Wirtschaftszeitung_29102018
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22 LEBEN &WISSEN<br />
Henker unter Handwerkern<br />
Um die Begräbnisstätten ranken sich viele Geschichten.<br />
Kamm- und Tuchmacher,<br />
Pinselhersteller, Löffelschneider,<br />
Töpfer und<br />
Schlotfeger –St. Rochus war<br />
Kie d Begräbnisstätte der<br />
Handwerker. Nur ein Patrizier hat hier<br />
seine letzteRuhestättegefunden. „Ungewöhnlich<br />
für einen christlichenFriedhof,<br />
dass der legendäre Nürnberger Henker<br />
Franz Schmidt hier liegt, vielleicht weil er<br />
später zum Wundarzt umschulte“, vermutet<br />
Adalbert Ruschel.<br />
„Häufig wurden auch Nachnamen auf<br />
den Epitaphien mit Symbolen dargestellt.“<br />
So ließ Hans Nußer mit einem<br />
Nussbaum an sich erinnern, während ein<br />
gewisser Herr Bauch selbigen auf einer<br />
Schubkarre vor sich herschiebt: Humor<br />
im Angesicht des Todes.<br />
Claudia Maué, die auf dieses Epitaph auf<br />
St. Johannis hinweist, hat eine alte An-<br />
Bemoost und verwittert: Blick über den Rochusfriedhof.<br />
sicht mitgebracht: der Friedhof als reine<br />
Steinwüste. Heute präsentiert ersich –<br />
wie auch St. Rochus –als romantische<br />
Insel im Häusermeer. Rosensträucher,<br />
die zwischen den Gräbern wachsen und<br />
bunte Blumengestecke, die die meist bemoosten<br />
und verwitterten Steinquader<br />
schmücken, stellen den Gedanken an Abschied<br />
und Vergänglichkeit die Schönheit<br />
des erlebten Momentes an die Seite. Die<br />
Blumen müssten allerdings in Messingschalen<br />
auf Füßen stehen, damit kein<br />
Wasser den darunterliegenden Stein zersetze,<br />
heißt es in einem Friedhofsratgeber.<br />
„Auf die Epitaphien selbst darf gar<br />
nichts gestellt werde“, informiert Claudia<br />
Maué.<br />
Die alsHeimatpfl<br />
egerin bei der Stadt tätige<br />
Kunsthistorikerin erzählt vonden vielen<br />
Vorschriften, die die historische Substanz<br />
schützen sollen, „aber es halten sich<br />
leider nicht alle dran“. Es müsse jetzt gerichtlich<br />
geklärt werden, wem die Epitaphien<br />
eigentlich gehörten, den Hinterbliebenen<br />
oder der Kirche. „Bislang will<br />
keiner für Restaurierungen bezahlen, obwohl<br />
es Zuschüsse gibt“, beschreibt Claudia<br />
Maué die Situation. Sie ist Vorsitzende<br />
des Vereins Nürnberger Epitaphienkunst<br />
und –kultur. „Wir hoffen, dass uns<br />
der Eintrag indie Welterbeliste weiterbringt,<br />
vor allem im Hinblick auf Erhalt<br />
und Dokumentation der Epitaphien“, die<br />
seit 500 Jahren im gleichen kunsthandwerklichen<br />
Verfahren hergestellt würden.<br />
„Sie wollen bestimmtauch zum Dürer?“,<br />
fragt Claudia Maué und schlängelt sich<br />
zielstrebig durch die nur wenige Zentimeter<br />
breiten Durchgänge zwischen den<br />
Steinquadern vorbei an den Gräbern von<br />
Dürers Freund, dem Humanisten Willibald<br />
Pirckheimer, des Holzschnitzers Veit<br />
Stoß unddes Malers Anselm Feuerbachs.<br />
Sein Epitaph zeigt den 1880 Verstorbenen<br />
im Profil, eines der ganz seltenen<br />
Porträts. Dürer ruht in einem Grab, das<br />
Joachim von Sandrart, der Gründer der<br />
NürnbergerMalerakademie, 1681 erworben<br />
hatte. Auch die Texte inden Epitaphien,<br />
mit denen er Dürer preisen ließ,<br />
stammen aus dieser Zeit.<br />
Aus kunsthistorischer Sicht seien andere<br />
Epitaphien interessanter, erklärt Claudia<br />
Maué und deutet auf ein vielgestaltiges<br />
Exemplar mit einem singenden<br />
Schwan und einer Schlange, die sich in<br />
den Schwanz beißt. „Das sind Symbole<br />
für Vergänglichkeit und ewiges Leben.“<br />
Ein beliebtes Motiv sei auch Jonas und<br />
der Walgewesen, „ein als Sinnbild für die<br />
Auferstehung“. Die Gestaltung der Epitaphien<br />
war stets Ausdruck der kunstgeschichtlichen<br />
Entwicklung. Die meisten<br />
Gedenkplatten stammen aus der Barockzeit,<br />
aber man findet auch Beispiele für<br />
den Manierismus oder den Jugendstil.<br />
Und heute?<br />
Thomas Haydn, der vis-à-vis von St. Johannis<br />
gerade an einem Entwurfarbeitet,<br />
erwidert:„Traditionelle Symbole und religiöse<br />
Themen sind in den Hintergrund<br />
getreten, deren Stelle haben Verweise auf<br />
Persönlichkeit und Vorlieben des Verstorbenen<br />
eingenommen.“ Natürlich spiele<br />
auch der Zeitgeist eine Rolle, aber der<br />
Sinn eines Epitaphs sei geblieben, meint<br />
der NürnbergerKunsthandwerker.„Es ist<br />
die Suche nach einem adäquaten Ausdruck<br />
des Gedenkens an einen verstorbenen<br />
Menschen und für die eigene<br />
Trauer.“<br />
Ulrich Traub<br />
Grab mit Kopfstütze: Die Epitaphien am Dürer-Grab<br />
stammen aus dem späten 17. Jahrhundert.<br />
Kaum zu erraten: Das Epitaph markiert das Grab eines<br />
Mühlenmechanikers. Dürers „Betende Hände“ sind erst<br />
später hinzugefügt worden.<br />
Fotos: Ulrich Traub<br />
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