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Daylight & Architecture | Architektur-Magazin von VELUX, Ausgabe ...

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HERBST 2005 AUSGABE 01 VIELFALT 10 EURO DAYLIGHT & ARCHITECTURE ARCHITEKTURMAGAZIN VON <strong>VELUX</strong><br />

HERBST 2005 AUSGABE 01 VIELFALT 10 EURO<br />

DAYLIGHT &<br />

ARCHITECTURE<br />

ARCHITEKTUR-<br />

MAGAZIN<br />

VON <strong>VELUX</strong>


PORTRÄT VON CHRISTIAN KANDZIA<br />

DAYLIGHT & ARCHITECTURE<br />

ARCHITEKTURMAGAZIN<br />

VON <strong>VELUX</strong><br />

HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

Herausgeber<br />

Michael K. Rasmussen<br />

Redaktionsteam<br />

Christine Bjørnager<br />

Dietmar Danner<br />

Lone Feifer<br />

Axel Friedland<br />

Thomas Geuder<br />

Lotte Nielsen<br />

Katja Pfeiffer<br />

Jakob Schoof<br />

Torben Thyregod<br />

Art Direction & Design<br />

Stockholm Design Lab ®<br />

Kent Nyberg<br />

Sharon Hwang<br />

www.stockholmdesignlab.se<br />

Umschlagbild<br />

Adam Mørk<br />

Recherche & Textredaktion<br />

Gesellschaft für<br />

Knowhow-Transfer<br />

Website<br />

www.velux.de/<strong>Architektur</strong><br />

Auflage<br />

75,000 Exemplare<br />

ISSN 1901-0982<br />

Dieses Werk und seine Beiträge sind<br />

urheberrechtlich geschützt. Jede Wiedergabe,<br />

auch auszugsweise, bedarf der<br />

Zustimmung der <strong>VELUX</strong> Gruppe.<br />

Die Beiträge in <strong>Daylight</strong> & <strong>Architecture</strong><br />

geben die Meinung der Autoren wieder.<br />

Sie entsprechen nicht notwendigerweise<br />

den Ansichten <strong>von</strong> <strong>VELUX</strong> A/S.<br />

© 2005 <strong>VELUX</strong> Gruppe<br />

∏ <strong>VELUX</strong> und das <strong>VELUX</strong> Logo sind<br />

registrierte Markenzeichen mit Lizenz<br />

der <strong>VELUX</strong> Gruppe.


DISKURS<br />

VON GÜNTER<br />

BEHNISCH<br />

Mehr über die <strong>Architektur</strong> <strong>von</strong> Günter<br />

Behnisch lesen Sie im Artikel „Akademie<br />

der Künste Berlin“ ab Seite 14.<br />

Vielfalt, das ist nicht das Viele, was ja recht willkürlich sein kann.<br />

Vielfalt ist mehr: Vielfalt beinhaltet Einheit.<br />

Und auch Einheit ist mehr als eins, auf welches man sich beschränken<br />

kann. Einheit wird sichtbar in der Vielfalt, setzt diese<br />

also voraus. Die vielen Falten eines Gewandes sind ein Bild, in dem<br />

dieses Problem sichtbar wird.<br />

Unsere Welt sei monoton? Das ist schwer zu glauben. Sie wird<br />

wohl eher monoton gesehen und monoton gemacht. Eins oder<br />

weniges überdeckt dabei das Vielfältige: Zum Beispiel die Rentierlichkeit<br />

des eingesetzten Geldes oder auch nur das Funktionieren<br />

des Apparates. Wer sich an diesen Aspekten in seiner<br />

Arbeit orientiert und die vielen anderen Aspekte dabei übersieht,<br />

dessen Arbeit wird monoton sein.<br />

Solche sicher recht mächtigen und oft monumentalen Kräfte<br />

sind nicht einmal besonders sorgebedürftig; ohnehin werden sie<br />

<strong>von</strong> anderen mit Macht vertreten. Anderes wartet darauf, dass<br />

wir uns seiner annehmen, zum Beispiel: Ökologie, der Andere, das<br />

Kind, Menschen, Arbeitsweisen, Zusammenleben und vieles<br />

andere mehr. Möglichst viele dieser zahllosen, ohne uns nicht<br />

vertretenen Seiten der Aufgabe – die uns dadurch täuscht, dass<br />

sie in einem Begriff wie etwa „Krankenhaus“ auf uns zukommt –<br />

können wir aufdecken und ergründen. Den verborgenen, in<br />

unserer Realität unterpriviliegierten Kräften können wir helfen,<br />

zum Wort und zu ihrer sichtbaren Gestalt zu kommen.<br />

Je mehr solcher Aspekte wir erkennen, zum so vielfältiger<br />

sehen wir die Aufgabe, um so vielfältiger wird in der Konsequenz<br />

auch die architektonische Gestalt erscheinen. Zusätzliche Harmonisierungen<br />

– etwa mathematischer, geometrischer, formaler<br />

oder anderer Art – sind dann nicht erforderlich.<br />

Sicher ist es eine besondere Qualität auch architektonischer<br />

Werke, wenn sie immer neu und anders und vielfältig und nie<br />

endgültig verstanden und gedeutet werden können. Diese Art<br />

der <strong>Architektur</strong> ist ein Spiegel der unserer Welt zugehörenden<br />

Vielfalt und unserer Sorge um diese.<br />

1


<strong>VELUX</strong> EDITORIAL<br />

WILLKOMMEN BEI<br />

DAYLIGHT & ARCHITECTURE,<br />

DEM ARCHITEKTURMAGAZIN<br />

VON <strong>VELUX</strong><br />

HERBST 2005<br />

AUSGABE 01<br />

1 Diskurs <strong>von</strong> Günter Behnisch<br />

2 <strong>VELUX</strong> Editorial<br />

3 Inhalt<br />

4 Jetzt<br />

8 Mensch und <strong>Architektur</strong><br />

Glas in der <strong>Architektur</strong><br />

14 Tageslicht<br />

Akademie der Künste Berlin<br />

26 Reflektionen<br />

Schule des Sehens<br />

32 Licht Europas<br />

Österlen, Schweden<br />

36 Tageslicht im Detail<br />

Glas als tragendes Material<br />

40 <strong>VELUX</strong> Einblicke<br />

Der Sonne entgegen<br />

48 <strong>VELUX</strong> Panorama<br />

Lichtfänger<br />

Mit der Natur gebaut<br />

Schwarz und schlank<br />

Häuser am Anger<br />

57 <strong>VELUX</strong> Dialog<br />

Claes Cho Heske Ekornås<br />

60 Bücher<br />

Rezensionen<br />

Empfehlungen<br />

64 Vorschau<br />

2<br />

In der <strong>Architektur</strong> spielt der Umgang mit dem Tageslicht<br />

eine immer wichtigere Rolle. Unsere Leidenschaft<br />

für Licht möchten wir gerne mit Ihnen teilen.<br />

Aktuelle Themen und Ideen rund um das Tageslicht<br />

und seiner Bedeutung für die Gestaltung <strong>von</strong> Lebens-<br />

und Wohnqualität in der <strong>Architektur</strong> bilden<br />

den Kern des Ihnen vorliegenden neuen <strong>Architektur</strong>magazins<br />

<strong>von</strong> <strong>VELUX</strong>. Als internationaler Hersteller<br />

<strong>von</strong> Dachfenstern und Oberlichtsystemen<br />

ist es uns natürlich auch wichtig, unsere Vorstellungen<br />

und unsere Produkte in der <strong>Architektur</strong> zur<br />

Diskussion zu stellen und über den Dialog dem Tageslicht<br />

bei Entwurf und Planung <strong>von</strong> <strong>Architektur</strong><br />

einen höheren Stellenwert verleihen.<br />

Unser Gründer Villum Kann Rasmussen entwickelte<br />

1942 das Dachfenster. Er gab seinem<br />

Unternehmen den Namen VE LUX, eine Kurzform<br />

der Worte „ventilation” (Belüftung) und „lux”<br />

(Licht). Ein Teil seiner ursprünglichen Vision lautete,<br />

ehemals dunkle Dachböden mit Hilfe <strong>von</strong><br />

Tageslicht und frischer Luft in besonders lebenswerten<br />

und preiswerten Wohnraum unter geneigten<br />

Dächern zu verwandeln. In den ersten Jahren<br />

<strong>von</strong> <strong>VELUX</strong> verbrachte er viel Zeit mit Architekten<br />

und anderen Planern, um ihnen sein Konzept und<br />

seine Produkte vorzustellen. Damit setzte er einen<br />

INHALT<br />

4<br />

8<br />

JETZT<br />

D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

Eckpfeiler der Strategie, die wir heute verfolgen:<br />

einen engagierten Dialog mit Architekten über<br />

Tageslicht zu führen, und die architektonische<br />

Bedeutung unserer Produkte zu suchen und zu<br />

stärken. Wir sehen unser Alltagsgeschäft eng mit<br />

dem Entwurf <strong>von</strong> Gebäuden verbunden. Unser<br />

vorrangiges Ziel ist hierbei der Fokus auf Tageslicht<br />

und frische Luft als Grundlagen besserer<br />

Lebensbedingungen für die Menschen.<br />

Dieses Ziel ist die Grundlage, auf der wir Ihnen<br />

„<strong>Daylight</strong> & <strong>Architecture</strong>“ präsentieren.<br />

In dieser und in den kommenden <strong>Ausgabe</strong>n<br />

werden wir versuchen, Themen und Ansichten<br />

über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft<br />

der <strong>Architektur</strong> mit Tageslicht und frischer Luft<br />

zu präsentieren. Dadurch stellen wir eine Plattform<br />

für den Dialog zwischen Planern zur Verfügung,<br />

in dem wir offene Fragen stellen werden,<br />

anstatt vorgefertigte Antworten zu geben und<br />

Aussagen zu treffen. Wir hoffen, dass wir hierdurch<br />

den <strong>Architektur</strong>diskurs, speziell über Tageslicht,<br />

anregen und voranbringen werden.<br />

Viel Spaß beim Lesen – und bitte besuchen<br />

Sie unsere Website www.velux.de/<strong>Architektur</strong><br />

für weitere Informationen.<br />

Die ganze Vielfalt des Tageslichts: Olafur Eliasson<br />

entwirft drei Lichtskulpturen für die neue Kopenhagener<br />

Oper. Peter Eisenman bespielt die Ausstellungshalle<br />

des MAK in Wien und Berlin hat die<br />

Lichtplaner Europas zu Gast. Außerdem: Tische, die<br />

im Dunkeln leuchten – ganz ohne Stromanschluss.<br />

MENSCH<br />

UND ARCHITEKTUR<br />

GLAS IN<br />

DER ARCHITEKTUR<br />

Glas war Zeichen <strong>von</strong> Luxus, Medium christlicher<br />

Heilserzählungen, Symbol für Fortschritt und Ausweis<br />

demokratischer Grundhaltung. Seit mehr als<br />

3500 Jahren fasziniert es Künstler und Architekten<br />

gleichermaßen. Michael Wigginton erzählt<br />

die Geschichte eines Materials, das so vielfältig<br />

ist wie die <strong>Architektur</strong> selbst.


14<br />

40<br />

<strong>VELUX</strong> PANORAMA<br />

Ein schlanker Wohnturm auf der Schweizer Alp.<br />

Ein Haus mit Panoramablick am Fuße der Pyrenäen.<br />

Und eine Reihenhaussiedlung in Dänemark,<br />

in der Kinder eigentlich nicht erwünscht waren –<br />

und dann doch eingezogen sind. Gemeinsam sind<br />

ihnen ihre abwechslungsreichen Außenbezüge<br />

und die großzügige Belichtung der inneren Räume<br />

durch Dachflächenfenster.<br />

TAGESLICHT<br />

AKADEMIE DER KÜNSTE<br />

BERLIN<br />

Große Kunst hinter glatter Glasfassade: Kaum ein<br />

Gebäude wurde in Deutschland so kontrovers diskutiert<br />

wie die neue Berliner Akademie der Künste<br />

<strong>von</strong> Günter Behnisch. Jetzt, da die Baugerüste<br />

fort sind, offenbart sich das virtuose Spiel des<br />

deutschen Altmeisters mit dem Tageslicht – und<br />

die räumliche Vielfalt des Neubaus, die seiner Abneigung<br />

gegen das Monumentale entspringt.<br />

26<br />

<strong>VELUX</strong> EINBLICKE<br />

DER SONNE ENTGEGEN<br />

ARMADA<br />

Das Wohnbauprojekt der britischen Architekten<br />

Building Design Partnership in s’-Hertogenbosch<br />

überzeugt gleich vierfach: Es „schenkt“ der Stadt<br />

ein ehemaliges Industriequartier zurück, schafft<br />

vielfältig nutzbaren Wohnraum, verhandelt Öffentliches<br />

mit Privatem auf engstem Raum und<br />

erzeugt Identifikation beim Nutzer durch seine<br />

abwechslungsreiche Form. Grund genug, es 2004<br />

mit dem Publikumspreis der Niederländischen<br />

Architektenkammer auszuzeichnen.<br />

48<br />

REFLEKTIONEN<br />

SCHULE<br />

DES SEHENS<br />

Olafur Eliasson wird oft als Lichtkünstler bezeichnet.<br />

Doch der 1967 geborene Däne beherrscht mehr<br />

als nur die Klaviatur <strong>von</strong> Tages- und Kunstlicht, Lichtfarben<br />

und Reflexionen. Er lädt den Betrachter ein,<br />

seine eigene Wahrnehmung zu befragen und sich<br />

selbst „sehen zu sehen“ („to see himself seeing“).<br />

50<br />

3


FOTO VON ADAM MØRK JETZT<br />

Was <strong>Architektur</strong> bewegt: Veranstaltungen,<br />

Wettbewerbe und ausgewählte Neuentwicklungen<br />

rund um das Thema Tageslicht.<br />

4 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

LICHTSKULPTUREN<br />

IN DER OPER<br />

KOPENHAGEN<br />

Der dänische Licht- und Installationskünstler<br />

Olafur Eliasson (Jahrgang<br />

1967) hat seiner ehemaligen Heimatstadt<br />

Kopenhagen ein Kunstwerk<br />

der besonderen Art hinterlassen: Im<br />

Foyer der neuen, <strong>von</strong> Henning Larsen<br />

entworfenen Oper hängen drei voluminöse<br />

Lichtskulpturen rund drei<br />

Meter über den Köpfen der Besucher.<br />

Jede der drei Kristallkugeln hat einen<br />

Durchmesser <strong>von</strong> 285 Zentimetern<br />

und besteht aus 1430 Stücken eines<br />

Spezialglases mit Farbfilter-Effekt.<br />

Im Tageslicht funkeln die Leuchtkugeln<br />

im Farbspektrum zwischen Blau<br />

und Violett. Nachts werden sie, erhellt<br />

<strong>von</strong> je 330 20-Watt-Halogenglühlampen,<br />

selbst zu Lichtquellen<br />

und erfüllen das weitläufige Foyer<br />

mit einem Hauch <strong>von</strong> Glamour.<br />

Olafur Eliasson beschäftigt sich<br />

seit mehreren Jahren systematisch<br />

mit Kristallstrukturen. Die facettierte<br />

Oberfläche der Kronleuchter,<br />

eine Struktur aus konvexen und konkaven<br />

Rauten, kehrt ähnlich auch in<br />

Eliassons zweitem aktuellen Opernprojekt<br />

wieder. Für das Foyer der<br />

neuen Oper in Oslo (geplante Fertigstellung:<br />

2007) entwarf er eine<br />

Wandverkleidung aus rautenförmigen<br />

Holzelementen. Eliasson zufolge<br />

repräsentiert die Rautenstruktur das<br />

Wachstum <strong>von</strong> Eiskristallen, Wellen<br />

auf einer Wasseroberfläche oder<br />

Schallwellen, wie sie <strong>von</strong> brechendem<br />

Eis hervorgerufen werden. Exakt<br />

legt sich der Künstler dabei nicht fest<br />

– statt als Botschaft an den Betrachter<br />

sieht er seine Arbeiten als Angebot,<br />

eigene Wahrnehmungen und<br />

Sinneserfahrungen zu machen.<br />

Mehr über die Arbeiten Olafur Eliassons<br />

erfahren Sie im Beitrag „Schule<br />

des Sehens“ ab Seite 26.


FOTOS VON WOLFGANG WÖSSNER/MAK PORTRÄT VON EISENMAN ARCHITECTS<br />

„... die leeren Säulenkörper sind die<br />

einzige Lichtquelle; sie ragen über<br />

die abgesenkte Decke hinaus und<br />

fangen das Licht <strong>von</strong> den Oberlichtern<br />

darüber ein. Dass die Säulen<br />

zwei Zentimeter vom Boden<br />

abgehoben sind, um darunter das<br />

Licht heraussickern zu lassen,<br />

verdeutlicht ihre Unnotwendigkeit<br />

als tragende Bauteile.“<br />

Peter Eisenman im Ausstellungskatalog<br />

„BARFUSS AUF WEISS-<br />

GLÜHENDEN MAUERN“<br />

PETER EISENMAN IM<br />

MAK IN WIEN<br />

Das Museum für Angewandte Kunst<br />

(MAK) in Wien pflegt eine besondere<br />

Art der Zusammenarbeit mit<br />

zeitgenössischen Künstlern: Es initiiert<br />

Ausstellungen, die mehr sind als<br />

bloße Werkschauen, sondern zeitweilige<br />

Eingriffe in die Bausubstanz<br />

des Museums selbst darstellen. Zum<br />

zweiten Mal nach Zaha Hadid 2003<br />

hinterließ nun ein Architekt seine<br />

Spuren in der Ausstellungshalle des<br />

MAK: Peter Eisenman, der Denker<br />

und Kritiker unter den Architekten,<br />

überlagerte die historische <strong>Architektur</strong><br />

des Raums mit 30 als „Säulen“<br />

bezeichneten kleinen Ausstellungskabinetten<br />

und einer nur 2,55 Meter<br />

hohen Zwischendecke. „A transforming<br />

exhibition, sparse and hard hitting“,<br />

charakterisierte Eisenman die<br />

MAK-Schau. Wie stets hat er es auf<br />

die Irritation des Besuchers angelegt:<br />

Die Halle selbst ist dunkel; einzige<br />

Lichtquellen sind die Säulen (die<br />

„weiß glühenden Mauern“ des Ausstellungstitels),<br />

die die Zwischendecke<br />

durchdringen und das <strong>von</strong> oben<br />

einfallende Licht auffangen. In jedem<br />

Kubus präsentierte Eisenman eines<br />

seiner Werke in Form eines dreidimensionalen<br />

„Diagramms“. Diese<br />

konzeptionellen Skulpturen wurden<br />

zum größten Teil eigens für die MAK-<br />

Ausstellung angefertigt. Lediglich<br />

vier Projekte wurden durch klassische<br />

Modelle dargestellt: die „Ciudad<br />

de la Cultura de Galicia“ in Santiago<br />

de Compostela (im Bau seit 1999)<br />

und die Entwürfe für das Musée du<br />

Quai Branly in Paris (1999), die FSM<br />

Towers in New York (2001) und den<br />

Hochgeschwindigkeitsbahnhof in<br />

Neapel (2003).<br />

5


FOTO VON DERIX GLASSTUDIOS<br />

NEUE FENSTER FÜR<br />

GROUND ZERO<br />

Zeigt es nun eine fremdartige Blüte<br />

– oder doch eine Explosion? Wahrscheinlich<br />

steckt in beiden Interpretationen<br />

des neuen Farbfensters,<br />

das der amerikanische Künstler Guy<br />

Kemper für die St. Joseph’s Chapel<br />

in New York entworfen hat, ein wahrer<br />

Kern.<br />

Die unmittelbar am „Ground Zero“<br />

gelegene Kapelle hatte nach dem Attentat<br />

zunächst der New Yorker Feuerwehr<br />

als Einsatzstelle gedient und<br />

ist nun wieder für seinen eigentlichen<br />

Zweck hergerichtet worden. Das rund<br />

30000 Dollar teure, 6 x 2,60 Meter<br />

große Fenster wurde <strong>von</strong> den Derix<br />

Glasstudios in Taunusstein/Deutschland<br />

hergestellt. Es setzt sich aus<br />

60 x 80 Zentimeter großen und drei<br />

bis vier Millimeter dicken, mundgeblasenen<br />

Einzelscheiben zusammen.<br />

Um vor allem den roten Farbtönen<br />

besondere Leuchtkraft und großen<br />

Variantenreichtum zu geben,<br />

verwendeten die Glasmaler rotes<br />

Überfangglas, dessen Deckschicht<br />

teilweise weggeätzt wurde. Auf<br />

diese Weise erzielten sie unterschiedliche<br />

Rosa-Töne oder – an Stellen,<br />

an denen die Deckschicht ganz<br />

entfernt wurde – klares Glas. Die<br />

übrigen Farben wurden in traditioneller<br />

Maltechnik aufgebracht und<br />

auf die Fensterscheiben abschließend<br />

zur Stabilisierung eine Schicht<br />

Klarglas aufgeklebt.<br />

KRISTALLKUPPEL IM<br />

NEUEN LICHT<br />

Helle Sterne verglühen rasch: Bruno<br />

Tauts Glaspavillon auf der Ausstellung<br />

des Deutschen Werkbunds in<br />

Köln 1914 war nur wenige Wochen<br />

lang geöffnet, dann erzwang der Beginn<br />

des Ersten Weltkriegs die Schließung<br />

der Ausstellung. „Das Glashaus<br />

hat keinen anderen Zweck, als schön<br />

zu sein“, schrieb Taut Anfang 1914<br />

über sein Bauwerk; und sein Freund,<br />

der Dichter Paul Scheerbart, dichtete<br />

dem Bauwerk die vielzitierten<br />

Verse an: „Ohne einen Glaspalast /<br />

ist das Leben eine Last.“<br />

Mehr als 80 Jahre später haben<br />

der Erfinder Günther Kunz und die<br />

Architektin Anja Brüll den Glaspavillon<br />

zu neuem Leben erweckt. Im Park<br />

der Wasserburg „Chateau de Graaf“<br />

im belgischen Montzen wurde Ende<br />

August ein Glaskuppelbau eingeweiht,<br />

der auf dem gleichen geometrischen<br />

Prinzip basiert wie Bruno<br />

Tauts Kuppelbau. Von innen gesehen,<br />

erinnert die rhomboedrische<br />

Kuppel mit ihren schmalen Rippen<br />

an die Blätter einer Blüte. Es handelt<br />

6 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

sich dabei um eine freie Interpretation,<br />

wie die Entwerfer betonen:<br />

Das Original bestand aus einem Eisenbetonskelett<br />

mit Ausfachung aus<br />

Luxfer-Prismen, die „die einfallende<br />

Taghelligkeit in ein mildes, schattenloses<br />

Streulicht verwandelten“, so<br />

ein zeitgenössischer Pressebericht.<br />

Der Nachbau besitzt ein Holzskelett<br />

mit Ausfachung aus einfachem Sonnenschutzglas<br />

und Silikondichtung.<br />

Dennoch gibt er einen Eindruck <strong>von</strong><br />

der Pracht des Taut’schen Glaspavillons<br />

und dessen Veränderung im Tagesverlauf:<br />

Bei schlechtem Wetter<br />

nehmen die spiegelnden Facetten der<br />

Kuppel eine grünlich-gelbe Färbung<br />

an, die dem Glaspavillon seinerzeit<br />

den Spitznamen „Spargelkopf“ eintrug;<br />

bei klarem Wetter spiegeln sie<br />

das reine Blau des Himmels.<br />

Der Glaspavillon im Chateau de<br />

Montzen ist nach Absprache zu besichtigen.<br />

Weitere Informationen<br />

gibt es im Internet unter www.subvision.net/sub/chateau-graaf.


FOTOS VON LUKAS ROTH<br />

NACHLEUCHTENDES GLAS<br />

Die deutschen Designer gruppe RE<br />

und der österreichische Glasveredler<br />

Glas-Eckelt haben ein Spezialglas<br />

entwickelt, das im Dunkeln<br />

nachleuchtet. Verantwortlich hierfür<br />

ist ein glaskeramischer Überzug,<br />

der in der Lage ist, Tages- und Kunstlicht<br />

zu speichern. Eine erste Anwendung<br />

fand das Glas im Glastisch<br />

„floral“, für den die gruppe RE beim<br />

Designwettbewerb „Design for Europe“<br />

2004 in Kortrijk ausgezeichnet<br />

wurde.<br />

Das Leuchtglas, ein Einscheiben-<br />

Sicherheitsglas, kann auf zweierlei<br />

Arten aktiviert werden: durch nicht<br />

sichtbares UV-Licht und durch sichtbares<br />

Kunst- oder Tageslicht. Bei der<br />

Aktivierung mit UV-Licht erreicht<br />

das Glas eine homogene Leuchtdichte<br />

<strong>von</strong> rund 60 cd/m 2 bei einem<br />

Betrachtungsabstand <strong>von</strong> 50 Zentimetern.<br />

Wird das Glas mit Tages-<br />

oder Kunstlicht aktiviert, leuchtet<br />

es bis zu zehn Stunden nach. Die keramische<br />

Einbrennfarbe lässt sich<br />

durch alle gängigen Verarbeitungs-<br />

methoden wie Walzen, Spritzen<br />

oder Drucken aufbringen. Gestalterisch<br />

sind dem neuen Glas kaum<br />

Grenzen gesetzt: Es eignet sich für<br />

den Möbelbau, als Wandverkleidung,<br />

für Trennwände oder Fassaden. Das<br />

europaweit durch die gruppe RE patentierte<br />

Glas wird <strong>von</strong> Glas Eckelt<br />

vertrieben und ist als Isolierglas oder<br />

Verbundsicherheitsglas erhältlich.<br />

FOTO VON CHRISTIAN RICHTERS<br />

SCHAUFENSTERBLICK AUF PORTO<br />

Ein außergewöhnlicher Anblick – und<br />

einzigartige Ausblicke: Die Casa da<br />

Música, das neue Konzerthaus <strong>von</strong><br />

Porto, bietet beides.<br />

Der „Meteorit“, wie der Neubau<br />

des Rotterdamer <strong>Architektur</strong>büros<br />

OMA im Volksmund längst genannt<br />

wird, öffnet sich über drei ungewöhnliche<br />

„Schaufenster“ zur Stadt.<br />

Sie sind 14 x 9 Meter, 22 x 12 Meter<br />

und 22 x 15 Meter groß und erhielten<br />

keine herkömmliche Verglasung,<br />

sondern gewellte Glaspaneele. Die<br />

Scheiben sind in dieser Dimension<br />

eine Weltneuheit und wurden <strong>von</strong><br />

OMA gemeinsam mit dem Ingenieurbüro<br />

ABT und Robert Jan van Santen<br />

entwickelt.<br />

Aus der Ferne gesehen, verschleiern<br />

sie den Blick in den Innenraum. Die<br />

Konzertbesucher, die innen direkt vor<br />

der Scheibe stehen, genießen dagegen<br />

einen fast unverzerrten Ausblick.<br />

Zwei der Riesenfenster liegen vor den<br />

Stirnseiten des großen Konzertsaals.<br />

Aus Schallschutzgründen und um im<br />

Zwischenaum einen Fluchtweg zu<br />

integrieren, wurden sie zweischalig<br />

konstruiert; die äußere Scheibe besteht<br />

aus 2 x 10 Millimeter dickem<br />

und die innere aus 2 x 6 Millimeter<br />

dickem Glas. Abgehängte, horizontal<br />

angebrachte Fachverkträger nehmen<br />

die Windlasten auf und dienen außerdem<br />

als Verbindungsprofile für die je<br />

1,2 x 4,5 Meter großen Glasscheiben.<br />

7


UND ARCHITEKTUR<br />

GLAS IN<br />

DER ARCHITEKTUR<br />

FOTO VON RUPERT TRUMAN MENSCH<br />

Oben Das Palmenhaus der Royal<br />

Botanical Gardens in Kew/<br />

London wurde 1845–1848 <strong>von</strong><br />

Richard Turner und Decimus<br />

Burton errichtet. Mit den großen<br />

Gewächs häusern des 19. Jahr-<br />

8<br />

Der Mensch als Mittelpunkt der <strong>Architektur</strong>:<br />

Innenansichten einer wechselvollen Beziehung.<br />

hunderts erreicht die Glashausarchitektur<br />

erstmals einen<br />

eigenen, ingenieurmäßigen und<br />

nicht durch klassizistische Vorbilder<br />

beeinflussten Ausdruck.


Text <strong>von</strong> Michael Wigginton.<br />

Glas in der <strong>Architektur</strong> bedeutet Licht und<br />

Leben, Macht und Spiritualität, Utopie und<br />

Ideologie. Michael Wigginton erzählt die<br />

Geschichte eines Materials, dessen Potenziale<br />

noch lange nicht ausgeschöpft sind.<br />

Vor etwa 4000 Jahren wurde ein außergewöhnliches neues<br />

Material entdeckt, das die <strong>Architektur</strong> revolutionieren sollte.<br />

Wann und wie diese Entdeckung gemacht wurde, ist reine Spekulation,<br />

doch wir können uns leicht einen Töpfer vorstellen, der an<br />

einem Brennofen am Ufer eines Flusses in Mesopotamien sitzt<br />

und eine glänzende Substanz an der Stelle bemerkt, wo die heiße<br />

Kohle des Ofens auf den Sand gefallen ist. Seit dieser Entdeck ung<br />

vergingen Jahrhunderte mit technischen Experimen ten, aus<br />

denen eines der wichtigsten Materialien der Men sch heits ge schichte<br />

hervorging; ein Material, das aus einem in der Erdkruste im<br />

Überfl uss vorhandenen Element, Silizium, besteht und das die<br />

bemerkenswerte Eigenschaft hat, das Licht der Sonne, des Le -<br />

bensspenders unseres Planeten, hindurchzulassen, wenn es ge schmolzen<br />

und sorgfältig gekühlt wird. Dieses Material war Glas.<br />

Die Entdeckung der Materialeigenschaften und der Formgebung<br />

<strong>von</strong> Glas war ein extrem langsamer Prozess. Menschengemachtes<br />

Glas trat zuerst in Form <strong>von</strong> Glasperlen auf.<br />

Jahrhunderte später führte die Entdeckung, dass Glas in sehr<br />

heißem Zustand dickfl üssig ist, zur sogenannten „Sandkernmethode“<br />

für Hohlgefäße, bei der Fäden geschmolzenen Glases<br />

um einen Kern gewickelt wurden. Um 1500 v. chr. gab es in<br />

Ägypten eine Glasindustrie, die Behälter und dekorative Produkte<br />

in enormer Fülle und Vielfalt schuf. Diese wurde <strong>von</strong><br />

Alexander dem Großen im Jahre 332 v. chr. durch die Gründung<br />

einer Glasindustrie in Alexandria noch ausgebaut.<br />

Um 750 v. chr. fand man heraus, dass Glas mithilfe eines<br />

Rohrs geblasen werden konnte, wodurch sich das Glas sehr dünn<br />

und vor allem gleichmäßig stark herstellen ließ. Die Grundlage<br />

für die Herstellung moderner Fenster war gelegt. Das außergewöhnliche<br />

harte, transparente und formbare Material konnte<br />

als Baustoff genutzt werden, um Gebäude wetterfest zu machen,<br />

während es gleichzeitig Licht und Sicht bot.<br />

Es ist bemerkenswert, dass die Entwicklung des Fensters<br />

selbst noch fast 3000 Jahre bis zur Vollendung brauchte. Die<br />

Römer, die Ägypten eroberten und Glas als Tribut akzeptierten,<br />

lebten in demselben mediterranen Klima wie die Griechen und<br />

Ägypter vor ihnen. Zwar verwendeten sie Glas für Fensteröff -<br />

nungen und entwickelten Methoden zur Aufzucht <strong>von</strong> Pfl anzen<br />

außerhalb der Saison in Konstruktionen ähnlich unserer<br />

heutigen Frühbeete, doch machte das Klima Fenster im eigentlichen<br />

Sinne nicht erforderlich.<br />

Vor 1000 Jahren entstand in Frankreich die Notwendigkeit<br />

einer neuen Art zu bauen. Die europäische <strong>Architektur</strong> – vor<br />

allem die großen Bauwerke, die <strong>von</strong> <strong>Architektur</strong>historikern<br />

untersucht werden – leitete sich bis dato im Wesentlichen <strong>von</strong><br />

den massiven Bauformen der südeuropäischen Romanik ab,<br />

die ihre Wurzeln (auch die ihres Namens) wiederum in den<br />

mächtigen Vorläufern des antiken Rom hatte.<br />

Der romanische Baustil war eine <strong>Architektur</strong> massiver<br />

Wände, riesiger Bögen und kleiner Fenster. Sie war aus der<br />

Notwendigkeit heraus entstanden, große Volumen in einem<br />

warmen Klima zu schaff en. Die massiven Außenmauern der<br />

romanischen Kirchen hielten die Temperatur im Inneren konstant;<br />

die kleinen Fenster veränderten und kontrollierten das<br />

im Übermaß vorhandene Tageslicht.<br />

das erste glaszeitalter: gotische kathedralbaukunst<br />

Für die Äbte und Bischöfe im nördlichen Europa war dies an<br />

der Wende des ersten christlichen Jahrtausends nicht genug. Sie<br />

wollten noch größer bauen, um größere Laiengemeinden (eine<br />

wesentliche Quelle <strong>von</strong> Geld und geistiger Loyalität) in den Kirchen<br />

aufnehmen und den Klang der gregorianischen Gesänge<br />

in seiner ganzen Fülle ausschöpfen zu können. In einem langsamen,<br />

empirischen Prozess wurden Konstruktionen für Gewölbe<br />

aus Stein – einem Material, das nur für druckbelastete Bauteile<br />

effi zient einsetzbar ist – und Raumgeometrien entwickelt, die<br />

sich <strong>von</strong> den Einschränkungen der romanischen Tonnenbögen<br />

frei machten. Der gotische Rahmen, eine hervorragende<br />

Konstruktion für große Spannweiten, sowie die Notwendigkeit,<br />

Ausfachungen für die darin entstandenen Öff nungen zu<br />

entwickeln, führten zu einer Nachfrage nach lichtdurchlässigen<br />

und leichten Membranen. Die erste Glasarchitektur in der<br />

Geschichte der Menschheit war geboren.<br />

Doch nicht Transparenz im Sinne <strong>von</strong> Durchsicht war das<br />

primäre Ziel der Kirchen- und Kathedralenerbauer des Mittelalters.<br />

Ihre Intention war, Licht in das Innere ihrer riesigen<br />

Bauwerke zu bringen und die Farbenfülle zu nutzen, die Glas<br />

schon immer zu eigen gewesen war. Geschichten aus der Bibel<br />

wurden mit riesigen Bildern erzählt, die <strong>von</strong> hinten durch die<br />

unerschöpfl iche Quelle des Himmels beleuchtet wurden, viel<br />

größer und mächtiger, als dies durch Gemälde hätte vermittelt<br />

werden können. Die Handwerkskunst der meist aus den Mit-<br />

D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

9


FOTO VON MARGHERITA SPILUTTINI<br />

telmeerländern eingewanderten Glasmacher und Glaser ließ<br />

eine neue <strong>Architektur</strong>form entstehen, die sich durch enorme<br />

Flächen gefärbten und bemalten Glases auszeichnete. Das Ostfenster<br />

des Münsters <strong>von</strong> York hat die Größe eines Tennisplatzes<br />

und besteht aus Tausenden <strong>von</strong> Einzelscheiben, die nicht<br />

etwa Transparenz (es bestand nicht die Notwendigkeit, nach<br />

draußen oder drinnen zu blicken), sondern ein schimmerndes<br />

Gemälde erzeugen. Die zwischen 1243 und 1248 erbaute<br />

Sainte Chapelle in Paris stellt eine außergewöhnliche Verfeinerung<br />

der gotischen Glaserkunst dar, mit steinernen Mittelpfosten,<br />

die fast so dünn wie Metall sind.<br />

Die mittelalterliche Kathedralenarchitektur war im Wesentlichen<br />

ein nordeuropäisches Unterfangen, und es verwundert<br />

nicht, dass sie noch lange, nachdem es durch die Bewohner<br />

sonnigerer Landstriche zu neuen architektonischen Denkmustern<br />

kam, gebaut und weiterentwickelt wurde. Im 11. Jahrhundert,<br />

also gleichzeitig mit der Gotik in Nordeuropa, entstand<br />

in Florenz die Protorenaissance-<strong>Architektur</strong>. Bramante arbeitete<br />

im frühen 16. Jahrhundert an St. Peter in Rom, während<br />

zur gleichen Zeit Heinrich VII die King’s College Chapel in<br />

Cambridge und Westminster Abbey bauen ließ, zwei der letzten<br />

großen gotischen Bauwerke in England.<br />

Als die Renaissance nach Nordeuropa vordrang, nutzte eine<br />

neue Generation <strong>von</strong> Bauherren Glas zur Zurschaustellung ihres<br />

Reichtums in der <strong>Architektur</strong>. Während Durchsichtigkeit in<br />

den meisten gotischen Kirchen keine große Rolle spielte, erforderten<br />

die großen Häuser der nordeuropäischen Aristokratie<br />

des 16. Jahrhunderts Ausblicke. Gebäude wie Hardwick Hall,<br />

über die der zeitgenössische Ausspruch „mehr Glas als Wand“<br />

überliefert ist, waren die säkularen Erben der großartigen gotischen<br />

Glasarchitektur. Hardwick Hall war, wie die meisten der<br />

englischen „Prodigy Houses“ der elisabethanischen Periode, als<br />

Wohnhaus äußerst ungemütlich: im Winter zu kalt und im Sommer<br />

auf der Südseite viel zu heiß. Die einzige Möglichkeit für<br />

die Bewohner, in solch einem Gebäude zu überleben, bestand<br />

darin, im Haus entsprechend der jeweiligen Jahreszeit umzuziehen.<br />

Die ästhetischen Überlegungen bei der Glasarchitektur<br />

waren weit wichtiger als die Umwelt- und Klimaproblematik,<br />

die im Übrigen nur ansatzweise verstanden wurde.<br />

Wie Glas hergestellt wird und insbesondere, wie es stabil<br />

gemacht werden kann, beschäftigte Glasmacher ohne Unter-<br />

10 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

lass. Das 17. Jahrhundert brachte eine wichtige neue Entwicklung<br />

in der Glastechnologie. Jahrhundertelang hatte geblasenes<br />

Glas die Industrie beherrscht, doch das Produkt war an sich<br />

dünn und schwach. Die französische Regierung leitete 1676 die<br />

Suche nach einem stabileren Glas ein. Das Ergebnis war ein<br />

Flachglas, das durch Schleifen und Polieren <strong>von</strong> gegossenem<br />

Glas hergestellt wurde. Dies war sehr teuer, schuf jedoch die<br />

Basis für die außergewöhnliche Verwendung <strong>von</strong> Spiegeln im<br />

Palast <strong>von</strong> Versailles, der 1685 fertig gestellt war. Die großen<br />

Fenster im Spiegelsaal, welche durch die Spiegel buchstäblich<br />

refl ektiert wurden, besaßen jedoch naturgemäß keine guten<br />

Dämmwerte. Daher froren im kalten Winter <strong>von</strong> 1695 Wein<br />

und Wasser auf den Tischen ein.<br />

die gewächshäuser des 19. jahrhunderts<br />

Eine Erkenntnis über das thermische Verhalten <strong>von</strong> Glas führte<br />

im späten 16. Jahrhundert eher zufällig zur Entwicklung des<br />

Gewächshauses. Man erkannte, dass die exotischen Pfl anzen,<br />

die die europäischen Entdecker <strong>von</strong> ihren Reisen mitgebracht<br />

hatten, Schutz benötigten. Glashäuser, vor allem die prächtigen<br />

Orangerien jener Zeit, begannen in die Welt der <strong>Architektur</strong><br />

einzudringen, wenn auch zunächst nur als Beiwerk für die<br />

Häuser und Institutionen, denen sie dienten. In den nun folgenden<br />

250 Jahren wurde das Gewächshaus jedoch zur Basis<br />

der nächsten großen Blüte der Glasarchitektur – des „zweiten<br />

Glaszeitalters” nach der Gotik. Aus reinen Nutzgebäuden,<br />

die der Aufzucht <strong>von</strong> Pfl anzen dienten, entwickelte es sich bis<br />

zum 19. Jahrhundert zu einem eigenständigen und großartigen<br />

<strong>Architektur</strong>typus.<br />

In England zählt Richard Turners Palmenhaus in Kew zu<br />

den hervorragendsten Beispielen jener Zeit. Doch elegante, fi ligran<br />

konstruierte Gewächshäuser entstanden in allen Ländern<br />

Europas. Die Entwerfer und ihre Bauherren wetteiferten miteinander<br />

um Größe und Großartigkeit der Bauten. Sie bereisten<br />

den Kontinent, um die Werke ihrer Vorgänger und Rivalen<br />

zu besichtigen. Diese schnelle Entwicklung im 19. Jahrhundert<br />

und die Entwicklung des Reiseverkehrs führte 1851 zum Entwurf<br />

des unzweifelhaft größten Glasbaus jener Zeit, des Kristallpalasts<br />

in London. 1834 hatte sich sein Baumeister Joseph<br />

Paxton bei einem Besuch in Rohault de Fleuries Jardin de Plantes<br />

in Paris die ersten Inspirationen zu dem Bauwerk geholt.<br />

Konrad Wachsmann, der große Ingenieur des 20. Jahrhunderts,<br />

hat den Kristallpalast als erstes modernes Bauwerk der Welt<br />

bezeichnet. Der riesenhafte Ausstellungsbau, der <strong>von</strong> einem<br />

Gärtner, einem Ingenieur und einem Bauunternehmer gemeinsam<br />

entwickelt worden war, verband Innovationen in der Herstellungs-<br />

und Bautechnik und in der Bildung <strong>von</strong> Räumen zu<br />

einem absoluten Meisterwerk. Die Elemente wurden vorgefertigt,<br />

auf der Baustelle nur noch montiert, nach der Weltausstellung<br />

wieder abgebaut und in Sydenham zu einem neuen, noch<br />

größeren Kristallpalast zusammengefügt. All dies geschah ohne<br />

Mitwirkung eines Architekten.<br />

Der Kristallpalast war das Beispiel eines Gebäudetyps, der<br />

sich aus den Bedürfnissen der industriellen Revolution heraus<br />

entwickelt hatte. Während er dazu diente, die Errungenschaften


FOTO VON HENRI PARENT<br />

„Die wunderbaren Eigenschaften des Glases kennt<br />

jedermann, durchsichtig, hart, farblos, unverwüstlich<br />

durch Säuren und die meisten Flüssigkeiten, in<br />

gewissen Temperaturen geschmeidiger als Wachs …“<br />

Justus <strong>von</strong> Liebig, deutscher Chemiker (1803–1873)<br />

Gegenüber Mit der Schalterhalle<br />

der Postsparkasse in Wien schuf<br />

Otto Wagner 1904–1912 eine<br />

der Inkunabeln der Frühmoderne<br />

und ein Vorbild für moderne Bürohausatrien.<br />

Sogar das Untergeschoss<br />

wird durch Glasbausteine<br />

im Boden natürlich belichtet.<br />

Oben Die Gotik brachte die Auflösung<br />

der vormals massiven<br />

Kirchenwand in ein Tragwerk aus<br />

Rippen, deren Zwischenräume<br />

mit großen Glasfenster ausgefacht<br />

werden konnten. Die große<br />

Fensterrose des Straßburger<br />

Münsters verdeutlicht die Konstruktionsweise<br />

der Fenster: In<br />

ein steinernes Maßwerk wurden<br />

die vorgefertigten, bleigefassten<br />

Scheiben als Ganzes eingefügt.<br />

des Industriezeitalters zu zelebrieren, verlangte dieses seinerseits<br />

nach neuen Gebäudetypen wie Bahnhöfen, Einkaufspassagen<br />

(wie zum Beispiel der Galleria Vittorio Emmanuele in Mailand,<br />

die zwischen 1865 und 1867 errichtet wurde) und Markthallen.<br />

Die Bahnhöfe und großen Zentralmarkthallen bedurften<br />

großer, off ener Flächen und weit spannender Konstruktionen,<br />

die sie vor Regen schützten und zugleich mit Tageslicht versorgten.<br />

Die großen viktorianischen Industriebauten, die die<br />

Vorzüge <strong>von</strong> Stahl und Glas statt der herkömmlichen Steinbauweise<br />

nutzten, waren die Kathedralen ihrer Zeit. Sie hatten<br />

keine Vorläufer in der Geschichte und entzogen sich der Vorstellungskraft<br />

der zeitgenössischen europäischen Architekten,<br />

die die Herausforderung den Ingenieuren überließen.<br />

Die usa trugen nicht die gleiche kulturelle „Last“ wie die<br />

Europäer, und so konnte in Amerika ein neuer <strong>Architektur</strong>typus<br />

entstehen. Der Wiederaufbau <strong>von</strong> Chicago nach dem<br />

großen Feuer <strong>von</strong> 1871 führte zur Entwicklung des modernen<br />

Hochhauses mit seinem Eisen- oder Stahlrahmen und seiner<br />

Glasfassade. Gebäude wie das Gage Building <strong>von</strong> Holabird<br />

und Roche (1898) waren für die Architekten der europäischen<br />

Akademien buchstäblich undenkbar. Diese Bauten nutzten<br />

die Vorzüge des Flachglases, das 1687 in Frankreich erfunden<br />

wurde und die Grundlage eines ganzen französischen Industriezweigs<br />

bildete, der 1693 im Chateau de Saint Gobain seine<br />

Geburtsstunde erlebte.<br />

otto wagner und die anfänge der moderne<br />

Obwohl die amerikanische <strong>Architektur</strong> in der zweiten Hälfte<br />

des 19. Jahrhunderts die Entwicklung neuer Gebäudetypen<br />

erlebte, war Europa doch der Schauplatz des dritten großen<br />

Zeitalters der Glasarchitektur und seiner theoretischen Grundlagenbildung.<br />

Otto Wagners Postsparkasse in Wien <strong>von</strong> 1904–<br />

1912 führte mit ihrem wunderbaren Glasdach und ihrem<br />

Glasboden vor, wie die Bautechnik der großen Industriehallen<br />

auch auf ein öff entliches, städtisches Gebäude anzuwenden war.<br />

Doch es waren vor allem die deutschen Architekten des zweiten<br />

Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts, deren Besessenheit <strong>von</strong><br />

Glas einen nicht zu unterschätzenden Einfl uss auf die <strong>Architektur</strong><br />

und ihre Beziehung zu Glas ausübte. Die Schriften Paul<br />

Scheerbarts, des Autoren der „Glasarchitektur“ <strong>von</strong> 1914, und<br />

die Gebäude <strong>von</strong> Bruno Taut, später auch <strong>von</strong> Walter Gropius<br />

und Mies van der Rohe, öff neten ihren Zeitgenossen die Augen<br />

für die neue Rolle des Glases in der <strong>Architektur</strong>. Insbesondere<br />

Mies van der Rohe’s Wettbewerbsentwürfe für Berlin 1919 und<br />

1922 bedeuteten eine umwälzende Veränderung. Mies wurde<br />

zu einer der führenden Figuren der modernen Bewegung, die<br />

Glas als „ihr Material“ begriff ; eine Gruppe innerhalb der Bewegung,<br />

die „Gläserne Kette“, machte Glas sogar zum Bestandteil<br />

ihres Namens. Glas war mit seiner Transparenz und<br />

Off enheit das Material des Sozialismus und wurde als leichter<br />

und „moderner“ Ersatz für die Schwere und Pomposität der<br />

vergangenen Jahrhunderte angesehen.<br />

Die großen europäischen Architekten waren jedoch nicht<br />

die Einzigen, die die Schönheit und die Möglichkeiten des<br />

Glases nutzten. Frank Lloyd Wright’s Faible für farbiges Glas<br />

11


FOTO VON CHRISTOPH KOCH<br />

ließ ihn das Material in zahlreichen Wohnhäusern und öff entlichen<br />

Bauten einsetzen, die er während des 20. Jahrhunderts<br />

entwarf. In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen entwickelte<br />

sich die Begeisterung für Glas auf beiden Seiten des<br />

Atlantiks. Amerika wurde zum Geburtsort der Curtain Wall,<br />

die erstmals 1918 <strong>von</strong> William Jeff erson Polk am Hallidie Building<br />

in San Francisco eingesetzt wurde, und schon in den 30er<br />

Jahren griff en Architekten wie Fred Keck im amerikanischen<br />

mittleren Westen in ihren Entwürfen ein Th ema auf, das 40<br />

Jahre später virulent wurde: die energetisch optimierte, gläserne<br />

„Hochleistungsfassade“. Le Corbusier hatte das thermische Problem<br />

der Glasfassaden in seiner Cité de Réfuge in Paris 1931<br />

zu lösen versucht (dem gleichen Jahr übrigens, in dem eben-<br />

Unten Noch unbelastet <strong>von</strong><br />

gebäudeklimatischen Bedenken<br />

konstruierte Walter Gropius<br />

1926 die kleingliedrige, dreige -<br />

schossige Fassade des Bauhauses<br />

in Dessau aus Einscheibenglas.<br />

Mit „curtain walls” wie dieser<br />

ließ sich die Trennung <strong>von</strong> Tragwerk<br />

und Gebäudehaut, ein<br />

Ideal der klassischen Moderne,<br />

exemplarisch verwirklichen.<br />

12 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

Gegenüber Die Möglichkeiten<br />

moderner Glastechnologie<br />

demonstriert die Installation<br />

„Dichroic Light Field“ des Ingenieurs<br />

James Carpenter in New<br />

York. Dichroitisch beschichtete<br />

Glasschwerter ragen aus der<br />

Fassade hervor. Die Lichtreflexe<br />

und Schlagschatten, die sie<br />

auf die Glasfläche projizieren,<br />

ändern ihre Farbe mit dem<br />

Sonnenstand.<br />

falls in Paris eines der großartigsten aller Glashäuser, Pierre<br />

Chareaus Maison de Verre, entstand), doch die Gebäudetechnik<br />

war noch nicht weit genug entwickelt, um dieses Experiment<br />

zu unterstützen.<br />

In einer Vorlesung an der Princeton University legte Frank<br />

Lloyd Wright 1930 das theoretische und ästhetische Problem<br />

<strong>von</strong> Glas in der <strong>Architektur</strong> aus seiner Sicht dar: „Glas besitzt<br />

heutzutage eine perfekte Durchsichtigkeit; dünne, kristallisierte<br />

Scheiben aus Luft halten Luftströmungen innerhalb oder außerhalb<br />

eines Gebäudes ... Die Tradition hat uns keine Ordnung<br />

hinterlassen, die dieses Material als Mittel perfekter Durchsichtigkeit<br />

beträfen.“ In seinem unnachahmlichen, individuellen<br />

und innovativen Stil entwarf er sechs Jahre später das Verwaltungsgebäude<br />

<strong>von</strong> Johnson Wax in Racine. Hier verwendete er<br />

eine Membran aus Borsilikatglas-Röhren, die der Fassade eine<br />

einzigartige und fast magische Transluzenz verlieht.<br />

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg hielt der Enthusiasmus<br />

für das Baumaterial Glas unvermindert an, insbesondere<br />

in den usa, der neuen Heimat vieler europäischer Emigranten<br />

wie Walter Gropius, Mies van der Rohe oder Eero Saarinen.<br />

Mit dem „Farnsworth House“ entwarf Mies van der Rohe 1946<br />

das wohl perfekteste Beispiel jener neuen <strong>Architektur</strong>, nach der<br />

schon Wright 1930 seinem eigenen Bekunden nach gesucht<br />

hatte: ein Haus ohne Wände. Die Nachkriegsarchitektur in<br />

den usa brachte weitere große Beispiele der Glasarchitektur<br />

hervor wie Eero Saarinens General Motors Technical Center in<br />

Detroit (1948–1956), ein Paradebeispiel für den technisch virtuosen<br />

Umgang mit Glas und eine der ersten Glasfassaden mit Neoprendichtung,<br />

sowie das Lever Building <strong>von</strong> som (1951) und das<br />

Seagram Building <strong>von</strong> Mies van der Rohe selbst (1954–1958).<br />

aufstieg und niedergang der vorhangfassade<br />

Es ist eine Tragik der Nachkriegsarchitektur, dass die geometrische<br />

Einfachheit dieser <strong>Architektur</strong> so leicht zu kopieren und zu<br />

banalisieren war. Die Technik, dünne, ästhetisch uninteressante<br />

und bauphysikalisch schlechte Gebäudehüllen zu konstruieren,<br />

die gigantische Aufwendungen zur künstlichen Klimatisierung<br />

nach sich zogen, wurde in alle Welt exportiert. Es entstand eine<br />

Generation entwerteter Glasarchitektur, die sich der in Massen<br />

produzierten Curtain-Wall-Fassade bediente und diese in der<br />

Folge zu einem der meistgehassten Elemente der Nachkriegs-


FOTO VON JAMES CARPENTER DESIGN ASSOCIATES<br />

architektur machte. Erst der Import einer weiteren, ursprünglich<br />

amerikanischen Erfi ndung, der passiven Solarfassade, und<br />

die Ölkrise der frühen 70er Jahre führten dazu, dass diese Art<br />

der <strong>Architektur</strong> endgültig der Geschichte angehörte. Die jahrzehntealte<br />

Idee, die charakteristische Strahlungstransmission<br />

<strong>von</strong> Glas zur solaren Energiegewinnung zu nutzen, hatte in den<br />

usa bereits Maria Telkes, eine Metallurgin am mit in Boston,<br />

in ihrem Peabody House <strong>von</strong> 1947 umgesetzt. Die Europäer<br />

folgten ihr mit Gebäuden wie der Wallasey School in England<br />

<strong>von</strong> a.e. Morgan (1961) und den Entwürfen <strong>von</strong> Jacques Michel<br />

und Félix Trombe Mitte der 60er Jahre in Frankreich.<br />

Bis heute hat die Curtain-Wall-Fassade unsere Großstädte<br />

fest im Griff und verschandelt sie vielfach. Dennoch brachte eine<br />

neue Architektengeneration mit anderen Prioritäten die Glasarchitektur<br />

in den 80er und 90er Jahren aufs Neue zur Blüte.<br />

Oftmals bauten die Entwerfer bewusst oder unbewusst auf den<br />

gleichen theoretischen Grundsätzen auf, die einst Wright, Mies<br />

van der Rohe und Le Corbusier formuliert hatten. Die Periode,<br />

die wir als „viertes Glaszeitalter“ bezeichnen können, führte die<br />

Entwicklungsstränge der vorangegangenen 60 Jahre zusammen.<br />

Sie nutzte die neuen Freiheiten, die die Erfi ndung des Floatglases<br />

durch Pilkington in den 50er Jahren eröff net hatte, und<br />

die zahlreichen Neuentwicklungen im Bereich der Glasveredelung<br />

und -beschichtung. Glas war nunmehr ein dominierender<br />

Bestandteil der <strong>Architektur</strong> in aller Welt; seine Verwendung<br />

reichte <strong>von</strong> Klimahüllen bis zu herausragenden Ingenieursbauten.<br />

Geklebte Glaskonstruktionen begannen sich durch die<br />

Arbeit des Briten Tim McFarlane, des Niederländers Mick Eekhout<br />

und des französischen Büros rfr zu verbreiten. In vielen<br />

ihrer Bauten halfen diese Ingenieure <strong>Architektur</strong>visionen zu<br />

realisieren, die schon seit 50 oder mehr Jahren Bestand hatten.<br />

Das Bürogebäude <strong>von</strong> Wilis Faber Dumas, das Foster and Partners<br />

Anfang der 70er Jahre in Ipswich errichteten, ließ Mies<br />

van der Rohes Idee der abgehängten Glasfassade aus den 20er<br />

Jahren Realität werden. Mit dem Lloyd’s Building in London<br />

verwirklichten Richard Rogers Partnership 10 Jahre später Le<br />

Corbusiers „mur neutralisant“ aus der „Cité de Réfuge“. Architekten<br />

begannen sich für die Entwicklungen der Bauchemie<br />

und für neuartige Glasbefestigungen zu interessieren, wie die<br />

Pyramide am Pariser Louvre <strong>von</strong> i.m. Pei (1983–1988) verdeutlicht.<br />

Hier wurde „wasserweißes“ Glas fast ohne Eisenoxid und<br />

FOTO VON JAMES CARPENTER DESIGN ASSOCIATES<br />

damit ohne den charakteristisch grünlichen Schimmer verwendet,<br />

das die Farbe der Steinfassaden des Louvre in der Durchsicht<br />

originalgetreu wiedergab. Die Silikonverklebung der Scheiben<br />

ermöglichte zudem ein komplett glattes Äußeres der Pyramide.<br />

Gunnar Birkerts Corning Museum <strong>von</strong> 1980 erhielt eine Glasfassade<br />

mit dünner Edelstahlbeschichtung, die der sonst harten<br />

und kristallinen Glasarchitektur einen weichen, seidigen<br />

Charakter verleiht. In den letzten 20 Jahren wurde Glas zum<br />

bevorzugten Medium architektonischer Versuche in Sachen<br />

Transparenz, Mehrdeutigkeit und Energie.<br />

Heute zeichnet sich ein fünftes Glaszeitalter am Horizont<br />

ab, mit neuen Materialien und neuen Nutzungsvorstellungen.<br />

„Intelligente“, elektrochrome Gläser wurden entwickelt, die<br />

ihr Aussehen auf Knopfdruck verändern. Hoch isolierende<br />

Gläser mit Füllungen aus Aerogel und U-Werten nahe bei 0<br />

sowie feuerfeste Gläser halten Einzug in die Herstellerkataloge.<br />

Dichroitische Gläser können vordefi nierte Frequenzen des Farbspektrums<br />

blockieren oder durchlassen. Flexible Lichtleiter, die<br />

auf dem Eff ekt der Totalrefl exion basieren, eröff nen neue Wege<br />

in der Beleuchtungsindustrie und neue Möglichkeiten, Tageslicht<br />

in Innenräume zu leiten oder Fassaden zu verschatten.<br />

Es fällt schwer, sich derzeit vorzustellen, welche Entwicklungen<br />

dieses fünfte Glaszeitalter in den nächsten 20 oder 50<br />

Jahren bringen wird. Viele Entwicklungen werden die Menschen<br />

bezaubern und sie magisch berühren, und wir können<br />

uns sicher sein, das Glas auf intelligente Weise genutzt und nicht<br />

dazu verwendet wird, allgemeine Gleichförmigkeit zu kreieren.<br />

Noch immer leiden wir unter der Allgegenwärtigkeit der Curtain-Wall-Fassade.<br />

Doch mit multifunktionalen, intelligenten<br />

Glasfassaden, die tages- und jahreszeitenabhängig auf die<br />

Unwägbarkeiten des Klimas und die Bedürfnisse der Bewohner<br />

reagieren, können wir auch in der <strong>Architektur</strong> die vergängliche<br />

Schönheit eines Schmetterlingsfl ügels erzeugen – und dies<br />

mit einem Material, das hart ist wie Stahl.<br />

Michael Wigginton ist Professor für <strong>Architektur</strong> und Design<br />

an der Plymouth School of <strong>Architecture</strong> in England. Sein<br />

Spezialgebiet sind intelligente Fassaden, Verglasungssysteme<br />

und energiesparendes Bauen. Michael Wigginton ist Autor<br />

mehrerer Bücher, darunter Glas in der <strong>Architektur</strong> (DVA 1998)<br />

und Intelligent Skins (Butterworth <strong>Architecture</strong>, 2002).<br />

13


TAGESLICHT Ein Geschenk der Natur: Tageslicht und wie<br />

es in der <strong>Architektur</strong> genutzt wird.<br />

AKADEMIE<br />

DER KÜNSTE BERLIN<br />

Text <strong>von</strong> Jakob Schoof.<br />

Fotos <strong>von</strong> Adam Mørk.<br />

Berlin, Pariser Platz. Mitten ins Zentrum der<br />

deutschen Hauptstadt hat Günter Behnisch<br />

einen gläsernen Fremdkörper eingefügt, der<br />

schon vor seiner Eröffnung zum Stein des<br />

Anstoßes wurde. Die große Offenheit der<br />

neuen Akademie der Künste erhitzte in Berlin<br />

die Gemüter – und beschäftigt inzwischen<br />

auch wieder die Klimaingenieure.<br />

15


Berlin, die strenge, protestantische Hauptstadt<br />

Preußens, hat sich dem kollektiven<br />

Gedächtnis bislang nicht gerade als eine<br />

Metropole der Farben eingeprägt. Auch<br />

heute noch – und nach dem Mauerfall mehr<br />

denn je – prägt das Leitbild der grauen, „steinernen“<br />

Stadt die Straßenzüge.<br />

Doch es gibt Ausnahmen. Die Bauten<br />

der Berliner Architekten sauerbruch hutton<br />

architects sind hier vor allem zu nennen – und<br />

ein Gebäude, das zu den umstrittensten der<br />

jüngeren deutschen Baugeschichte zählt:<br />

Günter Behnischs Akademie der Künste. Hinter<br />

seiner zurückhaltenden und darob viel<br />

kritisierten Glasfassade entfacht der Neubau<br />

einen Wirbel kreativer Unordnung. Flirrende<br />

Farb- und Lichtreflexe erfüllen die<br />

Innenräume, zumal in den obersten Etagen.<br />

Dort trennt den Besucher nur ein symbolisches<br />

Blätterdach vom Berliner Himmel.<br />

Es besteht aus Verbundglas, auf dessen<br />

Folienzwischenlage ein Herbstlaubmotiv<br />

gedruckt wurde. Günter Behnisch beschreibt<br />

das Phänomen, das hier spürbar wird, in seinem<br />

Buch „Über das Farbliche“: „... das frei<br />

im Raum schwebende Farbliche. Mittelalter<br />

und Barockzeit kannten es, und man hat es<br />

aufleuchten lassen in Kathedralen, Kirchen<br />

und Palästen.“ Es leuchtet auch hier.<br />

Der Standort der neuen Akademie könn -<br />

te kaum prominenter sein: Der Pariser Platz<br />

gilt als „Wohnzimmer“ der Berliner Republik.<br />

Dominiert wird er vom Brandenburger Tor,<br />

dem bis heute wichtigsten Wahrzeichen der<br />

Stadt. Zur Linken der Akademie steht das<br />

pseudohistorische, 1997 errichtete Hotel<br />

Adlon; zur Rechten die DZ-Bank <strong>von</strong> Frank<br />

Gehry, ein für den Kalifornier recht ungewöhnlicher<br />

Bau. In seiner ziviliserten, sandsteinfarbenen<br />

Lochfassade deuten lediglich<br />

die übergroßen, gekippten Fenster jene anarchische<br />

Wildheit an, für die Gehrys Bauten<br />

sonst bekannt sind.<br />

Das neue Haus der Akademie besteht<br />

aus drei wesentlichen Teilen: Im Zentrum,<br />

als alter Kern des Behnisch-Baus, stehen<br />

die fünf restaurierten Ausstellungssäle der<br />

alten Berliner Akademie <strong>von</strong> 1904. Im Norden,<br />

am Pariser Platz, schließt sich ein gläserner<br />

Kopfbau an und im Westen ein langgestreckter<br />

Seitenflügel, der die Arbeits-<br />

räume der Sektionen und des Archivs aufnimmt.<br />

Darunter musste ein öffentlicher<br />

Durchgang freigehalten werden, der das<br />

16 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

Vorhergehende Doppelseite Vom<br />

obersten Geschoss der Akademie<br />

aus genießen die Besucher freien<br />

Blick über eine der prominentesten<br />

Stätten Berliner <strong>Architektur</strong>: den<br />

Pariser Platz mit dem Brandenburger<br />

Tor. Im Hintergrund ist die Reichstagskuppel<br />

zu sehen.<br />

Links Günter Behnischs Akademie<br />

bildet eine gläserne Fuge in der steinernen<br />

Platzwand des Pariser Platzes.<br />

In Proportion und Gliederung<br />

bezieht sich die Nordfassade auf die<br />

Front des alten Akademiegebäudes.<br />

Doch diese Verwandtschaft erkennt<br />

nur, wer darüber Bescheid weiß.<br />

Gegenüber Trotz aller Kritik, die<br />

der Neubau über sich ergehen lassen<br />

musste: Berlin besitzt weitaus<br />

vulgärere Glasfassaden als diese.<br />

Im Streiflicht werden die Schichten<br />

der Konstruktion lesbar. Rechts die<br />

DZ-Bank <strong>von</strong> Frank Gehry.<br />

Grundstück <strong>von</strong> Nord nach Süd durchquert.<br />

Eine zweiter, repräsentativerer Durchweg<br />

führt östlich der Ausstellungssäle über<br />

einen Steg. Von hier aus ist der Innenhof des<br />

Hotels Adlon zum Greifen nah. Zwei völlig<br />

konträre <strong>Architektur</strong>auffassungen begegnen<br />

sich auf engstem Raum: dort das Hotel,<br />

bis unters Dach vollgestopft mit Nutzungen<br />

und engen Innenräumen, hier die Akademie,<br />

voller Licht und flexibel zu nutz-ender Raumzonen.<br />

Bewusst lässt Behnisch die Tradition<br />

der so genannten „Treppenreden“ aus der alten<br />

Westberliner Akademie aufleben – oder<br />

schafft zumindest die Möglichkeit dafür.<br />

Der Kopfbau der Akademie im Norden<br />

zeigt ein auf den ersten Blick kaum zu erfassendes<br />

inneres Gefüge aus schräg übereinander<br />

geschobenen Ebenen mit unter schiedlichen<br />

Nutzungen. Sechs sich kreuzende<br />

Treppenläufe, Stege und Rampen, <strong>von</strong> denen<br />

keiner dem anderen gleicht, geleiten den<br />

Besucher durch die Halle hinauf ins oberste<br />

Geschoss. Immer wieder kehrt der Weg dabei<br />

an die Nordfassade, die „Schokoladenseite“<br />

des Gebäudes, zurück. Jedes Mitglied<br />

und jeder Besucher soll an der Aussicht auf<br />

den Platz partizipieren können.


Im Erdgeschoss liegen Empfang und Buchladen,<br />

im ersten Obergeschoss die Bibliot<br />

hek mit Lesesaal und im zweiten der Plenarsaal<br />

der Akademie. Daneben, auf dem Dach<br />

des vorderen Ausstellungssaals, wurde ein<br />

teilweise überdachter Skulpturengarten eingerichtet.<br />

Von hier an beginnt der im Erd geschoss<br />

noch recht düstere Innenraum gleichsam<br />

„aufzuatmen“ und öffnet sich dem <strong>von</strong><br />

Süden reichlich hereinflutenden Tageslicht.<br />

Das dritte Obergeschoss dient dem<br />

Präsidenten der Akademie, seinen Mitarbeitern<br />

und der Pressestelle als Bürofläche.<br />

In der vierten Etage nimmt der Clubraum<br />

die ganze Tiefe des Vorderhauses ein. Hier<br />

heißt es: „Members only“ – nur Mitglieder<br />

der Akademie und ihre Freunde sind zugelassen.<br />

Sie genießen einen der kostbarsten<br />

Ausblicke, den Berlin zu bieten hat: nach<br />

Norden auf den Pariser Platz, auf Augenhöhe<br />

mit der Quadriga des Brandenburger<br />

Tors, und nach Süden auf das Eismeer aus<br />

Glasschollen im Hof der Akademie. Selbst<br />

an trüben Tagen macht der Raum einen heiteren<br />

Eindruck, wenn das einfallende Licht<br />

durch die bedruckten Verbundgläser rot<br />

und gelb gefiltert wird.<br />

Nach Süden öffnet sich eine gekippte Glasfassade<br />

zum Innenhof, in lediglich der Treppenturm<br />

der alten Akademie einen Fixpunkt<br />

bildet. Er wurde recht willkürlich innen weiß<br />

und außen dunkelgrün gestrichen und ist<br />

damit kein Einzelfall. Denn Behnisch steigert<br />

nicht nur die räumliche, sondern auch die<br />

Material- und Farbvielfalt des Gebäudes ins<br />

Extreme. Von Gussasphalt im Erdgeschoss<br />

schreitet der Besucher empor über Beton,<br />

Parkett und Linoleumboden; die Brüstungen<br />

der Stege und Treppen bestehen aus<br />

Stahl, Holz und Beton oder erhielten eine<br />

spiegelnde Blechverwahrung. Die schrägen<br />

Stützen der Südfassade sind sich in einer<br />

Farbe nicht genug; sie wechseln auf halber<br />

Höhe ihre Farbe <strong>von</strong> Lichtgrau zu Weiß.<br />

Statt sie dem Ganzen unterzuordnen,<br />

lässt Behnisch den Elementen seiner <strong>Architektur</strong><br />

freien Raum zur Entfaltung. Wer will,<br />

kann darin eine Metapher auf die Institution<br />

sehen, die das Bauwerk fortan nutzen<br />

wird. Vom Staat getragen (sprich: mitfinanziert),<br />

aber nicht unbedingt staatstragend,<br />

ist die Akademie der Künste ein Klub der führenden<br />

Literaten, Maler, Bildhauer, Komponisten<br />

und Schauspieler des Landes. Heute<br />

18 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

bildet sie eine Art Enklave der Hochkultur in<br />

der Welt des Pop – auch wenn ihr neues Haus<br />

das Gegenteil signalisiert: Inmitten der steinernen<br />

Berliner <strong>Architektur</strong> der 90er Jahre<br />

wirkt es wie der Exponent einer schrägen,<br />

bunten Gegenkultur.<br />

Und eben damit ist es in der Vergangenheit<br />

vielfach angeeckt. Das Stichwort lautet<br />

„Fassadenstreit“; eine Berliner Spezialität,<br />

bei der es vordergründig um Fassadenbekleidungen<br />

und Fensterformate, in Wirklichkeit<br />

aber um unterschiedliche Vorstellungen <strong>von</strong><br />

der europäischen Stadt ging. Für den Pariser<br />

Platz hatte die Stadt Berlin eine „Gestaltungssatzung“<br />

auf den Weg gebracht, die<br />

erstmals detaillierte Vorschriften für die<br />

Fassadengestaltung machte: „Stumpfe mineralische<br />

Oberflächen und eine Farbgebung<br />

zwischen hellem Ockergelb und Grau“ lautete<br />

die Vorgabe; die Fensterfläche sollte<br />

nicht mehr als 40 Prozent betragen.<br />

In Anbetracht dieser Vorgaben sorgte<br />

der Behnisch-Entwurf natürlich für einen<br />

Eklat. Seine Fensterfläche liegt bei 100<br />

Prozent, inklusive der „fünften Fassade“ –<br />

der Dachflächen. Um seinen Entwurf zu retten,<br />

ging Behnisch einen Scheinkompromiss


ein, indem er die doppelschichtige Glasfassade<br />

des Neubaus „in Gliederung und Relief“<br />

auf die alte Vorkriegsfassade zurückbezog.<br />

Was heißt, dass nun ein Rohrgestänge 40<br />

Zentimeter – so dick war die einstige Fassade<br />

– vor der Glashaut installiert wurde,<br />

welches gleichsam als Strichzeichnung die<br />

Fassade der alten Akademie wiedergibt.<br />

Der Akademiepräsident Adolf Muschg<br />

nannte den Neubau, in Anlehnung an ein<br />

Gedicht <strong>von</strong> Rimbaud, ein „bateau ivre“, ein<br />

trunkenes Schiff. Damit spielte er weniger<br />

auf die wechselvolle Baugeschichte an als<br />

vielmehr auf die <strong>von</strong> Schrägen und Spitzwinkligkeiten<br />

dominierte <strong>Architektur</strong> des<br />

Neubaus. Dafür, dass dessen Nordfassade<br />

tagsüber oft dunkel und leer wirkt, wurde<br />

Behnisch bereits heftig kritisiert. Auch dafür,<br />

dass die Architekten wenig pietätvoll mit<br />

der alten Bausubstanz umgingen, die über<br />

weite Strecken einfach mit weißer Farbe<br />

übertüncht oder mit Gipskarton verkleidet<br />

wurde. Der vielleicht größte Schwachpunkt<br />

des Neubaus stellte sich indessen erst drei<br />

Monate nach der Eröffnung heraus: Große<br />

Temperatur- und Feuchteschwankungen<br />

in den Innenräumen zwangen die Akade-<br />

mie dazu, ale Ausstellungen bis auf weiteres<br />

abzusagen. Nach den Ursachen wird<br />

derzeit geforscht; Eingeweihte vermuten<br />

hinter dem Problem indessen einen einfachen<br />

Grund: Günter Behnisch hatte sich<br />

stets gegen einen Windfang im Erdgeschoss<br />

gewehrt. Nun „schwappt“ im Sommer<br />

bei jedem Öffnen der Tür ein Schwall<br />

warmer Luft ins Innere des Gebäudes. Es ist<br />

also gut möglich, dass die Akademie durch<br />

einen nachträglichen Einbau praxistauglich<br />

gemacht werden muss.<br />

Sollte es gelingen, die Klimaprobleme in<br />

den Griff zu bekommen, hätte Berlin dennoch<br />

hinzugewonnen: eine abstrakte Bauplastik,<br />

die viele Qualitäten <strong>von</strong> Behnischs<br />

<strong>Architektur</strong> vereint. „Der Kontrast zum histo<br />

rischen Bestand wird betont. Transparenz,<br />

Leichtigkeit und helle Farben geben dem<br />

Neubau eine heitere und freundliche Atmosphäre.<br />

Er soll bei Tag schimmern, bei Nacht<br />

leuchten.“, hatten die Architekten 1998, noch<br />

vor Baubeginn, geschrieben. Das Versprechen<br />

der Heiterkeit löst der Neubau ein. Die<br />

Akademie ist nunmehr als Institution gefordert,<br />

diesen großartigen Bau mit Leben zu<br />

erfüllen.<br />

Gegenüber Der Clubraum für die<br />

Mitglieder der Akademie erstreckt<br />

sich unter dem bedruckten Glasdach<br />

über die ganze Tiefe des Vorderhauses.<br />

Das insgesamt 20 x 35 Meter<br />

große Dach hängt an einer Konstruktion<br />

aus Stahlträgern. Jede Glasscheibe<br />

ist 1,60 x 5,25 Meter groß.<br />

Diese Seite Das Palais an der Südseite<br />

des Grundstücks passt sich –<br />

anders als die Nordfassade – dem<br />

Berliner Lochfassaden-Diktat an.<br />

Ursprünglich sollte hier das Archiv<br />

der Akademie untergebracht werden.<br />

Heute gehört das Gebäude zum<br />

Hotel Adlon.<br />

19


20 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

Links Der Erdgeschossboden<br />

ist eine schräge Ebene aus Gussasphalt,<br />

die den Pariser Platz<br />

stufenlos ins Gebäude hinein<br />

fortsetzt. Der Eingangsbereich<br />

ist vergleichsweise niedrig und<br />

düster; erst weiter oben weitet<br />

sich das Gebäude zum Licht.<br />

Links Im Süden des Kopfbaus<br />

fängt eine schräg gestellte<br />

Glasfassade das Licht ein – und<br />

reflektiert das benachbarte<br />

Hotel Adlon. Die Vielschichtigkeit<br />

der Fassaden lässt die<br />

Grenzen zwischen Innen und<br />

Außen verschwimmen.<br />

Gegenüber Für Sonnenanbeter:<br />

Unmittelbar hinter der Südfassade<br />

sind Ausblick und Tageslicht<br />

am intensivsten zu erleben.<br />

Man fühlt sich wie im Freien –<br />

und ist doch wettergeschützt.


Fakten<br />

Standort<br />

Gebäudetyp<br />

Bauherr<br />

Architekten<br />

Fertigstellung<br />

Oben Der Weg hinauf ins Atrium<br />

führt vom Halbdunkel ins Licht:<br />

Im Erdgeschoss dominiert der<br />

anthrazitfarbene Gussasphaltboden,<br />

weiter oben das vom Hof<br />

hereinflutende Südlicht.<br />

Gegenüber Hinauf in die Halle<br />

führt eine Vielfalt an Stegen<br />

und Treppen, <strong>von</strong> denen keiner<br />

dem anderen gleicht. Je höher<br />

der Besucher steigt, desto heller<br />

werden die Räume.<br />

Berlin, D<br />

Mischnutzung für Ausstellungen<br />

und Verwaltung<br />

Land Berlin<br />

Behnisch und Partner mit<br />

Werner Durth, Stuttgart, D<br />

2005<br />

Rechts (Von oben nach unten)<br />

Grundriss Ebene 0<br />

Grundriss Ebene +1<br />

Grundriss Ebene +2<br />

Grundriss Ebene +3<br />

Grundriss Ebene +4<br />

Längsschnitt Nord-Süd<br />

Folgende Doppelseite Nachts<br />

wird das Haus mit seiner Nordfassade,<br />

die tagsüber oft grau<br />

und trüb erscheint, zum Leuchtkörper.<br />

Unterschiedliche Lichtstimmungen<br />

und – farben<br />

machen die vielseitige Nutzung<br />

der Akademie ablesbar.<br />

D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

23<br />

ZEICHNUNGEN © BEHNISCH UND PARTNER


RECHTE FÜR ALLE BILDER: TANYA BONAKDAR GALLERY/NEUGERRIEMSCHNEIDER, BERLIN.<br />

REFLEKTIONEN Neue Perspektiven:<br />

Ideen abseits der Alltagsarchitektur.<br />

SCHULE<br />

DES SEHENS<br />

OLAFUR<br />

ELIASSON<br />

26


Text <strong>von</strong> Jakob Schoof.<br />

Nebel und Licht, Wasser und Spiegelglas sind die<br />

Medien des dänischen Installationskünstlers Olafur<br />

Eliasson. Populär gemacht hat Eliasson nicht<br />

zuletzt der Erlebniswert seiner Arbeiten. Sie lehren<br />

uns, was wir inmitten <strong>von</strong> Reizüberflutung oftmals<br />

schon verlernt haben: uns und unsere Umwelt<br />

bewusst wahrzunehmen.<br />

Draussen ist die Sonne längst untergegangen. Hier, im Inneren<br />

der Turbinenhalle der Tate Modern in London, scheint sie<br />

noch immer. Das heißt: Eigentlich geht sie den ganzen Tag<br />

unter. Hoch über den Köpfen der Besucher füllt sie den riesigen<br />

Saal mit einem gleißenden, dottergelben Sonnenuntergangslicht.<br />

Feiner Nebel weht durch die Halle, sammelt sich<br />

unter der Decke zu Wolken und verliert sich wieder. Die Menschen<br />

starren auf das unbekannte Licht, meditieren oder liegen<br />

auf dem Boden, darniedergestreckt <strong>von</strong> seiner überwältigenden<br />

Präsenz. „Wie in Anbetung eines unbekannten Gottes“, wird<br />

eine Ausstellungsbesucherin später sagen. Manche <strong>von</strong> ihnen<br />

haben Tränen in den Augen.<br />

Ursache aller Emotionen sind 200 monochromatische<br />

Scheinwerfer, 3000 Quadratmeter Spiegelfolie auf einer Metallunterkonstruktion<br />

und ein Halbkreis aus transluzenter Membran.<br />

Der Halbkreis wird durch die verspiegelte Hallendecke<br />

verdoppelt und ergänzt sich dadurch zum Ganzen, zur Sonnenreplik.<br />

Wer genau hinsieht, kann alle technischen Komponenten,<br />

die die Installation in der Tate mit Leben erfüllen,<br />

sehen – auch die Nebelwerfer, die Wettermaschinen des<br />

„Weather Project“.<br />

Wer ist der Mann, der mit einem Arsenal technischer Gerätschaften<br />

Menschen zum Weinen, Träumen oder Meditieren,<br />

in jedem Fall aber zum intensiven Wahrnehmen bringt?<br />

Olafur Eliasson, ein Däne isländischer Abstammung, wurde<br />

1967 in Kopenhagen geboren und studierte dort <strong>von</strong> 1989 bis<br />

1995 an der königlichen Kunstakademie. Er lebt und arbeitet<br />

in Berlin. Soweit die dürren Angaben in der offi ziellen Vita des<br />

Künstlers. Meist folgt danach noch eine lange Liste der Ausstellungen<br />

und Museen, in denen seine Werke zu sehen waren und<br />

sind: unter anderem das Guggenheim Museum in New York,<br />

das Museum of Contemporary Art in Los Angeles und die Tate<br />

Gallery in London. Jährlich fi nden weltweit mindestens drei bis<br />

vier größere Einzelausstellungen seiner Werke statt.<br />

Der Zeitschrift „Kunstforum International“ sagte Eliasson<br />

in einem Gespräch: „Ich sehe mich als einen Mainstreamkünstler,<br />

weshalb auch leicht Zugang zu meinen Werken zu fi nden ist.”<br />

Dass seine Werke gelegentlich als „Anthologie <strong>von</strong> Spezialeff ekten”<br />

betitelt und vom Publikum aufgrund ihres Unterhaltungswerts<br />

geschätzt werden, stört ihn nicht: „Ich mag es, dass ein<br />

Unterhaltungswert dabei sein kann, wenn auch das Publikum<br />

diese Unterhaltungskonstruktion durchschauen könnte. Es geht<br />

um Verantwortung und eine Ethik in den Zusammenhängen<br />

zwischen dem was gesagt wird und was gemacht wird.”<br />

Eliasson als eine Art Varietékünstler zu beschreiben, der<br />

statt mit Zylinder und Kartentricks mit Installationen zaubert,<br />

hieße demnach, ihn misszuverstehen. Denn auf das große<br />

Staunen folgt bei der Betrachtung seiner Werke immer auch der<br />

Erkenntnisgewinn. Dabei kehren vier zentrale Th emen immer<br />

wieder: die Natur, das Licht, die <strong>Architektur</strong> und – am wichtigsten<br />

<strong>von</strong> allen – die Interaktion mit dem Betrachter.<br />

natur<br />

Die Erfahrung der vier Elemente der griechischen Naturwissenschaft<br />

– Wasser, Feuer, Erde, Luft – und daraus abgeleitet<br />

des Lichts, der Farbe und der Temperatur ist ein zentrales Element<br />

<strong>von</strong> Eliassons Kunst. Ein ungemein direktes Naturerlebnis<br />

vermittelt er den Besuchern der Ausstellung „Th e Mediated<br />

Motion“ (Die inszenierte Bewegung) 2001 im Kunsthaus Bre-<br />

genz. Gemeinsam mit dem Landschaftsarchitekten Günther<br />

Vogt gestaltet Eliasson die Innenräume des Zumthor-Baus zu<br />

einem mystisch anmutenden, <strong>von</strong> Nebelschwaden durchwehten<br />

Landschaftsgarten um. Auf Stegen und über eine Hängebrücke<br />

bewegen sich die Besucher durch die Landschaft, die<br />

weitgehend aus echten Naturmaterialien besteht: Wasser, Erde,<br />

Holz und Wasserlinse, eine Wasserpfl anze. Zusätzlich verändert<br />

Eliasson die orthogonale Struktur der Ausstellungsräume<br />

D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

27


durch schräge Fußbodenebenen, um den Besucher seine Bewegung<br />

durch den Raum bewusster wahrnehmen zu lassen. Er<br />

wollte „die sehr statische dominierende <strong>Architektur</strong> in Frage<br />

stellen, um den Umgang mit dem Haus zu relativieren”, wie er<br />

später in einem Interview berichtet.<br />

Im Grunde geht es Eliasson bei „Th e Mediated Motion” also<br />

nicht um Gartengestaltung: Die gartenlandschaftliche Inszenierung<br />

dient ihm als Werkzeug, mit dem er das Th ema der<br />

menschlichen Raum- und Naturwahrnehmung bespielt. Nach<br />

Eliassons Meinung ist die Natur keine „wahre“ und ursprüngliche<br />

Kategorie mehr; sondern ein Ergebnis unserer Sicht der<br />

Welt: „Es gibt keine wahrhaftige Natur. Es gibt nur dein und<br />

mein Konstrukt da<strong>von</strong>.“<br />

Dieses Konstrukt wird bei Eliasson auf zwei Ebenen sichtbar<br />

gemacht. Auf der ersten erlebt der Betrachter Nebelschwaden,<br />

künstliche Geysire, Wasserfälle und inszenierte Sonnenuntergänge.<br />

Er kann sich für einen fl üchtigen Moment der Illusion<br />

hingeben, dies sei „reale“ Natur. Doch sobald er näher hinsieht,<br />

wird er der Dinge hinter den Erscheinungen gewahr: Nebelmaschinen,<br />

Rohre und Schläuche, Dampfdüsen und Scheinwerfer.<br />

Auf die Spitze treibt Eliasson das Spiel mit konstruierten<br />

Naturphänomenen 1999 mit der Installation „Double Sunset“<br />

in Utrecht, bei der echter und falscher Sonnenuntergang in<br />

direkten Wettbewerb treten. Eine 38 Meter messende runde<br />

Scheibe aus gelbem Wellblech ist an der Fassade eines hohen<br />

Industriebaus angebracht und wird <strong>von</strong> den Flutlichtern des<br />

gegenüber liegenden Stadions angestrahlt. Die künstliche Sonnenscheibe<br />

ragt weit genug über die Silhouette der Stadt hinaus,<br />

um in den Abendstunden tatsächlich ein Vexierbild entstehen<br />

zu lassen: Welches ist die echte, welches die Blechsonne? Ist die<br />

Natur austauschbar geworden?<br />

licht<br />

Im Spiel Eliassons mit der Sinneswahrnehmung spielt das Licht<br />

die zentrale Rolle. Insgesamt 146 Arbeiten des Künstlers mit<br />

Licht zählt Holger Broeker im 2004 erschienenen Ausstellungskatalog<br />

„Your Lighthouse“ auf. Dabei sollte Licht bei Eliasson<br />

durchaus nicht metaphorisch im Sinne <strong>von</strong> „Erleuchtung“<br />

interpretiert werden. Licht ist für ihn weniger ein Träger <strong>von</strong><br />

Bedeutung als <strong>von</strong> Stimmungen – und natürlich ein Mittel,<br />

um Räume zu bilden.<br />

Bei der Arbeit mit Lichtrefl exionen steht Eliasson in einer<br />

Tradition, die <strong>von</strong> Laszlo Moholy-Nagys Licht-Raum-Modulatoren<br />

und Nicolas Schoeff ers kinetischen Lichtskulpturen<br />

bis in unsere Tage reichen. Auch wenn die Installationen mit<br />

ihren Spiegeln, Schweinwerfern und Farbfi ltern imposant wirken,<br />

stehen sie nie als Konstruktion im Vordergrund, sondern<br />

allein durch die Eff ekte, die sie erzeugen.<br />

Mit gleichsam körperhaftem Licht arbeitet Eliasson in einer<br />

zweiten Werkgruppe, in der er Leuchtquellen mit Wasser oder<br />

Nebel kombiniert. Die Installation „Th oka“ in der Hamburger<br />

Kunsthalle (1995), sein erster größerer Auftritt in Deutschland,<br />

ist ein gutes Beispiel: Zwischen Ausstellungsschluss und Mitternacht<br />

wurde der Raum hinter der Glasfassade des Gebäudes<br />

mit künstlichem Nebel gefüllt und <strong>von</strong> gelben Scheinwerfern<br />

28 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

beleuchtet. Tagsüber wurde das Kunstwerk abgestellt, nur die<br />

Maschinerie, die es in Gang hielt, blieb sichtbar.<br />

Generell verwendet Eliasson farbiges Licht meist nach dem<br />

Prinzip „Weniger ist mehr“. Sein Ziel dabei: zu zeigen, wie Lichtfarben<br />

unsere Wahrnehmung beeinfl ussen. In der Installation<br />

„Your inverted Veto“ trennen blaue Kunststoff planen den Ausstellungsraum<br />

vom Eingangsbereich. Sie erscheinen im gelben<br />

Scheinwerferlicht schwarz. Im Abstand <strong>von</strong> dreieinhalb Minuten<br />

überblendet weißes Licht das Gelblicht, und der Besucher<br />

kehrt für einen Moment in seine gewohnte Wahrnehmungswelt<br />

zurück. Dann beginnt der Zyklus <strong>von</strong> neuem.<br />

Dass es bei Eliassons Installationen nicht nur um Lichtphänomene,<br />

sondern vor allem um unsere Wahrnehmung da<strong>von</strong><br />

geht, wird an den optischen Apparaten deutlich, die er konstruiert.<br />

Die „Camera obscura“ etwa taucht seit 1999 wiederholt<br />

in Eliassons Werk auf; an prominentester Stelle als Kernstück<br />

des „blinden Pavillons“, Eliassons Beitrag zur Biennale 2003<br />

in Venedig.<br />

Ebenfalls seit Ende der 90er Jahre beschäftigt sich Eliasson<br />

mit Kaleidoskopen, die bei ihm mitunter Längen bis zu<br />

acht Metern erreichen können. Eines der ersten ist die Arbeit<br />

„Brunnen“ im Garten der Villa Medici (1998): Hier schaut der<br />

Betrachter in eine Spiegelröhre <strong>von</strong> zwei Metern tiefe hinab,<br />

die im Erdreich vergraben ist. In die andere Richtung geht der<br />

Blick bei „Your now is my surroundings“, 2000 in der Tanya<br />

Bonakdar Gallery in New York. Ein hoher schmaler Raum mit<br />

Glasdach ist ab Kopfhöhe mit Spiegelglas verkleidet, die Verglasung<br />

des Dachs wurde entfernt. Der Betrachter steckt mit<br />

dem Kopf gleichsam in einem riesigen, vertikalen Kaleidoskop.<br />

Er sieht sich selbst, die Dachkonstruktion und die Außenwelt<br />

in hundertfacher Spiegelung, ohne sich darin wirklich orientieren<br />

zu können. Die Grenzen zwischen Von und Hinten, Innen<br />

und Außen verschwinden in diesem Splitterbild.<br />

architektur<br />

Sind Eliassons Installationen „architektonisch“? Carsten Th au,<br />

Philosoph und Professor an der Kunstakademie in Kopenhagen,<br />

an der auch Eliasson studierte, schreibt im Ausstellungskatalog<br />

„Minding the world“: „Eliasson trägt die <strong>Architektur</strong> in die Welt<br />

der Kunst hinein.“ Th au sieht Eliasson in der Tradition der russischen<br />

Konstruktivisten und utopischer Ingenieur-Architekten


„Ich sehe mich als einen Mainstreamkünstler,<br />

weshalb auch leicht Zugang zu meinen Werken<br />

zu finden ist ... Ich mag es, dass ein Unterhaltungswert<br />

dabei sein kann, wenn auch das<br />

Publikum diese Unterhaltungskonstruktion<br />

durchschauen könnte. Es geht um Verantwortung<br />

und eine Ethik in den Zusammenhängen<br />

zwischen dem was gesagt wird und was gemacht<br />

wird.”<br />

Olafur Eliasson<br />

wie Buckminster Fuller, aber auch der Gartenarchitekten des 18.<br />

und 19. Jahrhunderts mit ihren „Follies“ und Wasserspielen.<br />

Die auff älligsten Parallelen zu Eliassons Werk sind weniger<br />

in der „Architekten-<strong>Architektur</strong>“ zu fi nden als vielmehr<br />

im Grenzbereich <strong>von</strong> Ingenieurbau und Utopie. Pate standen<br />

insbesondere die geodätischen Kuppeln Buckminster Fullers<br />

– ein Bautypus also, der <strong>von</strong> größtmöglicher Materialeffi zienz<br />

bestimmt war und die Menschen durch seine Kühnheit und<br />

mathematische Schönheit gleichermaßen in Bann schlug.<br />

Mit seinen Kuppeln schuf Buckminster Fuller funktionsneutrale<br />

Hüllen für Ausstellungsfl ächen, Autogaragen oder<br />

Gewächshäuser. Dagegen entwirft Eliasson seine Raumskulpturen<br />

nie als reinen Wind- und Wetterschutz, sondern als Teil<br />

Gegenüber und Seiten 30–31<br />

The mediated motion, Kunsthaus<br />

Bregenz 2001: Indem er<br />

die (menschengemachte) Landschaft<br />

ins Haus bringt, lässt<br />

Olafur Eliasson die Besucher den<br />

Zumthor-Bau neu und anders<br />

erleben. Die drei Ausstellungsebenen<br />

enthalten ein Wasserbecken,<br />

eine schräge Ebene aus<br />

kontaminierter Erde und schließlich<br />

ein nebliges Tal mit Hängebrücke.<br />

Unten Seeing yourself seeing,<br />

Museum of Modern Art, New<br />

York 2001: Der Titel dieser<br />

Installation programmatisch<br />

für Olafur Eliassons ganzes<br />

Werk. Durch die mit schmalen<br />

Spiegelstreifen hinterlegte<br />

Glasfläche sieht der Besucher<br />

die Außenwelt – und gleichzeitig<br />

sich selbst beim Sehen.<br />

seiner optischen Wahrnehmungsexperimente. In der Installation<br />

„La situazione antispettiva“, die er zur Kunstbiennale<br />

2003 in Venedig realisierte, stellte er ein „gigantisches poliertes<br />

Raumschiff , das gerade aus einer fremden Galaxie gelandet<br />

ist“ (so die Kuratorin Gitte Ørskou) in den dänischen Pavillon.<br />

Das „Raumschiff “ besteht aus 250 konischen Kaleidoskopen<br />

aus polierten Edelstahlplatten, die sich abwechselnd nach<br />

innen und außen vorstülpen. Von außen sieht der Betrachter<br />

ein stacheliges, raumfüllendes Objekt; <strong>von</strong> innen sieht er sich<br />

selbst und die anderen Besucher in tausendfach gespiegelter<br />

und gebrochener Form.<br />

Olafur Eliassons Installationen verkörpern gleichsam<br />

eine Art Vorstufe zur <strong>Architektur</strong>: Sie bewegen sich in einem<br />

ursprünglichen, „reinen“ Stadium der architektonischen Idee,<br />

die noch nicht durch Raumprogramme, Nutzerwünsche, Vorschriften<br />

und bauliches Umfeld deformiert ist. Dabei geht Eliasson<br />

mit höchster Präzision vor: Indem er auf überfl üssige<br />

Botschaften verzichtet, schaff t er dem Betrachter die Möglichkeit,<br />

seine Umwelt und sich selbst um so konzentrierter wahrzunehmen.<br />

Durch diese Zuspitzung bricht Eliasson scheinbar<br />

festzementierte Bilder und Routinen auf. Er schärft unseren<br />

Blick für den Raum, der sonst in der Alltagsarchitektur oftmals<br />

mit großer Nachlässigkeit „produziert“ und vom Nutzer<br />

eher geduldet als erlebt wird.<br />

der betrachter<br />

„In gewisser Hinsicht lässt sich behaupten, dass Olafur Eliasson<br />

gar keine Kunstwerke erschaff t. Er erschaff t Situationen.“,<br />

schreibt Gitte Ørskou im Ausstellungskatalog „Minding the<br />

World“. Fast nie stellt Eliasson seine Kunstwerke dem Betrachter<br />

frontal gegenüber. Er lädt ihn ein, herum- oder hineinzugehen<br />

und macht ihn damit nolens volens zu einem Teil des Kunstwerks.<br />

In einem Text zu „Th e Mediated Motion“ im Kunsthaus<br />

Bregenz (2001) spricht der den Besucher selbst an: „Diese<br />

Ausstellung ist abhängig <strong>von</strong> ihrer Bewegung, ihrem Engagement,<br />

sich einbeziehen zu lassen, sich auf Erfahrungen einzulassen.“<br />

Eine Botschaft des Künstlers, wie sie die Kunstkritik<br />

immer wieder aufzuspüren bestrebt ist, wird man bei Eliasson<br />

daher vergeblich suchen. Seine Auff orderung an den Besucher<br />

lautet: Finde Deine Botschaft selbst. Ich kann Dir höchstens<br />

dabei helfen, die Dinge bewusster wahrzunehmen.<br />

29


Geradezu programmatisch für Eliassons Werk sind die Titel<br />

der beiden Installationen „Seeing yourself sensing“ und „Seeing<br />

yourself seeing” <strong>von</strong> 2001. Auf einer Glasscheibe sind Spiegelstreifen<br />

in regelmäßigen Abständen angebracht; die dazwischen<br />

liegenden, gleich breiten Glasstreifen bleiben frei. Der Betrachter<br />

sieht also gleichzeitig sich selbst „beim Sehen“, und er sieht<br />

die Außenwelt. Zwei Personen, die sich zu beiden Seiten der<br />

Installation gegenüberstehen, können gleichzeitig mit ihrem<br />

Spiegelbild und ihrem Gegenüber kommunizieren.<br />

Obgleich die Installationen <strong>von</strong> Eliasson minutiös geplant<br />

sind, hängt ihr Erlebnis doch stets <strong>von</strong> der Wachsamkeit und<br />

Gemütsverfassung des Betrachters ab. Von wissenschaftlichobjektiver<br />

„Wahrheit“ kann daher keine Rede sein. Gitte Ørskou<br />

erklärt diese Auff assung im Ausstellungskatalog „Minding<br />

the World“: „Das ,Ding an sich’, die Bezeichnung des Philosophen<br />

Immanuel Kant für die utopische Vorstellung, dass<br />

die Dinge in der Welt unabhängig vom einzelnen Menschen<br />

– also unabhängig vom Subjekt – bestünden, wird in Eliassons<br />

Händen durch das , Ding für Uns’ ersetzt, also durch die<br />

Vorstellung, dass die Dinge in der Welt nur durch unsere Wahrnehmung<br />

existieren.”<br />

Nicht umsonst taucht das Wort „Your“ im Titel vieler Arbeiten<br />

Eliassons auf. In einem Interview zur Installation „Your<br />

denudation inverted“ (1999), einem künstlichen Geysir im<br />

Innenhof des Carnegie Museum of Art in Pittsburgh, sagte er:<br />

„Ich habe den Titel gewählt, weil er zeigt, dass Ihr Erlebnis wichtiger<br />

ist als meine Vorstellungen <strong>von</strong> dieser Arbeit.“<br />

Auch diese Strategie gehört zu Eliassons Werk: Die Dinge<br />

geschehen lassen und zusehen, wie die Betrachter damit umgehen.<br />

In Pittsburgh zum Beispiel verwandelte der Wintereinbruch<br />

die vom Geysir „eingenebelten“ Bäume in bizarre Eisskulpturen.<br />

Sie waren ebenfalls Teil der Arbeit, so Eliasson, und es wird verständlich,<br />

wenn er sagt: „Ich habe die Installation speziell für<br />

den Hof de Carnegie entworfen. Sie woanders zu installieren,<br />

ist möglich, aber dann ist das für mich eine andere Arbeit.“<br />

Unterschwellig greift Eliasson in vielen Arbeiten die Frage<br />

auf: Wie vermitteln Museen die Rezeption <strong>von</strong> Kunst? Bei der<br />

Vorbereitung zum „Weather Project“ beschäftigte sich Eliasson<br />

nach eigener Aussage intensiv mit der Struktur der Institution<br />

Tate. „Das Haus ist an Publikumszahlen orientiert und bringt<br />

unter anderem vor einer teils supermarktähnlichen Ästhetik<br />

Oben links Ice pavillion, 1998:<br />

Pavillons und andere Kleinst-<br />

<strong>Architektur</strong>en kehren in Eliassons<br />

Arbeiten beständig wieder.<br />

Hier verwendet er Wasser als<br />

Baumaterial und die Natur selbst<br />

als „Bauarbeiter”. Und doch:<br />

Die Planung ist Menschenwerk.<br />

Oben Olafur Eliasson.<br />

30 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

Menschen ins Museum, die noch nie zuvor in einem Museum<br />

waren. Damit habe ich meine Probleme, weil das Ganze zu<br />

fl ießbandartig ist“, verriet er der Zeitschrift „Kunstforum International“.<br />

Und, an anderer Stelle: „Die Museen, insbesondere<br />

die großen Museen, vermarkten das Kunsterlebnis und die<br />

Gefühle der Besucher. Das sehe ich als extrem problematisch.“<br />

Das „Weather Project“ ist deswegen noch kein Frontalangriff<br />

auf das moderne Kunstmarketing. Vielmehr wollte Eliasson<br />

die Zusammenhänge im Hintergrund der Ausstellung „transparent<br />

machen“ – ein Begriff , den er gern benutzt, wenn es um<br />

das Off enlegen seiner Mittel geht.<br />

eine schule des sehens<br />

In vielfacher Weise lehrt Olafur Eliasson uns wieder sehen –<br />

und verstehen, wie wir sehen. Unsere direkte Wahrnehmung,<br />

im Alltag oft durch Reizüberfl utung abgestumpft, wird bei<br />

ihm permanent hinterfragt. Der Blick in den Spiegel, sonst<br />

Routine, gewinnt bei ihm wieder neue Bedeutung. Naturphänomene<br />

und kulturelle Institutionen erschließt er uns in einem<br />

neuen Licht, indem er sie rekonstruiert und zugleich als Rekonstruktion<br />

off enlegt. Denn, so Eliasson: „Ohne unsere Erinnerung<br />

gäbe es kein Wiedererkennen – keine Wertesysteme – kein<br />

Zeitgefühl – und letztlich auch keine Erwartungen. So etwas<br />

wie ursprüngliche Sinneserfahrung gibt es nicht, nur Kultur.“


FOTO VON GIORGIO BOATO<br />

FOTO VON JENS ZIEHE<br />

Links La situazione antispettiva,<br />

Kunstbiennale Venedig 2003:<br />

Dieser „Sinneswahrnehmungs-<br />

Kokon“ war Herzstück des „Blind<br />

Pavillon“ genannten, dänischen<br />

Beitrags zur Biennale. 250 kaleidoskopartige<br />

Öffnungen kanalisieren,<br />

brechen und vervielfältigen<br />

die Ein- und Ausblicke aus<br />

dem „Raum im Raum“.<br />

Unten The Weather Project,<br />

Tate Gallery, London 2004:<br />

Olafur Eliassons Strategie, Naturphänomene<br />

zu „konstruieren“,<br />

fand in dieser Installation ihren<br />

bisherigen Höhepunkt. Das<br />

monochorome Scheinwerferlicht<br />

reduziert die Sinneswahrnehmung<br />

des Raums auf zwei<br />

Farben: Gelb und Schwarz.<br />

31


13° N 56° E<br />

06.2002<br />

04.00<br />

33


34<br />

13° N 56° E<br />

06.2002<br />

04.00<br />

Österlen, Schweden Fotograf: Per Magnus Persson Der halbfertige Himmel<br />

<strong>von</strong> Tomas Tranströmer<br />

Die Mutlosigkeit unterbricht ihren Lauf.<br />

Die Angst unterbricht ihren Lauf.<br />

Der Geier unterbricht seinen Flug.<br />

Das eifrige Licht fließt hervor,<br />

sogar die Gespenster nehmen einen Schluck.<br />

Und unsre Malereien kommen zutage,<br />

die roten Tiere unsrer Eiszeitateliers.<br />

Alles beginnt sich umzublicken.<br />

Wir gehen in der Sonne zu Hunderten.<br />

Jeder Mensch eine halboffne Tür,<br />

die in ein Zimmer für alle führt.<br />

Der unendliche Boden unter uns.<br />

Das Wasser leuchtet zwischen den Bäumen.<br />

Der Binnensee ist ein Fenster zur Erde.


QUELLE: TOMAS TRANSTRÖMER,<br />

SAMLADE DIKTER, 1954–1996. ALBERT BONNIERS FÖRLAG.<br />

DEUTSCHE ÜBERSETZUNG: TOMAS TRANSTRÖMER, SÄMTLICHE<br />

GEDICHTE, ÜBERSETZT VON HANNS GRÖSSEL. HANSER VERLAG.<br />

35


IM DETAIL<br />

GLAS<br />

ALS TRAGENDES<br />

MATERIAL<br />

FOTO VON CHRISTIAN RICHTERS TAGESLICHT<br />

36<br />

Genauer hingesehen: Wie Tageslicht<br />

in Gebäude gelangt.<br />

Unten Auf den Ruinen eines Teepavillons<br />

aus dem 18. Jahrhundert errichtete<br />

der Rotterdamer Architekt Dirk<br />

Jan Postel einen Pavillon mit Glaswänden,<br />

die zugleich das weit auskragende<br />

Dach tragen. Sie bestehen aus<br />

2 x 10 Millimeter Verbundsicherheitsglas<br />

und sind mit Bolzen und Stahlwinkeln<br />

am Mauerwerk sowie an der<br />

Dachunterseite befestigt.


Text <strong>von</strong> Rob Nijsse.<br />

Bauen an der Grenze des Machbaren: In den<br />

vergangenen 20 Jahren haben tragende<br />

Glaskonstruktionen die <strong>Architektur</strong> erobert.<br />

Einer ihrer Pioniere, Rob Nijsse vom niederländischen<br />

Ingenieurbüro ABT, erläutert die<br />

Errungenschaften auf dem Weg zur neuen<br />

Glasarchitektur.<br />

Glas ist ein faszinierendes Material, das bemerkenswerte und<br />

sogar widersprüchliche Eigenschaften vereint. Man kann durch<br />

Glas hindurchsehen, und dennoch wird Wasser, das bekanntlich<br />

fast alles durchdringt, <strong>von</strong> einer Glasscheibe zurückgehalten.<br />

Einerseits ist Glas stabil und nahezu unzerbrechlich,<br />

andererseits genügt oftmals ein Kratzer, um es in Stücke zerspringen<br />

zu lassen.<br />

Erst seit ein paar Jahrzehnten gibt es auch Bemühungen,<br />

Glas für die Welt des Ingenieurwesens nutzbar zu machen. Dennoch<br />

bin ich der Überzeugung, dass die Menschen tragendes<br />

Glas in einigen weiteren Jahrzehnten als ebenso vertrauenswürdig<br />

ansehen werden, wie sie es heute bei Stahl oder Stahlbeton<br />

tun. Wir sollten nicht vergessen, dass Gusseisen und Stahl erst<br />

seit rund 200 Jahren sowie Stahlbeton erst seit rund 100 Jahren<br />

als Baumaterial verwendet werden.<br />

glasträger<br />

Für Fenster und sogar Fußböden wird Glas seit Jahrhunderten<br />

verwendet – wenn auch in kleinen Dimensionen. Moderne<br />

Glasträger gehen allerdings einen entscheidenden Schritt weiter<br />

als die Konstruktionen des antiken Römischen Reiches. Die<br />

Idee des Glasträgers ist an sich verführerisch, aber auch gefährlich:<br />

Wenn Glas bricht, dann bricht es gänzlich, weil der innere<br />

Zusammenhalt des Materials verloren geht. Überbelastung oder<br />

ein Steinwurf führen zum völligen und plötzlichen Versagen<br />

des Trägers. Dies ist in der <strong>Architektur</strong> unter anderem deshalb<br />

nicht akzeptabel, weil wir gern ein Frühwarnsystem in unseren<br />

Gebäuden haben, das beim Überschreiten <strong>von</strong> Grenzwerten<br />

aktiviert wird. Ein Stahlträger zum Beispiel zeigt dies durch<br />

starke Verformung und das so genannte Fließen, eine plastische<br />

Deformation, an.<br />

Glas an sich besitzt keinerlei solche Warneigenschaften.<br />

Allein das unsichtbare Verkleben einzelner Scheiben – das so<br />

genannte Laminieren – macht die Herstellung eines sicheren<br />

Trägers möglich. Die Herstellung <strong>von</strong> Verbundglas wurde im<br />

Anfang des 20. Jahrhunderts erfunden, als – so ist es überliefert<br />

– ein Wissenschaftler versehentlich eine Glasfl asche mit Leim<br />

fallen ließ und einige Tage später zwei unsichtbar verklebte Glasfragmente<br />

auf dem Boden fand. In der Abendzeitung desselben<br />

Tages las er <strong>von</strong> einem Mädchen, das in einem Auto durch die<br />

Splitter einer geborstenen Windschutzscheibe, die <strong>von</strong> einem<br />

winzigen Kieselstein getroff en wurde, ums Leben kam. Ihm<br />

wurde klar, dass dieser tragische Unfall vielleicht nicht passiert<br />

wäre, wenn die Windscheibe aus zwei unsichtbar verleimten<br />

Glasschichten bestanden hätte. Dieser Gedanke gab den Anstoß<br />

für die industrielle Produktion <strong>von</strong> Verbundglas. Ein weiterer<br />

Impuls war die Erfi ndung der transparenten Folie pvb (Polyvinylbutyral)<br />

durch die Chemiefi rma DuPont de Nemours,<br />

mit der man Glasscheiben miteinander verkleben kann. Der<br />

Produktionsprozess fi ndet unter Druck und einer Temperatur<br />

<strong>von</strong> ca. 250ºc in einem Autoklav statt. Die Glasscheiben und<br />

die Folien (oder auch Lagen) werden unter erheblichem Druck<br />

eingerollt. Das Ergebnis ist ein völlig transparentes Stück Glas,<br />

dass aus zwei bis zehn einzelnen Glasscheiben zusammengesetzt<br />

ist. Auf diese Weise werden zuverlässige Glassträger produziert,<br />

und zwar nicht durch die Herstellung <strong>von</strong> einem Träger sondern<br />

durch das Verkleben <strong>von</strong> zwei oder mehreren Trägern. Wenn<br />

eine böswillige Person einen Stein auf Ihren kostbaren Glasträger<br />

werfen sollte, wird sie nur die äußeren Scheiben zerstören<br />

können. Diese gebrochenen Scheiben kleben aber auf den<br />

inneren Scheiben und schützen sie auf diese Weise.<br />

Aus diesen Gründen war die Idee des Glasträgers in den<br />

80er Jahren reif für die Umsetzung in die Realität. Verschiedene<br />

international bekannte Tragwerksplaner führten Studien<br />

durch. Aber wer würde es wagen, den ersten Glasträger<br />

in einem Gebäude einzusetzen? Dies kostete enorme psychologische<br />

Überwindung, denn wir wissen aus täglicher Erfahrung,<br />

wie leicht Glas bricht. Bauherren und Baufi rmen neigen<br />

eher dazu, risikoreiche Experimente zu meiden. Die Bauindustrie<br />

gehört zu den konservativsten Branchen, und Neuentwicklungen<br />

bedürfen eines enthusiastischen Bauherrn, der ein<br />

gewisses Risiko in Kauf nimmt. Der Ingenieur muss natürlich<br />

seiner Verpfl ichtung nachkommen, jegliche unbeabsichtigten<br />

Auswirkungen der <strong>von</strong> ihm vorgeschlagenen Neuerung rechnerisch<br />

auszuschließen. Somit ist die Einführung <strong>von</strong> Glasträgern<br />

ein gutes Beispiel für eine nur äußerst zögerlich akzeptierte<br />

Innovation.<br />

glasböden<br />

Obgleich in kleineren Abmessungen schon seit langem bekannt,<br />

erfuhren Glasböden erst in den 70er Jahren durch den Film<br />

„Saturday Night Fever“ mit seiner <strong>von</strong> unten farbig beleuchteten<br />

Disko-Tanzfl äche einen wirklichen Aufschwung. Auf einem<br />

großen transparenten Fußboden zu laufen ist aufregend, aber<br />

für viele Menschen auch beängstigend. Neben einer off en auftretenden<br />

Höhenangst (Akrophobie) haben Menschen Angst<br />

davor, weil uns die Logik verbietet zu glauben, dass ein transparentes<br />

Material unser Gewicht sicher tragen wird. In den 50er<br />

Jahren drehte eine große Glasfi rma einen Film, in dem eine<br />

Mutter ihr Baby auf einen Tisch setzt, dessen Tischplatte zur<br />

Hälfte aus Glas besteht. Obwohl es <strong>von</strong> seiner Mutter – einer<br />

geliebten, vertrauten Person – gerufen wird, traut sich das Baby<br />

nicht über diese Fläche zu krabbeln. Dieses Verhalten ist typisch<br />

für Menschen, die über einen Glasboden gehen müssen. Auch<br />

wenn der Ingenieur noch so glaubwürdig versichert, dass eine<br />

zehnfach höhere Sicherheit als bei einem Holzboden besteht,<br />

D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

37


traut der Mensch ihm einfach nicht. Auch ich selbst muss zugegebenermassen<br />

jedes Mal tief Luft holen, wenn ich einen transparenten<br />

Fußboden betrete. Daher ist es ratsam, zumindest<br />

einen Teil des Glasbodens nicht transparent, sondern transluzent<br />

zu gestalten. Die Menschen fühlen sich dadurch sicherer,<br />

auch wenn der Unterschied zwischen einer transluzenten und<br />

einer transparenten Glasscheibe in nicht mehr als einer transluzenten<br />

Folie <strong>von</strong> 0.46 Millimetern Dicke besteht!<br />

Architekten und viele Nutzer sind fasziniert <strong>von</strong> der Möglichkeit,<br />

„durch die Luft zu gehen“ und ein Gebäude dreidimensional<br />

zu erfahren. Da Sicherheit ein Hauptentwurfskriterium<br />

ist, versteht es sich <strong>von</strong> selbst, dass alle Glasfußböden aus Verbundglas<br />

hergestellt werden. Sand und Kiesel an den Schuhsohlen<br />

verursachen Kratzer beim Betreten des Glases. Deshalb<br />

muss sichergestellt werden, dass die zerkratzten Laufbereiche<br />

nicht mit auf Zug beanspruchten Bereichen korrespondieren,<br />

weil die Kratzer dann punktuell konzentrierte Zugbelastungen<br />

darstellen und insgesamt zugverstärkend im Glas wirken würden.<br />

Man denkt oft, dass Glas eine sehr glatte Lauffl äche ist.<br />

In Wirklichkeit ist es im trockenen Zustand überhaupt nicht<br />

rutschig. Untersuchungen haben erwiesen, dass die Oberfl ächeneigenschaften<br />

<strong>von</strong> Glas sich mehr oder weniger mit denen<br />

<strong>von</strong> Natursteinplatten vergleichen lassen. Lediglich bei nassem<br />

Glas steigt die Rutschgefahr erheblich. Eine Möglichkeit<br />

diese Gefahr zu vermeiden ist die Verwendung <strong>von</strong> besonderem<br />

Glas mit der folgenden Spezialbehandlung: Eine Glasscheibe<br />

wird bis zu dem Punkt erhitzt, an dem die Oberfl äche leicht<br />

zähfl üssig wird. Dann werden Sandkörner oder feiner Glasbruch<br />

aufgestreut. Auf Grund der mehr oder weniger fl üssigen<br />

Glasoberfl äche sinken sie leicht ein. Nach dem Abkühlen<br />

und Erhärten erhält man eine auch im nassen Zustand sehr<br />

raue Oberfl äche. Als Nebeneff ekt dieses Eingriff s wird sich<br />

die Oberfl äche nicht so leicht abnutzen. Der eingestreute Sand<br />

oder die Glaspartikel sind gut mit der Glasscheibe verbunden<br />

und schützen so ihre Oberfl äche.<br />

Dieser Prozess des Schmelzens und Erhärtens erinnert<br />

mich an eine alte, aber leider unwahre Geschichte, die in arabischen<br />

Chroniken über den Bau eines der sieben Weltwunder<br />

der Antike, des Pharos <strong>von</strong> Alexandria, erzählt wird. Dieser<br />

sehr hohe und große Leuchtturm sollte durch „Haken aus Glas“<br />

mit dem felsigen Fundament verbunden sein. Im Nachhinein<br />

erscheint dies nicht ganz unmöglich. Glas kann leicht geschmolzen<br />

und in Felsspalten gegossen werden. Nach der Verfestigung<br />

kann es enormen Druck aufnehmen, sodass eine Neubetrachtung<br />

dieser alten Konstruktionsmethode lohnend erscheint.<br />

glasstützen<br />

Während wir mittlerweile in der Lage sind, Glasböden, Glasdächer,<br />

Glaswände und Glasträger herzustellen, widersetzt sich die<br />

Glasstütze als letztes tragendes Element der Umsetzung in Glas.<br />

Generell ist eine Stütze ein komplizierter und kontrovers<br />

diskutierter Teil eines Tragwerkes. Architekten und Bauherren<br />

mögen Stützen nicht: Sie sind im Weg und behindern die freie<br />

Sicht. Wenn sie nicht in ihrer Anzahl reduziert werden können,<br />

wollen Architekten sie so schlank wie möglich haben.<br />

38 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

Im Gegensatz dazu lieben Bauingenieure Stützen: sie verringern<br />

die Spannweite <strong>von</strong> Trägern und Decken und machen<br />

Konstruktionen einfacher. Wie kann man diese Aversion auf<br />

Seiten der Architekten überwinden? Ich möchte aus einem Text<br />

<strong>von</strong> Le Corbusier über seine Villa Savoye zitieren: „Stolz stehen<br />

die Stützen in Reih und Glied; die Soldaten der <strong>Architektur</strong>,<br />

die ihre Last tragen.“ Das hilft normalerweise ein wenig, denn<br />

niemand wagt einem so großen Architekten wie Le Corbusier<br />

zu widersprechen.<br />

Doch die Ingenieure sollten Stützen auch attraktiver machen.<br />

Eine Möglichkeit ist es, ihre Form expressiver zu gestalten, was<br />

ich zum Beispiel in einer Studie über die Form der Stützen des<br />

Restaurants des Educatorium-Projektes versucht habe. Als Ausgangspunkt<br />

für den Tragwerksentwurf dieser Stützen widmeten<br />

wir uns im Einvernehmen mit den Architekten der Frage:<br />

Wie kommt es zum Versagen <strong>von</strong> Stützen?<br />

Stützen können auf drei Arten versagen: erstens, indem<br />

sie unter Druck zusammenbrechen, also langsam unter einer<br />

zu großen Vertikallast nachgeben. Die zweite Variante ist das<br />

Knicken unter Aufl ast, wobei sie plötzlich in der Mitte brechen.<br />

Dies stellt in den meisten Fällen den kritischen Lastfall<br />

dar. Die dritte Art ist das Knicken infolge <strong>von</strong> Scherkräften,<br />

wenn sich beide Stützenenden gegeneinander verschieben. Für<br />

jeden dieser Versagensfälle habe ich im Educatorium eigene<br />

Stützen entworfen. Unser Ziel war es, für jede Position eine<br />

auf die Belastung hin optimierte Stützenform zu wählen und<br />

dadurch dem Umfeld der Stütze Identität zu verleihen. Leider<br />

ließ der fi nanzielle Rahmen des Projekts letztendlich nur<br />

eine Variation des gleichen kreuzförmigen Stützentypus (dem<br />

so genannten Mies-van-der-Rohe-Zitat) in Größe und Profi lform<br />

– Rund- oder Quadratprofi l – zu.<br />

Eine weitere Möglichkeit, Stützen attraktiver zu gestalten<br />

wäre es, sie aus Glas herzustellen. Obwohl Glas ein gutes Druckverhalten<br />

aufweist, existiert stets die Gefahr des Knickens, die<br />

die Konstruktion einer sicheren Glasstütze erschwert. Das Knicken<br />

führt zu Zugkräften, wobei winzige Risse in der Oberfl äche<br />

auftreten, die sich als „Spielverderber“ erweisen. Deshalb<br />

müssen sichere gläserne Tragelemente aus zwei, drei oder noch<br />

mehr Lagen Glas konstruiert sein. Falls ein Teil aus irgendeinem<br />

Grund versagt, müssen die übrigen Teile in der Lage sein,<br />

die Last zu tragen, damit das beschädigte Teil ausgetauscht<br />

werden kann.<br />

Doch wären Glasstützen nicht die ultimative Anwendung<br />

<strong>von</strong> Glas als lasttragendes Material? Man stelle sich ein <strong>von</strong><br />

geheimnisvoll leuchtenden Lichtstrahlen getragenes Hochhaus<br />

vor und bedenke die große potentielle Tragfähigkeit <strong>von</strong> Glas.<br />

Ein Traum würde wahr werden! Der Weg zu seiner Verwirklichung<br />

hat allerdings gerade erst begonnen.<br />

glaswände<br />

Wände trennen Bereiche auf sehr physische Weise. Glas erlaubt<br />

es, eine reale, physische Trennung zweier Räume herzustellen<br />

und gleichzeitig die volle Einsicht in den gegenüberliegenden<br />

Raum zu erhalten. Wände besitzen in der <strong>Architektur</strong> zwei<br />

unterschiedliche Zweckbestimmungen: Im Inneren <strong>von</strong> Gebäu-


den erfüllen sie vornehmlich akustische und optische Anforderungen.<br />

Als Teil der Fassade schützen sie dagegen den<br />

Innenraum des Gebäudes vor den äußeren Klimaeinfl üssen.<br />

Aus Sicht des Statikers ist eine Wand nichts weiter als eine<br />

besondere Art <strong>von</strong> Stütze: Sie ist einfach viel breiter als dick.<br />

Deshalb könnten wir unsere vorangegangenen Bemerkungen<br />

über Stützen hier wiederholen. Wir werden uns stattdessen auf<br />

den Entwurf solcher Glaswände konzentrieren. Im Grunde folgen<br />

wir damit den Fußspuren der Baumeister gotischer Kathedralen.<br />

Um Gott zu preisen, suchten sie die Wände ihrer Kirchen<br />

so transparent wie möglich zu gestalten. Sie waren bis dato nur<br />

vertraut mit Mauerwerkswänden und kleinen Fenstern, doch<br />

neue Konstruktionsmethoden ermöglichten es ihnen, aus den<br />

gleichen Materialien ungleich schlankere Wände zu errichten.<br />

Die Erfi ndung des Kreuzgewölbes, des Strebebogens und Strebepfeilers<br />

führte zu enormen Höhen. Während die maximale<br />

Höhe zu Beginn der Gotik bei 15 Metern lag, erreichte man in<br />

Beauvais (1245) die enorme Höhe <strong>von</strong> 48 Metern.<br />

Doch Beauvais markierte zugleich das Ende dieser Entwicklung:<br />

1284 brachen die geraden Teile der Gewölbe bei<br />

einem schweren Sturm zusammen. Es ist erstaunlich, dass diese<br />

leichten Tragwerke zu einer Zeit gebaut wurden, als es weder<br />

ein theoretisches Verständnis über das Wirken <strong>von</strong> Tragbögen<br />

oder -schalen noch Computerprogramme zur Berechnung<br />

solch räumlich komplizierter Strukturen gab. Die Menschen<br />

gebrauchten einfach ihren gesunden Verstand, sie lernten aus<br />

Fehlern (die wir nicht mehr sehen, weil nur die erfolgreichen<br />

Lösungen überdauerten) und versuchten jedes Mal, die Dinge<br />

etwas höher und schlanker zu konstruieren.<br />

Heute ist eine solche Vorgehensweise nicht mehr akzeptabel.<br />

Wir müssen zu allererst sichere Bauten errichten; ein Versagen<br />

ist unzulässig. Zum Glück besitzen wir nun ein gesundes theoretisches<br />

Wissen über Statik und haben auch die Computer<br />

zur Berechnung der Zugspannungen und Verformungen sehr<br />

komplizierter räumlicher Strukturen.<br />

Aus Sicherheitsgründen benutzen wir heute für tragende Elemente<br />

ausschließlich Verbundglas. Die kritischen Parameter für<br />

den Zusammenbruch einer Wand sind Knick- und Abscherverhalten.<br />

Deshalb muss eine Glaswand eine beträchtliche Dicke<br />

haben und aus einer recht großen Anzahl <strong>von</strong> Schichten bestehen.<br />

Dieser Aspekt könnte durch die Herstellung einer gewellten<br />

Wand verbessert werden, aber diese Art Glas ist erst seid kurzem<br />

erhältlich. Zum ersten Mal überhaupt wurde sie an der Casa<br />

da Música in Porto eingesetzt. Ein weiterer kritischer Punkt ist<br />

die Frage, wie man die Lasten, die <strong>von</strong> oben auf die Glaswand<br />

einwirken in die Glaswand ableitet, ohne allzu hohe punktuelle<br />

Belastungen zu erzeugen. Die Belastung sollte so zentrisch<br />

wie möglich erfolgen und ein elastisches Material (Neopren)<br />

sollte als Aufl ager verwendet werden. Auch die Detaillierung<br />

des Wandfußpunktes, wo die Kräfte ins Fundament abgeleitet<br />

werden, muss unter diesen Aspekten betrachtet werden.<br />

glasfassaden<br />

Eine Fassade ist insofern ein spezieller Wandtyp, als sie das<br />

Innere eines Gebäudes <strong>von</strong> der Außenwelt trennt. Seine beson-<br />

dere Lage im Gebäude bedeutet jedoch, dass dieser Wandtyp<br />

grundlegende bauphysikalische Anforderungen zu erfüllen hat.<br />

Auch die Windkräfte (Winddruck oder -sog) sowie temperaturbedingte<br />

Längenänderungen und Wasserdichtigkeit spielen<br />

eine wichtige Rolle. Diese Anforderungen machen den Entwurf<br />

und Bau <strong>von</strong> Fassaden zu einer schwierigen, Aufgabe, die<br />

Ingenieuren allerdings auch Gelegenheit gibt, attraktive Konstruktionen<br />

zu entwickeln: „Jeder Nachteil birgt einen Vorteil“,<br />

wie der berühmte holländische Fußballer Johan Cruijff<br />

einmal sagte.<br />

Glas spielt in Fassaden eine wesentliche Rolle. Durch seine<br />

Transparenz öff net es unsere Gebäude nach außen. Dieser psychologische<br />

Eff ekt ist sehr wertvoll. Die Menschen können<br />

die Aussicht genießen und sind <strong>von</strong> der Umwelt nicht durch<br />

eine dicke, geschlossene Wand getrennt – ein Aspekt, der vor<br />

allem in den kälteren Regionen unserer Welt wesentlich ist. Die<br />

Behaglichkeit <strong>von</strong> Wohnhäusern und Büros kann so viel einfacher<br />

gewährleistet werden, ohne die Möglichkeit des Blicks<br />

nach draußen aufgeben zu müssen. Doch der Einsatz <strong>von</strong> Glas<br />

bei Fassaden hat das Gebäude nicht nur <strong>von</strong> innen nach außen<br />

geöff net, sondern auch <strong>von</strong> außen nach innen. Die visuelle<br />

Grenze <strong>von</strong> Innen und Außen wird in der modernen <strong>Architektur</strong><br />

oft absichtlich verwischt. Allerdings führt die Herstellung<br />

kompletter Glasfassaden auch zu neuen Problemen im<br />

Hinblick auf den Komfort innerhalb des Gebäudes. Im Winter<br />

entweicht Wärme leicht durch die Glasfassade, und im Sommer<br />

heizt sich der Innenraum durch Absorption der Sonnenstrahlung<br />

– dem Treibhauseff ekt – auf.<br />

Eine einzelne Glasscheibe bietet keine gute Isolation, Wärme<br />

kann sie leicht durchdringen. Die Einführung <strong>von</strong> Doppelverglasung<br />

war eine große Verbesserung. Der abgeschlossene,<br />

schmale Luftraum zwischen den Glasscheiben bietet eine gute<br />

Wärmedämmung. Doppelverglasung verbessert den Komfort<br />

im Gebäude, verhindert Kondensation im Winter und reduziert<br />

die benötigte Heizenergie. Heutzutage wurde die Doppelverglasung<br />

durch den Einsatz <strong>von</strong> Edelgasen wie Argon im<br />

Glaszwischenraum oder das Bedampfen der Glasoberfl äche<br />

mit Edelmetallen sogar noch verbessert.<br />

Der Wärmedämmwert wurde so weit verbessert, dass er eine<br />

neue Gefahr herauf beschworen hat: im Sommer kann die Hitze<br />

nicht entweichen! Klimaanlagen sind keine gute Lösung dieses<br />

Problems. Architekten und Ingenieure werden den unrefl ektierten<br />

Einsatz isolierter Glaselementen im Fassadenbau künftig<br />

kritischer beurteilen müssen.<br />

Rob Nijsse ist Direktor des niederländischen Ingenieurbüros<br />

ABT mit Sitz in Arnhem. Seine Spezialgebiete sind experimentelle<br />

Tragstrukturen aus Glas, Stahl und Stahlbeton, die er zum<br />

Beispiel am niederländischen EXPO-Pavillon <strong>von</strong> 2000, am Educatorium<br />

in Utrecht oder an der Casa da Música in Porto erprobte.<br />

Seit 2003 lehrt Rob Nijsse an der Universität in Gent. Im gleichen<br />

Jahr erschien bei Birkhäuser sein Buch Tragendes Glas.<br />

39


<strong>VELUX</strong> EINBLICKE <strong>Architektur</strong> für den Menschen –<br />

Bauen mit <strong>VELUX</strong>.<br />

DER SONNE ENTGEGEN<br />

ARMADA<br />

40<br />

Text <strong>von</strong> Thomas Geuder.<br />

Fotos <strong>von</strong> Torben Eskerod.<br />

Das Land ist knapp in den Niederlanden<br />

– und gerade deshalb gibt es dort zahlreiche<br />

gute Beispiele für lebenswertes<br />

Wohnen bei hoher Dichte auf engem<br />

Raum. In ’s-Herto genbosch entstanden<br />

auf einem ehemaligen Industrieareal<br />

zehn Wohnblocks mit hohem Identifikationsgrad<br />

und intelligenter Verbindung<br />

<strong>von</strong> Privatheit und Öffentlichkeit.


ZEICHNUNGEN © BUILDING DESIGN PARTNERSHIP<br />

Die Autofahrt <strong>von</strong> Maastricht nach Amsterdam<br />

führt zu einem großen Teil durch die südniederländische<br />

Provinz ’s-Hertogenbosch,<br />

wo sich vor allem ein verkehrsgünstiger Knotenpunkt<br />

zwischen den Schnellbahntrassen<br />

des Landes befindet. Ein Abstecher in dessen<br />

historische Innenstadt lohnt sich – nicht<br />

zuletzt wegen der St.-Johannes-Kathedrale<br />

aus dem 14. Jahrhundert oder dem „Oeteldonksgemintemuzejum“,<br />

dem einzigen Karneval-Museum<br />

der Niederlande.<br />

Bereits am Stadteingang macht das<br />

neue Stadtquartier „Paleiskwartier“ auf sich<br />

aufmerksam, das sich auf einem ehemaligen<br />

Industrieareal direkt neben den Bahntrassen<br />

liegt. Hier entsteht seit Mitte der 90er<br />

Jahre ein Großprojekt, das in der Zukunft<br />

beispielhaft für das neue Bauen in der Region<br />

werden soll. Der Masterplan für das Areal,<br />

der vom Stadtplaner Shyam Khandekar aus<br />

Benthuizen bei Den Haag entwickelt wurde,<br />

sieht zu großen Teilen die Einteilung des<br />

Gebietes in Quadrate mit städtischer Blockrandbebauung<br />

vor. In der Mitte des Areals<br />

wurde ein langes und schmales Wasserbassin<br />

angelegt, das die Strenge des Masterplans<br />

auflockert und gleichzeitig das Zent-<br />

rum des neuen Stadtquartiers markiert. Hier<br />

weicht Khandekar <strong>von</strong> seinem Leitthema<br />

der Blockrandbebauung ab und plant entlang<br />

des Bassins „Häuser, die in einer feinfühligen<br />

Art und Weise mit den umliegenden<br />

Blocks kontrastieren und außerdem über das<br />

ganze Jahr Wärme und Qualität ausstrahlen.“<br />

Im Jahr 1998 wurde für diese Häuser ein<br />

eingeschränkter Wettbewerb ausgeschrieben,<br />

den schließlich die Architekten <strong>von</strong><br />

Building Design Partnership (BDP) aus London<br />

für sich entschieden. Sie entwarfen<br />

fünf Gebäudepaare, die vom rechten Winkel<br />

leicht abgedreht am künstlichen Wasserbassin<br />

stehen. Ins Auge sticht jedoch ihre<br />

prägnante äußere Form: Wie die Segel einer<br />

Flotte reihen sich die mit Metall verkleideten<br />

Fassaden am Bassin auf, verstärkt noch<br />

durch ihre zum Teil im Wasser stehenden<br />

Giebelseiten – eine Allegorie, die dem Projekt<br />

bald seinen Namen „Armada“ verlieh.<br />

Architekt Tony McGuirk <strong>von</strong> BDP spricht<br />

beim Beschreiben seines Entwurfs lieber<br />

<strong>von</strong> den „Longhouses“ und den „Tallhouses“,<br />

die entlang des „Longwater“ aufgereiht sind<br />

und so das Zentrum und Herz des neuen<br />

Wohnviertels Paleiskwartier markieren Na-<br />

42 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

Vorhergehende Doppelseite Wie<br />

die Segel einer Flotte reihen sich<br />

die Fassaden der Wohnanlage<br />

Armada am Wasserbecken auf.<br />

Ihre augenfällige Form folgt nicht<br />

nur gestalterischen Gesichtspunkten,<br />

sondern auch einem durchdachten<br />

technologischen Entwurfskonzept,<br />

das Wind und Sonneneinstrahlung<br />

berücksichtigt.<br />

Links Lageplan.<br />

Gegenüber Um die verhältnismäßig<br />

tiefen Räume gut belüften<br />

zu können, wird die Luft über die<br />

einzelnen Geschosse angesaugt<br />

und mit dem Kamineffekt nach<br />

oben abgesaugt. Verstärkt wird<br />

dieser Effekt noch durch das<br />

zusätzliche kleine „Segel“ auf<br />

dem Dach.<br />

türlich ist dieses Bild eine Anspielung auf<br />

die in den Niederlanden allgegenwärtigen<br />

Grundelemente Wind und Wasser und als<br />

Leitmotiv im Entwurf durchaus gewollt;<br />

jedoch ein Blick hinter die Kulissen lohnt,<br />

denn bei der bloßen Umsetzung dieses, zugegeben<br />

klischeehaften, Bildes bleibt es<br />

nicht. Hinter der augenfälligen Form steckt<br />

ein technologisches Designkonzept, das aus<br />

den Wohnblocks nicht nur visuell ansprechende,<br />

sondern auch ökologisch sinnvolle<br />

Gebäude macht.<br />

„Mikroklima“ war das Schlagwort, das<br />

für die Architekten zur zentralen Inspirationsquelle<br />

beim Entwerfen wurde. Innerhalb<br />

und außerhalb sollte ein ideales „Wohnfühlklima“<br />

für die Bewohner geschaffen werden.<br />

Dies beginnt bereits im Städtebau: Windturbulenzen<br />

und starke Böen zwischen den<br />

einzelnen Häusern werden durch die gegeneinander<br />

verdrehte Stellung der Gebäude<br />

verhindert. Außerdem verschatten sich<br />

die Gebäude dadurch nicht gegenseitig,<br />

sodass alle Südfassaden ungehindert <strong>von</strong><br />

der Sonne zehren können. Das Wasser des<br />

langen Bassins, unter dem sich auch die<br />

Tiefgarage der Wohnblocks befindet, wird


ZEICHNUNGEN © BUILDING DESIGN PARTNERSHIP<br />

zur Vorwärmung des Heizsystems benutzt,<br />

um <strong>von</strong> dort im Winter Wärme und im Sommer<br />

Kälte zu gewinnen.<br />

Die Südfassaden funktionieren wie ein<br />

klimatisches Schild, das die Sonne und das<br />

Tageslicht optimal auszunutzen sucht: Eine<br />

Edelstahlverkleidung zieht sich vom Dach<br />

hinunter über die Fassade und reflektiert so<br />

das Licht des niederländischen Himmels. In<br />

regelmäßigen Abständen werden die Fassaden<br />

dabei durchbohrt <strong>von</strong> „Löchern im<br />

Segel“, die im oberen, geneigten Teil der<br />

Fassade mit <strong>VELUX</strong>-Dachflächenfenstern<br />

versehen wurden. An den weit ausladenden<br />

Balkonen reflektiert, kann durch diese<br />

Öffnungen das Sonnenlicht bis weit in den<br />

Innenraum hineingelangen. Außerdem wird<br />

so die solare Energie eingefangen und der<br />

Innenraum auch an kalten, aber sonnigen<br />

Tagen auf natürliche Art erwärmt.<br />

Die Nordseite der Gebäude hingegen<br />

spricht eine andere architektonische Sprache:<br />

Hier befinden sich die Erschließungswege<br />

für die einzelnen Appartements. Doch<br />

auch dieser Bereich ist mehr als nur der bloße<br />

Wegbereiter für die Bewohner. Geschützt<br />

durch eine geschlossene Glasfassade ent-<br />

steht hier ein Bereich, der getrost als Erweiterung<br />

des Wohnraums gesehen werden<br />

kann. In dieser „Wintergarten-Atmosphäre“<br />

trifft man sich, um den neuesten Klatsch und<br />

Tratsch auszutauschen oder um seine Blumen<br />

und Orangenbäume aufzustellen, die<br />

zu beinahe jedem niederländischen Haushalt<br />

gehören. Auch für Kinder hat dieser zwischen<br />

Außen- und Innenraum liegende Bereich<br />

einen ganz besonderen Spielwert. Ähnliche<br />

Qualitäten besitzen die Flächen zwischen<br />

den Gebäuden: Grüne Gartenbereiche verlaufen<br />

bis zum Wasser und sind so vor allem<br />

in den Sommermonaten ein beliebter Treffpunkt<br />

für die Bewohner der Armada.<br />

Neben der auffälligen architektonischen<br />

Form liegt das Erfolgsgeheimnis der Wohnanlage<br />

Armada vor allem im sozialen Konzept<br />

des Entwurfs. Die Bewohner haben<br />

hier vielfältige Möglichkeiten, miteinander<br />

in Kontakt zu treten. Das Areal, das wie das<br />

gesamte Stadtquartier schon bei der Masterplanung<br />

fußgängerfreundlich gestaltet<br />

wurde, ist mit einer Fußgängerbrücke an<br />

das gleich hinter der Bahntrasse liegende<br />

Zentrum angebunden. Halböffentliche Rä ume<br />

wie die reichlich bepflanzten Gärten<br />

Fakten<br />

Standort<br />

Gebäudetyp<br />

Investor<br />

Projekt-<br />

entwickler<br />

Architekten<br />

Fertigstellung<br />

‘s-Hertogenbosch, NL<br />

Mehrfamilienhaus<br />

BV Ontwikkelingsmaatschappij<br />

Credo Integrale<br />

Planontwikkeling BV<br />

Building Design Partnership,<br />

London, GB<br />

2003<br />

zwischen den Gebäuden oder auch die vor<br />

Wind und Wetter geschützten „Wintergärten“<br />

an den Nordseiten der Gebäude sind<br />

die Orte der Begegnung und Kommunikation.<br />

Auch die Balkone und Terrassen lassen<br />

vielfältige Möglichkeiten der Interaktion<br />

zu. So hat die bildhafte und kommunikationsfördernde<br />

Architekur sofort einen hohen<br />

Identifikationsgrad der Bewohner mit ihren<br />

Häusern entstehen lassen – es verwundert<br />

also nicht, dass die Wohnanlage „Armada“<br />

in ‘s-Hertogenbosch Anfang 2004 mit dem<br />

„Publieksprijs“, dem Publikumspreis der Niederländischen<br />

Architektenkammer, ausgezeichnet<br />

wurde.<br />

43


Oben Aus den Südfassaden<br />

strecken sich weit ausladende<br />

Balkone der Sonne entgegen.<br />

Sie fangen das Sonnenlicht ein<br />

und transportieren es bis weit<br />

in den Innenraum hinein, der<br />

dadurch mit natürlichem Licht<br />

verwöhnt wird. Die Balkone<br />

sind außerdem beliebte Orte<br />

der Kommunikation unter den<br />

Bewohnern.<br />

Unten Weit über die Giebelseiten<br />

hinaus spannen sich die mit<br />

Edelstahl verkleideten Südfassaden<br />

und verstärken so deren<br />

optische Wirkung als Segel. Die<br />

Fassaden der niedrigen „Longhouses“<br />

sind horizontal mit<br />

Zedernholz verkleidet, demgegenüber<br />

besitzen die höheren<br />

„Tallhouses“ an den Giebelseiten<br />

Klinkerfassaden.<br />

44 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

Ganz unten Große Öffnungen<br />

in der Fassade lassen das Tageslicht<br />

bis weit in den Wohnraum<br />

eindringen, der somit lange<br />

Zeit ohne künstliches Licht auskommt.<br />

Außerdem kann so die<br />

solare Energie für die Erwärmung<br />

der Innenräume effektiv<br />

genutzt werden.


ZEICHNUNGEN © BUILDING DESIGN PARTNERSHIP<br />

Unten (links) Die bewegte Großform<br />

der Gebäude setzt sich in<br />

vielen Details fort: Wie Schrauben<br />

winden sich die Fluchttreppen<br />

aus dem Boden heraus,<br />

selbst die Straßenlaternen<br />

folgen mit ihrer Krümmung der<br />

Fassadenform.<br />

Unten (rechts) Die Südfassaden<br />

funktionieren wie ein klimatisches<br />

Schild, das Sonne und<br />

Tageslicht optimal ausnutzt.<br />

An der Edelstahlverkleidung<br />

wird das Sonnenlicht reflektiert<br />

und dadurch die Nordseite des<br />

Nachbarblocks beleuchet. Durch<br />

die „Löcher im Segel“, die mit<br />

unterschiedlichen Fensterlösungen<br />

ausgestattet sind, gelangt<br />

das Licht tief ins Gebäudeinnere.<br />

Ganz unten Die Flächen zwischen<br />

den „Segeln“ sind als Gärten<br />

angelegt, die bis ans Wasser<br />

reichen. Sie dienen den Bewohnern<br />

der „Armada“ als halböffentlichen<br />

Ort zur gemeinsamen<br />

Freizeitgestaltung.<br />

45


ZEICHNUNGEN © DE BONTH VAN HULTEN B.V.<br />

Im Uhrzeigersinn <strong>von</strong> unten links<br />

Detail Dachfenster (Horizontal-/<br />

Vertikalschnitt), Fassadenschnitt<br />

und Anschlussdetail Geschossdecke/Fassade.<br />

Gegenüber Nicht nur in den<br />

gewölbten Edelstahlfassaden der<br />

Wohnhäuser, sondern auch im<br />

Wasser des künstlichen Bassins<br />

spiegelt sich das Abendlicht.<br />

46 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01


<strong>VELUX</strong> PANORAMA <strong>Architektur</strong> mit <strong>VELUX</strong><br />

aus aller Welt.<br />

LICHTFÄNGER<br />

HAUS WILLIMANN-LÖTSCHER<br />

IN SEVGEIN<br />

Fakten<br />

Standort<br />

Gebäudetyp<br />

Bauherr<br />

Architekten<br />

Fertigstellung<br />

Eine Lichtung am Rande des 220 Einwohner-Dorfes<br />

Sevgein im Schweizer<br />

Kanton Graubünden wurde für die<br />

fünfköpfige Familie Willimann-Lötscher<br />

zum neuen Wohnsitz. Von der<br />

Hangseite aus gesehen, ist das Haus<br />

der Architekten Bearth & Deplazes<br />

turmartig schmal und hoch. Talabwärts<br />

weitet es sich dagegen wie ein<br />

Keil und eröffnet seinen Bewohnern<br />

2<br />

48<br />

Sevgein, Graubünden, CH<br />

Einfamilienhaus<br />

Familie Willimann-Lötscher<br />

Bearth & Deplazes Architekten AG,<br />

Chur, CH<br />

1998<br />

den Blick auf die Landschaft der<br />

Vorderrheinschlucht. Erst beim Umrunden<br />

des Gebäudes nimmt der<br />

Betrachter die gesamte Länge des<br />

Gebäudes wahr. Jeder Raum besitzt<br />

genau ein Fenster, das das Licht in<br />

einen bestimmten Winkel des Hauses<br />

fallen lässt und umgekehrt gerahmte<br />

Aussichten ins Freie zulässt.<br />

Im Wohnzimmer ist die gesamte Fas-<br />

sadenseite zum Tal hin mit einer einzigen<br />

ungeteilten Glasscheibe versehen<br />

und bietet den Bewohnern einen<br />

atemberaubenden Panoramablick.<br />

Um die Baukosten möglichst gering<br />

zu halten, wurde das Haus als<br />

Holzrahmenkonstruktion aus vorgefertigten<br />

Elementen mit eingebauten<br />

Fenstern errichtet. Die dunkel<br />

lasierte Holzverschalung der Fassa-<br />

D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

1<br />

3<br />

den brachten die Bauherren nach genauen<br />

Plänen der Architekten selbst<br />

an. Insgesamt wurden hierfür drei<br />

unterschiedliche Holzformate verwendet<br />

und zu verschieden großen<br />

Feldern zusammengefasst, die den<br />

Fassaden Struktur und dem Haus<br />

seinen eigenwilligen Charakter verleihen.


ZEICHNUNGEN © BEARTH & DEPLAZES ARCHITEKTEN AG<br />

1. Von außen wirkt das Panoramafenster<br />

des Wohnbereichs<br />

wie ein überdimensionaler Bilderrahmen,<br />

der den weiten Blick in<br />

die Landschaft einfängt. Doch<br />

auch der Innenraum selbst wird<br />

dadurch zum „Bild“ für den<br />

Außenstehenden.<br />

2. Das Wohnzimmer ist an seiner<br />

dem Tal zugewandten Fassade<br />

voll verglast und ermöglicht so<br />

dem Bewohner einen Panoramablick<br />

auf die Graubündner Landschaft.<br />

3 4<br />

3. In der Gebäudemitte verbindet<br />

ein Treppenhaus die als Split-<br />

Level organisierten Wohnetagen.<br />

Am obersten Treppenabsatz<br />

öffnet sich ein Dachfenster zum<br />

Alpenpanorama ringsum.<br />

4. Nicht nur in den Dachflächen,<br />

sondern auch in den Außenwänden<br />

des Hauses wurden<br />

Dachfenster eingesetzt. Ihre<br />

Kupferverkleidung harmoniert<br />

farblich mit der verwitterten<br />

Holzverschalung.<br />

Ganz links (im Uhrzeigersinn<br />

<strong>von</strong> oben links)<br />

Nordfassade<br />

Ostfassade<br />

Westfassade<br />

Südfassade<br />

Links (<strong>von</strong> oben nach<br />

unten)<br />

Obergeschoss 3<br />

Obergeschoss 2<br />

Obergeschoss 1<br />

Erdgeschoss<br />

49


FOTOS VON EUGENI PONS<br />

MIT DER NATUR GEBAUT<br />

HAUS CUBINA-MARCO<br />

IN DAS/CERDANYA<br />

Fakten<br />

Standort<br />

Gebäudetyp<br />

Bauherr<br />

Architekten<br />

Fertigstellung<br />

Kalte und schneereiche Winter sowie<br />

heiße und trockene Sommer prägen<br />

die Naturlandschaft <strong>von</strong> Das in der<br />

Comarca Cerdanya im Herzen der Pyrenäen.<br />

Am Rande des 165-Seelen-<br />

Ortes, auf rund 1200 Metern Höhe,<br />

liegt das <strong>von</strong> den Architekten Gelpi<br />

Arroyo geplante Wohnhaus „La Cerdanya“.<br />

Typisch für die Region sind geneigte<br />

Dächer mit großen Dachüberständen.<br />

Diese klimatisch bedingte<br />

Bauweise kam auch bei diesem Haus<br />

zum Tragen – neben einem weiteren<br />

wichtigen Element: Eine Trockenmauer<br />

aus Natursteinen bildet das<br />

visuelle und funktionale „Rückgrat“.<br />

1<br />

50<br />

Das, Cerdanya, E<br />

Einfamilienhaus<br />

Familie Cubiñà-Marco<br />

Carles Gelpí Arroyo, Barcelona, E<br />

Juni 2004<br />

Sie teilt das Wohnhaus in einen nach<br />

Süden ausgerichteten Baukörper<br />

und in zwei – ungleich große – Seitentrakte<br />

mit einem gemeinsamen<br />

Innenhof auf der Nordseite.<br />

Das Gebäude wird entlang der<br />

Mauer erschlossen: Südlich da<strong>von</strong><br />

befinden sich die „Tages-Zonen“ mit<br />

einem zum Garten hin transparenten<br />

Wohn- und Essbereich, Küche<br />

und Bibliothek. Die beiden nördlichen<br />

Baukörper beherbergen die<br />

so genannten „Nacht-Zonen“, deren<br />

Fassaden – auch sie wurden vorwiegend<br />

mit Schiefer verkleidet – bis auf<br />

wenige raumhohe, mit Holzklappläden<br />

versehene Öffnungen geschlos-<br />

sen bleiben. Im Westen liegt die<br />

Suite der Eltern mit Schlafzimmer,<br />

Umkleide und Bad, im Osten ein Gästezimmer<br />

sowie zwei großzügige<br />

Kinderzimmer mit jeweils eigenem<br />

Bad. Auch wenn die Suite der Eltern<br />

strikt vom Kinder- und Gästebereich<br />

getrennt ist, wird der dazwischen liegende<br />

Hof doch <strong>von</strong> beiden erschlossen<br />

und genutzt. So profitieren alle<br />

Bewohner <strong>von</strong> der Sicht auf das beeindruckende<br />

Bergpanorama, die<br />

sich <strong>von</strong> hier aus bietet.<br />

Ein Stockwerk tiefer, in den Hang<br />

gebaut, befinden sich die Service-<br />

Bereiche wie Garage, Heizungs- und<br />

Vorratsraum sowie die Wohnung<br />

D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

1. Das Wohnhaus liegt im<br />

Herzen der Pyrenäen am Rand<br />

der kleinen Ortschaft Das.<br />

Von hier aus erstreckt sich ein<br />

weiter Blick auf das idyllische<br />

Bergpanorama.<br />

2. Eine Natursteinmauer bildet<br />

das „Rückgrat“ des Gebäudes.<br />

Hier kommen die Lasten des<br />

Pultdachs zusammen. Der<br />

Übergang vom Erschließungsflur<br />

zum niedriger gelegenen<br />

Wohnraum wird durch die<br />

direkt unter dem First integrierten<br />

Dachfenster akzentuiert.<br />

der Hausangestellten. Als schmales<br />

Band angelegt ist der Sportraum mit<br />

direktem Zugang zum Swimmingpool<br />

im Freien.<br />

Die Materialien Schiefer und Holz<br />

spiegeln das raue Bergklima wider.<br />

Umso erstaunlicher ist es, ein sehr<br />

lichtes und offenes Gebäude vorzufinden.<br />

Der durchgehende Schieferboden,<br />

das Lichts des Innenhofs,<br />

der an die Mauer grenzt, sowie das<br />

gleichmäßige Licht <strong>von</strong> oben lassen<br />

einen starken Bezug zum Außenraum<br />

entstehen. Das Dach ist ebenfalls<br />

schiefergedeckt. Jeweils nach<br />

außen geneigt, ist es im Patio als<br />

dünne Kante sichtbar.


2<br />

Detail Dachfenster<br />

Längsschnitt<br />

Querschnitt<br />

Lageplan<br />

51<br />

ZEICHNUNGEN © CARLES GELPI ARROYO


SCHWARZ UND SCHLANK<br />

BLACK HOUSE<br />

IN PRICKWILLOW<br />

Fakten<br />

Standort<br />

Gebäudetyp<br />

Bauherr und Architekt<br />

Fertigstellung<br />

Die Region <strong>von</strong> Ely in der englischen<br />

Grafschaft Cambridgeshire nördlich<br />

<strong>von</strong> London ist geprägt <strong>von</strong> seinen<br />

trockengelegten Moorlandschaften<br />

„Cambridgeshire Fens“ und zahlreichen<br />

alten, mit dunklen Faserzementplatten<br />

verkleideten Feldscheunen,<br />

die wie auf die flache Ebene gewürfelt<br />

wirken. Ihr äußeres Erscheinungsbild<br />

greift der Architekt Meredith<br />

Bowles für seinen Entwurf des<br />

„Black House“ in Prickwillow auf: Die<br />

gesamte Fassade und das Dach sind<br />

mit schwarzen Faserzement-Wellplatten<br />

verkleidet. Die vertikal angebrachten<br />

Profile lassen die ohnehin<br />

schmalen Proportionen des Hauses<br />

noch schlanker und höher erscheinen,<br />

verstärkt durch das leichte Aufständern<br />

des gesamten Hauses. Durchbrochen<br />

wird das vorherrschende<br />

Schwarz der Fassade <strong>von</strong> Fenstern<br />

und Türen in unterschiedlichen Formaten,<br />

deren Farbigkeit spielerische<br />

Kingdon Ave., Prickwillow,<br />

Cambridgeshire, GB<br />

Einfamilienhaus<br />

Mole Architects, Prickwillow, GB<br />

2003<br />

Akzente setzt. Einzige Ausnahme bilden<br />

dabei die Dachwohnfenster, die<br />

sich farblich der dunklen Außenhaut<br />

anpassen. Unerwartet hell präsentieren<br />

sich dagegen die Innenräume,<br />

die mit viel natürlichem Licht durch<br />

die nach Sonnenverlauf und Ausblick<br />

angeordneten Fenster belichtet werden.<br />

Um einen zentralen Kern mit<br />

Küche, Bädern und Treppenhaus<br />

gruppieren sich die Wohn- und<br />

Schlafräume sowie Meredith Bowles’<br />

<strong>Architektur</strong>büro „Mole Achitects“.<br />

Farbliche Akzente in Grün und Pink<br />

setzen die Idee der Fassaden im Inneren<br />

fort. Das unter anderem mit<br />

dem RIBA Award 2004 ausgezeichnete<br />

Gebäude besteht zum größten<br />

Teil aus wieder verwertbaren Materialien<br />

und verfügt über eine Wärmetauscheranlage,<br />

die die warme<br />

Abluft aus den Innenräumen zum<br />

Vorheizen der Zuluft und des Warmwassers<br />

nutzt.<br />

Detail Dachfenster<br />

Von oben nach unten<br />

Dachgeschoss<br />

Obergeschoss<br />

Erdgeschoss<br />

52 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

ZEICHNUNGEN © MOLE ARCHITECTS


1 2<br />

3<br />

1. Vertikal angebrachte Faserzement-<br />

Wellplatten unterstreichen die Schlankheit<br />

des Gebäudes. Die Horizontale<br />

betonen Abdeckprofile in den Stößen<br />

der Platten.<br />

2. Insgesamt sechs <strong>VELUX</strong> Dachwohnfenster<br />

– drei in jeder Dachfläche – versorgen<br />

die Räume im obersten Geschoss<br />

mit Tageslicht. Kräftig gemusterte<br />

Tapeten, im Haus sonst eine Seltenheit,<br />

geben dem Teppenhaus optischen<br />

Zusammenhalt.<br />

3. Das „Black House“ ist im Ortsbild <strong>von</strong><br />

Prickwillow ohne Parallele. Doch seine<br />

<strong>Architektur</strong> orientiert sich durchaus an<br />

regionalen Vorbildern; namentlich den<br />

Feldscheunen der „Cambridgeshire Fens“.<br />

53<br />

FOTOS VON JOHN DONAT


HÄUSER AM ANGER<br />

NY MOESGÅRD IN SKÅDE<br />

Fakten<br />

Standort<br />

Gebäudetyp<br />

Bauher<br />

Architekt<br />

Fertigstellung<br />

In drei Reihen folgen die Häuser der<br />

Wohnanlage Ny Moesgård in Skåde<br />

dem steilen Hang. Sie sind so gestaffelt,<br />

dass fast alle <strong>von</strong> ihnen am Ausblick<br />

auf die umliegenden Wälder<br />

und das nicht weit entfernte Meer<br />

teilhaben. Am Fuß des Abhangs<br />

dient eine naturbelassene Wiese –<br />

der Anger – als gemeinschaftlicher<br />

Freibereich für alle Häuser. Die Vielgestaltigkeit<br />

der Anlage mit ihren<br />

zahlreichen Niveausprüngen setzt<br />

sich auch im Inneren der Häuser<br />

fort: Vom Ein- bis zum Viergeschosser<br />

kommt in Ny Moesgård alles vor.<br />

Allerdings besitzen selbst die größten<br />

Häuser mit 124 Quadratmetern<br />

Fläche nicht mehr als drei Zimmer.<br />

Der Grund war eine Vorschrift der<br />

örtlichen Behörden, die eigentlich<br />

darauf abzielte, die Ansiedlung kinderreicher<br />

Familien zu verhindern,<br />

weil die Grundschule des Ortes ihre<br />

1<br />

54<br />

Skåde, Århus, DK<br />

Reihenhäuser<br />

Tryg-Baltica Ejendomme<br />

C. F. Møller<br />

1999<br />

Kapazitätsgrenze erreicht hatte. Die<br />

<strong>Architektur</strong> profitiert da<strong>von</strong>: Die Innenräume<br />

sind groß, hoch und licht,<br />

doppelt geschosshohe Volumen sind<br />

keine Seltenheit.<br />

Die blassgelb verputzten, mit<br />

zwölf Metern ungewöhnlich tiefen<br />

Backsteinbauten setzen sich deutlich<br />

<strong>von</strong> der Wald- und Wiesenlandschaft<br />

ab. Ihre Fenster und Türen aus<br />

dunklem Holz kontrastieren mit den<br />

hellen Fassaden; die Zinkdächer reflektieren<br />

das Sonnenlicht. Markante<br />

„Lichtkamine“ nehmen die Stelle<br />

der in der traditionellen Ikonografie<br />

üblichen Schornsteine ein. Sie sind<br />

direkt über dem First angebracht<br />

und lassen Tageslicht in das zentrale,<br />

offene Treppenhaus fallen. Öffnungen<br />

in den Innenwänden leiten das<br />

Licht buchstäblich bis in die hintersten<br />

Winkel der Häuser weiter.<br />

2<br />

Querschnitt<br />

D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

1. Die blassgelb verputzten Häuser folgen mit<br />

ihrer Staffelung dem steilen Geländeverlauf.<br />

Zwischen den drei Häuserreihen bilden Grasflächen<br />

die grüne Mitte des Wohngebiets.<br />

2. Die Häuser scheinen wie „aus einem Block<br />

geschnitten“. Ihre Dachrinnen sind verdeckt<br />

angebracht und alle Fenster liegen bündig in<br />

der Fassade.<br />

FOTOS VON TORBEN ESKEROD ZEICHNUNGEN © C. F. MØLLER


HÄUSER AM ANGER<br />

NY MOESGÅRD IN SKÅDE<br />

Fakten<br />

Standort<br />

Gebäudetyp<br />

Bauher<br />

Architekt<br />

Fertigstellung<br />

In drei Reihen folgen die Häuser der<br />

Wohnanlage Ny Moesgård in Skåde<br />

dem steilen Hang. Sie sind so gestaffelt,<br />

dass fast alle <strong>von</strong> ihnen am Ausblick<br />

auf die umliegenden Wälder<br />

und das nicht weit entfernte Meer<br />

teilhaben. Am Fuß des Abhangs<br />

dient eine naturbelassene Wiese –<br />

der Anger – als gemeinschaftlicher<br />

Freibereich für alle Häuser. Die Vielgestaltigkeit<br />

der Anlage mit ihren<br />

zahlreichen Niveausprüngen setzt<br />

sich auch im Inneren der Häuser<br />

fort: Vom Ein- bis zum Viergeschosser<br />

kommt in Ny Moesgård alles vor.<br />

Allerdings besitzen selbst die größten<br />

Häuser mit 124 Quadratmetern<br />

Fläche nicht mehr als drei Zimmer.<br />

Der Grund war eine Vorschrift der<br />

örtlichen Behörden, die eigentlich<br />

darauf abzielte, die Ansiedlung kinderreicher<br />

Familien zu verhindern,<br />

weil die Grundschule des Ortes ihre<br />

1<br />

54<br />

Skåde, Århus, DK<br />

Reihenhäuser<br />

Tryg-Baltica Ejendomme<br />

C. F. Møller<br />

1999<br />

Kapazitätsgrenze erreicht hatte. Die<br />

<strong>Architektur</strong> profitiert da<strong>von</strong>: Die Innenräume<br />

sind groß, hoch und licht,<br />

doppelt geschosshohe Volumen sind<br />

keine Seltenheit.<br />

Die blassgelb verputzten, mit<br />

zwölf Metern ungewöhnlich tiefen<br />

Backsteinbauten setzen sich deutlich<br />

<strong>von</strong> der Wald- und Wiesenlandschaft<br />

ab. Ihre Fenster und Türen aus<br />

dunklem Holz kontrastieren mit den<br />

hellen Fassaden; die Zinkdächer reflektieren<br />

das Sonnenlicht. Markante<br />

„Lichtkamine“ nehmen die Stelle<br />

der in der traditionellen Ikonografie<br />

üblichen Schornsteine ein. Sie sind<br />

direkt über dem First angebracht<br />

und lassen Tageslicht in das zentrale,<br />

offene Treppenhaus fallen. Öffnungen<br />

in den Innenwänden leiten das<br />

Licht buchstäblich bis in die hintersten<br />

Winkel der Häuser weiter.<br />

2<br />

Querschnitt<br />

D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

1. Die blassgelb verputzten Häuser folgen mit<br />

ihrer Staffelung dem steilen Geländeverlauf.<br />

Zwischen den drei Häuserreihen bilden Grasflächen<br />

die grüne Mitte des Wohngebiets.<br />

2. Die Häuser scheinen wie „aus einem Block<br />

geschnitten“. Ihre Dachrinnen sind verdeckt<br />

angebracht und alle Fenster liegen bündig in<br />

der Fassade.<br />

FOTOS VON TORBEN ESKEROD ZEICHNUNGEN © C. F. MØLLER


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CLAES CHO<br />

HESKE EKORNÅS<br />

Gewinner des International <strong>VELUX</strong> Award 2004<br />

für <strong>Architektur</strong>studenten.<br />

D&A Bevor Sie Ihr Studium an der Hochschule<br />

für <strong>Architektur</strong> in Oslo begannen,<br />

haben Sie vier Jahre lang Astronomie, Mathe<br />

matik, Chemie, Psychologie und Sozialwissenschaften<br />

studiert. Für einen Archi tekten<br />

ist dies ein eher ungewöhnlicher Werdegang.<br />

Wie kam es dazu?<br />

CCHE Ich habe mich immer für Naturwissenschaften<br />

– besonders Biologie – interessiert<br />

und wollte dieses Fach auch an der<br />

Universität studieren. Vor der Zulassung<br />

zum Biologiestudium musste man jedoch<br />

eineinhalb Jahre lang an Vorkursen teilnehmen.<br />

Deshalb wechselte ich das Institut<br />

und begann, gesellschaftswissenschaftliche<br />

Fächer wie Psychologie und Sozialwis-<br />

senschaften zu studieren. Ich wäre vielleicht<br />

Seelendoktor geworden, wenn da nicht ein<br />

weiteres Hindernis gewesen wäre: Unabhängig<br />

<strong>von</strong> den Noten gab es eine etwa<br />

dreijährige Wartezeit für den Masterkurs<br />

in Psychologie, durch den man erst die<br />

Erla ubnis bekam, zu praktizieren. Daher ab -<br />

solvierte ich schließlich einen Bachelor in<br />

„Kultur- und Naturwissenschaften“.<br />

D&A Wie kamen Sie schließlich doch noch<br />

zur <strong>Architektur</strong>?<br />

CCHE Als Kind hatte ich immer Spaß am<br />

Zeichnen, Malen und Bauen. Während mei -<br />

ner Gymnasialzeit ging ich als Austauschschüler<br />

in die USA, wo man mir im Kunstunterricht<br />

völlige Freiheit gab. Erneut kam<br />

mir der Gedanke, einen kreativen Beruf zu<br />

er greifen, und zufällig fand ich einen Anmel -<br />

debogen für die Hochschule für <strong>Architektur</strong><br />

in Oslo. Das war ganz kurz vor dem Abgabetermin,<br />

und die Arbeit, die ich einreichen<br />

musste, habe ich erst auf dem Postamt<br />

fertig gestellt.<br />

D&A Glauben Sie, dass Sie durch Ihre vielseitige<br />

Ausbildung eine andere Sichtweise<br />

auf die <strong>Architektur</strong> besitzen?<br />

CCHE Ich habe in meinem <strong>Architektur</strong>studium<br />

oft auf das zurückgegriffen, was ich<br />

vorher gelernt hatte, vor allem auf mein sozialwissenschaftliches<br />

Studium. In jedem<br />

Fachgebiet unterliegt man der Gefahr, engstirnig<br />

zu werden und eindimensional zu<br />

D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

Links Claes Ekornås gewann den<br />

International <strong>VELUX</strong> Award 2004<br />

für seinen Diplomentwurf,<br />

ein Museum für den koreanischen<br />

Videokünstler Nam June Paik.<br />

Neben der <strong>Architektur</strong> interessiert<br />

er sich für Fotografie, Film und<br />

Kunst, Philosophie und Technik.<br />

arbeiten. Um die Dinge für sich ins rechte<br />

Licht zu rücken, ist es wichtig, auch für Wissen<br />

außerhalb des eigenen Spezialgebiets<br />

offen zu bleiben.<br />

Meine Arbeitsweise in der <strong>Architektur</strong><br />

ist immer projektbezogen; ich versuche stets,<br />

die zugrunde liegenden Vorgaben zu verstehen<br />

und zu erkennen. Oberflächlich werden<br />

meine Arbeiten oft als etwas „verrückt“ und<br />

„wild“ betrachtet. Falls dies stimmt, so ist das<br />

nur das Ergebnis meines akademischen Ansatzes:<br />

Meine Konzepte durchlaufen eine<br />

systematische und methodische Analyse,<br />

und ich visualisiere sie sowohl mit grafischen<br />

als auch mit physikalischen Modellen.<br />

D&A Wo steht die norwegische <strong>Architektur</strong><br />

heute im Vergleich zu den skandinavischen<br />

Nachbarn und zu anderen Ländern?<br />

CCHE Verglichen mit Dänemark, Finnland<br />

und Schweden haben wir in der <strong>Architektur</strong><br />

noch viel aufzuholen. Unsere Nachbarländer<br />

haben eine Geschichte, auf die sie verweisen<br />

und mit der sie sich brüsten können. Wir in<br />

Norwegen können dagegen nur auf unsere<br />

1000 Jahre alten Stabkirchen verweisen,<br />

die ich im Übrigen sehr schätze.<br />

Erst in den letzten paar Jahren sind<br />

Design und <strong>Architektur</strong> auch in Norwegen<br />

zu Themen geworden, die in der Öffentlichkeit<br />

regelmäßig Beachtung finden. Als gemeinsames<br />

Merkmal würde ich nennen,<br />

dass Elemente wie Licht und Wetter und<br />

eine enge Beziehung zur Natur die <strong>Architektur</strong><br />

hier stark beeinflussen.<br />

57


Durch das Klima und unsere <strong>Architektur</strong>tradition<br />

waren wir bisher auf kleine Fenster,<br />

dicke Mauern und geneigte Dächer<br />

beschränkt. Aber unsere Entwicklung ist<br />

viel versprechend. Moderne Technologien<br />

und Kontakte zur internationalen Szene<br />

haben uns neue Möglichkeiten eröffnet,<br />

und die Norweger haben erkannt, dass nicht<br />

alles wie eine Holzhütte aussehen muss. Im<br />

Moment gibt es in Norwegen einen bisher<br />

einmaligen Bauboom. Größere Projekte<br />

wecken neuerdings auch internationales<br />

Interesse, etwa die neue Oper in Oslo <strong>von</strong><br />

Snøhetta. Renommierte Architekten aus<br />

dem Ausland nehmen an Ausschreibungen<br />

für Projekte in Norwegen teil. Beispielsweise<br />

hat OMA gemeinsam mit der Space<br />

Group den Wettbewerb für ein neues Stadtviertel<br />

am Hafen <strong>von</strong> Oslo gewonnen, und<br />

daneben wird Renzo Piano gemeinsam mit<br />

der dänischen Kunststiftung Louisiana ein<br />

Museum errichten.<br />

D&A Wie sind die Arbeitschancen für junge<br />

Architekten in Norwegen?<br />

CCHE Zum Glück habe ich direkt nach mei-<br />

nem Diplom Arbeit gefunden, denn bei vielen<br />

Kommilitonen war das zu dieser Zeit nicht<br />

der Fall. Heute, nur eineinhalb Jahre später,<br />

ist es leichter, eine Stelle zu bekommen.<br />

D&A Haben Sie jemals im Ausland studiert?<br />

CCHE Ich hatte die Absicht, im Ausland <strong>Architektur</strong><br />

zu studieren, doch dazu ist es nie<br />

gekommen. Ich glaube, an der AHO (Oslo<br />

School of <strong>Architecture</strong> and Design) sind wir<br />

im Vergleich zu anderen Hochschulen im<br />

Ausland privilegiert. In manchen Kursen<br />

werden 30 Studenten <strong>von</strong> bis zu vier Dozenten<br />

betreut.<br />

Mein Eindruck <strong>von</strong> einigen ausländischen<br />

Hochschulen ist, dass sie einen sehr viel<br />

technischeren und pragmatischeren Ansatz<br />

verfolgen als wir. Während einige der ausländischen<br />

Austauschstudenten in meinem<br />

Kurs nach zwei Wochen ein „abgeschlossenes“<br />

Projekt vorliegen hatten, befanden sich<br />

viele <strong>von</strong> uns noch in der Konzeptphase.<br />

D&A Welche Architekten schätzen Sie?<br />

CCHE Ich habe Hochachtung vor Architekten,<br />

die nicht nur auf der Grundlage fester<br />

Vorgaben an ein Projekt herangehen, sondern<br />

die Grenzen <strong>von</strong> Stilen und gesellschaftlichen<br />

Sichtweisen überschreiten. Anstatt<br />

sich damit zufrieden zu geben, auf Nummer<br />

Sicher zu gehen, sollte man zumindest versuchen,<br />

etwas Neues auszuprobieren und<br />

Visionen zu entwickeln, denn nur so lässt<br />

sich mit den gesellschaftlichen Entwicklungen<br />

Schritt halten. Dabei beziehe ich mich<br />

nicht unbedingt auf soziale Bauprojekte. Als<br />

Architekten müssen wir die Hoffnung haben,<br />

in gewisser Weise an der Entwicklung der<br />

Gesellschaft mitzuwirken und nicht hinter<br />

ihr zurückzubleiben.<br />

D&A Für den <strong>VELUX</strong> Preis haben Sie ein<br />

Museum für den berühmten koreanischen<br />

Künstler Nam June Paik entworfen. Gab es<br />

irgendwelche Verbindungen zum realen<br />

Wettbewerb für das Nam June Paik-Museum,<br />

der vor etwa zwei Jahren stattfand?<br />

CCHE Teile meiner Arbeit für den <strong>VELUX</strong><br />

Preis waren meiner Diplomarbeit entnommen,<br />

die ich sechs Monate zuvor angefertigt<br />

hatte. Darum dachte ich nicht viel darüber<br />

nach, ob ich den Preis gewinnen könnte,<br />

denn der Entwurf war ja ursprünglich nicht<br />

für den Wettbewerb bestimmt.<br />

58 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

D&A Ihr Projekt ist eine multidisziplinäre<br />

Fusion <strong>von</strong> Kunst, <strong>Architektur</strong> und dem<br />

Menschen. Haben Sie schon gemeinsam<br />

mit Künstlern oder Naturwissenschaftlern<br />

an einem realen Projekt gearbeitet?<br />

CCHE Ich hatte noch nicht die Gelegenheit<br />

dazu, aber ich würde wirklich gern mehr<br />

mit Video und Film arbeiten, weil dieses<br />

Medium vielfältige Beziehungen zur <strong>Architektur</strong><br />

aufweist, wie zum Beispiel Beleuchtung,<br />

Inszenierung oder die menschliche<br />

Wahrnehmung. Meine Diplomarbeit besprach<br />

ich manchmal mit meiner Tante<br />

Marianne Heske, die auch Künstlerin ist<br />

und Nam June Paik persönlich kannte.<br />

D&A Was fasziniert Sie außer Kunst und<br />

<strong>Architektur</strong> am meisten?<br />

CCHE Ich bin ein Technik- und Naturwissenschaftsfreak<br />

und bin außerdem <strong>von</strong> Spiel-<br />

und Trickfilmen fasziniert. Wenn ich mehr<br />

Freizeit hätte, würde ich sie mit Fotografieren,<br />

Zeichnen und Malen verbringen. In<br />

Zukunft möchte ich außerdem gern im<br />

Bereich Möbeldesign arbeiten.<br />

D&A Ihre Vorfahren stammen aus Korea.<br />

Haben Sie noch eine persönliche Beziehung<br />

zu diesem Land?<br />

CCHE Im Alter <strong>von</strong> vier Jahren wurde ich<br />

<strong>von</strong> meinen norwegischen Eltern adoptiert.<br />

1998 bin ich mit meinen Eltern durch Korea<br />

gereist, aber darüber hinaus fühle mich nicht<br />

besonders mit dem Land verbunden. Allerdings<br />

faszinierte mich, dass die alte <strong>Architektur</strong><br />

Koreas zum großen Teil Ähnlichkeit<br />

mit der traditionellen altnorwegischen<br />

<strong>Architektur</strong> hat. Beide Länder haben eine<br />

ausgeprägte Tradition der Verbundenheit


mit der Natur, und dies spiegelt sich auch in<br />

der <strong>Architektur</strong> wider.<br />

D&A Was bedeutete es für Sie, den International<br />

<strong>VELUX</strong> Award zu gewinnen?<br />

CCHE Ich hatte eine überarbeitete Version<br />

meiner Diplomarbeit zum Wettbewerb eingesandt.<br />

Es hat mich sehr überrascht, als ich<br />

einen Anruf <strong>von</strong> Glenn Murcutt, dem Vorsitzenden<br />

der Jury persönlich, erhielt, der mir<br />

mitteilte, dass ich den ersten Preis gewonnen<br />

hatte. Mit einem solchen Preis ausgezeichnet<br />

zu werden, ist natürlich gut für das<br />

Selbstbewusstsein – insbesondere, wenn<br />

man die große Teilnehmerzahl und die prominent<br />

besetzte Jury bedenkt. Der Preis<br />

bestätigt aber auch, dass das, woran ich<br />

während meines Studiums gearbeitet habe,<br />

auch außerhalb meiner eigenen Hochschule<br />

einen gewissen Wert besitzt.<br />

Unabhängig da<strong>von</strong>, dass ich den ersten<br />

Preis gewonnen habe, möchte ich die Seriosität<br />

des International <strong>VELUX</strong> Award und<br />

die intensive Arbeit der Jury betonen. Es gibt<br />

nicht viele Preise für Studenten und junge<br />

Architekten, die sich so intensiv mit konzeptionellen<br />

Studienprojekten beschäftigen.<br />

D&A Was sind Ihre Pläne für die nächste<br />

Zukunft – beruflich und privat?<br />

CCHE Ich habe inzwischen eine Stelle beim<br />

<strong>Architektur</strong>büro Jarmund/Vigsnæs angetreten.<br />

Zumindest in Norwegen ist dieses Büro<br />

bekannt dafür, dass es frischen Wind in die<br />

<strong>Architektur</strong>szene bringt. Bisher wurden mir<br />

schon recht anspruchsvolle Aufgaben übertragen,<br />

und ich glaube, dass ich in diesem<br />

Büro viel lernen kann. Im Moment bin ich sehr<br />

zufrieden, hier zu sein, da wir an vielen interessanten<br />

Projekten arbeiten. Wir sind als<br />

einziges norwegisches Büro bei der <strong>Architektur</strong>biennale<br />

in Argentinien vertreten. Und<br />

übrigens haben Jarmund/Vigsnæs früher<br />

selbst einmal den <strong>VELUX</strong> Award gewonnen.<br />

In der Zukunft würde ich gern mit einigen<br />

Gleichgesinnten ein eigenes Büro eröffnen.<br />

Vielleicht werde ich ja auch im Ausland<br />

arbeiten. Ich finde es überaus schwierig, vorherzusagen,<br />

was in einem Jahr sein wird, und<br />

darum kann ich mich nur an ein Kriterium<br />

halten: Das, was ich tue, soll Spaß machen.<br />

Und wenn „Spaß machen“ bedeutet, einen<br />

24-stündigen Arbeitstag zu haben oder in<br />

Sibirien zu arbeiten, dann ist das gut so – ich<br />

bin offen für alles, was die Zukunft bringt!<br />

Gegenüber Landscape – Lightscape:<br />

Das Museum ist terrassenartig in die hügelige<br />

Umgebung integriert. Das Licht, das durch<br />

die Fassaden nach außen dringt, interpretiert<br />

Claes Ekornås als gebaute Landschaft, die<br />

Landschaft als gebautes Licht.<br />

Oben In Vorstudien vertiefte Claes Ekornås<br />

die Entwurfsaspekte Grenze, Struktur,<br />

Überblendung und Dualität.<br />

Unten Mit zahlreichen Handskizzen legte<br />

Claes Ekornås die Lage des Museums in der<br />

Hügellandschaft fest.<br />

59


BÜCHER<br />

REZENSIONEN<br />

Zum Weiterlesen:<br />

Aktuelle Bücher,<br />

präsentiert <strong>von</strong> D&A.<br />

CLAUS EN KAAN<br />

ARCHITECTEN<br />

The Royal Netherlands Embassy<br />

in Mozambique<br />

NAi Publishers 2005<br />

ISBN 90-5662-420-2<br />

Das Buch über die neue niederländische<br />

Botschaft in Maputo, der Hauptstadt<br />

<strong>von</strong> Moçambique, ist eine der<br />

wenigen Publikationen über <strong>Architektur</strong>,<br />

bei denen beides zusammenkommt:<br />

ein Architektenteam, das<br />

virtuos mit dem Tageslicht umgeht,<br />

und ein Fotograf, der diese Kunstfertigkeit<br />

im Bild festzuhalten weiß.<br />

Mit großformatigen Fotos <strong>von</strong> Christian<br />

Richters zeigt dieses Buch die<br />

<strong>Architektur</strong> der Botschaft mit ihren<br />

wechselnden Lichtstimmungen: die<br />

gläserne, hinter einem Portikus zurückgesetzte<br />

Straßenfassade, die<br />

das blendfreie Südlicht (wir befinden<br />

uns auf der Südhalbkugel) weit<br />

in die Büroräume fluten lässt, die<br />

Nordfassade mit ihren zahlreichen,<br />

vertikalen Lichtschlitzen, die die Erschließungshalle<br />

mit harten Kontrasten<br />

„bespielt“, und die überall im<br />

Gebäude verteilten Oberlichter, die<br />

auch die Nebenräume noch großzügig<br />

mit natürlichem Licht versorgen.<br />

Felix Claus und Kees Kaan sind Meister<br />

in der Kunst, auch kleinen Gebäuden<br />

Größe zu verleihen. Doch der<br />

trotz seiner 190 Seiten recht handliche<br />

Band dokumentiert nicht nur<br />

erstklassige <strong>Architektur</strong>. Neben den<br />

<strong>Architektur</strong>fotografien <strong>von</strong> Christian<br />

Richters zeigen Fotos <strong>von</strong> Maarten<br />

Laupman und Vincent Panhuyzen<br />

das Leben auf den Straßen der noch<br />

immer bitterarmen 1,25-Millionen-<br />

Metropole: Fußabdrücke im feuchten<br />

Beton, Wandmalereien mit Waschmittelwerbung,<br />

Straßenmärkte,<br />

Strandszenen und immer wieder<br />

nachkriegsmoderne Betonarchitektur.<br />

Maputo hat ein, wenn auch spärliches,<br />

modernes architektonisches<br />

Erbe, das der portugiesische Architekt<br />

José Forjaz eingangs des Buches<br />

vorstellt. Erst auf Seite 85 nähert<br />

sich das Buch der Botschaft selbst.<br />

Hans Ibelings erläutert in nüchterner,<br />

aber kenntnisreicher Manier die<br />

<strong>Architektur</strong> der Botschaft und ihre<br />

vielfältigen Beziehungen zur Umgebung,<br />

einem zwischenzeitlich etwas<br />

heruntergekommenen Villenviertel.<br />

Während Ibelings Bauten in (für die<br />

Architkten) fremden Ländern oftmals<br />

einen „klischeehaften Exotizismus,<br />

keine übereifrige Anpassung an<br />

lokale Gepflogenheiten oder, im Gegensatz<br />

hierzu, ein Mangel an Empathie“<br />

zuschreibt, stellt er für die<br />

Botschaft kurz und bündig das Gegenteil<br />

fest: „Sie sieht aus, als hätte<br />

sie schon immer dort gestanden“.<br />

Den Lernprozess, den das Bauen<br />

im fremden Kontext bedeutet, beschreiben<br />

auch die Architekten<br />

selbst in einem kurzen Essay. Für<br />

sie wurden Planung und Bau der<br />

Botschaft zu einem sechsjährigen<br />

Abenteuer, das mit dem Beschluss<br />

des niederländischen Außenministeriums<br />

begann, fünf neue Botschaften<br />

in Afrika zu bauen, über 25 Besuche<br />

in Maputo einschloss und schließlich<br />

mit der Einweihung im Mai 2005<br />

endete. Die unterschiedliche Baukultur<br />

zwischen den Niederlanden und<br />

Moçambique drückten sich in Bautoleranzen<br />

(die mitunter in Zentimetern<br />

gemessen wurden) und in der<br />

Oberflächenbearbeitung aus (die<br />

daher um so perfekter war und, bis<br />

hin zum Polieren des Sichtbetons,<br />

<strong>von</strong> Hand vorgenommen wurde).<br />

Rob Gaunt vom südafrikanischen<br />

Partnerbüro EQF, das für die Umsetzung<br />

zuständig war, und Jan Willem<br />

Smit, Projektleiter des Außenministeriums,<br />

nehmen den Erzählfaden<br />

in ihren Beiträgen auf. Smit schreibt<br />

über die ersten Begegnungen zwischen<br />

Bauherren, Architekten und<br />

Bauplatz sowie das Genehmigungsverfahren,<br />

(„eine Art Laden, der<br />

Baugenehmigungen und Waren gleichermaßen<br />

verkaufte“). Der Leser<br />

erfährt erstaunliche und teils amüsante<br />

Details aus dem Baualltag in<br />

einem Entwicklungsland; so etwa<br />

<strong>von</strong> dem vermeintlichen Holzlieferanten;<br />

der sich brüstet, Unmengen<br />

edlen Tropenholzes liefern zu können<br />

und auf die Bitte, dem Kunden sein<br />

Lager zu zeigen, auf den Urwald hinter<br />

seiner Hütte verweist.<br />

Anekdoten wie diese bestimmen<br />

den Erzählstil des Buchs, das<br />

trotz der staatstragenden Funktion<br />

des Bauwerks angenehm menschlich<br />

daherkommt. So bleibt das eine<br />

oder andere Detail am Bau zwar ohne<br />

Erläuterung, doch das Umfeld, in<br />

dem diese <strong>Architektur</strong> steht, tritt<br />

um so plastischer hervor. Selbst an<br />

einem zehnseitigen <strong>Architektur</strong>führer<br />

durch die Stadt Maputo am<br />

Schluss des Buches haben es die<br />

Herausgeber nicht fehlen lassen.<br />

.<br />

60 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

PETER<br />

EISENMAN<br />

Barfuß auf weiß<br />

glühenden Mauern<br />

Peter Noever (Herausgeber)<br />

Hatje Cantz 2004<br />

ISBN 3-7757-1561-4<br />

Er sei ein „Virtuose der Festlegungsscheu<br />

und ein Meister des In-der-<br />

Schwebe-Haltens“ schreibt der Direktor<br />

des Wiener Museums für<br />

Angewandte Kunst, Peter Noever,<br />

eingangs des Buchs „Barfuß auf<br />

weiß glühenden Mauern“ über Peter<br />

Eisenman. Der Amerikaner, dem das<br />

MAK im Frühjahr 2005 eine Ausstellung<br />

und den hier besprochenen Katalog<br />

widmete, steht just zu einem<br />

Zeitpunkt im Mittelpunkt des Interesses,<br />

da sich andere Vordenker der<br />

<strong>Architektur</strong> zunehmend dem Bauen<br />

und immer weniger dem Theoretisieren<br />

zuwenden. Nicht so Eisenman:<br />

Bei der <strong>Architektur</strong>biennale<br />

2004 in Venedig erhielt er den Goldenen<br />

Löwen für sein Lebenswerk,<br />

und dies – so ist zu vermuten – mehr<br />

noch für sein gedachtes als für sein<br />

gebautes Werk. Der wohl letzte aufrechte<br />

Dekonstruktivist „entzieht<br />

den Raum seiner üblichen Funktionalisierung<br />

und Zweckbestimmung,<br />

um ihn neu zu denken, ohne ihn deswegen<br />

aber neu erfinden zu können“,<br />

wie Noever in der Einleitung zum Katalog<br />

schreibt. Oder, kürzer: Er „stellt<br />

Haltung über Formfindung.“<br />

Für die Wiener Ausstellung realisierte<br />

Eisenman ein Feld aus 30<br />

weißen Kuben in der Ausstellungshalle<br />

des Museums, dessen jeder ein<br />

„Diagramm“ (in der Eisenman-Terminologie<br />

eine Art räumliche Konzeptskizze)<br />

einer seiner Bauten enthält.<br />

Sie stehen auch im Mittelpunkt des<br />

Katalogs, dessen Gestaltung Eisenmans<br />

<strong>Architektur</strong> auf das Beste wi-


derspiegelt: schwarzweiß, abstrakt<br />

und diagrammatisch und dabei (mit<br />

einem Format <strong>von</strong> 24 x 32 Zentimetern)<br />

überaus sperrig. Dargeboten<br />

wird eine Mischung aus theoretischen<br />

Schriften Eisenmans, Beschreibungen<br />

gebauter und erdachter Projekte<br />

sowie Würdigungen der Kritiker<br />

an die Adresse des Amerikaners.<br />

Das Buch wendet sich vorwiegend<br />

an einen eingeweihten Kreis <strong>von</strong> Eisenman-Kennern<br />

und Freunden tiefgründiger<br />

Theorie. Dass dabei mehr<br />

Fragen aufgeworfen als beantwortet<br />

werden, ist normal. Denn, um ein<br />

letztes Mal Peter Noever zu zitieren:<br />

„Wer Eisenman billigen Aplaus,<br />

naive Zustimmung entgegenbringt<br />

oder gar in dieser Stadt zu bauen beauftragt,<br />

der hat das Projekt empfindlich<br />

missverstanden.“<br />

NEUE SAKRALE<br />

ARCHITEKTUR<br />

Phyllis Richardson<br />

Deutsche Verlags-Anstalt 2004<br />

ISBN 3–421–03494–X<br />

Englisch: New Spiritual <strong>Architecture</strong>,<br />

Abbeville Press 2004<br />

ISBN 0789208350<br />

In der sakralen <strong>Architektur</strong> hat<br />

spielte Tageslicht schon immer eine<br />

besondere Rolle: Von funktionalen<br />

Zwängen weitgehend befreit, wird<br />

es in den Händen des Architekten zu<br />

einem Mittel, den Räumen Wirkung<br />

und gelegentlich Bedeutung zu verleihen.<br />

Unvergessen ist etwa die „Kirche<br />

des Lichts“ im japanischen Osaka,<br />

in deren Altarwand Tadao Ando zwei<br />

Lichtschlitze einbeschrieb, die sich<br />

zu einem Kreuz ergänzen. „Neue<br />

Sakrale <strong>Architektur</strong>“ hält diese<br />

Lichtvielfalt in großformatigen Fotografien<br />

fest. Doch nicht nur das:<br />

Sichtbar werden darin auch die sich<br />

ändernden Paradigmen in der Sakralkultur.<br />

„Die Religion erhält zu Zeit ein<br />

Redesign“, wie es die amerikanische<br />

Zeitschrift Wallpaper* einmal ausdrückte.<br />

Traditionelle Konfessionen<br />

werden gerade in westlichen Ländern<br />

durch neue Glaubensgemeinschaften<br />

verdrängt, oder sie öffnen<br />

sich <strong>von</strong> selbst neuen Liturgien und<br />

neuen Bauformen. Phyllis Richardson<br />

dokumentiert die neue Pluralität<br />

des Glaubens in ihrem Buch anhand<br />

<strong>von</strong> 41 Kirchen, Synagogen, Moscheen<br />

und Tempeln aus aller Welt.<br />

Ihre Auswahl ist nach Größe, Standort<br />

und Anspruch der Gotteshäuser<br />

in fünf Kapitel gegliedert – „Neue<br />

Traditionen“, „Interventionen“, „Zufluchtsstätten“,<br />

„Erhabene Ikonen“<br />

und „Bescheidene Pracht“. Das ist<br />

nachvollziehbar, aber etwas mager:<br />

Im Bemühen, aktuelle Tendenzen<br />

in der Sakralarchitektur aufzuspüren,<br />

beschränkt sich die Autorin fast<br />

ganz auf architektonische Phänomene<br />

und nimmt nur selten Bezug<br />

auf Glaubens inhalte. Darstellungen<br />

historischer Vorbilder, mit denen<br />

sich jeder Entwurf eines Sakralbaus<br />

auseinandersetzen muss - und sei es<br />

nur dadurch, dass er sich abgrenzt –<br />

sind auf Einzelfälle beschränkt. Die<br />

historischen Vorbilder, die die Autorin<br />

in der Einleitung anführt, reichen<br />

maximal bis zu Le Corbusiers<br />

Kapelle Notre-Dame-du-Haut in<br />

Ronchamp (1955) zurück. Als reine<br />

Projektsammlung ist „Neue Sakrale<br />

<strong>Architektur</strong>“ indessen durchaus akzeptabel:<br />

Das Buch zeigt erstklassige<br />

<strong>Architektur</strong> und regt dazu an, über<br />

das Thema „Spiritualität“ nachzudenken.<br />

Einen zweiten Überblick mit<br />

vergleichbar weltweitem und interkonfessionellen<br />

Horizont wird man<br />

derzeit vergeblich suchen.<br />

PROCEED AND<br />

BE BOLD<br />

The Rural Studio after<br />

Samuel Mockbee<br />

Andrea Oppenheimer Dean, mit<br />

Fotografien <strong>von</strong> Timothy Hursley<br />

Princeton Architectural Press<br />

2005 ISBN 1-56898-500-2<br />

1992 gründete Samuel Mockbee<br />

im Süden Alabamas eine Institution,<br />

die im wahrsten Wortsinne<br />

Schule machte: Das „Rural Studio“<br />

wurde <strong>von</strong> Kritikern bereits mit<br />

Frank Lloyd Wrights Taliesin West<br />

verglichen. Doch seine Intention<br />

ist eine andere, stärker soziale: Die<br />

Studenten des Rural Studio planen<br />

nicht nur Wohnhäuser und Gemeinschaftsbauten<br />

für die armen, meist<br />

farbigen Bewohner des Hale County,<br />

sie realisieren diese auch selbst und<br />

treiben Sponsorengelder auf. Wiederholt<br />

haben sie in den letzten 13<br />

Jahren bewiesen, dass es möglich ist,<br />

mit 35000 oder 30000, ja, manchmal<br />

mit nur 5000 Dollar funktionierende<br />

und ästhetisch ansprechende<br />

Wohnhäuser zu bauen. „Proceed and<br />

be bold“ dokumentiert die letzten<br />

vier Jahre des Studios seit dem Tode<br />

seines Gründers „Sambo“ Mockbee.<br />

Einzige Schwäche des Buchs ist der<br />

etwas unvermittelte Einstieg: Wer<br />

das Rural Studio nicht kennt und<br />

den vorderen Klappentext überliest,<br />

hat es schwer, mit der Erzählgeschwindigkeit<br />

Schritt zu halten.<br />

Dem Buch eignet etwas <strong>von</strong> der Offenheit<br />

der Leute in Amerikas Süden:<br />

Ohne lange Umschweife kommt Andrea<br />

Oppenheimer Dean auf das Hier<br />

und Jetzt, die Hintergründe interessieren<br />

zunächst wenig. Immer wieder<br />

lässt die Autorin die Betroffenen<br />

selbst sprechen: Mockbees Nachfolger<br />

Andrew Freear, die Tutoren, die<br />

Studenten selbst und ihre Bauherren,<br />

zu denen sie oftmals intensive persönliche<br />

Beziehungen entwickelten.<br />

Die Fotografien <strong>von</strong> Timothy Hursley<br />

dokumentieren den (manchmal<br />

überschießenden) Einfallsreichtum<br />

der Studenten, der sich schon<br />

einmal in Hauswänden aus Teppichfliesen<br />

oder zementgefüllten<br />

Autoreifen ausdrückt. Ein größerer<br />

Kontrast zur manchmal praxisfernen<br />

europäischen <strong>Architektur</strong>ausbildung<br />

ließe sich kaum denken als<br />

das symbiotische Zusammenwirken<br />

<strong>von</strong> Lehrpersonal, Studenten<br />

und lokaler Gesellschaft, das in der<br />

Arbeit des Rural Studio Gestalt angenommen<br />

hat . Deutlich wird aber<br />

auch, wie weit sich das Bauen in Zeiten<br />

der Renommierarchitektur <strong>von</strong><br />

seinen urspränglichen Zielen – dem<br />

Menschen Obdach zu bieten – entfernt<br />

hat. Dennoch, so schreibt die<br />

Autorin, macht sich inzwischen ein<br />

Wandel in der Planungskultur des<br />

Rural Studio bemerkbar: Die Bauten<br />

werden dem Mainstream angepasster,<br />

weniger improvisiert und vor<br />

allem größer. Jüngstes Beispiel ist<br />

ein Seniorenzentrum für mehr als einhundert<br />

Nutzer, das das Rural Studio<br />

in Akron fertig gestellt hat. Wie die<br />

Entwicklung weitergeht? Das weiß<br />

nicht einmal Stephen Freear. Einen<br />

„Masterplan“ für das Rural Studio,<br />

sagt er, hat auch Samuel Mockbee<br />

nie gehabt. Fast ist zu hoffen, dass<br />

die Anteilnahme der Öffentlichkeit<br />

trotz dieses Buchs und mehrerer<br />

Ausstellungen, die die Arbeiten des<br />

Rural Studio zuletzt präsentierten, in<br />

Grenzen hält und diese einzigartige<br />

Institution weiter ungestört ihrer Arbeit<br />

nachgehen kann.<br />

61


BÜCHER<br />

EMPFEHLUNGEN<br />

Architekten empfehlen ihre<br />

Lieblingsbücher in D&A.<br />

1 PAUL DE RUITER<br />

EMPFIEHLT<br />

Olafur Eliasson<br />

Madeleine Grynsztejn u.a.<br />

Phaidon Press 2002<br />

ISBN 071484036X<br />

Der Bildhauer, Installationskünstler<br />

und Fotograf Olafur Eliasson gehört<br />

zu den Stars der aktuellen Kunstszene.<br />

Seine Werke, mit Vorliebe aus<br />

industriellen Materialien wie Stahl<br />

und Spiegelglas hergestellt, sind<br />

Wahrnehmungsmaschinen für Naturphänomene:<br />

Unvergessen blieb<br />

der Welt etwa seine Installation<br />

„Weather Project“ in der Tate Gallery<br />

in London. Das vorliegende Buch beginnt<br />

und endet mit Eliassons eigenen<br />

Worten: In einem 30-seitigen<br />

Interview erläutert er Daniel Birnbaum<br />

die Wesenszüge seiner Kunst,<br />

und im Text „Dear Everybody“ wendet<br />

er sich an die Besucher, die sich<br />

durch seine Installation „The mediated<br />

motion“, die 2001 im Kunsthaus<br />

Bregenz gezeigt wurde. Komplettiert<br />

wird der Band durch eine ausführliche<br />

Werkanalyse <strong>von</strong> Madeleine<br />

Grynsztejn und einen Text des Philosophen<br />

Henri Bergson.<br />

62<br />

Superstudio<br />

Life Without Objects<br />

Peter Lang, William Menking<br />

Skira 2003<br />

ISBN 88-8491-569-4<br />

Die „erste größere Monografie“ (so<br />

der Verlag) der 1966 in Florenz gegründeten<br />

italienischen Architektengruppe<br />

erschien zu der gleichnamigen,<br />

<strong>von</strong> den beiden Autoren kuratierten<br />

Ausstellung im Jahr 2003. Sie<br />

vereint mehr als 200 Projekte und<br />

Zeichnungen <strong>von</strong> Superstudio aus<br />

den sechziger und siebziger Jahren,<br />

aber auch Designobjekte und die polemischen<br />

Statements, die Superstudio<br />

in Form <strong>von</strong> Bildergeschichten<br />

veröffentlichte. Unvergessen geblieben<br />

sind die endlosen, rasterartig gegliederten<br />

Landschaftsvisionen, die<br />

selbstverständlich auch in diesem<br />

Buch nicht fehlen.<br />

1<br />

2 3<br />

Metamorph<br />

K.W. Forster (Herausgeber)<br />

Rizzoli International Publications<br />

2004<br />

ISBN 0847826651 (3 Bände)<br />

Das zentrale Thema der letztjährigen<br />

<strong>Architektur</strong>biennale lautete „Metamorph“<br />

– ein Begriff, mit dem der<br />

Schweizer <strong>Architektur</strong>historiker und<br />

Kurator der Biennale, Kurt W. Forster,<br />

den Formenwandel in der zeitgenössischen<br />

<strong>Architektur</strong> zu fassen<br />

versuchte. Der dreibändige, bei Rizzoli<br />

in New York erschienene Katalog<br />

dokumentiert nicht nur die zentrale<br />

Ausstellung „Metamorph“ mit ihren<br />

200 Bauten und Projekten, sondern<br />

auch die Beiträge in den Länderpavillons<br />

und die zahlreichen Sonderausstellungen<br />

wie „Morphing Lights,<br />

Floating Shadows“ (über <strong>Architektur</strong>fotografie)<br />

oder „Città d’Acqua“<br />

(über Städte am Wasser). Das Buch<br />

ist ein kompakter und inhaltsreicher<br />

Überblick über den derzeitigen Stand<br />

in der Weltarchitektur.<br />

D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />

1 Paul de Ruiter<br />

2 RCR Arquitectes<br />

3 Peter Ippolito<br />

Content<br />

Rem Koolhaas<br />

Taschen Verlag 2004<br />

ISBN 3-8228-30790-4<br />

Es ist billig (in Europa nur 9,99 Euro),<br />

es hat die Anmutung eines Warenhauskatalogs<br />

und steckt voller<br />

Fakten und streitbarer Zukunftsvisionen:<br />

Mit dem Nachfolgebuch <strong>von</strong><br />

„S.M.L.XL“ und „Shopping“ wendet<br />

sich Rem Koolhaas an eine breitere<br />

Öffentlichkeit denn je und entfernt<br />

sich mitunter weit <strong>von</strong> der <strong>Architektur</strong>.<br />

Koolhaas und seine Mitautoren<br />

entführen ihre Leser auf eine enzyklopädische,<br />

<strong>von</strong> West nach Ost gegliederte<br />

Weltreise. Die Zukunft des<br />

Ruhrgebietes, eine künftige europäische<br />

Flagge und die Evolution des<br />

Terrors werden in collagenhaftem,<br />

assoziativem Stil dargestellt. Von<br />

einer Lektüre im klassischen Sinn<br />

kann bei „Content“ somit kaum die<br />

Rede sein; viel eher wird man das<br />

Buch als <strong>Magazin</strong> oder Nachschlagewerk<br />

benutzen.


2<br />

3<br />

RCR ARQUITECTES<br />

EMPFEHLEN<br />

El Croquis 123: Toyo Ito<br />

2001/2005<br />

El Croquis Publishers 2005<br />

Zum wiederholten Mal ist das Werk<br />

des japanischen Architekten Toyo Ito<br />

Thema einer <strong>Ausgabe</strong> der spanischen<br />

Zeitschrift El Croquis. Schwerpunkt<br />

sind diesmal die Projekte der letzten<br />

fünf Jahre; unter anderem die Mediathek<br />

in Sendai, das Matsumoto<br />

Performing Arts Center und die beiden<br />

Pavillons, die Ito 2002 in Brügge<br />

und auf dem Gelände der Londoner<br />

Serpentine Gallery errichtete. Ein Interview<br />

mit dem Architekten komplettiert<br />

den Band.<br />

PETER IPPOLITO<br />

EMPFIEHLT<br />

Xtreme Interiors<br />

Courtenay Smith, Annette Ferrara<br />

Prestel Verlag 2003<br />

ISBN 3-7913-2970-7<br />

2002 erschien im Prestel Verlag das<br />

Buch „Xtreme Houses“ – eine Art<br />

Anthologie architektonischer Experimentierfreude,<br />

die die radikalsten<br />

und ungewöhnlichsten Wohnbauten<br />

der Gegenwart vorstellte und mit<br />

seiner Abwendung vom architektonischen<br />

Mainstream hohe Verkaufszahlen<br />

erreichte. Der Nachfolgeband<br />

heißt „Xtreme Interiors“ und stellt 40<br />

ähnlich ausgefallene Projekte aus<br />

dem Bereich der Innenraumgestaltung<br />

vor. Darunter sind bei weitem<br />

nicht nur Architektenentwürfe; die<br />

Bandbreite reicht vom Do-it-yourself<br />

zur Installationskunst. Zu sehen sind<br />

unter anderem ein Haus aus den<br />

Slums <strong>von</strong> Südafrika, eine Nasa-<br />

Raumkapsel, das erste Big-Brother-<br />

Haus im niederländischen Hilversum<br />

und die Villa eines amerikanischen Sicherheitsexperten,<br />

die einem Hochsicherheitstrakt<br />

gleicht.<br />

Event Cities 3<br />

Concept vs. Context vs. Content<br />

Bernard Tschumi<br />

The MIT Press 2005<br />

ISBN 0262701103<br />

Im Abstand <strong>von</strong> fünf Jahren hat der<br />

gebürtige Schweizer und Wahl-New<br />

Yorker Bernard Tschumi drei Bücher<br />

verfasst, in denen er die Präsentation<br />

seiner Projekte mit architekturtheoretischen<br />

Texten verknüpft.<br />

„Event Cities 3“ zeigt die <strong>Architektur</strong><br />

im Kräftedreieck ihrer wohl wichtigsten<br />

Einflussgrößen: Konzept,<br />

Kontext und Inhalt. Nicht immer, so<br />

sein Fazit, muss notwendigerweise<br />

ein Ausgleich zwischen ihnen gesucht<br />

werden. Die Liste der Projekte<br />

im Buch umfasst unter anderem das<br />

(nun doch nicht gebaute) Akropolis-<br />

Museum in Athen, weitere Museumsprojekte<br />

in Sao Paulo, New York und<br />

Antwerpen, ein Universitätssportzentrum<br />

in Cincinnati und ein spekulatives<br />

Städtebauprojekt in Beijing.<br />

Das Denken des Leibes und der<br />

architektonische Raum<br />

Wolfgang Meisenheimer<br />

Verlag der Buchhandlung Walter<br />

König 2004<br />

ISBN 3-88375-841-8<br />

Wolfgang Meisenheimer beschäftigt<br />

sich seit 30 Jahren mit der<br />

Wechselbeziehung zwischen gebauter<br />

Umwelt und menschlicher<br />

Wahrnehmung. In diesem neuen<br />

Buch unternimmt er den Versuch, die<br />

verschiedenen Ausdrucksformen der<br />

<strong>Architektur</strong> anthropologisch herzuleiten<br />

und so die ethischen Dimensionen<br />

architektonischen Handelns<br />

anzudeuten. Das ansprechend gestaltete<br />

kleine Buch ist keine ganz<br />

leichte Lektüre, aber es vermittelt<br />

auch beim mehrfachen Wieder-<br />

Lesen noch wertvolle Denkanstöße.<br />

L’architecture moderne<br />

depuis 1900<br />

William J.R. Curtis<br />

Phaidon Publishers 2004<br />

ISBN 0714894184<br />

(Englisch:<br />

Modern <strong>Architecture</strong> since 1900<br />

Phaidon Publishers 1996)<br />

Auch in französischer Sprache ist<br />

nun eines der wichtigsten Grundlagenwerke<br />

zur <strong>Architektur</strong> des 20.<br />

Jahrhunderts erschienen. In dem<br />

mit 650 Illustrationen reich bebilderten<br />

Band beschränkt sich der<br />

Autor nicht nur auf die Protagonisten<br />

der Moderne wie Wright, Mies<br />

und Le Corbusier, sondern geht auf<br />

der Suche nach deren Wurzeln bis<br />

ins 18. Jahrhundert zurück. Besonderer<br />

Raum wird „Nebenschauplätzen“<br />

der modernen <strong>Architektur</strong> wie<br />

Indien, Brasilien oder Mexiko eingeräumt,<br />

und auch die Geschichte der<br />

Ideen und Ideale, deren Ausdruck die<br />

<strong>Architektur</strong> war, kommt in der Darstellung<br />

nicht zu kurz.<br />

The Wirtz Gardens<br />

Jacques Wirtz, Patrick Taylor,<br />

Marco Antonio Valdivia<br />

Exhibitions International 2004<br />

ISBN 90-7670-436-8<br />

1950 gründete Jacques Wirtz ein<br />

Büro für Landschaftsarchitektur<br />

im belgischen Schoten. Seitdem ist<br />

Wirtz International zu einem erfolgreichen<br />

Unternehmen herangewachsen,<br />

das Gärten in Europa, Japan und<br />

den USA plant. Im Fokus steht dabei<br />

stets der Dialog mit der umgebenden<br />

<strong>Architektur</strong>; gleich, ob es sich um<br />

einen Universitätscampus, ein Businesscenter<br />

oder die Außenanlagen<br />

eines Museums handelt. Das luxuriöse,<br />

zweibändige Werk stellt 57 private<br />

und öffentliche Gärten vor, <strong>von</strong><br />

denen die meisten zuvor unveröffentlicht<br />

waren. Ein Essay <strong>von</strong> Patrick<br />

Taylor führt den Leser in das Werk<br />

der Landschaftsarchitekten ein.<br />

The Terragni Atlas<br />

Daniel Libeskind, Attilio Terragni &<br />

Paolo Rosselli<br />

Skira 2005<br />

ISBN 8884917328<br />

Giuseppe Terragni (1904-1943) war<br />

die Leitfigur des italienischen Rationalismus;<br />

seine Bauten zählen zu den<br />

wichtigsten Beispielen italienischer<br />

<strong>Architektur</strong> des 20. Jahrhunderts.<br />

Zum einhundertsten Geburtstag<br />

des Architekten präsentieren Daniel<br />

Libeskind, Paolo Rosselli und Attilio<br />

Terragni sein Oeuvre in einer Gegenüberstellung<br />

historischer und zeitgenössischer<br />

Fotografien. Das Buch<br />

lädt den Leser auf eine zeitliche und<br />

räumliche Reise durch Terragnis Bauten<br />

ein. In Ergänzung hierzu schildert<br />

Daniel Libeskind in seinem Beitrag<br />

die wichtigsten Stationen in Terragnis<br />

Werk wie etwa die „Casa del<br />

Fascio“ und das „Novocomum“ und<br />

zeigt auf, wie aktuell Terragni auch<br />

in der heutigen <strong>Architektur</strong>diskussion<br />

noch ist.<br />

63


DAYLIGHT &<br />

ARCHITECTURE<br />

AUSGABE 02<br />

WINTER 2006<br />

LEBENSRÄUME<br />

64

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