ASF-Berlin Newsletter April 2012
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<strong>ASF</strong>-<strong>Berlin</strong><br />
Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen<br />
<strong>Newsletter</strong> <strong>April</strong> <strong>2012</strong><br />
Scheiden tut weh: Zur aktuellen Situation um das ägyptische Personenstandsrecht<br />
Von Claudia Schmidt<br />
Das umstrittene Gesetz zur Scheidung<br />
durch khula‘, welches Frauen<br />
in Ägypten ermöglicht ein Scheidungsverfahren<br />
ohne Angabe von<br />
Gründen gerichtlich einzuleiten,<br />
trat zwar erst Ende Februar 2000<br />
in Kraft, soll nun aber bereits widerrufen<br />
werden.<br />
Die Sharia‘, die als die Rechtsquelle<br />
der ägyptischen Verfassung gilt<br />
(vgl. Artikel 2), sieht vor, dass sich ausschließlich Männer<br />
einseitig von ihren Ehefrauen durch Verstoßung (al<br />
-talaq) scheiden lassen können – auch in ihrer Abwesenheit.<br />
Das ist nicht nur diskriminierend, sondern verletzt<br />
auch die von Ägypten 1981 ratifizierte UN-<br />
Frauenrechtskonvention. Im Unterschied zu einer<br />
Scheidung durch Verstoßung muss die muslimische<br />
Ehefrau im Falle einer Scheidung durch khula‘ nicht nur<br />
auf alle finanziellen Ansprüche verzichten, sondern<br />
auch die Mitgift des Mannes, die sich meist aus einem<br />
Geldbetrag zusammensetzt, zurückzahlen. Deshalb<br />
wird das Scheidungsverfahren durch khula‘ auch als<br />
„Sich-Freikaufen“ bezeichnet.<br />
Die Mehrheit der Ägypterinnen wird trotz minimaler Reformen<br />
massiv diskriminiert. Dem politischen Wandel<br />
seit dem Abgang von Hosni Mubarak muss auch ein<br />
gesellschaftlicher Wandel folgen, der die alltäglichen<br />
Sorgen und Nöte aller Ägypter_innen ernst nimmt. Besonders<br />
Frauen sind immer noch wegen des patriarchalischen<br />
Gesellschaftsmodells sozio-ökonomisch<br />
benachteiligt, wenn es um familienrechtliche Angelegenheiten<br />
geht. Die Möglichkeit zur Scheidung durch<br />
khula‘ ist zwar (noch) gesetzlich für alle muslimischen<br />
Frauen abgesichert, bildet aber deswegen keineswegs<br />
die soziale Wirklichkeit aller ägyptischen Frauen ab. In<br />
weiten Teilen der Bevölkerung wird ein traditionelles<br />
Rollenverständnis praktiziert. Aus diesem asymmetrischen<br />
Geschlechterverhältnis folgt oft eine wirtschaftliche<br />
Not, die insbesondere Frauen betrifft. Nur in einigen<br />
Ausnahmefällen – meist in der Oberschicht – sind<br />
Frauen in der sozialen Wirklichkeit in der Position, sich<br />
unabhängig eine Scheidung durch khula‘ zu erkaufen.<br />
Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch arm!<br />
Ägyptische Frauen sind im Falle zerrütteter Ehen, die<br />
in nicht wenigen Fällen durch häusliche Gewalt gekennzeichnet<br />
sind, erheblichen sozio-ökonomischen<br />
Benachteiligungen ausgesetzt. Von den über 83 Millionen<br />
Ägypter_innen gehören ungefähr 10 Prozent der<br />
christlichen Minderheit an. Eheschließungen in der<br />
koptisch-orthodoxen Gemeinschaft finden ohne Beteiligung<br />
der Legislative statt. Das Scheidungsverbot führt<br />
daher nicht selten dazu, dass Kopt_innen in ihrer Not<br />
zum Islam konvertieren, weil die Scharia rechtliche<br />
Möglichkeiten bietet, eine Ehe zu annullieren.<br />
Progressive Kräfte wie die ägyptische Frauenrechtlerin<br />
Nawal al-Sa’adawi setzen sich schon lange für eine<br />
faktische Gleichstellung der Geschlechter in Ägypten<br />
ein. Mit der Forderung nach einer Einführung der Zivilehe<br />
würde das unterschiedliche Personenstandsrecht<br />
der drei in Ägypten anerkannten Religionsgemeinschaften<br />
(Judentum, Christentum und Islam) aufgehoben<br />
werden. Damit wäre nicht nur die Religion als zentraler<br />
gesellschaftlicher Motor in die Privatsphäre verdrängt,<br />
sondern auch ein wichtiger Schritt in Richtung<br />
Rechtsstaatlichkeit getan. Drei Viertel der ägyptischen<br />
Abgeordneten– mit einer Frauenquote von nur zwei<br />
Prozent - halten allerdings an einem stark konservativen<br />
Wertekanon fest. So lässt auch die aktuelle Sitzverteilung<br />
im neu gewählten ägyptischen Parlament<br />
vermuten, dass der Weg zu Geschlechtergerechtigkeit<br />
in Ägypten noch lang und steinig sein wird, solange<br />
ägyptische Frauen nicht selbstbestimmt gesellschaftliche<br />
Strukturen mitbestimmen.<br />
Eine mögliche Rücknahme des Gesetzes zur Scheidung<br />
durch khula‘ ist im Lichte demokratischer und<br />
rechtsstaatlicher Strukturen, die die bürgerlichen und<br />
politischen Rechte aller Ägypter_innen garantieren,<br />
können kein wirklicher Rückschritt, aber im Sinne der<br />
frauenpolitischen Rechte auch kein Fortschritt sein.