Rauszeit 2015-01
Das Kundenmagazin von Basislager, Camp4, Kletterkogel, Sack und Pack und SFU (Ausgabe 2015/01)
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RAUSZEIT Winter Sommer 2<strong>01</strong>4/<strong>2<strong>01</strong>5</strong> <strong>2<strong>01</strong>5</strong><br />
NACHGEFRAGT: Bo Hilleberg<br />
TERMIN BEI DR. ZELT<br />
Viele nennen ihn schlicht den »Zeltpapst«. Dass Bo Hilleberg eines der meistbegehrten Outdoor-Produkte geschaffen<br />
hat, i st allerdings eher eine natürliche Konsequenz seiner Denkweise. Mit fast 75 kann er zurückblicken auf ein Leben,<br />
das bestimmt war und ist von seinem Familiensinn, seiner grenzenlosen Liebe zur Natur und dem Fokus auf – man ahnt<br />
es – die besten Zelte der Welt.<br />
Manche Menschen haben dieses außergewöhnliche Charisma.<br />
Eine Aura, mit der sie ihre Mitmenschen in den<br />
Bann ziehen. Bo Hilleberg, den die meisten »Bosse« nennen<br />
dürfen, ist so ein Mensch. Schon der Nachname an sich<br />
löst bei vielen Outdoorern feuchte Augen aus. Bei denen,<br />
die ein Hilleberg-Zelt besitzen, vor Rührung und Stolz, bei<br />
dem Rest vor Wehmut. Um sein Lebenswerk zu begreifen,<br />
sollte man Bosse näher kennenlernen. Keine Starallüren,<br />
kein offensichtlicher Luxus, nur der Wunsch, dass die notwendigen<br />
Dinge im Leben funktionieren. Denn genau aus<br />
diesem Grund, oder besser weil eben genau das nicht der<br />
Fall war, können heute Outdoor-Abenteurer auf dem patagonischen<br />
Inlandeis oder den nordschwedischen Fjälls<br />
beruhigt in ihre Schlafsäcke kriechen, wenn draußen Mutter<br />
Natur mal wieder die Windmaschine angestellt hat.<br />
Denn hätte er sich damals, auf seinen wochenlangen Solo-<br />
Touren in der Wildnis des Sarek Nationalparks, nicht so<br />
maßlos über sein Zelt geärgert, dann gäbe es die grünen<br />
und roten Tunnel-, Kuppel- und Geodät-Modelle aus dem<br />
jämtländischen Frösön heute vermutlich nicht.<br />
Lässt man Bo Hilleberg aus dem Nähkästchen plaudern,<br />
lernt man einen Mann kennen, dessen Liebe zur<br />
Natur von klein auf einfach da war. Er wuchs in behüteten<br />
Verhältnissen im Südosten Schwedens, nahe der Stadt<br />
Söderköping, auf, der Vater ein Waldarbeiter, die Mutter<br />
Leiterin eines kleinen Geschäftes und Hausfrau. Der<br />
Weg zum nachbarlichen Bauernhof, um frische Milch zu<br />
holen, war begleitet von Naturgeräuschen – Wind in den<br />
Bäumen, das »Bellen« der Füchse, das Kreischen der<br />
Greifvögel. All das fasziniert Bosse. So viel Zeit wie möglich<br />
verbringt er im Freien. Oft allein, denn zum einen,<br />
so sagt er, kann man die Natur dann intensiver erleben,<br />
zum anderen war damals auf dem Land die Leidenschaft<br />
für das Freizeitthema Outdoor noch nicht sonderlich weit<br />
verbreitet. »Die Leute haben den ganzen Tag draußen<br />
gearbeitet, weil sie es mussten.« Erst später, während<br />
seines Militärdienstes in der »Mountain Ranger School«<br />
im nordschwedischen Kiruna und bei seiner Ausbildung<br />
in Forstwirtschaft lernt er Gleichgesinnte kennen. Zunächst<br />
favorisiert er den Wald, das Geschehen unterhalb<br />
der Baumgrenzen, dann zieht es ihn zunehmend in alpine<br />
Regionen. Immer mit dabei: ein nicht wirklich funktionierendes<br />
Zelt. 1971 gründet er die Hilleberg AB, einen<br />
Importeursbetrieb für finnische Forstausrüstung und<br />
kleine, den Wald schonende Maschinen. Parallel nehmen<br />
Ärger und Vision Formen an: Bosse tüftelt an seinen ersten<br />
Zelt-Prototypen. Seine Idee ist ebenso simpel wie revolutionär.<br />
»Ich wollte nicht nur ein starkes Zelt, das dem<br />
Wetter dieser rauen Region standhalten würde, sondern<br />
auch eines, dessen Innenzelt beim Aufbau im Regen nicht<br />
nass wird.« Der Gedanke klingt nicht nur für ihn logisch –<br />
und nach einiger Entwicklungsarbeit steht ein Firstzelt,<br />
in dem das Innenzelt bereits eingeknüpft ist. »Keb«, die<br />
Abkürzung für seinen geliebten Berg Kebnekaise, tauft<br />
Bo sein erstes »Hilleberg«. Das Zelt ist gut, wie soll es<br />
aber weitergehen? Er entschließt sich, den Forstmaschinenbetrieb<br />
einzustellen und alles auf die Karte Zelte zu<br />
setzen. Seine Frau Renate, die er 1971 im Skiurlaub in<br />
Tirol kennengelernt und bereits ein Jahr später mit Ehering<br />
am Finger nach Schweden »importiert« hat, näht die<br />
Zelte, Bo entwickelt und verkauft. Gut 40 Jahre später<br />
ist das Sortiment auf über 35 Modelle angewachsen, die<br />
Firma – mittlerweile international bekannt – nach wie vor<br />
ein Familienbetrieb. Tochter Petra leitet in Seattle das<br />
Geschehen der US-Tochterfirma, Sohn Rolf lenkte viele<br />
Jahre als Geschäftsführer den Betrieb in Europa und ist<br />
heute Aufsichtsrat bei Hilleberg und Präsident der Scandinavian<br />
Outdoor Group. Und Bosse? Der ist immer noch<br />
– neben Familienoberhaupt und CEO der Hilleberg Group<br />
– der Leiter der Produktentwicklung. Im Oktober 2<strong>01</strong>4<br />
erhielt er von der Universität Mid Sweden den Ehrendoktortitel<br />
für die jahrelange Zusammenarbeit in puncto<br />
Entwicklung. Von Ruhestand will er noch nichts wissen:<br />
»Warum sollte ich jetzt aufhören? Ich liebe meinen Job<br />
– außerdem macht es mir Freude, mit jungen, motivierten<br />
Leuten zu arbeiten.« Die Alten, so sagt er, tendieren<br />
immer dazu, in Erinnerungen zu schwelgen und nur über<br />
die Vergangenheit zu sprechen. Er wolle aber lieber nach<br />
vorne schauen, in die Zukunft, das sei spannender. Zugegeben,<br />
sein Arbeitspensum hat er auf 30 Prozent heruntergeschraubt.<br />
Aber die reichen oft, um seinen Vorstellungen<br />
ausreichend Ausdruck zu verleihen. Seine Frau<br />
Renate hat einmal über ihn gesagt, es sei seine größte<br />
Schwäche, immer Recht haben zu müssen – und seine<br />
größte Stärke, dass er eben meistens auch Recht habe.<br />
Wer so lange die Natur sein zweites Zuhause nennt,<br />
ist viel herumgekommen. Doch auch wenn lange Kanu-<br />
Expeditionen im hohen Norden Kanadas und Ausflüge<br />
in den Dschungel Borneos sein Tourenbuch zieren, am<br />
liebsten ist er »vor der Haustür« unterwegs. »Wir sind<br />
hier in Schweden so gesegnet mit grandioser Natur, es<br />
ist eigentlich absolut nicht notwendig, weiter wegzufahren.«<br />
Sein Lieblingsgebiet ist das Naturreservat Rogen in<br />
der Provinz Härjedalen, wohin er regelmäßig Touren mit<br />
der gesamten Hilleberg-Belegschaft unternimmt. Ob er<br />
mit fast 75 wirklich immer noch so oft in »seinen« Zelten<br />
schlafe? So oft es eben gehe. Der Unterschied sei nur,<br />
dass jetzt – im Alter – jeder sein eigenes Schlafzelt habe.<br />
Naja, ein bisschen Luxus darf es für Dr. Zelt schon sein.<br />
Text: Moritz Becher<br />
Fotos: Hilleberg, Moritz Becher<br />
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