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Exklusive Leseprobe "Träume bleiben ohne Reue"

»Und wenn es bis zum Ende nur noch einen einzigen schönen Moment gibt, einen, wie ich unzählige in den letzten Tagen erlebt habe, dann hat es sich gelohnt.« (Edda Mochnitz) – Edda, schnodderige Ex-Puffmutter, lebt im Altenheim und pflegt ihr Image als Scheusal. Darin wird sie bestärkt, als sie die tödliche Diagnose ALS erhält. Innerlich beginnt Edda sofort, ihren Abgang zu planen. Wilma, Eddas neue Mitbewohnerin, begegnet deren Gehässigkeit mit Herzlichkeit. Nach Anfangsschwierigkeiten erklärt sich Wilma sogar bereit, Edda bei ihrem Abgang mithilfe der "Beklopptengang" zu unterstützen. Der Altenpflegeschüler Vincent nennt sie »mon général«, wühlt unerlaubt in Schränken, die Schülerin Laura hat auf nichts Bock und schleudert das Jesuskind an die Wand. Und was wollen der Herrgott in Eddas Badezimmer und der schwarze Vogel auf dem Fensterbrett? – Leserstimme: »Spritzig, unterhaltsam und doch nachdenklich. Kann nur Edda …« (Lese-paradies)

»Und wenn es bis zum Ende nur noch einen einzigen schönen Moment gibt, einen, wie ich unzählige in den letzten Tagen erlebt habe, dann hat es sich gelohnt.« (Edda Mochnitz) –

Edda, schnodderige Ex-Puffmutter, lebt im Altenheim und pflegt ihr Image als Scheusal. Darin wird sie bestärkt, als sie die tödliche Diagnose ALS erhält. Innerlich beginnt Edda sofort, ihren Abgang zu planen. Wilma, Eddas neue Mitbewohnerin, begegnet deren Gehässigkeit mit Herzlichkeit. Nach Anfangsschwierigkeiten erklärt sich Wilma sogar bereit, Edda bei ihrem Abgang mithilfe der "Beklopptengang" zu unterstützen. Der Altenpflegeschüler Vincent nennt sie »mon général«, wühlt unerlaubt in Schränken, die Schülerin Laura hat auf nichts Bock und schleudert das Jesuskind an die Wand. Und was wollen der Herrgott in Eddas Badezimmer und der schwarze Vogel auf dem Fensterbrett? – Leserstimme: »Spritzig, unterhaltsam und doch nachdenklich. Kann nur Edda …« (Lese-paradies)

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Victoria Suffrage<br />

<strong>Träume</strong><br />

<strong>bleiben</strong><br />

<strong>ohne</strong> Reue<br />

Roman


<strong>Exklusive</strong> <strong>Leseprobe</strong><br />

1. Auflage<br />

März 2018<br />

Texte: © Copyright by Victoria Suffrage<br />

Alle Rechte vorbehalten.<br />

Lektorat:<br />

Elsa Rieger, www.elsarieger.at<br />

Michael Lohmann, www.worttaten.de<br />

Korrektorat & Buchsatz:<br />

Petra Schmidt, www.lektorat-ps.com<br />

Kapitel-Illustration:<br />

Astrid Gavini, astridgavini.blogspot.de<br />

Covererstellung:<br />

Designenlassen.de, Marktplatz für Kreativdienstleistungen GmbH<br />

Herstellung und Verlag:<br />

BoD – Books on Demand GmbH<br />

In de Tarpen 42, 22848 Norderstedt<br />

TWENTYSIX – der Self-Publishing-Verlag<br />

Eine Kooperation zwischen der Verlagsgruppe Random House<br />

und BoD – Books on Demand<br />

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in<br />

der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische<br />

Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar.<br />

ISBN: 978-3-7407-4513-4


1<br />

Ich lasse die Bettdecke jetzt so lange über meinem<br />

Kopf, bis diese impertinente Person aus dem Zimmer<br />

verschwindet. Egal, ob durch die Tür oder das<br />

Fenster. Verschwunden! Weg! Aufgelöst!<br />

Genau, aufgelöst, am besten in Salzsäure. Wie<br />

der fesche Harry damals, der die ›Luna Bar‹ betrieb<br />

und den GIs die Kohle aus der Tasche zog. Angeblich<br />

hat er sogar Elvis abgefüllt. Habe ich ihm nie<br />

geglaubt und geholfen hat es ihm auch nicht.<br />

Aber die Fuffziger – schön war es. Ich gerade<br />

mal achtzehn und mit meinen langen blonden<br />

Haaren der Schwarm von allen. Mir lag die Welt<br />

zu Füßen – in der ›Luna Bar‹. Und der Freddy,<br />

wenn ich an den denke. Schwarze Haare wie<br />

Humphrey. Wenn der überhaupt schwarze hatte,<br />

gab ja nur Schwarz-Weiß-Fernsehen. Oder<br />

Jimmy, der Mann mit den längsten Fingern der<br />

Welt. Geklaut hat der wie ein Rabe. Kein Wunder,<br />

was Normales arbeiten ging ja <strong>ohne</strong> Beine nicht,<br />

die lagen in Russland oder Frankreich. Was weiß<br />

ich denn. Waren sowieso kaum deutsche Männer<br />

da. Die in meinem Alter soffen woanders und die<br />

alten wie Hans, Franz oder Max waren entweder<br />

vom Krieg verschluckt worden oder Johnny, Francis<br />

und Mäks geworden. ›Mäks, der will Sex, doch<br />

Johnny bumst Conny‹, haben wir immer gerufen.<br />

3


»Edda, kommen Sie, wir wollen frühstücken!«<br />

Diese Stimme wieder. Wer hat dem Frauenzimmer<br />

nur so eine Stimme gegeben, das ist ein Verstoß<br />

gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Und wer<br />

hat die in mein Zimmer gelegt? In mein verficktes<br />

Zimmer in dieser Altenabsteige? ›Edda‹, wie die<br />

schon meinen Namen ausspricht. Sieht die nicht,<br />

dass ich unter der Bettdecke liege? Ich würde<br />

gern noch schlafen, es ist kaum sechs Uhr vorbei.<br />

Letzte Woche konnte ich es hervorragend, als<br />

ich das Zimmer für mich allein hatte. Vor einer<br />

Woche … Ich kann es nicht genug beklagen. Leidet<br />

an seniler Bettflucht, diese Wilma.<br />

»Edda!«<br />

»Frau von Mochnitz für Sie, wie oft soll ich<br />

das noch wiederholen?« Genervt werfe ich die<br />

Bettdecke zurück und erwische den Nachttisch.<br />

Nicht nur den, sondern auch die Becher und<br />

Wasserflaschen.<br />

Klong.<br />

Wilma schaut entsetzt, was mir ein Grinsen<br />

entlockt. Kurz, dann bin ich wieder ernst. Gibt<br />

ja nichts zu lachen hier. Wenigstens ist sie sprachlos.<br />

Obwohl sie mir schon ein wenig leidtut. Im<br />

Grunde kann sie ja nichts dafür, dass sie bei mir<br />

gelandet ist.<br />

Die Stille hält nur einen Augenblick an, dann<br />

klopft es an der Tür und Pflegerin Monika steht<br />

im Zimmer. Bei mir ist sie die Schwester Rabiata,<br />

gelegentlich werde ich ihr das mal unter die Nase<br />

reiben. Wenn sie nicht damit rechnet! Sie hat nur<br />

blöd mit den Schultern gezuckt, als ich sie fragte,<br />

wer diesen Zuzug angeordnet hat. Ich merke mir<br />

alles, so wahr ich Edda heiße. Siebenundsiebzig ist<br />

kein Alter, sondern eine Kampfansage, werden die<br />

hier auch noch merken.<br />

4


»Was ist denn hier passiert?« Monika steht<br />

mitten im Zimmer und schaut streng. Ihre Hände<br />

presst sie in die Hüften, was sie noch breiter macht.<br />

Schlimmer aber ist ihr Kommandoton. Als ob ich<br />

ein kleines Kind wäre, dem man mit Popokloppe<br />

drohen kann. Leider sind die hier alle so drauf,<br />

außer Roxy und Vincent. Die sind Schüler, also<br />

noch nicht versaut.<br />

»Wir hatten gerade Gruppensex, und als die<br />

Kerle durch das Fenster abgehauen sind, hat es den<br />

Nachttisch erwischt. War sozusagen der Nachtisch.«<br />

Ich könnte losbrüllen, denn Wilma läuft rot an.<br />

Sieht man sogar durch ihre Falten. Prüdes Weib!<br />

Und mit so was muss ich das Zimmer teilen.<br />

»Ach, Frau Mochnitz …«<br />

»Von Mochnitz, die Zeit sollten Sie sich nehmen,<br />

Kindchen.«<br />

Monika sagt nichts mehr und holt ihr Desinfektionsmittel<br />

aus der Kittelschürze. Ist denen ihre<br />

Hygienevorschrift: ›Bei Kontakt mit Gegenständen<br />

der Bew<strong>ohne</strong>r sind vorher und nachher die<br />

Hände zu desinfizieren und Handschuhe zu tragen.‹<br />

Die hätten damals ihre Freude in der ›Luna<br />

Bar‹ gehabt. Da gab es nur selten Gummi.<br />

»Ich helfe Ihnen, Monika!« Typisch Wilma, die<br />

wird bald merken, dass einschleimen nicht hilft.<br />

Hier wird nur Dienst nach Vorschrift gemacht.<br />

»Nein, lassen Sie mal, Wilma. Das ist mein<br />

Job.« Monika setzt ein Lächeln auf, künstlich, und<br />

stellt alles zurück. Die wissen schon, warum sie<br />

uns nur diesen Plastikscheiß geben.<br />

»So, fertig, und nun auf, die Damen, Frühstück<br />

wartet.« Husch, und raus ist Monika wieder. Die<br />

Klingel ist gegangen. Könnte wetten, dass es Herbert<br />

aus Zimmer fünf ist, der sein Gebiss nicht<br />

findet. Macht der mit Absicht, jeden Morgen um<br />

5


dieselbe Zeit. Ich schaue auf meine Uhr, es scheint<br />

inzwischen halb sieben zu sein. Muss ja, wegen<br />

Herbert. Genau kann ich die kleinen Zeiger nicht<br />

erkennen. Mir auch egal, ich mag meine Junghans-Uhr,<br />

und wenn ich allein bin, dann kann ich<br />

ja die Brille aufsetzen.<br />

»Kommen Sie denn jetzt mit zum Frühstück,<br />

Frau Malochnitz?«<br />

»Von Mochnitz!«<br />

»Von Molschnitz.«<br />

Ich gebe es auf, bei der ist Hopfen und Malz<br />

verloren. Oder Hirn.<br />

»Gehen Sie doch schon mal vor, ich muss noch<br />

meine Morgentoilette machen. Das dauert.«<br />

Jetzt freut sich Wilma offensichtlich. Anscheinend<br />

bin ich eine Spur zu nett gewesen, so bekomme<br />

ich die nie aus dem Zimmer geekelt. Und<br />

die muss hier wieder raus, das steht fest.<br />

»Ich kann warten, bis Sie auf dem Klo waren.<br />

Kein Problem.«<br />

»Herr, wirf Hirn vom Himmel!«<br />

»Also Edda, Sie sollten nicht so über den<br />

Herrn sprechen.«<br />

›Über den Herrn?‹ Dieses Weib hat massig<br />

Sand im Getriebe, damit kann man die Nordsee<br />

stilllegen. Angeblich ist die 1940 geboren, wie<br />

ich. Das halte ich für eine Lüge, wahrscheinlich<br />

weiß die nicht mal mehr, wann sie der Esel im<br />

Galopp verloren hat. Kein Vergleich zu mir. Kaum<br />

zu glauben, wie man sich als Mensch dermaßen<br />

vernachlässigen kann. Graue Haare, unlackierte<br />

Fingernägel – und die Kleider. Stillos, einfach nur<br />

stillos. Von ihrem Gang will ich gar nicht sprechen,<br />

der muss der Metzger Schweinshaxen angenäht<br />

haben, ungegrillt. Die Knödel oben hat er<br />

dabei vergessen, sehe ich genau.<br />

6


»Es gibt keinen Herrn, nirgendwo. Oder meinen<br />

Sie, ein Allmächtiger würde so was zulassen?«<br />

Meine unerwünschte Bettnachbarin schaut<br />

betroffen, als hätte ich ihr die Butter vom Brot<br />

geklaut. Fast sieht es aus, als hätte sie Tränen in<br />

den Augen. Wie kann man nur so empfindlich<br />

sein. Beinah bedaure ich sie, was ich sofort hasse.<br />

Schon das zweite Mal an diesem Morgen, dass<br />

ich sentimental werde. Am besten wechsle ich das<br />

Thema.<br />

»Wilma, Morgentoilette bedeutet, ach, vergessen<br />

Sie es.« Nein, kein Mitleid. Never.<br />

»Ich kann auch warten, wenn Sie kacken<br />

müssen. Nicht schlimm.«<br />

»Wilma!« Ich gebe es auf und schiebe mich<br />

aus dem Bett. Mein rechtes Bein will nicht so,<br />

wie ich es will. Wieder kein Gefühl darin und<br />

ich habe Mühe, mich nicht auf den Hintern zu<br />

setzen. Bestimmt ist es besser, wenn ich im Bad<br />

war. Wenn nicht, dann fällt das Frühstück aus. Ich<br />

werde den Teufel tun, neben Wilma wie eine Ente<br />

in den Frühstückssaal zu watscheln. Das macht<br />

eine von Mochnitz nicht.<br />

Ausnahmsweise verzichte ich darauf, den<br />

Morgenmantel auf den Weg ins Bad anzuziehen,<br />

auch wenn ich damit viel mondäner wirke.<br />

Nehme aber mein blaues Kleid und Unterwäsche<br />

mit. Sind ja bloß ein paar Schritte. Es muss<br />

heute eine Ausnahme <strong>bleiben</strong>, damit fängt es<br />

nämlich an, mit der Schlamperei. Außerdem soll<br />

Wilma nicht sehen, dass ich mich nur schwer<br />

beherrschen kann, um nicht laut loszulachen.<br />

Morgentoilette und kacken. Die hat sie doch<br />

nicht alle.<br />

*<br />

7


Ist das zu fassen? Diese Person hat ihre Zahnbürste<br />

einfach in meinen Becher gestellt und ihre<br />

Haarbürste liegt direkt neben meiner. Mit Haaren<br />

drin, ich sehe es genau. Ich will wirklich nicht<br />

eskalieren, aber es gibt Dinge, die gehen nicht.<br />

Und hier, im Waschbecken: ein Haar, ein weißes.<br />

Kann nur von ihr sein, meine Haare sind immer<br />

noch wunderbar blond. Friseurblond. Sofort<br />

nach dem Frühstück werde ich mit dieser Wilma<br />

ein ernsthaftes Wort reden, wer hier was hinlegen<br />

darf. Immerhin ist es mein Zimmer, sie ist<br />

nur zugereist. Obwohl, dann macht sie sich vielleicht<br />

Hoffnung, dass sie <strong>bleiben</strong> darf, und dies<br />

ist ausgeschlossen. Ich habe ein Recht auf meine<br />

Privatsphäre. Mir doch egal, was in dem Vertrag<br />

steht. Den habe ich mit dieser Altenabsteige nur<br />

abgeschlossen, weil er meinen finanziellen Dispositionen<br />

entsprach. Oder weil ich scheißendreck<br />

pleite war. Bin. Mir gleich doppelt egal. Bisher<br />

habe ich noch alle rausgeekelt, dann klappt das<br />

auch bei dieser Unperson.<br />

Für einen Moment tut sie mir leid. Schon<br />

wieder, ich werde altersmilde. Weihnachten vor<br />

dem Abkratzen. Aber nicht leid genug. Ich muss<br />

schließlich sehen, wo ich bleibe.<br />

Duschen mag ich nicht. Schaffe ich nicht mit<br />

dem Bein und die Hand ist auch wieder komisch.<br />

Wie eingeschlafen, nur anders. Kleine Wäsche<br />

muss reichen. Kleid anziehen, die Haare zusammenstecken<br />

und ein leichtes Make-up. Der rote<br />

Lippenstift darf nicht fehlen. Ist zwar alles Perlen<br />

vor die Säue, aber das stört mich nicht. Einen<br />

Vorteil hat die frühe Zeit: Dann kommen nur die<br />

frühstücken, die es noch allein schaffen.<br />

Einige der Männer sind auch nicht schlecht.<br />

Ich könnte die Story mit der Morgentoilette<br />

8


erzählen. Natürlich erst, wenn alle fertig mit dem<br />

Frühstück sind, ich habe ja Benehmen. Lustig ist<br />

das sicher. Allerdings bringt es nichts, denn die<br />

reden sowieso kein Wort mit mir. Nicht mehr,<br />

wegen der Agathe und dem Doktor Schlüter. Ich<br />

glaube, die drehen sich sogar extra weg. Mir egal,<br />

das kann eine von Mochnitz nicht beeindrucken.<br />

Ich hatte es in meinem Leben so oft mit Spießern<br />

zu tun, ich habe ein dickes Fell.<br />

So, fertig. Nach der Morgentoilette kommt das<br />

Klo. Die sind hier wirklich angenehm hoch, muss<br />

ich zugeben. Nur mit dem engen blauen Kleid ist<br />

es blöd. Garantiert hat es durch das Hochziehen<br />

gleich Falten, kann ja schlecht durchpinkeln.<br />

»Schon wieder so garstig am frühen Morgen?«<br />

Verdammte Lottelei, woher kommt diese<br />

Stimme? Und dann noch eindeutig männlich. In<br />

meinem Bad! Ich schaue mich vorsichtig im Raum<br />

um und kann nichts sehen. Erleichterung. Wahrscheinlich<br />

habe ich schon Wahnvorstellungen,<br />

kein Wunder, bei diesem Belagerungszustand.<br />

»Willst du mir nicht antworten?«<br />

Da, noch mal. Ich bin doch nicht bescheuert?<br />

Ohne mich zu bewegen, schau ich noch mal<br />

genau, in jede Ecke. Tatsächlich, rechts von mir,<br />

gleich neben der Dusche, steht ein Mann. Ein<br />

Mann! Und ich auf dem Klo? Wer ist das? Ich<br />

habe den hier noch nie gesehen. Weiße Hosen,<br />

weißer Pulli, muss ein neuer Pfleger sein. Ruhig,<br />

Edda, ganz ruhig.<br />

»Wer hat Ihnen eigentlich erlaubt, mich zu<br />

duzen?« Meine Stimme klingt leider nicht empört<br />

genug, das konnte ich früher besser. Außerdem<br />

habe ich nicht alle Tassen im Schrank. So ein<br />

Wüstling schaut mir beim Pinkeln zu und ich<br />

beklage die Etikette.<br />

9


»Ich duze alle meine Schafe.« Der Kerl grinst<br />

und hat die Ruhe weg.<br />

Bei mir leistet der Herzschrittmacher eine Sonderschicht.<br />

Soll er auch, wegen dem Scheißding<br />

habe ich diese hässliche Narbe, die der Metzger<br />

von einem Chirurgen als unauffällig bezeichnet<br />

hat, der Vollhonk.<br />

»Schafe? Sie verschwinden jetzt sofort und ich<br />

werde mich bei der Heimleitung beschweren!« Ich<br />

brülle.<br />

»Edda, haben Sie mich gerufen?« Wilma klopft<br />

an der Badtür, das hat mir gerade noch gefehlt.<br />

Sicher fühlt sie sich durch ›Schaf‹ angesprochen<br />

und hat ›verschwinden‹ ignoriert. Obwohl, wenn<br />

sie jetzt reinkommt, dann habe ich gleich eine<br />

Zeugin für diese Tat.<br />

»Kommen Sie ruhig herein, Wilma.« Ein<br />

Zuschauer mehr oder weniger beim Pinkeln, wen<br />

interessiert es? Ich wende den Blick nicht von dem<br />

Typen, kann nur im Augenwinkel sehen, dass die<br />

Türklinke immer wieder nach unten gedrückt wird.<br />

»Die Tür ist zu.« Wilmas Stimme raubt mir<br />

den letzten Nerv.<br />

Habe ich auch gesehen, also dass sie nicht<br />

aufging. Wie aber ist dieser Spanner dann hereingekommen?<br />

Das Badfenster ist viel zu klein. Da<br />

passt dieser Verschnitt aus Danny de Vito und Atze<br />

Schröder nicht hindurch. So langsam bekomme<br />

ich Panik. Habe ich selbst abgeriegelt oder hat der<br />

uns eingeschlossen? In drei Schritten wäre ich an<br />

der Badtür, dann könnte ich sie aufschließen. Das<br />

ginge schnell. Bis ich allerdings meinen Schlüppi<br />

oben und das Kleid unten habe, dauert das eine<br />

Ewigkeit. Außerdem sieht der dann meine …<br />

mein Ding. Gerda. Habe ich früher zu ihr gesagt,<br />

als ich sie noch in Betrieb hatte. Ich kichere leise.<br />

10


»Wilma, ich komme gleich. Einen Moment<br />

noch.« Das Rütteln an der Türklinke hört auf.<br />

»Beruhige dich, Edda, ich will dir nur Gutes<br />

bringen. Dir beistehen bei dem, was jetzt kommen<br />

wird.«<br />

»Beistehen? Mir braucht keiner beistehen oder<br />

beisitzen. Ich hätte bloß verdammt noch mal gern<br />

eine Antwort: Wer sind Sie und was machen Sie<br />

hier?«<br />

»Sag ›du‹, Edda. Ich bin dein Vater. Oder<br />

Gott. Wie du magst.« Der Typ lehnt sich wie<br />

selbstverständlich gegen die Wand. Als wäre es<br />

sein Bad.<br />

Vater, Gott, ich weiß nicht, welche Pillen dieser<br />

Typ nimmt, aber die will ich auch. Was soll<br />

ich jetzt nur machen? Reden! Jawohl, am besten<br />

reden. Habe ich mal in einem Thriller gesehen.<br />

Vielleicht ist der Kerl ja ein Massenmörder. Oder<br />

der Gärtner, kommt auf das Gleiche raus.<br />

Ich muss eine Beziehung zu ihm aufbauen.<br />

Aber Gott? An einem anderen Ort würde ich mir<br />

vor Lachen in den Schlüppi puschen, wenn der<br />

das behaupten würde. Geht hier nicht, habe keinen<br />

an. Der liegt auf meinen Fußknöcheln wie<br />

eine Ziehharmonika.<br />

»Okay, Herr Gott. Wie komme ich zu der<br />

Ehre Ihres Besuches, wenn ich gerade auf dem Klo<br />

sitze?« Ein Grinsen kann ich mir nicht verkneifen,<br />

unterdrücke es sofort wieder.<br />

»Nicht Herr Gott, wenn, dann Herrgott.«<br />

Der Typ faltet seine Hände vor dem Bauch und<br />

lächelt. Wenn das die Nummer ›gütiger Blick‹ sein<br />

soll, dann ging das echt daneben. So wie der jetzt,<br />

schaut Karl aus Zimmer 13, wenn er den ganzen<br />

Tag ›ficken!‹ ruft. Der ist dement im Stadium drei.<br />

»Wann hast du sonst meinen Besuch erwartet?«<br />

11


Gar nicht, würde ich ihm am liebsten an den<br />

Kopf schmettern, traue mich aber nicht. Killer,<br />

Edda! Beziehung aufbauen!<br />

»Herr Gott, also Herrgott …« Verdammt, ich<br />

muss das Spiel mitspielen. »Es gibt doch geeignetere<br />

Orte als ein Bad und diese … Situation.«<br />

»Stimmt, mein Kind. Das letzte Mal habe ich<br />

dich damals am 24. Dezember 1950 in der Kirche<br />

gesehen.«<br />

Knall!<br />

Doppelknall.<br />

Flashback.<br />

Ich fühle mich, als hätte mir jemand ein Brett vor<br />

den Kopf gehauen. Heiligabend 1950, das stimmt.<br />

Flashback.<br />

Schnee, Zöpfe, roter Rock im Schottenmuster,<br />

war irgendwann mal eine Sofadecke. Als die<br />

durchgesessen war, machte Mutter aus den Resten<br />

einen Rock für mich.<br />

Woher weiß der das? Der ist doch noch keine<br />

fünfzig und war zu der Zeit noch Quark im<br />

Schaufenster. Und kennen? Nein, ich kenne<br />

den nicht. Jedenfalls werde ich den Teufel tun<br />

und mich mit irgendjemandem darüber unterhalten,<br />

dass ich mit zehn Jahren in die Kirche<br />

gelatscht bin. Upps, Teufel, schlechter Ansatz<br />

gerade. Woher …? Büchlein, der hat in meinem<br />

Lebensbüchlein geschnüffelt. Ich fasse mir sofort<br />

an den Hals.<br />

Erleichterung. Die Kette mit dem Schlüssel zu<br />

meiner Herzenskiste habe ich um.<br />

Bin ich eigentlich nur bekloppt? Völlig egal,<br />

woher der das weiß. Ein fremder Kerl steht in<br />

meinem Bad und schaut mir beim Pinkeln zu.<br />

Ich habe ganz andere Probleme. Nur, was sage ich<br />

jetzt dazu?<br />

12


»Gut, das mit der Kirche stimmt, wenn ich<br />

mich richtig erinnere. Sie wissen ja, in meinem<br />

Alter hat man schon so viel vergessen.«<br />

»Ach Edda, ich kenne alle meine Kinder. Und<br />

dein Verstand ist genauso scharf wie deine Zunge.«<br />

Wieder das debile Grinsen in Karls Manier.<br />

Der zieht die Nummer mit dem Gott durch.<br />

Vielleicht ist er ein Neuzugang hier, von dem ich<br />

nichts mitbekommen habe? Einer von den Psychos<br />

wie der Horst, der früher bei Karl im Zimmer war<br />

und jetzt in der Geschlossenen ist. Der hielt sich<br />

für Erich Honecker und hat im Frühstücksraum<br />

unentwegt Reden für die ›Genossinnen und Genossen‹<br />

gehalten. Gebrüllt hat der, da haben sich<br />

einige beschwert. Die Hörax, die Oberaufseherin<br />

hier, hat das nicht gestört. Bis Horst sie für seine<br />

Margot hielt und ständig Bruderküsse wollte.<br />

Müsste ja eigentlich Schwesternküsse heißen, aber<br />

egal. Da war er dann schnell weg.<br />

Gut, ich mache einen Test.<br />

»Also, wenn du Gott bist, wie hießen meine<br />

Mutter und mein Vater?«<br />

»Katharina und Georg.«<br />

Hmm.<br />

»Mein erster Mann?«<br />

»Du warst nie verheiratet, zumindest nicht<br />

mit meinem Segen.«<br />

Hmm, hmm.<br />

»Mach das Wasser hier zu Wein!«<br />

»Ich bin Gott, nicht Jesus!«<br />

Mist, Eigentor, ist aber mein kleinstes Problem.<br />

Außerdem reicht es mir jetzt. Ich greife nach<br />

der Klobürste rechts neben mir und springe damit<br />

vom Klo, genau auf den Typen zu. Scheiße, mein<br />

Kreuz. Der Schmerz macht mich gleich noch wütender.<br />

Verdammte Lottelei.<br />

13


»So, nimm das, du Spanner! En garde!«<br />

»Edda, geht es Ihnen gut?« Wilma klopft<br />

erneut an der Tür, hämmert. Ich schaue kurz zur<br />

Tür und zurück in die Ecke … er ist immer noch<br />

weg. Beinah schade, sonst könnte ich diese Nervensäge<br />

draußen damit ärgern, dass ich Gott mit<br />

einer Klobürste verjagt habe. Flüchtender Feigling,<br />

der.<br />

Grinse. Zu schade aber auch.<br />

»Ich komme. Außerdem heißt es von Mochnitz,<br />

verdammt.«<br />

»Was denn?«<br />

Ich gebe es auf.<br />

»Lassen Sie uns frühstücken gehen, Wilma.<br />

Schweigend!«<br />

Wilma nickt und plappert munter weiter.<br />

14


2<br />

Der Frühstücksraum ist mäßig gefüllt. Totenstille,<br />

passend zu dem Grau draußen, das den November<br />

schon einen Monat früher ankündigt. Wetter war<br />

früher auch mal besser.<br />

Wilma steuert direkt den Tisch am Fenster an.<br />

Hätte ich ebenfalls genommen. Ich setze mich ihr<br />

gegenüber und vermeide es, nach den anderen zu<br />

sehen. Beinahe ist mir Wilmas Gesellschaft recht.<br />

Sofort bereue ich das.<br />

»Hallo Hermann, hast du gut geschlafen?«<br />

Wilma plärrt durch den ganzen Frühstücksraum<br />

und alle glotzen zu unserem Tisch. Demonstrativ<br />

rücke ich meinen Stuhl in Richtung Fenster und<br />

schaue hinaus.<br />

»Was meenste mit de Schafe?«<br />

»Geschlafen! Geruht! Gut geruht.«<br />

»Ick schlaf ned mit der Ruth, ick bin doch mit<br />

de Marina verheiratet. Schon balde fünfundvierzig<br />

Jahre.«<br />

»Hermann, ich meine …«<br />

»Schluss jetzt.« Ich schlage mit der Hand<br />

auf den Tisch, dass die Tassen klirren und der<br />

Kaffee auf die Unterteller schwappt. Ich bin<br />

genervt. Wilma schaut mich entgeistert an und<br />

der Rest der Schar betreten nach unten. »Der<br />

Hermann ist taub und ich wünschte, ich wäre es<br />

15


auch, damit ich mir nicht diesen Stuss anhören<br />

muss.«<br />

»Ich wollte doch nur freundlich sein.«<br />

»Wir sind hier in der Alten-WG und nicht im<br />

Puff.«<br />

»Also Edda.«<br />

»Still.« Jetzt zische ich nur noch wütend.<br />

Wilma gibt auf und nimmt sich einen Toast.<br />

Dabei zieht sie eine Schnute. Mir doch egal.<br />

»Das ist typisch die Molochnitz, diese garstige<br />

Hexe.«<br />

Ich muss mich nicht umdrehen, ich weiß, von<br />

wem der Satz kommt. Monika und selber Hexe.<br />

Immer zweimal mehr. Sogar zu blöd zum Flüstern<br />

ist die. Wahrscheinlich will sie mich provozieren,<br />

diese einfältige Kuh. Ich tu der jetzt nicht den<br />

Gefallen und drehe mich um. Der nicht. So eine<br />

Einzellerin.<br />

An dem Tisch auf der anderen Seite sitzt<br />

Käthe, das arme Luder. Parkinson hat die. Damit<br />

kriegt sie es nicht auf die Reihe, ihre Kaffeetasse<br />

an den Mund zu bekommen. Die Hälfte der<br />

Brühe ist bereits auf dem Pullover und dem Tisch<br />

gelandet.<br />

»Kann da nicht wer helfen? Was ist das hier für<br />

ein beschissener Verein?«<br />

Wilma zuckt zusammen, der Rest ignoriert<br />

mich ebenso wie Käthe. Dass jetzt mal jemand<br />

vom Personal kommt – Fehlanzeige.<br />

Ich greife nach dem Toast und meine blöde<br />

Hand will einfach nicht zufassen. Nicht das erste<br />

Mal in der letzten Zeit. Genauso, wie mein rechtes<br />

Bein immer wieder spinnt. Vielleicht habe ich<br />

mir vorhin wehgetan, als ich Wilma davon abhalten<br />

musste, dem Hermann weiter auf den Sack zu<br />

gehen.<br />

16


Extra langsam drehe ich mich zu Monika um,<br />

drücke den Rücken durch, so gut er es noch zulässt.<br />

Und Kopf nach oben.<br />

»Das heißt von Mochnitz, Teuerste. Außer<br />

dieser Korrektur verzichte ich darauf, auf Ihr Niveau<br />

herabzusteigen.«<br />

Monika blickt auf den Marmeladentoast,<br />

der auf ihrem Teller liegt. Nicht mal ordentlich<br />

geschmiert ist der. Die andere Alte, die mit am<br />

Tisch sitzt und deren Name mir jetzt nicht einfällt,<br />

schaut ebenfalls nach unten. Keine Antwort. Das<br />

ist typisch. Behandelt mich nur wie Luft, ihr dummen<br />

Weiber, ich werde einfach nichts mehr sagen.<br />

Nichts mehr …<br />

»Kindisches Verhalten. Erst Beleidigungen<br />

durch den Raum werfen und dann tauber<br />

Hermann spielen!« Das musste noch. Ich wende<br />

mich wieder Wilma zu. Von der Pest zur Cholera.<br />

Die sieht betreten auf den Boden. Ganz sicher hat<br />

sie den Ausspruch von der Monika auch gehört.<br />

Jetzt könnte sie sich ruhig etwas solidarisch zeigen.<br />

Immerhin dulde ich sie in meinem Zimmer.<br />

»Guten Morgen, die Damen und Herren,<br />

hallo, Frau von Mochnitz, mon général.« Vincent<br />

kommt fröhlich pfeifend in den Frühstückssaal<br />

geschneit und setzt sich einfach zu mir und Wilma.<br />

Wenn das Rabiata sieht, dann gibt es einen<br />

Anschiss. Vor zwei Monaten hat dieser hübsche<br />

Kerl eine Ausbildung angefangen, nimmt sich<br />

ganz schön was raus.<br />

»Moin, Vincent. Seit wann hast du um diese<br />

Uhrzeit so gute Laune? Zu viel am Sterillium geschnüffelt?«<br />

»Ich habe jetzt Feierabend. Außerdem bekomme<br />

ich bei Ihnen immer gute Laune. Wollen wir<br />

17


eine Bank überfallen? Ich hätte Zeit.« Er streift<br />

die Kapuze des Pullovers über seinen Kopf, seine<br />

rötlichen Haare. Gangsterlook. Soll es wohl sein.<br />

Ich grinse ihn an und Wilma schaut wie eine<br />

Lokomotive.<br />

»Heute nicht. Mein Hexenbesen ist in Reparatur.«<br />

Schade, dass ich Monikas Gesicht nicht<br />

sehen kann. Gehört haben muss sie es.<br />

»Okay, dann suche ich mir einen anderen<br />

Komplizen.« Vincent steht wieder auf.<br />

»Kannst ja die Laura nehmen.«<br />

Ha, Treffer und versenkt, er läuft rot an. Irgendwie<br />

ertappt und doch nicht. Laura hat mit<br />

ihm die Ausbildung hier begonnen und ich fresse<br />

den Hexenbesen in der Waagerechten, wenn zwischen<br />

den beiden nichts läuft.<br />

»Ich arbeite nur mit Profis.« Zwinkert Wilma<br />

zu, sagt es und weg ist er. Schade.<br />

Ich schlürfe den Rest meines Kaffees und<br />

grinse vor mich hin. Frühstück hat sich doch gelohnt,<br />

nur wegen diesem Racker. Ich wette, wenn<br />

ich nachher im Zimmer bin, liegt eine Kippe in<br />

meinem Nachtschrank. Dabei hat der doch nur<br />

wenig Geld.<br />

*<br />

»Frau von Mochnitz, wenn Sie fertig mit dem<br />

Frühstück sind, dann kommen Sie bitte in mein<br />

Büro.«<br />

Ich kenne die Stimme. Madame Hörax, ihres<br />

Zeichens Anstaltsleiterin, pardon, Heimleiterin<br />

persönlich. Heimleitung, das Wort sagt ja alles.<br />

Das Vergnügen ›Heim‹ hatte ich als Kind, vier<br />

beschissene Jahre lang, bis ich abgehauen und bei<br />

Hans untergekommen bin. Da war ich siebzehn,<br />

18


fast achtzehn. Ich verdränge die Erinnerung und<br />

werfe den Toast zurück auf den Teller. Gerade<br />

wollte der Tag doch noch schön werden mit Vincent<br />

– und jetzt diese Person.<br />

»Ich bin fertig! Kaviar und Lachs sind ja<br />

offensichtlich gerade ausgegangen.« Dann blicke<br />

ich zur Tür und dort steht die Hörax. Macht sie<br />

immer, sie kommt nicht in den Speisesaal, weiß<br />

der Geier warum.<br />

Sie lehnt im Türrahmen mit einem aufgesetzten<br />

Lächeln.<br />

»Dann können Sie gern gleich mitkommen.«<br />

19


3<br />

Das Lächeln hält wie mit Drei-Wetter-Taft fixiert.<br />

Ihre Augen verraten sie, die sind nämlich trüb.<br />

Bei einem ehrlichen Lachen müssten sie strahlen.<br />

Hier strahlt niemand. Weder die Hörax noch die<br />

anderen Gefangenen, ehm … Bew<strong>ohne</strong>r.<br />

Heim eben.<br />

Damals hat auch niemand gestrahlt. Da war<br />

man froh, wenn man den regelmäßigen Prügelstrafen<br />

entgangen war.<br />

Ich stehe auf und gehe hinter der Hörax her.<br />

Die läuft wie auf Kommando in Richtung ihres<br />

Büros. Mein rechtes Bein ist die Hölle, verdammte<br />

Lottelei. Ich muss mich zusammenreißen, dass<br />

ich nicht humple. Der Weg vom Speisesaal bis<br />

zum Zentrum der Macht ist elend weit. Der Linoleumfußboden<br />

ist schäbig und abgewetzt von<br />

den ganzen Rollatoren, die ihn täglich bearbeiten.<br />

Dafür sind die Wände vollgehängt mit Bildern,<br />

die die Bew<strong>ohne</strong>r in ihrer Kunststunde hier<br />

malen.<br />

›Kunststunde!‹ Nette Bezeichnung für Beschäftigungstherapie<br />

für Arme. In der Grundschule<br />

gab es wenigstens noch stolze Eltern für diese<br />

sinnbefreiten Klecksereien. Hier gibt es nichts.<br />

Nur den Gang, das schäbige Linoleum und die<br />

bekloppten Bilder. Durchweht vom Gestank nach<br />

20


Pisse und Desinfektionsmittel. So riecht es immer<br />

und überall hier.<br />

»Kommen Sie rein, Frau von Mochnitz.« Tackerlächeln<br />

hält mir die Tür auf. »Und nehmen<br />

Sie bitte Platz.«<br />

Ich wuchte mich mit einer Zeitverzögerung<br />

von gefühlten zwei Stunden in einen der schweren<br />

Sessel, die vor dem Schreibtisch stehen. Die<br />

Hörax ist schon dahinter verschwunden; Sicherheitsabstand,<br />

ich weiß das. Mit ein wenig Anstand<br />

wäre sie neben mir gelaufen, aber dies kann man<br />

heute nicht mehr erwarten. Ist mir auch recht, für<br />

Smalltalk fehlt mir die Laune.<br />

»So, Frau von Mochnitz, wir müssen mal miteinander<br />

reden.«<br />

Da ist es wieder, dieses ›wir‹. Wir essen jetzt,<br />

wir spielen jetzt, wir reden jetzt … nein, verdammt,<br />

mach du doch und ich entscheide dann,<br />

ob ich es will.<br />

Die Heimleiterin starrt mich an und wartet<br />

wohl auf eine Reaktion. Nicht von mir. Ich starre<br />

zurück und warte, dass sie die Kröte ausspuckt,<br />

die ich schlucken soll.<br />

»Also, Frau von Mochnitz, Sie haben hier einen<br />

Heimvertrag über ein Doppelzimmer abgeschlossen.«<br />

Ihr Lächeln ist plötzlich im Gefrierschrank<br />

verwahrt, wo es meistens verstaut ist.<br />

»Innerhalb der zwei Jahre hier haben Sie bereits<br />

vier Bew<strong>ohne</strong>r aus Ihrem Zimmer ... nennen wir<br />

es verwiesen. Das geht so nicht weiter.«<br />

»Agathe hat den Abgang gemacht, schon<br />

vergessen?«<br />

»Frau Kleinklee ist verstorben, richtig. Dann<br />

<strong>bleiben</strong> noch drei Damen, die sich in dem<br />

Zimmer zusammen mit Ihnen nicht wohlgefühlt<br />

haben.«<br />

21


»Da kann ich doch nichts dafür.« Kann ich<br />

wohl, aber dies werde ich Kommissarin Hörax<br />

nicht sagen.<br />

»Jedenfalls ist es so, Frau von Mochnitz: Wenn<br />

es jetzt mit Frau Hensel nicht klappt, dann müssen<br />

wir den Vertrag mit Ihnen kündigen.«<br />

»Mit mir kündigen?« Die spinnen wohl, wo<br />

soll ich denn dann hin? Mir ist ganz schlecht, aber<br />

nicht nur wegen dieser Drohung. Allein schon<br />

vor Wut. Was mache ich denn? Ich will einfach<br />

ein Zimmer für mich allein haben. Hat man mit<br />

siebenundsiebzig nicht das Recht, ein Zimmer für<br />

sich allein zu bew<strong>ohne</strong>n? Scheiß auf die Kohle!<br />

Jeder Knastling hat eine eigene Zelle.<br />

Stopp, stopp, stopp, ich darf mich nicht aufregen,<br />

muss gelassen <strong>bleiben</strong>. Nur keine Schwäche<br />

zeigen. Ruhig jetzt, Edda.<br />

»Gut, Frau Hörax, ich werde dies mit meinen<br />

Anwälten besprechen.«<br />

Jetzt lächelt die Hörax wieder, nein, grinst.<br />

»Wir haben das mit unserer Rechtsabteilung<br />

bereits abgeklärt. Entweder halten Sie sich an<br />

die Hausordnung, und dazu zählt auch ein<br />

freundlicher Umgang mit den Mitbew<strong>ohne</strong>rn,<br />

oder wir ziehen Konsequenzen.«<br />

Peng! Treffer und versenkt. Die droht mir<br />

glatt, mich hier rauszuschmeißen. Eine Edda<br />

von Mochnitz. Mit siebenundsiebzig. Was soll<br />

ich dann machen? Wohin? Die Hörax mit ihren<br />

knapp dreißig, die findet garantiert irgendwas.<br />

Aber ich? Ich hasse diese Gans. Am liebsten würde<br />

ich die Tastatur von diesem PC-Dingens nehmen<br />

und ihr über den Schädel hauen. Da ist Grinsen<br />

für die nächsten paar Wochen ausgeschlossen.<br />

Wie redet die denn mit mir? Als wäre ich nichts,<br />

ein Nichts und Niemand.<br />

22


Wilma, ich könnte mit der …<br />

»Ich werde mit der Wilma reden, vielleicht<br />

will die ja …«<br />

»Frau von Mochnitz, wir haben mit der Wilma,<br />

also Frau Hensel gesprochen. Sie möchte in<br />

dem Zimmer mit Ihnen <strong>bleiben</strong>. Wenn Sie mit<br />

jemandem sprechen wollten, dann mit Doktor<br />

Völker, der versucht Sie schon seit Tagen zu erreichen.«<br />

Wilma, Völker, so langsam dreht sich alles in<br />

mir. Das ist zu viel für einen Morgen. Ich nicke<br />

nur noch und versuche aufzustehen. Geht nicht.<br />

Meine Beine versagen ihren Dienst, dieses Mal<br />

nicht nur das rechte. So eine verdammte Scheiße.<br />

Gerade jetzt, wo ich der Hörax zeigen müsste, dass<br />

sie nicht gewonnen hat. Ich versuche es nochmals.<br />

Geht nicht.<br />

»Frau von Mochnitz, ist alles in Ordnung?«<br />

Ich nicke, geht noch. Dann befehle ich meinen<br />

Beinen, endlich meinen Arsch zu bewegen.<br />

Machen sie – nicht.<br />

23


4<br />

Ich liege in meinem Bett und habe wieder die<br />

Bettdecke über den Kopf gezogen. Schwester Monika<br />

hat mich im Rollstuhl zurück ins Zimmer<br />

gefahren. Höhepunkt der Erniedrigung durch die<br />

Hörax. Wilma ist auch im Zimmer und summt<br />

irgendwas von Aroma und Paloma vor sich her.<br />

Falsch natürlich. Ich weiß nicht, was mich im<br />

Moment am meisten beschäftigt. Der angedrohte<br />

Rauswurf oder der Völker. Oder dass sich meine<br />

Beine schon wieder wie Arschlöcher benommen<br />

haben.<br />

Doktor Völker ist gar nicht so schlecht. Mitte<br />

vierzig und genau meine Kragenweite, wenn<br />

ich auf Grünzeug stehen würde. Aber die Uhr ist<br />

wohl abgelaufen. Zig Untersuchungen hat der in<br />

den letzten Wochen mit mir gemacht. Nicht nur<br />

der, auch ein Neurologe, dessen Gruselnamen ich<br />

schon vergessen habe. Selbst im Krankenhaus war<br />

ich einen Tag, war nicht besser als hier, wenn man<br />

vom Durchschnittsalter absieht. Trotzdem eine<br />

willkommene Alternative zu der Kaserne da. Ich<br />

hätte ihn ja angerufen, wenn ich nicht diese blöde<br />

Ahnung hätte. Und die Wilma nervt auch. Was<br />

soll ich jetzt mit der machen? Klein beigeben? Ich<br />

möchte ein Zimmer für mich allein haben. So<br />

schwer zu verstehen? Und wenn ich mit ihr rede?<br />

24


Sinnlos, so wie sie sich hier längst breitgemacht<br />

hat.<br />

»Was wollte denn die Frau Hörax von Ihnen,<br />

Edda? Sie klang ja nicht so freundlich.«<br />

Da ist es wieder. Ich will einfach nur in meinem<br />

Bett liegen und dieses Weib plappert mich<br />

voll. Wenigstens hat sie auch gemerkt, dass Madame<br />

Heimleitung ihr Lächeln nur aufgesetzt hatte.<br />

Macht sie mir etwas sympathischer, die Wilma.<br />

Etwas! Aber was soll ich ihr jetzt sagen? Dass es um<br />

sie ging und meine … meine Auszugsstrategien?<br />

Besser nicht.<br />

Ich streife die Bettdecke zurück und schaue<br />

nach Wilma. Sie sitzt an dem einzigen Tisch<br />

hier und belegt einen der beiden Stühle. Wenn<br />

ich jetzt Besuch bekäme, dann wüsste ich nicht<br />

mal, wo ich mich mit dem hinsetzen soll. Außerdem<br />

würde ich gern telefonieren, allein.<br />

Geht auch nicht. Hat keinen zu interessieren,<br />

was ich mit dem Völker zu besprechen habe.<br />

Vielleicht kann ich sie ja etwas verschrecken,<br />

dass sie freiwillig auszieht. Einen Versuch ist es<br />

wert.<br />

»Es ging um Agathe, nichts Besonderes.«<br />

»Was war denn mit der Agathe, Edda?«<br />

»Nichts. Agathe ist gestorben.«<br />

»Jetzt erzählen Sie bitte, ich bin doch so<br />

neugierig.«<br />

Wilma schleicht um mein Bett wie die Katze<br />

um die Wurst. Oder war es der Hund um den Brei?<br />

Ich werde noch kirre. Sie hängt wie ein Wurm an<br />

der Angel und wartet, dass ich es ihr erzähle. Ein<br />

bisschen lasse ich sie zappeln.<br />

»Bitte, Edda.«<br />

Dieses Frauenzimmer ist schlimmer als ein<br />

kleines Kind.<br />

25


»Also gut, aber nur, wenn Sie danach Ruhe<br />

geben.« Und möglichst freiwillig ausziehen, weil<br />

Sie nicht in dem Zimmer <strong>bleiben</strong> wollen, in dem<br />

jemand gestorben ist, füge ich in Gedanken hinzu.<br />

Wobei mir mein Plan plötzlich nicht mehr so<br />

clever erscheint. Ein Zimmer <strong>ohne</strong> Totenzugabe<br />

wird hier die Seltenheit sein. Vielleicht sollte ich<br />

von Geistern … Besser nicht. Wenn die das der<br />

Hörax erzählt, dann bin ich fällig.<br />

Eifriges Nicken von Wilma.<br />

»Diese Agathe, Agathe Kleinklee, die war<br />

früher mit mir in einem Zimmer. Genauso eine<br />

imp… äh, genauso eine Bew<strong>ohne</strong>rin. Da stand<br />

mein Bett noch hinter der Tür da vorn und das<br />

andere direkt unter dem Fenster.«<br />

»Das war bestimmt gemütlich.« Wilma<br />

wackelt mit den Armen, als wolle sie eine La Ola<br />

in Gang setzen.<br />

»Wollen Sie die Geschichte jetzt hören oder<br />

nicht?«<br />

»Ja, ja, ich bin ja schon still. Aber das Bett<br />

unter dem Fenster hätte ich auch gern gehabt.«<br />

Ich zähle langsam bis drei, um nicht zu explodieren.<br />

In meiner Vorstellung tanzt Agathe als<br />

Geist im Nachthemd und grinst mich gehässig an.<br />

Schnell alles hinter mich bringen und dann die<br />

Ruhe genießen.<br />

»Jedenfalls war Agathe gestorben und …«<br />

»Oh, die Arme.«<br />

»Wilma! Die Pflegemonster hatten den Doktor<br />

Schlüter gerufen, der sollte den Totenschein<br />

ausstellen. Begeistert wird der nicht gewesen sein,<br />

war kurz nach Mitternacht. Außerdem ist der<br />

Schlüter noch ziemlich jung, der hat garantiert<br />

noch nicht viele Tote gesehen.«<br />

»Ich auch nicht.«<br />

26


Ich kille Wilma gleich. Herrschaftszeiten,<br />

kann die nicht für einen Moment ruhig sein. Stinkig,<br />

ich werde gleich stinkig. Entsprechend stiere<br />

ich sie an. Diese Sprache versteht sie und hält sich<br />

sofort die Hand vor den Mund.<br />

»Schlüter kam irgendwann, machte die<br />

Zimmertür auf und rief: ›Frau Kleinklee, Frau<br />

Kleinklee!‹. Als ob eine Tote antworten könnte.<br />

Und mich hat der gute Doktor nicht gesehen, weil<br />

er kein Licht gemacht hat und mein Bett hinter<br />

der Tür war.«<br />

»Hat Frau Kleinklee, also die Agathe was<br />

gesagt?«<br />

»Klar, die hat sich einen Cognac bestellt.«<br />

Ich atme hörbar durch, gutes Mittel gegen den<br />

Wahnsinn. Wahnsinn namens Wilma. »Natürlich<br />

nicht, sie war tot. Ich habe gerufen: ›Ruhe hier, ich<br />

will schlafen!‹«<br />

Jetzt kann ich nicht anders und muss laut loslachen.<br />

Zu komisch, diese Situation. Ich konnte<br />

Schlüter nämlich sehen, an der Tür vorbei und im<br />

Flur ist es immer so hell. Von Stromsparen haben<br />

die nix gehört.<br />

»Warum lachen Sie denn jetzt, Edda?«<br />

»Weil ich an Schlüters Gesichtsausdruck<br />

denken muss. Der hat völlig entgeistert geschaut<br />

und die Tür wieder zugehauen.« Ich lache schon<br />

wieder. Das war ja auch lustig. Die anderen Frister,<br />

so nenne ich die Dauerparker bis zum Tod, fanden<br />

das nicht komisch. Besonders, weil der Schlüter<br />

seither nicht mehr kommt.<br />

»Der arme Mann.« Wilma schluchzt.<br />

War mir gleich klar, dass man mit der nicht<br />

reden kann. Ich ziehe die Bettdecke demonstrativ<br />

wieder nach oben und schaue sie durch eine Art<br />

Schlitz an. Hoffentlich wird sie das jetzt verstehen.<br />

27


Scheint so, denn sie geht zur Tür. Ich schließe<br />

die Augen und atme aus.<br />

Endlich.<br />

Endlich.<br />

… zu früh gefreut.<br />

»War an Agathes Bett ein Licht zu sehen, als<br />

sie gestorben ist?« Wilma blickt mich gespannt<br />

wie ein kleines Kind an. Voller Hoffnung.<br />

Ich schüttle den Kopf und sie haut endlich ab.<br />

Offensichtlich enttäuscht.<br />

*<br />

Jetzt kann ich auch die Bettdecke wegmachen. Es<br />

ist eine Affenhitze hier drinnen. Anstatt mich zu<br />

freuen, dass ich endlich allein bin, muss ich ständig<br />

an Wilmas Frage denken und an ihren enttäuschten<br />

Gesichtsausdruck. Warum erwarten die Menschen,<br />

dass nach dem Abnibbeln noch was kommt?<br />

Weil sie in der Kirche zu oft Märchen gehört haben?<br />

Dass das Sterben damit leichter geht, halte ich<br />

für ein Gerücht. Gut, die Agathe ist ganz friedlich<br />

eingeschlafen, habe nicht mal ich gemerkt, wenn<br />

nicht nachts plötzlich die ganzen Pfleger und später<br />

der Schlüter aufgetaucht wären. Ich habe auch<br />

keine Ahnung, ob sie an irgendwas geglaubt hat.<br />

Der Alfons, früher zwei Zimmer weiter, jetzt<br />

auf einem Friedhof, der hat an Gott geglaubt.<br />

Soll ein pensionierter Pfarrer gewesen sein, habe<br />

ich mitbekommen. Drei Tage und Nächte hat der<br />

geschrien, bis er es endlich geschafft hatte. So viel<br />

zum Thema Glauben.<br />

»Was hat die Art des Sterbens mit dem<br />

Glauben zu tun, liebe Edda?«<br />

Ich zucke zusammen, habe niemanden reinkommen<br />

gehört. Auf dem Bett sitzt der Typ, den<br />

28


ich heute Morgen mit der Klobürste verjagt habe.<br />

Kann der Gedanken lesen? Und was macht der<br />

schon wieder hier?<br />

»Was wollen Sie von mir? Haben Sie keine<br />

Wand, mit der Sie sich unterhalten können? Raus<br />

hier!«<br />

»Aber Edda, wir waren doch schon beim Du.<br />

Außerdem hast du mich gerufen.«<br />

»Ich habe überhaupt nichts gemacht!« Was<br />

bildet sich dieser Wüstling, dieser unverschämte<br />

Ex-Badbesetzer ein?<br />

»Du hast dich mit Sterben und Glauben<br />

beschäftigt. Da habe ich mir gedacht, dass du<br />

vielleicht Fragen hast. Ich bin für meine Schafe<br />

da, wenn sie nicht weiterwissen. Und ich will dir<br />

jetzt beistehen.«<br />

Der meint das ernst, das ist offensichtlich. Ich<br />

muss unbedingt herausfinden, ob es in dieser Absteige<br />

einen Neuzugang gegeben hat. Horst hielt<br />

sich auch für Honecker, warum soll sich der hier<br />

nicht für Gott halten? Keine Ahnung, wie der die<br />

Sache mit dem Bad getrickst hat, noch dazu gerade,<br />

als ich auf dem Klo saß. Unfassbar!<br />

Was für ein Tag heute! Dann die Monika beim<br />

Frühstück, diese … diese Hexenverleumderin,<br />

die hält sich für was Besseres. Ist sie aber nicht.<br />

Die war Friseurin und hat allen die Fettlocken gekrault.<br />

Fachfrau für Fettlocken und Klatsch und<br />

Tratsch, genau das war sie und sonst nichts.<br />

»Edda, Horst und Monika sind uninteressant.<br />

Es geht um dich, um deinen Glauben, dein<br />

Leben.«<br />

Verdammte Lottelei, jetzt wird es unheimlich.<br />

Der Typ muss eine Halluzination sein. Da kann<br />

ich nur sagen, halleluja, es ist so weit, ich verblöde.<br />

Was soll ich machen? Mich vielleicht mit meiner<br />

29


Wahnvorstellung unterhalten? Das geht nicht, ich<br />

will nicht in die Geschlossene. Ignorieren, ja, ignorieren<br />

ist das Beste. Wenn ich den selbst ernannten<br />

Gott nicht sehe, dann gibt es ihn nicht.<br />

»Gott existiert nicht, ich glaube nicht und ich<br />

werde Sie ab sofort ignorieren.«<br />

»Dich!«<br />

»Meinetwegen ignoriere ich dich. Hauptsache,<br />

ich ignoriere. Also nicht in Tränen ausbrechen<br />

und beleidigt sein, das ist mein letztes Wort!« Ich<br />

schaue den Kerl an, der unverdrossen in Karls<br />

Manier grinst. Wie schon heute früh. Am liebsten<br />

würde ich ihm ›ficken, ficken!‹ zurufen, aber das<br />

geht nicht mehr wegen der Ignoriererei. Schade<br />

eigentlich, hätte ich mir vorher überlegen sollen.<br />

Obwohl, der ist ja nicht real, dann wäre ich quasi<br />

das Double von Karl. Schrecklicher Gedanke.<br />

»Edda.«<br />

»He?« Mist, der Wahntyp ist immer noch da.<br />

»Dein Ignorieren, wie du es nennst, machst du<br />

doch schon dein Leben lang. Erinnerst du dich,<br />

1950 warst du das letzte Mal in der Kirche. Und<br />

beten, beten habe ich dich auch selten gehört.<br />

Wenn man von ›Lieber Gott, gib mir einen<br />

Schnaps‹ absieht.«<br />

Langsam wird es mir zu bunt. Woher weiß der<br />

das mit dem Schnaps? Und wieso verschwindet er<br />

nicht?<br />

»Das mit dem Schnaps ist ja wohl egal.<br />

Außerdem wird es funktionieren, ich antworte<br />

nicht mehr.« Ich drehe mich demonstrativ dem<br />

Fenster zu. Dauert wieder ewig, mein Körper ist<br />

im Lahmmechanismus.<br />

»Aber Edda, mein Schaf …«<br />

»Nix da mit Schaf!« Scheiße, jetzt habe ich<br />

mich provozieren lassen, ich wollte doch nichts<br />

30


mehr sagen. Mist. Aber für das Schaf hat dieser<br />

Idiot eine in die Fresse verdient.<br />

»Ach Edda, ich selbst habe euch alle zu Schafen<br />

auf meiner Weide gemacht. Hole dir eine Bibel<br />

und lies im Psalm 100 nach. Und außerdem, dies<br />

will ich dir sagen: Man kann nur etwas ignorieren,<br />

das es gibt. Also weißt du im Herzen, dass es mich<br />

gibt.« Der ist schlau, versucht, mich zu manipulieren.<br />

Ich stehe also vor der Wahl: entweder Wahnvorstellungen<br />

oder Gott als gegeben zu akzeptieren.<br />

Mensch, Edda, verdammt, lass dir etwas einfallen.<br />

Aber was?<br />

Garantiert weiß dieser Typ auch, vor welchem<br />

Dilemma ich stehe. Der Wahnsinn ist in meinem<br />

Kopf und bestimmt meine Gedanken. Und Gott<br />

kennt sie. Ich kenne nur keinen vernünftigen<br />

Grund, warum Gott besser sein soll als Wahnsinn.<br />

Nicht einen einzigen. Und Vernunft, ha, jetzt muss<br />

ich doch grinsen.<br />

»Okay, junger Mann.« Bei dem Wort ›jung‹<br />

schummle ich, mir doch egal. ›Kleiner Fettsack‹<br />

wäre sicher gerade nicht zuträglich. »Dann gehen<br />

wir mal davon aus, dass du Gott bist. Welche Beweise<br />

hast du dafür?«<br />

»Liebe Edda, Gott muss sich nicht beweisen.<br />

Beweise du mir doch das Gegenteil.«<br />

»Ich?« Allmählich geht der mir auf den Sack,<br />

bildlich gedacht. »Ich beweise hier mal gar nichts<br />

und damit ist jetzt endgültig Schluss.«<br />

Der grinst schon wieder, dieses Grinsen macht<br />

mich aggressiv. Garantiert habe ich wieder Blutdruck<br />

wie nach einem Marathonlauf.<br />

»So ist gut, Edda. Beweise sind kalt, materiell.<br />

Glaube ist Herzenssache.«<br />

»Arschloch!«<br />

31


*<br />

»Mit wem reden Sie denn, Edda?« Wilma steht vor<br />

meinem Bett und starrt mich an wie ein Küken,<br />

wenn es blitzt. Dafür ist der Typ verschwunden.<br />

Gerecht ist das nicht wirklich.<br />

»Mit Gott!« So, das haue ich ihr einfach mal<br />

an den Kopf.<br />

Wilma klatscht in die Hände und strahlt über<br />

das ganze Gesicht.<br />

»Das ist gut, Edda. Wollen wir einen Gebetskreis<br />

machen?«<br />

Hat sie noch alle Tassen im Schrank? Langsam<br />

lasse ich das Kopfteil meines Bettes nach oben<br />

fahren. Wilma nimmt dies wohl als Zustimmung<br />

und setzt sich auf mein Bett. Auf mein Bett!<br />

»Runter hier, bevor es Tote gibt.«<br />

Sofort springt diese impertinente Person herunter.<br />

Springen ist übertrieben, sie nimmt einfach<br />

ihren dürren Greisenarsch von meiner Matratze.<br />

»Aber Edda, wir wollten doch …«<br />

»Wir wollten überhaupt nichts.«<br />

Jetzt starrt sie wieder enttäuscht, was mir schon<br />

beinahe Schuldgefühle macht. Aber nur beinahe.<br />

Doch warte mal, ich könnte …<br />

~ Ende der <strong>Leseprobe</strong> ~<br />

Die Taschenbuchausgabe ist überall im Handel<br />

erhältlich sowie in jeder Buchhandlung bestellbar.<br />

Das E-Book finden Sie bei Amazon.<br />

Besuchen Sie die Autorin bei Facebook:<br />

www.facebook.com/victoria.suffrage<br />

32


Victoria Suffrage schreibt seit vielen Jahren,<br />

hat aber erst 2013 den Schritt in die Öffentlichkeit<br />

gewagt und den Erzählband »Mein wundervolles<br />

Pariser Mädchen« veröffentlicht. Ein Jahr später<br />

erschien der Roman »Das Murmelglas«, den sie<br />

gemeinsam mit Enya Kummer geschrieben hat.<br />

Der Roman »… also nachm Regenbogen um<br />

sechs Uhr abends« wurde für die Shortlist des<br />

Deutschen Selfpublishing-Preises 2017 nominiert.<br />

Wer sich auf Geschichten von Victoria<br />

Suffra ge einlässt, sollte wissen, dass er keine Heile-Welt-Lektüre<br />

vorfindet. Aber – es sind keine<br />

Geschichten, die von Ausweglosigkeit erzählen.<br />

Einmal in die nachdenkliche, manchmal auch<br />

melancholische Welt der Autorin eingetaucht,<br />

wird der aufmerksame Leser ob des hohen Wiedererkennungswertes<br />

auch Trost in diesen sorgfältig<br />

erzählten und komponierten Geschichten<br />

finden.


»Das Murmelglas«<br />

Für jeden schönen Tag eine bunte Murmel in das Glas<br />

legen, um die Erinnerungen daran aufzubewahren – das<br />

ist Ziel der kleinen Lala, einem Mädchen voller Fantasie<br />

und Wissensdurst. Doch mit der Rückkehr des Stiefvaters<br />

aus dem Kosovo verdunkelt sich Lalas Leben, ein<br />

Albtraum voller Gewalt beginnt. Die Mutter, blind vor<br />

Liebe zum Exsoldaten, ignoriert die Not ihrer Tochter<br />

und hofft, dass bald wieder Normalität einkehrt. Lalas<br />

Hilferufe werden immer lauter und verzweifelter, doch<br />

niemand glaubt ihr. Als die Mutter schließlich stirbt,<br />

entkommt Lala den Fängen ihres Stiefvaters und zieht in<br />

ein Heim, wo sie Anne kennen lernt, die auch Schlimmes<br />

erlebt hat. Die Mädchen stützen sich gegenseitig in<br />

ihrer Verzweiflung, um mit dem Erlebten fertig zu werden.<br />

Langsam verblasst bei Lala das Bild des Stiefvaters,<br />

bis sie ihrem Peiniger erneut begegnet.


»… also nachm Regenbogen um sechs Uhr abends«<br />

„Melde gehorsamst, ich bin blöd, Herr Oberlajtnant“,<br />

… meint Paul, knapp an die achtzig, mit Sonnenschein<br />

im Herzen und manchmal auch im Kopf. Obwohl<br />

das Leben ein Arschloch ist. Muss ja weitergehen,<br />

irgendwie. Seine Frau Lissy ist gestorben, wartet auf<br />

ihn „nachm Regenbogen um sechs Uhr abends“. Und<br />

die 43-jährige Tochter schreit. Fast immer. Besonders,<br />

wenn Nuschi nicht da ist, das Katzenviech.<br />

Könnte er aushalten, gäbe es nicht die teuflische<br />

Nachbarin. Oder ist sie der siebenköpfige Drache? Wenigstens<br />

ist da Alex, sein Winnetou und Altenpfleger<br />

mit Hingabe und Humor.<br />

Dann ist Nuschi weg und es <strong>bleiben</strong> nur noch<br />

zwei Tage, bis Alex für immer gehen will. Paul und<br />

Alex machen sich auf. Mit einer Kühltasche. Eine Abschiedsreise<br />

nach Prag zur Moldau? Unterwegs lernen<br />

sie einen Tschechen kennen, den falschen „Gott“.<br />

Wird es die letzte Reise sein? Weiß Vojtech die<br />

Antwort auf alle Fragen, und welches Geheimnis bedrückt<br />

Alex?


»Sag mir wo die <strong>Träume</strong> sind«<br />

„Traurig, heiter, ironisch und mitreißend. Ein Buch,<br />

das berührt, bewegt und verändert.“ (Leserstimme)<br />

Ein Trauerfall. Rieke ist fassungslos – ihr geliebter<br />

Mann Meuchel hat sich Knall auf Fall in Richtung Jenseits<br />

verabschiedet. Was soll sie nach vierzig Jahren Ehe<br />

<strong>ohne</strong> ihn machen und was ist mit dem versprochenen<br />

Abenteuer?<br />

Ein harter Porno auf Meuchels Rechner, dazu ein<br />

lukrativer Verlagsvertrag, eine extrovertierte Freundin<br />

und acht Maulwürfe, die blöde Fragen stellen, bestimmen<br />

ihren Alltag.<br />

Wer ist Doink? Versinkt Riekes Leben endgültig<br />

im Chaos?

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