugt wurden, finde ich<br />

jedoch mehr als nur fragwürdig. Damit werden 50 Prozent<br />

der biologischen Identität des Kindes weitgehend<br />

ausgeblendet. Gleichgeschlechtliche Modelle können für<br />

mich auch nicht die Kombination «Mann plus Frau mit<br />

ihren Verschiedenartigkeiten und doch ergänzenden<br />

Wesens zügen» abdecken.<br />

Das (zum Teil fremdgezeugte) Kind wird des fehlenden<br />

Teils (entweder des Manns als Papi oder der Frau als<br />

Mami) einfach beraubt. Verfolgt man die Entwicklung<br />

beispielsweise in der Homo-/Lesbenszene wird klar, dass<br />

der Wunsch nach einem Kind mittlerweile zu einem<br />

persön lichen Recht nach dem Motto «Ich bin das Mass<br />

aller Dinge, ich habe ein Anrecht auf ein oder mein Kind»<br />

mutiert ist.<br />

Esther Fischer (per Mail)<br />

Susanne Hartmeier (per Mail)<br />

48 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


«Mehr Gelassenheit<br />

beim Thema Schule»<br />

Kolumne Elterncoaching von Fabian Grolimund,<br />

«Die Schule, unser Feind?», Heft 02/<strong>2018</strong><br />

Bildung ist ein Thema, das immer polarisieren wird. Jeder hat<br />

da etwas zu sagen, und alle wissen es besser (genau wie in der<br />

Erziehung). Hat man Kinder, die in der Schule gut sind und auch gerne<br />

lernen, dann ist die Schule kein Problem. Passt das Kind nicht ins<br />

System oder hat Mühe, dann sind die Schule, das System bzw. der<br />

Lehrer daran schuld. Ich plädiere für mehr Gelassenheit. Wir haben –<br />

zum Glück – ein duales Bildungs system, das die Türen zur Wunschkarriere<br />

auch später offenhält. Warum lassen wir die Lehrer nicht<br />

ihren Job machen und vertrauen auf die Fähigkeiten unserer Kinder?<br />

Silvia Clara Ventura (via Facebook)<br />

«Mehr Ressourcen für das<br />

Ausbildungssystem!»<br />

«Die Schule muss als Abbild der<br />

Gesellschaft gesehen werden»<br />

Danke für diesen tollen Artikel! Die Schule darf nicht zum<br />

Sündenbock gemacht werden – vielmehr muss man sie als<br />

Abbild der Gesellschaft sehen. Und da tut sich eine riesige<br />

Chance auf: Mit Wertschätzung und guten Beziehungen ist<br />

es möglich, Bildung lebendig und etwas gerechter werden<br />

zu lassen!<br />

Sabine Williner (via Facebook)<br />

«Danke allen Lehrpersonen!»<br />

Vielen Dank für diesen Artikel! An dieser Stelle danke<br />

ich auch allen Lehrpersonen, die mit Begeisterung<br />

und Freude ihrem Beruf nachgehen und den Kindern<br />

die Freude am Lernen vermitteln!<br />

Rahel Leimer-Zumstein (via Facebook)<br />

Mir fehlen im Artikel folgende Beobachtungen: Die Politik<br />

beeinflusst das Budget, die Ausbildungspläne und die Qualitätssicherung<br />

in der Schule. Dass mit weniger attraktiven Löhnen bei<br />

zunehmendem administrativem Aufwand nicht unbedingt die<br />

Besten Lehrer werden wollen, ist nachvollziehbar. Dass Schulleitungen<br />

nicht die Qualitätssicherung übernehmen können,<br />

sondern dass dies externe Inspektoren tun müssen, ist ja auch<br />

offensichtlich. Die zunehmenden Veränderungen unserer<br />

Gesellschaft bringen zwangsläufig die Schule als Institution unter<br />

Druck. Vielleicht sollte man anfangen, das Übel bei der Wurzel zu<br />

packen und für das Ausbildungssystem mehr und nicht weniger<br />

Ressourcen bereitzustellen.<br />

Dominik Baer (via Facebook)<br />

Schreiben Sie uns!<br />

Ihre Meinung ist uns wichtig! Was machen wir gut?<br />

Was könnten wir besser machen? Lassen Sie es uns wissen!<br />

Sie erreichen uns über: leserbriefe@fritzundfraenzi.ch<br />

oder Redaktion Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich.<br />

Und natürlich auch über Twitter: @fritzundfraenzi<br />

oder Facebook: www.facebook.com/fritzundfraenzi.<br />

Kürzungen behält sich die Redaktion vor.


Elterncoaching<br />

Hilfe, mein Kind lügt!<br />

Wenn Kinder oder Jugendliche nicht die Wahrheit sagen, bricht für<br />

manche Eltern eine Welt zusammen. Sie fühlen sich hintergangen<br />

und reagieren teilweise mit einer Heftigkeit, die sie sonst nicht von<br />

sich kennen. Nicht selten stellen sie sich dann die Frage: Haben<br />

wir unser Kind falsch erzogen? Haben wir es nicht geschafft, ihm<br />

Werte beizubringen? Ist es am Ende ein schlechter Mensch?<br />

Fabian Grolimund<br />

ist Psychologe und Autor («Mit<br />

Kindern lernen»). In der Rubrik<br />

«Elterncoaching» beantwortet<br />

er Fragen aus dem Familienalltag.<br />

Der 38-Jährige ist verheiratet<br />

und Vater eines Sohnes, 5,<br />

und einer Tochter, 2. Er lebt<br />

mit seiner Familie in Freiburg.<br />

www.mit-kindern-lernen.ch<br />

www.biber-blog.com<br />

Eine Redewendung lautet:<br />

«Kindermund tut Wahrheit<br />

kund.» Allerdings<br />

nicht sehr lange. Bereits<br />

mit vier Jahren lernen<br />

Kinder zu «lügen». Anfangs sind die<br />

Lügen noch etwas plump: «Ich war’s<br />

nicht!», behaupten Vierjährige voller<br />

Inbrunst, obwohl man sie beobachtet<br />

hat.<br />

Bald schon werden die Täuschungen<br />

differenzierter. Die Kinder<br />

entwickeln etwas, das man in der<br />

Psychologie als «Theory of mind»<br />

bezeichnet: Sie lernen, dass andere<br />

Menschen einen anderen Informationsstand<br />

über die Welt haben als<br />

sie. Und sie entdecken, dass sie einer<br />

anderen Person falsche Informationen<br />

geben und damit deren Handeln<br />

beeinflussen können.<br />

Lügen verlangt Kindern einiges ab.<br />

Sie müssen beispielsweise ihre<br />

Mimik kontrollieren. Kindliches<br />

Flunkern ist ein Übungsfeld zur<br />

Entwicklung sozialer Kompetenzen.<br />

Wie spannend, wenn man plötzlich<br />

merkt, dass die Eltern nicht allwissend<br />

sind und man sie täuschen<br />

kann! Damit muss einfach experimentiert<br />

werden.<br />

Mein Sohn war viereinhalb Jahre<br />

alt, als er es das erste Mal geschafft<br />

hat, mich anzuflunkern, ohne dass<br />

ich es gemerkt habe. Stolz öffnete er<br />

die Hand, in der sich die Murmel<br />

befand und meinte: «Du hast es<br />

nicht herausgefunden! Ich habe<br />

nicht mehr so gemacht.» (Dabei<br />

schaute er mit den Augen zur Seite<br />

und grinste – davor ein untrügliches<br />

Zeichen, dass er schummelte.) Er<br />

hatte gelernt, ein Pokerface aufzusetzen.<br />

Lügen verlangt Kindern einiges<br />

ab. Sie müssen sich in ihr Gegenüber<br />

hineinversetzen, abwägen, welche<br />

Informationen die andere Person<br />

hat und welche sie ihr geben müssen,<br />

um glaubhaft zu sein – und sie<br />

müssen ihre Mimik kontrollieren. In<br />

diesem Sinne ist das kindliche Fabulieren<br />

und Flunkern auch ein<br />

Übungsfeld zur Entwicklung sozialer<br />

Kompetenzen.<br />

Flunkern, Täuschen und Fabulieren<br />

sind in der Phase von vier bis<br />

sechs/sieben Jahren Teil einer<br />

gesunden Entwicklung und kein<br />

Anlass zur Sorge. Langsam kann<br />

man in diesem Alter damit begin-<br />

Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />

50 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


nen, Kindern aufzuzeigen, dass<br />

Lügen problematisch ist. Vielleicht<br />

erzählt man ihnen die Geschichte<br />

von Pinocchio oder vom Jungen, der<br />

immer «Feuer» rief, und spricht mit<br />

ihnen darüber, welche Folgen häufiges<br />

Lügen haben kann.<br />

Zwischen sechs und acht Jahren<br />

können Kinder Fantasie und Realität<br />

immer besser auseinanderhalten,<br />

und ihnen wird bewusster, dass man<br />

im Allgemeinen nicht lügen sollte,<br />

weil es Beziehungen belastet und<br />

anderen Menschen schaden kann.<br />

Damit nimmt auch die Häufigkeit<br />

des Lügens ab.<br />

Warum lügt mein Kind?<br />

Wenn ältere Kinder und Jugendliche<br />

lügen, ist es sinnvoll, als Eltern<br />

genauer hinzuschauen und sich zu<br />

überlegen, aus welchem Grund ein<br />

Kind zur Lüge greifen muss.<br />

Jüngere Kinder lügen eher, um<br />

sich einen persönlichen Vorteil zu<br />

verschaffen. Sie naschen heimlich<br />

und geben es nicht zu, sie spielen<br />

sich vor anderen mit Unwahrheiten<br />

auf, um besser dazustehen, oder<br />

geniessen es, andere im Spiel zu<br />

beschwindeln.<br />

Ältere Kinder und Jugendliche<br />

haben meist triftigere Gründe, nicht<br />

mit der Wahrheit herauszurücken.<br />

Sie möchten einer Strafe entgehen,<br />

Schamgefühle vermeiden oder<br />

andere schützen.<br />

Dabei zeigt die Forschung: Wenn<br />

Eltern bei Lügen sehr entrüstet oder<br />

enttäuscht reagieren, vom Kind<br />

Geständnisse erzwingen und es<br />

bestrafen, wenn eine Unwahrheit<br />

ans Licht kommt oder unter Druck<br />

gestanden wird, begünstigt das weiteres<br />

Lügen.<br />

Kinder lügen normalerweise nur<br />

ungern. Wenn sie merken, dass sie<br />

die Wahrheit sagen dürfen, ohne<br />

ernste Konsequenzen befürchten zu<br />

müssen, fällt es ihnen leichter, den<br />

Eltern gegenüber offen zu sein. So<br />

zeigen mittlerweile mehrere Studien,<br />

dass es Kindern am besten<br />

gelingt, ehrlich zu sein, wenn Eltern:<br />

• selbst den Mut haben, ehrlich mit<br />

ihren Kindern und anderen zu<br />

sein, und für ein offenes Familienklima<br />

sorgen;<br />

• das Kind nicht bestrafen, wenn<br />

sie es bei einer Lüge ertappen,<br />

sondern mit ihm darüber sprechen,<br />

weshalb es sich nicht<br />

getraut hat, die Wahrheit zu<br />

sagen;<br />

• dem Kind mit Wertschätzung<br />

begegnen, wenn es den Mut hat,<br />

ehrlich zu sein;<br />

• das Kind dabei unterstützen, eine<br />

Verfehlung wieder gutzumachen,<br />

anstatt es dafür zu bestrafen.<br />

Manche Kinder und Jugendliche<br />

schätzen die Konsequenzen der<br />

Wahrheit schlicht falsch ein. Im Laufe<br />

der Jahre haben mir mehrere<br />

Jugendliche gesagt, dass ihre Eltern<br />

«sehr enttäuscht wären» oder sogar<br />

«ganz anders von ihnen denken würden»,<br />

wenn sie von schlechten Schulleistungen<br />

erfahren. Fast immer kam<br />

es nach einem offenen Gespräch zur<br />

beruhigenden Erkenntnis: Meine<br />

Eltern halten auch dann zu mir und<br />

lieben mich, wenn ich nicht alle<br />

Erwartungen erfülle.<br />

Wie viel Recht auf Privatheit will ich<br />

meinem Kind lassen?<br />

«Etwas zu verheimlichen, ist doch<br />

genau das Gleiche wie lügen!», meinte<br />

eine Mutter zu mir, als die fünfzehnjährige<br />

Tochter etwas ausgefressen<br />

hatte und nicht sofort zu ihr kam.<br />

Im Gespräch wurde deutlich, wie<br />

sehr es die Mutter getroffen hat, dass<br />

die Tochter scheinbar kein Vertrauen<br />

zu ihr hat, wo sie doch immer so<br />

eine enge und gute Beziehung hatten.<br />

Gerade heute, wo Eltern oft ein<br />

enges, fast freundschaftliches Verhältnis<br />

zu ihren Kindern pflegen,<br />

schmerzt es manche Eltern, wenn sie<br />

merken, dass ihre Kinder im Jugendalter<br />

vermehrt Freunde ins Vertrauen<br />

ziehen und sie als Eltern langsam<br />

als wichtigste Bezugspersonen abgelöst<br />

werden.<br />

Es bedeutet daher auch einen<br />

Entwicklungsschritt für die Eltern,<br />

Die Forschung zeigt: Wenn<br />

Eltern bei Lügen entrüstet<br />

reagieren und vom Kind<br />

Geständnisse erzwingen,<br />

begünstigt das weitere Lügen.<br />

ihren Kindern mit der Zeit mehr<br />

Privatheit zuzugestehen und es als<br />

Geschenk anstatt als Anrecht zu<br />

betrachten, wenn Jugendliche sich<br />

öffnen.<br />

Meine Mutter meinte einmal:<br />

«Man muss nicht alles voneinander<br />

wissen, gewisse Dinge darf man<br />

auch einfach für sich behalten.» Sie<br />

sagte den Satz nicht zu mir, aber für<br />

mich war dieser Moment wichtig.<br />

Man darf Sachen für sich behalten.<br />

Was für eine Freiheit! Aus dieser<br />

Freiheit heraus darf man sich öffnen,<br />

muss es aber nicht – was zumindest<br />

bei mir dafür sorgte, dass ich es oft<br />

und gerne tat.<br />

In der nächsten Ausgabe:<br />

Erziehungsfehler: Gibt es das überhaupt?<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2018</strong>51


Erziehung Reportage & Schule<br />

«Lukas<br />

ist jetzt Lea.<br />

Fertig,<br />

Schluss.»<br />

Lea, 14, wurde im Körper eines Buben geboren;<br />

Kim, 7, mit allen Merkmalen eines Mädchens. Sie sind<br />

zwei von rund 8000 Transkindern in der Schweiz.<br />

Ihre Klassenkameradinnen und -kameraden haben damit<br />

kein Problem – doch in der Welt der Erwachsenen<br />

stossen sie auf Widerstände.<br />

Text: Florian Blumer Bilder: Fabian Unternaehrer / 13 Photo<br />

52 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März <strong>2018</strong>53


Reportage<br />

Seit einer halben Stunde<br />

sitzt Kim* im Behandlungsraum<br />

des Kinderarztes.<br />

Der Siebenjährige<br />

rutscht ungeduldig auf<br />

dem Stuhl herum, lässt die Fragen<br />

des Mediziners über sich ergehen.<br />

«Du bist dir ganz sicher, Kim,<br />

dass du ein Junge sein willst?»<br />

«Ja.»<br />

«Gell, Kim, du weisst, wenn du<br />

doch ein Mädchen sein willst, darfst<br />

du das jederzeit sagen.»<br />

«Ja, ich weiss.»<br />

«Wirklich, Kim, ich meine das so,<br />

jederzeit.»<br />

«Ich weiss.»<br />

«Wirklich!»<br />

«Ich weiss. Sind wir fertig?»<br />

Kim, ein eher schmächtiger Erstklässler<br />

mit Kurzhaarfrisur und<br />

sportlicher Brille, ist kein ungeduldiges<br />

Kind. Aber die dauernden Fragen<br />

nach seinem Geschlecht versteht<br />

er nicht. Er kam in einem<br />

weiblichen Körper zur Welt – doch<br />

wie ein Mädchen fühlte er sich noch<br />

nie.<br />

Lea*, 14, wurde als Lukas geboren.<br />

Sie sagt: «Ich kann mich nicht<br />

erinnern, dass ich mich je als Bub<br />

gefühlt habe.» Auch Lea, ein Teenager<br />

mit langen, blonden Haaren,<br />

versteht nicht, warum sie die Ärzte<br />

immerzu fragen, ob sie sich sicher<br />

sei: «Man sieht doch, dass ich ein<br />

Mädchen bin!»<br />

Lea ist ein Transmädchen, Kim<br />

ist ein Transbub. Sie sind zwei von<br />

rund 8000 Kindern in der Schweiz,<br />

die sich nicht mit ihrem biologischen<br />

Geschlecht identifizieren (siehe<br />

«Transkinder» auf dieser Seite<br />

und Glossar «Trans – eine Begriffserklärung»,<br />

Seite 64). Lea und Kim<br />

kennen sich nicht, sie leben in verschiedenen<br />

Regionen der Schweiz.<br />

Und doch haben sie vieles gemeinsam.<br />

Dies ist ihre Geschichte.<br />

Lea, damals Lukas, ist drei Jahre<br />

alt, als ihren Eltern auffällt, wie sehr<br />

sich ihr Kind für die Barbies ihrer<br />

Cousine interessiert. Und wie gerne<br />

es mit deren Röckchen Verkleiderlis<br />

spielt. Das wäre für einen Buben<br />

dieses Alters noch nicht ungewöhnlich<br />

– wenn sich Lukas nicht weigern<br />

würde, die Kleider danach wieder<br />

auszuziehen.<br />

Die Eltern halten es für eine Phase,<br />

wie sie halt bei Kindern vorkommt.<br />

Doch bei Lukas will die<br />

Phase nicht enden. Zuweilen wirkt<br />

es für die Eltern wie eine Obsession:<br />

Lukas probiert ein Röckchen nach<br />

dem anderen an, lässt sich dabei<br />

auch nicht unterbrechen, wenn die<br />

Mutter ihr Kind zu Tisch ruft. Die<br />

Eltern machen sich Sorgen: Ist das<br />

normal? Sollen wir das zulassen?<br />

Dürfen wir das zulassen? Auch das<br />

Schminken und Nägellackieren?<br />

Zwischendurch verliert die Mutter<br />

immer wieder die Geduld: «Jetzt bist<br />

du einfach mal der Bub!»<br />

Als Lukas sieben Jahre alt ist, geht<br />

die Mutter mit ihm auf eine Tupperware-Party.<br />

Eine Freundin kommt<br />

mit dem vermeintlichen Bub ins<br />

Gespräch und fragt: «Wenn du ganz<br />

alleine auf der Welt wärst, was würdest<br />

du sein wollen?» Lukas zögert<br />

keine Sekunde: «Ein Mädchen.»<br />

Die Mutter ist geschockt.<br />

«Ich bin keine Prinzessin, ich bin<br />

ein Prinz»<br />

Auch Kim ist drei Jahre alt, als er mit<br />

seinem Verhalten zum ersten Mal<br />

die Eltern irritiert. Auch bei ihm<br />

dreht es sich um Röckchen. Nur, dass<br />

er sie seinen Eltern an den Kopf<br />

wirft, anstatt sie anzuziehen. Wenn<br />

er von gut meinenden Bekannten<br />

Prinzessinnenkleider geschenkt<br />

bekommt, zieht er sie brav an. Um<br />

sie sofort an einem sicheren Ort zu<br />

verstecken, sobald der Besuch<br />

gegangen ist. «Ich bin keine Prinzes-<br />

Immer wieder verlor die<br />

Mutter die Geduld: «Jetzt bist<br />

du einfach mal der Bub!»<br />

sin, ich bin ein Prinz», sagt er.<br />

Dass seine Eltern ihm die Haare<br />

nicht kurz schneiden lassen, akzeptiert<br />

Kim. Auf keinen Fall aber,<br />

wenn ihn die Mutter frisieren will.<br />

Auch seine Eltern machen sich<br />

anfänglich nicht viele Gedanken:<br />

«Wir wollen unsere Kinder nicht in<br />

die Mädchenrolle drängen, sie durften<br />

immer auch mit Bubensachen<br />

spielen», sagt die Mutter. Das Ehepaar<br />

hat drei Mädchen, wie sie<br />

damals noch meinen: Eines steht auf<br />

Transkinder in der Schweiz<br />

Es gibt keine genauen Zahlen, wie viele<br />

Transkinder in der Schweiz leben.<br />

Schätzungen über den Anteil von<br />

Transmenschen an der Gesamtbevölkerung<br />

bewegen sich um 0,5 Prozent. Dementsprechend<br />

leben in der Schweiz rund 8000 Transkinder. Viele<br />

bleiben unentdeckt: Weil sie es nicht wagen, ihre<br />

Geschlechtsidentität offenzulegen, oder weil sie<br />

keine ärztliche oder psychologische Betreuung<br />

in Anspruch nehmen und so nicht aktenkundig<br />

werden. Umstritten ist die Frage der<br />

Dauerhaftigkeit der Geschlechtsvarianz, also wie<br />

viele Kinder sich später doch mit ihrem<br />

biologischen Geschlecht identifizieren. Es gibt<br />

Studien, die einen hohen Anteil ausweisen,<br />

andere, die auf einen niedrigen einstelligen<br />

Prozentbereich kommen – die Forschung steht<br />

noch am Anfang. Es gibt religiöse Gruppierungen,<br />

die sich gegen die Akzeptanz des Phänomens<br />

wehren und der Meinung sind, Transidentität<br />

sei «heilbar» ist. Dieser Sicht widerspricht die<br />

Mehrheit der Experten vehement.<br />

Weiterführende Informationen:<br />

Transgender Network Switzerland: www.tgns.ch<br />

Multiprofessionelle Fachgruppe Trans*:<br />

www.fachgruppetrans.ch<br />

54 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Pink und Lillifee, die anderen spielen<br />

lieber mit Autos. Dass bei Kim<br />

etwas ganz anders ist als bei seinen<br />

zwei Schwestern, realisiert die Mutter,<br />

als Kim in den Kinder garten<br />

kommt. Eines Tages sitzt er traurig<br />

am Küchentisch. Die Mutter fragt:<br />

«Was ist los mit dir?»<br />

«Alle behandeln mich wie ein<br />

Mädchen», klagt Kim. «Dabei bin<br />

ich doch ein Bub!»<br />

Kims Glück ist, dass er sich klar<br />

zu seinem Geschlecht äussern kann<br />

– und dass seine Mutter schon<br />

gewusst hat, dass es so etwas gibt.<br />

Lea dagegen sagte ihren Eltern nie:<br />

«Ich bin ein Mädchen.» Ihre Mutter<br />

erzählt: «Sie versuchte, es uns durch<br />

ihr Verhalten zu zeigen.» Doch von<br />

Transkindern hatten sie noch nie<br />

gehört.<br />

Kims Vater ist sich erst nicht<br />

sicher, ob sie wirklich gleich ganz<br />

umstellen sollen, lässt sich aber von<br />

der Mutter schnell überzeugen. Sie<br />

beschliessen, dass ihr Kind, wie es<br />

sein Wunsch ist, nicht mehr als Kim,<br />

das Mädchen, sondern als Kim, der<br />

Bub durchs Leben gehen soll.<br />

Kein Verständnis im Kindergarten<br />

Bloss: Seine Kindergartenlehrpersonen,<br />

zwei ältere Damen, machen<br />

nicht mit. Sie finden, dass die Eltern<br />

überreagieren, und glauben, es würde<br />

die Kinder verwirren. Ihr Kompromiss,<br />

den sie eingehen, klingt so:<br />

«Nun kommen alle Buben zu mir<br />

und alle Mädchen, die sich gerne wie<br />

Buben kleiden.» Die Heilpädagogin<br />

des Kindergartens redet der Mutter<br />

ins Gewissen: «Sie geben Ihrer Tochter<br />

da einen schweren Rucksack<br />

mit.» Die Mutter schmerzt es noch<br />

heute, wenn sie dies erzählt. Sie sagt:<br />

«Ja, Kim trägt einen schweren Rucksack.<br />

Aber den haben nicht wir ihm<br />

mitgegeben! Und wir helfen ihm so<br />

gut wir können, diesen zu tragen.»<br />

Als Kim in die Schule kommt,<br />

wendet sich alles zum Besseren.<br />

Schon ein Jahr vor Eintritt informiert<br />

Kims Mutter seine künftige<br />

Klassenlehrerin, die auch Schulleiterin<br />

ist. Dieser kommt das<br />


«Ein sechsjähriges<br />

Kind weiss, ob es<br />

ein Bub ist oder<br />

ein Mädchen»<br />

Transgender-Experte Patrick Gross<br />

sagt, dass Kinder schon früh eine<br />

Geschlechtsidentität entwickeln.<br />

Er warnt vor den Folgen, wenn sie<br />

darin nicht ernst genommen werden.<br />

Interview: Florian Blumer<br />

Herr Gross, Transmenschen wehren sich<br />

dagegen, dass Transgender als psychische<br />

Störung gesehen wird. Müssen Betroffene<br />

überhaupt behandelt werden?<br />

Ein Transkind oder Transjugendlicher braucht<br />

nicht per se psychiatrische oder psychotherapeutische<br />

Behandlung. Längst nicht<br />

alle geschlechtervarianten Kinder<br />

leiden unter psychischen oder sozialen<br />

Folgeproblemen: Ich begegne Transkindern,<br />

die ihre Geschlechtervarianz mühelos leben<br />

können. Für diejenigen aber, die darunter<br />

leiden, kann eine psychotherapeutische<br />

Behandlung hilfreich sein.<br />

Unter welchen Folgeproblemen leiden<br />

diese Kinder?<br />

Dies können Anpassungsschwierigkeiten<br />

sein, schulische Probleme, depressive<br />

Verstimmungen, Ängste oder gar Suizidalität.<br />

Diese Folgeprobleme sind in den Fällen<br />

am grössten, in denen sie auf Ablehnung<br />

stossen. In einer neuen australischen Studie<br />

gaben zwei von drei Jugendlichen und jungen<br />

Erwachsenen an, keine Unterstützung durch<br />

die Familie zu erhalten – und drei von vier<br />

sagten, sie litten unter Depressionen.<br />

Wie nehmen Sie die Eltern wahr, die zu<br />

Ihnen kommen?<br />

Häufig sind sie es, die Betreuung oder<br />

Begleitung suchen, und gar nicht die Kinder.<br />

Sie kommen mit Fragen wie: Sollen wir<br />

einem Transmädchen erlauben, mit dem<br />

Röckchen in den Kindergarten zu gehen?<br />

Was antworten Sie?<br />

Die Frage ist: Wie stark leidet das Kind, wenn<br />

es das nicht darf? Dann ist aber auch die<br />

Frage wichtig: Wie viel Unterstützung erfährt<br />

es durch das Umfeld? Es gibt Fälle, in denen<br />

eine Transition nicht ratsam ist, weil das<br />

Umfeld die Voraussetzungen nicht erfüllt, es<br />

gar gefährlich wäre. Nicht zuletzt stellt sich<br />

die Frage, wo die Eltern stehen: Der Weg<br />

muss auch für sie gangbar sein.<br />

Ab wann hat ein Kind ein Bewusstsein für<br />

sein Geschlecht?<br />

Bereits ein zweijähriges Kind ist fähig,<br />

zwischen männlich und weiblich zu<br />

unterscheiden. Es ist sich seiner eigenen<br />

Geschlechtsidentität jedoch noch nicht<br />

bewusst. Ein fünf- bis sechsjähriges Kind<br />

hingegen hat darin bereits eine Konstanz<br />

entwickelt: Es weiss klar, ob es ein Bub oder<br />

ein Mädchen ist.<br />

Kann die Identifikation mit dem anderen<br />

Geschlecht auch nur eine Phase sein?<br />

Das Bedenken, es sei nur eine Phase, höre<br />

ich sehr häufig. Tatsächlich ist es so, dass<br />

dieses Empfinden nicht bei allen Transkindern<br />

ins Erwachsenenalter anhält. Doch je<br />

länger sich ein Kind mit dem andern<br />

Geschlecht identifiziert hat, desto höher ist<br />

die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Erleben<br />

dauerhaft sein wird. Und ob es eine Phase ist<br />

56 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Reportage<br />

Die Eltern liessen Freunden und<br />

Verwandten keine Wahl: «Wer Kim<br />

als Bub nicht akzeptiert, hat keinen<br />

Platz mehr in unserem Leben.»<br />

Als Kind liebte<br />

es Lea, Röckchen<br />

zu tragen. Heute<br />

bevorzugt sie<br />

Jeans.<br />

Ganze sonderbar vor. Schon<br />

viele Jahre leitet sie die Schule, aber<br />

einen solchen Fall hatte sie noch nie:<br />

Ein Mädchen, das sagt, es sei ein<br />

Bub? Kann das ein Kind in diesem<br />

Alter schon wissen? Drängen es die<br />

Eltern nicht in die Bubenrolle, nur<br />

weil es nicht gerne Mädchenkleider<br />

trägt? Und überhaupt: Wie soll das<br />

im Alltag funktionieren, wenn es in<br />

die Bubengarderobe und aufs<br />

Buben-WC gehen will?<br />


Reportage<br />

«Meine Kameradinnen waren<br />

nicht überrascht. Ich habe<br />

mich schon vorher wie ein<br />

Mädchen verhalten», sagt Lea.<br />

Trans – eine Begriffserklärung<br />

Gemäss dem Präsidenten des Vereins<br />

Transgender Network Switzerland<br />

(TGNS), Henry Hohmann, werden<br />

Transmenschen in den Medien oft<br />

falsch dargestellt. Ein klassisches<br />

Beispiel dafür ist die Formulierung:<br />

Er wurde vom Mann zur Frau. Um dem<br />

entgegenzuwirken, hat TGNS einen<br />

umfassenden sprachlichen Leitfaden<br />

publiziert. Darin ist festgehalten,<br />

dass ein Transmann nicht eine Frau<br />

ist, die als Mann leben will, sondern<br />

«ein Mann, der bei seiner Geburt<br />

aufgrund äusserer Merkmale für<br />

ein Mädchen gehalten wurde» (und<br />

entsprechend für Transfrauen). Die<br />

folgenden Begriffserklärungen sind an<br />

die De finitionen des TGNS-Leitfadens<br />

angelehnt.<br />

Transgender, Transmensch: Oberbegriff<br />

für alle Menschen, die trans<br />

sind. Es gibt auch die Schreibweise<br />

«trans Gender» und «trans Mensch».<br />

Viele Betroffene bevorzugen diese<br />

adjektivische Verwendung von trans.<br />

Damit wollen sie betonen, dass trans<br />

zwar Teil von ihnen ist, aber nicht ihr<br />

ganzes Wesen bestimmt.<br />

Cis-Menschen: Menschen, die nicht<br />

trans sind (vom Lateinischen cis für<br />

diesseits).<br />

Fortan betreiben sie, wie es<br />

die Mutter nennt, «ein doppeltes<br />

Spiel»: In der Schule trägt Lea Jeans<br />

und Pullover, «Bubenkleider, die<br />

auch für Mädchen gehen». Zu Hause<br />

und in den Ferien trägt sie Röckchen<br />

und Leggins. Der Psychologe<br />

rät ihnen, mit dem Schritt in die<br />

Öffentlichkeit noch zu warten.<br />

Dann, als Lukas elf ist, beschliessen<br />

sie, es zu wagen. Lukas sucht<br />

sich einen neuen Namen aus: Lea<br />

soll es sein, nach der Figur aus einer<br />


aus dem näheren Umfeld, der den<br />

äusserlichen Wandel von Lukas zu<br />

Lea nicht akzeptiert. Als sie vor den<br />

Kindern darüber streiten, stellt sich<br />

der dreijährige Benjamin vor den<br />

uneinsichtigen Götti und sagt:<br />

«Lukas ist jetzt Lea. Fertig, Schluss.»<br />

Die Nachbarn informieren sie<br />

mittels Kärtchen, die sie zusammen<br />

mit Weihnachts- und Neujahrsglückwünschen<br />

in die Briefkästen<br />

werfen. Viele schreiben zurück, gratulieren<br />

zum Mut, machen Besuche,<br />

bringen Geschenke.<br />

Leas Eltern betonen, dass sie<br />

bedingungslos hinter ihrer Tochter<br />

stehen. Doch Lea hat schwierige Zeiten<br />

hinter sich. Momente, in denen<br />

sie zu ihrer Mutter sagte: «Weshalb<br />

bin ich auf dieser Welt? Wieso mag<br />

mich niemand? Ich will sterben.»<br />

Die Eltern bedauern heute, dass sie<br />

nicht früher Bescheid wussten: «Es<br />

tut mir leid für Lea», sagt die Mutter.<br />

Der Vater fügt an: «Wenn ich damals<br />

gewusst hätte, was ich heute weiss,<br />

hätte ich schon früher gesagt: Es ist<br />

okay, wenn du Mädchenkleider<br />

trägst.»<br />

Lea kann mit der Hormontherapie<br />

beginnen<br />

Vor Kurzem hat Lea gute Nachrichten<br />

von ihrem Arzt bekommen: Er<br />

hat das Okay gegeben, dass sie mit<br />

der Hormontherapie beginnen kann.<br />

«Ich bin so glücklich», sagt Lea.<br />

«Endlich geht es vorwärts!» Seit drei<br />

Jahren nimmt sie Pubertätsblocker,<br />

damit bei ihr keine männliche<br />

Pubertät einsetzt. Mit der Hormontherapie<br />

wird Lea weibliche<br />

Rundungen bekommen, sie wird zur<br />

Frau werden. Und auch die<br />

geschlechtsangleichenden Operationen<br />

will sie in ein paar Jahren<br />

machen lassen.<br />

Für Kim ist die Pubertät mit<br />

ihren Turbulenzen noch Theorie,<br />

Fragen nach Hormontherapie oder<br />

Operationen scheinen weit weg.<br />

Kim ist glücklich, einfach ein Bub<br />

sein zu können. Die Eltern sind froh,<br />

dass dem so ist. Und sie wünschen<br />

sich, dass es noch möglichst lange so<br />

bleibt. Denn, so die Mutter: «Uns ist<br />

klar: Die harten Zeiten stehen noch<br />

bevor.»


Bild: Ted Catanzaro / Plainpicture<br />

Alarmstufe Rot!<br />

Jedes Jahr erkranken in der Schweiz rund 15 000 Menschen an einer Blutvergiftung.<br />

Ein Drittel von ihnen stirbt daran. Bei Kindern ist die sogenannte Sepsis die zweithäufigste<br />

Todesursache – weil sie meist zu spät oder nicht erkannt wird. Text: Claudia Füssler<br />

60 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Ernährung & Gesundheit<br />

Es ist ein Wettlauf gegen<br />

die Zeit: Je eher eine<br />

Blutvergiftung behandelt<br />

wird, desto besser<br />

stehen die Chancen, dass<br />

man sie überlebt. Doch um behandeln<br />

zu können, muss die richtige<br />

Diagnose gestellt werden. Und<br />

genau das ist die Achillesferse der<br />

sogenannten Sepsis: Ihre Symptome<br />

sind so unspezifisch und können mit<br />

so vielen anderen Erkrankungen<br />

verwechselt werden, dass selbst<br />

erfahrene Ärzte oft nicht gleich realisieren,<br />

womit sie es zu tun haben.<br />

Ein Unwissen, das tödliche Folgen<br />

haben kann.<br />

Fieber zum Beispiel, Schüttelfrost,<br />

Herzrasen und ein Krankheitsgefühl<br />

wie bei einem schweren<br />

grippalen Infekt sind mögliche<br />

Anzeichen einer Blutvergiftung.<br />

«Das macht die Krankheit schwer zu<br />

diagnostizieren, denn Kinder fiebern<br />

äusserst häufig», sagt Horst von<br />

Bernuth, Leiter der Sektion Pädiatrische<br />

Immunologie und Infektiologie<br />

an der Charité-Universitätsmedizin<br />

Berlin.<br />

Eine invasive Infektion<br />

Acht bis zehn banale Infekte pro Jahr,<br />

sagt die Statistik, sind bei Kleinkindern<br />

völlig normal, im Kindergartenalter<br />

erhöht sich die Zahl auch<br />

mal auf 15 bis 18. «Unter Tausenden<br />

von Kindern, die mit diesen Symptomen<br />

in die Praxis kommen, eine<br />

Sepsis zu erkennen, ist eine Herausforderung<br />

für jeden Kinderarzt»,<br />

sagt von Bernuth.<br />

Wie genau aber wird das Blut vergiftet?<br />

Normalerweise kommt unser<br />

Körper gut mit Erregern klar. Täglich<br />

ficht er unzählige Kämpfe gegen<br />

Bakterien, Viren und Pilze aus – und<br />

gewinnt diese. Manchmal dauert es<br />

ein bisschen länger, dann werden<br />

wir krank, aber mit Geduld und<br />

mitunter medikamentöser Hilfe<br />

kriegt der Körper auch das in den<br />

Griff. «Doch während sich Husten,<br />

Schnupfen oder eine Lungenentzündung<br />

an der Oberfläche, also auf<br />

den Schleimhäuten abspielen,<br />

gelangen die Erreger bei einer Sepsis<br />

an sonst sterile Orte. Wir sprechen<br />

dann von einer invasiven Infektion»,<br />

erklärt von Bernuth.<br />

Ursache: angeborener Defekt<br />

Krankheitserreger gelangen über die<br />

Blutgefässe in alle Teile des Körpers.<br />

Eine solche Infektion löst die höchste<br />

Alarmstufe im Immunsystem aus,<br />

es mobilisiert sämtliche Abwehrkräfte.<br />

Diese Reaktion kann zu heftig<br />

ausfallen und nicht nur die Er -<br />

reger, sondern auch körpereigenes<br />

Gewebe schädigen. Schreitet die<br />

Blutvergiftung voran, können Organe<br />

versagen, der Betroffene stirbt. Es<br />

ist die Kombination aus Infektion<br />

und einer Überreaktion des körpereigenen<br />

Immunsystems, die eine<br />

Blutvergiftung so gefährlich macht.<br />

Die meisten Blutvergiftungen<br />

werden von Bakterien verursacht.<br />

Ein solcher lokaler Herd kann eine<br />

entzündete Wunde durch einen<br />

Schnitt sein, ebenso aber ein eiternder<br />

Zahn oder eine Lungen-, Blasen-<br />

oder Hirnhautentzündung.<br />

Eltern, die vor Dreck in einer Wunde<br />

warnen, haben völlig recht: Das<br />

kann zu einer Blutvergiftung<br />


Einen Schutz gibt es nicht.<br />

Das Einzige, was lebensrettend<br />

sein kann, ist ein frühes<br />

Erkennen der Gefahr.<br />

Der septische Schock<br />

Wird eine Blutvergiftung nicht<br />

therapiert oder schlägt die<br />

Behandlung nicht an, kann es zum<br />

sogenannten septischen Schock<br />

kommen. Diesen lebensgefährlichen<br />

Notfall überleben mehr als die Hälfte<br />

der Betroffenen nicht. Grund ist ein<br />

extrem starker Blutdruckabfall, das<br />

Herz kann die erweiterten Blutgefässe<br />

nicht mehr mit ausreichend Blut<br />

versorgen. Die Organe werden<br />

unterversorgt und versagen<br />

schliesslich. Ein septischer Schock<br />

verlangt intensivmedizinische<br />

Betreuung. Überlebt ein Patient den<br />

septischen Schock, hat er meist Langzeitschäden,<br />

die durch die Unterversorgung<br />

eines oder mehrerer Organe<br />

entstanden sind.<br />

Der rote Strich<br />

Ein dunkelroter oder blauer Strich,<br />

der sich zum Herzen hin ausbreitet<br />

oder in diese Richtung «wandert» –<br />

das sei ein untrügliches Anzeichen für<br />

eine Blutvergiftung, denken viele<br />

Menschen. Das ist falsch. Solche<br />

Striche kommen nicht bei einer<br />

Blutvergiftung vor, sondern bei einer<br />

Lymphangitis. Dabei sind die<br />

Lymphbahnen entzündet. Eine<br />

Lymphangitis muss ebenfalls von<br />

einem Arzt behandelt werden.<br />

In seltenen Fällen erreicht sie den<br />

Blutkreislauf – und es kann<br />

eine Blutvergiftung entstehen.<br />

führen und sollte so schnell<br />

wie möglich gereinigt und desinfiziert<br />

werden. Doch der rostige Nagel<br />

oder eine entzündete Schürfwunde<br />

sind nur wenige potenzielle Verursacher<br />

unter vielen. Pneumokokken,<br />

Staphylokokken, Meningokokken<br />

heissen die Erreger, die Wissenschaftler<br />

häufig auch auf den<br />

Schleimhäuten von gesunden Menschen<br />

finden. «Was auffällig ist: Viele<br />

Menschen sind Träger dieser Bakterien,<br />

einige werden auch krank,<br />

aber nicht alle bekommen davon<br />

auch eine Sepsis», sagt von Bernuth.<br />

Gemessen am Grad des Befalls von<br />

Kindern und Erwachsenen sei eine<br />

Blutvergiftung sogar selten.<br />

«Wir vermuten daher, dass es<br />

angeborene Defekte sein könnten,<br />

Fehler im Abwehrmechanismus, die<br />

dazu führen, dass das Immunsystem<br />

bei manchen Menschen eine Infektion<br />

nicht richtig handhabt», sagt<br />

von Bernuth. Denn auch ein Erreger<br />

hat eigentlich kein Interesse, seinen<br />

Wirt umzubringen, schliesslich<br />

bedeutet das auch für ihn selbst das<br />

Ende. «Dass es zu einer Blutvergiftung<br />

kommt, ist also wahrscheinlich<br />

ein evolutionärer Unfall.»<br />

Amerikanische Wissenschaftler<br />

erstellen bereits genetische Profile<br />

von betroffenen Patienten, doch die<br />

Aussagekraft ist fragwürdig: Das<br />

menschliche Abwehrsystem wird<br />

von etwa 2000 bis 3000 Genen reguliert;<br />

wir kennen mit hoher Sicherheit<br />

erst die Bedeutung von etwas<br />

mehr als 300 Genen des Immunsystems.<br />

Gut möglich also, dass der<br />

Fehler in noch völlig unbekannten<br />

Sphären liegt. Einen Schutz vor<br />

einer Blutvergiftung gibt es nicht.<br />

Das Einzige, was lebensrettend sein<br />

kann, ist ein frühes Erkennen der<br />


Ernährung & Gesundheit<br />

Nierenschwäche. Diese Kinder sind<br />

häufig im Spital und damit mehr<br />

Keimen ausgesetzt. Hinzu kommt<br />

ein durch die Erkrankung bereits<br />

geschwächtes Immunsystem. Eine<br />

Kombination, die das Entstehen<br />

einer Blutvergiftung begünstigen<br />

kann. «Bei diesen Kindern muss<br />

man besonders wachsam sein, denn<br />

häufige Spitalbesuche oder ein<br />

Venenkatheter erhöhen das Risiko<br />

einer Infektion», sagt Infektionsexperte<br />

Berger.<br />

Auch Berger und seine Kollegen<br />

fragen sich: Was funktioniert bei<br />

den Kindern, die eine Sepsis bekommen,<br />

im Vergleich zu denen, die<br />

unter den gleichen Umständen nicht<br />

daran erkranken, anders? «Handelt<br />

es sich wirklich nur um ein zufälliges<br />

Ereignis? Oder doch eine genetische<br />

Disposition? Wir wissen es<br />

leider noch nicht» sagt Berger.<br />

zent. Den Ärzten dort stehen rund<br />

um die Uhr Experten zur Verfügung,<br />

die sich im Notfall per Video<br />

zuschalten oder auch einfliegen lassen.<br />

Eine entscheidende Unterstützung:<br />

Mit jeder Stunde, die ohne<br />

Therapie verstreicht, sinkt die Wahrscheinlichkeit<br />

des Überlebens für<br />

den Patienten um mehr als sieben<br />

Prozent.


Digital & Medial<br />

Achtung:<br />

falsche Nachricht!<br />

Immer mehr Jugendliche lesen News nur noch über die<br />

sozialen Medien – das ist ein Problem. Text: Stephan Petersen<br />

D<br />

ie Gäste der Wa ­<br />

shingtoner Pizzeria<br />

Comet Ping Pong<br />

sind geschockt, als<br />

am 4. Dezember<br />

2016 plötzlich ein bewaffneter Mann<br />

in das Lokal stürmt. Der 28-Jährige<br />

bedroht die Angestellten und Kunden<br />

mit einem Sturmgewehr und<br />

fordert Informationen über einen<br />

angeblichen Pädophilen-Ring, der<br />

sein Unwesen in ebenjener Pizzeria<br />

treiben soll. Der Hintergrund für<br />

sein Handeln sind seit Wochen im<br />

Internet kursierende Gerüchte, die<br />

sogar die US-amerikanische Präsidentschaftskandidatin<br />

Hillary Clinton<br />

belasten. Nur: Es ist eine Fake<br />

News, eine Falschmeldung, die vom<br />

politischen Gegner wissentlich im<br />

Internet gestreut wurde.<br />

Nicht neu – aber viel schneller<br />

Auch in der Schweiz kursieren Fake<br />

News. So sorgte Mitte 2016 eine mysteriöse<br />

Gokart-Gang in Zürich für<br />

Die Gokart-Gang entpuppte<br />

sich als zwei Studenten,<br />

die zeigen wollten, wie schnell<br />

sich eine Fake News verbreitet.<br />

Aufsehen. Wochenlang rätselten<br />

Öffentlichkeit und Medien über die<br />

vermeintlichen nächtlichen Raser.<br />

Sie entpuppten sich schliesslich als<br />

eine Erfindung zweier Studenten, die<br />

in ihrer Abschlussarbeit nachweisen<br />

wollten, wie über die Medien in kürzester<br />

Zeit ein Mythos entstehen<br />

kann. Jedoch: «Fake News sind kein<br />

neues Problem», sagt Konrad Weber,<br />

Digitalstratege bei SRF. Falschmeldungen<br />

und sogenannte Zeitungsenten<br />

gab es schon früher.<br />

Doch im Internet verbreiten sich<br />

diese viel schneller. «In den sozialen<br />

Medien können sich alle möglichen<br />

Personen zu Themen äussern. Es<br />

gibt keine publizistischen Richtlinien<br />

zu Sachgerechtigkeit und<br />

Objektivität, wie sie zum Beispiel<br />

Medienhäuser wie das Schweizer<br />

Radio und Fernsehen kennen»,<br />

erläutert Konrad Weber. So verbreiten<br />

sich Fake News heute vor allem<br />

über soziale Medien wie Facebook,<br />

Youtube, Twitter und Co. Mit wenigen<br />

Klicks können Nutzer die Inhalte<br />

mit anderen teilen. Schnell ist<br />

eine Fake News so tausend- oder gar<br />

millionenfach im Umlauf.<br />

Jeder ein (Fake-)News-Produzent<br />

Es gibt verschiedene Motive zum<br />

Streuen von Fake News. Bei den<br />

einen geht es ums Geld: Ihre Ur ­<br />

heber locken durch sensationelle<br />

Meldungen Internet-User auf eine<br />

Internetseite, wo sie mittels Werbung<br />

Geld verdienen. Bei anderen sind es<br />

politische Motive: Falschnachrichten<br />

sollen dem Gegner schaden. Urheber<br />

können Regierungen sein, aber auch<br />

Einzelpersonen, die Minderheiten<br />

diffamieren wollen. In einer Zeit, in<br />

der fast jeder und jede ein Smartphone<br />

mit Kamera und Internetanschluss<br />

besitzt, geht dies ohne<br />

grossen Aufwand. Im Internet finden<br />

Urheber von Fake News genügend<br />

Material, das sie manipulieren und<br />

für ihre Zwecke einsetzen können.<br />

Gemäss dem Jahrbuch «Qualität<br />

der Medien 2017» des Forschungsinstituts<br />

Öffentlichkeit und Gesellschaft<br />

(fög) der Universität Zürich<br />

Bild: iStockphoto<br />

64 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


gibt es immer mehr Menschen, die<br />

sich nicht mehr mittels Medien über<br />

das Weltgeschehen informieren<br />

oder nur Nachrichten minderer<br />

Qualität aus Gratiszeitungen oder<br />

sozialen Medien beziehen.<br />

Internetnutzer in der Filterblase<br />

Mittlerweile liegt der Anteil der<br />

sogenannten News-Deprivierten bei<br />

31 Prozent. 2009 machte diese Gruppe<br />

noch 21 Prozent aus. Besonders<br />

bei Menschen zwischen 18 und 24<br />

Jahren ist der Anteil derer hoch, die<br />

sich fast ausschliesslich über soziale<br />

Medien informieren: Rund ein Viertel<br />

bezieht News nicht über klassische<br />

Medien wie TV oder Zeitung,<br />

sondern über Facebook und Co.<br />

So kommen besonders viele junge<br />

Menschen mit Fake News in Kontakt.<br />

Soziale Medien sind Emotionsmedien.<br />

Das heisst: Vieles, was<br />

erstaunt oder wütend macht, wird<br />

geliked und geteilt. Das Problem<br />

hierbei ist: Facebook nutzt einen<br />

Algorithmus, der dem Nutzer auf<br />

seiner Startseite Inhalte anzeigt, die<br />

Facebook-Freunde geliked haben<br />

beziehungsweise den eigenen Themenpräferenzen<br />

entsprechen. Der<br />

Soziale Medien sind<br />

Emotionsmedien. Das heisst:<br />

Geliked und geteilt wird, was<br />

erstaunt oder wütend macht.<br />

Nutzer befindet sich rasch in einer<br />

sogenannten Filterblase. Der Austausch<br />

mit Andersgesinnten und die<br />

Konfrontation mit anderen Meinungen<br />

kommen zu kurz», sagt Daniel<br />

Vogler, Forschungsleiter beim fög.<br />

Wer sich also bei Facebook häufig<br />

in Communities bewegt, in denen<br />

etwa extremistisches Gedankengut<br />

oder Verschwörungstheorien verbreitet<br />

werden, der bekommt >>><br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2018</strong>65


Wie erkenne ich<br />

Fake News?<br />

Kritisch sein, hinterfragen!<br />

Drastische Bilder und aufdringliche<br />

Schlagzeilen erzeugen Emotionen, ziehen<br />

in ihren Bann. Sie können aber ein erster<br />

Hinweis für unseriöse Nachrichten sein.<br />

Generell gilt: kritisch sein und hinterfragen!<br />

Inhaltlicher Gegencheck<br />

Teile der Schlagzeile kopieren und bei<br />

Google suchen. Wer berichtet noch über<br />

das Thema? Und wenn ja, in welcher Form?<br />

Ein nahezu gleicher Wortlaut deutet oftmals<br />

auf unreflektiert geteilte Fake News hin.<br />

Quellen bewerten<br />

Wer hat den Artikel geschrieben? Steht dort<br />

der Name des Verfassers? Wenn ja, dann<br />

den Namen googeln. Was publiziert der<br />

Verfasser sonst? Für welche Medien? Wenn<br />

der Verfasser anonym ist oder die Website,<br />

auf der die Meldung steht, dann ist dies ein<br />

erstes Anzeichen für Fake News.<br />

Bilder prüfen<br />

www.tineye.com oder images.google.com<br />

kann man das Foto eines Artikels hochladen<br />

und im Internet suchen. Auf diese Weise<br />

lässt sich überprüfen, ob das Bild eventuell<br />

aus einem völlig anderen Zusammenhang<br />

stammt.<br />

Meldefunktionen nutzen<br />

Einige soziale Medien bieten für Fake<br />

News und ungeeignete Inhalte<br />

Meldefunktionen an. Davon Gebrauch<br />

machen, wenn Verdacht auf einen<br />

unseriösen Inhalt besteht.<br />

Mit Vorsicht teilen<br />

Jeder kann dazu beitragen, dass sich Fake<br />

News im Internet und der realen Welt<br />

nicht verbreiten. Deshalb kritisch sein und<br />

genau hinterfragen, ob man einen Inhalt<br />

in sozialen Medien teilt. Sich bei geteilten<br />

Inhalten von Facebook-«Freunden» zudem<br />

immer fragen: Wem kann man trauen?<br />

Wer nachfragt, findet bald<br />

heraus, welche sozialen Kanäle<br />

seriös sind.<br />

>>> immer mehr solcher fragwürdiger<br />

Inhalte angezeigt. Dies kann<br />

zu einem völlig verzerrten Weltbild<br />

führen und anfällig machen für einfache<br />

Antworten auf komplexe Probleme<br />

und Populismus.<br />

Lösungsansätze<br />

Um dem Problem der Fake News<br />

beizukommen, müssten die etablierten<br />

Medienhäuser in den sozialen<br />

Medien noch aktiver werden und<br />

noch mehr qualitativ hochwertige<br />

und auf jüngere Zielgruppen zugeschnittene<br />

Inhalte veröffentlichen.<br />

Bei den News-Deprivierten, und hier<br />

insbesondere bei den jüngeren,<br />

besteht weniger Vertrauen gegenüber<br />

den etablierten Medien. Da<br />

gerade in den sozialen Medien das<br />

Potenzial für die direkte Kommunikation<br />

hoch ist, sollten etablierte<br />

Medien dort den Dialog suchen und<br />

Vertrauen aufbauen.<br />

Ein anderer Lösungsansatz ist die<br />

viel zitierte Medienkompetenz.<br />

«Nur mit einem kritischen Geist, der<br />

nötigen Portion Skepsis und einem<br />

regelmässigen Vergleichen von<br />

unterschiedlichen Informationsquellen<br />

entgeht man der Gefahr, auf<br />

Fake News hereinzufallen», erläutert<br />

Konrad Weber.<br />

Vor allem die Eltern und die<br />

Schule sind gefragt: Sie müssen den<br />

Kindern und Jugendlichen die<br />

Fähigkeit mit auf den Weg geben,<br />

die neuen Medien sachkundig und<br />

kritisch zu nutzen. In den Schulen<br />

hat sich diesbezüglich einiges getan.<br />

Dort steht nicht mehr nur der praktische<br />

Mediengebrauch im Mittelpunkt,<br />

sondern auch die Medienreflexion,<br />

die über potenzielle<br />

negative Aspekte aufklärt. Mittlerweile<br />

thematisieren Schulen im<br />

Rahmen des Lehrplans 21 fast flächendeckend<br />

die Gefahren durch<br />

soziale Medien. Überwiegend<br />

geschieht dies durch externe Fachleute,<br />

beispielsweise Vereine, die<br />

Schweizer Kinder- und Familienstiftung<br />

Pro Juventute sowie die Polizei.<br />

Abseits des richtigen Gebrauchs<br />

der sozialen Medien gibt es einen<br />

anderen zentralen Punkt. «Mir<br />

scheint es besonders wichtig, ein<br />

Wissensnetzwerk aufzubauen, also<br />

nicht bestimmte Informationstechniken,<br />

sondern Beziehungen in den<br />

Vordergrund zu rücken», sagt Philippe<br />

Wampfler, Lehrer und Experte<br />

für neue Me dien. Er empfiehlt,<br />

direkt Fragen zu stellen.<br />

Eine Stärke der sozialen Medien<br />

ist, dass man sich direkt an die Verfasser<br />

eines Beitrags wenden und<br />

nachhaken kann, wenn man skeptisch<br />

ist oder etwas nicht versteht.<br />

Wer kommuniziert und nachfragt,<br />

der findet bald heraus, welche sozialen<br />

Kanäle seriös sind. «Heute ist<br />

es entscheidend, zu wissen, wem<br />

man vertrauen kann.» Das gilt insbesondere<br />

für Inhalte bei Facebook,<br />

Twitter und Co.<br />

>>><br />

Stephan Petersen<br />

ist studierter Historiker und freier Journalist.<br />

Zu seinen Themen gehören unter anderem<br />

Videospiele und Familie. Er ist Vater zweier<br />

Kinder im Alter von sieben und elf Jahren.<br />

66 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Digital & Medial<br />

Scripted Reality –<br />

alles nur Show?<br />

TV-Formate, die Realität und Inszenierung<br />

vermischen, können Kinder und Jugendliche<br />

verunsichern. Denn der Blick auf sich selbst<br />

und auf die Welt wird unbewusst manipuliert.<br />

Das sollten Eltern wissen. Text: Michael In Albon<br />

Bild: Chris Ryan<br />

Scripted-Reality-Formate<br />

sind Sendungen mit erfundenen<br />

Handlungen. So<br />

weit, so klar. Jedoch werden<br />

solche Sendungen so<br />

produziert, dass sie wie eine Dokumentation<br />

oder eine Reportage<br />

scheinen. Realität und Medienrealität<br />

gehen nahtlos ineinander über.<br />

Der Hinweis, dass es sich um eine<br />

Inszenierung nach Drehbuch handelt,<br />

erfolgt nur als kleiner Hinweis<br />

im Abspann. Das erschwert die<br />

Abgrenzung von Realität und<br />

Medienrealität für Heranwachsende<br />

erheblich. Gerade Kinder und<br />

Jugendliche können das kaum<br />

unterscheiden – auch bei Castingshows<br />

nicht.<br />

Daneben unterscheiden sich<br />

Scripted Reality und Castingshows.<br />

Während Scripted-Reality-Formate<br />

Konflikte thematisieren, betonen<br />

Castingshows das Perfekte; sie bündeln<br />

Klischees und fordern<br />

Zuschauer innen und Zuschauer<br />

dazu auf, diesen präsentierten Idealen<br />

nachzueifern. In der Model-<br />

Castingshow «Germany’s Next Topmodel»<br />

beispielsweise ge schieht<br />

diese Aufforderung ganz offen:<br />

Schön ist, wer über bestimmte körperliche<br />

Merkmale verfügt, sich entsprechend<br />

kleidet und stylt.<br />

Kinder und Jugendliche neigen<br />

dazu, solche Wertvorstellungen in<br />

ihren Alltag zu übernehmen, um<br />

dazuzugehören.<br />

Wer bin ich?<br />

Jugendliche in der Pubertät suchen<br />

nach ihrer Identität; sie vergleichen<br />

sich deshalb gern mit ihren Helden<br />

und suchen nach Ähnlichkeiten zu<br />

ihrem Leben. Dabei entwickeln sie<br />

gegenüber den Figuren, die scheitern,<br />

ein Gefühl der Überlegenheit.<br />

Sie transportieren dieses Gefühl in<br />

ihren Alltag. Und dort kann dies zu<br />

Konflikten führen, in denen sich<br />

Jugendliche unbewusst als Täter,<br />

Opfer oder Mitläufer verhalten.<br />

Bei Castingsendungen entsteht<br />

eine vergleichbare Beziehung zu den<br />

Kandidatinnen und Kandidaten.<br />

Vor allem Model-Castingshows<br />

beeinflussen Jugendliche in ihrer<br />

Selbstwahrnehmung – die Shows<br />

suggerieren, nur optische Eigenschaften<br />

seien relevant. Das pausenlose<br />

Vergleichen und Scheitern,<br />

wenn Teenager den vermittelten<br />

Idealen nicht gerecht werden, kann<br />

sie unglücklich und hoffnungslos<br />

machen – und sich beispielsweise in<br />

Essstörungen äussern.<br />

Das Kind begleiten<br />

Hier sind die Eltern gefragt. Verbieten<br />

Sie Ihren Kindern solche Formate<br />

nicht, aber lassen Sie Ihre Kinder<br />

auch nicht allein damit. Schauen Sie<br />

sich ab und an eine Folge gemeinsam<br />

an. Verurteilen Sie die Sendungen<br />

nicht, sondern stellen Sie Fragen.<br />

Was gefällt Ihrem Kind? Wieso? Wie<br />

unterscheidet sich die gezeigte<br />

Handlung vom realen Leben? Was<br />

ist also echt? Was inszeniert? Wieso?<br />

Diskutieren Sie zusammen unterschiedliche<br />

Handlungsmuster und<br />

die Herausforderungen. Und prüfen<br />

Sie, ob ein Hinweis auf die gescriptete<br />

Handlung besteht.<br />

Damit stärken Sie die Persönlichkeit<br />

Ihres Kindes und helfen ihm<br />

zudem, sich in einer Welt, in der die<br />

Grenze zwischen Inszenierung und<br />

Realität immer stärker verschwindet,<br />

kritisch zu bleiben.<br />

Michael In Albon<br />

ist Beauftragter Jugendmedienschutz<br />

und Experte Medienkompetenz von<br />

Swisscom.<br />

Auf Medienstark finden Sie Tipps und interaktive<br />

Lernmodule für den kompetenten Umgang mit<br />

digitalen Medien im Familienalltag.<br />

swisscom.ch/medienstark<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2018</strong>67


Erziehung & Schule<br />

Schluss mit Aufschieben<br />

Vier Tipps, die Ihnen und Ihren Kindern die Arbeit erleichtern<br />

Schieben Sie wichtige Aufgaben vor sich her, weil Sie einen riesigen Berg vor sich sehen? Legen Sie sich<br />

alle möglichen Ausreden zurecht, warum jetzt gerade nicht der richtige Augenblick ist? Die tröstliche<br />

Nachricht: Sie sind nicht allein. Und bereits ein paar einfache Kniffe können helfen, ins Tun zu kommen.<br />

Text: Fabian Grolimund<br />

Der Anfang ist immer<br />

am schwersten. Das<br />

weiss jeder, der vor<br />

einer schwierigen<br />

Aufgabe steht.<br />

Haben wir den Einstieg einmal<br />

gefunden, wird alles leichter. Und<br />

manchmal fragen wir uns hinterher,<br />

weshalb wir diese Kleinigkeit so lange<br />

vor uns hergeschoben haben.<br />

Es gibt daher einen einfachen<br />

Trick, um unserem inneren Schweinehund<br />

ein Schnippchen zu schlagen:<br />

Machen Sie sich den Anfang so<br />

leicht wie möglich!<br />

Starten Sie mit einer Mini-Teilaufgabe,<br />

um einen Fuss in die Tür zu<br />

bekommen. Nehmen Sie sich nicht<br />

vor, den Dachboden auszuräumen.<br />

Nehmen Sie sich lediglich vor,<br />

15 Minuten die alten Bücher oder<br />

Zeitschriften zu sortieren und ein<br />

paar Sachen ins Altpapier zu werfen.<br />

Oder füllen Sie lediglich die erste<br />

Seite der Steuererklärung aus, indem<br />

Sie Ihre Personalien eintragen.<br />

Wer viermal zehn Minuten<br />

Vokabeln wiederholt, ist<br />

besser vorbereitet, als wer<br />

einmal eine Stunde lernt.<br />

So bald Sie den ersten Schritt<br />

gemacht haben, bekommen Sie<br />

einen kleinen Energieschub, der<br />

Ihnen hilft, mit der Aufgabe fortzufahren<br />

– noch am gleichen Tag oder<br />

am nächsten.<br />

Tipp 1: Würdigen Sie die kleinen<br />

Schritte<br />

Einen der häufigsten Sätze, die ich<br />

von Menschen höre, die oft aufschieben,<br />

lautet: Das lohnt sich doch gar<br />

nicht! Schülerinnen und Schüler<br />

meinen: «In einer Stunde kommt der<br />

Bus – da lohnt es sich nicht mehr,<br />

noch mit dem Lernen zu beginnen»,<br />

und Studierende sind der Überzeugung:<br />

«Wenn ich nicht einen ganzen<br />

Nachmittag Zeit habe, um an der<br />

Bachelorarbeit zu schreiben, komme<br />

ich sowieso nicht mehr in den<br />

Schreibprozess rein.»<br />

Das stimmt nicht. Sich für kurze<br />

Zeiträume mit einer Arbeit auseinanderzusetzen,<br />

ist ausgesprochen<br />

effektiv. Eine Schülerin, die im Laufe<br />

einer Woche viermal für zehn<br />

Minuten Französischvokabeln ge -<br />

lernt und wiederholt hat, hat sich<br />

besser auf die Vokabelprüfung vorbereitet<br />

als ihre Kollegin, die einmalig<br />

eine Stunde damit zugebracht<br />

hat. Und der Student, der sich im<br />

Vorfeld 20 Minuten Zeit genommen<br />

hat, um sich ein paar Gedanken<br />

über die nächsten Absätze seiner<br />

Seminar arbeit zu machen und seine<br />

Überlegungen in Form einiger Notizen<br />

festgehalten hat, wird danach<br />

viel leichter den Einstieg ins Schreiben<br />

finden als sein Kollege, der auf<br />

ein leeres Blatt starrt.<br />

Tipp 2: Freuen Sie sich über<br />

Fortschritte<br />

Je unangenehmer eine Arbeit ist,<br />

desto eher schieben wir sie auf. Oft<br />

sorgt aber nicht die Tätigkeit selbst<br />

für unsere negativen Gefühle, sondern<br />

unsere Gedanken darüber.<br />

Menschen, die häufig aufschieben,<br />

neigen dazu, sich für ihre Arbeit<br />

selbst abzuwerten. Sie beschimpfen<br />

sich, weil sie «wieder nicht das<br />

geschafft haben, was sie sich vorgenommen<br />

haben», weil «alles Mist<br />

ist», was sie schreiben, oder weil sie<br />

zu langsam und «alle anderen eh viel<br />

schneller» sind.<br />

Je mehr wir lernen, uns über<br />

unsere Arbeit und auch kleine Fortschritte<br />

zu freuen, desto leichter fällt<br />

es uns, beim nächsten Mal den Einstieg<br />

zu finden. Eine Studentin, die<br />

eine halbe Seite für ihre Bachelorarbeit<br />

geschrieben hat, könnte sich<br />

dafür schelten, dass sie wieder nur<br />

eine halbe Seite geschafft hat. Sie<br />

könnte aber auch denken: «Super,<br />

eine halbe Seite weiter. Wenn ich in<br />

diesem Tempo weiterschreibe,<br />

schaffe ich die gesamte Arbeit in<br />

68 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Seien sie stolz auf kleine Erfolge –<br />

sie werden schon beim nächsten<br />

Anlauf zuversichtlicher sein.<br />

80 Tagen!» Welcher Gedanke wird<br />

wohl eher dafür sorgen, dass sie am<br />

nächsten Tag weiterschreibt?<br />

Wer das Aufschieben überwinden<br />

möchte, sollte sich schon alleine<br />

dafür, dass er sich für eine kurze Zeit<br />

seinem inneren Gegner gestellt hat,<br />

selbst auf die Schulter klopfen. Sie<br />

haben sich auf den Dachboden<br />

gewagt und ein paar Sachen aufgeräumt,<br />

anstatt gleich klein beizugeben?<br />

Geniessen Sie es und seien<br />

Sie stolz darauf – und schon fühlen<br />

Sie sich beim nächsten Anlauf<br />

zuversichtlicher.<br />

Tipp 3: Machen Sie es sich schön<br />

Bei einer Aufgabe, die wir aufschieben,<br />

denken wir oft daran, wie mühsam<br />

und schlimm es sein wird, sich<br />

dieser zu stellen oder wie unsicher<br />

und dumm wir uns dabei vorkommen<br />

werden. Wir können uns stattdessen<br />

fragen: Wie kann ich es mir<br />

so leicht und so schön wie möglich<br />

machen?<br />

Für Physik konnte ich mich als<br />

Schüler nicht erwärmen, aber an die<br />

Lernsessions, die ich und mein bester<br />

Freund jeweils am freien Nachmittag<br />

vor der Prüfung einlegten,<br />

denke ich gerne zurück. Es hat Spass<br />

gemacht, wenn man etwas verstanden<br />

hat und es dem anderen erklären<br />

konnte oder Hilfe bekam, wenn<br />

man eine Denkblockade hatte.<br />

Kneifen war nicht möglich, weil<br />

man den anderen nicht im Stich lassen<br />

wollte.<br />

Wenn ich bei einem Artikel nicht<br />

weiterkomme, nehme ich ein Notizbuch<br />

und mache einen Spaziergang<br />

im Wald, anstatt auf den Laptop zu<br />

starren. Beim Aufräumen hilft eine<br />

Playlist mit motivierenden Songs.<br />

Wie könnten Sie sich eine schwierige<br />

Aufgabe erleichtern?<br />

Tipp 4: Fragen Sie nach dem Warum<br />

Schliesslich schieben wir oft Aufgaben<br />

auf, weil wir an deren Sinn zweifeln.<br />

Um ein uns wichtiges Ziel zu<br />

erreichen, müssen wir aber oft Aufgaben<br />

lösen, die wir unnütz oder<br />

unnötig finden: Der Lehrling möchte<br />

die Abschlussprüfung bestehen,<br />

sieht aber nicht ein, warum er Französisch<br />

lernen soll. Für die beruflich<br />

wichtige Weiterbildung muss eine<br />

Abschlussarbeit geschrieben werden,<br />

die viel Energie kostet, die dann<br />

aber «sowieso von niemandem gelesen<br />

wird».<br />

Wenn wir nicht um die Aufgabe<br />

herumkommen, sollten wir uns die<br />

Warum-Frage ernsthaft stellen und<br />

uns Zeit dafür nehmen. Vielleicht<br />

nehmen wir dazu ein Blatt Papier<br />

und schreiben so viele Gründe wie<br />

möglich auf, weshalb wir diese Aufgabe<br />

angehen möchten. Jeder Grund<br />

macht es uns ein wenig leichter, uns<br />

darauf einzulassen. Wie diese<br />

Übung konkret aussehen kann, zeigt<br />

das neue Video unserer Lernserie<br />

«Adi & Jess».<br />

Fabian Grolimund<br />

ist Psychologe, Autor, Lerncoach und Leiter<br />

der Lernakademie Zürich.<br />

Vom Aufschieber zum Lernprofi<br />

Möchten Sie mehr<br />

darüber erfahren,<br />

weshalb Menschen<br />

aufschieben und was<br />

man konkret tun kann,<br />

um sich den Einstieg<br />

zu erleichtern, um<br />

dranzubleiben, wenn es schwierig wird,<br />

und auch anspruchsvolle Aufgaben<br />

mit mehr Leichtigkeit anzugehen?<br />

Das Buch «Vom Aufschieber zum<br />

Lernprofi» richtet sich an Studierende,<br />

hält aber auch Tipps für Schülerinnen<br />

und Schüler oder Erwachsene bereit,<br />

die sich auf ihre Abschlussprüfungen<br />

vorbereiten oder eine längere Arbeit<br />

schreiben möchten.<br />

Herder Verlag, 192 Seiten,<br />

ca. Fr. 28.90<br />

Starten Sie<br />

die aktuelle<br />

Fritz+Fränzi-App,<br />

scannen Sie diese Seite<br />

und sehen Sie, wie Adi & Jess<br />

üben, eine lästige Aufgabe<br />

anzupacken.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2018</strong>69


Ein Wochenende in…<br />

Hall-Wattens in Tirol<br />

Gasthof<br />

Goldener Löwe<br />

Hall in Tirol<br />

Innsbruck<br />

Mils<br />

Milsano Feuergrill-<br />

Restaurant<br />

Tulfes<br />

Ferienhotel<br />

Geisler<br />

Glungezerbahn<br />

Gnadenwald<br />

Alpenhotel<br />

Speckbacherhof<br />

E45<br />

Inn<br />

Erleben …<br />

Wattens<br />

Fritzens<br />

Grander-<br />

Restaurant<br />

Swarovski<br />

Kristallwelten<br />

... Glitzer! Funkel! Glamour! Vielleicht schaut Sie Ihr<br />

Teenager-Kind verständnislos bis mitleidig an, wenn Sie ihm<br />

mit diesen Worten ein Wochenende in Tirol schmackhaft<br />

machen wollen. Ha! Planen Sie einen Trip in die Region<br />

Hall-Wattens (ab Zürich 4 Stunden und 4 Minuten mit dem<br />

Zug, einmal umsteigen in Innsbruck), dann können Sie verbal<br />

getrost mit der grossen Kelle anrichten.<br />

... Denn vor 123 Jahren gründete Daniel Swarovski in Wattens<br />

die Firma Swarovski. Und genau 100 Jahre später erschuf der<br />

Konzeptkünstler André Heller im Auftrag der Firma die<br />

Swarovski Kristallwelten, eine einzigartige Erlebniswelt, die<br />

seit der Eröffnung über 14 Millionen Menschen besucht haben.<br />

Sie wurde unterdessen zweimal erweitert und erstreckt sich<br />

heute auf einer Fläche von 7,5 Hektaren. In einer ausladenden<br />

Parklandschaft finden sich Kunstinstallationen, erstellt von<br />

international renommierten Architekten – darunter die<br />

Kristallwolke, bestehend aus 800 000 handgesetzten<br />

Kristallen – sowie ein grosser Spielturm und Spielplatz mit<br />

viel Raum für kreatives Herumtollen.<br />

... Das Herzstück aber sind die 14 «Wunderkammern», wie die<br />

Themenräume genannt werden: Man betritt sie durch den<br />

Kopf eines grasbewachsenen Riesen und trifft als Erstes auf<br />

den grössten handgeschliffenen Kristall der Welt, den<br />

«Centenar»: 310 000 Karat resp. 62 Kilogramm schwer. Gleich<br />

daneben liegt der kleinste von Swarovski je hergestellte<br />

Kristall, der XERO Chaton, gerade mal so gross wie eine<br />

Federspitze. Umgeben sind der Mega-Kristall und das<br />

Mikro-Kriställchen von Werken von Künstlern wie Salvador<br />

Dalí, Niki de Saint Phalle oder Andy Warhol. In den Wunderkammern<br />

selber tun sich jeweils eigene Welten auf, gestaltet<br />

von Designern und Konzeptkünstlern aus aller Welt. Darunter<br />

sind ein Kristalldom, der dem Besucher das Gefühl vermittelt,<br />

in einem Kristall zu stehen, und der Kristallbaum «Silent<br />

Light», bestehend aus 150 000 Swarovski-Kristallen.<br />

Swarovski Kristallwelten, täglich geöffnet von 8.30 bis 19.30<br />

Uhr, von 1. Juli bis 31. August täglich von 8:30 bis 22 Uhr.<br />

Eintritt für Erwachsene 19 Euro, für Kinder von 6 bis<br />

14 Jahren 7.50 Euro. swarovski.com/kristallwelten<br />

... Wenn Eltern oder Kinder irgendwann Sternchen sehen vor<br />

lauter Gefunkel, dann empfehlen sich ein paar Schritte in den<br />

Tiroler Alpen. Zum Beispiel auf einer der vier Kristallwanderungen<br />

auf den Spuren der sagenumwobenen Tuxer Kristalle.<br />

Wer sich davor auf dem Tourismusbüro eine Stempelkarte<br />

abholt und unterwegs fleissig Stempel sammelt, darf zum<br />

Schluss sogar einen Kristall mit nach Hause nehmen.<br />

www.hall-wattens.at<br />

... Und wer irgendwann tatsächlich genug hat von Kristallen,<br />

der oder die kann zum Beispiel mit der Glungezerbahn zur<br />

Bergerlebniswelt Kugelwald am Glungezer fahren. Hier<br />

laufen überdimensionale Kugelbahnen durch den Hochwald,<br />

es gibt Spiel- und Sportstationen sowie einen Ruhebereich mit<br />

Zirben-Relaxliegen und einer Aussichtsplattform.<br />

www.kugelwald.at<br />

Geniessen …<br />

... Für einen kulinarischen Zwischenstopp in den Swarovski<br />

Kirstallwelten empfiehlt sich Daniels Kristallwelten mit vor<br />

allem saisonaler Küche und einem eigenen Patisseriebereich.<br />

Daniels Kristallwelten, offen Sonntag bis Donnerstag von<br />

8.30 Uhr bis 19.30 Uhr, warme Küche bis 18.30 Uhr, Freitag<br />

70 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Service<br />

Bilder: Swarovski Kristallwelten, ZVG<br />

Wie in einer andern Welt:<br />

Futuristische Kristallwolken<br />

und zarte Lachsforelle in<br />

Swarovskis Kristallwelten,<br />

wandern auf sagenumwobenen<br />

Wegen.<br />

und Samstag von 8.30 Uhr bis 23 Uhr, warme Küche bis<br />

21.30 Uhr, Zutritt auch ohne Besuch des Riesen.<br />

kristallwelten.com/daniels<br />

... Im Gasthof Goldener Löwe in Hall gibt es alle österreichischen<br />

Spezialitäten vom Tafelspitz bis zum Wiener Schnitzel,<br />

aber auch Raritäten wie «Omas Kartoffelblattl'n mit Sauerkraut»<br />

oder frische Kalbsleber.<br />

Gasthof Goldener Löwe, Oberer Stadtplatz, Hall in Tirol. Offen<br />

Dienstag bis Samstag jeweils mittags und abends.<br />

www.goldenerloewe-hall.at<br />

... Wer sich Sternenküche gönnen will, ist bei Haubenkoch<br />

Thomas Grander in Wattens goldrichtig. Er wurde schon<br />

mehrfach von Gault Millau ausgezeichnet und bietet eine<br />

exklusive Küche in modernem Ambiente.<br />

Grander Restaurant, Dr.-Felix-Bunzl-Str. 6, Wattens, Tel. 0043<br />

5224/52626. Sonntag Ruhetag. www.grander-restaurant.at<br />

... Im Milsano Feuergrill-Restaurant in Mils steht in der Mitte<br />

des Raumes ein mit Buchenholz befeuerter Riesengrill für<br />

Steaks. Es gibt aber auch Kaffee und Kuchen.<br />

Milsano Feuergrill-Restaurant, Dorfplatz 1, Mils, Tel. 0043<br />

660 7330 304, www.milsano.at<br />

Übernachten …<br />

... Das familienfreundliche Ferienhotel Geisler in Tulfes liegt<br />

auf einem sonnigen Plateau in den Tuxer Alpen, umgeben von<br />

einer Gartenanlage mit grossem Schwimmbad.<br />

Ferienhotel Geisler*** in Tulfes, Familienzimmer bis 5 Personen,<br />

Übernachtung ab 72 Euro pro Person, 50% Rabatt für<br />

Kinder bis 14 Jahre.<br />

www.geisler-tulfes.com<br />

... Am Fusse des Karwendelgebirges liegt das Alpenhotel<br />

Speckbacherhof. Es ist optimal gelegen für Ausflüge und<br />

Wanderungen und verfügt über einen Bio-Badeteich in einer<br />

grossen Gartenanlage, einen Wellnessbereich, einen Abenteuerspielplatz,<br />

Minigolf und eine Profi-Trampolinanlage.<br />

Alpenhotel Speckbacherhof**** in Gnadenwald, Doppelzimmer<br />

ab 98 Euro, 40% Rabatt für Kinder bis 14 Jahre.<br />

www.speckbacherhof.at<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2018</strong>71


Service<br />

Vielen Dank<br />

an die Partner und Sponsoren der Stiftung Elternsein:<br />

Finanzpartner Hauptsponsoren Heftsponsor<br />

Dr. iur. Ellen Ringier<br />

Walter Haefner Stiftung<br />

Credit Suisse AG<br />

Rozalia Stiftung<br />

UBS AG<br />

Happel Foundation<br />

Mirjam und Martin<br />

Bisang Staub<br />

Impressum<br />

18. Jahrgang. Erscheint 10-mal jährlich<br />

Herausgeber<br />

Stiftung Elternsein,<br />

Seehofstrasse 6, 8008 Zürich<br />

www.elternsein.ch<br />

Präsidentin des Stiftungsrates:<br />

Dr. Ellen Ringier, ellen@ringier.ch,<br />

Tel. 044 400 33 11<br />

(Stiftung Elternsein)<br />

Geschäftsführer: Thomas Schlickenrieder,<br />

ts@fritzundfraenzi.ch,<br />

Tel. 044 261 01 01<br />

Redaktion<br />

Nik Niethammer (Chefredaktor),<br />

Evelin Hartmann (stv. Chefredaktorin),<br />

Bianca Fritz (Leitung Online),<br />

Claudia Landolt, Florian Blumer,<br />

Irena Ristic, Florina Schwander,<br />

redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />

Verlag<br />

Fritz+Fränzi,<br />

Dufourstrasse 97, 8008 Zürich,<br />

Tel. 044 277 72 62,<br />

info@fritzundfraenzi.ch,<br />

verlag@fritzundfraenzi.ch,<br />

www.fritzundfraenzi.ch<br />

Business Development & Marketing<br />

Leiter: Patrik Luther,<br />

p.luther@fritzundfraenzi.ch<br />

Anzeigenverkauf<br />

Corina Sarasin, Tel. 044 277 72 67,<br />

c.sarasin@fritzundfraenzi.ch<br />

Jacqueline Zygmont, Tel. 044 277 72 65,<br />

j.zygmont@fritzundfraenzi.ch<br />

Anzeigenadministration<br />

Dominique Binder, Tel. 044 277 72 62,<br />

d.binder@fritzundfraenzi.ch,<br />

Art Direction/Produktion<br />

Partner & Partner, Winterthur<br />

Bildredaktion<br />

13 Photo AG, Zürich<br />

Korrektorat<br />

Brunner Medien AG, Kriens<br />

Auflage<br />

(WEMF/SW-beglaubigt 2017)<br />

total verbreitet 102 108<br />

davon verkauft 24 846<br />

Preis<br />

Jahresabonnement Fr. 68.–<br />

Einzelausgabe Fr. 7.50<br />

iPad pro Ausgabe Fr. 3.–<br />

Abo-Service<br />

Galledia Verlag AG Berneck<br />

Tel. 0800 814 813, Fax 058 344 92 54<br />

abo.fritzundfraenzi@galledia.ch<br />

Für Spenden<br />

Stiftung Elternsein, 8008 Zürich<br />

Postkonto 87-447004-3<br />

IBAN: CH40 0900 0000 8744 7004 3<br />

Inhaltspartner<br />

Institut für Familienforschung und -beratung<br />

der Universität Freiburg / Dachverband Lehrerinnen<br />

und Lehrer Schweiz / Verband Schulleiterinnen und<br />

Schulleiter Schweiz / Jacobs Foundation /<br />

Elternnotruf / Pro Juventute / Interkantonale<br />

Hochschule für Heilpädagogik Zürich /<br />

Schweizerisches Institut für Kinder- und<br />

Jugendmedien<br />

Stiftungspartner<br />

Pro Familia Schweiz / Pädagogische Hochschule<br />

Zürich / Elternbildung CH / Marie-Meierhofer-<br />

Institut für das Kind / Schule und Elternhaus<br />

Schweiz / Schweizerischer Verband<br />

alleinerziehender Mütter und Väter SVAMV /<br />

Kinderlobby Schweiz / kibesuisse Verband<br />

Kinderbetreuung Schweiz<br />

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72 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Buchtipps<br />

Katherine<br />

Rundell: Feo<br />

und die Wölfe.<br />

Carlsen 2017,<br />

Fr. 25.90,<br />

ab 11 Jahren<br />

Georg Kohler /<br />

Claudia de Weck:<br />

Jakob, das<br />

Krokodil<br />

Unglaublich, aber<br />

wahr: In einer<br />

Zürcher Wohnung<br />

lebte viele Jahre lang ein Krokodil!<br />

In dynamischen Bildern und mit viel<br />

Sachwissen berichtet das Bilderbuch<br />

vom Leben mit einem<br />

aussergewöhnlichen Haustier.<br />

Atlantis 2013, Fr. 24.90,<br />

ab 5 Jahren<br />

Katzen und Meerschweinchen sind<br />

toll. Aber wie wäre es mit einem Wolf,<br />

Krokodil, Esel oder Therapiehund<br />

als Haustier? Vier Bücher über besondere<br />

Freundschaften.<br />

Unter Wölfen<br />

Bibi Dumon Tak:<br />

Mikis, der<br />

Eseljunge<br />

Mikis lebt auf der<br />

Insel Korfu. Er trägt<br />

den Übernamen<br />

«Eseljunge», weil er<br />

sich liebevoll um den Arbeitsesel<br />

Tsaki kümmert, den er auch, als es<br />

nötig wird, zum Arzt bringt. Eine<br />

warmherzig erzählte Geschichte und<br />

eine kleine Griechenland-Hommage!<br />

Gerstenberg 2014, Fr. 17.90,<br />

ab 8 Jahren<br />

Bilder: ZVG<br />

Ein grosser Wald in Russland,<br />

einige Tagesmärsche<br />

von St. Petersburg<br />

entfernt: Hier wächst<br />

das Mädchen Feo zur<br />

Zarenzeit in einer Waldhütte auf –<br />

inmitten von Wölfen. Feos Mutter<br />

ist eine Wildwolferin: Sie gewöhnt<br />

die Tiere, die Adlige als Haustiere<br />

hielten, wieder an ein Leben in der<br />

Wildnis. Doch Feos Idylle ist<br />

bedroht: Der böse General Rakow<br />

will gegen die Wildwolfer vorgehen.<br />

Als seine Leute die Hütte abbrennen<br />

und Feos Mutter mitnehmen, kann<br />

das Mädchen sich und drei Wölfe<br />

retten. Gemeinsam mit dem Jungen<br />

Ilja, der genug vom Soldatendasein<br />

hat, macht sie sich auf den Weg<br />

Richtung St. Petersburg, um die<br />

Mutter zu befreien. Schutz vor der<br />

eisigen Kälte, die auch den Leserinnen<br />

und Lesern durch die Glieder<br />

zu fahren scheint, bieten alleine die<br />

Wölfe, an deren warme Körper sich<br />

die Kinder schmiegen und auf<br />

denen sie reiten, wenn die Füsse sie<br />

nicht mehr tragen mögen. Weitere<br />

Kinder schliessen sich dem Grüppchen<br />

an. Mittels einer List gelangen<br />

Kinder und Wölfe durch die Stadttore,<br />

und unterstützt vom Volk stürmen<br />

sie das Gefängnis. Feo kann<br />

ihre Mutter befreien.<br />

Katherine Rundells Geschichte<br />

ist nichts für Zartbesaitete. Die raue<br />

Natur, die wilden Tiere, der Kampf<br />

gegen die brutale Willkür und die<br />

Macht des Zusammenhaltes bieten<br />

jedoch alles für einen Abenteuerroman,<br />

der einen nicht so schnell<br />

wieder loslässt.<br />

Katherine<br />

Rundells<br />

Geschichte von<br />

Kindern und<br />

Wölfen ist nicht<br />

für Zartbesaitete.<br />

Anna Woltz:<br />

Für immer Alaska<br />

Parker vermisst<br />

ihre Hündin Alaska.<br />

Da taucht sie<br />

plötzlich vor der<br />

Schule auf – als<br />

Therapiehund für<br />

ihren Klassenkollegen Sven! Ein<br />

berührender Roman über Ängste,<br />

Mut und das Anderssein.<br />

Carlsen <strong>2018</strong>, Fr. 22.90,<br />

ab 10 Jahren<br />

Verfasst von Elisabeth Eggenberger,<br />

Mitarbeiterin des Schweizerischen<br />

Instituts für Kinder- und<br />

Jugendmedien SIKJM.<br />

Auf www.sikjm.ch/rezensionen sind<br />

weitere B uch empfehlungen zu finden.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2018</strong>73


Eine Frage – drei Meinungen<br />

Unsere Tochter ist 12 und lügt uns betreffend Hausaufgaben und<br />

Prüfungsnoten an. Seit acht Wochen hat sie uns keine Prüfungsblätter<br />

mehr zur Unterschrift gegeben. Auf unser Nachfragen gab sie zu,<br />

aus Angst nichts gesagt zu haben (ihre Noten sind abgesackt). Wir sind<br />

absolut ratlos – was empfehlen Sie uns? Daniela, 41, und Jörg, 46, Wangen BE<br />

Nicole Althaus<br />

Ich weiss nicht genau, was sie<br />

so absolut ratlos macht: die<br />

schlechten Noten der Tochter<br />

oder deren Angst, Ihnen die<br />

Prüfungsergebnisse zu<br />

zeigen? Mir würde das Zweite<br />

sehr viel mehr Sorge bereiten<br />

als die schlechten Noten. Ihre<br />

Tochter steht kurz vor dem<br />

Übertritt in die Oberstufe. Das ist für Kinder das erste<br />

Mal im Leben, in dem aufgrund von Leistung Weichen<br />

gestellt werden. Eine neue und auch stressvolle<br />

Erfahrung, die vielleicht das Absacken der Noten<br />

erklärt. Helfen Sie Ihrer Tochter im Umgang mit Stress<br />

und versuchen Sie möglichst nicht auch noch Druck<br />

aufzubauen. Er führt selten zu Glanzleistungen.<br />

Stefanie Rietzler<br />

In diesem Alter brechen bei<br />

vielen Jugendlichen die Noten<br />

ein. Oftmals machen ihnen<br />

der Übertritt und eine<br />

entsprechend strengere<br />

Bewertung zu schaffen.<br />

Manchmal entwickeln sich<br />

mit dem höheren Druck<br />

Prüfungsängste. Häufig treten<br />

durch die Pubertät andere Themen zeitweise in den<br />

Vordergrund, etwa neue Freundschaften, körperliche<br />

Veränderungen oder eine erste Verliebtheit.<br />

Signalisieren Sie Ihrer Tochter: Wir wissen, dass es<br />

solche Phasen geben kann. Wir sind für dich da und<br />

fänden es schön, wenn du auf uns zukommst, damit<br />

wir gemeinsam Lösungen finden können.<br />

Peter Schneider<br />

Erstens: Wie dramatisch<br />

sind die Noten denn<br />

abgesackt? Bringt es nicht<br />

vielleicht etwas, dass sie<br />

Ihrer Tochter erklären,<br />

daran könne man auch<br />

wieder etwas ändern, aber<br />

eine Katastrophe sei das<br />

jedenfalls nicht. Zweitens:<br />

Gibt es handfeste Gründe für die Verschlechterung<br />

(Liebeskummer, eine blöde Lehrerin, Krach mit der<br />

besten Freundin)? Helfen Sie, wo Sie helfen können,<br />

aber verfallen Sie nicht in übereifrigen Aktionismus.<br />

Versuchen Sie selber die Ruhe und Zuversicht und<br />

Sicherheit auszustrahlen, die Ihre Tochter im Moment<br />

nicht hat, aber braucht.<br />

Nicole Althaus, 49, ist Chefredaktorin Magazine,<br />

Kolumnistin, Autorin und Mitglied der<br />

Chefredaktion der «NZZ am Sonntag». Zuvor war<br />

sie Chefredaktorin von «wir eltern» und hat den<br />

Mamablog auf «Tagesanzeiger.ch» initiiert und<br />

geleitet. Nicole Althaus ist Mutter von zwei<br />

Kindern, 18 und 14.<br />

Stefanie Rietzler ist Psychologin, Autorin<br />

(«Erfolgreich lernen mit ADHS») und leitet die<br />

Akademie für Lerncoaching in Zürich.<br />

www.mit-kindern-lernen.ch<br />

Peter Schneider, 59, arbeitet als Psychoanalytiker<br />

und Kolumnist in Zürich. Bis 2017 war er Professor<br />

für Entwicklungs- und Pädagogische Psychologie<br />

in Bremen; zurzeit lehrt er Geschichte und<br />

Wissenschaftstheorie der Psychoanalyse in Berlin.<br />

Haben Sie auch eine Frage?<br />

Schreiben Sie eine E-Mail an:<br />

redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />

Bilder: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo, Pino Stranieri, HO<br />

74 März <strong>2018</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Ruf Lanz<br />

Soziale Kontakte können Menschen<br />

mit Autismus Angst einjagen.<br />

Auch Menschen mit Autismus sehnen sich nach sozialen Kontakten. Leider fällt es ihnen<br />

sehr schwer, in eine gelungene Interaktion zu treten. Deshalb haben sie grosse Schwierigkeiten<br />

bei den täglichen Begegnungen mit ihren Mitmenschen, was in ihnen Angst<br />

und Stress auslöst. Bitte reagieren Sie mit Verständnis. www.autismusforumschweiz.ch


Vorteil Volg : Nah, einfach<br />

& kinderfreundlich.<br />

Einkaufen –<br />

gleich um<br />

die Ecke.<br />

Jana Gafner muss im Volg auch an<br />

«Wichtigeres» denken – an das, was nicht<br />

auf dem Postizettel steht: ans HEY, an die<br />

Gratis-Holzfigürli und ans «Chrömle».<br />

brandinghouse<br />

Ob zu Fuss oder mit dem Velo – im Dorf einkaufen<br />

geht schnell, ist bequem und macht Spass.<br />

Man kennt sich, man trifft sich, man hilft sich und<br />

tauscht sich aus. Das wird von Gross und Klein<br />

geschätzt. Besonders wenn Kinder alleine einkaufen<br />

und mit dem Postizettel noch etwas Hilfe brauchen.<br />

Volg .Im Dorf daheim.<br />

In Leissigen BE zuhause.

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