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Leseprobe Langstrecke 1/2018

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der mit europäischen Kollegen ein groß angelegtes<br />

Forschungsprojekt über Verschwörungstheorien<br />

initiiert hat.<br />

SZ: Herr Butter, das ganze Jamaikadebakel war<br />

doch abgekartet. Hat man uns nur so lange mit<br />

vermeintlichen Koalitionsverhandlungen hingehalten,<br />

um uns von Chemtrails und Reptiloiden<br />

abzulenken? Michael Butter: Klingt in verschwörungstheoretischer<br />

Logik plausibel. Aber man findet<br />

auf den einschlägigen Portalen kaum etwas zum<br />

Scheitern von Jamaika. Was daran liegen könnte,<br />

dass das, was bei den Verhandlungen passiert ist,<br />

Verschwörungstheorien im Kern zuwiderläuft.<br />

Warum? Eine Annahme von Verschwörungstheorien<br />

ist, dass die da oben alle unter einer Decke stecken.<br />

Das haben die Theorien mit populistischen Diskursen<br />

gemeinsam: Die etablierten Parteien machen alle gemeinsame<br />

Sache, das verkauft die AfD ihren Wählern<br />

täglich als Wahrheit. Das Scheitern der Verhandlungen<br />

zeigt aber, dass dem nicht so ist, sondern es ganz<br />

im Gegenteil große Unterschiede gibt und die Parteien<br />

auf ihren Prinzipien beharren.<br />

Sie haben ein internationales Forschungsprojekt<br />

zur vergleichenden Verschwörungstheorie mit angestoßen.<br />

Was genau erforschen Sie, und wer ist da<br />

dabei? Comparative Analysis of Conspiracy Theories<br />

ist ein EU-Projekt, das 150 Wissenschaftler aus 39<br />

Ländern und den verschiedensten Disziplinen – unter<br />

anderem Philosophie, Soziologie, Psychologie und<br />

Politikwissenschaft – vernetzt.<br />

Für viele Verschwörungstheoretiker seid ihr selbst<br />

eine Art wissenschaftlicher Geheimbund. Man<br />

sieht es schon an der Abkürzung Compact. Damit<br />

muss man leben. Wir machen unser nächstes Treffen<br />

bei Amsterdam jetzt auch im Hotel Bilderberg ...<br />

Für Verschwörungstheoretiker ist Bilderberg eine<br />

Chiffre für die ganz große Weltverschwörung der<br />

Machtelite. Ja. Da passen wir doch gut hin.<br />

Gibt es denn den typischen Verschwörungstheoretiker?<br />

Man findet Verschwörungstheoretiker in allen<br />

Ländern, quer durch alle Altersstufen und quer durch<br />

alle Bildungsschichten. Aber wenn man sich anschaut,<br />

wer solche Dinge momentan im Netz verbreitet und<br />

kommentiert, dann sind das meistens Männer über<br />

40.<br />

Verschwörungstheorien sind eine Methode, auf die<br />

eigene Marginalisierung und Bedrohung zu reagieren.<br />

Menschen, die sich ökonomisch oder kulturell<br />

abgehängt fühlen, bieten solche Theorien eine griffige<br />

und beruhigende Erklärung. Wenn das eigene<br />

Leid Ergebnis eines Komplotts ist, muss man ja nur<br />

den Schuldigen dingfest machen, dann kann man die<br />

Globalisierung oder die Veränderung der Rollenmuster<br />

zurücknehmen. Wenn man hingegen sagt, dass<br />

das strukturelle, gesellschaftliche Verschiebungen<br />

sind, an denen niemand „schuld“ ist, wird das viel<br />

schwieriger.<br />

Wie sieht es in anderen europäischen Ländern aus?<br />

Finden Sie und Ihre internationalen Kollegen überall<br />

dieselben Theorien, die bloß unterschiedlich<br />

populär sind, oder haben Zyprioten und Bulgaren<br />

andere Verschwörungsmythen als wir? Die meisten<br />

Theorien sind international, nehmen aber jeweils spezifisch<br />

nationale Formen an. Verschwörungstheorien<br />

sind ja immer Machttheorien, und in einer globalisierten<br />

Welt lokalisiert man die Macht stets an einem<br />

fernen Ort. In deutschen Verschwörungstheorien zur<br />

Finanz- oder Flüchtlingskrise ist Angela Merkel meist<br />

die Marionette internationaler Kräfte. Von Zypern<br />

„<br />

EINE METHODE,<br />

UM AUF<br />

DIE EIGENE<br />

MARGINALISIERUNG<br />

UND BEDROHUNG<br />

ZU REAGIEREN<br />

“<br />

NEUGIERIG, WIE’S<br />

WEITER GEHT?<br />

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