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Anteil/Anzahl Mitarbeiter - Roland Berger

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ROLAND BERGER STRATEGY CONSULTANTS<br />

Ausgabe 7 Das globale Entscheider-Magazin<br />

WOJCIECH HEYDEL<br />

will mit PKN Orlen weiter<br />

expandieren<br />

TAICHI OHNO<br />

schrieb als Kaizen-Pate<br />

Wirtschaftsgeschichte<br />

Warum Unternehmen auf die Alten setzen müssen<br />

(Dossier ab Seite 15)<br />

REM KOOLHAAS<br />

sucht die Stadt der Zukunft<br />

und findet Lagos<br />

GREGORY ROBERT SMITH<br />

gründete mit zehn eine<br />

politische Organisation


BÜRO LONDON, ROLAND BERGER STRATEGY CONSULTANTS LTD.<br />

Lansdowne House, Berkeley Square, London W1J 6RB, Großbritannien,<br />

Telefon: +44 20 7290-4800, Fax: +44 20 7499-9938, E-Mail: office_london@rolandberger.com


think: act das globale entscheider-magazin von roland berger strategy consultants ausgabe 7 first views f<br />

Viele Industriegesellschaften altern. In der Politik<br />

wird der demografische Wandel oft als Problem behandelt. Doch<br />

die Veränderung bietet Gesellschaften und Unternehmen auch<br />

Chancen, wenn sie den Wandel aktiv gestalten. Dazu gehören<br />

neue Märkte, beispielsweise für Gesundheit und Pflege, Aus- und<br />

vor allem Weiterbildung, aber auch neue Absatzchancen durch<br />

neue Formen der (altersgerechten) Produktion. Und der Zwang,<br />

die demografische Lücke durch höheres Produktivitätswachstum<br />

zu schließen, kann und wird einen neuen Innovationsschub auslösen.<br />

Lesen Sie unser Dossier ab Seite 15.<br />

Chancen bietet der demografische Wandel nicht zuletzt europäischen<br />

Unternehmen – ein weiterer Bereich, in dem Europa besser<br />

dasteht als oft angenommen. Zu diesem Ergebnis war im vergangenen<br />

Jahr auch unser „Best of European Business“-Wettbewerb<br />

gelangt. Dieser hatte dem Kontinent den Spiegel vorgehalten<br />

– und ein Bild erzeugt, das positiver war als von vielen<br />

erwartet. Jetzt geht der Wettbewerb in die nächste Runde. Ein<br />

Schwerpunkt diesmal: der Nutzen der Vielfalt Europas.<br />

Mit der Öffnung des Kontinentes nach Mittel- und Osteuropa hat<br />

sich diese Vielfalt noch einmal deutlich erhöht. Ein Unternehmen,<br />

das vom Zusammenwachsen Europas profitiert, ist der polnische<br />

Konzern PKN Orlen. Konsequent mauserte sich der frühere<br />

Staatsmonopolist in den letzten Jahren zu einem schlagkräftigen<br />

Player. Und das Unternehmen setzt weiter auf Wachstum.<br />

Woher dieses kommen soll, beschreibt Vorstandsmitglied<br />

Wojciech Heydel im Interview ab Seite 44.<br />

Wachstumsideen liefert Ihnen hoffentlich diese Ausgabe von<br />

think:act. Viele neue Einsichten bei der Lektüre wünscht Ihnen<br />

Dr. Burkhard Schwenker<br />

CEO <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />

3


p inhalt<br />

4<br />

Die Schulbank drückten Topmanager bisher nur ungern. Doch<br />

das ändert sich zunehmend. Die Business-Schools stricken an immer individuelleren<br />

Konzepten für eine sehr alte Idee: die Weiterbildung. Seite 52<br />

Sie sind wohlhabend und konsumfreudig: Verbraucher jenseits<br />

der 50. Unternehmen müssen ihre Produkt- und Marketingpolitik stärker als<br />

bisher an ihnen ausrichten. Doch wie geht das? Seite 20<br />

Früher hatte PKN Orlen 100 Prozent Marktanteil in Polen. Jetzt<br />

sieht sich der Ölkonzern harter Konkurrenz gegenüber – und setzt auf Angriff<br />

als beste Verteidigung. Ein Interview mit Vizechef Heydel. Seite 44<br />

Auf den Straßen von Lagos herrscht das Chaos. Doch es hat<br />

seine ganz eigene Ordnung, so der Architekt Rem Koolhaas. Er glaubt:<br />

Unordnung und Komplexität setzen Kreativität frei. Seite 56


food for thought<br />

6 Optimale Headquarters gesucht<br />

Dezentrale Firmensitze sind im<br />

Kommen. Immer mehr Firmen<br />

setzen auf Shared Service Units.<br />

8 Geld verdienen mit guten Taten<br />

So können Unternehmen Corporate<br />

Social Responsibility zum Geschäft<br />

machen.<br />

11 Die neuen Think-Tanks<br />

Zunehmend blickt die Wirtschaft<br />

über den eigenen Tellerrand<br />

hinaus.<br />

12 Firmenchefs, macht Politik!<br />

Essay: Weltbankmanager fordert<br />

Unternehmen auf: Verlasst euch<br />

nicht auf die Politik!<br />

�<br />

Dossier<br />

Demografischer Wandel als Chance.<br />

Ab Seite 15<br />

dossier<br />

15 Demografischer Wandel als Chance<br />

Warum ältere <strong>Mitarbeiter</strong> die<br />

Flexibilität von Unternehmen<br />

erhöhen können.<br />

20 Born to remain wild<br />

Ältere Menschen bilden eine<br />

attraktive Zielgruppe. Doch die Firmen<br />

tun sich schwer mit ihnen.<br />

24 Innovationen<br />

Von WGs für Alt und Jung bis<br />

zu Universitäten für Senioren: Wie<br />

Länder den Wandel gestalten.<br />

28 Langweilig wird gut<br />

Mit der Demografie ändert<br />

sich die Aktienkultur, prophezeit<br />

Börsenpapst Jeremy Siegel.<br />

30 Erfolgskonzepte<br />

Junge Unternehmer reüssieren<br />

anders als alte – aber beide<br />

haben auch vieles gemeinsam.<br />

38 Rückkehr des Patriarchats<br />

Der Wissenschaftler Phil Longman<br />

erklärt, warum wir wieder konservativ<br />

werden.<br />

industry-report<br />

40 Indien wird schneller<br />

Der Subkontinent will moderne<br />

Motorräder, die Firma Bajaj liefert<br />

sie. Eine Erfolgsgeschichte.<br />

44 Die Expandeure<br />

PKN Orlen betreibt deutsche Tankstellen.<br />

Vorstand Wojciech Heydel<br />

erläutert, was als Nächstes kommt.<br />

48 Kontinent der Vielfalt<br />

Schafft es Europa, seine Heterogenität<br />

zum Erfolgsfaktor zu<br />

machen?<br />

business-culture<br />

52 Man lernt niemals aus<br />

Das Ende eines Tabus: Mehr<br />

und mehr Entscheider drücken<br />

die Schulbank.<br />

regulars<br />

3 First Views<br />

50 Zukunftsmärkte im Check<br />

62 Service | Impressum<br />

inhalt f<br />

56 Von Lagos lernen<br />

Kapitalismus ist chaotisch, sagt der<br />

Architekt Rem Koolhaas – ebenso<br />

wie die Stadt der Zukunft.<br />

59 Die Kleinen gewinnen<br />

Stadtforscher Joel Kotkin<br />

prophezeit vielen Metropolen<br />

Probleme.<br />

60 Twenty years after<br />

Kaizen hat sich durchgesetzt –<br />

doch sein Vordenker Masaaki Imai<br />

ist immer noch nicht zufrieden.<br />

5


p food for thought studie<br />

6<br />

Suche nach den perfekten Headquarters<br />

Wer sein Unternehmen effizient aufstellen will, kommt an der Frage nach der Struktur der<br />

Firmenzentrale nicht vorbei. Dennoch ist das Thema bisher nur wenig erforscht. Eine aktuelle<br />

Untersuchung von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> zeigt: Während viele Unternehmen in der Vergangenheit<br />

die Zentralisierung forcierten, geht der Trend momentan wieder in Richtung dezentralerer<br />

Strukturen. Immer mehr Firmen arbeiten außerdem mit Shared Service Units.<br />

Unternehmen setzen auf strategische Holdings<br />

39 Prozent der 2005 untersuchten Unternehmen führten ihre Zentralen<br />

als strategische Holdings. Die Zunahme zeigt: Immer mehr Unternehmen<br />

gliedern operative Aufgaben aus. Die Holdings konzentrieren sich auf<br />

rein strategische Themen und Governance-Fragen.<br />

Integrierte Headquarters<br />

Operative Holding Strategische Holding<br />

40 % 42 % 31 % 19 % 29 % 39 %<br />

Verteilung Studienteilnehmer 2002/2005<br />

38 17<br />

Prozent aller Unternehmen setzten<br />

2005 auf Shared Service Units<br />

Trend zu Shared Service Units<br />

Prozent im<br />

Jahr 2002<br />

38 Prozent aller Unternehmen organisieren Teile ihrer Unternehmensfunktionen<br />

in Shared Service Units. Noch 2002 ließen nur<br />

17 Prozent aller Firmen Teile ihrer Arbeit von Shared Service<br />

Units erledigen. Einerseits deutet sich darin ein neuer Trend zur<br />

Dezentralisierung an, weil damit die einzelnen Geschäftsbereiche<br />

entlastet werden. Andererseits zeigt die Zahl auch eine Unzufriedenheit<br />

mit dem kompletten Outsourcing. Viele Unternehmen<br />

haben nämlich in der Vergangenheit gemerkt, dass das Auslagern<br />

von Funktionen zusätzliche Prozess- und Kontrollkosten<br />

verursacht und daher nicht in jedem Fall die kostengünstigere<br />

Variante ist.<br />

Japans Firmen haben größere Zentralen als westliche Unternehmen<br />

in einer Untersuchung des<br />

500<br />

Ashridge Strategic Management<br />

467<br />

Japans Firmenzentralen sind vergleichs-<br />

Center die Korrelation zwischen<br />

weise größer als europäische oder amerika-<br />

der Größe der beobachteten Fir-<br />

400<br />

nische. Das zeigt die Studie des Ashridge<br />

menzentralen und der Effizienz der<br />

Strategic Management Center. So arbeiten<br />

Zentralen nach Ansicht des Ma-<br />

310<br />

bei Firmen mit 20 000 <strong>Mitarbeiter</strong>n in<br />

nagements. Dies deutet darauf hin, 300<br />

467<br />

dass kleinere Zentralen womöglich<br />

Japan durchschnittlich 467 Menschen in<br />

255<br />

effektiver sind, zumal die befragten<br />

der Zentrale, in den USA 255, in Europa<br />

206<br />

Manager kleinere Zentralen auch 200<br />

nur 124. Die Forscher erklären dies mit der<br />

für leicht kosteneffizienter hielten.<br />

157<br />

typischen Struktur japanischer Firmen.<br />

Andererseits weisen in der Untersu-<br />

124 Allerdings zeigen die Daten von <strong>Roland</strong><br />

chung größere Zentralen höhere<br />

100<br />

Kapitalrenditen auf (zum Beispiel<br />

96<br />

<strong>Berger</strong> auch, dass „kleine Firmenzentrale“<br />

ROCE, Shareholder Return). Das<br />

76 124<br />

46<br />

nicht automatisch „mehr Effizienz“ oder<br />

heißt: Eine eindeutige Empfehlung<br />

0<br />

„mehr Erfolg“ bedeutet.<br />

kleinerer Zentralen leitet sich aus<br />

5 10 15 20<br />

–0,67betrug<br />

dieser Untersuchung nicht ab. <strong>Mitarbeiter</strong> in 1000<br />

Quelle: Ashridge Strategic Management Center, 2000<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> in Headquarters


servicefirmen haben grösste zentralen food for thought f<br />

Serviceanbieter mit größten Headquarters<br />

Unternehmen im Servicebereich haben, im Verhältnis zur gesamten <strong>Mitarbeiter</strong>zahl, die größten Firmenzentralen. Durchschnittlich<br />

1,6 Prozent all ihrer Beschäftigten arbeiten in der Zentrale (Medianwert), verglichen mit 1,5 Prozent im Produktionssektor<br />

und nur 0,4 Prozent im Handel. Da die betrachteten Serviceunternehmen insgesamt durchschnittlich knapp 40 000 <strong>Mitarbeiter</strong><br />

haben, bedeutet dies, dass sie im Schnitt rund 640 <strong>Mitarbeiter</strong> in der Zentrale beschäftigen.<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> im Headquarter nach Industriesektor (<strong>Anteil</strong>/<strong>Anzahl</strong> <strong>Mitarbeiter</strong>)<br />

Producing &<br />

Manufacturing Service Trade<br />

1,5 %<br />

von Ø 34 509<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> nach Organisationsform (<strong>Anteil</strong>/<strong>Anzahl</strong> <strong>Mitarbeiter</strong>)<br />

Integrierte<br />

Headquarters<br />

7,4 %<br />

von Ø 9842<br />

1,6 %<br />

von Ø 39 626<br />

Operative Holding<br />

3,6 % von<br />

Ø 24 833<br />

Große Firmen bevorzugen strategische Holdings<br />

Die Durchschnittsgröße eines Unternehmens mit strategischer Holding liegt bei fast 80 000 <strong>Mitarbeiter</strong>n.<br />

Integrierte Headquarters eignen sich offenbar vor allem bei kleineren Unternehmen – hier<br />

liegt die Durchschnittsgröße bei unter 10 000 <strong>Mitarbeiter</strong>n. Interessant: Von der <strong>Anzahl</strong> der operativen<br />

Geschäftseinheiten ist die Wahl der Organisationsform hingegen offenbar relativ unabhängig.<br />

Integrierte Headquarters (9842)<br />

19 % 47 % 34 %<br />

Operative Holding (24 833)<br />

27 % 53 % 20 %<br />

Strategische Holding (78111)<br />

13 % 52 % 35 %<br />

<strong>Anzahl</strong> Geschäftseinheiten 1–3 4–7 über 7<br />

0,4 %<br />

von Ø 139155<br />

Strategische Holding<br />

0,7 %<br />

von Ø 78111<br />

0<strong>Mitarbeiter</strong><br />

beschäftigt ein großer europäischer Automobilzulieferer<br />

mit über 17 000 <strong>Mitarbeiter</strong>n in der zentralen IT – der<br />

Bereich wurde komplett outgesourct. 150 Fulltime-<br />

Beschäftigte arbeiten hingegen in der Headquarter-IT<br />

einer Schweizer Großbank. Ein führender Mineralölkonzern<br />

hat gerade mal vier <strong>Mitarbeiter</strong> in der zentralen<br />

IT-Abteilung angestellt – aber weitere 1400 in Shared-<br />

Service-Einheiten.


p food for thought gutes tun kann sich rechnen


Gut Geld verdienen<br />

: Die Platingruben des Bergbaukonzerns<br />

Anglo-American in Südafrika gelten<br />

Experten als Vorbild in Sachen Corporate<br />

Social Responsibility (CSR). Das britische<br />

Unternehmen bezahlt aidskranken <strong>Mitarbeiter</strong>n<br />

seit 1999 teure Medikamente, die das<br />

öffentliche Gesundheitssystem in Südafrika<br />

nicht finanziert. In firmeneigenen Kliniken<br />

können sich Angestellte kostenlos auf das<br />

Virus testen lassen – genauso aber auch<br />

andere Südafrikaner.<br />

Keine Frage: Unternehmenschef Edward<br />

Bickham tut mit seiner Aidshilfe seinen<br />

Angestellten etwas Gutes. Entsprechend<br />

wird sein Engagement gefeiert. Bemerkenswert<br />

aber ist die Aidshilfe aus einem anderen<br />

Grund: Für Bickham war diese von<br />

Anfang an ein „Business-Case“. Ungefähr<br />

30 000 <strong>Mitarbeiter</strong> des Konzerns sind nach<br />

Expertenschätzungen HIV-positiv. Sie<br />

können keine schwere Arbeit mehr unter<br />

Tage leisten, und kleine Verletzungen führen<br />

häufig zu tödlichen Infektionen. Anglo-<br />

American schützt mit dem Engagement also<br />

schlicht sein Personal – und differenziert<br />

sich von der Konkurrenz.<br />

Bisher wurde CSR meist anders diskutiert:<br />

als Kontrapunkt zum nackten Gewinnstreben.<br />

Unternehmen „geben der Gesellschaft<br />

etwas zurück“. Doch zunehmend nutzen die<br />

Firmen ihr Engagement dazu, ihre internen<br />

Prozesse zu verbessern oder sich neue<br />

Märkte zu erschließen.<br />

Auf der ersten Stufe verringert CSR lediglich<br />

das Risiko von Imageschäden oder Konflikten<br />

mit den Behörden. Einen Schritt<br />

weiter gehen Unternehmen, die den systematischen<br />

Auftritt als „Corporate Citizen“<br />

fujitsu siemens computers verkauft ökocomputer food for thought f<br />

Das Konzept „Corporate Social Responsibility“ (CSR) entwickelt sich von der Philantropie zum Business.<br />

Heute eröffnen CSR-Projekte den Unternehmen profitable Geschäftsfelder. Auch für die Vermeidung<br />

von Umweltschäden oder Krankheiten und die Bekämpfung der Armut lässt sich ein Markt finden.<br />

nutzen, um proaktiv ihren Markenkern zu<br />

stärken und ihr Image bei Angestellten und<br />

potenziellen <strong>Mitarbeiter</strong>n zu verbessern.<br />

Auf der dritten Stufe schließlich verdienen<br />

Firmen mit CSR direkt Geld und betrachten<br />

ihr Engagement als normales Geschäft. Aus<br />

Corporate Social Responsibility werden so<br />

Corporate Social Opportunities.<br />

GESELLSCHAFTLICHER NUTZEN UND<br />

GEWINNSTREBEN WAREN NIE EIN WIDERSPRUCH.<br />

DAS SEHEN UNTERNEHMEN JETZT AUCH.<br />

Die bisherige Trennung von Philantropie<br />

und Markt basiert für viele Beobachter auf<br />

einem Denkfehler. „Gesellschaftlicher Nutzen<br />

und Gewinnstreben waren noch nie<br />

ein Widerspruch“, sagt Christian Seelos,<br />

der an der IESE Business School der Universität<br />

Barcelona erforscht, wie sich mit<br />

sozialen und ökologischen Projekten neue<br />

Märkte erschließen lassen. „Die erste Frage<br />

könnte ja auch lauten: Wo gibt es gesellschaftliche<br />

Probleme, für deren Lösung<br />

jemand bereit sein könnte zu bezahlen –<br />

oder für die es sich lohnt, selbst zu investieren?“<br />

Damit wird CSR zu einem Teil<br />

des Geschäftsmodells.<br />

Wie bei Fujitsu Siemens Computers. Der<br />

IT-Hersteller verkauft seit 2004 umweltverträglichere<br />

„Green PCs“. Das Unternehmen<br />

produziert jedoch nicht nur Öko-PCs und<br />

Workstations, sondern hat die gesamte Produktion<br />

bis hin zur Wiederverwertung im<br />

eigenen Recyclingcenter nach Umweltgesichtspunkten<br />

ausgerichtet. Durch kleinere<br />

Verpackungen spart Fujitsu Siemens<br />

Computers etwa eine Million Euro pro Jahr<br />

beim Transport. Die Umweltorganisation<br />

WWF Deutschland arbeitet mit dem Unternehmen<br />

zusammen, um die Entwicklung<br />

„grüner“ IT-Geräte zu fördern, und hat<br />

inzwischen sämtliche 120 Arbeitsplätze der<br />

Büros in Deutschland mit Green PCs ausgestattet.<br />

Stefanie Schusser, die für den<br />

öffentlichen Auftritt des Produktes verantwortlich<br />

zeichnet: „Mit der Reihe haben wir<br />

nicht nur unseren Absatz gesteigert, sondern<br />

auch neue Kundensegmente erschlossen.<br />

So haben wir in Schweden etliche<br />

umweltbewusste Unternehmen und Institutionen<br />

wie Krankenhäuser durch den Green<br />

PC als neue Kunden gewinnen können.“<br />

Saubere Produkte sind bei den Konsumenten<br />

sehr begehrt. Der amerikanische<br />

„GUTE“ GELDVERDIENER<br />

Ein Kommunikationssystem für indische<br />

Bauern entwickelten BRITISH TELECOM und<br />

CISCO SYSTEMS.<br />

Günstige Implantate für Augenoperationen produziert<br />

Unternehmer DAVID GREEN mit seinem<br />

Unternehmen AUROLAB. Der Preis richtet sich<br />

nach dem Einkommen der Kranken.<br />

Ein Finanzierungsprogramm für arme Häuslebauer<br />

startete Mexikos Zementgigant CEMEX.<br />

Familien können durch niedrige wöchentliche<br />

Raten schrittweise ihr Baumaterial kaufen.<br />

Das INSTITUTE FOR ONEWORLD HEALTH liefert<br />

Medizin in Entwicklungsländer.<br />

Einfache Problemlösungen für die lokale Wirtschaft<br />

in Afrika entwickelt in Kenia das Unternehmen<br />

KICKSTART, etwa Wasserpumpen für<br />

Kleinbauern.<br />

9


p food for thought csr-projekte erschließen neue märkte<br />

10<br />

„Die Armen müssen zu aktiven, informierten und involvierten<br />

Kunden werden. Wenn wir Märkte für ihre Bedürfnisse schaffen,<br />

kann dies die Armut reduzieren.“<br />

C. K. Prahalad, Wirtschaftsprofessor, University of Michigan<br />

Früchteproduzent Chiquita verkauft beispielsweise<br />

mit großem Erfolg Bananen,<br />

die von der Umweltschutzorganisation<br />

Rainforest Alliance nach strengen Kriterien<br />

wie Mindestlöhnen und <strong>Mitarbeiter</strong>rechten<br />

zertifiziert wurden. Nachdem sich das gute<br />

Ansinnen zunächst weder beim Umsatz<br />

noch Börsenkurs positiv niedergeschlagen<br />

hatte und Chiquita im Jahr 2001 sogar<br />

Insolvenz anmelden musste, trägt der CSR-<br />

Ansatz inzwischen Früchte: Das Unternehmen<br />

steigerte den Absatz kontinuierlich seit<br />

2003, von 2004 auf 2005 hat er um 26 Prozent<br />

auf 3,9 Milliarden US-Dollar zugelegt.<br />

LONDONER TAXIS FAHREN MIT ÖKOKRAFTSTOFF.<br />

DAS SORGT BEI DER TAXIFIRMA<br />

FÜR VOLLE AUFTRAGSBÜCHER.<br />

Die Londoner Funktaxifirma Radio Taxis<br />

hat ihre Fahrzeugflotte komplett auf CO 2 -<br />

neutrale Biokraftstoffe umgestellt und ihr<br />

Image dadurch klar verbessert. Viele Londoner<br />

Unternehmen lassen ihre <strong>Mitarbeiter</strong><br />

seitdem nur noch mit Radio Taxis fahren.<br />

Denn wer seine Kohlendioxid-Emissionen<br />

insgesamt senkt, erhält in Großbritannien<br />

einen Steuernachlass. Radio-Taxis-Chef<br />

Andrew Herbert besteht deshalb darauf,<br />

dass es auch „geschäftlich Sinn hat, sich<br />

mit dem Klimawandel zu beschäftigen“.<br />

Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen<br />

als direkte Folge der Umrüstung auf CO 2 -<br />

neutrale Kraftstoffe mehr als 1,2 Millionen<br />

Pfund an neuen Aufträgen gewonnen. Der<br />

Umsatz legte um 15,7 Prozent zu.<br />

Oftmals entwickeln sich CSR-Projekte im<br />

Nachhinein zum Geschäftsmodell. Der Chemiekonzern<br />

BASF hat 1996 zunächst nur die<br />

eigenen Produkte auf ihre „Ökoeffizienz“<br />

hin untersucht. Es war Bestandteil der<br />

Nachhaltigkeitsinitiative, dass die Entwickler<br />

des Konzerns die Produktion so lange<br />

verbesserten, bis sie die geringste Umweltbelastung<br />

zu den niedrigsten möglichen<br />

Kosten erreicht hatten.<br />

Mittlerweile vermarktet BASF die Ökoeffizienzanalyse<br />

auch nach außen: Schon 15<br />

Prozent der Projekte sind heute Auftragsarbeiten<br />

für externe Kunden. Die Spezialisten<br />

des Konzerns nehmen dazu die Entstehung<br />

von Getränkeverpackungen unter die Lupe<br />

und analysieren die Wirkung von Düngern.<br />

„Die Ökoeffizienzanalyse verbindet wirtschaftlichen<br />

und ökologischen Erfolg“, heißt<br />

es bei BASF.<br />

Der Prozess einer CSR-Initiative von der<br />

guten Tat zur Marktchance ist laut IESE-Forscher<br />

Christian Seelos kennzeichnend für<br />

die meisten richtungsweisenden Initiativen.<br />

Bei profitablen CSR-Projekten gehe es um<br />

das Erschließen neuer Märkte, auf denen es<br />

noch keine Preise für den Bedarf gibt – und<br />

die deshalb keine Marktsignale aussenden.<br />

Im ersten Schritt kümmern sich folgerichtig<br />

nur politische Aktivisten um die Probleme<br />

dort, später kommen Unternehmen hinzu<br />

und bauen gemeinsam mit den „Social<br />

Entrepreneurs“ die notwendigen Produktions-<br />

und Absatzstrukturen auf. Gerade der<br />

Umweltschutz ist auf diese Weise allmählich<br />

vom politischen Thema zum Geschäftsfeld<br />

geworden.<br />

Ein künftiges Betätigungsgebiet dieser Art<br />

ist die Armut. Die Vorlage lieferte der indische<br />

Ökonom C. K. Prahalad. Er nennt die<br />

ärmsten vier Milliarden Menschen „Bottom<br />

of the Pyramid“. Aus seiner Sicht beschreibt<br />

der Begriff nicht Opfer, sondern eine gigan-<br />

tische Menge potenzieller Kunden. Jedes<br />

Unternehmen, das sich diesem Markt widmet,<br />

fördert fast automatisch die gesellschaftliche<br />

Entwicklung.<br />

EIN TELEKOMANBIETER VERSORGT<br />

BANGLADESCHS FRAUEN MIT HANDYS –<br />

UND NUTZT DIESE ALS VERTRIEBSNETZ<br />

Entscheidend dabei ist, dass die Unternehmen<br />

mit lokalen Partnern zusammenarbeiten.<br />

Als Erfolgsbeispiel zieht Christian Seelos<br />

den Mobilfunkanbieter Grameen Telecom<br />

in Bangladesch heran. Er ist ein Joint<br />

Venture des norwegischen Telefonkonzerns<br />

Telenor mit der Grameen Bank, die sich seit<br />

1976 mit Mikrodarlehen um die Landbevölkerung<br />

am Golf von Bengalen kümmert.<br />

Gemeinsam entwickelten der lokale „Social<br />

Entrepreneur“ und der kommerzielle Mobilfunker<br />

das Konzept der „Village Phone<br />

Ladies“: Sie haben Frauen auf den Dörfern<br />

des Landes beigebracht, wie man ein Mobiltelefon<br />

bedient – und nutzen sie nun als Vertriebsnetz.<br />

Eine Tochter der Grameen Bank<br />

vergibt Minikredite dafür und bringt die<br />

Frauen auf diese Art in Lohn und Brot. Dorfbewohner<br />

können Kontakt zu ihren Verwandten<br />

halten und sparen sich kostspielige<br />

Reisen in die Provinzhauptstädte, weil sie<br />

nun auch viele Behördendinge per Telefon<br />

regeln können.<br />

Das Engagement hat auch für 100 000 Jobs<br />

im Land gesorgt und schlagartig eine veritable<br />

Kommunikationsinfrastruktur geschaffen.<br />

Als Nebeneffekt ist Bangladesch,<br />

immerhin eines der ärmsten Länder der<br />

Welt, mit sechs Millionen Kunden inzwischen<br />

einer der weltweit profitabelsten<br />

Märkte für Telenor.


PAULO COELHO<br />

(rechts) im Stift Melk.<br />

Der Schriftsteller ist<br />

auch beim nächsten<br />

Waldzell-Meeting vom<br />

8. bis 10. September mit<br />

dabei. Außer ihm suchen<br />

dort unter anderem<br />

Managementvordenker<br />

Warren Bennis, die Chefanklägerin<br />

des UN-<br />

Kriegsverbrechertribunals,<br />

Carla Del Ponte,<br />

und der Entdecker des<br />

HI-Virus, Robert C. Gallo,<br />

nach Lösungen für die<br />

drängendsten Probleme<br />

der Welt.<br />

Craig Venter liefert auf die Frage nach dem<br />

Sinn des Lebens eine einfache Definition: „Life<br />

happens“, sagt der Genforscher. Der Quantenphysiker<br />

Anton Zeilinger hofft, dass Wissenschaft<br />

und Religion zusammenarbeiten, um für<br />

Orientierung bei gesellschaftlichen Aktivitäten<br />

zu sorgen. Und der Schriftsteller Paulo Coelho<br />

wirft ein: „Wir sollten gar nicht versuchen, die<br />

Antwort zu finden. Wir sollten besser die richtigen<br />

Fragen stellen.“ Wie diese Fragen lauten,<br />

dazu hatten auch die 150 Zuhörer der Diskussion<br />

auf dem letzten Waldzell-Meeting im österreichischen<br />

Stift Melk dezidierte Meinungen.<br />

Seit 2004 lädt das Waldzell-Institut jedes Jahr<br />

leitende Manager, Unternehmer, Wissenschaftler,<br />

Künstler und Geistliche für drei Tage in die<br />

barocke Benediktinerabtei. „Wir wollen einen<br />

der spannendsten Orte der Welt schaffen, an<br />

dem Entscheidungsträger Inspiration für sich<br />

und ihre Arbeit finden“, sagt Andreas Salcher,<br />

Leiter des Instituts und Initiator des Meetings.<br />

Das heißt: Die Lösung der Weltprobleme wird in<br />

Melk nicht nur diskutiert. Die Ergebnisse fließen<br />

auch in die tägliche Praxis ein.<br />

von davos bis aspen und melk – unternehmen werden in think-tanks aktiv food for thought f<br />

THINK-TANKS MIT WIRTSCHAFTSKOMPETENZ<br />

Nicht nur im Bereich CSR sind Unternehmen und ihre Topentscheider zunehmend tätig. Sie nehmen auch auf Konferenzen und Kongressen Stellung zu<br />

drängenden Fragen der Zeit. Den Anfang machte das Weltwirtschaftsforum in Davos. Kongresse wie Davos oder das 2004 ins Leben gerufene Waldzell-<br />

Meeting im österreichischen Stift Melk werden zu Think-Tanks für eine bessere Welt.<br />

Unabhängige Think-Tanks, in denen Topentscheider<br />

den Blick über die engen Firmenziele<br />

hinaus wagen, die ihnen aber auch<br />

als Reservoir für neue Lösungsansätze dienen,<br />

haben Konjunktur. Neben Waldzell verfolgt<br />

das World Economic Forum in Davos diesen<br />

Ansatz, ebenso das US-amerikanische<br />

Aspen Institute. „Wir nutzen die Inhalte von<br />

Waldzell, um unsere Beratungsansätze weiterzuentwickeln“,<br />

sagt <strong>Roland</strong> Falb, Partner<br />

von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> in Österreich, der das<br />

Meeting unterstützt. „Wir möchten so<br />

beispielsweise die Bedeutung von Soft Facts<br />

für eine gute Unternehmenskultur weiter<br />

herausarbeiten.“<br />

In ihren Themen unterscheiden sich die Think-<br />

Tanks deutlich. Aspen hat sich der Entwicklung<br />

neuer Führungs- und Managementtechniken<br />

verschrieben. In Davos diskutierten Wirtschaftslenker<br />

und Politiker im Januar 2006<br />

unter der Überschrift „The Creative Imperative“<br />

die Zukunft der Weltwirtschaft. Am philosophischsten<br />

kommen die Waldzell-Themen<br />

daher. Das Motto des 2005er-Treffens, an dem<br />

auch Managementautor Peter Senge, der Dirigent<br />

Franz Welser-Möst und die tibetische<br />

Nonne Tenzin Palmo teilnahmen, lautete „Entwürfe<br />

für eine Zukunft mit Sinn“. Ein Thema,<br />

das zwar esoterisch klingt, aber auch Firmenlenker<br />

in ihrem Handeln konkret beeinflusst,<br />

wie das Interesse der Entscheider zeigt.<br />

Das Bedürfnis nach Orientierung wird auch<br />

an den zunehmenden Aktivitäten der einzelnen<br />

Think-Tanks deutlich. So begann das World<br />

Economic Forum 1971 als kleiner Kreis ohne<br />

viel öffentliches Interesse. Heute ist das<br />

Forum die größte Versammlung der Mächtigen<br />

dieser Welt. Die Konferenz selbst bildet nur<br />

noch den Kern, um den herum sich weitere<br />

Aktivitäten entwickeln. Die Stiftung, die<br />

Davos veranstaltet, organisiert mittlerweile<br />

Forschungsprogramme und Seminare,<br />

Aspen ebenso. Auch das Waldzell-Institut<br />

wird von weiteren Initiativen flankiert. So<br />

erhalten junge Menschen aus aller Welt, die<br />

„Architects of the Future“, ein Stipendium für<br />

die Konferenz – und nehmen deren Ergebnisse<br />

mit in ihre Heimatländer.<br />

11


p food for thought exklusiv-essay<br />

12<br />

Firmen, macht Politik!<br />

Weltweit nehmen die Krisen zu. Immer sind auch Unternehmen<br />

gefährdet. Auf die Politik können sie sich dabei nicht verlassen, so<br />

Weltbankdirektor Eckhard Deutscher in diesem Essay.<br />

: Die internationale Ordnung zerfällt.<br />

Globale geopolitische Risiken haben ein<br />

Ausmaß erreicht, das auch von Unternehmen<br />

zwingend fordert, auf der politischen<br />

Weltbühne ihre Interessen stärker wahrzunehmen.<br />

Der Politik können sie die globalen<br />

Risikoentwicklungen nicht mehr allein<br />

überlassen. Die Politik ist vielmehr auf ihre<br />

Mitwirkung angewiesen. Die Firmenlenker<br />

müssen selbst aktiv werden, CEOs müssen<br />

Politik machen.<br />

Welches aber sind die wichtigsten Faktoren<br />

globaler Unsicherheit? Neben den wunden<br />

Punkten der Weltwirtschaft (internationaler<br />

politischer Terror, Öl, US-Währung, regionale<br />

Gegenmodelle zum Kapitalismus, zu<br />

schnelles Wirtschaftswachstum in China,<br />

Protektionismus, globale Seuchen) sind hier<br />

die globalpolitischen und sozialen Umwälzungen<br />

zu nennen. Sorgen bereiten sollten<br />

den Unternehmen heute vor allem die folgenden<br />

Punkte:<br />

ECKHARD<br />

DEUTSCHER<br />

ist seit 2003 Exekutivdirektor bei der Weltbank<br />

in Washington. Für die Organisation arbeitet er<br />

bereits seit 2001. Zuvor war er von 1991 bis<br />

2000 Abteilungsleiter bei der Deutschen Stiftung<br />

für internationale Entwicklung. Deutscher<br />

habilitierte über ein Thema der mexikanischen<br />

Revolution.<br />

Die Zukunft der neuen Verteilungskämpfe<br />

um Rohstoffe hat längst begonnen.<br />

Zugleich werden die Staaten in der politischen<br />

Gestaltung von stabilen Neuordnungen<br />

immer hilfloser. Dies trifft auch auf die<br />

internationalen Organisationen zu. Das<br />

krasseste Beispiel: Die Kriegsfolgen im Irak<br />

belegen, dass die weltweit stärkste Militärmacht<br />

gegen den Widerstand in der Bevölkerung<br />

nichts auszurichten vermag.<br />

Die Weltwirtschaft wird ihr Gesicht in den<br />

kommenden Dekaden nachhaltig verändern.<br />

Europa wird in diesem Prozess weniger<br />

Motor sein als eine Region, die sich an<br />

Veränderungen anpassen muss. Die Zukunftsmotoren<br />

der Weltwirtschaft laufen in<br />

Asien und im asiatisch-pazifischen Raum.<br />

Japan und China verhandeln seit zwei Jahren<br />

über eine Währungsunion, um die<br />

Märkte in Asien mit mehr als 2,5 Milliarden<br />

Menschen weiter zu dynamisieren. Indiens<br />

Erwerbsbevölkerung wird in den nächsten<br />

35 Jahren um 335 Millionen Menschen<br />

wachsen – dies entspricht der arbeitenden<br />

Bevölkerung der EU und der USA zusammengenommen.<br />

China und Indien könnten<br />

sich in den kommenden Jahrzehnten zum<br />

Zentrum der globalen Industrie entwickeln.<br />

Kurz: Der asiatisch-pazifische Raum wird<br />

zum wirtschaftlichen Kraftzentrum der<br />

Zukunft werden, die USA werden bei anhaltenden<br />

Trends ihr wirtschaftliches Interesse<br />

an Europa immer mehr verlieren.<br />

Trotz der so genannten Wissensgesellschaft<br />

und der weltumspannenden Informationstechnologien<br />

sind die Staaten heute nicht<br />

in der Lage, die weltweite Armut abzubauen<br />

und die Bevölkerungsentwicklung zu<br />

kontrollieren. Das Bevölkerungswachstum<br />

unter den Armutsbedingungen in weiten<br />

Teilen insbesondere der südlichen Halbkugel<br />

verursacht weiterhin dramatische soziale<br />

Destabilisierungen – mit Auswirkungen<br />

für die reichen Länder. Solange diese Situation<br />

nicht umgekehrt wird, können Staatenzerfall,<br />

Bürgerkriege und Flüchtlingsströme<br />

sowie die mit ihnen verbundenen<br />

globalen Bumerangeffekte nicht eingedämmt<br />

werden.<br />

Bis 2040 wird die Weltbevölkerung von<br />

sechs auf etwa acht Milliarden Menschen<br />

ansteigen. Das Wachstum wird nahezu vollständig<br />

in den armen Ländern stattfinden.


Die Hälfte der Menschen, die heute leben,<br />

sind jünger als 25 Jahre. Und 1,5 Milliarden<br />

Menschen – ein Viertel der Weltbevölkerung<br />

– ist unter 14 Jahre alt. In Zukunft wird<br />

die Bevölkerung in den armen Weltregionen<br />

also noch jünger werden. Gelingt es<br />

nicht, in ausreichendem Maße für Beschäftigung<br />

und Entwicklungsperspektiven zu sorgen,<br />

sind Konflikte vorprogrammiert.<br />

Gewalttätige Auseinandersetzungen entstehen<br />

schon heute in vielen Entwicklungsländern<br />

vor allem aus den Heerscharen<br />

junger, perspektivloser Männer. Auch die<br />

steigende Zahl der Kindersoldaten in Afrika<br />

wird so lange nicht zu reduzieren sein,<br />

wie Gewalt und Krieg für viele verwahrloste<br />

Kinder und Jugendliche die einzige Grundlage<br />

sind, um sich ihren Lebensunterhalt<br />

zu verdienen.<br />

Beispiel Klimawandel: Eine Studie des<br />

amerikanischen Verteidigungsministeriums<br />

kommt zu dem Ergebnis: Wenn durch<br />

Klimaveränderungen Nahrungs-, Wasserund<br />

Energiereserven schwinden, drohen in<br />

vielen Weltregionen politische Instabilitäten<br />

und Konflikte. Millionen obdachlos<br />

gewordener hungernder Menschen könnten<br />

ihre Heimat verlassen. Rasche Klimaveränderungen<br />

könnten die Welt an den<br />

Rand der Anarchie bringen. Die Pentagon-<br />

SOLDATEN AN EINER TANKSTELLE in Boliviens<br />

Hauptstadt La Paz. Die Verstaatlichung der Ölförderung<br />

in Bolivien zeigt, wie schnell nationale politische<br />

Entwicklungen Unternehmen beeinträchtigen können.<br />

Momentan erlebt ganz Lateinamerika einen Linksruck.<br />

Studie warnt davor, dass Europa und die<br />

USA zu regelrechten Festungen werden<br />

könnten, um Millionen von Migranten abzuhalten,<br />

die aus ihren umweltzerstörten Heimatregionen<br />

flüchten. Der katastrophale<br />

Energie- und Wassermangel könnte die<br />

Welt ab etwa 2020 in neue Konflikte stürzen.<br />

Hinzu kommen die zahlreichen politischen<br />

„schwarzen Löcher“, die schleichend weltweit<br />

das bisherige Ordnungsgefüge aushöhlen.<br />

Beispiel organisierte Kriminalität: Organisiert<br />

in schwer durchschaubaren, flexiblen<br />

und mobilen Netzwerken, verstehen<br />

sich die globalen Guerillas in Nadelstreifen<br />

als überregional agierende Wirtschafts-<br />

13


p food for thought banken verpflichten sich auf ökostandards<br />

14<br />

mächte im Drogen-, Waffen- und Menschenhandel.<br />

Die Märkte Geldwäsche und<br />

Markenpiraterie existieren parallel zu den<br />

legalen Märkten, nicht irgendwo im Untergrund.<br />

Und das Vertrauen in die Staaten<br />

schwindet. Beispiel Korruption: Noch nie<br />

gab es so viele demokratische Staaten.<br />

Gleichzeitig jedoch ist die Auffassung noch<br />

nie so verbreitet gewesen, dass die Korruption<br />

überall höchste Blüten treibt. Und das<br />

schleichend: Wenn eine wirtschaftliche<br />

Medienmacht legitim aufgebaut, aber diese<br />

zur Erlangung und Erhaltung politischer<br />

Macht genutzt wird, unterspült diese Form<br />

von Korruption die Grundlagen des Verhältnisses<br />

von Staat und Gesellschaft.<br />

UNTERNEHMEN MÜSSEN SELBST<br />

AKTIVER WERDEN. TRADITIONELLES<br />

LOBBYING REICHT NICHT MEHR.<br />

Die entscheidende Frage für Wirtschaft, Kapital<br />

und Unternehmen ist: Welche Konsequenzen<br />

ziehen Manager, Wirtschaftsführer<br />

oder die Wirtschaftsverbände aus den<br />

Erkenntnissen, dass alte Rezepte nicht<br />

mehr wirken, um künftige Investitionssicherheiten<br />

herzustellen? Welche Folgen<br />

haben die globalpolitischen Veränderungen<br />

für die Unternehmen? Wie unabhängig können<br />

Unternehmen überhaupt noch agieren?<br />

Und wie kann eine solche Lobbyarbeit der<br />

internationalen Einmischung aussehen?<br />

Einiges geschieht bereits: So haben sich<br />

beispielsweise 39 amerikanische, britische,<br />

deutsche, französische, niederländische<br />

und Schweizer Geldhäuser zu „Äquator-<br />

Banken“ zusammengeschlossen und dazu<br />

verpflichtet, die so genannten Äquator-Prinzipien<br />

einzuhalten – das sind 15 Kriterien,<br />

die für alle Bankinvestitionen über 50 Millionen<br />

Euro gelten. Sie wurden zusammen<br />

mit der Weltbanktochter IFC entworfen<br />

und entsprechen im Wesentlichen den Ökound<br />

Sozialstandards der Weltbank. Oder: 55<br />

amerikanische, britische, deutsche, französische<br />

und niederländische Großbanken<br />

BRENNENDE Ölfelder<br />

in Kuwait: Kaum eine Industrie ist<br />

so sehr durch weltpolitische<br />

Krisen gefährdet wie die Ölbranche<br />

und Vermögensverwalter mit einem Gesamtkapital<br />

von vier Billionen Dollar haben<br />

sich jüngst den „Principles for Responsible<br />

Investment“ (PRI) der Vereinten Nationen<br />

(UN) verschrieben. Die Institute verpflichten<br />

sich, Aspekte der Unternehmensführung,<br />

Umwelt und Gesellschaft bei Investitionen<br />

oder im Dialog mit Firmen zu<br />

berücksichtigen. Sie erwarten von Umweltund<br />

Sozialfaktoren zunehmenden Einfluss<br />

auf Geldanlagen und verlangen, diese<br />

auf langfristige Wertschöpfung, Unternehmensstrategien<br />

und Geschäftsmodelle<br />

zu überprüfen.<br />

Das ganze geopolitische Panorama mit Auswirkungen<br />

auf Unternehmensstrategien ist<br />

kein übertriebener Pessimismus. Irgendwie<br />

haben wir alles schon so oft gehört, dass wir<br />

nicht mehr darüber erschrecken. Wir nehmen<br />

es hin wie der Raucher die Möglichkeit<br />

einer Herz-Kreislauf-Erkrankung. Und<br />

noch immer lassen uns Medien glauben,<br />

dass alles schon nicht so schlimm kommen<br />

wird. Aber Kassandra ist eine Nervensäge,<br />

die in der Aktion optimistisch wird. Unternehmer<br />

und Wirtschaftslenker müssen sich<br />

in die Politik einmischen – intensiver, konzeptioneller,<br />

fordernder. In die Innen- und<br />

Außenpolitik. In die Qualität der Politik,<br />

und zwar durch scharfe Analysen, die politisch<br />

Verantwortliche ins Schwitzen bringen.<br />

Adressiert an die Nationalstaaten,<br />

staatliche Zusammenschlüsse, Staatengemeinschaften<br />

und internationale Organisationen,<br />

müssen diese Analysen als anschlussfähige<br />

Konzepte fungieren, die den<br />

die Welt verändernden Herausforderungen<br />

gerecht werden.<br />

Die Staaten tun zu wenig, um globale Ordnungspolitiken<br />

zu schaffen und damit Zukunftsmärkte<br />

in den nächsten zehn, 20 oder<br />

30 Jahren zu sichern. Hier müssen Unternehmen<br />

den Druck erhöhen. Hier müssen<br />

Unternehmer und Wirtschaftslenker Lobby<br />

machen, aber nicht im einfältigen traditionellen<br />

Sinn, um das eigene Geschäft voran-<br />

zubringen. Vielmehr müssen sie die politischen<br />

Systeme dazu zwingen, bestimmte<br />

Rahmenbedingungen zu schaffen: Künftige<br />

Kapitalinvestitionen sollten in der Folge<br />

sicher und dauerhaft vorgenommen werden<br />

können.<br />

Unternehmen brauchen eine Abteilung mit<br />

„Globalisierungsberatern“, die die Politik<br />

unterstützen und einen Kampf gegen die<br />

Vereinsmeierei in den Wirtschaftsverbänden<br />

führen. Sie müssen die traditionellen<br />

Interessengrenzen überwinden und mit<br />

Gewerkschaften um politische Strategien<br />

ringen, um das „Soziale“ (der Gegensatz von<br />

Arbeit und Kapital hat heute eine neue<br />

Qualität bekommen) im globalen Kapitalismus<br />

zu verankern.<br />

Die Unternehmen müssen heute auf der<br />

Höhe der Diskussionen der Globalisierung<br />

sein und zum Beispiel mit den Sektor- und<br />

Länderkonzeptionen der internationalen<br />

Organisationen wie Weltbank, Internationaler<br />

Währungsfonds und den weltweiten<br />

Think-Tanks vertraut sein. Und sie müssen<br />

in der Lage sein, daraus auch konkrete<br />

Unternehmensinteressen abzuleiten.<br />

Denn so, wie die klassische Außenpolitik<br />

schon längst zur Weltinnenpolitik geworden<br />

ist – noch so fernste Ursachen haben<br />

überall unmittelbare lokale Auswirkungen<br />

–, so ist „Nationalökonomie“ heute längst<br />

Weltwirtschaftspolitik geworden. Konzertiertes<br />

Einmischen von Globalisierungsmanagern<br />

der Wirtschaft in die Weltpolitik –<br />

das ist die Aufgabe und Herausforderung.<br />

Und was für alle gilt, gilt auch für die Wirtschaft<br />

und ihre Manager: quer denken, in<br />

paradoxen Zusammenhängen, systemisch.<br />

Und zwar mit unlogischen Brüchen, um<br />

langweilige, stumpfe und holzschnittartige<br />

Politik zu konfrontieren. Große, weltweit<br />

agierende Energiekonzerne machen es<br />

schon vor – paradoxer- und richtigerweise<br />

mit zukunftsweisenden Konzepten alternativer<br />

Energiepolitik. Viele andere Unternehmenslenker<br />

sollten folgen.


Wer aufhört zu lernen, ist alt,<br />

ob mit 20 oder mit 80.<br />

Wer weiterlernt, bleibt jung.<br />

Henry Ford<br />

DOSSIER #06<br />

Viele Industriegesellschaften altern. Politische Gegenmittel wirken allenfalls<br />

langfristig. Die Unternehmen müssen jetzt reagieren – indem sie<br />

ältere <strong>Mitarbeiter</strong> bewusst einbinden und sich die neuen Seniorenmärkte<br />

erschließen. Dann wird die Demografie für sie zum Freund.


DOSSIER #06 Demografischer Wandel als Chance<br />

16<br />

nELI LILLY<br />

Das US-Pharmaunternehmen gehört zu<br />

den großen Playern der Branche. Es<br />

beschäftigt weltweit über 43 000 <strong>Mitarbeiter</strong>.<br />

Eli Lilly ist an der NYSE gelistet.<br />

76Millionen<br />

Babyboomer<br />

gehen in den USA<br />

bald in Rente. Ein<br />

Grund für Eli Lilly,<br />

auf erfahrene <strong>Mitarbeiter</strong><br />

zu setzen.<br />

»Wir Arbeitgeber<br />

müssen unseren gut<br />

ausgebildeten und<br />

erfahrenen älteren<br />

<strong>Mitarbeiter</strong>n attraktive<br />

Angebote machen,<br />

damit sie gern noch<br />

länger für ihr Unternehmen<br />

arbeiten.«<br />

SIDNEY TAUREL, CHAIRMAN UND CEO ELI LILLY<br />

NETTOUMSÄTZE<br />

15 000<br />

14 000<br />

13 000<br />

12 000<br />

11 000<br />

10 000<br />

Angaben in US-Dollar<br />

0<br />

11542,5<br />

Quelle: Eli Lilly<br />

11 077,5<br />

12 582,5<br />

13 857,9<br />

14 645,3<br />

2001 2002 2003 2004 2005<br />

Ihr Freund, die Demografie<br />

DIE INDUSTRIEGESELLSCHAFTEN WERDEN ÄLTER. DAS HAT DRASTISCHE FOLGEN FÜR DIE ARBEITS- UND<br />

KONSUMMÄRKTE. UND ZWAR DURCHAUS NICHT NUR NEGATIVE. DER DEMOGRAFISCHE WANDEL ERÖFFNET<br />

BETRÄCHTLICHE CHANCEN – FÜR JENE UNTERNEHMEN, DIE FRÜHZEITIG HANDELN.<br />

s<br />

UNTERNEHMEN WELTWEIT SIND auf der Suche<br />

nach gut ausgebildeten Fachkräften. Unternehmen<br />

wie die schwedische Stahlfirma Rapid. Doch gute<br />

Leute sind rar, und in vielen Gesellschaften droht<br />

sich die Situation durch den demografischen Wandel<br />

noch zu verschärfen. Die Personalmanager von<br />

Rapid haben eine ebenso einfache wie einleuchtende<br />

Lösung für den drohenden Know-how-Verlust gefunden:<br />

Sie starteten eine Kampagne, um gezielt ältere<br />

Metallarbeiter einzustellen.<br />

Rapid ist nicht das einzige schwedische Unternehmen,<br />

das auf das Wissen der Älteren setzt. Insgesamt<br />

gehört die schwedische Volkswirtschaft zu<br />

jenen, die ältere Arbeitnehmer relativ lange in den<br />

Unternehmen halten (siehe Seite 19). Und das ist<br />

auch sinnvoll. Der demografische Wandel bedeutet<br />

für Unternehmen, die ihn intern bewusst gestalten,<br />

die Qualitäten älterer <strong>Mitarbeiter</strong> nutzen, eine Chance.<br />

Bisher wird die Alterung der Gesellschaft weltweit<br />

vor allem als Risiko gesehen – für Pensionskassen,<br />

für Absatzmärkte. Doch wer <strong>Mitarbeiter</strong> länger hält,<br />

kann dem drohenden Mangel an Nachwuchskräften<br />

entgegenwirken und wertvolles Know-how im Unternehmen<br />

halten oder gewinnen. Und durch eine flexiblere<br />

Arbeitsorganisation gewinnen die Unternehmen<br />

Möglichkeiten, sich schneller und konsequenter<br />

an wandelnde Marktverhältnisse anzupassen.<br />

Die Dominanz älterer <strong>Mitarbeiter</strong> auf den<br />

Arbeitsmärkten dürfte demnächst steigen. Experten<br />

schätzen, dass die Zahl von Arbeitnehmern zwischen<br />

50 und 64 in der EU in den nächsten zwei<br />

Dekaden um ein Viertel wachsen wird; in den USA<br />

dürfte sie sich innerhalb der nächsten zehn Jahre<br />

sogar verdoppeln. Zugleich geht die Zahl jüngerer<br />

Arbeitnehmer zwischen 20 und 29 Jahren zurück, in<br />

der EU etwa um ein Fünftel. In den Vereinigten Staaten<br />

wird es im Jahr 2012 nach Schätzungen des<br />

Arbeitsministeriums 50 Prozent mehr Arbeitnehmer<br />

über 55 geben. Die Frage ist nur: Wie lange bleiben<br />

sie wirklich in den Unternehmen? Und, aus Sicht der<br />

CEOs: Welches Unternehmen bindet ältere <strong>Mitarbeiter</strong><br />

am intelligentesten ein?<br />

Bisher empfinden es viele Firmen noch als<br />

unattraktiv, ältere <strong>Mitarbeiter</strong> einzustellen oder zu<br />

halten. Für den Abbau von Einstellungshemmnissen<br />

setzt sich daher die EU-Initiative „Proage – Facing<br />

the Challenge of Demographic Change“ ein. Arbeitgeberverbände<br />

aus Deutschland, Dänemark, den<br />

Niederlanden und Irland gehören ihr bereits an.<br />

Gemeinsam setzen sie sich für eine Neuorientierung<br />

von Tarifpartnern und betrieblicher Personalpolitik<br />

ein. „Kündigungsschutzbestimmungen, Besitzstandssicherungen<br />

für Ältere durch das Senioritätsprinzip<br />

in der Entlohnung und Entgeltsicherungsklauseln<br />

wirken beschäftigungsfeindlich“, heißt es<br />

auf Seiten der Initiative. Die Folge der marktfeindlichen<br />

Gesetzeslage: Noch trennen sich zahlreiche<br />

Unternehmen von <strong>Mitarbeiter</strong>n jenseits der 50 und<br />

stellen keine neuen ein. Ein Fehler, denn die Altgedienten<br />

haben eine Menge Wissen angehäuft, das<br />

dort verloren geht.<br />

Die jungen Alten sind heute fitter als je zuvor.<br />

Sie länger an die Unternehmen zu binden ist die wirkungsvollste<br />

und kostengünstigste Methode, den<br />

demografischen Wandel abzufedern und Wissensverluste<br />

zu verhindern. Peter Cappelli, Direktor des<br />

Center for Human Resources an der Wharton School<br />

der University of Pennsylvania: „Das Problem ist<br />

nicht dadurch entstanden, dass man nicht genug<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> findet, sondern dadurch, dass die Unternehmen<br />

im gleichen Tempo Personal durch die<br />

Hintertür entlassen haben, wie sie neue <strong>Mitarbeiter</strong><br />

zur Vordertür hereingeholt haben.“ Jetzt spüren viele<br />

Firmen die drohende Knappheit. Einer Untersuchung<br />

der Investmentbank Merrill Lynch zufolge haben<br />

sich bereits 69 Prozent aller Unternehmen mit dem


künftigen Fehlen von Arbeitnehmern auseinander<br />

gesetzt – meist jedoch nur, indem sie verstärkt<br />

junge <strong>Mitarbeiter</strong> anheuerten.<br />

Die besten Unternehmen der Studie gingen<br />

jedoch anders vor. Cynthia Hayes, Chefin der Abteilung<br />

Employer Plan Solutions bei Merrill Lynch:<br />

„Diese Unternehmen erlauben Telearbeit, bieten flexible<br />

Arbeitszeitmodelle an, entwickeln Coaching- und<br />

Mentoring-Konzepte und stellen eine verbesserte<br />

Krankenversicherung zur Verfügung.“ So demonstrieren<br />

sie, dass sie die Belange älterer <strong>Mitarbeiter</strong><br />

ernst nehmen – und sichern sich damit einen Vorteil<br />

auf dem Arbeitsmarkt.<br />

Zur gemeinsamen Entwicklung von Best Practices<br />

haben sich auf Initiative des weltweit vernetzten<br />

Seniorenverbandes AARP über 20 Industrieverbände<br />

und andere Interessenvertreter zur Alliance<br />

for an Experienced Workforce zusammengeschlossen.<br />

„Wenn Amerika seine internationale Wettbewerbsfähigkeit<br />

behalten will“, so Red Cavaney, Chairman<br />

der Allianz sowie Präsident und CEO des American<br />

Petroleum Institute, „müssen seine Unternehmen<br />

Strategien und Praktiken entwickeln, die ihre<br />

Interessen mit denen der älteren <strong>Mitarbeiter</strong> in Einklang<br />

bringen.“ Dazu gehören, so William Novelli, CEO<br />

der AARP, auf Ältere zugeschnittene Trainingsprogramme<br />

sowie Arbeitszeitmodelle, die es den Älteren<br />

erlauben, sich auf Wunsch immer wieder längere<br />

Auszeiten zu nehmen. „Die Arbeitgeber müssen kreativer<br />

werden“, fordert Novelli.<br />

Unternehmen, die an der Beschäftigung älterer<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> interessiert sind, bietet die AARP eine<br />

Plattform zur Stellenvermittlung. Zu den Vorbildunternehmen<br />

der Organisation gehören etwa das<br />

Telekommunikationsunternehmen Verizon, die Sun<br />

Trust Bank oder die Baumarktkette The Home Depot.<br />

Bob Nardelli, Chairman, Präsident und CEO von Home<br />

Depot: „Die Beschäftigungspartnerschaft mit der<br />

AARP eröffnet uns den Zugang zu einem breit gefächerten<br />

Reservoir leistungsstarker Arbeitskräfte, die<br />

eine hohe Arbeitsmoral mit persönlicher Reife verbinden.“<br />

Der Personalbedarf ist enorm: Vor zwei Jahren<br />

suchte The Home Depot gleich 35 000 zusätzliche<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> für 175 neu eröffnete Baumärkte.<br />

Die 36 Millionen Mitglieder umfassende AARP<br />

veröffentlicht jährlich eine Liste mit den Unterneh-<br />

Ältere Arbeitnehmer wollen ein Leben mit „Portfolioqualität“ DOSSIER #06<br />

men, die sich um ältere <strong>Mitarbeiter</strong> besonders verdient<br />

gemacht haben – Unternehmen wie die Traditionsfirma<br />

Deere & Company. Der <strong>Anteil</strong> der über 50-<br />

Jährigen ist bei dem Hersteller von Land-, Bau- und<br />

Gartenmaschinen mit gut 35 Prozent überdurchschnittlich<br />

hoch. Die Einstellungspolitik ist auf langfristige<br />

Arbeitsverhältnisse angelegt, die Fluktuation<br />

wegen guter Arbeitsbedingungen mit unter einem<br />

Prozent außerordentlich niedrig. „Unsere älteren <strong>Mitarbeiter</strong><br />

sind sehr wertvoll für uns, denn sie verfügen<br />

über einen reichen Wissens- und Erfahrungsschatz,<br />

der sich kaum schriftlich dokumentieren lässt und<br />

mit dem Ausscheiden des <strong>Mitarbeiter</strong>s unwiederbringlich<br />

verloren geht“, erklärt Personaldirektor<br />

Ingolf Pruefer. Die Unfallquote von Älteren in der Produktion<br />

ist beispielsweise signifikant niedrig. Und<br />

durch ihre größere Loyalität sind Ältere gerade in Krisenzeiten<br />

oft die treibenden Kräfte.<br />

Die Frage ist jedoch: In welcher Form beschäftigt<br />

man ältere <strong>Mitarbeiter</strong> am besten? Vielen Unternehmen<br />

erscheint hier eine Organisation in Projektform<br />

am sinnvollsten. So können die Arbeitnehmer<br />

sich ihre Zeit freier einteilen und sind nur in die internen<br />

Prozesse einbezogen, die für sie wichtig sind.<br />

Umgekehrt erhöhen ältere Arbeitnehmer so die Flexibilität<br />

der Unternehmen. Die projektbezogene Teilzeitarbeit<br />

entspricht den Erwartungen vieler Senioren.<br />

Das zeigt die Untersuchung „Living Longer, Working<br />

Longer“ der US-Versicherungsgesellschaft Met-<br />

Life. Immerhin 37 Prozent der befragten 66- bis 70-<br />

Jährigen arbeiten oder wollen arbeiten. Doch ihnen<br />

schwebt nur selten ein starrer Acht- oder Zehnstundentag<br />

vor. Verschiedene Studienteilnehmer gaben<br />

an, sie wünschten sich ein Leben mit „Portfolioqualität“<br />

– eine Mischung aus bezahlter Arbeit, Freizeit<br />

und Hobbys sowie Reisen.<br />

Interessant: 19 Prozent der von MetLife untersuchten<br />

55- bis 64-Jährigen beziehen bereits Pensionszahlungen<br />

eines alten Arbeitgebers. Sie haben<br />

sich also aus der Pensionärsposition heraus um eine<br />

neue Aufgabe bemüht. Speziell diesen „arbeitenden<br />

Rentnern“ geht es nicht nur darum, ihre Rente aufzubessern.<br />

Ihre Hauptmotivation für den Schritt<br />

zurück ins Arbeitsleben war es vielmehr, „etwas<br />

Neues und anderes auszuprobieren“. Viele „finden es<br />

besonders wichtig, sich eingebunden zu fühlen und<br />

Hirnforscher als<br />

Produktentwickler<br />

DIE ZUSAMMENARBEIT zwischen<br />

Wissenschaft und Praxis wird gern<br />

gefordert, aber nicht immer konsequent<br />

eingelöst. Ausgerechnet der<br />

demografische Wandel entpuppt<br />

sich zunehmend als Gebiet, in dem<br />

Forscher unterschiedlicher Disziplinen<br />

ebenso gut kooperieren wie Forschung<br />

und Industrie. Die Peking<br />

University und das Massachusetts<br />

Institute of Technology entwickeln<br />

schon seit Jahren technologische<br />

Konzepte für eine bessere Lebensqualität<br />

älterer Menschen. In Finnland<br />

bringt die Fördereinrichtung<br />

Tekes Technologieführer aus Wissenschaft<br />

und Wirtschaft zusammen.<br />

„Human Adequate Technologies“<br />

entwickelt auch das interdisziplinäre<br />

Humanwissenschaftliche Zentrum<br />

(HWZ) der Münchner Ludwig-<br />

Maximilians-Universität. Forscher<br />

aus verschiedensten Nationen und<br />

Fachbereichen untersuchen im<br />

Generation Research Program<br />

(GRP) die Lebensqualität des Menschen<br />

in unterschiedlichen Altersphasen.<br />

So arbeiten die Münchner<br />

an der altersgerechten Wohnung,<br />

die viele Tätigkeiten von selbst verrichtet<br />

und etwa automatisch Hilfe<br />

holt, wenn das Wasser seit Stunden<br />

läuft – ein Indiz für einen Unfall.<br />

Honda unterstützte das GRP bei der<br />

Entwicklung eines mühelos bedienbaren<br />

Autocockpits. „Solche komplexen<br />

Lösungen, die ein sehr genaues<br />

Wissen über den Aufbau und<br />

die Funktionsweise des menschlichen<br />

Gehirns erfordern, lassen<br />

sich nur interdisziplinär und in<br />

Kenntnis der internationalen Forschung<br />

entwickeln“, so der Hirnforscher<br />

Ernst Pöppel, Leiter des GRP.<br />

Eine zweite Voraussetzung: Die<br />

Bereitschaft zur langfristigen Zusammenarbeit.<br />

Nur so könne sich<br />

das erforderliche Vertrauen bilden.<br />

17


DOSSIER #06 Demografischer Wandel als Chance<br />

18<br />

nDEERE & COMPANY<br />

Werke in elf Ländern betreibt der Hersteller<br />

von Landmaschinen und Weltmarktführer<br />

im satellitengestützten<br />

Landbau. Weltweit sind über 46 000 <strong>Mitarbeiter</strong><br />

beschäftigt. Deere gehört zu<br />

den 50 Top-Performern des S&P 500.<br />

1,7 Millionen Dollar täglich investiert<br />

das Unternehmen allein in Forschung<br />

und Entwicklung.<br />

35 Prozent der<br />

Deere-<strong>Mitarbeiter</strong> in<br />

Amerika und über<br />

36 Prozent in Europa<br />

sind älter als 50.<br />

»Die Employability<br />

Älterer beginnt<br />

bereits in der Jugend<br />

und setzt eine<br />

lebenslange Lernbereitschaft<br />

voraus.«<br />

INGOLF PRUEFER, DIRECTOR HR (EUROPA,<br />

AFRIKA, SÜDAMERIKA) DEERE & COMPANY<br />

DEERE-AKTIEN STEIGEN<br />

Kursentwicklung seit 2003<br />

75<br />

70<br />

65<br />

60<br />

55<br />

50<br />

45<br />

40<br />

35<br />

J O 04 A J O 05 A J O 06 A<br />

Quelle: Onvista<br />

eine Tätigkeit zu verrichten, die wirklich etwas<br />

bedeutet“, erläutert Sandra Timmerman, Direktorin<br />

des MetLife Mature Market Institute. Folglich reicht<br />

es oft nicht, bestehende Tätigkeiten einfach zu verlängern.<br />

„Wer ältere <strong>Mitarbeiter</strong> rekrutieren und halten<br />

will, muss sich Gedanken über das Jobdesign<br />

und das Arbeitsumfeld machen – und neue, herausfordernde<br />

Gelegenheiten für sie schaffen.“<br />

Neben dem Job muss auch das Arbeitszeitmodell<br />

auf die älteren <strong>Mitarbeiter</strong> zugeschnitten sein.<br />

Hier ist wiederum Deere kreativ. Das Unternehmen<br />

setzt auf flexible Arbeitszeitmodelle und das Wechseln<br />

von der Mehr- in die Einschichtarbeit, Änderungen<br />

der Arbeitsgestaltung und des Arbeitseinsatzes<br />

sowie Gesundheitsförderung und Weiterbildung.<br />

Einer weiterer Baustein ist die Arbeit in altersgemischten<br />

Teams, in denen sich die Dynamik und<br />

das moderne Wissen der Jüngeren mit der Umsicht,<br />

Erfahrung und fachlichen Tiefe der Älteren verbinden.<br />

Die soziale Kompetenz hierfür wird in Konfliktlösungstrainings<br />

geschult und durch regelmäßige<br />

Gruppengespräche gefördert.<br />

All dies setzt jedoch eine hohe Flexibilität und<br />

Lernbereitschaft auch bei den älteren <strong>Mitarbeiter</strong>n<br />

voraus. Diese Grundlagen aber variieren – nicht nur<br />

individuell, sondern auch von Land zu Land. „Vor<br />

allem in Spanien, Italien und Frankreich lässt die<br />

Weiterbildungsmentalität Älterer teilweise zu wünschen<br />

übrig“, klagt Pruefer und fordert ein lernfreundliches<br />

gesellschaftliches Umfeld. Dazu gehöre<br />

auch ein Umdenken der Hochschulen. Durch<br />

auf über 50-Jährige zugeschnittene Weiterbildungsprogramme<br />

könnten diese sich einen riesigen<br />

Markt erschließen.<br />

Eine weitere Möglichkeit, die Fähigkeit und<br />

Bereitschaft zu lebenslangem Lernen zu fördern,<br />

besteht im Rotationsprinzip, wie es etwa IBM praktiziert:<br />

Alle zwei bis fünf Jahre wechseln die <strong>Mitarbeiter</strong><br />

ihre Arbeitsstelle und erweitern dadurch nicht<br />

nur ihr Wissen, sondern auch ihre Sicht- und Denkweisen.<br />

Durch die so erworbene Vielseitigkeit werden<br />

ältere <strong>Mitarbeiter</strong> zu wertvollen Mitgliedern<br />

altersheterogener Teams, die nicht nur besonders<br />

leistungsfähig sind, sondern auch, wie es im Diversity-Strategiepapier<br />

von IBM heißt, „bei den Kunden<br />

großen Anklang finden“: Während die Älteren<br />

„Sicherheit verkörpern“, symbolisieren die Jüngeren<br />

„frischen Ideenreichtum“. Das IBM-Beispiel zeigt:<br />

Alternde Märkte und alternde <strong>Mitarbeiter</strong> müssen<br />

zusammen betrachtet werden. Wer die Stärken der<br />

reiferen <strong>Mitarbeiter</strong> im Unternehmen hält und diese<br />

in Marketing- und Verkaufsprozessen aktiv nutzt,<br />

bringt sich in eine bessere Position im Wettbewerb<br />

um die ebenfalls alternde Kundschaft.<br />

Um ältere Kunden zielgerichtet anzusprechen,<br />

stellen Handelsunternehmen wie Ikea, The Home<br />

Depot oder die deutsche Metro Group verstärkt ältere<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> ein. Jürgen Pfister, Bereichsleiter Personal<br />

und Soziales der Metro: „Gerade für Handel und<br />

Dienstleistungen ist es wichtig, dass sich die Altersvielfalt<br />

der Kundenstrukturen in den <strong>Mitarbeiter</strong>strukturen<br />

angemessen widerspiegelt.“ Die britische<br />

Kaufhauskette Asda besetzte wegen des hohen<br />

Alters der Kundschaft die Hälfte der Stellen in einem<br />

Kaufhaus in der Grafschaft Kent mit über 50-Jährigen<br />

– mit überraschendem Erfolg: Die Fehlzeiten<br />

sind auffällig niedrig, die Produktivität ist überdurchschnittlich<br />

hoch. Dies liegt auch an den außerordentlich<br />

flexiblen Arbeitszeiten: Ältere <strong>Mitarbeiter</strong><br />

können längere unbezahlte Großelternferien nehmen<br />

oder ihre Arbeitszeit auf die zehn Kerngeschäftswochen<br />

um Weihnachten, Ostern und in den<br />

Sommerferien konzentrieren.<br />

Der australische Finanzdienstleister Westpac wirbt<br />

gezielt ältere Fachkräfte an, weil ältere Kunden junge<br />

Anlageberater als zu unerfahren empfinden. Und<br />

Procter & Gamble hat gemeinsam mit dem Pharmakonzern<br />

Eli Lilly die Personalvermittlungsagentur für<br />

hoch qualifizierte Pensionisten gegründet. „YourEncore“<br />

sucht ehemalige Wissenschaftler, Ingenieure,<br />

Forscher und Produktentwickler, die projektbezogen<br />

für eines der Mitgliedsunternehmen arbeiten möchten.<br />

„Auf diese Weise erschließen wir uns den<br />

Zugang zu einem der wichtigsten und am schnellsten<br />

wachsenden Fachkräftemärkte – den Ruheständlern“,<br />

erläutert Mitgründer Alpheus Bingham.<br />

Das Engagement ist als Auftakt einer umfassenden<br />

Initiative zur längeren Beschäftigung älterer<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> zu sehen, erläutert Sidney Taurel,<br />

Chairman und CEO von Eli Lilly. Mit Blick auf die 76<br />

Millionen Babyboomer, die allein in den USA in<br />

den nächsten Jahren in den Ruhestand treten, meint


der Konzernchef: „Wenn wir nicht auf einen absolut<br />

entscheidenden Faktor für wirtschaftliches<br />

Wachstum – eine wachsende Belegschaft – verzichten<br />

wollen, müssen wir verstärkt auf die große Zahl<br />

unserer fähigen, außerordentlich erfahrenen älteren<br />

<strong>Mitarbeiter</strong> zurückgreifen, die dank ihres guten<br />

Gesundheitszustandes sehr viel länger arbeiten<br />

BEVÖLKERUNGSENTWICKLUNG<br />

500<br />

450<br />

400<br />

350<br />

300<br />

250<br />

200<br />

150<br />

100<br />

50<br />

0<br />

VIELE SCHWEDISCHE UND<br />

US-SENIOREN ARBEITEN<br />

Die USA und Schweden machen<br />

es vor. In Schweden gehen noch<br />

13 Prozent der 65- bis 70-Jährigen<br />

einer Beschäftigung nach, in den<br />

USA sogar noch 26 Prozent, während<br />

in Deutschland nur gut fünf<br />

Prozent zwischen 65 und 70 Jahren<br />

zumindest noch geringfügig<br />

beschäftigt sind. Hier schlummert<br />

ein beträchtliches Potenzial für<br />

Unternehmen.<br />

Quelle: OECD<br />

Japan<br />

EU 25<br />

Deutschland<br />

Nordamerika<br />

1950 2005<br />

Bevölkerung (Mio.)<br />

2050<br />

0,9<br />

0,8<br />

0,7 0,7<br />

0,6<br />

0,5<br />

0,4<br />

0,3<br />

0,2<br />

0,1<br />

0<br />

Schwedische Senioren arbeiten häufiger als deutsche DOSSIER #06<br />

könnten als derzeit üblich.“ Dazu seien neben materiellen<br />

auch psychologische Anreize erforderlich –<br />

und ein flexiblerer Übergang vom Erwerbsleben in<br />

den Ruhestand mit einer schrittweisen Reduktion<br />

der Arbeitszeit. Womöglich müssten Arbeitgeber „das<br />

gesamte Paradigma eines Karriereverlaufs überdenken“<br />

und völlig neue Arbeitsmodelle entwickeln.<br />

NUR US-BEVÖLKERUNG WÄCHST – FIRMEN KÖNNEN DENNOCH PROFITIEREN<br />

Unter den führenden Industrieregionen weist einzig Nordamerika auf Grund<br />

von höheren Geburtenraten und Zuwanderung auch zukünftig ein positives<br />

Bevölkerungswachstum auf. Alle anderen werden bis zum Jahr 2050 einen<br />

Rückgang verzeichnen. Und die Menschen in diesen Staaten werden nicht nur<br />

weniger, sondern auch älter.<br />

Alterung und Rückgang der Bevölkerung wirken sich negativ auf den langfristigen<br />

Wachstumspfad aus. So geht man in Deutschland im Zuge der demografischen<br />

Entwicklung von einem Rückgang des Potenzialwachstums von<br />

1,3 Prozent auf nur noch 0,3 Prozent aus. Doch Unternehmen können die<br />

wachstumshemmenden Effekte der demografischen Entwicklung durch entschlossenes<br />

Handeln abfedern. Alterung und Rückgang der Bevölkerung können<br />

und müssen als Chancen gesehen werden. Zum einen entstehen im<br />

In- und Ausland bisher noch kaum erschlossene Wachstumsmärkte, denn die<br />

Generation 60+ ist bis ins hohe Alter äußerst konsumfreudig und verfügt über<br />

eine erhebliche Kaufkraft. Zum anderen können Unternehmen wegen der<br />

erheblich längeren Fitness der <strong>Mitarbeiter</strong> auf erfahrene Arbeitskräfte und<br />

wichtige Kulturträger zurückgreifen.<br />

BESCHÄFTIGUNGSQUOTEN NACH ALTER IN DEUTSCHLAND/SCHWEDEN/USA<br />

USA Deutschland<br />

Schweden<br />

0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100<br />

19


DOSSIER #06 Demografischer Wandel als Chance<br />

Born to remain wild<br />

ÄLTERE KONSUMENTENGRUPPEN KÖNNEN ZUM WACHSTUMS- UND INNOVATIONSMOTOR GANZER WIRTSCHAFTSZWEIGE WERDEN. UM DIE CHANCEN<br />

DER DEMOGRAFIE ZU NUTZEN, MUSS DIE WIRTSCHAFT ALLERDINGS LERNEN: ALTER IST KEIN MAKEL, UND DEN TYPISCHEN ÄLTEREN KONSUMENTEN<br />

GIBT ES NICHT. DER SENIOR ALS ZIELKUNDE HAT VIELE GESICHTER. EIN ESSAY VON ROLAND-BERGER-PARTNER STEFAN SCHAIBLE.<br />

s<br />

DIE FAKTEN SIND KLAR: Die Gesellschaften<br />

der führenden Industrienationen altern im Eiltempo.<br />

Mit Ausnahme der USA werden diese Länder<br />

bis 2050 im Zuge der demografischen Entwicklung<br />

auch unter den optimistischen Annahmen<br />

der UNO einen Rückgang der Bevölkerung<br />

verzeichnen. Wir werden jedoch nicht nur weniger,<br />

sondern auch älter. Sinkende Geburtenraten<br />

und längere Lebenserwartungen verschieben die<br />

Altersstruktur. Das durchschnittliche Alter wird<br />

2050 mit 47,4 in Deutschland zwölf Jahre höher<br />

sein als 2005, in Japan und Italien wird es sogar<br />

bei über 52 Jahren liegen. Bereits 2050 wird laut<br />

Statistischem Bundesamt jeder dritte Deutsche<br />

über 60 Jahre sein.<br />

Allerdings wird der veränderte Altersaufbau<br />

in der Diskussion als Deformation und als Bedrohung<br />

(„demografische Zeitbombe“) empfunden.<br />

Richtig ist: Die Alterung und der Rückgang der<br />

Bevölkerung wirken sich – bei Fortschreibung der<br />

heutigen Rahmenbedingungen – negativ auf den<br />

Wachstumspfad aus. Die OECD schätzt, dass bis<br />

2025 das Schrumpfen der Bevölkerung den<br />

Zuwachs des Bruttosozialprodukts jährlich um<br />

0,7 Prozentpunkte in Japan und um 0,4 Prozentpunkte<br />

in den jetzigen Mitgliedsstaaten der EU<br />

sinken lassen wird.<br />

DIESER TREND HÄNGT mit dem rückläufigen<br />

Arbeitskräftepotenzial zusammen. Jedoch spielt<br />

auch der Konsum eine wesentliche Rolle. In allen<br />

EU-Ländern erreichen die mittleren Jahrgänge<br />

den Spitzenwert bei den Konsumausgaben. Bei<br />

den über 60-Jährigen gehen die Ausgaben hingegen<br />

im Schnitt um über 20 Prozent zurück.<br />

Wird diese Struktur bei einer immer älter werdenden<br />

Gesellschaft nicht verändert, ist mit<br />

20<br />

einer Stagnation oder sogar einem Rückgang des<br />

Konsums zu rechnen.<br />

Dabei sind die Potenziale eigentlich groß.<br />

Schon heute haben die über 50-Jährigen über die<br />

Hälfte der Nachfragemacht auf Güter- und Dienstleistungsmärkten.<br />

Noch ist nicht abzusehen, in<br />

welchem Ausmaß der Rückgang staatlicher Fürsorge<br />

– insbesondere in Europa – für Einkommenseinbußen<br />

bei den älteren Bevölkerungsschichten<br />

sorgen wird, beziehungsweise wie<br />

erfolgreich es gelingen wird, diesen mit den Renditen<br />

privater Vorsorge auszugleichen. Doch die<br />

Finanzvermögen der Älteren sind bislang nicht<br />

wirklich angetastet. Das heutige System ist<br />

immer noch geprägt von beträchtlichen Sparquoten<br />

bis ins hohe Alter – erst ab einem<br />

Lebensalter von über 80 Jahren geht zum Beispiel<br />

bei den Deutschen das Vermögen allmählich<br />

zurück. Noch liegt bei vermögenden Senioren<br />

also das Geld auf der hohen Kante.<br />

DESHALB STELLT SICH die drängende Frage:<br />

Mit welchen Strategien kann die Wirtschaft in den<br />

Industrieländern dieser Entwicklung beim Konsum<br />

entgegenwirken? Wie können die Chancen<br />

und großen Wachstumspotenziale der demografischen<br />

Veränderung gerade über eine Ansprache<br />

der Vermögen der Älteren genutzt werden?<br />

Das Grundproblem ist: In den westlichen<br />

Industriegesellschaften werden alte Menschen<br />

immer noch als defizitär, als homogene Masse<br />

und nur als wachsende Last für jüngere Beitragszahler<br />

angesehen. Unsere Kultur stigmatisiert<br />

das Alter als menschlichen Makel. Dies ist<br />

nicht nur angesichts der Tatsache absurd, dass<br />

die über 55-Jährigen bereits in wenigen Jahrzehnten<br />

die Mehrheit der Gesellschaft stellen<br />

werden. Mehr noch: Diese Sichtweise ignoriert<br />

auch, dass das längere Leben zu den größten<br />

Errungenschaften der Moderne gehört. Das Renteneintrittsalter<br />

unter Bismarck lag bei 70 Jahren.<br />

Seither hat die durchschnittliche Lebenserwartung<br />

um 30 Jahre zugenommen. Heute liegt das<br />

durchschnittliche Renteneintrittsalter bei 60 Jahren.<br />

Das bedeutet: Wir haben vier Jahrzehnte frei<br />

gestaltbare Lebenszeit gewonnen! James Vaupel,<br />

Direktor des Max-Planck-Instituts für demografische<br />

Forschung in Rostock, glaubt, dass wir noch<br />

lange nicht an den Grenzen der Lebenserwartung<br />

angekommen sind. Es gebe keinen Grund, warum<br />

sich die Lebenserwartung nicht – wie schon in<br />

den letzten 160 Jahren – auch in Zukunft um 2,5<br />

Jahre pro Dekade erhöhen sollte.<br />

Diametral entgegengesetzt dazu verhalten<br />

sich die Eckpunkte unserer Arbeits- und Konsumkultur:<br />

Das faktische Renteneintrittsalter<br />

liegt bei 60, ab 45 etwa beginnt in Deutschland<br />

die altersbedingte Schwervermittelbarkeit bei der<br />

Bundesagentur für Arbeit. Mit 49 Jahren fällt man<br />

aus den Zielgruppen der Werbeindustrie. Die Wirtschaft<br />

nutzt damit das große Reservoir von 30<br />

Millionen aktiven Konsumenten und potenziellen<br />

Produzenten zu wenig.<br />

DOCH DIE ERSTEN TRENDS in Richtung mehr<br />

Konsumfreude zeichnen sich ab. Die DB Research<br />

kommt zu dem Schluss: „Die Alterung der Industriegesellschaften<br />

wird die aggregierte Kaufkraft<br />

des oberen Alterssegments beträchtlich vergrößern.<br />

Diese quantitativen Veränderungen werden<br />

zudem durch qualitative ergänzt, die das<br />

Konsumverhalten der Älteren nachhaltig beeinflussen.“<br />

Das Klischee vom sparsamen,<br />

anspruchslosen, markentreuen Alten kommt ins


Wanken. Die Vererbungsmentalität der Nachkriegszeit<br />

weicht zunehmend dem Wunsch,<br />

zumindest einen Teil der Ersparnisse selbst zu<br />

genießen. Viele ältere Konsumenten sind bereit,<br />

ihre Konsumzurückhaltung aufzugeben – Freizeitforscher<br />

sprechen inzwischen sogar von einer<br />

„hedonistischen Wende“. Dieser dramatische<br />

Wertewandel versteckt sich hinter nüchternen<br />

Zahlen: Eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung<br />

ergab, dass heute doppelt so viele<br />

Senioren wie vor einem Jahrzehnt bereit sind, ihr<br />

Geld auch auszugeben. Doch hier fängt das Problem<br />

an: für was eigentlich? Noch stehen Senioren<br />

viel zu selten im Fokus der Konsumgüter- und<br />

Dienstleistungsindustrie. Noch fehlen die passenden<br />

Angebote, um dieser potenziellen Nachfrage<br />

gerecht zu werden.<br />

DABEI SIND DIE ÄLTEREN Konsumenten<br />

keine homogene Masse, sondern differenzieren<br />

sich sehr stark nach ihren jeweiligen Alterskohorten.<br />

Niemand ändert seine Gewohnheiten und<br />

Einstellungen mit dem Eintritt in eine bestimmte<br />

Altersstufe plötzlich von Grund auf. Im Gegenteil:<br />

Wie das Institut für Arbeit und Technik herausgefunden<br />

hat, sind Konsumenten, die sich im Laufe<br />

ihres Lebens an eine große Angebotsvielfalt,<br />

kurze Produktzyklen, regelmäßige Reisen und<br />

intensive Werbung gewöhnt haben, auch im Alter<br />

neuen Produkten und Techniken gegenüber aufgeschlossen,<br />

sie können damit umgehen und<br />

haben zudem die Zeit, sich eingehend auf Kaufentscheidungen<br />

vorzubereiten.<br />

Es rücken künftig immer mehr Alterskohorten<br />

nach, die nicht mehr im klassischen Sinn<br />

unterhalten und betreut werden wollen, sondern<br />

die großen Wert auf Selbstbestimmung und<br />

Selbstorganisation legen. Eine große Bedeutung<br />

spielen dabei die jeweiligen Lebensumstände.<br />

Auch bei älteren Menschen haben sich Lebensstile<br />

und Formen des Zusammenlebens herausgebildet,<br />

deren Vielfalt mit dem Patchwork-Leben<br />

der jüngeren Generationen vergleichbar ist. Das<br />

Phänomen der späten Väter und Mütter, der<br />

Alten-WGs und des intergenerationalen Zusammenlebens<br />

stehen für ein Aufbrechen traditioneller<br />

Lebensweisen im Alter.<br />

DIE HETEROGENITÄT der älteren Zielgruppen<br />

nimmt also zu. Viele Ältere erleben das eigene<br />

Altern positiv. Gewachsene Mobilität, finanzielle<br />

Unabhängigkeit und medizinische Unterstützung<br />

erweitern den Freiraum für individuelle Lebensgestaltung.<br />

Die DB Research zieht den Vergleich:<br />

„Ähnlich wie junge Menschen nach ihren jeweiligen<br />

Möglichkeiten und Interessen ein breites<br />

Spektrum unterschiedlicher Jugendkulturen<br />

leben, so hat auch das Alter eine Vielzahl von<br />

Gesichtern.“<br />

Hier schließt sich ein intergenerationaler<br />

Kreis: Das Phänomen der Individualisierung, das<br />

der Wirtschaft in den Industrie- und Schwellenländern<br />

in den 80er und 90er Jahren außerordentliche<br />

Wachstumsraten und neue Märkte<br />

beschert hat, ist jetzt auch der Schlüssel zu den<br />

künftigen Wachstumsmärkten der Grey Economy.<br />

In den modernen Gesellschaften ist also die Individualisierung<br />

mit einhergehenden sinkenden<br />

Geburtenraten nicht nur die Ursache, sondern<br />

zugleich die Lösung des Problems.<br />

In den letzten Jahrzehnten entstanden für<br />

junge und jüngere Alterskohorten, die ihre<br />

Jugendphase immer weiter verlängerten, ausdifferenzierte<br />

Lebenswelten. Die daraus hervorge-<br />

Ältere Konsumenten machen Harley-Davidson zu Kult DOSSIER #06<br />

VERMÖGEND UND KONSUMFREUDIG:<br />

Heute sind zweimal so viele Senioren wie vor einem<br />

Jahrzehnt bereit, ihr Geld auszugeben, anstatt<br />

zu sparen. Ein Grund für Unternehmen, ihnen mehr<br />

Aufmerksamkeit zu schenken.<br />

gangenen Abgrenzungs- und Identitätsbedürfnisse<br />

werden vorwiegend mit Produkten und Marken<br />

befriedigt. Der Wunsch nach individueller<br />

Lebensgestaltung und Identitätsgewinnung<br />

machte Konsum zum sozialen Handeln. Der souveräne<br />

Umgang mit Mode, Marken und Produkten<br />

belegt, dass es den Menschen von heute um kalkulierte<br />

Eingriffe in ihre eigene Persönlichkeit<br />

geht, die zunehmend als eine aktiv zu gestaltende<br />

Identität verstanden wird.<br />

Warum soll dieses Instrumentarium der<br />

Warenwelt und Dienstleistungen nicht auch auf<br />

die Alterskohorten der über 50-Jährigen übertragen<br />

werden können? Liegt es daran, dass in den<br />

Forschungs- und Entwicklungslaboratorien, Marketingabteilungen<br />

und Werbeagenturen nur Menschen<br />

arbeiten, die keinen Bezug zur Lebenswelt<br />

von über 50-Jährigen haben?<br />

DIE BEDÜRFNISSE, Vorlieben und Konsumwünsche<br />

von älteren Menschen gestalten sich<br />

genauso differenziert wie die der jungen Konsumenten.<br />

Unternehmen, die von der Demografie<br />

profitieren wollen, müssen zunächst diese älteren<br />

Lebenswelten erforschen und für sie Produkte<br />

entwickeln. Dabei gilt es, den Kardinalfehler der<br />

Stigmatisierung zu vermeiden. Noch immer<br />

herrscht das Bild vom Alter als Allegorie der Defizite<br />

vor: gebrechliche, hilfsbedürftige und einsame<br />

Menschen mit schlechter Gesundheit und fehlender<br />

körperlicher und geistiger Beweglichkeit.<br />

21


DOSSIER #06 Demografischer Wandel als Chance<br />

22<br />

INVESTMENTS IN DAS SELBST: Ältere<br />

Menschen stecken immer mehr Geld in ihr eigenes<br />

Wohlbefinden. Um bis zu 30 Prozent sollen Antifaltenmittel,<br />

Fettreduzierer und Potenzförderer bis<br />

zum Jahr 2010 wachsen.<br />

Demzufolge gehört die Zukunft der Grey<br />

Economy den Produkten, die Bedürfnisse und<br />

Ansprüche der älteren Altersgruppen adressieren,<br />

ohne der Stigmatisierungstendenz zu verfallen.<br />

Wer sich mit den ergonomischen und altersspezifischen<br />

Bedürfnissen der über 50-Jährigen auseinander<br />

setzt, kann auch das Leben jüngerer<br />

Konsumenten erleichtern. Der Hirnforscher Ernst<br />

Pöppel (siehe Kasten auf Seite 17) sagte kürzlich<br />

dem Wirtschaftsmagazin „Wirtschaftswoche“:<br />

„Sich um diese Altersgruppe systematisch zu<br />

kümmern, kann zum Innovationsmotor für nahezu<br />

jeden Wirtschaftszweig werden. Ich bin überzeugt<br />

davon, dass Produkte, die für jung gebliebene<br />

Alte und deren Bedürfnisse konzipiert werden,<br />

für alle Menschen hilfreich sind. Und ich<br />

glaube, dass Produkte, die junge und alte Konsumenten<br />

ohne Anstrengung nutzen können, eine<br />

große Zukunft haben.“<br />

In der Realität sind ältere Konsumenten<br />

längst zu Treibern der großen Trends Wellness,<br />

Gesundheit und Convenience geworden. Ihre<br />

Kaufkraft hat einen Markt mitgeprägt, von dem<br />

auch die jungen Kundengruppen profitieren. Hier<br />

schließt sich der Kreis zwischen Jung und Alt:<br />

Self-Design richtet sich darauf, die Fähigkeit des<br />

Körpers zu erhalten oder zu verbessern. Darin<br />

liegt das Geheimnis des generationenübergreifenden<br />

(ageless) Geschäftserfolgs von Wellnessund<br />

Fitnessangeboten. Alle Menschen streben<br />

unabhängig von ihrem Alter nach Glück. Dafür<br />

suchen sie alle möglichen erfreulichen sinnlichen,<br />

emotionalen und intellektuellen Erfahrungen.<br />

Zu den angenehmsten aller Freuden zählt<br />

der Genuss der eigenen körperlichen und geistigen<br />

Leistung. Große Wachstumspotenziale liegen<br />

somit in Bereichen, wo es nicht um Reparatur,<br />

sondern um Lebensqualität, Wohlbefinden und<br />

schöneres Aussehen geht. Schönheitschirurgie<br />

und Lifestyle-Drugs sind mittlerweile selbst ein<br />

Milliardengeschäft. Bis 2010 werden Antifaltenmitteln,<br />

Fettreduzierern und Potenzmitteln<br />

Wachstumsraten bis zu 30 Prozent vorhergesagt.<br />

Die Älteren sind hier nicht ganz unbeteiligt.<br />

EIN WEITERES GUTES BEISPIEL für die These<br />

von Seniorenforscher Pöppel ist die A-Klasse von<br />

Mercedes: Sie wird nicht explizit für Ältere beworben,<br />

doch sind die höhere Ladekante der Heckklappe<br />

und komfortablere Einstiegshöhe nicht<br />

nur bei jungen Familien beliebt. Das Ergebnis ist:<br />

Über die Hälfte der Käufer sind älter als 50 Jahre.<br />

In diesem Alter setzt oft die hedonistische<br />

Wende ein. Sobald die Kinder aus dem Haus sind,<br />

ändert sich für die „empty nesters“ die eigene<br />

Bedürfnisstruktur fundamental: Bisher war das<br />

Konsumverhalten jahrzehntelang den Kindern<br />

untergeordnet und auf deren Wünsche, Markenpräferenzen<br />

und Lebensweisen ausgerichtet.<br />

Sind die Kinder aus dem Haus, wächst die Lust<br />

auf nachzuholenden Konsum und vor allem auf<br />

Zeit, sich selbst zu entdecken und lang aufgeschobene<br />

Träume zu verwirklichen. Neben Reisen<br />

und Kultur steht vor allem der Ausbau des oft vernachlässigten<br />

Freundeskreises und sozialen Kontaktnetzes<br />

auf der Agenda. Dieser erhöhte Bedarf<br />

an sozialer und räumlicher Mobilität kollidiert<br />

allerdings mit der bisherigen Lebensweise: Da<br />

gerät so manches Eigenheim im Grünen zur biografischen<br />

Falle mit Zinsfuß. Wenn die Eltern die<br />

„empty nests“ verlassen und in die belebten<br />

Innenstädte ziehen wollen, um ihre neu erwachten<br />

sozialen und kulturellen Bedürfnisse auszuleben,<br />

finden sie in den Metropolen einen Immobilienmarkt<br />

vor, der auf diesen neuen Bedarf<br />

zunächst einmal nicht vorbereitet ist.<br />

OFT DECKEN SICH allerdings die Bedürfnisse<br />

der älteren mit jenen der jüngeren Konsumenten.<br />

Das zeigt das Beispiel des Küchenherstellers Bulthaup.<br />

Das über Jahrzehnte erfolgreiche Küchendesign<br />

spricht alle Generationen an, aber unter<br />

Berücksichtigung der Interessen der Älteren. Auch<br />

jüngere Menschen finden es angenehm, den Herd<br />

in der Designküche auf bedienungsfreundlicher<br />

Höhe zu haben, für Ältere wird es teilweise zur


Nutzungsvoraussetzung. In ganz ähnlicher Weise<br />

kam auch das einfach zu bedienende PiPitPhone<br />

von Toyota und Kyocera nicht nur bei älteren Menschern<br />

an. Auch Geschäftsleute, Kinder und<br />

Jugendliche sprangen auf das Produkt mit seinen<br />

großen Schriftzeichen und den nur fünf Tasten an.<br />

DER KUNSTGRIFF BESTEHT also darin, bereits<br />

bei der Produktentwicklung die Bedürfnisse, welche<br />

sich aus dem Älterwerden ergeben, mitzudenken<br />

und sie als selbstverständlich zu befriedigen.<br />

In vielen Produktbereichen wird dies dazu<br />

führen, dass derart gestaltete Produkte für viele<br />

Altersgruppen attraktiv sein können – und zwar<br />

auch solche, die man bisher vor allem in den Händen<br />

Jugendlicher wähnte. Der Spielgerätehersteller<br />

Nintendo beispielsweise hat mit der Konsole<br />

Nintendo DS ein Produkt entwickelt, das auch<br />

ältere Menschen nutzen können. Das Gerät ist<br />

einfach zu bedienen, und parallel bietet Nintendo<br />

Anwendungen für ältere Kunden, etwa einen<br />

Gedächtnistrainer, den das Unternehmen zusammen<br />

mit dem japanischen Neurologen Ryuta<br />

Kawashima entwickelte. In Japan verkaufte sich<br />

das Produkt über 1,4 Millionen Mal; jetzt launcht<br />

Nintendo den Gehirnjogger auch in Europa und<br />

den Vereinigten Staaten.<br />

Mit Produkten, die die gesamte demografische<br />

Spannbreite abdecken, entgeht man auch<br />

betriebswirtschaftlich dem Dilemma, dass hochgradig<br />

spezialisierte Erzeugnisse auf die Kostenvorteile<br />

der Massenfertigung verzichten müssen.<br />

Wer hingegen Produkte oder Dienstleistungen<br />

entwickelt, die in ihrer Produktsprache ältere<br />

Menschen explizit als defizitär ansprechen, wird<br />

keinen nachhaltigen Erfolg haben. Dem Produktdesign<br />

kommt beim Aufbau einer Markenpersönlichkeit,<br />

die auch ältere Menschen anspricht, eine<br />

entscheidende Rolle zu. Das Design transportiert<br />

nicht nur Botschaften zum Benutzer, sondern<br />

macht diese auch physisch erfahrbar. In der<br />

Gestaltung wird eine Marke begreifbar. Design<br />

kann, wenn es richtig eingesetzt wird, zum kaufentscheidenden<br />

Faktor werden. Bei einem gut<br />

gestalteten Produkt weiß der Verwender instinktiv,<br />

wie er es handhaben muss, ohne vorher die<br />

Bedienungsanleitung gelesen zu haben. Durch<br />

eine schlüssige Produktsprache können sich<br />

Produkte und ihre Funktionen aus sich selbst<br />

heraus erklären. Die Botschaft „Dies ist ein auch<br />

für ältere Menschen besonders geeignetes Produkt“<br />

wird implizit mit positiver Konnotation<br />

transportiert.<br />

AUCH FÜR DIE KONSUMENTENANSPRACHE und<br />

die Werbung gilt: Zwar wollen ältere Konsumenten<br />

nicht direkt auf ihr Alter angesprochen werden,<br />

aber ihre Bedürfnisse und Lebenswelten<br />

sollten schon berücksichtigt werden. Doch fühlen<br />

sich ältere Konsumenten nach einer Untersuchung<br />

von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />

nur von sieben Prozent aller Marken überhaupt in<br />

ihrem Wertekanon ernst genommen. Das bedeutet:<br />

Die Zeit des „One size fits it all“ ist auch hier<br />

vorbei. Die großen Mediabudgets richten sich<br />

allerdings zu einem überwältigenden <strong>Anteil</strong><br />

immer noch nur an die Kernzielgruppe der 14- bis<br />

49-Jährigen. Einfach nur die Altersspanne nach<br />

oben zu erweitern, wird den älteren Konsumentengruppen<br />

sicher auch nicht gerecht – sie bilden<br />

genauso wenig homogene Altersblöcke wie<br />

die jüngeren Gruppen. Auch die Modelle der<br />

Sinus-Milieus und der zahlreichen weiteren differenzierenden<br />

Typologien werden auf der Jagd<br />

nach dem immer souveräner agierenden Kunden<br />

deutlich stumpfer. Konsumenten jeglichen Alters<br />

versammeln sich heutzutage lieber in inhaltlich<br />

strukturierten Communities, die ihren Präferenzprofilen<br />

entsprechen. Gleichzeitig wächst<br />

der <strong>Anteil</strong> der älteren Menschen, die bereits vernetzt<br />

und digital leben, unaufhaltsam.<br />

ANGESICHTS DER GROSSEN Marktpotenziale<br />

der demografischen Entwicklung und der zahlreichen<br />

möglichen Fehlerquellen im sensiblen<br />

Seniorenmarkt sollte jedes Unternehmen seine<br />

Entwicklungsmethoden, Produktangebote und<br />

Kundenkommunikation optimieren. Je früher die<br />

Bedürfnisse und Ansprüche älterer Konsumenten<br />

im Wertschöpfungsprozess eines Unternehmens<br />

involviert werden, desto mehr Erfolg wird<br />

man im Markt erzielen. Die älteren Konsumenten<br />

Unternehmen müssen alterslose Marken aufbauen DOSSIER #06<br />

müssen zum Prosumenten gemacht werden; die<br />

Instrumente wie Fokusgruppen und tiefenpsychologische<br />

Interviews stehen dazu bereit.<br />

Auch die in den letzten Jahren sehr verfeinerten<br />

Methoden der Kundenbindung müssen<br />

nur gleichberechtigt auf die älteren Kundengruppen<br />

angewandt werden. Die Instrumente des<br />

Customer Relationship Management, vom Dialogmarketing<br />

bis zum Datenbankmanagement, stehen<br />

allen Unternehmen zur Verfügung, um mehr<br />

über diese bislang relativ unbekannten Kunden<br />

zu erfahren. Das Alter hat viele Gesichter – lernen<br />

wir sie besser kennen!<br />

PRODUKTE UND MARKEN FÜR<br />

ÄLTERE ZIELGRUPPEN<br />

�„Raku-Raku“ ist japanisch und heißt „Einfach-<br />

Einfach“. Genau durch diese Einfachheit<br />

zeichnet sich das gleichnamige Mobiltelefon<br />

der japanischen Firma NTT DoCoMo aus,<br />

ebenso wie das PiPitPhone von Toyota und<br />

Kyocera. Die Handys haben große Schriftzeichen,<br />

wenige Tasten und oft Funktionen, die<br />

auf Knopfdruck Hilfe herbeiholen.<br />

�Mit seinem Gedächtnistrainer Brain Age will<br />

Nintendo nun westliche Märkte erobern. In<br />

Japan landeten die Spieleentwickler mit<br />

ihrem Gehirnjogger bereits einen Volltreffer.<br />

�Anfang der neunziger Jahre brachte Beiersdorf<br />

unter der Marke Nivea mit der „Vital“-<br />

Linie die erste Kosmetikserie für die „reife<br />

Haut“ auf den Markt. In der Werbung wurde<br />

reife Haut nicht als Makel, sondern als<br />

anspruchsvoll charakterisiert.<br />

�Nicht zuletzt über 50-Jährige haben die Marke<br />

Harley-Davidson zum Kult gemacht. Sie kaufen<br />

die teuren Motorräder, gründen Fanclubs<br />

und füllen so die Marke mit Leben. Das zeigt:<br />

Auch Ältere können Trendmarken generieren.<br />

�Die Zigarettenmarke Davidoff begann 2001<br />

mit dem Slogan „The more you know“ und mit<br />

Gesichtern reiferer Testimonials zu werben.<br />

Die Lebenserfahrung höheren Alters wurde so<br />

zu etwas Begehrenswertem.<br />

23


DOSSIER #06 Demografischer Wandel als Chance<br />

24<br />

Die Veränderung gestalten –<br />

EINE WOHNGEMEINSCHAFT AUS SENIOREN UND KINDERN, EINE UNIVERSITÄT FÜR BETAGTE STUDENTEN, EIN REGIERUNGSMANN FÜR KOMMENDE<br />

GENERATIONEN – IN VIELEN LÄNDERN GIBT ES INITIATIVEN, DIE DEMOGRAFISCHE VERÄNDERUNGEN ALS CHANCE BETRACHTEN. WIR STELLEN INNO-<br />

VATIVE ANSÄTZE VOR – UND LASSEN DIESE VOM EXPERTEN THOMAS LINDH BEURTEILEN.<br />

NIEDERLANDE: Stadtführer und Business-Angels<br />

Besucher des niederländischen Amsterdam können sich die Grachtenstadt von<br />

besonderen Stadtführern zeigen lassen: Der Verein Gilde Amsterdam vermittelt<br />

ältere Menschen, die Touristen zu ihren persönlichen Lieblingsplätzen oder an<br />

Orte aus dem Leben Rembrandts führen. Insgesamt mehr als 1000 Freiwillige,<br />

alle 50 oder mehr Jahre alt, arbeiten bei Gilde Amsterdam. Die Stadtführungen<br />

sind nur ein Bereich des Engagements. Daneben setzen sich etwa ehemalige<br />

Manager als Berater für junge Firmengründer ein.<br />

Inzwischen gibt es Gilden in allen größeren Städten des Landes. Und sie sind<br />

nicht die einzigen Freiwilligenorganisationen in den Niederlanden: Im europäischen<br />

Vergleich hat das Land die höchste Rate älterer Menschen, die ehrenamtlich<br />

in Gemeinden oder Vereinen arbeiten. Und der <strong>Anteil</strong> steigt: 1997 waren 27<br />

Prozent aller Menschen über 65 ehrenamtlich engagiert, 2004 lag dieser <strong>Anteil</strong><br />

schon bei 35 Prozent.<br />

FRANKREICH: Die Alt-Jung-WG<br />

Pascal Champvert bringt Generationen zusammen: Im 80 000-Einwohner-Städtchen<br />

Saint-Maur-des-Fossées, südöstlich von Paris<br />

in der Region Île-de-France gelegen, hat er eine Kombination aus<br />

Seniorenresidenz und Kindergarten gegründet, die Résidence de<br />

l’Abbaye. 110 ältere Frauen und Männer verbringen hier das „dritte<br />

Lebensalter“ – und einen Großteil ihres Tages mit Kindern, die<br />

zwischen 18 Monaten und drei Jahren alt sind. Sie singen und<br />

spielen mit den Kleinen, lesen ihnen Geschichten vor und essen<br />

gemeinsam mit ihnen. Beide Seiten scheinen von diesem generationenübergreifenden<br />

Projekt zu profitieren: Die Kinder seien ruhiger<br />

und ausgeglichener, berichten die Betreuer, die Älteren dagegen<br />

aktiver und selbständiger. Die Résidence de l’Abbaye ist eines<br />

von fünf Projekten dieser Art in Frankreich.<br />

»Ein wichtiges Beispiel: Die Übertragung sozialer<br />

Kompetenzen bei Menschen lief schon immer<br />

besonders stark über Großväter und Großmütter. Mit dem<br />

Wegfall der erweiterten Familie ist dieser Übertragungsweg<br />

oft verloren gegangen. Dies ist eine Möglichkeit, ihn<br />

wiederherzustellen.<br />

»Eine sinnvolle Beschäftigung, welche die<br />

aktive Zeitspanne des Lebens möglichst<br />

weit verlängert, nutzt nicht nur Senioren. Vor<br />

allem die Weitergabe von Wissen der Älteren an<br />

die Jüngeren, von Wissen also, das nur über<br />

Erfahrung erworben werden kann, wird in unseren<br />

Bildungssystemen unterschätzt. Gerade dieses<br />

Wissen schützt die Gesellschaft vor dem Wiederholen<br />

alter Fehler in neuen Kontexten.<br />

SPANIEN: Amnestie für sichere Renten<br />

Im Mai 2005 konnte sich der spanische Arbeitsminister Jesús Caldera über 700 000<br />

neue offizielle Arbeitsplätze freuen. Seit der Amnestie für illegale Immigranten gehören<br />

sie zur offiziellen Statistik des Landes. Es war die sechste Amnestie seit 1990.<br />

Caldera schätzt, dass damit 80 bis 90 Prozent aller Schwarzarbeitjobs aus diesem<br />

Bereich legalisiert wurden. Deren Inhaber zahlen damit nun auch in die Renten- und<br />

Sozialsysteme ein. So sollen dank der neuen Arbeitnehmer jährlich rund 1,5 Milliarden<br />

Euro mehr in Spaniens Kassen landen. Immerhin verschafft sich Spanien damit<br />

etwas Luft: Die ungefähr 2020 anstehende Krise des Rentensystems habe sich, sagt<br />

Caldera, jetzt um fünf bis zehn Jahre nach hinten verschoben.<br />

»Einwanderer helfen, den Übergang eines Industrielandes in die<br />

alternde Gesellschaft sanfter zu gestalten. Das Beispiel zeigt, dass<br />

Länder wie Spanien gut daran tun, die Migration zu nutzen. Allerdings<br />

muss das Land aufpassen, mit Amnestiewellen keine neuen Probleme zu<br />

schaffen – weil sie immer mehr illegale Zuwanderer anzieht.


neun Best Practices<br />

NORWEGEN: Ölgelder sichern den Ruhestand<br />

Kristin Halvorsen ist eine der emsigsten Sparerinnen der Welt. Die norwegische Finanzministerin verwaltet<br />

den Pensionsfonds der Regierung . In den Fonds fließen seit 1996 Einnahmen, die der norwegische Staat mit<br />

dem Verkauf von Erdöl erzielt. Willkommener Nebeneffekt: Der Staat vermeidet so, dass die heimische Wirtschaft<br />

durch zu viel einfließendes Kapital überhitzt. Norwegen ist nach Saudi-Arabien und Russland der<br />

drittgrößte Erdölexporteur der Welt. Der Fonds ist inzwischen auf 210 Milliarden US-Dollar angewachsen.<br />

Das ist besonders viel, wenn man bedenkt, dass in Norwegen gerade mal 4,6 Millionen Menschen leben.<br />

Jedem Norweger stehen also statistisch gesehen 43 000 US-Dollar Rente zu.<br />

»Regierungen können auf zwei Arten Geld für die Zukunft ihrer Bürger sparen. Zum einen,<br />

indem sie Geld mehr oder weniger riskant anlegen. Zum anderen, und das wird oft vergessen,<br />

indem sie in das so genannte Humankapital, also ihre Bürger, investieren. Denn so<br />

schaffen sie eine gute Basis für künftige Steuereinnahmen. Das bedeutet natürlich steigende<br />

Ausgaben für Bildung, aber auch generell gute Bedingungen für das Aufziehen von Kindern<br />

sowie für Investitionen der Bürger in die eigene Zukunft.<br />

NEUSEELAND: Privat sparen für die Rente<br />

Die Regierung Neuseelands will ihre Bürger zu mehr privater Altersvorsorge<br />

animieren. Als Teil ihrer „Saving your Future“-Kampagne startet<br />

sie darum im April kommenden Jahres das Rentenprogramm Kiwi-<br />

Saver. Die Neuseeländer müssen künftig mehr privat vorsorgen, denn<br />

Rentner erhalten vom Staat im Schnitt nur 37,6 Prozent ihres letzten<br />

Lohns oder Gehalts. Nach Angaben der OECD liegt Neuseeland damit<br />

weltweit auf dem viertletzten Platz, lediglich vor Großbritannien, Mexiko<br />

und Irland. KiwiSaver steht nun allen Arbeitern, Angestellten und<br />

Selbständigen über 18 Jahre offen. Sie können zwischen vier und acht<br />

Prozent ihres Bruttogehalts einzahlen. Der Staat unterstützt die Sparer<br />

unter anderem mit 1000 US-Dollar Startkapital sowie mit Beihilfen<br />

für Hauskäufer. Ab 65 Jahren wird die Rente ausgezahlt.<br />

ISRAEL: Mister Zukunft berät das Parlament<br />

Der pensionierte Richter Shlomo Shoham denkt permanent an Menschen, die noch gar nicht<br />

geboren sind. Er ist der Beauftragte für zukünftige Generationen des israelischen Parlaments.<br />

Shohams Kommission soll als weltweit einzige Einrichtung im Auftrag eines Parlaments die<br />

Rechte künftiger Generationen schützen. Die Position des Regierungsbeauftragten entstand<br />

2002 nach einer Initiative der liberalen Mittelklassepartei Shinui („Wandel“). Der Beauftragte<br />

ist Teil der Knesset; er wird vom Präsidenten ernannt. Bis auf Entwürfe aus den Bereichen<br />

Außenpolitik und Verteidigung überprüft er geplante Gesetze auf ihre Auswirkungen für zukünftige<br />

Generationen. Zudem berät er Knesset-Mitglieder zu den Themen demografische Entwicklung<br />

und Gesundheit. Der Beauftragte versteht sich selbst als Verbindung zwischen Wissenschaft<br />

und Regierung und ist in der israelischen Politik hoch angesehen.<br />

THOMAS LINDH ist Professor für<br />

Ökonomie an der Universität Uppsala<br />

und forscht am Stockholmer Institutet<br />

för Framtidsstudier, dem Institut für<br />

Zukunftsstudien. Dort leitet er den<br />

Forschungsbereich „Wirtschaftliche<br />

Entwicklung und Verteilung zwischen<br />

den Generationen in einer alternden<br />

Gesellschaft“.<br />

»Bei Rentenraten wie jenen in Neuseeland<br />

besteht ein erhebliches<br />

Armutsrisiko für Ältere. Man braucht also<br />

weitere Absicherungen wie KiwiSaver.<br />

Allerdings haben verpflichtende Rentensysteme<br />

im Vergleich zu privaten Absicherungen<br />

einige Vorteile: Sie verursachen<br />

niedrigere Verwaltungskosten und<br />

sind davor geschützt, dass arme Menschen<br />

aus kurzsichtigen Gründen aussteigen<br />

und später vom Sozialsystem<br />

aufgefangen werden müssen.<br />

»Der israelische Regierungsbeauftragte<br />

arbeitet wie ein<br />

Frühwarnsystem, um die Gesellschaft<br />

vor unvorhergesehenen Entwicklungen<br />

und Konsequenzen von<br />

Gesetzesbeschlüssen zu bewahren.<br />

Dabei ist es ein enormer Vorteil, dass<br />

sich Shlomo Shoham gut im Politikbetrieb<br />

zurechtfindet, weil er nicht<br />

von außen kommt.<br />

25


DOSSIER #06 Demografischer Wandel als Chance<br />

USA: 800 Millionen Dollar für Seniorenlobbying<br />

Bill Novelli hat schon zum zweiten Mal in seinem Leben die öffentliche Meinung<br />

der USA in seiner Hand. Bis 1990 führte er das PR-Unternehmen Porter Novelli.<br />

Heute ist er CEO der American Association of Retired Persons (AARP). Der Verband<br />

ist die weltweit größte und einflussreichste Nichtregierungsorganisation für ältere<br />

Menschen. Die AARP hat mehr als 35 Millionen Mitglieder, fast die Hälfte aller US-<br />

Bürger über 50. 2004 erwirtschaftete der Verband 878 Millionen US-Dollar Gewinn<br />

und gab 800 Millionen US-Dollar für Publikationen und Lobbyarbeit aus. Die Organisation<br />

veröffentlicht Stellungnahmen zu Gesetzen, berät das Parlament und<br />

kooperiert mit den UN. AARP unterhält einen eigenen Wohltätigkeitsverband, der<br />

ältere Arbeitnehmer fortbildet und Rechtsberatung anbietet. Die Tochterfirma AARP<br />

Services entwickelt und verkauft Produkte und Dienstleistungen für Senioren.<br />

26<br />

KANADA: Politikberatung<br />

Früher unterrichtete Robert Dobie Französisch, Mitte der Achtziger gründete er in Montreal<br />

eine Seniorenresidenz. Jetzt ist er Präsident des kanadischen National Advisory Council<br />

on Aging (NACA). Der 1980 geschaffene Rat ist ein Beratungsgremium, das direkt mit dem<br />

Gesundheitsminister Tony Clement zusammenarbeitet. So hat Dobie gerade den Minister<br />

getroffen, um ihn zu überzeugen, dass es den Staat billiger kommt, Senioren möglichst<br />

lange zu Hause wohnen zu lassen, als diese in ein Heim einzuweisen. Demnächst will NACA<br />

das Phänomen der obdachlosen Senioren dokumentieren.<br />

Der Rat besteht aus bis zu 18 Mitgliedern und wird vom kanadischen Staat mit einem Team<br />

von Beamten unterstützt. Seine Arbeit ist notwendig, weil Kanada mit besonders starken<br />

demografischen Umwälzungen zu tun hat. So soll die Zahl der Bürger über 65 bis 2011 auf<br />

fünf Millionen ansteigen. 1998 waren es noch 3,6 Millionen. Heute machen Senioren zwölf<br />

Prozent der kanadischen Bevölkerung aus, 2021 sollen es schon 20 Prozent sein.<br />

»Ein echter Best-Practice-<br />

Fall: Das NACA stellt sicher,<br />

dass der demografische Wandel bei<br />

sämtlichen politischen Entscheidungen<br />

berücksichtigt wird. Allzu<br />

leicht gehen Gesellschaften zwar<br />

einige Aspekte der Überalterung in<br />

Gesetzen an, vergessen dabei aber<br />

andere. Die zentrale Einrichtung<br />

hilft, dies zu vermeiden.<br />

»Eine Organisation wie diese ist wichtig<br />

und sinnvoll, um die Rechte von Älteren zu<br />

sichern sowie um diese zu beraten und zu unterstützen.<br />

Man könnte sie als eine Art Versicherung<br />

betrachten. Allerdings muss jede Gesellschaft die<br />

Ansprüche der Älteren und die Bedürfnisse Jüngerer<br />

ausbalancieren, um sich nachhaltig entwickeln<br />

zu können. Schließlich dürfen die Älteren<br />

wählen, Kinder aber nicht. Einige Experten schlagen<br />

darum erweiterte Wahlrechte für Eltern mit<br />

minderjährigen Kindern vor.


CHINA:<br />

Die Seniorenuni<br />

Zheng Lingde unterrichtet an der Universität ihrer Heimatstadt<br />

Schanghai – und zwar überwiegend Studenten,<br />

die älter sind als sie selbst. Lingde ist Präsidentin<br />

der dortigen Seniorenuniversität. An dieser<br />

Spezialuni können ältere Menschen nicht nur Musikoder<br />

Malkurse belegen, sondern auch Fremdsprachen<br />

lernen, digitale Fotografie oder sogar Computerprogrammieren.<br />

Die Seminare werden auch per Radio,<br />

Fernsehen und Internet landesweit übertragen.<br />

Mehr als 2,3 Millionen Chinesen belegen Kurse an<br />

speziellen Universitäten und Schulen, von denen es<br />

landesweit rund 26 000 gibt. Sie finanzieren sich über<br />

Spenden von Unternehmen und Stiftungen sowie über<br />

Kursbeiträge. In Schanghai, der chinesischen Stadt<br />

mit dem höchsten Altenanteil, belegen bereits 14 Prozent<br />

aller Senioren Kurse und Klassen. Lingde will den<br />

<strong>Anteil</strong> bis 2015 auf 22 Prozent steigern. Die Idee<br />

dahinter: Wenn die Alten weiterlernen, können sie länger<br />

zur Entwicklung der Gesellschaft beitragen.<br />

»Bildung kann man einerseits als Konsumgut<br />

betrachten, welches das persönliche<br />

Wohlbefinden steigert. Auf der anderen<br />

Seite aber erhöhen Investitionen in die Bildung<br />

auch das Humankapital einer Gesellschaft.<br />

Die Annahme, solche Investitionen<br />

seien für ältere Menschen weniger bedeutend,<br />

ist falsch. Gerade in einem Land wie China, wo<br />

die Meinungen der Älteren sehr viel zählen, ist<br />

es wichtig, dass sie auch mit den neuesten<br />

Technologien vertraut sind. Verglichen mit<br />

China besteht hier in westlichen Gesellschaften<br />

noch deutlicher Nachholbedarf.<br />

Das Problem ist bekannt: Die Alterung von<br />

Japans Bevölkerung belastet seit den neunziger<br />

Jahren Familien, Unternehmen und Regierung.<br />

In den Familien wird es künftig weniger<br />

unbezahlte Pflegekräfte (innerhalb der Familie)<br />

geben, welche die wachsende <strong>Anzahl</strong> pflegebedürftiger<br />

alter Menschen betreuen können.<br />

Seit der Einführung der öffentlich-rechtlichen<br />

Pflegeversicherung im Jahr 2000 übersteigt<br />

die Nachfrage nach Pflege das Angebot<br />

bei weitem. Dieser Pflegebedarf wird auch in<br />

Zukunft kaum sinken.<br />

Für Unternehmen und Regierung erzeugt die<br />

Alterung potenzielle Arbeitsmarktprobleme.<br />

Die Arbeitskräfte altern, die Basis der Bevölkerung<br />

im erwerbsfähigen Alter schrumpft.<br />

Schätzungen des National Institute of Population<br />

and Social Security Research zufolge<br />

nimmt die japanische Bevölkerung im<br />

Erwerbsalter zwischen 2005 und 2010 um 0,5<br />

Prozent ab, bis 2015 um weitere 0,6 Prozent<br />

und bis 2020 um nochmals 0,6 Prozent. Dies<br />

schwächt die Konjunktur. Darüber hinaus steigen<br />

die zur Aufrechterhaltung von Renten- oder<br />

Krankenversicherungen notwendigen Sozialausgaben<br />

– gefährlich für eine nicht auf Sozialleistungen<br />

eingestellte Gesellschaft wie die<br />

japanische.<br />

Schließlich bedeutet die Alterung der Arbeitskräfte<br />

im Zusammenhang mit Japans System<br />

der Lebenszeitanstellung und der Senioritätsentlohnung,<br />

dass ältere Arbeitnehmer in vielen<br />

Unternehmen künftig die Mehrheit bilden.<br />

Dadurch können Karriereleitern blockiert werden.<br />

Es gibt Anzeichen dafür, dass Japans<br />

Unternehmen sich von den Prinzipien der<br />

Lebenszeitanstellung und der Senioritätsentlohnung<br />

entfernen und stärker Teilzeitarbeit<br />

und befristete Arbeitsverträge nutzen.<br />

Doch der demografische Wandel bringt auch<br />

Chancen mit sich. So entwickelt sich damit der<br />

Pflegesektor. Die Regierung förderte bereits in<br />

letzter Zeit verstärkt öffentliche Tagesstätten<br />

für Kinder und alte Menschen. Derartige Investitionen<br />

dürften sich künftig noch viel stärker<br />

lohnen. Hier wächst ein Markt.<br />

Auch der Arbeitskräftemangel ist nicht unabdingbar.<br />

Der demografische Wandel birgt sogar<br />

die Möglichkeit zu einem flexibleren und<br />

gerechteren Arbeitsmarkt. Dazu muss man<br />

allerdings die vorhandenen Arbeitskräfte<br />

(etwa Frauen und Einwanderer) effektiver ein-<br />

Flexibilität DOSSIER #02<br />

KRISENLAND ALS MOTOR DES WANDELS<br />

KAUM EINE GESELLSCHAFT ALTERT SO SCHNELL WIE DIE JAPANISCHE. DAS BRINGT PRO-<br />

BLEME FÜR FIRMEN UND STAAT MIT SICH. DOCH DIE VERÄNDERUNG KÖNNTE AUCH DIE<br />

GESELLSCHAFT MODERNISIEREN HELFEN, GLAUBT DIE WISSENSCHAFTLERIN ITO PENG.<br />

setzen. So sollte das Land mehr Frauen in<br />

Beschäftigungsverhältnisse führen. Japanische<br />

Frauen gehören zu den am besten ausgebildeten<br />

der Welt. Zugleich haben sie eine der<br />

niedrigsten Beschäftigungsraten: Nach Angaben<br />

der OECD arbeiten momentan nur 57 Prozent<br />

aller Japanerinnen, verglichen mit 65 Prozent<br />

der US-Amerikanerinnen. Hier geht der<br />

Volkswirtschaft viel Potenzial verloren.<br />

Schließlich kann die Alterung auch bedeuten,<br />

dass das Land den Arbeitsmarkt stärker für<br />

legale Einwanderer im arbeitsfähigen Alter öffnet.<br />

Dies kann auch den Zustrom illegaler Einwanderer<br />

nach Japan reduzieren.<br />

Außerdem ist die Alterung der Bevölkerung<br />

auch ein geeigneter Moment für Japan, sein<br />

Sozialversicherungssystem zu überdenken.<br />

Viel zu lange hat sich das Land auf die Familie<br />

als Pflegepersonal für ältere Menschen und auf<br />

die Arbeitgeber als Garanten für Beschäftigungssicherheit<br />

verlassen. Auch daher besitzt<br />

Japan unter den OECD-Ländern eines der<br />

dünnsten Wohlfahrtssysteme. Das muss sich<br />

jedoch ändern. Angesichts der immer stärkeren<br />

Diversifizierung der Familien und der<br />

zurückgehenden Zahl älterer Menschen, die bei<br />

ihren Kindern leben, sowie der sinkenden<br />

Beschäftigungssicherheit muss der Staat sich<br />

stärker bei der Gewährleistung von Sozialleistungen<br />

und sozialer Gleichheit engagieren. Hier<br />

muss und kann Japan von den Erfahrungen<br />

aus Ländern mit etablierten Sozialsystemen<br />

lernen.<br />

Fazit: Der demografische Wandel birgt für<br />

Japan die Chance, zum Marktführer zu werden<br />

– zum Marktführer im Umgang mit einer radikal<br />

veränderten Realität.<br />

Ito Peng ist Direktorin des<br />

Dr.-David-Chu-Programms<br />

in Asia Pacific Studies an<br />

der Universität Toronto.<br />

Dort lehrt sie auch als<br />

Associate Professor am<br />

Lehrstuhl für Soziologie.<br />

Ihre Schwerpunkte sind<br />

die komparative Sozialpolitik,<br />

ostasiatische<br />

Wohlfahrtssysteme<br />

und Vergleiche zwischen<br />

Ost und West.<br />

27


28<br />

Die Revolution der Aktienkultur<br />

WENN DIE BABYBOOMER IN RENTE GEHEN, DROHEN KURSSTÜRZE, PROGNOSTIZIERT DER FINANZWISSENSCHAFTLER JEREMY SIEGEL IM GESPRÄCH<br />

MIT THINK:ACT. DIE UNTERNEHMEN MÜSSEN DIE AKTIONÄRE MIT HOHEN DIVIDENDEN BEI LAUNE HALTEN. DAS ERZEUGT EINE NEUE AKTIENKULTUR.<br />

s<br />

EIGENTLICH KLINGT das Szenario ganz gut:<br />

In die Aktienmärkte könnte demnächst eine neue<br />

Solidität Einzug halten. Doch am Anfang der Vision<br />

des Finanzwissenschaftlers und Börsengurus<br />

Jeremy Siegel steht ein Schock. Die 77 Millionen<br />

Babyboomer, die ab den nächsten Jahren nach<br />

und nach in Pension gehen, müssen ihre Rente<br />

sichern – und werden daher bald so viele Aktien<br />

verkaufen, dass die Wertpapierkurse vor allem<br />

in Europa und den USA massiv unter Druck geraten.<br />

Denn für die vielen Wertpapiere werde es<br />

schlicht „nicht genügend Käufer geben“, so Siegel<br />

im Gespräch mit think:act. Die Verkaufswelle werde<br />

einen schleichenden Crash auslösen, prophezeit<br />

der Finanzguru.<br />

Eigentlich ist Jeremy Siegel der große Optimist<br />

der Börse. Sein Buch „Stocks for the Long<br />

Run“ bezeichnete der Economist als die „Bibel“


JEREMY SIEGEL ist Russell E. Palmer<br />

Professor of Finance an der Wharton School der<br />

Universität Pennsylvania. Dort erforscht er die<br />

Auswirkung der demografischen Entwicklung auf<br />

die Finanzmärkte. Zurzeit schreibt er an einem<br />

neuen Buch: „The Global Solution“ soll die Chancen<br />

beleuchten, die aufstrebende neue Volkswirtschaften<br />

für die globale Ökonomie bieten.<br />

des letzten Börsenbooms. Doch Siegels damaliger<br />

Optimismus ist ein Stück weit verflogen. „Die<br />

Börsenkurse können um 40 bis 50 Prozent einbrechen“,<br />

fürchtet er jetzt.<br />

VERSCHÄRFT WIRD die neue Schieflage am<br />

Aktienmarkt dadurch, dass auch Privatinvestoren,<br />

die sich nicht unmittelbar zu Konsumzwecken<br />

von Aktien trennen müssen, ihre Portfolios umbauen<br />

– von Aktien zu solideren und planbareren<br />

Anleihen. „Die Nachfrage nach Anleihen wird steigen“,<br />

so Siegel. Erste Anzeichen davon machen<br />

sich bereits bemerkbar. Nach Recherchen der US-<br />

Notenbank Fed haben Pensionsfonds zwischen<br />

2001 und 2005 fast 400 Milliarden Dollar aus den<br />

Aktienmärkten abgezogen und fast 140 Milliarden<br />

davon in Anleihen investiert.<br />

Wie aber können die Unternehmen den<br />

Kapitalabfluss stoppen? Nach Ansicht Siegels nur<br />

auf zweierlei Weise: Entweder sie lassen in großem<br />

Maßstab neue Aktionäre aus den schnell<br />

wachsenden Boommärkten in Asien ans Ruder.<br />

Oder sie setzen auf einheimische Anleger und<br />

versuchen, die Babyboomer doch noch zum Halten<br />

ihrer Aktien zu bewegen.<br />

Gangbar wären grundsätzlich beide Wege.<br />

In den beiden dynamischsten Volkswirtschaften<br />

Asiens bringt der Dauerboom expansive Firmen<br />

und einen rasant wachsenden Mittelstand, aber<br />

auch neue Großkonzerne hervor. Deren Kapital<br />

strömt zunehmend auch an die Börsen in Europa<br />

und den USA. Mit ihm würden künftig immer häufiger<br />

auch Mehrheiten an etablierten Konzernen<br />

erworben, sagt Siegel vorher. „Ich rechne damit,<br />

dass 2050 mehr als die Hälfte des Weltkapitals in<br />

den Händen der Schwellen- und Entwicklungsländer<br />

liegen wird.“<br />

WENN DIE WESTLICHEN Konzerne solche<br />

Übernahmen abwehren wollen, müssen sie ihren<br />

traditionellen Anlegern höhere Anreize bieten,<br />

damit diese ihre <strong>Anteil</strong>scheine nicht abstoßen. Im<br />

Klartext: Sie müssen die Dividenden deutlich<br />

erhöhen. Dividendenrenditen von fünf bis acht<br />

Prozent, wie sie bisher erst wenige europäische<br />

Konzerne bieten, werden dann keine Seltenheit<br />

mehr sein. „Wir werden eine neue Dividendenkultur<br />

erleben“, fasst Siegel zusammen.<br />

Hat er Recht, so bedeutet das für die Publikumsgesellschaften<br />

treuere Aktionäre, aber auch<br />

stetigere Kursentwicklungen. Kurzfristiges Quartalsdenken,<br />

das ein nachhaltiges, geduldiges<br />

Wachstum erschwert, weicht einer strategischen<br />

Ausrichtung, die eher langfristige Marktentwicklungen<br />

im Blick hat als lediglich auf schnelle<br />

Kursgewinne ausgerichtete Transaktionen. Mit<br />

anderen Worten, in Aussicht ist eine Rückkehr<br />

vom ausschließlichen Wachstumsfokus, der zu<br />

Hochzeiten der New Economy einen Schub erlebte,<br />

zur Dividendenkultur.<br />

AKTIEN MIT VERGLEICHSWEISE hohen Ausschüttungen<br />

gehörten 200 Jahre lang zu den<br />

populärsten Wertpapieren. Ende der Neunziger<br />

aber löste der Techboom eine Jagd auf junge<br />

Wachstumstitel aus. Viele Anleger kannten für<br />

Welche Aktien kaufen Senioren? DOSSIER #06<br />

Aktien nur noch eine Messlatte: schnelle Kursgewinne,<br />

auch wenn diese nur durch das Versprechen<br />

künftiger Profite hervorgerufen wurden.<br />

Firmen, die mit einer konservativen Wachstumsstrategie<br />

stetige und sichere, aber nicht gerade<br />

exorbitant hohe Zuwächse versprachen, waren<br />

nicht mehr sexy genug. Doch dann kamen<br />

die Bilanzskandale von Enron und WorldCom.<br />

Die Besessenheit der Börsianer von Kursgewinnen<br />

verschwand.<br />

KÜNFTIG ALSO ZÄHLT WIEDER der lange Atem.<br />

Für die Entscheider in den Unternehmen, vor<br />

allem die Investor-Relations-Strategen, ist dies<br />

zunächst einmal eine gute Nachricht. Die neue<br />

Dividendenkultur und die höheren Dividenden<br />

nämlich werden treuere und geduldigere Aktionäre<br />

anlocken. Das begrenzt mögliche Verluste in<br />

Abwärtszyklen und verschafft dem Management<br />

einen größeren Freiraum, ohne den Druck kurzer<br />

Erwartungshorizonte langfristiger für die Zukunft<br />

zu planen.<br />

GANZ UNPROBLEMATISCH ABER ist die neue<br />

Dividendenkultur für die Firmen nicht. Zu hohe<br />

Ausschüttungen zehren nämlich an der Substanz.<br />

Sie können die globale Wettbewerbssituation<br />

westlicher Firmen schwächen. Ausgeschüttete<br />

Gewinne können nicht reinvestiert werden, um<br />

Forschung und Entwicklung zu forcieren und so<br />

den neuen Konkurrenten aus Shanghai, Mumbai<br />

oder Hyderabad Paroli zu bieten. Ein Dilemma, mit<br />

dem die Unternehmen werden leben müssen.<br />

29


Junge Köpfe, alte Köpfe<br />

RISIKOBEREITSCHAFT VERSUS ERFAHRUNG, UNBEDINGTER WILLE VERSUS ETABLIERTE NETZWERKE –<br />

JUNGE FIRMENGRÜNDER VERFÜGEN ÜBER ANDERE STÄRKEN ALS IHRE COUNTERPARTS MIT LÄNGERER<br />

PRAXIS. ERFOLG KÖNNEN BEIDE HABEN. UND SIE BRAUCHEN EINANDER.<br />

s<br />

IKEA-GRÜNDER Ingvar Kamprad war schon als<br />

Kind geschäftstüchtig. Damals fuhr der heute viertreichste<br />

Mann der Welt mit dem Fahrrad von Tür zu Tür<br />

und verkaufte Zündhölzer. Diese Erfahrung machte er<br />

als 17-Jähriger zur Grundlage seines Erfolgs: Die<br />

Grundwerte Sparsamkeit und Effizienz wurden zur<br />

Philosophie von Ikea. Und Kamprad zu einem Vorbild<br />

für viele junge Firmengründer.<br />

Aber ist Kamprads Biografie typisch für erfolgreiche<br />

Unternehmen? Was zählt hier mehr – ein früher<br />

Start oder Erfahrung? Die Statistik ist nicht eindeutig:<br />

Sowohl 20- als auch 60-Jährige gründen Unternehmen.<br />

Immerhin knapp fünf Prozent aller 18- bis<br />

24-Jährigen leiten in reichen Ländern eigene Firmen,<br />

so der Global Entrepreneurship Report von Babson<br />

College und London Business School. Und an die vier<br />

Prozent aller über 54-Jährigen waren mit Start-ups<br />

unternehmerisch aktiv.<br />

Gute Nachricht für junge Gründer: Die Annahme,<br />

ohne 15 Jahre Managementerfahrung ginge<br />

nichts, ist falsch. Vom „Mythos Erfahrung“ spricht<br />

in diesem Zusammenhang der Direktor der Belmont<br />

University, Jeff Cornwall. Nur: Weil die Jungen nicht<br />

lange in Unternehmen Erfahrungen gesammelt haben<br />

können, müssen sie anderswo nach Input suchen.<br />

Beispiel Kamprad: Als Teenager lernte er vieles, was<br />

ihm als Unternehmer später nützte. Etwa, wie hilfreich<br />

gute Logistik ist. Schon bald fuhr er nicht mehr<br />

selbst, sondern gab dem Milchmann seine Fracht mit.<br />

Dem jungen Kamprad fehlte die „Betriebsblindheit“<br />

der Etablierten.<br />

Ganz ähnlich verlaufen andere junge Unternehmer-Storys.<br />

Dem Firmengründer Marco Boerries<br />

brachten schon mit 16 Beharrlichkeit und unverstellter<br />

Blick den Erfolg. Mit 2000 D-Mark Startkapital<br />

gründete er Star Division, erfand die Textverarbeitung<br />

Star Office. Später verkaufte er sein Unternehmen für<br />

70 Millionen Dollar an Sun.<br />

Doch auch wenn es diese Erfolgsgeschichten gibt –<br />

typisch sind sie nicht. Viele Youngster stoßen schnell<br />

an ihre Grenzen. Sie „brennen aus, überfordern sich<br />

physisch und psychisch“, weiß Gerhard Naegele, Direktor<br />

des Instituts für Gerontologie an der Universität<br />

Dortmund. „Zudem fehlt es oft am betriebswirtschaftlichen<br />

Know-how.“ Deshalb holen sich schlaue Jungmanager<br />

erfahrene Berater ins Boot. Und sie lassen sich<br />

von Mentoren helfen: 32 Prozent aller kanadischen<br />

Jungunternehmer halten nach einer Untersuchung der<br />

Atlantic Canada Opportunities Agency den Mentor für die<br />

hilfreichste Gründungshilfe. Von ihnen lernen sie, wie<br />

man Teams führt und echte Innovationen von fixen<br />

Ideen unterscheidet.<br />

Genau diese Unterscheidungsfähigkeit zeichnet<br />

ältere Firmengründer aus. Aus Erfahrung können sie<br />

Eingebungen nach ihrer Markttauglichkeit beurteilen.<br />

Außerdem teilen sie ihre Kräfte und die des Teams besser<br />

ein, schätzen genauer Zeit und Aufwand für Projekte<br />

ab. Und sie haben etablierte Netzwerke.<br />

Ein weiterer Vorteil der Erfahrenen: Sie können<br />

Informationen sicherer bewerten. „Die Fähigkeit zu<br />

entscheiden, welche Daten zu beachten und welche<br />

zu ignorieren sind, gehört zu den wichtigsten Eigenschaften<br />

der Manager“, betont Howard Gardner, Professor<br />

an der Harvard Graduate School of Education.<br />

Gerade die Fähigkeit, auch einmal Informationen zu<br />

ignorieren, ist eine Kerntugend Älterer.<br />

Doch es bestehen auch Gemeinsamkeiten zwischen<br />

jungen und alten Erfolgsgeschichten. Nach<br />

oben kommt, wer die Kraft des Teams nutzt und Aufgaben<br />

delegieren kann. Denn viele Gründer, egal ob<br />

jung oder alt, verlieben sich zu sehr in die eigenen<br />

Ideen. Aging-Forschern sehen deshalb die besten<br />

Erfolgschancen bei gemischten Teams. Auf das Topmanagement<br />

bezogen heißt das: Junge Gründer brauchen<br />

alte Hasen als Berater – und Veteranen tun gut<br />

daran, sich die Meinung von Neulingen anzuhören.<br />

Erfolg mit 20 oder 60 – beides geht DOSSIER #06<br />

31


DOSSIER #06 Stargeigerin mit zehn<br />

[Sexappeal an Geige]<br />

17<br />

VANESSA MAE<br />

Jahre ist es bereits her, dass Vanessa Mae ihren ersten großen<br />

Auftritt hatte – mit dem London Philharmonic Orchestra. Dabei<br />

ist sie heute erst 27. Mit drei Jahren spielte Vanessa Mae schon<br />

Klavier, und mit fünf Geige. Wenig überraschend also, dass sie in<br />

den Medien und der breiten Öffentlichkeit als Wunderkind wahrgenommen<br />

wird.<br />

Klar ist: Jugend und Attraktivität haben maßgeblich zum Erfolg<br />

von Vanessa Mae beigetragen. Auch, weil sie sich damit im arri-<br />

vierten Klassikmarkt als Rebellin inszenieren kann und trotzig<br />

verbreitet: „Ich lasse mich niemals von Kategorien einengen, die<br />

mir von außen willkürlich auferlegt werden.“<br />

Die Mae kultiviert das Bild der Grenzüberschreiterin: „Beethoven<br />

und Beatles, Mozart und Michael Jackson, Paganini und Prince –<br />

ich mag sie alle. Was ich mag, will ich spielen.“ Das tut sie erfolgreich.<br />

Mehrere dutzend Platin- und Goldschallplatten sowie<br />

Milliardenumsätze sind die Folge.


77<br />

NAGIB MACHFUS<br />

Jahre zählte Nagib Machfus, als er einen erfreulichen Anruf<br />

aus Stockholm bekam: Als erster arabischsprachiger Autor<br />

erhielt der Ägypter den Nobelpreis für Literatur. Eine späte<br />

Auszeichnung für die Lebensklugheit, die sich schon immer<br />

durch seine Bücher gezogen hatte. „Meine Liebe gilt den<br />

Bewohnern der Gassen. Nicht nur der alten Gassen von Kairo,<br />

sondern der Gassen der ganzen Welt“, so Machfus. Vom Schreiben<br />

leben konnte der Feingeist allerdings bis zu seinem Nobel-<br />

Nobelpreis mit 77 DOSSIER #06<br />

[Der Literatur-Pharao]<br />

preis nie. Im Stile Kafkas arbeitete er als Beamter in Kairo<br />

und schrieb daneben beharrlich seine ersten Erzählungen.<br />

Machfus war überzeugt davon, dass er der Welt etwas mitzuteilen<br />

hatte. Auch als Nobelpreisträger hielt er daran fest<br />

und mischte sich weiter gesellschaftlich ein. Sein Engagement<br />

erregte jedoch den Zorn radikaler Islamisten. Ein Attentäter<br />

verletzte ihn vor zwölf Jahren schwer. Trotz Fatwa verstummte<br />

der 94-Jährige nicht.


DOSSIER #06 Unternehmer mit 19<br />

[Instinkt und Hineintauchen]<br />

19<br />

MICHAEL DELL<br />

Jahre alt war Michael Dell, als er mit 1000 Dollar Startkapital<br />

sein Computerunternehmen gründete. Sein Erfolgskonzept<br />

ist Realismus kombiniert mit Visionärem: „Man muss kein<br />

Genie sein, um unkonventionell denken zu können. Man<br />

benötigt nur einen klar abgesteckten Rahmen und einen<br />

Traum.“ Den hatte er – günstige Computer mit hoher Leistung.<br />

Man habe ihm oft gesagt, dass das, was er oder sein<br />

Unternehmen wollte, unmöglich sei. Das wollte er nicht glau-<br />

ben; dank seiner Jugend konnte keine Ernüchterung seinen<br />

Elan eindämmen. „Tatsächlich hängt unser Erfolg teilweise<br />

davon ab, dass wir Dinge nicht nur anders sehen können,<br />

sondern sie auch anders sehen wollen.“ Dell wurde der<br />

jüngste CEO, der jemals auf der Fortune-500-Bestenliste<br />

erschien; heute ist er 17 Milliarden schwer. „Ich glaube, dass<br />

Chancen zu einem Teil aus Instinkt und zum anderen aus<br />

‚Hineintauchen‘ bestehen.“


60<br />

NICOLAS HAYEK<br />

Jahre alt war Nicolas Hayek, als er kurzerhand die am Boden<br />

liegende Schweizer Uhrenindustrie umwälzte und eine Weltmarke<br />

aufbaute: Swatch. Das Unternehmen schrieb Wirtschafts-<br />

wie Kulturgeschichte. Und das mit Firmenprinzipien,<br />

die so gar nicht jung-flippig daherkommen wie die Positionierung<br />

der Marke: „Bei der Swatch Group haben Leute, die nicht<br />

solidarisch sind, keinen Platz.“ Eine Schweizer Maxime, aber<br />

auch eine, die Hayek seiner Lebenserfahrung verdankt.<br />

#01 Leadership-Strategien Innovator mit 60 DOSSIER >D03< #06<br />

[Der König der Zeit]<br />

Kooperation innerhalb des Unternehmens ist für den Physiker<br />

und Mathematiker wichtig. Ein Konzept, das sich auszahlt. Zu<br />

seinem globalen Uhrenimperium gehören mittlerweile auch<br />

Nobelmarken wie Breguet, Blancpain, Glashütte, Omega und<br />

Longines. Der amerikanisch-libanesische Unternehmer handelt<br />

dabei nach einem ebenso klaren wie bodenständigen Markenverständnis.<br />

„Alle guten Marken vermitteln klare Botschaften,<br />

die der Wahrheit entsprechen.“


DOSSIER #06 Politischer Akteur mit zehn<br />

[Der beste Weltbürger]<br />

10<br />

GREGORY ROBERT SMITH<br />

Jahre alt war Gregory Robert Smith, als er die Organisation<br />

„International Youth Advocates“ gründete. Damit wurde er<br />

zum jüngsten Akteur in der globalen Politik. Bestimmender<br />

Charakterzug des heute 17-Jährigen: die Intelligenz und<br />

Leidenschaft zu lernen. Bereits mit 14 Monaten löste er<br />

seine erste Matheaufgabe. Mit 13 folgte der Bachelor. Gerade<br />

mal 16 Jahre alt, legte Smith seinen Master of Science<br />

Degree in Mathematik ab. Zwischendurch gründete er die<br />

Youth Advocates, eine globale Organisation, die sich für Kinderrechte<br />

einsetzt. Smith war immer der jüngste – und er<br />

weiß um diese Ausnahmestellung. Das Leben sieht er als<br />

einen Wettbewerb „mit sich selbst“ an. Viermal wurde er<br />

bereits für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Nicht<br />

ausgeschlossen, dass er die Ehrung irgendwann bekommt.<br />

Seine ehrgeizigen Ziele: Präsident der USA werden, bester<br />

Amerikaner – und bester Weltbürger.


66<br />

ELLEN JOHNSON-SIRLEAF<br />

Jahre – ein Alter, in dem sich manche Staatsoberhäupter so<br />

langsam zurückziehen. Ellen Johnson-Sirleaf fing da erst richtig<br />

an. In diesem Alter wurde sie zur Staatspräsidentin Liberias<br />

gewählt, zum ersten weiblichen Staatsoberhaupt in Afrika. Dabei<br />

standen die Chancen schlecht, denn gegen sie trat kein Geringerer<br />

an als Fußballstar George Weah. Mit Lebensweisheit und Zielstrebigkeit<br />

setzte sie sich im Wahlkampf gegen den Ex-Kicker<br />

durch – und mit dem Bewusstsein für die Chancen einer Frau.<br />

Präsidentin mit 66 DOSSIER #06<br />

[Die eiserne Großmutter]<br />

Sie ist überzeugt, dass sich aus den Eigenschaften von Frauen<br />

mehr Vorteile ergeben: „Sie sind aufrichtiger, einfühlsamer und<br />

verantwortungsbewusster.“ Bewunderer und Gegner beschreiben<br />

sie allerdings als unbeugsam und dominant. Nach 15 Jahren<br />

Bürgerkrieg hoffen die Liberianer auf ein etabliertes Netzwerk<br />

globaler Kontakte der Harvard-Absolventin. Diese brachte<br />

sie tatsächlich mit: Die sechsfache Großmutter hatte bereits für<br />

die Vereinten Nationen und die Weltbank gearbeitet.


DOSSIER #06 Demografischer Wandel als Chance<br />

Das Patriarchat und die Folgen<br />

IN DEN USA UND ANDEREN WELTREGIONEN WACHSEN DER KONSERVATISMUS UND DER RELIGIÖSE FUNDAMENTALISMUS. KEIN WUNDER, ARGU-<br />

MENTIERT DER AMERIKANISCHE WISSENSCHAFTLER PHILLIP LONGMAN IN DIESEM MEINUNGSBEITRAG: LIBERALE FAMILIEN KRIEGEN OFT WENIGER<br />

KINDER – UND WERDEN SO ZUNEHMEND ZUR MINDERHEIT. DIES VERÄNDERT AUCH DIE RAHMENBEDINGUNGEN FÜR DIE UNTERNEHMEN.<br />

s<br />

ES SIND DIE ZWEI GESICHTER der Demografie:<br />

Zwar wächst die Weltbevölkerung weiter, zwar<br />

werden nach Schätzungen der UNO im Jahr 2050<br />

knapp neun Milliarden Menschen die Erde bevölkern.<br />

Zugleich jedoch fallen in immer mehr Ländern<br />

die Geburtenraten. Nicht nur in Europa und<br />

Japan, sondern auch im Iran und Libanon, in<br />

China, Kanada und Kuba reicht die <strong>Anzahl</strong> geborener<br />

Kinder nicht mehr aus, um einen langfristigen<br />

Bevölkerungsrückgang zu vermeiden. Dies<br />

bedeutet jedoch nicht, dass die Menschheit ausstirbt.<br />

Stattdessen schrumpft und altert sie zwar<br />

zunächst, entwickelt sich dann jedoch wieder –<br />

und zwar in Richtung einer fundamentalistischeren,<br />

patriarchalischen Gesellschaft.<br />

Der Grund: Jene Faktoren, welche die Gründung<br />

großer Familien in modernen Ländern unattraktiv<br />

machen, spielen für religiös denkende<br />

Menschen keine Rolle. Aus religiöser Überzeugung<br />

fühlen sie sich verpflichtet, nach der Devise<br />

„Seid fruchtbar und mehret euch!“ zu leben. In<br />

modernen Gesellschaften mit ihren staatlichen<br />

Rentenkassen gibt es keine wirtschaftlichen<br />

Gründe, Kinder zu haben. Wer sich nach Gesellschaft<br />

sehnt, sucht diese zunehmend bei Haustieren,<br />

die billiger und gehorsamer sind.<br />

Es sind keine wirtschaftlichen Gründe, aus<br />

denen die neuen konservativen Familien Kinder<br />

bekommen. Entweder sie verstehen die Regeln<br />

der modernen Gesellschaft nicht, die große Familien<br />

zur wirtschaftlichen Belastung werden lassen,<br />

oder sie verschmähen diese Regeln aus religiöser<br />

Überzeugung. Jedenfalls besteht heute sowohl in<br />

Europa und den USA als auch in Israel und dem<br />

übrigen Nahen Osten ein enger Zusammenhang<br />

zwischen dem Glauben an traditionelle christliche,<br />

islamische oder jüdische religiöse Werte und<br />

einem hohen Reproduktionsstand.<br />

38<br />

Daraus entsteht eine Welt, in der alte patriarchalische<br />

Werte dominieren und der Säkularismus<br />

allmählich verschwindet. Sie gleicht jener<br />

Konstellation, die entstand, als die ursprüngliche<br />

Bevölkerung des Römischen Reiches das Interesse<br />

an Kindern verlor – in der die patriarchalische<br />

Familie und eine rigide Religiosität ein<br />

fulminantes Comeback erlebten. Beispiel Frankreich:<br />

Unter den Anfang der sechziger Jahre geborenen<br />

Französinnen hatten nur 30 Prozent drei<br />

oder mehr Kinder. Aber diese Minderheit unter<br />

Frankreichs Frauen – die meisten davon vermutlich<br />

praktizierende Katholikinnen und Muslimas –<br />

gebar 54 Prozent aller in ihrer Generation zur Welt<br />

gekommenen Kinder.<br />

WELTLICH EINGESTELLTE und fortschrittliche<br />

Teile der Gesellschaften werden zur Minderheit.<br />

So zeigte der Demograf Ron J. Lesthaeghe, dass<br />

Europäer, die dem Militär misstrauen, selten oder<br />

gar nicht in die Kirche gehen sowie positiv zum<br />

Umweltschutz, zu Minderheitenrechten, zu legalisierter<br />

Abtreibung und zu sonstigen „fortschrittlichen“<br />

Ansichten stehen, weniger Kinder bekom-<br />

PHIL LONGMAN<br />

ist Bernard L. Schwartz<br />

Senior Fellow an der<br />

liberalen New America<br />

Foundation. Er schrieb<br />

zuletzt das Buch „The<br />

Empty Cradle: How Falling<br />

Birthrates Threaten<br />

World Prosperity“.<br />

Mit seinen provokanten<br />

Thesen stößt er auf weltweites Medieninteresse.<br />

Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel führte<br />

mit ihm gerade ein großes Exklusivinterview.<br />

men als Bürger mit gegenteiligen Ansichten. In<br />

den USA sind die Reproduktionsraten in den Bundesstaaten,<br />

die George W. Bush bei den letzten<br />

Präsidentschaftswahlen unterstützten, um zwölf<br />

Prozent höher als in Staaten, die Kerry wählten.<br />

Indikatoren wie das Durchschnittsalter bei der ersten<br />

Eheschließung sowie die <strong>Anzahl</strong> unverheirateter<br />

heterosexueller Paare und gleichgeschlechtlicher<br />

Haushalte korrelieren stark sowohl mit der<br />

Reproduktionsrate eines Staates als auch mit dem<br />

Abstimmungsverhalten seiner Bürger. Gegenden,<br />

in denen Kerry 2004 siegte, haben das höchste<br />

Durchschnittsalter bei der ersten Eheschließung<br />

und die wenigsten Kinder. Umgekehrt erhielt Bush<br />

die meisten Stimmen in Gebieten, in denen eheähnliche<br />

Gemeinschaften selten und Kinder in<br />

Massen vorhanden sind. In Seattle, einer Bastion<br />

des demokratischen Liberalismus, gibt es fast<br />

45 Prozent mehr Hunde als Kinder, im religiösen<br />

Salt Lake City dagegen 18 Prozent mehr Kinder.<br />

NICHT ZUM ERSTEN MAL müssen sich<br />

momentan moderne Gesellschaften mit niedrigen<br />

Geburtenraten unter säkular eingestellten und<br />

gebildeten Bevölkerungsgruppen auseinander<br />

setzen. Schon im kaiserlichen Rom entdeckte der<br />

Staat, dass nicht einmal ein Diktator die Menschen<br />

zu Fruchtbarkeit und Mehrung zwingen<br />

kann, wenn die kulturellen und wirtschaftlichen<br />

Bedingungen das Elternsein unattraktiv erscheinen<br />

lassen. Kaiser Augustus erhob horrende<br />

„Junggesellensteuern“ bei Roms Elite und verweigerte<br />

Kinderlosen den Zugang zu hohen Ämtern.<br />

Aber diese Maßnahmen konnten den Geburtenrückgang<br />

nicht aufhalten. Warum führte also<br />

der zivilisatorische Fortschritt nicht schon vor<br />

langer Zeit zum Aussterben des Genus Mensch?<br />

Die Kurzantwort auf diese Frage liegt im Begriff


DAS KONSERVATIVE HAUS MIT GARTEN<br />

könnte wieder zur bevorzugten Lebensform<br />

werden. Nicht weil alternativ denkende<br />

Menschen ihre Werte verraten – sondern weil<br />

sie sich nicht fortpflanzen.<br />

Patriarchat. Patriarchat bedeutet nicht einfach,<br />

dass Männer herrschen. Es ist ein besonderes<br />

Wertesystem, das mit anderen männlichen Visionen<br />

von gutem Leben in Konkurrenz steht. Es erfordert<br />

zum Beispiel, dass Männer heiraten, und<br />

zwar eine „anständige“ Frau von vergleichbarem<br />

gesellschaftlichem Herkommen – selbst wenn es<br />

mehr Spaß macht, eine Revuetänzerin zu ehelichen<br />

oder das Internet für immer neue Eroberungen<br />

zu nutzen. Es fordert von den Männern<br />

auch, Verantwortung für die Kinder zu übernehmen,<br />

die ihre Frauen gebären, weil unter diesem<br />

System die Entwicklung der Kinder ihren Vätern<br />

und deren gesamtem Stammbaum entweder Ehre<br />

oder Schande macht. Aus diesen und anderen<br />

Gründen wird die Rolle des Patriarchen von vielen<br />

Männern als nicht besonders reizvoll empfunden.<br />

Und offensichtlich haben Frauen Probleme mit<br />

den ihnen vorgeschriebenen Einschränkungen.<br />

Daher wird das Patriarchat zu bestimmten Zeiten<br />

außer Kraft gesetzt. Aber es kehrt immer wieder.<br />

Was heißt dies für Unternehmen? Wie kann<br />

man als Firmenlenker von diesen Trends profitieren<br />

oder sich zumindest darauf vorbereiten?<br />

Erstens darf man nicht erwarten, dass die heutigen<br />

niedrigen Geburtenraten in den Industrieländern<br />

unverändert weiter fallen. Lineare Vorhersagen<br />

über die Zukunft irren zumeist, insbesondere<br />

im Bereich der Reproduktion. In den<br />

USA steigen die Geburtenraten gegenüber ihrem<br />

Niveau vor 30 Jahren bereits wieder, und Umfragen<br />

sowie Einzelberichte weisen auf einen zunehmenden<br />

Heirats- und Kinderwunsch unter jungen<br />

Leuten hin. Genau wie im viktorianischen Zeitalter,<br />

als die Angst vor dem Bevölkerungsrückgang<br />

besonders in den Eliten zur Kriminalisierung<br />

von Abtreibung und Geburtenkontrolle sowie zu<br />

neuen sehr konservativen Grundsätzen führte,<br />

wird die Toleranz gegenüber denjenigen abnehmen,<br />

die keine Kinder in die Gesellschaft einbringen.<br />

Das Leben als Single wird seinen Glanz<br />

verlieren. Wie in der noch gar nicht so fernen Vergangenheit<br />

werden auch Homosexuelle wieder<br />

stigmatisiert werden, genauso wie Frauen, die<br />

ihrer Karriere den Vorzug vor ihrer Familie geben.<br />

Unternehmen, deren Marketing auf Sex setzt oder<br />

deren Produkte Jugendliche vom Pfad der Tugend<br />

weglocken, dürften sich zunehmender gesellschaftlicher<br />

Kritik, wenn nicht sogar direkten<br />

Verboten und Boykotten ausgesetzt sehen. Vieles<br />

heutzutage Moderne wird unmodern oder<br />

sogar unzulässig. Provokant gesagt: Rock- und<br />

Hip-Hop-Musik, Gewaltfilme und Videospiele<br />

zusammen mit polyamoren Stars und wurzelsowie<br />

kinderlosen Akademikern werden als Überbleibsel<br />

einer dekadenten Vergangenheit empfunden,<br />

mit der kein Unternehmen in Verbindung<br />

gebracht werden möchte.<br />

Das beeinflusst auch das linke Denken der<br />

Zukunft. Die Linke wird, wie die Arbeiterbewegung<br />

des 19. Jahrhunderts, wenig Interesse an<br />

Umweltfragen oder der individuellen Befreiung<br />

haben, sondern sich vor allem für einen „Familienlohn“<br />

einsetzen, der ausreicht, damit ein<br />

Mann seine Kinder unterstützen kann – selbst<br />

wenn dies eine Lohndiskriminierung gegenüber<br />

Frauen nach sich zieht. Gleichzeitig werden viele<br />

Arbeitgeber Probleme haben, Frauen in die<br />

Arbeitswelt zu locken – einfach weil viel mehr<br />

Frauen die neuen kulturellen Botschaften verinnerlichen<br />

werden, die sie dazu ermutigen, wieder<br />

wie früher als Vollzeitmutter tätig zu sein.<br />

WIR MÖGEN DIES alles nicht angenehm finden.<br />

Doch hier geht es nicht um das, was wünschenswert<br />

ist, sondern darum, was es bedeutet,<br />

wenn diejenigen, die sich am besten an ihre<br />

Umwelt angepasst haben, sich nicht länger<br />

reproduzieren. Viele Menschen werden dies<br />

durchaus begrüßen. Andere werden es als den<br />

Tod der Aufklärung betrachten. Auf jeden Fall erleben<br />

wir gerade eine weitere Drehung des Rads der<br />

Geschichte – hin zu einer neuen Welt, auf die sich<br />

Entscheider heute vorbereiten müssen.<br />

39


p industry-report firmenporträt<br />

40


indien profiliert sich als industriestandort industry-report f<br />

Weniger Räder, mehr PS<br />

Dreiräder und Motorroller produzierte Bajaj Auto früher.<br />

Jetzt setzt das indische Unternehmen auf Motorräder – mit Erfolg.<br />

Ein Beispiel, das zeigt: Indien kann mehr als Dienstleistung.<br />

: Die Hallen sind neu, die Anlage blitzt.<br />

Das Werk des Motorradherstellers<br />

Bajaj Auto in Chakan, 140 Kilometer von<br />

Mumbai entfernt, ist eine industrielle Vorzeigeproduktion<br />

– ausgerechnet in Indien,<br />

jenem Land, das bisher vor allem durch<br />

erfolgreiche Dienstleister aufgefallen ist.<br />

Beim Thema Fortbewegung dachte man in<br />

erster Linie an Dreiräder. Die produzierte<br />

in der Vergangenheit auch Bajaj Auto.<br />

Doch jetzt setzt das Unternehmen auf<br />

Motorräder. Und weil diese mittlerweile<br />

sogar exportfähig sind, steht Bajaj stellvertretend<br />

für eine Wirtschaft, die zu den<br />

etablierten Industriestandorten immer<br />

weiter aufschließt.<br />

41


p industry-report japanisches wissen für den subkontinent<br />

42<br />

Eine bemerkenswerte Transformation legte Bajaj<br />

Auto hin. Maßgeblich mitgeholfen haben japanische<br />

Managementtechniken.<br />

Die Veränderungen, denen sich das Unternehmen<br />

jüngst unterzog, sind rasant. Noch<br />

vor wenigen Jahren produzierte Bajaj<br />

vor allem den Skooter Chetak, und zwar<br />

ausschließlich für den indischen Markt. Zu<br />

dieser Zeit schien die gesamte Motorradindustrie<br />

des Landes in einer Art Halbschlaf<br />

dahinzudämmern.<br />

Ausländische Partner wie Suzuki (das ein<br />

Joint Venture mit TVS Motors eingegangen<br />

war), Honda (mit Hero Honda, einem Joint<br />

Venture von Honda und einem indischen<br />

Partnerunternehmen) sowie Kawasaki<br />

(in technischer Zusammenarbeit mit Bajaj)<br />

trugen die meiste Verantwortung. Die<br />

Ruhe wurde erst gestört, als sich Suzuki<br />

und TVS trennten.<br />

BAJAJ WOLLTE AUF DEM MOTORRADMARKT<br />

FUSS FASSEN. DOCH IMAGE UND<br />

QUALITÄT STIMMTEN NOCH NICHT.<br />

Auf die Entscheider von Bajaj wirkte dies<br />

wie ein Weckruf. Sie sahen ein, dass künftig<br />

immer mehr Kunden richtige Motorräder<br />

würden kaufen wollen. Also setzten sie zwischen<br />

1990 und 2000 alles daran, auf dem<br />

Motorradmarkt Fuß zu fassen. Doch Qualitäts-<br />

und Imageprobleme plagten das<br />

Unternehmen. Bajaj startete deshalb eine<br />

Produktoffensive, fuhr das F&E-Budget massiv<br />

hoch und launchte im Motorradsegment<br />

gleich vier neue Produkte.<br />

Dafür musste auch die Unternehmenskultur<br />

revolutioniert werden. Rajiv Bajaj, Managing<br />

Director bei Bajaj Auto: „Wir waren ein<br />

„ Ein Geschäft beginnt dann,wenn der Kunde Nein sagt und ich mir das merke.“<br />

Rajiv Bajaj<br />

Unternehmen, das Chetaks hergestellt hat.<br />

Alles drehte sich um dieses Produkt, alles<br />

richtete sich danach – F&E, Marketing und<br />

Verkauf.“ Zwar seien manche <strong>Mitarbeiter</strong><br />

schon früh am Richtungswechsel interessiert<br />

gewesen, da sie die Veränderung auf<br />

dem Markt erahnten. „Weil sie aber in der<br />

Minderheit waren, wurde nur wenig getan“,<br />

so Rajiv Bajaj, der älteste Sohn von Vorstandschef<br />

Rahul Bajaj.<br />

BAJAJ STARTETE EINE INTERNE<br />

QUALITÄTSOFFENSIVE. DAFÜR HOLTE DAS<br />

UNTERNEHMEN HILFE AUS JAPAN.<br />

Rajiv Bajaj verkörpert den neuen Geist des<br />

Unternehmens. Er ist Ingenieur, hat ein<br />

Maschinenbaudiplom von der renommierten<br />

britischen University of Warwick. In<br />

England lernte er auch, dass die Fähigkeit<br />

zur Veränderung im Wettbewerb oft alles<br />

ist. Und verändert hat sich Bajaj – grundlegend.<br />

Motorräder, die 1996 nur zehn Prozent<br />

des Umsatzes ausmachten, dominieren<br />

heute mit fast 80 Prozent.<br />

Die neue Aufstellung am Markt ging mit<br />

einer internen Qualitätsoffensive einher.<br />

Diese fußte auf der Produktivitätsphilosophie<br />

„Total Productive Maintenance“. Für<br />

deren Umsetzung holten die Bajajs eigens<br />

den japanischen Qualitätsguru Sueo Yamaguchi<br />

ins Haus. Dessen erste Lehre interpretiert<br />

Rajiv Bajaj so: „Ein Geschäft beginnt<br />

dann, wenn der Kunde Nein sagt und ich mir<br />

das merke.“ Denn aus der Ablehnung des<br />

Angebots ergibt sich die Chance, ein neues,<br />

besseres Produkt zu entwickeln.<br />

Doch selbst nachdem alle <strong>Mitarbeiter</strong> erkannt<br />

hatten, dass sich ihr Unternehmen komplett<br />

neu ausrichten musste, blieb die Frage:<br />

Wohin genau soll die Reise eigentlich gehen?<br />

Bajaj: „Manche Leute wollten sich auf Produkte<br />

konzentrieren, andere auf das Marketing.<br />

Es gab Konflikte zwischen den Strategien<br />

für billige Massengüter und solchen für<br />

teurere, gewinnbringendere Produkte mit<br />

kleineren Verkaufszahlen.“ Die Neustruktu-<br />

rierung hatte auch zur Folge, dass die Zahl<br />

der Zulieferer massiv sank und letztlich fast<br />

die Hälfte der 23 000 <strong>Mitarbeiter</strong> freiwillig in<br />

den Ruhestand ging.<br />

Sonderlich beliebt waren die Produktivitätstools<br />

der Japaner intern folglich nicht. Doch<br />

die Ergebnisse sprachen für sich: Das Vorzeigewerk<br />

in Chakan verdoppelte seine Produktivität<br />

im Vergleich zum deutlich älteren<br />

Werk in Akurdi.<br />

Auch die F&E-Abteilung bauten Rajiv und<br />

sein jüngerer Bruder Sanjiv aus. Früher<br />

arbeiteten dort weniger als zehn <strong>Mitarbeiter</strong>.<br />

Dann wuchs die Zahl auf 200. Umgerechnet<br />

rund neun Millionen Euro steckt Rajiv heute<br />

jährlich in die Forschung. Eine Investition,<br />

die sich nicht nur in der zunehmenden Popularität<br />

neuer Produkte zeigt. Auch die <strong>Mitarbeiter</strong><br />

erkennen, dass F&E ein zentraler<br />

Wettbewerbsfaktor geworden ist. Das Investment<br />

verändert also die Firmenkultur. F&E-<br />

Chef Abraham Joseph: „Rajiv hat trotz starker<br />

Opposition in die Forschungsabteilung<br />

investiert. Mein Team teilt seine Vision und<br />

sein Engagement uneingeschränkt.“<br />

MOTORRÄDER ZU BAUEN LERNTE BAJAJ<br />

VON KAWASAKI. JETZT AGIERT DAS<br />

UNTERNEHMEN IMMER UNABHÄNGIGER.<br />

Ziel ist die Marktführerschaft im indischen<br />

Motorradsegment. Bajaj bereitet sich zurzeit<br />

auf die Einführung eines neuen Flaggschiffprodukts<br />

vor. Auch die Roller geben Rajiv<br />

und sein Team nicht auf: Zwei sind für 2007<br />

geplant. Schwerpunkt sind künftig jedoch<br />

Motorräder.<br />

Wie man diese baut, lernten Bajaj und seine<br />

Leute vor allem von dem Motorradhersteller<br />

Kawasaki. In den frühen neunziger Jahren<br />

begann Bajaj die Zusammenarbeit mit<br />

den Japanern. Das jüngste Gemeinschaftsprodukt<br />

hieß Wind und wurde speziell für<br />

den indischen und den südostasiatischen<br />

Markt entwickelt. Doch das Motorrad kam<br />

in Indien nicht an und wird nun von Kawasaki<br />

auf den asiatischen Schlüsselmärkten


vertrieben. Shubhabrata Marmar, leitender<br />

Redakteur der Autozeitschrift Business<br />

Standard Motoring: „Die Wind könnte<br />

das letzte Kawasaki-Kleinkraftrad auf dem<br />

indischen Markt sein.“ Bajaj sollte sein<br />

Know-how beim Bau kleinerer Motorräder<br />

künftig komplett auf eigene Faust nutzen,<br />

empfiehlt der Autojournalist. Dann könnte<br />

sich Kawasaki auf den Import eigener<br />

Maschinen konzentrieren.<br />

Erst kooperieren, dann schrittweise unabhängig<br />

werden – Bajaj tut genau das, was die<br />

Japaner in den fünfziger Jahren so erfolgreich<br />

in der britischen Motorradbranche<br />

vorführten. Zwar sollen auch künftig weiter<br />

einige Produkte in Gemeinschaftsarbeit entstehen.<br />

Doch die Entwicklungsarbeit übernimmt<br />

zunehmend Bajaj.<br />

Fragt sich, wo die Kernmärkte für weiteres<br />

Wachstum liegen. In Indien selbst ist die<br />

Firmenposition gefestigt. Bajaj steht an zweiter<br />

Stelle und ist der am schnellsten wachsende<br />

Motorradhersteller des Landes.<br />

Doch die Strategie des Unternehmens beschränkt<br />

sich längst nicht mehr auf den<br />

Subkontinent, sondern richtet sich auch auf<br />

benachbarte Märkte, vor allem in Südostasien.<br />

Länder wie Indonesien, Sri Lanka oder<br />

Bangladesch können japanische und europäische<br />

Qualitätsanbieter nämlich kaum<br />

kostendeckend bedienen.<br />

Außerdem visiert Bajaj den Riesenmarkt<br />

China an. Denn kleine Motorräder von solider<br />

Grundqualität sind gerade für die dortigen<br />

rauen Landschaften und langen Wege<br />

geeignet. Im Alleingang mutet sich Rajiv<br />

Bajaj diesen Schritt vorerst nicht zu: „Wir<br />

möchten die Nachfrage nach neuen Technologien<br />

decken und suchen zunächst jemanden,<br />

der diese von uns bezieht.“<br />

Nach drei bis fünf Jahren Technologieexport<br />

könne dann die Lieferung kompletter<br />

Maschinen der nächste Schritt sein. Indien<br />

und China erobern also nicht nur gemeinsam<br />

den Weltmarkt, sondern machen sich<br />

auch auf den Heimatmärkten Konkurrenz.<br />

bajaj will den riesenmarkt china erobern industry-report f<br />

Indien: Standort im Wandel<br />

INDIEN WIRD IN ERSTER LINIE ALS DIENSTLEISTER DER WELTWIRTSCHAFT WAHRGENOMMEN.<br />

DOCH AUCH IN DER INDUSTRIE HOLEN DIE UNTERNEHMEN AUF. PARALLEL DAZU STEIGEN DIE<br />

AUSLÄNDISCHEN DIREKTINVESTITIONEN, LIEGEN ABER DEUTLICH UNTER DENEN IN CHINA.<br />

INDUSTRIE UND DIENSTLEISTUNGEN LEGEN IN INDIEN ZU<br />

ANTEIL AM BIP NACH SEKTOREN (IN PROZENT)<br />

19<br />

29<br />

QUELLE: WELTBANK<br />

1960 1980 2004<br />

MANAGER SIND AUF DEM MARKT ...<br />

VERFÜGBARKEIT VON FÜHRUNGSKRÄFTEN<br />

... UND KOSTEN VERGLEICHSWEISE WENIG<br />

JAHRESGEHÄLTER (IN US-DOLLAR)<br />

LAND VERFÜGBARKEIT*<br />

CEO PERSONALCHEF INGENIEUR<br />

USA<br />

7, 2 573 852<br />

242 377<br />

99 456<br />

DEUTSCHLAND<br />

6,7 384 287<br />

202 291<br />

131 348<br />

INDIEN<br />

6,3 122 742<br />

62 807<br />

34 854<br />

BRASILIEN<br />

6,0<br />

295 170<br />

90 245<br />

65 653<br />

CHINA<br />

2,9<br />

90 922<br />

55 523<br />

34 207<br />

* 0 = KEINE KANDIDATEN VERFÜGBAR, 10 = KANDIDATEN KÖNNEN SOFORT EINGESTELLT WERDEN<br />

QUELLE: IMD WORLD COMPETITIVENESS YEARBOOK, 2006<br />

AUSLÄNDISCHE DIREKTINVESTITIONEN<br />

IN MILLIARDEN US-DOLLAR<br />

40,7<br />

46,9<br />

52<br />

LANDWIRTSCHAFT DIENSTLEISTUNGEN INDUSTRIE<br />

2,3 3,4 3,4 4,3 5,3<br />

2000 2001 2002 2003 2004<br />

INDIEN CHINA<br />

52,7<br />

53,5<br />

37<br />

QUELLE: STATISTICAL OUTLINE OF INDIA 2004–2005<br />

58,0<br />

40<br />

23<br />

MITARBEITER SIND LOYAL<br />

EMOTIONALE BINDUNG AN DAS UNTERNEHMEN<br />

5<br />

26<br />

18<br />

% %<br />

69<br />

27<br />

21<br />

13<br />

INDIEN DEUTSCHLAND<br />

HOCH GERING KEINE<br />

QUELLE: GALLUP WORKFORCE ENGAGEMENT<br />

INDEX INDIEN, DEUTSCHLAND 2005<br />

52<br />

69<br />

43


Frischer Ostwind<br />

pkn orlen setzt in polen auf eine zwei-marken-strategie industry-report f<br />

Vom Staatsbetrieb zum europäischen Player: PKN Orlen hat die Wende geschafft und mischt Europas<br />

Tankstellenmärkte auf. Hier erklärt Vorstandsmitglied Heydel der FT-Energieexpertin Carola Hoyos,<br />

wo PKN Orlen wachsen will und warum Verluste im Westen die Eintrittskarte ins Big Business waren.<br />

THINK: ACT Herr Heydel, PKN Orlen hatte auf<br />

dem polnischen Tankstellenmarkt einst<br />

einen Marktanteil von 100 Prozent, heute<br />

liegt er bei unter 30 Prozent. Macht Ihnen<br />

das Sorgen?<br />

HEYDEL Zur Zeit des Kommunismus stand der<br />

Tankstellenmarkt vollständig unter staatlicher<br />

Kontrolle. Es gab ein Unternehmen, das eine<br />

Lizenz zur Gestaltung des Marktes besaß.<br />

Anfang der neunziger Jahre öffnete sich der<br />

Markt, und eine große <strong>Anzahl</strong> von Ölfirmen<br />

versuchte, hier aktiv zu werden: Amoco, Aral,<br />

Agip, Esso, Shell, BP, Neste, Statoil, Texaco und<br />

andere. Natürlich war der Markt dazu nicht<br />

flexibel genug. In 15 Jahren dürften nur noch<br />

Shell, BP und Statoil übrig sein; die anderen<br />

werden sich wohl zurückziehen. PKN hat heute<br />

einen Marktanteil von 27 Prozent – immer<br />

noch eine einflussreiche Position.<br />

Aber reichen dürfte Ihnen das nicht. Wie<br />

wollen Sie den Marktanteil ausbauen?<br />

Wir produzieren zwei Drittel des gesamten Verbrauchs<br />

in Polen. Für uns ist es außerordentlich<br />

wichtig, den Großteil dieser Produktion<br />

auch über unsere eigene Kette zu verkaufen.<br />

Wir können unsere schrumpfenden Marktanteile<br />

nicht länger akzeptieren, sondern möchten<br />

einen Wert von über 30 Prozent erreichen.<br />

Unser strategischer Plan ist es daher, die Tankstellen<br />

zu entwickeln und damit Marktanteile<br />

zurückzuerobern.<br />

Und wie kommen Sie voran?<br />

2004 bemerkte unser damals neues Management,<br />

dass unser Investitionsprogramm im<br />

Bereich Tankstellen nicht ausreichte. Von 2000<br />

bis 2004 eröffnete PKN Orlen gerade einmal<br />

fünf bis zehn Tankstellen pro Jahr – angesichts<br />

der Geschwindigkeit, mit der der Markt wuchs,<br />

viel zu wenig. Wir gaben daher die Devise aus,<br />

fortan über 40 Tankstellen pro Jahr zu eröffnen<br />

und außerdem 65 alte abzureißen und neu aufzubauen.<br />

Im vergangenen Jahr zum Beispiel<br />

haben wir so mehr als 100 de facto neue Tankstellen<br />

eröffnet. Von 2005 bis 2009 wollen wir<br />

mehr als 700 Millionen Dollar in unser Netz<br />

investieren und damit jedes Jahr insgesamt<br />

über 300 Tankstellen rebranden, neu bauen,<br />

modernisieren oder renovieren.<br />

Sie haben sich kürzlich auch von der alten<br />

Ein-Marken-Strategie im polnischen Tankstellenbereich<br />

verabschiedet. Weshalb?<br />

Es gibt zwei Arten von Kunden: Die einen, besser<br />

ausgebildet, jünger, gut verdienend, erwarten<br />

von Tankstellen qualitativ hochwertige<br />

Angebote, einschließlich Convenience-Stores,<br />

Autowaschanlagen und Tankwarten statt<br />

Selbstbedienung. Andere Kunden aber gucken<br />

vor allem auf den Spritpreis. Wir haben daher<br />

entschieden, die Marke Orlen aufzuspalten und<br />

eine Zwei-Marken-Strategie zu fahren. Fast<br />

1000 Tankstellen sollen auf eine neue Marke<br />

umgestellt werden, die sich als „wirtschaftlich“<br />

definiert. Etwa 900 werden zur Premiummarke<br />

„Orlen“. Anfang November letzten Jahres eröffneten<br />

wir die erste Discounttankstelle unter<br />

der Marke „Bliska“, was auf Polnisch „nahe<br />

dran“ heißt. Ende 2005 hatten wir 30 Versuchstankstellen.<br />

Auch unsere Strategie im Bereich Kraftstoff<br />

haben wir verändert. Hier setzen wir auf Spitzentechnologie<br />

und eine eigene Marke. Im September<br />

haben wir unseren Markenkraftstoff<br />

„Verva“ eingeführt.<br />

Nach einem halben Jahr Bliska und fast einem<br />

Jahr Verva lässt sich sagen, dass die Bliska-Versuchstankstellen<br />

und der Verva-Umsatz unsere<br />

Erwartungen klar übertroffen haben.<br />

Mit Ihren Convenience-Stores sind sie bisher<br />

weniger erfolgreich ...<br />

Der Umsatz unserer Convenience-Stores liegt<br />

immer noch unter dem Branchenstandard. Das<br />

ist daher auch eines unserer wichtigsten Projekte<br />

im laufenden Jahr.<br />

WOJCIECH HEYDEL verantwortet als Executive<br />

Vice President die Bereiche Marketing und<br />

Sales von PKN Orlen. Vor seinem Einstieg dort<br />

baute er zwölf Jahre lang das Polen-Geschäft des<br />

britischen Ölkonzerns BP mit auf. Heydel studierte<br />

an der Silesian University of Technology im polnischen<br />

Gliwice und an der University of Michigan.<br />

PKN ORLEN ist mit gut 10,2 Milliarden Euro<br />

Umsatz der größte polnische Mineralöl- und Tankstellenkonzern.<br />

Das Unternehmen steigerte 2005<br />

seinen Umsatz um 35,4 Prozent und seinen Vorsteuerprofit<br />

sogar um 84,7 Prozent (auf 1,3 Milliarden<br />

Euro). Für 2006 sagt PKN Orlen15 Prozent<br />

Wachstum beim Operating Profit voraus.<br />

Nach konsequenter Umstrukturierung ist der ehemalige<br />

Staatsbetrieb heute einer der zentralen<br />

Player im europäischen Öl- und Tankstellengeschäft.<br />

In Deutschland betreibt PKN das Tankstellennetz<br />

Orlen, in Tschechien die Kette Unipetrol.<br />

Momentan übernimmt das Unternehmen die litauische<br />

Raffinerie Mazeikiu Nafta. Weitere Akquisitionen<br />

in Westeuropa gelten als wenig wahrscheinlich,<br />

in Zentral-, Ost- und Südeuropa hingegen will<br />

PKN Orlen seine Marktposition auch durch Übernahmen<br />

ausweiten.<br />

45


46<br />

Eine Bedrohung könnte von den etwa in<br />

Frankreich sehr etablierten großflächigen<br />

Hypermärkten ausgehen, die neben vielen<br />

Konsumgütern auch Sprit anbieten. Fürchten<br />

Sie diese Konkurrenz für Polen?<br />

Die Liberalisierung verhalf den Hypermärkten<br />

hier in Polen zu einem enormen Aufschwung.<br />

Heute haben 67 von ihnen ihre eigenen Tankstellen<br />

und verkaufen Benzin zu Billigpreisen.<br />

Ihr Marktanteil ist zwar noch sehr klein. Aber<br />

sollten sie wachsen, könnten wir ähnliche Probleme<br />

bekommen wie Tankstellenbetreiber in<br />

Frankreich. Aber es ist auch eine andere Entwicklung<br />

denkbar, eher wie jene in Deutschland,<br />

mit weniger Hypermärkten und vielen<br />

kleinen Franchising-Betrieben.<br />

Sie selbst mussten auf dem deutschen<br />

Markt einiges Lehrgeld mit Ihrem Tankstellennetz<br />

zahlen ...<br />

Wir stiegen 2003 mit dem Kauf von 494 Tankstellen<br />

in Deutschland ein. Wir haben dort viel<br />

Geld verloren, aber das war wahrscheinlich die<br />

Eintrittsgebühr, um im internationalen<br />

Geschäft mitzuspielen. Im letzten Jahr mussten<br />

wir uns entscheiden, wie es in Deutschland<br />

weitergehen sollte. Wir haben auch überlegt,<br />

das Geschäft zu verkaufen. Es war eine<br />

schreckliche Zeit: Wir schlossen Dutzende von<br />

Tankstellen, entließen <strong>Mitarbeiter</strong> und änderten<br />

Verträge mit den Händlern. Aber rückblickend<br />

war es die Sache wert: Im ersten Halbjahr<br />

2006 haben wir zum ersten Mal schwarze<br />

Zahlen geschrieben. Insofern liegt meiner Meinung<br />

nach die schlimmste Phase hinter uns.<br />

Wie wollen Sie auf dem harten deutschen<br />

Markt bestehen?<br />

Der deutsche Markt ist anders als der polnische:<br />

Er schrumpft, es herrscht ein harter Konkurrenzkampf,<br />

die Gewinnspannen sind<br />

gering, die Kostenseite ist entscheidend. Nur<br />

knallharte Kostenkontrolle bringt Sie in die<br />

schwarzen Zahlen.<br />

Aber Sie glauben an Ihr Deutschland-<br />

Engagement?<br />

Unser Marktanteil ist ja sehr klein (weniger als<br />

drei Prozent des Gesamtmarktes und sieben<br />

Prozent des norddeutschen Marktes), es gibt<br />

zwei sehr dominante Wettbewerber – BP und<br />

Shell. Schaffen wir es, unsere Sparmaßnahmen<br />

erfolgreich zu beenden, werden wir uns nach<br />

Kaufgelegenheiten umschauen, um etwa zehn<br />

Prozent Marktanteil zu erreichen. Aber falls<br />

wir einen guten Käufer finden, was nicht leicht<br />

ist, könnten wir auch mit diesem verhandeln.<br />

Was lehrt Sie die deutsche Erfahrung für<br />

andere Märkte?<br />

Deutschland hat uns eine wertvolle Lektion<br />

erteilt, denn meiner Meinung nach werden sich<br />

Tschechien und Polen ganz ähnlich entwickeln.<br />

In Tschechien haben wir durch die Tankstellenkette<br />

Benzina, die wir mit unserer Unipetrol-<br />

Übernahme erworben haben, einen Marktanteil<br />

von zehn Prozent. Dort werden wir unsere<br />

deutschen und polnischen Strategien kombinieren,<br />

also sowohl Kosten senken als auch stärker<br />

und schneller investieren. Wir werden auch<br />

hier eine Zwei-Marken-Strategie verfolgen.<br />

Wojciech Heydel (rechts) im<br />

Gespräch mit Carola Hoyos in<br />

PKN Orlens Zentrale. Der Topmanager<br />

setzt auf Expansion<br />

auch durch Zukäufe.<br />

Und über Tschechien hinaus? Wo wollen<br />

Sie weiter expandieren – im Westen oder<br />

eher in Osteuropa?<br />

Wir wollen uns auf weniger entwickelte Länder<br />

konzentrieren. Wir sind gerade dabei, die<br />

Mazeikiu-Nafta-Raffinerie in Litauen zu übernehmen.<br />

Die Tankstellenketten in den vier<br />

Ländern, die von dieser Raffinerie beliefert<br />

werden (Lettland, Litauen, Estland und Ukraine),<br />

sind noch unterentwickelt. Daher wollen<br />

wir unsere Position im Einzelhandel dieser vier<br />

Länder verbessern. Ich denke nicht, dass wir<br />

uns in absehbarer Zukunft über Deutschland<br />

hinaus in weitere reife Märkte einkaufen.<br />

Sind hohe Ölpreise ein Problem für Sie?<br />

In Polen beträgt der Durchschnittslohn pro<br />

Monat etwa 600 Euro. Das heißt, wenn die<br />

Kraftstoffpreise einen Euro pro Liter erreichen<br />

– und das ist immer noch erheblich weniger als<br />

die Höchstpreise etwa in Deutschland und<br />

Frankreich – dann fahren die Leute einfach<br />

weniger. Aber trotz hoher Kraftstoffpreise<br />

haben wir eine Periode hohen BIP-Wachstums<br />

hinter uns. Wenn die Industrieproduktion und<br />

die Bauindustrie wachsen, hat man nicht das<br />

Gefühl, dass sich der Preis sehr auf die Konjunktur<br />

auswirkt.<br />

Für PKN Orlen bedeutete der hohe internationale<br />

Ölpreis, dass das Unternehmen lernen<br />

musste, rationeller zu arbeiten. Wir können<br />

schließlich nicht jede Ölpreiserhöhung an den<br />

Kunden weitergeben.<br />

CAROLA HOYOS ist Chief Energy Correspondent<br />

der Financial Times (FT). Bis 2003<br />

war sie Korrespondentin am Sitz der Vereinten<br />

Nationen in New York. Von dort berichtete sie<br />

unter anderem über die Vorgeschichte des<br />

Irakkrieges. Im Jahr 2000 war sie Mitglied<br />

eines FT-Teams, das der britische Verband der<br />

Auslandspresse für die beste Geschäfts- und<br />

Finanzberichterstattung auszeichnete.


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48<br />

Vielfalt als Wettbewerbsvorteil<br />

Europas Stärke ist seine Heterogenität. Doch gelingt es, sie in profitables Wachstum zu verwandeln?<br />

Diese Frage steht im Fokus des zweiten „Best of European Business“-Wettbewerbs. Burkhard<br />

Schwenker stellt ihn hier vor – und erklärt, warum sich Europas Firmen nicht verstecken müssen.<br />

: Europa ist ein Kontinent der Vielfalt.<br />

Kein anderer politischer Entscheidungsraum<br />

bietet diese Mischung aus kultureller<br />

Heterogenität und unterschiedlichen politischen<br />

Strukturprinzipien, die von einer<br />

gemeinsamen Wertebasis zusammengehalten<br />

werden. 50 Jahre nach der Ratifizierung<br />

der EU-Verträge steht damit fest: Das Experiment<br />

Europa ist auf der kulturellen und politischen<br />

Ebene weit gehend geglückt.<br />

Aber: Wie schaffen es die Unternehmen, aus<br />

Europas Vielfalt Kraft zu schöpfen? Wie entsteht<br />

daraus profitables Wachstum? Was<br />

macht die Integration der Unternehmen<br />

über die Landesgrenzen hinweg erfolgreich?<br />

Wie gut sind sie darin, fremde Kulturen zu<br />

integrieren und eine europäische Unternehmenskultur<br />

aufzubauen? Diese Fragen sind<br />

es, mit denen wir uns in unserem zweiten<br />

Wettbewerb „Best of European Business“ in<br />

diesem Jahr beschäftigen. Die europäische<br />

Integration innerhalb von Unternehmen und<br />

der Erfolg grenzüberschreitender Fusionen<br />

werden – neben der generellen Performance<br />

der Firmen – im Mittelpunkt unserer Unter-<br />

suchungen stehen. Dabei wird sich zeigen,<br />

wie europäisch Europas Unternehmen sind<br />

und was ihnen das bringt. Und weil die kulturellen<br />

Eigenheiten eines Landes immer<br />

auch Rückwirkungen auf die soziale Einbettung<br />

und gesellschaftliche Akzeptanz<br />

von Unternehmen haben, werden wir in diesem<br />

Jahr – gemeinsam mit der Europäischen<br />

Kommission – erstmals auch die besten<br />

Ansätze im Bereich Corporate Social Responsibility<br />

prämieren.<br />

Unser Ansatz, ein europaweites Benchmarking<br />

zu betreiben und damit einen realistischen<br />

Blick auf die wahre Leistungsstärke<br />

und die Optimierungspotenziale für Europas<br />

Unternehmen aufzudecken, führte bereits<br />

bei der Erstauflage des „Best of European<br />

Business“ zu überraschenden Erkenntnissen.<br />

Europa verfügt über eine Reihe von Spitzenunternehmen,<br />

die auch im weltweiten Vergleich<br />

herausragen – ein Ergebnis, das uns<br />

überrascht hat. Sehr deutlich zeigte sich dies<br />

bei den Wachstumsraten der besten Unternehmen.<br />

Im Vergleichszeitraum 2000 bis<br />

2004 legten die Top-Performer fast alle um<br />

mehr als 20 Prozent zu. Die These, auf<br />

Grund der weltweiten Konkurrenz könnten<br />

europäische Unternehmen nur noch in<br />

vereinzelten Industriebereichen punkten,<br />

lässt sich nicht halten. Selbst in alten Industrien<br />

wie der Bauwirtschaft und der Textilbranche<br />

schreiben Champions wie der portugiesische<br />

Baukonzern Mota Engil oder die<br />

spanische Inditex Erfolgsgeschichten. Inditex<br />

ist in den vergangenen Jahren um über<br />

21 Prozent gewachsen – viermal so stark<br />

wie der Branchendurchschnitt. In Schlüsselindustrien<br />

wie Automobilbau, Chemie, Öl<br />

und Gas oder Telekommunikation wachsen<br />

Europas Firmen regelmäßig schneller als<br />

ihre Wettbewerber.<br />

Echte Champions lassen sich selbst von<br />

unvorteilhaften Rahmenbedingungen nicht<br />

aufhalten. So sind hohe Wachstumsraten<br />

der Unternehmen nicht abhängig vom Grad<br />

der Bürokratie in den jeweiligen Heimatländern.<br />

Doch auch wenn sich die bessere Idee<br />

über schwierige Rahmenbedingungen hinwegsetzt<br />

– unter wirtschaftsfreundlicheren<br />

Bedingungen könnten noch weit bessere


Ergebnisse erzielt werden. So hat es einen<br />

deutlichen Effekt, wenn der Staat direkt in<br />

Geschäfte eingreift. Europäische Firmen<br />

mit signifikantem Staatsanteil wuchsen im<br />

Schnitt nur halb so schnell wie private<br />

Unternehmen.<br />

Auch beim Thema Innovation schneiden die<br />

Europäer – allen voran deutsche und skandinavische<br />

Unternehmen – besser ab als die<br />

globale Konkurrenz. Sie haben die fortschrittlichsten<br />

Produktionsprozesse, machen<br />

besseres Marketing und Branding und verfügen<br />

über höhere Innovationskapazitäten.<br />

Der französische Pharmakonzern Sanofi-<br />

Aventis ist hier ein Beispiel. Rund vier Milliarden<br />

Euro werden in Forschung und Entwicklung<br />

investiert, knapp zwei Drittel der<br />

Präparate genießen umfassenden Patentschutz<br />

und können kurzfristig nicht von Generikaherstellern<br />

kopiert werden.<br />

Die besten europäischen Unternehmen nutzen<br />

die neuen Chancen in Mittel- und Osteuropa.<br />

Mit einer frühen Präsenz vor Ort und<br />

flexiblen, den örtlichen Gegebenheiten<br />

angepassten Konzepten haben sie Spitzenpositionen<br />

eingenommen. So publiziert der<br />

Axel-Springer-Verlag mit FAKT die größte<br />

polnische Tageszeitung und betreibt den<br />

größten Verlag Ungarns.<br />

Die nationalen Wettbewerbe haben also<br />

gezeigt, dass Europa über viele hochdynamische<br />

Unternehmen verfügt, deren Performance<br />

auch im weltweiten Vergleich hervorsticht.<br />

Doch wie ist es um die Wettbewerbsfähigkeit<br />

der Unternehmen auf dem Heimatmarkt<br />

Europa, dem größten Absatzmarkt der<br />

Welt, bestellt? Um dies herauszufinden,<br />

bezogen wir in unseren europaweiten Wettbewerb<br />

alle Unternehmen ein, die geschäftlich<br />

in Europa aktiv sind. Ergebnis: In allen<br />

neun untersuchten Industrien gewannen die<br />

Europäer. Dies belegt aus unserer Sicht<br />

zweierlei. Zum einen ist die Stärke auf dem<br />

Heimatmarkt nach wie vor entscheidend für<br />

die globale Performance. Zum anderen –<br />

und hier wird die Relevanz unseres neuen<br />

entscheider müssen ihre zentralen als systemköpfe verstehen industry-report f<br />

Schwerpunkts deutlich – verfügen Topunternehmen<br />

offensichtlich über die Fähigkeit,<br />

die Vielfalt Europas zum Wettbewerbsvorteil<br />

zu machen. Nicht zuletzt auf Grund ihrer<br />

kulturellen Anpassungsfähigkeit ist UBS,<br />

Gesamtsieger unseres Wettbewerbs, weltweit<br />

erfolgreich. Die Spitzenbank muss in<br />

ihrem Heimatland mit vier Landessprachen<br />

klarkommen – Sprach- und Kulturbarrieren<br />

zu überwinden ist also ein fester Bestandteil<br />

der Unternehmens-DNA.<br />

Auf Europa verzichten wollen die Firmen<br />

nicht. Das ergab eine Exklusivumfrage, die<br />

wir direkt unter CEOs durchführten. Fast<br />

alle Befragten waren der Ansicht, Europa<br />

werde künftig eine größere Rolle spielen.<br />

Der Kontinent hat zwar seine Schwächen,<br />

wird dadurch aber im Gefüge der globalen<br />

Wirtschaft keinesfalls irrelevant.<br />

Die wichtigsten Argumente für Europa sind<br />

die Menschen und ihr Können, eine hervorragende<br />

Infrastruktur und ein regulatorisches<br />

Umfeld, das von vielen vielleicht als<br />

zu dicht empfunden werden mag – das aber<br />

einen verlässlichen Rahmen für gute<br />

Geschäfte bietet. Europa wird, so die Manager,<br />

in den nächsten zehn Jahren besonders<br />

in Schlüsselfeldern an Bedeutung gewinnen:<br />

Bei den Themen Finanzierung, Vertrieb und<br />

Marketing, Branding, Managementausbildung<br />

und Management-Recruiting wird der<br />

Kontinent als „Rising Star“ gesehen.<br />

Ein Grund dafür ist wiederum seine Vielfalt.<br />

Europa besteht aus ganz unterschiedlichen<br />

Standorten, von denen jeder seine eigenen<br />

komparativen Vorteile hat. Europäischen<br />

Unternehmen bietet sich die Chance, diese<br />

zu einem wettbewerbsfähigen Netzwerk<br />

zu verknüpfen. Schon heute fungieren die<br />

meist westeuropäischen Zentralen vieler<br />

Unternehmen als Systemkopf schlagkräftiger<br />

Netzwerke. Wenn die Unternehmen<br />

an der Vervollkommnung ihrer Kompetenz<br />

arbeiten, Netzwerke zu knüpfen und diese<br />

unter Berücksichtigung der Stärken jedes<br />

Standorts zu steuern, wird Europa für sie<br />

EUROPAS BESTE ZUM ZWEITEN<br />

Auf zehn Teilnehmerländer hat <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong><br />

den „Best of European Business“-Wettbewerb<br />

in diesem Jahr erweitert. Neu dabei sind Dänemark,<br />

die Niederlande und die Schweiz. Daneben<br />

werden auch wieder in Deutschland,<br />

Frankreich, Großbritannien, Italien, Polen, Portugal<br />

und Spanien die besten Unternehmen<br />

ausgezeichnet. Ab August werden die nationalen<br />

Preise vergeben, der erste davon in der<br />

Schweiz. Voraussichtlich im kommenden März<br />

findet die europäische Abschlussgala statt.<br />

Die Kategorien in diesem Jahr: Wachstum,<br />

grenzüberschreitende M&A-Aktivitäten und<br />

Europäisierung. Im Bereich Wachstum werden<br />

Unternehmen ausgezeichnet, die seit 2001<br />

besonders starke Absatzzuwächse verzeichneten<br />

und dabei profitabel waren. Bei den Mergers<br />

and Acquisitions suchen die nationalen<br />

Jurys nach Beispielen für Zusammenschlüsse,<br />

die besonders nachhaltig Werte erzeugten.<br />

Die Kategorie Europäisierung schließlich prämiert<br />

Unternehmen, denen es gelingt, die<br />

Dimension Europa besonders überzeugend in<br />

ihre Strategien einzubeziehen.<br />

Auch in diesem Jahr setzt <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> auf<br />

hochkarätige Jurys und Medienpartner, um<br />

Objektivität und Qualität zu garantieren.<br />

Medienpartner des Gesamtwettbewerbs wird<br />

in diesem Jahr CNN. Zu den nationalen<br />

Medienpartnern gehören Boersen (Dänemark),<br />

manager magazin (Deutschland),<br />

Enjeux les Echos (Frankreich), Il Sole 24 Ore<br />

(Italien), Harvard Business Review (Polen),<br />

Journal de Negócios (Portugal), Die Bilanz<br />

(Schweiz), The Times (Großbritannien) und<br />

Wall Street Journal Europe.<br />

zu einem echten Standort- und Wettbewerbsvorteil.<br />

Für die Politik muss dies ein Anreiz sein, die<br />

Rahmenbedingungen für die Unternehmen<br />

zu verbessern. Gelingt dies und werden die<br />

bestehenden Nachteile im globalen Standortvergleich<br />

reduziert, so kann tatsächlich<br />

die kulturelle Vielfalt des Kontinents im globalen<br />

Wettbewerb den Ausschlag geben.<br />

49


p industry-report trends und branchen<br />

50<br />

Zukunftsmärkte im Check<br />

Autos kommunizieren miteinander. Computerchips verstehen künftig mehr als null und eins. Ein<br />

neues Satellitensystem ortet auf einen Meter genau alles. Elektronische Lesegeräte kommen.<br />

vernetzte fahrzeuge<br />

Viele Verkehrsunfälle geschehen auf Grund von<br />

Fehlinformation: Im dichten Verkehr erkennen<br />

Autofahrer das Geschehen vor sich nicht und reagieren<br />

daher zu spät. Führende Autobauer (Volkswagen,<br />

Audi, DaimlerChrysler, BMW, Honda, Renault) und<br />

Elektronikfirmen (Philips, NEC) haben sich daher in dem<br />

Konsortium Car2Car Communication zusammengeschlossen,<br />

um einen europäischen Standard für ein Telematiksystem<br />

auf Basis der Wireless-LAN-Technik zu entwickeln.<br />

Die Idee: Die Fahrzeuge bilden während der Fahrt<br />

„Ad-hoc-Netze“ und tauschen untereinander Nachrichten<br />

über die aktuelle Verkehrslage aus. Steht ein Fahrzeug<br />

beispielsweise im Stau, sendet es diese Information an<br />

alle Fahrzeuge in seinem Umfeld und gibt dadurch<br />

Gelegenheit zu frühzeitiger Reaktion. Auch das Umfahren<br />

des Staus mittels Navigationssystem würde dadurch<br />

möglich. „Wenn nur zehn Prozent aller Fahrzeuge in<br />

Deutschland direkt miteinander kommunizieren könnten“,<br />

rechnet Burkhard Göschel vor, Entwicklungsvorstand<br />

bei BMW, „würden wir eine flächendeckende<br />

Verkehrsinformation erhalten.“ Erst in zehn bis 15 Jahren,<br />

so heißt es bei BMW, werden diese Systeme Marktreife<br />

erlangen. Dann allerdings könnten sie nachträglich<br />

den Versuch der Europäischen Kommission unterstützen,<br />

die Zahl der Verkehrstoten bis zum Jahr 2010 im Vergleich<br />

zu 2001 zu halbieren.<br />

quantencomputer<br />

Gemäß dem „Mooreschen Gesetz“ verdoppelte sich<br />

die Leistungsfähigkeit von Siliziumchips in den vergangenen<br />

40 Jahren alle 18 Monate. Bald sollen die Strom<br />

führenden Kanäle der Prozessoren nur noch 22 Nanometer<br />

breit sein. Damit stoßen die Hersteller allerdings<br />

an die Grenzen der klassischen Physik – und in die<br />

Quantenmechanik vor. Dort können Bits nicht mehr<br />

nur die Zustände „eins“ oder „null“ annehmen. Die<br />

Quantenbits, auch Qubits genannt, überlagern diese singulären<br />

Zustände durch kohärente. So wie eine Lampe,<br />

die nicht nur in den Grundfarben leuchtet, sondern<br />

auch in den Komplementärfarben. Der Vorteil: Qubits<br />

lösen mathematische Fragestellungen wie das Entschlüsseln<br />

von Daten wesentlich schneller. Das Problem:<br />

Sie sind sehr instabil. Um im Bild zu bleiben: Sobald<br />

jemand das Farbenspiel beobachten will, zerfällt es<br />

in seine Grundfarben.<br />

Weltweit versuchen Forscher, Quantencomputer zu<br />

entwickeln. Eine Rechenmaschine mit fünf Qubits wurde<br />

bereits realisiert. Doch je mehr Qubits dazukommen,<br />

desto kürzer die Zeit, in denen die Qubits rechnen können.<br />

Trotzdem glauben die Wissenschaftler langfristig an<br />

den Erfolg. „Das ist eine Frage der experimentellen<br />

Entwicklung“, sagt Anton Zeilinger, Experimentalphysiker<br />

an der Universität Wien. Kommerzielle Lösungen erwarten<br />

viele Forscher nicht vor 2020. Die Ausnahme bildet<br />

das kanadische Start-up-Unternehmen D-Wave-Systems.<br />

„Wir planen, einen Prototyp bis Ende 2006 fertig zu stellen“,<br />

kündigt CEO Geordie Rose an.<br />

So schrumpfen moderne Transistoren<br />

Kanalbreite Transistoren pro Chip<br />

(in Nanometern) (in Millionen)<br />

2003 90 180<br />

2005 65 380<br />

2007 45 1500<br />

2009 32 3010<br />

2011 22 keine Angabe<br />

Quelle: AMD, ITRS


galileo-satellitennavigation<br />

Am 28. Dezember 2005 startete eine Sojus-<br />

Trägerrakete in eine neue Ära. Vom russischen<br />

Weltraumbahnhof Baikonur hievte sie Giove-A, den<br />

ersten Testsatelliten des Galileo-Systems, auf eine geostationäre<br />

Umlaufbahn ins Weltall. Bis 2010 sollen 30 Satelliten<br />

die Kommunikation mit und auf der Erde sichern. „Dann<br />

wird Galileo nutzbar sein und den Alltag der Bürger verbessern“,<br />

prognostiziert Jacques Barrot, Vizepräsident der<br />

EU-Kommission.<br />

Im Unterschied zu den bestehenden Satellitensystemen,<br />

dem amerikanischen Global Positioning System (GPS) und<br />

dem russischen Glonass, ist Galileo für zivile Bedürfnisse<br />

konzipiert. Die Privatwirtschaft wird das System betreiben.<br />

Militärische Einschränkungen soll es nicht geben. Ein weiterer<br />

Unterschied: Die Galileo-Satelliten arbeiten exakter als<br />

e-paper<br />

Die belgische Tageszeitung DeTijd startete im April den<br />

Feldversuch: 200 Abonnenten empfingen drei Monate lang<br />

Nachrichten statt auf Papier per Funk oder Internet auf<br />

einem elektronischen Lesegerät. Die Herstellerfirma<br />

IRexTechnologies, ein Philips-Spin-off, hat ihm den Namen<br />

eines der ältesten Bücher der Welt gegeben: „Iliad“. Im<br />

gleichnamigen Buch beschrieb Homer die Schlacht um Troja.<br />

Anders als bei Flüssigkristall-Displays flimmert das Bild<br />

des Iliad nicht. Das PDA-ähnliche Gerät baut auf helle und<br />

dunkle Partikel, die entgegengesetzt geladen sind und durch<br />

eine klare Lösung schwimmen. Beim Anlegen einer Spannung<br />

bewegen sich die hellen Partikel nach vorn, während<br />

die dunklen in den Hintergrund treten. Der Betrachter sieht<br />

die hellen Partikel. Wird die Spannung gedreht, nimmt der<br />

Betrachter die dunklen Partikel wahr. Wird die Spannung<br />

abgeschaltet, verharren die Partikel in der aktuellen Position.<br />

Der Kontrast zwischen Hell und Dunkel gleicht damit dem<br />

von bedrucktem Papier. Das E-Book von Sony, das im April<br />

trends und branchen industry-report f<br />

die Konkurrenz. Mit GPS lassen sich Objekte in<br />

der Senkrechten auf 70 Meter genau lokalisieren.<br />

Für Blindflüge eignet sich das System damit<br />

nicht. Galileo dagegen erlaubt es, die Lage von<br />

Menschen und Maschinen nahe der Erdoberfläche<br />

sowohl in der Senkrechten als auch in der Waagerechten<br />

auf einen Meter genau zu orten. Neue Anwendungen<br />

in der Logistik, aber auch in der Firmenkommunikation<br />

sollen damit möglich werden. Beispielsweise könnte Galileo<br />

die Navigation für Fischer, Ölförderfirmen oder die Holzindustrie<br />

verbessern. Die Kontrolle regulierter Logistikdienstleistungen<br />

ließe sich vereinfachen. Rainer Grohe,<br />

Exekutivdirektor der EU-Behörde Galileo Joint Undertaking,<br />

erwartet daher schnelles Wachstum. „Der Markt dürfte etwa<br />

2012 weltweit bei 22 bis 25 Milliarden Euro pro anno liegen.“<br />

auf den US-Markt gekommen ist, nutzt die gleiche Technik.<br />

Für Videoanwendungen eignen sich beide Geräte allerdings<br />

nicht, da die Partikel maximal einmal pro Sekunde ihre<br />

Position verändern. Auch knicken lassen sie sich noch nicht.<br />

Entsprechend gespannt nehmen Hersteller daher<br />

Ankündigungen wie jene der Technologieschmiede Plastic<br />

Logic auf, die die weltgrößte Aktivmatrix aus einer flexiblen,<br />

organischen Polyethylenfolie entwickelt haben will.<br />

51


p business-culture auch topmanager sollten die schulbank drücken


: Lohnt es sich für eine Hamburger-Kette,<br />

ein neues Restaurantkonzept zu starten?<br />

50 gut gekleidete Männer und Frauen sollen<br />

diese Frage beantworten, am Dienstagabend<br />

in der Zürcher Graduate School of Business<br />

Administration (GSBA). Sie diskutieren,<br />

schreiben Stichwörter auf Flip-Charts. Pizzastücke<br />

werden vertilgt. Es ist zwanzig nach<br />

acht. Doch müde wirkt keiner.<br />

Lange arbeiten sind die Studenten gewohnt.<br />

Sie arbeiten nämlich tagsüber in Leitungspositionen<br />

in Unternehmen. Den Kurs<br />

machen sie nebenher. Am Ende haben sie<br />

den Titel „Executive MBA“ in der Tasche.<br />

Das klingt glamourös, dahinter steht aber<br />

die grundsolide Idee, sich neben dem Beruf<br />

neues Wissen anzueignen.<br />

DAS ANGEBOT WIRD BREITER. ZUNEHMEND<br />

GERATEN AUCH OBERSTE FÜHRUNGSEBENEN<br />

INS VISIER DER WEITERBILDER.<br />

die telekom verordnete der gesamten führungscrew weiterbildung business-culture f<br />

Manager auf der Schulbank<br />

„Weiterbildung ist nichts für mich“, glaubten Entscheider bisher. Jetzt denken viele um. Immer<br />

mehr Angebote richten sich an erfahrene Verantwortungsträger. Selbst Topmanager drücken heute<br />

die Schulbank. Nicht zuletzt Change-Management können auch versierte Entscheider üben.<br />

Die Teilzeitstudenten in Zürich sind aufstrebende<br />

Manager, viele auf dem Sprung in<br />

oberste Führungsetagen. Die Weiterbildung<br />

verleiht ihnen den letzten Schliff. Wie sie<br />

drücken immer mehr Manager freiwillig<br />

die Schulbank.<br />

Die Angebote werden anspruchsvoller,<br />

immer weiter differenziert sich der Markt<br />

für Executive-Education aus. Und: Zunehmend<br />

näher an die obersten Führungsfunktionen<br />

rücken die Angebote heran. Volkshochschule<br />

für Eliten. Damit wird das gängige<br />

Vorurteil angekratzt, dass mit dem Aufstieg<br />

eines Managers seine Lernfähigkeit<br />

sinke. Immer mehr Angebote richten sich an<br />

Manager mit Führungserfahrung.<br />

Dabei wird Executive-Education noch oft als<br />

Tabu gesehen: Wer sich weiterbildet, offenbart<br />

eine Schwäche, so häufig die Denkweise.<br />

Aber der Markt wächst zweistellig.<br />

120 Millionen Pfund pro Jahr geben Entscheider<br />

allein in Großbritannien für ihre<br />

Weiterbildung aus. Vom Nachfragezuwachs<br />

profitieren Elite-Institutionen wie die französische<br />

INSEAD oder die GSBA, aber auch<br />

dubiose Anbieter ohne Zertifizierung.<br />

Ein Grund für den Boom: Heute rücken auch<br />

junge Führungskräfte schnell in hohe Positionen<br />

auf. Ihnen fehlt die Erfahrung früherer<br />

Topmanager. Sie brauchen den zusätzlichen<br />

Input aus dem Seminarraum. Dabei<br />

ändert sich das Verständnis von den Angeboten,<br />

„weg von der Führungskräfte-Fortbildung,<br />

hin zur Führungskräfte-Entwicklung“,<br />

so Srikant Datar, Dekan an der Harvard<br />

Business School. Punktgenau werden die<br />

Manager auf oberste Leitungsaufgaben und<br />

Entscheidungssituationen vorbereitet.<br />

Die Idee der Weiterbildung dringt auch deshalb<br />

zunehmend in obere Hierarchieebenen<br />

vor, weil sie zum veränderten Jobprofil der<br />

Spitzenmanager passt. Diese müssen heute<br />

nicht nur Unternehmen steuern, sondern<br />

auch Wissensmanagement in eigener Sache<br />

betreiben. Executives müssen ständig dazulernen,<br />

weil sich die Welt, in der sie agieren,<br />

permanent verändert. Teilweise in Mannschaftsstärke<br />

setzen sich sogar absolute Spitzenentscheider<br />

deshalb heute auf die Schul-<br />

bank. So wie das gesamte Führungsteam der<br />

Deutschen Telekom. Dieses unternahm eine<br />

Bildungsreise erster Klasse nach Harvard.<br />

René Obermann, CEO von T-Mobile: „Ich<br />

konnte ,Urlaub von der Verantwortung‘ nehmen<br />

und das Unternehmen aus einer ganz<br />

anderen Perspektive betrachten. Das Alltagsgeschäft<br />

fordert fast die gesamte Aufmerksamkeit,<br />

man ist im Kopf nicht frei, sich<br />

mit neuen Ideen zu beschäftigen.“<br />

Er fand es wichtig, in Boston mit Dozenten<br />

und anderen Teilnehmern „off the records“<br />

sprechen zu können. Und nutzte computergestützte<br />

Planspiele, die zeigen, wie sich<br />

bestimmte Veränderungen auf die Entwicklung<br />

eines Unternehmens auswirken.<br />

Der Vorteil der Bildungsarbeit aus dem<br />

Berufsleben heraus: Die Manager wissen,<br />

was die Firma braucht, und lassen Erkenntnisse<br />

folglich direkt in ihre tägliche Arbeit<br />

einfließen. Obermann etwa lernte in Harvard,<br />

dass hohe Kundenzufriedenheit nicht<br />

zwangsläufig zu mehr Absatz führt. Eine Einsicht,<br />

aus der heraus er ein neues Managementtool<br />

entwickelte: den „Net Promoter<br />

Score“. Dieser „evaluiert, in welchem Maße<br />

unsere Kunden uns weiterempfehlen“.<br />

Obermann ist überzeugt: „Es gehört zu den<br />

Anforderungen an eine Führungskraft, sich<br />

selbst und seine Kenntnisse regelmäßig auf<br />

den Prüfstand zu stellen.“ Diese Art proaktiver<br />

Weiterbildung ist innovativ. Flächendeckend<br />

durchgesetzt hat sie sich aber noch<br />

nicht. Viele Chefs handeln eher im Nachhinein<br />

und auf Ad-hoc-Basis.<br />

53


p business-culture die sloan school erteilt einzelunterricht im hotelzimmer<br />

54<br />

Das muss nicht zu spät sein. Beispiel Exxon-<br />

Mobil. Der Energieriese sah sich öffentlicher<br />

Kritik ausgesetzt. Die Folge: Sämtliche<br />

Executives weltweit durchliefen ein<br />

Medientraining. „Weil es ein Unterschied<br />

ist, ob man dem Wallstreet Journal ein<br />

Interview gibt oder sich den aggressiven<br />

Fragen von Reportern eines privaten Fernsehsenders<br />

stellen muss“, so die interne<br />

Begründung.<br />

Ein Problem in der Executive-Education<br />

globaler Konzerne: Wie stellt man sicher,<br />

dass Entscheider weltweit dasselbe lernen?<br />

Um für Einheitlichkeit zu sorgen, setzen<br />

viele Firmen heute auf interne Lösungen.<br />

Der französische Versicherungskonzern<br />

AXA etwa legte jüngst ein globales Programm<br />

auf, das weltweit alle Executives<br />

durchlaufen: AXA Ambition. Das Programm<br />

orientiert sich konsequent an der Praxis.<br />

AXA-Ausbilder Helmut Kolmerer: „In den<br />

letzten Jahren lag der Schwerpunkt stark<br />

auf Action-Learning“, also darauf, dass die<br />

Teilnehmer konkrete Problemlösungen<br />

erarbeiten und dadurch lernen. Die AXA<br />

steht damit für einen generellen Trend. Der<br />

Charakter von Executive-Fortbildung hat<br />

sich verändert, weg von der Theorie, hin zu<br />

einer Orientierung an der realen Firmenwelt.<br />

Denn: Topmanager sind lernwillig,<br />

reagieren aber auf unnötige Theorie schnell<br />

allergisch. Maßgeschneiderte Programme<br />

für einzelne Unternehmen gewinnen daher<br />

an Bedeutung. „Wir haben dazu viel mehr<br />

Anfragen, als wir bewältigen können“, so<br />

Charles Breckling, Marketingdirektor der<br />

Harvard Business School. „Aber es hat keinen<br />

Sinn, schnell mal einen Strategiekurs<br />

für 20 Teilnehmer aus einem Unternehmen<br />

zu konzipieren.“<br />

Sinnvollerweise trägt eine solche spezialisierte<br />

Fortbildung einige Jahre. Und sie<br />

berücksichtigt die Zeitknappheit der Manager.<br />

Wie weit diese Art Kundenorientierung<br />

gehen kann, zeigt ein Angebot der Sloan<br />

School of Business für 150 Merrill-Lynch-<br />

Führungskräfte. Dieses setzte auf eine<br />

Mischung aus E-Learning, Tele-Tutoring –<br />

und Einzelunterricht. Eine Lehrkraft suchte<br />

dazu jeweils einen der Entscheider auf, wo<br />

immer es diesem passte – zu Hause, in<br />

Hotels. Thematisch waren die Inhalte eng<br />

mit den aktuellen Herausforderungen des<br />

Unternehmens verknüpft.<br />

Auf den Ergebnissen baut auch die Projects<br />

Academy der Sloan School für den Ölriesen<br />

BP auf. Teilnehmer sind hochkarätige Projektverantwortliche.<br />

200 haben bereits das<br />

Programm durchlaufen. Es besteht aus dreimal<br />

zwei Wochen theoretischer Arbeit am<br />

MIT. Zwischen diesen klassischen Lernphasen<br />

findet Projektarbeit statt. „Durch die<br />

Projects Academy verfügten wir über eine<br />

vereinheitlichte Methode, um neun strategisch<br />

wichtige Fusionen und Übernahmen<br />

zu steuern. Die Herangehensweise an neue<br />

Projekte ist stimmig, und es wurde eine<br />

echte Gemeinschaft aus allen bedeutenden<br />

Projektleitern weltweit geschaffen“, erklärt<br />

Academy-Direktor Jim Breson.<br />

Ein Schwerpunkt der Maßprogramme für<br />

ausgewählte Firmen ist momentan die Vorbereitung<br />

auf Change-Prozesse. Doch nicht<br />

nur bei Change-Kursen steht am Ende oft<br />

ein konkreter Effekt auf die internen Prozesse<br />

im Unternehmen. Für IBM etwa<br />

haben Lehrkörper und Executives gemeinsam<br />

ein neues Analysetool entwickelt, das<br />

der Konzern inzwischen in Eigenregie<br />

nutzt, um immer wieder Strategien und<br />

Innovationsprozesse zu überprüfen.<br />

NOVARTIS-CHEF DANIEL VASELLA<br />

ENTDECKTE DURCH WEITERBILDUNG NEUE<br />

SEITEN AM EIGENEN UNTERNEHMEN<br />

Ist eine Maßnahme gut, dann führt sie bei<br />

den Topentscheidern zu einer neuen Sicht<br />

auf das eigene Unternehmen. Beispiel<br />

Novartis: Dessen enge Kooperation mit der<br />

Harvard Business School begann bereits in<br />

den neunziger Jahren beim Zusammenschluss<br />

der Unternehmen Sandoz und Ciba<br />

Geigy. CEO Daniel Vasella schildert, wie er<br />

ganz persönlich von der Zusammenarbeit<br />

profitierte: „Wir haben Fallstudien entwickelt,<br />

und auch ich selbst begann, neue<br />

Aspekte am Unternehmen zu entdecken.“<br />

Die gemeinsame Lernerfahrung förderte<br />

eine echte, tiefe Zusammenarbeit.<br />

Vom Schweizer Firmensitz bis nach Boston<br />

sind es Tausende Kilometer. Muss das sein?<br />

Ja, sagt Soumitra Dutta, Dekan für Executive-<br />

Education bei INSEAD. Topmanager müssten<br />

ihre „Komfortzone“ verlassen. Nirgendwo<br />

lassen sich heilige Kühe schlechter<br />

schlachten als auf dem eigenen Balkon.<br />

Neuen Input holt man sich besser anderswo.<br />

Das glaubt auch Hélène Ploix, Präsidentin<br />

von Pechel Industries. Sie kam kürzlich an<br />

ihren Studienort nach Fontainebleau zurück,<br />

für das International Director’s Forum:<br />

„Wenn im normalen Arbeitsalltag ein Problem<br />

zu lösen ist, ist man sehr dicht dran.<br />

Der Abstand fehlt oder die Muße, sich einer<br />

Frage auf andere Weise zu nähern.“<br />

Ebenfalls wichtig für sie waren „der Erfahrungsaustausch<br />

auf internationaler Ebene<br />

und die Chance, ein Netzwerk zu entwickeln“.<br />

Ein Argument, auch zur internen<br />

Legitimation der Fortbildung auf Toplevel,<br />

ist eben der Stapel Visitenkarten, den man<br />

ins Büro mitbringt.<br />

DIE OPER ALS LERNPARCOURS<br />

Auf eine ganz besondere Art Weiterbildung<br />

setzt eine Kooperation zwischen der Münchner<br />

Staatsoper und <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong>. Das „Young<br />

Leadership Program“ führt junge Entscheider<br />

in die Welt des Opernmanagements ein. Vom<br />

Musiktheater sollen sie lernen, vielstufige und<br />

komplexe kreative Prozesse zielgerichtet zu<br />

führen. Sie werden mit Intendant Kent Nagano<br />

ebenso diskutieren wie mit Direktoren und Regisseuren.<br />

Hintergrund ist die Idee, dass Manager<br />

heute in der Balance zwischen Wirtschaft,<br />

Kultur und Politik selbst kreativ sein müssen.


Wer Gewalt übersieht, erzeugt damit selbst<br />

Schmerz. Wenn Sie mitbekommen, dass<br />

ein Kind misshandelt wird, und das für sich<br />

behalten, werden Sie zum Handlanger<br />

des Täters. Bitte, wenn ein Kind misshandelt<br />

wird, sagen Sie es uns!<br />

Schluss mit der Gewalt gegen Kinder!<br />

Organisation „Unser Kind“ (Our Child Foundation), Ustavni 91/95, 181 21 Prague 8, Czech Republic, nadace@nasedite.cz


WENN DAS CHAOS PRODUKTIV WIRD:<br />

Dieses Foto stammt aus einer Reihe von Aufnahmen,<br />

die Rem Koolhaas selbst bei einem seiner ersten Besuche<br />

in Lagos schoss. Es verdeutlicht die Vitalität, die<br />

mit den Verkehrsstaus der Metropole einhergeht.<br />

REM KOOLHAAS gilt als radikalster Denker unter<br />

den Stararchitekten der Welt. Er studierte an der Londoner<br />

Architectural Association und wurde 1978 mit<br />

seinem Buch „Delirious New York“ bekannt. Der heute<br />

59-Jährige ist Chef des Architekturbüros OMA (Office<br />

for Metropolitan Architecture) und des angegliederten<br />

Forschungsinstituts AMO. Zu seinen bekanntesten<br />

Bauten gehören die Konzerthalle in Porto und die<br />

niederländische Botschaft in Berlin. Koolhaas lehrt als<br />

Professor an der Harvard University.


Von Lagos lernen<br />

:<br />

Rem Koolhaas läuft viel durch Städte.<br />

Geschätzte 300 Tage im Jahr jettet er um<br />

die Welt. Seine Freizeit verbringt er mit<br />

Schwimmen. Und Interviews mit ihm finden<br />

am besten im Auto statt. Der Mann liebt<br />

die Bewegung – auch als urbanes Grundprinzip.<br />

Im Gespräch auf der Fahrt zum<br />

Flughafen entwirft er seine Vision einer<br />

hypermobilen Stadt der Zukunft, einer<br />

Stadt, die sich permanent verändert, spontan<br />

selbst organisiert und ziemlich chaotisch<br />

daherkommt.<br />

Paradebeispiele für diesen neuen Urbanismus<br />

findet Koolhaas in zwei Weltgegenden,<br />

die nach gängiger Meinung wenig miteinander<br />

zu tun haben: in Chinas rasant<br />

wachsenden neuen Epizentren des asiatischen<br />

Kapitalismus – sowie, und das überrascht,<br />

in der chaotischen nigerianischen<br />

Metropole Lagos. Die provokante These des<br />

Pritzker-Preisträgers: „Lagos ist in vielerlei<br />

Hinsicht Richtung weisend für die Stadt der<br />

nächsten 100 Jahre.“<br />

Jahrelang hat Koolhaas mit Kollegen untersucht,<br />

wie in Lagos urbane Strukturen entstehen<br />

und sich die Zehn-Millionen-Metropole<br />

trotz Armut und Katastrophen wie<br />

explodierenden Ölplattformen am Leben<br />

erhält. Die Antwort, die er auch in einem für<br />

Herbst geplanten Buch erläutert: durch<br />

Selbstorganisation und – auch ökonomische<br />

– Improvisation.<br />

Diese drückt sich nicht zuletzt in spontan<br />

entstehenden Märkten aus. Ein Beispiel ist<br />

der tägliche Verkehrsstau. Fahrten durch die<br />

Stadt können in Lagos schon einmal für<br />

Stunden zum Stillstand kommen. Der Rest<br />

ist Markt: Binnen Minuten sammeln sich um<br />

rem koolhaas glaubt nicht an das konsummodell mall business-culture f<br />

Die Stadt der Zukunft wird chaotisch, prognostiziert der Architekt Rem Koolhaas – und hat durchaus<br />

seine Freude daran. Wie Chaos produktiv wird, erklärt der Holländer am Beispiel Lagos. Dort wird der<br />

Verkehrsstau zum spontanen Markt – und eine Autobahnbrücke zum urbanen Zentrum.<br />

die Autos herum Hundertschaften fliegender<br />

Händler und bieten alles Mögliche an,<br />

von Lebensmitteln über Basisdienstleistungen<br />

bis zu Autoersatzteilen. (Letztere werden<br />

auch gern von stehenden Fahrzeugen<br />

abmontiert.)<br />

Der Markt als Organisationsprinzip einer<br />

Stadt – dieses Modell lernte Koolhaas selber<br />

in seiner Jugend in Indonesien kennen: „Asiatische<br />

Gesellschaften waren stets stark von<br />

Märkten geprägt. Märkte produzieren hier<br />

eigene soziale Strukturen.“<br />

LAGOS IST DIE PERMANENTE VERÄNDERUNG.<br />

JEDE PLEITE WIRD VON EINER NEUEN<br />

NUTZUNGSFORM AUFGEFANGEN.<br />

Allerdings sind diese Strukturen nie von<br />

Dauer, sondern verändern sich schnell wieder.<br />

Städte sind damit keine statischen<br />

Gebilde mehr, sondern werden zu sich ständig<br />

weiterentwickelnden Phänomenen.<br />

Auch das zeigt das Beispiel Lagos: Die Stadt<br />

ist ständig im Werden begriffen. Jede planerische<br />

Pleite wird schnell von einer anderen<br />

Nutzungsform aufgefangen. Wenn Brückenteile<br />

nicht zusammenpassen, wird kurzerhand<br />

die ganze Brücke umfunktioniert,<br />

etwa zu einer lebhaften Fußgängerzone.<br />

Diese Art von improvisiertem Urbanismus<br />

ist es, die Koolhaas an Lagos fasziniert.<br />

Wenn Städte zu Zentren flexibler Selbstorganisation<br />

werden, heißt das nicht, dass<br />

städtebauliche Planung unnötig würde. Sie<br />

geschieht jedoch eher punktuell als einem<br />

Masterplan folgend. Und das, so Koolhaas,<br />

hat Lagos mit China gemein. Zwar entwirft<br />

das boomende Riesenland in Grüngebieten<br />

gigantische urbane Strukturen, zwar ist die<br />

gesamte westliche Architektenelite mit dem<br />

Entwerfen neuer urbaner Regionen in<br />

China beschäftigt. Doch einer übergeordneten<br />

Ästhetik oder einheitlichen Vision folgt<br />

die chinesische Planung nicht. Angesichts<br />

der Geschwindigkeit, mit der Städte in<br />

China, aber auch in anderen Boomregionen<br />

wachsen, habe die Idee langfristig und ganzheitlich<br />

planbaren städtischen Wachstums<br />

für diese Länder ausgedient: „Wer dort<br />

dabei ist, arbeitet auch als Architekt oder<br />

Planer ganz anders.“ Es geht um das<br />

Management des Chaos. Der Planer wird<br />

zum Kontrolleur spontaner Dynamiken.<br />

So wie Guan Yetong, in Shanghai für die<br />

Entwicklung des Xujiahui-Bezirks zuständig.<br />

„Wir sind so sehr mit dem Managen<br />

konkreter Projekte beschäftigt, dass wir gar<br />

nicht die Zeit haben, über das große Ganze<br />

nachzudenken“, sagt er. Das bestätigt Koolhaas.<br />

In China beobachtet er einen Städtebau<br />

nach dem Try-and-Error-Prinzip: „Dort<br />

werden innerhalb kürzester Zeit gigantische<br />

Bauvorhaben gestemmt. Sie können aber<br />

auch schnell wieder obsolet werden.“ Der<br />

Planer plant, der Architekt baut also nicht<br />

mehr für die Ewigkeit, sondern für die Zeit<br />

bis zur nächsten Umwälzung.<br />

Nicht allen gefällt diese Art von Stadtentwicklung.<br />

Yin Zhi, Direktor des Instituts für<br />

Stadtplanung und Design an der Tsinghua-<br />

Universität, kritisiert am Beispiel Pekings, es<br />

seien zwar viele Wirtschaftswissenschaftler<br />

an der Planung der Stadt beteiligt gewesen,<br />

„aber kaum Leute mit kulturellem Hintergrundwissen“.<br />

„Chinas Städte sehen zunehmend<br />

aus wie Vororte“, bemerkt süffisant die<br />

asiatische Ausgabe von Time Magazine.<br />

57


p business-culture der große wurf hat in der stadtplanung ausgedient<br />

58<br />

„Wir sind so sehr mit dem Managen konkreter Projekte beschäftigt,<br />

dass wir gar nicht die Zeit haben, über das große Ganze nachzudenken.“<br />

Guan Yetong, chinesischer Stadtplaner<br />

„Stadt und Nichtstadt werden ununterscheidbar“,<br />

sagt auch Koolhaas. Doch sein<br />

Statement lässt neben Skepsis auch Faszination<br />

erahnen.<br />

„KAPITALISMUS IST EIN FORDERNDES,<br />

STIMULIERENDES SYSTEM.“ NUR GEHE SEIN<br />

SPONTANER CHARAKTER ZUNEHMEND VERLOREN.<br />

Faszination und Skepsis zugleich – diese<br />

Haltung zeichnet auch die Auseinandersetzung<br />

des Architekten mit der Gegenwart<br />

insgesamt aus. Heraus kommen Visionen,<br />

die alles andere als gemütlich sind. Koolhaas<br />

liebt die Konfrontation mit Phänomenen,<br />

die nicht nur harmonische humanistische<br />

Seiten haben, sondern auch harte, strukturzerstörende.<br />

Der größte Strukturveränderer ist die globalisierte<br />

Marktwirtschaft. Der Kapitalismus<br />

zerstört, aber er schafft auch Neues und<br />

setzt Kreativität frei. „Kapitalismus ist<br />

grundsätzlich ein forderndes, stimulierendes<br />

System.“ Nur gehe dieser Charakter<br />

zunehmend verloren. „Heute wird der Kapitalismus<br />

immer weniger selbstorganisierend<br />

interpretiert. Unternehmen und Staaten<br />

setzen statt dessen auf rigide Kontrolle.“<br />

Sie rücken ab von einem Verständnis der<br />

Marktwirtschaft als Schauplatz spontaner<br />

Selbstorganisation und Reflexivität.<br />

Dass der Kapitalismus zur Reflexivität, zur<br />

Kritik seiner eigenen Prinzipien fähig ist,<br />

hat Koolhaas selbst vorgeführt. Als Professor<br />

in Harvard untersuchte er das Phänomen<br />

Shopping und gestaltete die Prada-Geschäfte<br />

in New York, Los Angeles und Tokio. Kritiker<br />

sehen in ihm seither den Büttel des<br />

Kapitals. Doch sie ignorieren, dass die Läden<br />

den Markenfetischismus keineswegs<br />

unzweideutig feiern. So sind die Schaufensterpuppen<br />

in Shoppingpose im Boden des<br />

Prada-Stores in Beverly Hills ebenso sehr<br />

kritischer Kommentar wie Designgag.<br />

Die Koolhaas-Methode lässt sich mit „teilnehmender<br />

Kritik“ beschreiben. Nach dem<br />

Motto: Um etwas zu verstehen, muss man<br />

nah dran sein, mitmachen. Auch deshalb<br />

baut er gerade, sehr zum Unmut vieler politischer<br />

Beobachter, ein 500 000-Quadratmeter-Gebäude<br />

für das staatliche chinesische<br />

Fernsehen CCTV in Peking. Kritiker argumentieren,<br />

er unterstütze damit symbolisch<br />

ein Regime, das die Medienfreiheit untergräbt.<br />

Doch der CCTV-Bau ist kein Beleg<br />

dafür, dass Koolhaas ein unpolitischer Architekt<br />

wäre. Er sieht die Ambivalenz Chinas.<br />

Aber er konstatiert auch, „dass das Land als<br />

Ganzes sich in eine beeindruckende Rich-<br />

STÄDTE MÜSSEN CLUSTER BILDEN<br />

„Eine Welle der Interdisziplinarität“ beobachtet<br />

der Nanowissenschaftler Horst Weller<br />

momentan in Deutschland. In der Kooperation<br />

zwischen unterschiedlichen Fachbereichen<br />

sowie in Clustern aus Wissenschaft und Wirtschaft<br />

sieht der Professor von der Universität<br />

Hamburg auch die Zukunft der Stadt. Ein ausführliches<br />

Interview mit Weller erschien im Mai<br />

in der Tageszeitung Die Welt als Beitrag zu<br />

einer achtteiligen Artikelserie über die Zukunft<br />

der Stadt. Diese hat die Zeitung gemeinsam<br />

mit <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> erarbeitet. Die komplette<br />

Serie erscheint demnächst als Sammelband.<br />

Im Oktober veranstaltet <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> außerdem<br />

einen Kongress zu dem Thema.<br />

tung entwickelt“. Dass er ein politischer<br />

Architekt ist, zeigt auch sein Europa-Engagement.<br />

Für die EU-Kommission hat er eine<br />

Alternative zur europäischen Flagge entworfen;<br />

auf Veranstaltungen wie der Vortragsreihe<br />

„Reden über Europa“ der Allianz<br />

Kulturstiftung verteidigt er seine Idee eines<br />

kreativen Europa.<br />

Das bedeutet nicht, dass Koolhaas einstimmen<br />

würde in den momentan populären<br />

Lobgesang der „klassischen europäischen<br />

Stadt“. Diese „ist kein Modell für den Rest<br />

der Welt“, ihr Ansatz kontrollierten Wachstums<br />

funktioniere anderswo nicht. Doch<br />

auch ohne die europäische Stadt als globales<br />

Rollenmodell: Koolhaas glaubt an neue Formen<br />

europäisch-asiatischer Zusammenarbeit.<br />

Auch in der Architektur.<br />

Fest stehe: „Die Menschen in China oder im<br />

Nahen Osten wollen keine einfache Amerikanisierung.“<br />

Daher hält er auch das US-<br />

Konzept immer gigantischerer Shoppingmalls<br />

für ein Auslaufmodell. Das überrascht,<br />

bedenkt man, dass die gigantischsten Malls<br />

momentan in China entstehen. Andererseits:<br />

Viele der überdachten Konsumstädte<br />

wie die Golden Resources Shopping Mall<br />

mit ihren über 1000 Geschäften werden bisher<br />

nicht angenommen. Für Koolhaas keine<br />

Überraschung: „80 Prozent aller Malls<br />

haben finanzielle Probleme.“ Die Mall sei<br />

„ein Widerspruch zum Modell des Marktes,<br />

überorganisierter Konsum“.<br />

Währenddessen kommt das Auto am Flughafen<br />

an, 40 Minuten vor Abflug. „Perfektes<br />

Timing“, vermerkt der Vordenker des Chaos,<br />

verwundert darüber, dass die Dinge manchmal<br />

doch klappen wie geplant.


Noch in den achtziger Jahren waren New<br />

York, Chicago, Paris, London und Tokio die<br />

Zentren ihrer nationalen Ökonomien und<br />

die Kommandozentralen der Weltwirtschaft.<br />

Allein 137 der 500 größten US-Firmen<br />

hatten ihre Zentrale 1967 in New York,<br />

38 in Chicago. Jedes dritte US-Großunternehmen<br />

war in einer der beiden Städte<br />

ansässig. Dieses Bild hat sich seither gründlich<br />

verändert: 2005 machte dieser <strong>Anteil</strong><br />

kaum noch zehn Prozent aus.<br />

Angezogen wurden die Firmen nicht zuletzt<br />

von den niedrigeren Kosten an weniger eng<br />

besiedelten Standorten, vor allem den Vorstädten.<br />

1969 befanden sich nur elf Prozent<br />

der größten Unternehmen der USA in einer<br />

Vorstadt, 25 Jahre später schon rund die<br />

Hälfte – besonders Technologiefirmen.<br />

Microsoft hat seine Zentrale in Redmond an<br />

der Peripherie von Seattle. Die meisten<br />

anderen führenden Technologiefirmen sitzen<br />

im Umland von San Francisco, Los<br />

Angeles, Seattle oder Dallas. „Die Geschichte<br />

der Technologie ist mit der des großstädtischen<br />

Umlands gleichzusetzen“, sagt Fred<br />

Siegel, Professor für Historische Urbanistik<br />

an der Cooper Union in New York.<br />

Dass der Run auf die Zentren zum Erliegen<br />

gekommen ist, bestätigen auch Zahlen des<br />

„Regional Economic Information Systems“.<br />

Danach wuchs die Beschäftigung in amerikanischen<br />

Gegenden mit hoher Bevölkerungsdichte<br />

zwischen 1990 und 1998 nur um<br />

etwas über fünf Prozent, in niedriger besiedelten<br />

Gegenden hingegen um bis zu 20<br />

Prozent. Ähnliches ist weltweit zu beobachten.<br />

Die Einwohnerzahl von Londons<br />

Innenstadt nahm nach Informationen des<br />

Infodienstes Demographia von 1965 bis 2000<br />

um 12,9 Prozent ab, die von Paris um 24,1<br />

Prozent, die von Tokio um 8,6 Prozent.<br />

Der Hauptgrund für den Wandel: Unternehmen<br />

wählen ihren Sitz heute anhand<br />

der Wettbewerbsfähigkeit eines Standortes<br />

aus – und nicht, wie momentan gern<br />

behauptet wird, anhand der „Hipness“<br />

größe allein macht nicht wettbewerbsfähig business-culture f<br />

Der neue alte Städtewettbewerb<br />

Wer setzt sich durch im Kampf um Investitionen der großen Unternehmen? Nicht unbedingt die<br />

klassischen Metropolen, glaubt der Stadtforscher Joel Kotkin. Klein wird fein.<br />

einer Stadt, ihrer Kunst- und Kulturaktivitäten.<br />

Damit schwindet ein natürlicher Vorteil<br />

der klassischen Metropole. Firmen entscheiden<br />

sich nicht für Kunstzentren, sondern<br />

für den effizientesten Standort – und<br />

der ist oft genug in Gegenden zu finden, die<br />

lange weiße Flecken auf der Karte der Weltwirtschaft<br />

waren. Beispiel Houston: 1900<br />

eine kleine Siedlung im osttexanischen<br />

Marschland. Heute gehört die Stadt zu den<br />

wichtigsten urbanen Zentren und hat New<br />

York und New Orleans die Führungsposition<br />

in der Energiebranche abgerungen.<br />

STÄDTE MÜSSEN SICH ALS MARKEN<br />

VERSTEHEN – DOCH DABEI REICHT<br />

ES NICHT, ALS HIP ZU GELTEN<br />

Der Wettbewerb der Städte ist härter als je<br />

zuvor. Die Telekommunikation erlaubt es,<br />

dass abgelegene Standorte wie das indische<br />

Bangalore oder Fargo in Nord-Dakota eine<br />

zentrale Rolle auf den weltweiten Dienstleistungs-<br />

und Informationsmärkten spielen.<br />

Das bedeutet: Städte müssen sich als<br />

Marke verstehen – dürfen sich dabei aber<br />

nicht auf ihre Attraktivität in den Augen<br />

einer schmalen Schicht junger Kreativer<br />

verlassen. Im Wettbewerb machen mehr<br />

denn je Investitionen in die grundlegende<br />

Infrastruktur den Unterschied – Straßen,<br />

Schiffskanäle, Industrieparks, Flughäfen.<br />

Daneben entscheidend ist ein Image als<br />

hervorragend und effizient geführte Stadt.<br />

Diese Dynamik zeigt sich vor allem in den<br />

Entwicklungsländern. Korruption und das<br />

schiere Ausmaß der Megastädte mit den<br />

höchsten Bevölkerungszahlen – Mexiko-<br />

Stadt, Kairo, Mumbai, Kalkutta, São Paulo<br />

und Manila – haben dazu geführt, dass Firmen<br />

sich lieber anderswo ansiedeln. In<br />

Indien hat sich ein Großteil des Wachstums<br />

im Technologiesektor in kleineren, gut verwalteten<br />

und mit weniger sozialen Problemen<br />

behafteten Städten wie Bangalore und<br />

Jaipur sowie in den Vorstädten von Mumbai<br />

und Delhi abgespielt. Im Nahen Osten<br />

machen vor allem kompakte Technologiezentren<br />

wie Dubai und Abu Dhabi Fortschritte.<br />

Dubai, 1948 eine staubige Siedlung<br />

mit 25 000 Einwohnern, war 50 Jahre später<br />

auf fast eine Million angewachsen. Um<br />

zehn Prozent pro Jahr wuchs die Wirtschaft<br />

des Emirats in den letzten zehn Jahren. Ein<br />

kosmopolitischer Ansatz, Investitionen in<br />

die physische Infrastruktur und die<br />

Ansammlung von Talenten zahlten sich aus.<br />

Dieses Muster lässt sich auch in Ostasien<br />

erkennen, dem zentralen Spielfeld des<br />

Urbanismus im 21. Jahrhundert. Dort haben<br />

sich relativ kleine Städte wie Singapur und<br />

Kuala Lumpur erfolgreicher in die globale<br />

Wirtschaft eingefügt als größere wie Bangkok,<br />

Jakarta und Manila. Selbst im hochzentralisierten<br />

Japan entfernten sich Aktivitäten<br />

in den Bereichen Software, Call-Center<br />

und auf anderen Technologiefeldern aus<br />

den großen, aber überfüllten Zentren Osaka<br />

und Tokio weg. Auch Hongkong hat Hightechansiedlungen<br />

an weniger eng besiedelte<br />

Gebiete auf dem chinesischen Festland<br />

verloren.<br />

Der Wandel zu kleineren Orten vollzieht<br />

sich auch in Europa. Gouda, einst Zentrum<br />

der Käseherstellung, ist heute beliebtes Ziel<br />

für Unternehmen, die den Rassenunruhen<br />

in Rotterdam entfliehen möchten. Was passiert,<br />

wenn Unternehmen ihre Firmensitze<br />

frei wählen können, zeigt auch das Beispiel<br />

Berlin. Der Regierungssitz wurde nicht, wie<br />

von vielen erhofft, zur europäischen Wirtschaftsmetropole.<br />

Die einst „Chicago an der<br />

Spree“ genannte Hauptstadt ist heute primär<br />

als trendiger Touristenort bekannt.<br />

Um diese Trends rückgängig zu machen,<br />

reicht es nicht, wenn die Metropolen sich<br />

als „kreativ“ vermarkten. Sie müssen sich<br />

mit den Gründen der Abwanderung befassen.<br />

Die wichtigsten Themen: Rassen- und<br />

Klassenprobleme, Bildung und Ausbildung<br />

– sowie eine solide physische Infrastruktur.<br />

Joel Kotkin ist Wissenschaftler und der Verfasser<br />

des Buches „The City: A Global History“


p business-culture twenty years after<br />

60<br />

Der wütende Manager<br />

Das Buch „Kaizen: The Key to Japan’s Competitive Success“ sorgte 1986 für Wirbel: Autor Masaaki<br />

Imai verriet, was das Geheimnis von Toyota und anderen japanischen Wunderkonzernen war. Die<br />

Methode „Kaizen“ wurde weltbekannt. Ihr Vordenker ist trotzdem nicht zufrieden.<br />

: „Übermorgen können Sie mit Imai-San<br />

sprechen“, verkündet die texanische<br />

Assistentin und betont die kleine Wendung<br />

aus dem Japanischen fröhlich. „San“ meint<br />

bekanntlich mehr als nur „Herr“, eher schon:<br />

„Meister“. Und wirklich: Masaaki Imai ist<br />

eine Legende. Sein Buch, das die Methode<br />

„Kaizen“ erstmals formulierte, hat sich<br />

millionenfach verkauft. Dabei begann der<br />

weißhaarige, freundliche Herr mit dem<br />

runden Kopf und der eckigen Max-Frisch-<br />

Brille als Provokateur.<br />

„Als wir in Japan bei den ersten Firmen<br />

Kaizen einführten, wehrten sich einfach<br />

alle – Manager genau wie Gewerkschafter“,<br />

sagt Imai. Fragt man ihn heute nach seinem<br />

legendären Werk, das so viel Echo fand und<br />

dessen Grundsätze es bis nach Disneyland<br />

geschafft haben, folgt die nächste Überraschung.<br />

„Ich bin frustriert, eigentlich sogar<br />

wütend“, meint er. Nach Sonnen im Ruhm<br />

klingt das nicht. „Ich schätze, 99,9 Prozent<br />

der Unternehmen arbeiten immer noch mit<br />

den alten Methoden.“<br />

Er meint damit jene Firmenchefs, die nicht<br />

ihre komplette Unternehmenskultur umgekrempelt<br />

haben. Denn Kaizen bedeutet<br />

übersetzt so viel wie „ständige Veränderung<br />

zum Besseren“ und verlangt, dass ein gesamtes<br />

Unternehmen seine Abläufe täglich<br />

überprüft. Was nichts anderes heißt, als dass<br />

die Organisation in all ihren Bestandteilen<br />

für verbesserungsfähig gehalten wird und<br />

ohne ständige Erneuerung dem Verfall<br />

preisgegeben ist. Jeder gegenwärtige<br />

Zustand dient demnach als Ausgangspunkt<br />

für weitere Optimierungen. An den Werkbänken<br />

in Europa, den USA und in Asien ist<br />

dieses Konzept oft umgesetzt worden. Nicht<br />

jedoch an der Firmenspitze, betont Imai:<br />

„Die Topmanager glauben immer, sie seien<br />

davon ausgenommen. Gerade sie müssen<br />

aber als Erste umdenken.“<br />

Begonnen hat die Geschichte der Wundermethode<br />

„Kaizen“ bereits in den dreißiger<br />

Jahren. Sakichi Toyoda, der Firmengründer<br />

von Toyota – damals noch Hersteller automatischer<br />

Webstühle – sagte zu seinen Kollegen<br />

gern: „Öffnet das Fenster, da ist eine<br />

große Welt.“ Sein Sohn Kichiro Toyoda<br />

nahm den Gedanken auf, von der Welt zu


Taichi Ohno (r.) begann die Kaizen-<br />

Revolution, Masaaki Imai (l.) setzte sie fort<br />

lernen. Als junger Mann wollte er seine<br />

Schwester in England besuchen, doch schon<br />

das erste Treffen scheiterte. Kaum gelandet,<br />

verpasste Toyoda seinen Zug. Beim Warten<br />

kam ihm die Idee zu „just in time“: Jedes<br />

Teil, das in einer Fabrik benötigt wird, muss<br />

genau in der richtigen Sekunde eintreffen.<br />

Eine Strategie, die ebenfalls in Kaizen eingeflossen<br />

ist. Bis heute kommt Toyota fast<br />

ohne Lager aus.<br />

Die Firma, die 2004 mehr Gewinn verzeichnete<br />

als General Motors, DaimlerChrysler<br />

und VW zusammen, ist bis heute das Paradebeispiel<br />

für Kaizen. Das Konzept erfunden<br />

hat Taichi Ohno, der in den fünfziger Jahren<br />

das Stammwerk von Toyota leitete. Zu dieser<br />

Zeit war das Unternehmen fast bankrott.<br />

Nach dem Krieg brach das Geschäft mit<br />

schweren Nutzfahrzeugen ein, Arbeiter<br />

wurden entlassen. „Das ist sehr unüblich in<br />

Japan“, kommentiert Imai. „Ohno nahm es<br />

sich zu Herzen und suchte nach den Gründen.“<br />

Er fand vor allem einen: Überproduktion.<br />

Ohno, angetrieben vom Grundgedanken<br />

des drohenden Verfalls, stellte jeden<br />

Prozess auf den Prüfstand – gegen heftigsten<br />

Widerstand. Er wurde so oft mit anonymen<br />

Anrufen belästigt, dass er sein privates Telefon<br />

abmelden musste. Das hielt ihn nicht<br />

davon ab, ständig nach Überflüssigem zu<br />

suchen, nach besseren Lösungen im Unternehmensablauf:<br />

im „Flow“, wie es heute<br />

heißt. Auch dieser Modebegriff hat die<br />

Kaizen-Bewegung geprägt.<br />

WENN „MISTER OH NO!“ KAM, WURDE ES<br />

UNGEMÜTLICH. DEM UNTERNEHMEN<br />

HAT DAS ABER GENÜTZT.<br />

„Ohno konnte sanft und verständnisvoll mit<br />

Arbeitern und Gästen umgehen, aber er war<br />

immer sehr hart zu anderen Managern“,<br />

erinnert sich Imai. Auch daran, dass die Kollegen<br />

den Werkschef irgendwann „Mister<br />

Oh no!“ nannten. Wenn er kam, wurde es<br />

ungemütlich. „Heute wollen Topmanager<br />

allen gefallen“, klagt Imai. „Sie sind weich<br />

geworden und haben vergessen, dass sie<br />

ihre mittleren Manager fordern müssen.“ Ein<br />

guter Kaizen-Manager betrete mit einem<br />

wütenden Gesicht die Firma.<br />

Imai selbst kam in den Fünfzigern mit gerade<br />

26 Jahren nach Amerika und führte Japaner<br />

durch US-Unternehmen. Er und seine<br />

Landsleute suchten das Geheimnis der<br />

Hochproduktivität. 1961 ging Imai zurück<br />

nach Japan und wurde der erste Headhunter<br />

der Inselnation. Fast 20 Jahre später zog<br />

es ihn wieder in seinen alten Beruf, diesmal<br />

hatten sich die Vorzeichen umgekehrt: Er<br />

empfing US-Gäste und zeigte ihnen die großen<br />

japanischen Unternehmen. Jetzt waren<br />

die Amerikaner auf der Suche nach den<br />

Erfolgsgeheimnissen ihrer Handelspartner.<br />

„Jeden Tag sammelte ich Informationen<br />

über unsere Produktionsweise“, sagt Imai<br />

heute. „Die wollte ich dem Westen näher<br />

bringen.“ Also schrieb er den Weltbestseller<br />

„Kaizen – der Schlüssel zum Erfolg der Japaner<br />

im Wettbewerb“. Letztlich, fasst Imai<br />

zusammen, ist Kaizen eine universelle Idee.<br />

„Viele Menschen haben mir gesagt, dass es<br />

ihnen auch privat geholfen hat.“<br />

Die Annahme nie endender Verbesserung<br />

hat grundlegend menschliche Dimensionen.<br />

Die Kaizen-Verfechter argumentieren hier<br />

ähnlich wie Goethes Faust, der literarische<br />

Protagonist des permanenten Strebens. Tatsächlich<br />

sagt Faust bei seinem letzten Auftritt:<br />

„Nur der verdient sich Freiheit wie das<br />

Leben, der täglich sie erobern muss.“ Doch<br />

ein Unterschied besteht: Anders als Faust<br />

sollten Kaizen-Manager „vorher ganz klare<br />

Ziele definieren“, so Imai.<br />

Seine eigenen Ziele hat der 76-Jährige so<br />

deutlich wie immer vor Augen. Er möchte<br />

noch viel mehr mit Topmanagern reden. Im<br />

nächsten Jahr will er – nach dem Klassiker<br />

„Kaizen“ und der Erweiterung „Gembakaizen“<br />

– sein drittes Buch veröffentlichen.<br />

„Vielleicht nenne ich es: Die Anatomie des<br />

Kaizen.“ Der Abschluss einer Trilogie – doch<br />

bei dem großen Wort lacht Imai.<br />

Was ist Kaizen?<br />

Die Methode, die Management und alle anderen <strong>Mitarbeiter</strong><br />

eines Konzerns gleichermaßen einbezieht,<br />

verlangt eine permanente Optimierung des Unternehmens.<br />

Der Grundgedanke: Ein komplexes System<br />

befindet sich in stetigem Verfall, gegen den es täglich<br />

ankämpfen muss. Anders als in westlicher Denkweise<br />

geht es nicht um sprunghafte Verbesserung<br />

durch Innovation, sondern um eine stetige Perfektionierung<br />

des Vorhandenen. Im Wesentlichen ist<br />

Kaizen eine Sammlung von Faustregeln, darunter<br />

fällt auch die Just-in-time-Produktion.<br />

Biografien<br />

MASAAKI IMAI wurde 1930 in Tokio geboren und<br />

machte 1955 seinen Bachelor-Abschluss an der<br />

Tokioter Universität im Fach Internationale Beziehungen.<br />

Imai arbeitete danach einige Jahre in Washington,<br />

kehrte zurück in seine Heimat und half fortan<br />

ausländischen Firmen, sich in Japan niederzulassen.<br />

Seit er 1986 seine Kaizen-Ideen veröffentlichte und<br />

ein Institut zu ihrer Verbreitung gründete, ist er als<br />

Vortragender in Sachen Kaizen unterwegs.<br />

TAICHI OHNO wurde 1912 in der Mandschurei<br />

geboren und kam als 20-Jähriger zu Toyota nach<br />

Japan. Die Firma stellte damals noch dampfgetriebene<br />

Webstühle her, stieg aber 1935 mit dem Toyota A1<br />

ins Automobilgeschäft ein. Der Ingenieur Ohno wurde<br />

Produktionsleiter im Hauptwerk in Tokio. Gemeinsam<br />

mit Firmenpräsident Eiji Toyoda reiste er 1956 nach<br />

Detroit, um das Ford-Werk zu besichtigen. Was die<br />

Japaner sahen, fanden sie abschreckend – Ohno<br />

wollte eine Fabrik, die flexibler ist und in der der<br />

Mensch im Mittelpunkt steht. In den folgenden Jahrzehnten<br />

entwickelte er die Methoden der Just-intime-Produktion<br />

und der bedarfsorientierten Zulieferung<br />

„Kanban“. Er ist damit der Erfinder des legendären<br />

Toyota-Produktionssystems und lieferte auch<br />

das Ideengerüst für Kaizen. Er starb 1990.<br />

61


p service impressum<br />

62<br />

Vertiefen Sie<br />

Ihr Wissen<br />

Falls Sie intensiver in ein Thema einsteigen<br />

möchten: hier einige Bücher, die unsere<br />

Essayisten und Interviewpartner geschrieben<br />

haben oder die eines unserer Themen<br />

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„Den demografischen Wandel erfolgreich<br />

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Pyramid“ demonstriert Managementvordenker<br />

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auch auf finanzschwachen Märkten Geld<br />

verdienen können – und warum das auch<br />

diesen Ländern nützt.<br />

service@think-act.info<br />

Haben Sie Fragen an den Herausgeber<br />

oder das Redaktionsteam? Interessieren<br />

Sie sich für Studien von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong><br />

Strategy Consultants? Schreiben Sie<br />

an service@think-act.info<br />

IMPRESSUM<br />

HERAUSGEBER<br />

Dr. Burkhard Schwenker, CEO<br />

<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />

Stadthausbrücke 7<br />

20355 Hamburg<br />

Tel.: +49 (0)40 3763100<br />

LEITUNG<br />

Torsten Oltmanns<br />

REDAKTIONSBEIRAT<br />

<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />

Dr. Christoph Kleppel †, Felicitas<br />

Schneider<br />

VERLAG<br />

BurdaYukom Publishing GmbH<br />

Konrad-Zuse-Platz 11<br />

81829 München<br />

Tel.: +49 (0)89 30620-0<br />

GESCHÄFTSFÜHRER<br />

Manfred Hasenbeck,<br />

Andreas Struck<br />

VERLAGSLEITER<br />

Dr. Christian Fill<br />

CHEFREDAKTEUR<br />

Alexander Gutzmer (V.i.S.d.P.)<br />

ART-DIREKTION<br />

Blasius Thätter<br />

CHEF VOM DIENST<br />

Marlies Viktorin<br />

REDAKTION<br />

Elmar zur Bonsen, Markus Czeslik<br />

AUTOREN<br />

Frank Grünberg, Cathrin Günzel, Prem<br />

Lata Gupta, Thomas Huber, Dr. Anita<br />

Krätzer, Thomas Lindemann, Philipp<br />

Rothberger, David Selbach<br />

GASTAUTOREN<br />

Eckhard Deutscher (Washington),<br />

Phillip Longman (Washington), Joel<br />

Kotkin, Prof. Ito Peng (Toronto)<br />

LEKTORAT<br />

Dr. Michael Petrow (Ltg.), Jutta<br />

Schreiner, Petra Teichner<br />

GRAFIK/GESTALTUNG<br />

Andrea Hüls, Heike Nachbaur,<br />

Kathrin Seiffert<br />

PHILLIP LONGMAN:<br />

„The Empty Cradle. How<br />

Falling Birthrates Threaten<br />

World Prosperity and<br />

What to Do about It.“<br />

THINK:ACT CONTENT:<br />

„Benefiting from China’s<br />

five-year plan“<br />

C. K. PRAHALAD:<br />

„The Fortune at the Bottom<br />

of the Pyramid. Eradicating<br />

Poverty through Profits.“<br />

THINK:ACT CONTENT:<br />

„Dealing with the boom<br />

in the Gulf region“<br />

PRODUKTION<br />

Wolfram Götz (Ltg.), Rüdiger Hergerdt, Franz<br />

Kantner, Silvana Mayrthaler, Cornelia Sauer<br />

BILDREDAKTION<br />

Beate Blank (Ltg.), Silvia Erhard, Mitra Nadjafi<br />

BILDNACHWEISE<br />

Titelbilder: Robert Laska, Toyota, Urban<br />

Zintel, IYA, Peter Krings GmbH/Plattling<br />

(Stickerei)/Andreas Achmann (Foto);<br />

S. 2 Peter Günzel; S. 3 Hans-Bernhard<br />

Huber/laif; S. 4 Sylvia Neuner, Robert Laska,<br />

Jonny LeFortune, OMA; S. 8 Sylvia Neuner;<br />

S. 11 Waldzell Institut; S. 12–13 privat,<br />

Christian Lombardi/Redux Pictures/laif;<br />

S. 14 Jim Lukosi/Das Fotoarchiv; S. 15 Peter<br />

Krings GmbH/Plattling (Stickerei)/Andreas<br />

Achmann (Foto); S. 16 Eli Lilly; S. 18 Deere &<br />

Company; S. 21–22 Jonny LeFortune;<br />

S. 25 privat; S. 27 Leib Kopman; S. 28 Marc<br />

Asnin/Corbis Saba; S. 30 Jack Hollingsworth/<br />

Gettyimages, Todd Pearson/Photodisc;<br />

S. 32 Lorenzo Agius; S. 33 Jean-Bernard<br />

Vernier/Corbis Sygma; S. 34 Michael<br />

Abramson; S. 35 Manuel Zambrana/Corbis;<br />

REM KOOLHAAS:<br />

„Content“<br />

STUDIE (AB SEPTEMBER):<br />

„Den demografischen Wandel<br />

erfolgreich bewältigen.<br />

Wachstum, Wohlstand und<br />

Handlungsfähigkeit sichern.“<br />

S. 36 IYA; S. 37 Alex Majoli/Magnum Photos/<br />

Agentur Focus; S. 38–39 privat, Jonas von<br />

der Hude für Klubfoto; S. 40–41 Raghu Rai/<br />

Magnum Photos/Agentur Focus; S. 42 Bajaj<br />

Auto Ltd.; S. 44 Robert Laska; S. 47 mit freundlicher<br />

Unterstützung von Offermann GmbH &<br />

Co. KG/Foto: Andreas Achmann; S. 50–51<br />

BMW AG, J. Huart/ESA, iRex Technologies;<br />

S. 52 Sylvia Neuner; S. 56 OMA, Urban Zintel;<br />

S. 60 Kaizen Institute, Toyota; S. 63 Kunstwerk<br />

von Lisa Ruyter „Blind Corner“, 2003 – Abbildung<br />

<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />

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84048 Mainburg<br />

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