Wirtschaftszeitung_29102018
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20 LEBEN &WISSEN<br />
„Nicht überreden,<br />
sondern überzeugen“<br />
In der „Hand-Werk-Statt“ der Handwerkskammer und der Kreishandwerkerschaft<br />
Münster lernten 500 Jugendliche die berufliche Praxis kennen.<br />
Einfach mal ausprobieren: Schieferbearbeitung gehört zum Dachdecker-<br />
Handwerk.<br />
Fotos: Hubertus Kost<br />
Steffen Haimann muss auch schon mal indie Hocke gehen, um eine Reparatur<br />
durchzuführen. Er stellte seinen Beruf praxisnah vor. Sein Chef Dietmar<br />
Plenter (r.) lobt die „Hand-Werk-Statt“ als „tolles Angebot“.<br />
Der Wettbewerb um Berufsnachwuchs<br />
beginnt inder Schule. Das Interesse<br />
der Schülerinnen und Schüler<br />
wird gesteigert, wenn sie Berufe<br />
in der Praxis erleben können. Zum<br />
Beispiel in der „Hand-Werk-Statt“<br />
der Handwerkskammer Münster.<br />
Eine ausbaufähige Aktion.<br />
Finde heraus, welche Talentein<br />
dir stecken.“ Das warvor einigen<br />
Wochen die Aufgabe für<br />
500 Jugendliche der Jahrgänge<br />
8und 9aus 5Schulen in<br />
Münster. Dafür hatten sie für einen Tag<br />
den Unterricht in die Praxis verlegt.<br />
Zwölf Berufsfelder standen zur Auswahl.<br />
Handwerk nicht nur zum Anschauen,<br />
sondern vor allem zum Mitmachen.<br />
„Neugier wecken“, sagt Carsten Haack,<br />
Abteilungsleiter Nachwuchssicherung<br />
bei der Handwerkskammer (HWK). Das<br />
sei die Botschaft der „Hand-Werk-Statt“.<br />
Das Angebot richtet sich an Schulen in<br />
Münster. Fünf Haupt- und Realschulen<br />
haben sich an der Aktion der Handwerkskammer<br />
und der Kreishandwerkerschaft<br />
Münster beteiligt. Als Kooperationspartner<br />
konnten die Initiatoren die Agentur<br />
für Arbeit Münster-Ahlen und das „Zdi-<br />
Zentrum Zukunft durch Innovation<br />
Münster-Münsterland m3“ gewinnen.<br />
Vorurteile gibt es nicht: Auch Jungen setzten sich an die Nähmaschine.<br />
Das Zentrum will Schülerinnen und<br />
Schüler für sogenannteMint-Berufeinteressieren<br />
(Mint steht für Mathematik, Informatik,<br />
Naturwissenschaften und<br />
Technik). Träger sind die Universität und<br />
die Fachhochschule Münster.<br />
Die Praxis handwerklicher Berufe steht<br />
bei der „Hand-Werk-Statt“ im Mittelpunkt.<br />
Die Teilnehmer werden in Gruppen<br />
eingeteilt, jeder muss sieben Stationen<br />
absolvieren. Dabei geht es um ganz<br />
reale Situationen: An kleinen Werkstattplätzen<br />
werden Alltagssituationenerläutert.<br />
Zum Beispiel Wartungs- und Reparaturarbeiten<br />
im Sanitär-, Heizungs- und<br />
Klimahandwerk, bei den Kraftfahrzeugmechatronikern<br />
und bei den Zweiradmechanikern.<br />
Überall können die Schülerinnen<br />
und Schüler mitmachen. Manche<br />
nehmen zum ersten Mal ein Werkzeug in<br />
die Hand. „Echt cool“, ist oft zu hören.<br />
Das lässt doch schon mal Interesse erkennen.<br />
Und genau das will die Aktion erreichen.<br />
Zur Auswahlstehen auch die Bereiche<br />
Tischler und Zimmerer, Elektro, Maler<br />
und Lackierer,Metall, Friseure, Dachdecker,<br />
Textil und Bäcker. Ein breites<br />
Spektrum, aber auch nur ein Ausschnitt,<br />
denn das Handwerk bietet weit über 100<br />
Ausbildungsberufe.<br />
Carsten Haack weiß aus berufl<br />
icher Erfahrung,<br />
dass Schülerinnen und Schüler<br />
wenig Ahnung davon haben, „was es im<br />
Handwerk alles gibt“. Neugierig machen,<br />
Interesse wecken, informieren –darin sehen<br />
die Initiatoren einen guten Ansatz,<br />
um Berufsnachwuchs zu gewinnen. „Dabei<br />
wollen wir nicht überreden, sondern<br />
überzeugen“, sagt Haack.<br />
Junge Leute, die bereits ein Handwerk<br />
lernen, sind dabei wichtigeUnterstützer.<br />
Zum Beispiel Steffen Haimann. Er ist Auszubildender<br />
im Sanitär-, Heizungs- und<br />
Klima-Handwerk (SHK) bei der Firma<br />
Plenter in Münster. Inder „Hand-Werk-<br />
Statt“ stellte erseinen Beruf praxisnah<br />
vorund beantworteteviele Fragen. Information<br />
auf Augenhöhe, denn mit einem<br />
Auszubildenden kommen Schülerinnen<br />
und Schüler schnell in Kontakt. „Der hat<br />
ja echt schon Ahnung“, wardie Meinung.<br />
Steffen Haimann hat mit seiner Ausbildung<br />
„absolut die richtige Entscheidung<br />
getroffen“, und das erläutert er gern.<br />
Ebenso wie Sebastian Kemner,der bei 2-<br />
Rad-Hansen in Münster seine Ausbildung<br />
absolviert. Der jungeMann hat sein<br />
Hobby zum Beruf gemacht. In „Werkstatt-Unterricht“<br />
konnte er überzeugend<br />
vermitteln, dass das Fahrrad und damit<br />
auch der Beruf des Zweirad-Mechanikers<br />
eine aussichtsreiche Zukunft haben.<br />
Bei einem Elternabend vor Beginn der<br />
Aktion nutzten Mütter und Väter die Gelegenheit,<br />
selbst einige Stationen der<br />
Hand-Werk-Statt auszuprobieren. Außerdem<br />
wurden verschiedene BeratungsangeboteimRahmen<br />
der Berufsorientierung<br />
vorgestellt.<br />
Lehrkräfte spielen beim Thema Berufswahl<br />
auch eine wichtigeRolle. Nicht nur<br />
im Unterricht. Die Berufswahl-Koordinatorinnen<br />
Andrea Rudel, Kristin Köhler<br />
und Christine Sewing begleiteten die<br />
Schülerinnen und Schüler gern in die<br />
„Hand-Werk-Statt“ und lobten den<br />
Unterricht beim Handwerk gleichermaßen:<br />
„Ein tolles Angebot.“<br />
So schätzt auch Dietmar Plenter die Aktion<br />
ein. Der Chef der gleichnamigen<br />
SHK-Firma hat seinen Auszubildenden<br />
gern für die Aktion „freigestellt“, denn<br />
„unser Berufsnachwuchs kann den fast<br />
Gleichaltrigen doch am besten erklären,<br />
warum sie eine Ausbildung machen sollen“.<br />
AndereChefs,deren Auszubildende<br />
mit in der „Werkstatt“ waren, sehen das<br />
genauso.<br />
„Wir hoffen, dass in den kommenden<br />
Jahren noch weitere Betriebe mitmachen,<br />
denn schneller können sie kaum<br />
mit Jugendlichen in Kontakt kommen,<br />
um sie für ein Praktikum oder sogar eine<br />
Ausbildung zu interessieren“, sagt der<br />
Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft<br />
Münster, Jan-Hendrik Schade.<br />
Christian König von der Agentur für<br />
Arbeit kann sich vorstellen, dass die Aktion<br />
über Münster hinaus angeboten<br />
wird: „Die ‚Hand-Werk-Statt‘ ist ausbaufähig.“<br />
Hubertus Kost<br />
Erste Versuche im Maler- und Lackierer-<br />
Handwerk