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Leseprobe Langstrecke 2/2018

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Aber fad wurde es nie. Hat sich die Branche doch Ausführung einer Übung zu versichern. Männer und<br />

jedes Jahr einen neuen Trend ausgedacht, der interessiert<br />

beobachtet bis ausprobiert werden wollte. sie prahlten mit ihren Körpern, zeigten unverhohlen,<br />

Frauen zeigten sich in jeglicher Hinsicht nahezu nackt,<br />

Höchste Zeit, einen Erfahrungsschatz zu taxieren, zu was sie imstande waren. Der Umgang miteinan -<br />

der vielleicht wertvoll ist, ganz sicher aber teuer war. der war weniger ein Fall für Turnvater Jahn denn für<br />

Und so viel darf<br />

schon mal verraten werden: Am Ende<br />

warten phänomenale Ergebnisse.<br />

Die Muskeln<br />

Es ging nach dem Abitur los, Ende der Neunziger.<br />

Das Jahrzehnt war geprägt gewesen von physischen<br />

Extremerfahrungen, gesellschaftlich (Bungeespringen,<br />

Kitesurfen etc.) wie individuell (Pubertät). Der<br />

Höhepunkt der eigenen Karriere war schon im Alter<br />

von zehn Jahren erreicht – Vize-Niederbayerischer<br />

Meister im Tischtennisdoppel –, die folgenden Jahre<br />

waren sportlich geprägt von der Sorglosigkeit eines<br />

Fußball spielenden Kindes. Als Teenager aber entdeckte<br />

ich Sport als Mittel zur körperlichen Formung,<br />

in der Hoffnung, nicht nur in Mittelkreisen, sondern<br />

auch bei den Mädchen wettbewerbsfähig zu sein. Weil<br />

ich für die exotischen Sportarten zu mutlos und untalentiert<br />

war, suchte ich die örtliche Mucki-Bude auf.<br />

An der Wand<br />

hing damals noch ein Poster von Arnold<br />

Schwarzenegger, der Mann, der das Bodybuilding so<br />

populär gemacht hatte wie Jane Fonda das Aerobic.<br />

Ich machte mich daran, mich unauffällig irgendwo<br />

zwischen diesen beiden Strömungen einzuordnen.<br />

In dem Studio ging es erst mal um klassisches<br />

Pumpen, viel Ziehen, Drücken, Ächzen. Die Anweisungen<br />

des Trainers sollte man später eins zu eins<br />

nachlesen können, in Internetartikeln über „Die<br />

schlimmsten zehn Fehler beim Muskeltraining“.<br />

Die<br />

Arme blieben dünn, aber man hat etwas gelernt über<br />

das Wesen so einer Institution. Es präsentierte sich<br />

hier ein dystopisches Gemälde: Tapfere Muskelmenschen<br />

kämpften gegen übermächtige Maschinen, mit<br />

bloßen Händen, jeglicher Technik und Sprache beraubt.<br />

Das Fitnessstudio war eine archaische Höhle<br />

und dabei der ehrlichste Ort der Welt.<br />

Nirgends zeigten<br />

die Menschen ihren Narzissmus so offen wie in<br />

den wandhohen Spiegeln (es gab damals noch keine<br />

Selfies). Nur die Schamlosesten behaupteten, die<br />

Selbstbetrachtung diene dazu, sich der korrekten<br />

Tierfilmer Sielmann. So albern das bloße Muskelspiel<br />

wirkte, so unschuldig und erfrischend war der Ort in<br />

Zeiten aufkommender Ironie. Während<br />

sich die Welt<br />

da draußen hinter einem feigen Alles-nicht-so-ernstgemeint-Zeitgeist<br />

versteckte, blieben Bodybuilder<br />

und Halbstarke gezwungenermaßen unverstellt: Man<br />

kann nicht ironisch Gewichte stemmen.<br />

Die Lunge<br />

In den Nullerjahren lief auf einmal jeder Marathon.<br />

Vielleicht, weil es da im Gegensatz zu den anderen<br />

Sportarten ein fixes Ziel gab, schloss ich mich dieser<br />

Cardio-Bewegung an. Ab und zu trainierte ich drinnen<br />

auf dem Laufband vor dem Fernseher. Auf so einem<br />

Gerät müht man sich nach Kräften und tritt doch nur<br />

auf der Stelle, ein Umstand, den man nur deshalb<br />

nicht kritisch hinterfragt, weil man zu abgelenkt ist<br />

vom TV-Programm – eine bessere Metapher für das<br />

Schicksal des postmodernen Menschen kann man<br />

nicht erfinden.<br />

Die Sehnen<br />

2003 waren 4,38 Millionen Deutsche in Fitnessstudios<br />

angemeldet, die Kundschaft kam mittlerweile<br />

nicht nur aus der isotonischen, sondern dank<br />

Yoga<br />

und Pilates auch aus der esoterischen Ecke. Weil<br />

diese<br />

zwei Sportarten sehr an die Dehnübungen erinnerten,<br />

die ich wegen eines Rückenleidens regelmäßig<br />

machen musste, und als Bonus obendrein noch spirituelle<br />

Erfahrungen versprachen, praktizierte ich beides,<br />

mit leichter Präferenz für Yoga.<br />

So wie man lieber<br />

Coca-Cola trinkt, aber manchmal auch Pepsi nimmt.<br />

Die Unterschiede der beiden Sportarten sind auf den<br />

ersten Blick nicht sehr groß, der Muskel, den man<br />

anspannt, wenn man aufs Klo müsste und nicht darf,<br />

ist hier wie dort von zentraler Bedeutung, allerdings<br />

heißt er hier Powerhouse und dort Mula Bandha. Als<br />

Mann war ich in diesen wie in den meisten anderen<br />

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