Daylight & Architecture | Architektur-Magazin von VELUX, Ausgabe ...
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HERBST 2005 AUSGABE 01 VIELFALT 10 EURO DAYLIGHT & ARCHITECTURE ARCHITEKTURMAGAZIN VON <strong>VELUX</strong><br />
HERBST 2005 AUSGABE 01 VIELFALT 10 EURO<br />
DAYLIGHT &<br />
ARCHITECTURE<br />
ARCHITEKTUR-<br />
MAGAZIN<br />
VON <strong>VELUX</strong>
PORTRÄT VON CHRISTIAN KANDZIA<br />
DAYLIGHT & ARCHITECTURE<br />
ARCHITEKTURMAGAZIN<br />
VON <strong>VELUX</strong><br />
HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
Herausgeber<br />
Michael K. Rasmussen<br />
Redaktionsteam<br />
Christine Bjørnager<br />
Dietmar Danner<br />
Lone Feifer<br />
Axel Friedland<br />
Thomas Geuder<br />
Lotte Nielsen<br />
Katja Pfeiffer<br />
Jakob Schoof<br />
Torben Thyregod<br />
Art Direction & Design<br />
Stockholm Design Lab ®<br />
Kent Nyberg<br />
Sharon Hwang<br />
www.stockholmdesignlab.se<br />
Umschlagbild<br />
Adam Mørk<br />
Recherche & Textredaktion<br />
Gesellschaft für<br />
Knowhow-Transfer<br />
Website<br />
www.velux.de/<strong>Architektur</strong><br />
Auflage<br />
75,000 Exemplare<br />
ISSN 1901-0982<br />
Dieses Werk und seine Beiträge sind<br />
urheberrechtlich geschützt. Jede Wiedergabe,<br />
auch auszugsweise, bedarf der<br />
Zustimmung der <strong>VELUX</strong> Gruppe.<br />
Die Beiträge in <strong>Daylight</strong> & <strong>Architecture</strong><br />
geben die Meinung der Autoren wieder.<br />
Sie entsprechen nicht notwendigerweise<br />
den Ansichten <strong>von</strong> <strong>VELUX</strong> A/S.<br />
© 2005 <strong>VELUX</strong> Gruppe<br />
∏ <strong>VELUX</strong> und das <strong>VELUX</strong> Logo sind<br />
registrierte Markenzeichen mit Lizenz<br />
der <strong>VELUX</strong> Gruppe.
DISKURS<br />
VON GÜNTER<br />
BEHNISCH<br />
Mehr über die <strong>Architektur</strong> <strong>von</strong> Günter<br />
Behnisch lesen Sie im Artikel „Akademie<br />
der Künste Berlin“ ab Seite 14.<br />
Vielfalt, das ist nicht das Viele, was ja recht willkürlich sein kann.<br />
Vielfalt ist mehr: Vielfalt beinhaltet Einheit.<br />
Und auch Einheit ist mehr als eins, auf welches man sich beschränken<br />
kann. Einheit wird sichtbar in der Vielfalt, setzt diese<br />
also voraus. Die vielen Falten eines Gewandes sind ein Bild, in dem<br />
dieses Problem sichtbar wird.<br />
Unsere Welt sei monoton? Das ist schwer zu glauben. Sie wird<br />
wohl eher monoton gesehen und monoton gemacht. Eins oder<br />
weniges überdeckt dabei das Vielfältige: Zum Beispiel die Rentierlichkeit<br />
des eingesetzten Geldes oder auch nur das Funktionieren<br />
des Apparates. Wer sich an diesen Aspekten in seiner<br />
Arbeit orientiert und die vielen anderen Aspekte dabei übersieht,<br />
dessen Arbeit wird monoton sein.<br />
Solche sicher recht mächtigen und oft monumentalen Kräfte<br />
sind nicht einmal besonders sorgebedürftig; ohnehin werden sie<br />
<strong>von</strong> anderen mit Macht vertreten. Anderes wartet darauf, dass<br />
wir uns seiner annehmen, zum Beispiel: Ökologie, der Andere, das<br />
Kind, Menschen, Arbeitsweisen, Zusammenleben und vieles<br />
andere mehr. Möglichst viele dieser zahllosen, ohne uns nicht<br />
vertretenen Seiten der Aufgabe – die uns dadurch täuscht, dass<br />
sie in einem Begriff wie etwa „Krankenhaus“ auf uns zukommt –<br />
können wir aufdecken und ergründen. Den verborgenen, in<br />
unserer Realität unterpriviliegierten Kräften können wir helfen,<br />
zum Wort und zu ihrer sichtbaren Gestalt zu kommen.<br />
Je mehr solcher Aspekte wir erkennen, zum so vielfältiger<br />
sehen wir die Aufgabe, um so vielfältiger wird in der Konsequenz<br />
auch die architektonische Gestalt erscheinen. Zusätzliche Harmonisierungen<br />
– etwa mathematischer, geometrischer, formaler<br />
oder anderer Art – sind dann nicht erforderlich.<br />
Sicher ist es eine besondere Qualität auch architektonischer<br />
Werke, wenn sie immer neu und anders und vielfältig und nie<br />
endgültig verstanden und gedeutet werden können. Diese Art<br />
der <strong>Architektur</strong> ist ein Spiegel der unserer Welt zugehörenden<br />
Vielfalt und unserer Sorge um diese.<br />
1
<strong>VELUX</strong> EDITORIAL<br />
WILLKOMMEN BEI<br />
DAYLIGHT & ARCHITECTURE,<br />
DEM ARCHITEKTURMAGAZIN<br />
VON <strong>VELUX</strong><br />
HERBST 2005<br />
AUSGABE 01<br />
1 Diskurs <strong>von</strong> Günter Behnisch<br />
2 <strong>VELUX</strong> Editorial<br />
3 Inhalt<br />
4 Jetzt<br />
8 Mensch und <strong>Architektur</strong><br />
Glas in der <strong>Architektur</strong><br />
14 Tageslicht<br />
Akademie der Künste Berlin<br />
26 Reflektionen<br />
Schule des Sehens<br />
32 Licht Europas<br />
Österlen, Schweden<br />
36 Tageslicht im Detail<br />
Glas als tragendes Material<br />
40 <strong>VELUX</strong> Einblicke<br />
Der Sonne entgegen<br />
48 <strong>VELUX</strong> Panorama<br />
Lichtfänger<br />
Mit der Natur gebaut<br />
Schwarz und schlank<br />
Häuser am Anger<br />
57 <strong>VELUX</strong> Dialog<br />
Claes Cho Heske Ekornås<br />
60 Bücher<br />
Rezensionen<br />
Empfehlungen<br />
64 Vorschau<br />
2<br />
In der <strong>Architektur</strong> spielt der Umgang mit dem Tageslicht<br />
eine immer wichtigere Rolle. Unsere Leidenschaft<br />
für Licht möchten wir gerne mit Ihnen teilen.<br />
Aktuelle Themen und Ideen rund um das Tageslicht<br />
und seiner Bedeutung für die Gestaltung <strong>von</strong> Lebens-<br />
und Wohnqualität in der <strong>Architektur</strong> bilden<br />
den Kern des Ihnen vorliegenden neuen <strong>Architektur</strong>magazins<br />
<strong>von</strong> <strong>VELUX</strong>. Als internationaler Hersteller<br />
<strong>von</strong> Dachfenstern und Oberlichtsystemen<br />
ist es uns natürlich auch wichtig, unsere Vorstellungen<br />
und unsere Produkte in der <strong>Architektur</strong> zur<br />
Diskussion zu stellen und über den Dialog dem Tageslicht<br />
bei Entwurf und Planung <strong>von</strong> <strong>Architektur</strong><br />
einen höheren Stellenwert verleihen.<br />
Unser Gründer Villum Kann Rasmussen entwickelte<br />
1942 das Dachfenster. Er gab seinem<br />
Unternehmen den Namen VE LUX, eine Kurzform<br />
der Worte „ventilation” (Belüftung) und „lux”<br />
(Licht). Ein Teil seiner ursprünglichen Vision lautete,<br />
ehemals dunkle Dachböden mit Hilfe <strong>von</strong><br />
Tageslicht und frischer Luft in besonders lebenswerten<br />
und preiswerten Wohnraum unter geneigten<br />
Dächern zu verwandeln. In den ersten Jahren<br />
<strong>von</strong> <strong>VELUX</strong> verbrachte er viel Zeit mit Architekten<br />
und anderen Planern, um ihnen sein Konzept und<br />
seine Produkte vorzustellen. Damit setzte er einen<br />
INHALT<br />
4<br />
8<br />
JETZT<br />
D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
Eckpfeiler der Strategie, die wir heute verfolgen:<br />
einen engagierten Dialog mit Architekten über<br />
Tageslicht zu führen, und die architektonische<br />
Bedeutung unserer Produkte zu suchen und zu<br />
stärken. Wir sehen unser Alltagsgeschäft eng mit<br />
dem Entwurf <strong>von</strong> Gebäuden verbunden. Unser<br />
vorrangiges Ziel ist hierbei der Fokus auf Tageslicht<br />
und frische Luft als Grundlagen besserer<br />
Lebensbedingungen für die Menschen.<br />
Dieses Ziel ist die Grundlage, auf der wir Ihnen<br />
„<strong>Daylight</strong> & <strong>Architecture</strong>“ präsentieren.<br />
In dieser und in den kommenden <strong>Ausgabe</strong>n<br />
werden wir versuchen, Themen und Ansichten<br />
über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft<br />
der <strong>Architektur</strong> mit Tageslicht und frischer Luft<br />
zu präsentieren. Dadurch stellen wir eine Plattform<br />
für den Dialog zwischen Planern zur Verfügung,<br />
in dem wir offene Fragen stellen werden,<br />
anstatt vorgefertigte Antworten zu geben und<br />
Aussagen zu treffen. Wir hoffen, dass wir hierdurch<br />
den <strong>Architektur</strong>diskurs, speziell über Tageslicht,<br />
anregen und voranbringen werden.<br />
Viel Spaß beim Lesen – und bitte besuchen<br />
Sie unsere Website www.velux.de/<strong>Architektur</strong><br />
für weitere Informationen.<br />
Die ganze Vielfalt des Tageslichts: Olafur Eliasson<br />
entwirft drei Lichtskulpturen für die neue Kopenhagener<br />
Oper. Peter Eisenman bespielt die Ausstellungshalle<br />
des MAK in Wien und Berlin hat die<br />
Lichtplaner Europas zu Gast. Außerdem: Tische, die<br />
im Dunkeln leuchten – ganz ohne Stromanschluss.<br />
MENSCH<br />
UND ARCHITEKTUR<br />
GLAS IN<br />
DER ARCHITEKTUR<br />
Glas war Zeichen <strong>von</strong> Luxus, Medium christlicher<br />
Heilserzählungen, Symbol für Fortschritt und Ausweis<br />
demokratischer Grundhaltung. Seit mehr als<br />
3500 Jahren fasziniert es Künstler und Architekten<br />
gleichermaßen. Michael Wigginton erzählt<br />
die Geschichte eines Materials, das so vielfältig<br />
ist wie die <strong>Architektur</strong> selbst.
14<br />
40<br />
<strong>VELUX</strong> PANORAMA<br />
Ein schlanker Wohnturm auf der Schweizer Alp.<br />
Ein Haus mit Panoramablick am Fuße der Pyrenäen.<br />
Und eine Reihenhaussiedlung in Dänemark,<br />
in der Kinder eigentlich nicht erwünscht waren –<br />
und dann doch eingezogen sind. Gemeinsam sind<br />
ihnen ihre abwechslungsreichen Außenbezüge<br />
und die großzügige Belichtung der inneren Räume<br />
durch Dachflächenfenster.<br />
TAGESLICHT<br />
AKADEMIE DER KÜNSTE<br />
BERLIN<br />
Große Kunst hinter glatter Glasfassade: Kaum ein<br />
Gebäude wurde in Deutschland so kontrovers diskutiert<br />
wie die neue Berliner Akademie der Künste<br />
<strong>von</strong> Günter Behnisch. Jetzt, da die Baugerüste<br />
fort sind, offenbart sich das virtuose Spiel des<br />
deutschen Altmeisters mit dem Tageslicht – und<br />
die räumliche Vielfalt des Neubaus, die seiner Abneigung<br />
gegen das Monumentale entspringt.<br />
26<br />
<strong>VELUX</strong> EINBLICKE<br />
DER SONNE ENTGEGEN<br />
ARMADA<br />
Das Wohnbauprojekt der britischen Architekten<br />
Building Design Partnership in s’-Hertogenbosch<br />
überzeugt gleich vierfach: Es „schenkt“ der Stadt<br />
ein ehemaliges Industriequartier zurück, schafft<br />
vielfältig nutzbaren Wohnraum, verhandelt Öffentliches<br />
mit Privatem auf engstem Raum und<br />
erzeugt Identifikation beim Nutzer durch seine<br />
abwechslungsreiche Form. Grund genug, es 2004<br />
mit dem Publikumspreis der Niederländischen<br />
Architektenkammer auszuzeichnen.<br />
48<br />
REFLEKTIONEN<br />
SCHULE<br />
DES SEHENS<br />
Olafur Eliasson wird oft als Lichtkünstler bezeichnet.<br />
Doch der 1967 geborene Däne beherrscht mehr<br />
als nur die Klaviatur <strong>von</strong> Tages- und Kunstlicht, Lichtfarben<br />
und Reflexionen. Er lädt den Betrachter ein,<br />
seine eigene Wahrnehmung zu befragen und sich<br />
selbst „sehen zu sehen“ („to see himself seeing“).<br />
50<br />
3
FOTO VON ADAM MØRK JETZT<br />
Was <strong>Architektur</strong> bewegt: Veranstaltungen,<br />
Wettbewerbe und ausgewählte Neuentwicklungen<br />
rund um das Thema Tageslicht.<br />
4 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
LICHTSKULPTUREN<br />
IN DER OPER<br />
KOPENHAGEN<br />
Der dänische Licht- und Installationskünstler<br />
Olafur Eliasson (Jahrgang<br />
1967) hat seiner ehemaligen Heimatstadt<br />
Kopenhagen ein Kunstwerk<br />
der besonderen Art hinterlassen: Im<br />
Foyer der neuen, <strong>von</strong> Henning Larsen<br />
entworfenen Oper hängen drei voluminöse<br />
Lichtskulpturen rund drei<br />
Meter über den Köpfen der Besucher.<br />
Jede der drei Kristallkugeln hat einen<br />
Durchmesser <strong>von</strong> 285 Zentimetern<br />
und besteht aus 1430 Stücken eines<br />
Spezialglases mit Farbfilter-Effekt.<br />
Im Tageslicht funkeln die Leuchtkugeln<br />
im Farbspektrum zwischen Blau<br />
und Violett. Nachts werden sie, erhellt<br />
<strong>von</strong> je 330 20-Watt-Halogenglühlampen,<br />
selbst zu Lichtquellen<br />
und erfüllen das weitläufige Foyer<br />
mit einem Hauch <strong>von</strong> Glamour.<br />
Olafur Eliasson beschäftigt sich<br />
seit mehreren Jahren systematisch<br />
mit Kristallstrukturen. Die facettierte<br />
Oberfläche der Kronleuchter,<br />
eine Struktur aus konvexen und konkaven<br />
Rauten, kehrt ähnlich auch in<br />
Eliassons zweitem aktuellen Opernprojekt<br />
wieder. Für das Foyer der<br />
neuen Oper in Oslo (geplante Fertigstellung:<br />
2007) entwarf er eine<br />
Wandverkleidung aus rautenförmigen<br />
Holzelementen. Eliasson zufolge<br />
repräsentiert die Rautenstruktur das<br />
Wachstum <strong>von</strong> Eiskristallen, Wellen<br />
auf einer Wasseroberfläche oder<br />
Schallwellen, wie sie <strong>von</strong> brechendem<br />
Eis hervorgerufen werden. Exakt<br />
legt sich der Künstler dabei nicht fest<br />
– statt als Botschaft an den Betrachter<br />
sieht er seine Arbeiten als Angebot,<br />
eigene Wahrnehmungen und<br />
Sinneserfahrungen zu machen.<br />
Mehr über die Arbeiten Olafur Eliassons<br />
erfahren Sie im Beitrag „Schule<br />
des Sehens“ ab Seite 26.
FOTOS VON WOLFGANG WÖSSNER/MAK PORTRÄT VON EISENMAN ARCHITECTS<br />
„... die leeren Säulenkörper sind die<br />
einzige Lichtquelle; sie ragen über<br />
die abgesenkte Decke hinaus und<br />
fangen das Licht <strong>von</strong> den Oberlichtern<br />
darüber ein. Dass die Säulen<br />
zwei Zentimeter vom Boden<br />
abgehoben sind, um darunter das<br />
Licht heraussickern zu lassen,<br />
verdeutlicht ihre Unnotwendigkeit<br />
als tragende Bauteile.“<br />
Peter Eisenman im Ausstellungskatalog<br />
„BARFUSS AUF WEISS-<br />
GLÜHENDEN MAUERN“<br />
PETER EISENMAN IM<br />
MAK IN WIEN<br />
Das Museum für Angewandte Kunst<br />
(MAK) in Wien pflegt eine besondere<br />
Art der Zusammenarbeit mit<br />
zeitgenössischen Künstlern: Es initiiert<br />
Ausstellungen, die mehr sind als<br />
bloße Werkschauen, sondern zeitweilige<br />
Eingriffe in die Bausubstanz<br />
des Museums selbst darstellen. Zum<br />
zweiten Mal nach Zaha Hadid 2003<br />
hinterließ nun ein Architekt seine<br />
Spuren in der Ausstellungshalle des<br />
MAK: Peter Eisenman, der Denker<br />
und Kritiker unter den Architekten,<br />
überlagerte die historische <strong>Architektur</strong><br />
des Raums mit 30 als „Säulen“<br />
bezeichneten kleinen Ausstellungskabinetten<br />
und einer nur 2,55 Meter<br />
hohen Zwischendecke. „A transforming<br />
exhibition, sparse and hard hitting“,<br />
charakterisierte Eisenman die<br />
MAK-Schau. Wie stets hat er es auf<br />
die Irritation des Besuchers angelegt:<br />
Die Halle selbst ist dunkel; einzige<br />
Lichtquellen sind die Säulen (die<br />
„weiß glühenden Mauern“ des Ausstellungstitels),<br />
die die Zwischendecke<br />
durchdringen und das <strong>von</strong> oben<br />
einfallende Licht auffangen. In jedem<br />
Kubus präsentierte Eisenman eines<br />
seiner Werke in Form eines dreidimensionalen<br />
„Diagramms“. Diese<br />
konzeptionellen Skulpturen wurden<br />
zum größten Teil eigens für die MAK-<br />
Ausstellung angefertigt. Lediglich<br />
vier Projekte wurden durch klassische<br />
Modelle dargestellt: die „Ciudad<br />
de la Cultura de Galicia“ in Santiago<br />
de Compostela (im Bau seit 1999)<br />
und die Entwürfe für das Musée du<br />
Quai Branly in Paris (1999), die FSM<br />
Towers in New York (2001) und den<br />
Hochgeschwindigkeitsbahnhof in<br />
Neapel (2003).<br />
5
FOTO VON DERIX GLASSTUDIOS<br />
NEUE FENSTER FÜR<br />
GROUND ZERO<br />
Zeigt es nun eine fremdartige Blüte<br />
– oder doch eine Explosion? Wahrscheinlich<br />
steckt in beiden Interpretationen<br />
des neuen Farbfensters,<br />
das der amerikanische Künstler Guy<br />
Kemper für die St. Joseph’s Chapel<br />
in New York entworfen hat, ein wahrer<br />
Kern.<br />
Die unmittelbar am „Ground Zero“<br />
gelegene Kapelle hatte nach dem Attentat<br />
zunächst der New Yorker Feuerwehr<br />
als Einsatzstelle gedient und<br />
ist nun wieder für seinen eigentlichen<br />
Zweck hergerichtet worden. Das rund<br />
30000 Dollar teure, 6 x 2,60 Meter<br />
große Fenster wurde <strong>von</strong> den Derix<br />
Glasstudios in Taunusstein/Deutschland<br />
hergestellt. Es setzt sich aus<br />
60 x 80 Zentimeter großen und drei<br />
bis vier Millimeter dicken, mundgeblasenen<br />
Einzelscheiben zusammen.<br />
Um vor allem den roten Farbtönen<br />
besondere Leuchtkraft und großen<br />
Variantenreichtum zu geben,<br />
verwendeten die Glasmaler rotes<br />
Überfangglas, dessen Deckschicht<br />
teilweise weggeätzt wurde. Auf<br />
diese Weise erzielten sie unterschiedliche<br />
Rosa-Töne oder – an Stellen,<br />
an denen die Deckschicht ganz<br />
entfernt wurde – klares Glas. Die<br />
übrigen Farben wurden in traditioneller<br />
Maltechnik aufgebracht und<br />
auf die Fensterscheiben abschließend<br />
zur Stabilisierung eine Schicht<br />
Klarglas aufgeklebt.<br />
KRISTALLKUPPEL IM<br />
NEUEN LICHT<br />
Helle Sterne verglühen rasch: Bruno<br />
Tauts Glaspavillon auf der Ausstellung<br />
des Deutschen Werkbunds in<br />
Köln 1914 war nur wenige Wochen<br />
lang geöffnet, dann erzwang der Beginn<br />
des Ersten Weltkriegs die Schließung<br />
der Ausstellung. „Das Glashaus<br />
hat keinen anderen Zweck, als schön<br />
zu sein“, schrieb Taut Anfang 1914<br />
über sein Bauwerk; und sein Freund,<br />
der Dichter Paul Scheerbart, dichtete<br />
dem Bauwerk die vielzitierten<br />
Verse an: „Ohne einen Glaspalast /<br />
ist das Leben eine Last.“<br />
Mehr als 80 Jahre später haben<br />
der Erfinder Günther Kunz und die<br />
Architektin Anja Brüll den Glaspavillon<br />
zu neuem Leben erweckt. Im Park<br />
der Wasserburg „Chateau de Graaf“<br />
im belgischen Montzen wurde Ende<br />
August ein Glaskuppelbau eingeweiht,<br />
der auf dem gleichen geometrischen<br />
Prinzip basiert wie Bruno<br />
Tauts Kuppelbau. Von innen gesehen,<br />
erinnert die rhomboedrische<br />
Kuppel mit ihren schmalen Rippen<br />
an die Blätter einer Blüte. Es handelt<br />
6 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
sich dabei um eine freie Interpretation,<br />
wie die Entwerfer betonen:<br />
Das Original bestand aus einem Eisenbetonskelett<br />
mit Ausfachung aus<br />
Luxfer-Prismen, die „die einfallende<br />
Taghelligkeit in ein mildes, schattenloses<br />
Streulicht verwandelten“, so<br />
ein zeitgenössischer Pressebericht.<br />
Der Nachbau besitzt ein Holzskelett<br />
mit Ausfachung aus einfachem Sonnenschutzglas<br />
und Silikondichtung.<br />
Dennoch gibt er einen Eindruck <strong>von</strong><br />
der Pracht des Taut’schen Glaspavillons<br />
und dessen Veränderung im Tagesverlauf:<br />
Bei schlechtem Wetter<br />
nehmen die spiegelnden Facetten der<br />
Kuppel eine grünlich-gelbe Färbung<br />
an, die dem Glaspavillon seinerzeit<br />
den Spitznamen „Spargelkopf“ eintrug;<br />
bei klarem Wetter spiegeln sie<br />
das reine Blau des Himmels.<br />
Der Glaspavillon im Chateau de<br />
Montzen ist nach Absprache zu besichtigen.<br />
Weitere Informationen<br />
gibt es im Internet unter www.subvision.net/sub/chateau-graaf.
FOTOS VON LUKAS ROTH<br />
NACHLEUCHTENDES GLAS<br />
Die deutschen Designer gruppe RE<br />
und der österreichische Glasveredler<br />
Glas-Eckelt haben ein Spezialglas<br />
entwickelt, das im Dunkeln<br />
nachleuchtet. Verantwortlich hierfür<br />
ist ein glaskeramischer Überzug,<br />
der in der Lage ist, Tages- und Kunstlicht<br />
zu speichern. Eine erste Anwendung<br />
fand das Glas im Glastisch<br />
„floral“, für den die gruppe RE beim<br />
Designwettbewerb „Design for Europe“<br />
2004 in Kortrijk ausgezeichnet<br />
wurde.<br />
Das Leuchtglas, ein Einscheiben-<br />
Sicherheitsglas, kann auf zweierlei<br />
Arten aktiviert werden: durch nicht<br />
sichtbares UV-Licht und durch sichtbares<br />
Kunst- oder Tageslicht. Bei der<br />
Aktivierung mit UV-Licht erreicht<br />
das Glas eine homogene Leuchtdichte<br />
<strong>von</strong> rund 60 cd/m 2 bei einem<br />
Betrachtungsabstand <strong>von</strong> 50 Zentimetern.<br />
Wird das Glas mit Tages-<br />
oder Kunstlicht aktiviert, leuchtet<br />
es bis zu zehn Stunden nach. Die keramische<br />
Einbrennfarbe lässt sich<br />
durch alle gängigen Verarbeitungs-<br />
methoden wie Walzen, Spritzen<br />
oder Drucken aufbringen. Gestalterisch<br />
sind dem neuen Glas kaum<br />
Grenzen gesetzt: Es eignet sich für<br />
den Möbelbau, als Wandverkleidung,<br />
für Trennwände oder Fassaden. Das<br />
europaweit durch die gruppe RE patentierte<br />
Glas wird <strong>von</strong> Glas Eckelt<br />
vertrieben und ist als Isolierglas oder<br />
Verbundsicherheitsglas erhältlich.<br />
FOTO VON CHRISTIAN RICHTERS<br />
SCHAUFENSTERBLICK AUF PORTO<br />
Ein außergewöhnlicher Anblick – und<br />
einzigartige Ausblicke: Die Casa da<br />
Música, das neue Konzerthaus <strong>von</strong><br />
Porto, bietet beides.<br />
Der „Meteorit“, wie der Neubau<br />
des Rotterdamer <strong>Architektur</strong>büros<br />
OMA im Volksmund längst genannt<br />
wird, öffnet sich über drei ungewöhnliche<br />
„Schaufenster“ zur Stadt.<br />
Sie sind 14 x 9 Meter, 22 x 12 Meter<br />
und 22 x 15 Meter groß und erhielten<br />
keine herkömmliche Verglasung,<br />
sondern gewellte Glaspaneele. Die<br />
Scheiben sind in dieser Dimension<br />
eine Weltneuheit und wurden <strong>von</strong><br />
OMA gemeinsam mit dem Ingenieurbüro<br />
ABT und Robert Jan van Santen<br />
entwickelt.<br />
Aus der Ferne gesehen, verschleiern<br />
sie den Blick in den Innenraum. Die<br />
Konzertbesucher, die innen direkt vor<br />
der Scheibe stehen, genießen dagegen<br />
einen fast unverzerrten Ausblick.<br />
Zwei der Riesenfenster liegen vor den<br />
Stirnseiten des großen Konzertsaals.<br />
Aus Schallschutzgründen und um im<br />
Zwischenaum einen Fluchtweg zu<br />
integrieren, wurden sie zweischalig<br />
konstruiert; die äußere Scheibe besteht<br />
aus 2 x 10 Millimeter dickem<br />
und die innere aus 2 x 6 Millimeter<br />
dickem Glas. Abgehängte, horizontal<br />
angebrachte Fachverkträger nehmen<br />
die Windlasten auf und dienen außerdem<br />
als Verbindungsprofile für die je<br />
1,2 x 4,5 Meter großen Glasscheiben.<br />
7
UND ARCHITEKTUR<br />
GLAS IN<br />
DER ARCHITEKTUR<br />
FOTO VON RUPERT TRUMAN MENSCH<br />
Oben Das Palmenhaus der Royal<br />
Botanical Gardens in Kew/<br />
London wurde 1845–1848 <strong>von</strong><br />
Richard Turner und Decimus<br />
Burton errichtet. Mit den großen<br />
Gewächs häusern des 19. Jahr-<br />
8<br />
Der Mensch als Mittelpunkt der <strong>Architektur</strong>:<br />
Innenansichten einer wechselvollen Beziehung.<br />
hunderts erreicht die Glashausarchitektur<br />
erstmals einen<br />
eigenen, ingenieurmäßigen und<br />
nicht durch klassizistische Vorbilder<br />
beeinflussten Ausdruck.
Text <strong>von</strong> Michael Wigginton.<br />
Glas in der <strong>Architektur</strong> bedeutet Licht und<br />
Leben, Macht und Spiritualität, Utopie und<br />
Ideologie. Michael Wigginton erzählt die<br />
Geschichte eines Materials, dessen Potenziale<br />
noch lange nicht ausgeschöpft sind.<br />
Vor etwa 4000 Jahren wurde ein außergewöhnliches neues<br />
Material entdeckt, das die <strong>Architektur</strong> revolutionieren sollte.<br />
Wann und wie diese Entdeckung gemacht wurde, ist reine Spekulation,<br />
doch wir können uns leicht einen Töpfer vorstellen, der an<br />
einem Brennofen am Ufer eines Flusses in Mesopotamien sitzt<br />
und eine glänzende Substanz an der Stelle bemerkt, wo die heiße<br />
Kohle des Ofens auf den Sand gefallen ist. Seit dieser Entdeck ung<br />
vergingen Jahrhunderte mit technischen Experimen ten, aus<br />
denen eines der wichtigsten Materialien der Men sch heits ge schichte<br />
hervorging; ein Material, das aus einem in der Erdkruste im<br />
Überfl uss vorhandenen Element, Silizium, besteht und das die<br />
bemerkenswerte Eigenschaft hat, das Licht der Sonne, des Le -<br />
bensspenders unseres Planeten, hindurchzulassen, wenn es ge schmolzen<br />
und sorgfältig gekühlt wird. Dieses Material war Glas.<br />
Die Entdeckung der Materialeigenschaften und der Formgebung<br />
<strong>von</strong> Glas war ein extrem langsamer Prozess. Menschengemachtes<br />
Glas trat zuerst in Form <strong>von</strong> Glasperlen auf.<br />
Jahrhunderte später führte die Entdeckung, dass Glas in sehr<br />
heißem Zustand dickfl üssig ist, zur sogenannten „Sandkernmethode“<br />
für Hohlgefäße, bei der Fäden geschmolzenen Glases<br />
um einen Kern gewickelt wurden. Um 1500 v. chr. gab es in<br />
Ägypten eine Glasindustrie, die Behälter und dekorative Produkte<br />
in enormer Fülle und Vielfalt schuf. Diese wurde <strong>von</strong><br />
Alexander dem Großen im Jahre 332 v. chr. durch die Gründung<br />
einer Glasindustrie in Alexandria noch ausgebaut.<br />
Um 750 v. chr. fand man heraus, dass Glas mithilfe eines<br />
Rohrs geblasen werden konnte, wodurch sich das Glas sehr dünn<br />
und vor allem gleichmäßig stark herstellen ließ. Die Grundlage<br />
für die Herstellung moderner Fenster war gelegt. Das außergewöhnliche<br />
harte, transparente und formbare Material konnte<br />
als Baustoff genutzt werden, um Gebäude wetterfest zu machen,<br />
während es gleichzeitig Licht und Sicht bot.<br />
Es ist bemerkenswert, dass die Entwicklung des Fensters<br />
selbst noch fast 3000 Jahre bis zur Vollendung brauchte. Die<br />
Römer, die Ägypten eroberten und Glas als Tribut akzeptierten,<br />
lebten in demselben mediterranen Klima wie die Griechen und<br />
Ägypter vor ihnen. Zwar verwendeten sie Glas für Fensteröff -<br />
nungen und entwickelten Methoden zur Aufzucht <strong>von</strong> Pfl anzen<br />
außerhalb der Saison in Konstruktionen ähnlich unserer<br />
heutigen Frühbeete, doch machte das Klima Fenster im eigentlichen<br />
Sinne nicht erforderlich.<br />
Vor 1000 Jahren entstand in Frankreich die Notwendigkeit<br />
einer neuen Art zu bauen. Die europäische <strong>Architektur</strong> – vor<br />
allem die großen Bauwerke, die <strong>von</strong> <strong>Architektur</strong>historikern<br />
untersucht werden – leitete sich bis dato im Wesentlichen <strong>von</strong><br />
den massiven Bauformen der südeuropäischen Romanik ab,<br />
die ihre Wurzeln (auch die ihres Namens) wiederum in den<br />
mächtigen Vorläufern des antiken Rom hatte.<br />
Der romanische Baustil war eine <strong>Architektur</strong> massiver<br />
Wände, riesiger Bögen und kleiner Fenster. Sie war aus der<br />
Notwendigkeit heraus entstanden, große Volumen in einem<br />
warmen Klima zu schaff en. Die massiven Außenmauern der<br />
romanischen Kirchen hielten die Temperatur im Inneren konstant;<br />
die kleinen Fenster veränderten und kontrollierten das<br />
im Übermaß vorhandene Tageslicht.<br />
das erste glaszeitalter: gotische kathedralbaukunst<br />
Für die Äbte und Bischöfe im nördlichen Europa war dies an<br />
der Wende des ersten christlichen Jahrtausends nicht genug. Sie<br />
wollten noch größer bauen, um größere Laiengemeinden (eine<br />
wesentliche Quelle <strong>von</strong> Geld und geistiger Loyalität) in den Kirchen<br />
aufnehmen und den Klang der gregorianischen Gesänge<br />
in seiner ganzen Fülle ausschöpfen zu können. In einem langsamen,<br />
empirischen Prozess wurden Konstruktionen für Gewölbe<br />
aus Stein – einem Material, das nur für druckbelastete Bauteile<br />
effi zient einsetzbar ist – und Raumgeometrien entwickelt, die<br />
sich <strong>von</strong> den Einschränkungen der romanischen Tonnenbögen<br />
frei machten. Der gotische Rahmen, eine hervorragende<br />
Konstruktion für große Spannweiten, sowie die Notwendigkeit,<br />
Ausfachungen für die darin entstandenen Öff nungen zu<br />
entwickeln, führten zu einer Nachfrage nach lichtdurchlässigen<br />
und leichten Membranen. Die erste Glasarchitektur in der<br />
Geschichte der Menschheit war geboren.<br />
Doch nicht Transparenz im Sinne <strong>von</strong> Durchsicht war das<br />
primäre Ziel der Kirchen- und Kathedralenerbauer des Mittelalters.<br />
Ihre Intention war, Licht in das Innere ihrer riesigen<br />
Bauwerke zu bringen und die Farbenfülle zu nutzen, die Glas<br />
schon immer zu eigen gewesen war. Geschichten aus der Bibel<br />
wurden mit riesigen Bildern erzählt, die <strong>von</strong> hinten durch die<br />
unerschöpfl iche Quelle des Himmels beleuchtet wurden, viel<br />
größer und mächtiger, als dies durch Gemälde hätte vermittelt<br />
werden können. Die Handwerkskunst der meist aus den Mit-<br />
D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
9
FOTO VON MARGHERITA SPILUTTINI<br />
telmeerländern eingewanderten Glasmacher und Glaser ließ<br />
eine neue <strong>Architektur</strong>form entstehen, die sich durch enorme<br />
Flächen gefärbten und bemalten Glases auszeichnete. Das Ostfenster<br />
des Münsters <strong>von</strong> York hat die Größe eines Tennisplatzes<br />
und besteht aus Tausenden <strong>von</strong> Einzelscheiben, die nicht<br />
etwa Transparenz (es bestand nicht die Notwendigkeit, nach<br />
draußen oder drinnen zu blicken), sondern ein schimmerndes<br />
Gemälde erzeugen. Die zwischen 1243 und 1248 erbaute<br />
Sainte Chapelle in Paris stellt eine außergewöhnliche Verfeinerung<br />
der gotischen Glaserkunst dar, mit steinernen Mittelpfosten,<br />
die fast so dünn wie Metall sind.<br />
Die mittelalterliche Kathedralenarchitektur war im Wesentlichen<br />
ein nordeuropäisches Unterfangen, und es verwundert<br />
nicht, dass sie noch lange, nachdem es durch die Bewohner<br />
sonnigerer Landstriche zu neuen architektonischen Denkmustern<br />
kam, gebaut und weiterentwickelt wurde. Im 11. Jahrhundert,<br />
also gleichzeitig mit der Gotik in Nordeuropa, entstand<br />
in Florenz die Protorenaissance-<strong>Architektur</strong>. Bramante arbeitete<br />
im frühen 16. Jahrhundert an St. Peter in Rom, während<br />
zur gleichen Zeit Heinrich VII die King’s College Chapel in<br />
Cambridge und Westminster Abbey bauen ließ, zwei der letzten<br />
großen gotischen Bauwerke in England.<br />
Als die Renaissance nach Nordeuropa vordrang, nutzte eine<br />
neue Generation <strong>von</strong> Bauherren Glas zur Zurschaustellung ihres<br />
Reichtums in der <strong>Architektur</strong>. Während Durchsichtigkeit in<br />
den meisten gotischen Kirchen keine große Rolle spielte, erforderten<br />
die großen Häuser der nordeuropäischen Aristokratie<br />
des 16. Jahrhunderts Ausblicke. Gebäude wie Hardwick Hall,<br />
über die der zeitgenössische Ausspruch „mehr Glas als Wand“<br />
überliefert ist, waren die säkularen Erben der großartigen gotischen<br />
Glasarchitektur. Hardwick Hall war, wie die meisten der<br />
englischen „Prodigy Houses“ der elisabethanischen Periode, als<br />
Wohnhaus äußerst ungemütlich: im Winter zu kalt und im Sommer<br />
auf der Südseite viel zu heiß. Die einzige Möglichkeit für<br />
die Bewohner, in solch einem Gebäude zu überleben, bestand<br />
darin, im Haus entsprechend der jeweiligen Jahreszeit umzuziehen.<br />
Die ästhetischen Überlegungen bei der Glasarchitektur<br />
waren weit wichtiger als die Umwelt- und Klimaproblematik,<br />
die im Übrigen nur ansatzweise verstanden wurde.<br />
Wie Glas hergestellt wird und insbesondere, wie es stabil<br />
gemacht werden kann, beschäftigte Glasmacher ohne Unter-<br />
10 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
lass. Das 17. Jahrhundert brachte eine wichtige neue Entwicklung<br />
in der Glastechnologie. Jahrhundertelang hatte geblasenes<br />
Glas die Industrie beherrscht, doch das Produkt war an sich<br />
dünn und schwach. Die französische Regierung leitete 1676 die<br />
Suche nach einem stabileren Glas ein. Das Ergebnis war ein<br />
Flachglas, das durch Schleifen und Polieren <strong>von</strong> gegossenem<br />
Glas hergestellt wurde. Dies war sehr teuer, schuf jedoch die<br />
Basis für die außergewöhnliche Verwendung <strong>von</strong> Spiegeln im<br />
Palast <strong>von</strong> Versailles, der 1685 fertig gestellt war. Die großen<br />
Fenster im Spiegelsaal, welche durch die Spiegel buchstäblich<br />
refl ektiert wurden, besaßen jedoch naturgemäß keine guten<br />
Dämmwerte. Daher froren im kalten Winter <strong>von</strong> 1695 Wein<br />
und Wasser auf den Tischen ein.<br />
die gewächshäuser des 19. jahrhunderts<br />
Eine Erkenntnis über das thermische Verhalten <strong>von</strong> Glas führte<br />
im späten 16. Jahrhundert eher zufällig zur Entwicklung des<br />
Gewächshauses. Man erkannte, dass die exotischen Pfl anzen,<br />
die die europäischen Entdecker <strong>von</strong> ihren Reisen mitgebracht<br />
hatten, Schutz benötigten. Glashäuser, vor allem die prächtigen<br />
Orangerien jener Zeit, begannen in die Welt der <strong>Architektur</strong><br />
einzudringen, wenn auch zunächst nur als Beiwerk für die<br />
Häuser und Institutionen, denen sie dienten. In den nun folgenden<br />
250 Jahren wurde das Gewächshaus jedoch zur Basis<br />
der nächsten großen Blüte der Glasarchitektur – des „zweiten<br />
Glaszeitalters” nach der Gotik. Aus reinen Nutzgebäuden,<br />
die der Aufzucht <strong>von</strong> Pfl anzen dienten, entwickelte es sich bis<br />
zum 19. Jahrhundert zu einem eigenständigen und großartigen<br />
<strong>Architektur</strong>typus.<br />
In England zählt Richard Turners Palmenhaus in Kew zu<br />
den hervorragendsten Beispielen jener Zeit. Doch elegante, fi ligran<br />
konstruierte Gewächshäuser entstanden in allen Ländern<br />
Europas. Die Entwerfer und ihre Bauherren wetteiferten miteinander<br />
um Größe und Großartigkeit der Bauten. Sie bereisten<br />
den Kontinent, um die Werke ihrer Vorgänger und Rivalen<br />
zu besichtigen. Diese schnelle Entwicklung im 19. Jahrhundert<br />
und die Entwicklung des Reiseverkehrs führte 1851 zum Entwurf<br />
des unzweifelhaft größten Glasbaus jener Zeit, des Kristallpalasts<br />
in London. 1834 hatte sich sein Baumeister Joseph<br />
Paxton bei einem Besuch in Rohault de Fleuries Jardin de Plantes<br />
in Paris die ersten Inspirationen zu dem Bauwerk geholt.<br />
Konrad Wachsmann, der große Ingenieur des 20. Jahrhunderts,<br />
hat den Kristallpalast als erstes modernes Bauwerk der Welt<br />
bezeichnet. Der riesenhafte Ausstellungsbau, der <strong>von</strong> einem<br />
Gärtner, einem Ingenieur und einem Bauunternehmer gemeinsam<br />
entwickelt worden war, verband Innovationen in der Herstellungs-<br />
und Bautechnik und in der Bildung <strong>von</strong> Räumen zu<br />
einem absoluten Meisterwerk. Die Elemente wurden vorgefertigt,<br />
auf der Baustelle nur noch montiert, nach der Weltausstellung<br />
wieder abgebaut und in Sydenham zu einem neuen, noch<br />
größeren Kristallpalast zusammengefügt. All dies geschah ohne<br />
Mitwirkung eines Architekten.<br />
Der Kristallpalast war das Beispiel eines Gebäudetyps, der<br />
sich aus den Bedürfnissen der industriellen Revolution heraus<br />
entwickelt hatte. Während er dazu diente, die Errungenschaften
FOTO VON HENRI PARENT<br />
„Die wunderbaren Eigenschaften des Glases kennt<br />
jedermann, durchsichtig, hart, farblos, unverwüstlich<br />
durch Säuren und die meisten Flüssigkeiten, in<br />
gewissen Temperaturen geschmeidiger als Wachs …“<br />
Justus <strong>von</strong> Liebig, deutscher Chemiker (1803–1873)<br />
Gegenüber Mit der Schalterhalle<br />
der Postsparkasse in Wien schuf<br />
Otto Wagner 1904–1912 eine<br />
der Inkunabeln der Frühmoderne<br />
und ein Vorbild für moderne Bürohausatrien.<br />
Sogar das Untergeschoss<br />
wird durch Glasbausteine<br />
im Boden natürlich belichtet.<br />
Oben Die Gotik brachte die Auflösung<br />
der vormals massiven<br />
Kirchenwand in ein Tragwerk aus<br />
Rippen, deren Zwischenräume<br />
mit großen Glasfenster ausgefacht<br />
werden konnten. Die große<br />
Fensterrose des Straßburger<br />
Münsters verdeutlicht die Konstruktionsweise<br />
der Fenster: In<br />
ein steinernes Maßwerk wurden<br />
die vorgefertigten, bleigefassten<br />
Scheiben als Ganzes eingefügt.<br />
des Industriezeitalters zu zelebrieren, verlangte dieses seinerseits<br />
nach neuen Gebäudetypen wie Bahnhöfen, Einkaufspassagen<br />
(wie zum Beispiel der Galleria Vittorio Emmanuele in Mailand,<br />
die zwischen 1865 und 1867 errichtet wurde) und Markthallen.<br />
Die Bahnhöfe und großen Zentralmarkthallen bedurften<br />
großer, off ener Flächen und weit spannender Konstruktionen,<br />
die sie vor Regen schützten und zugleich mit Tageslicht versorgten.<br />
Die großen viktorianischen Industriebauten, die die<br />
Vorzüge <strong>von</strong> Stahl und Glas statt der herkömmlichen Steinbauweise<br />
nutzten, waren die Kathedralen ihrer Zeit. Sie hatten<br />
keine Vorläufer in der Geschichte und entzogen sich der Vorstellungskraft<br />
der zeitgenössischen europäischen Architekten,<br />
die die Herausforderung den Ingenieuren überließen.<br />
Die usa trugen nicht die gleiche kulturelle „Last“ wie die<br />
Europäer, und so konnte in Amerika ein neuer <strong>Architektur</strong>typus<br />
entstehen. Der Wiederaufbau <strong>von</strong> Chicago nach dem<br />
großen Feuer <strong>von</strong> 1871 führte zur Entwicklung des modernen<br />
Hochhauses mit seinem Eisen- oder Stahlrahmen und seiner<br />
Glasfassade. Gebäude wie das Gage Building <strong>von</strong> Holabird<br />
und Roche (1898) waren für die Architekten der europäischen<br />
Akademien buchstäblich undenkbar. Diese Bauten nutzten<br />
die Vorzüge des Flachglases, das 1687 in Frankreich erfunden<br />
wurde und die Grundlage eines ganzen französischen Industriezweigs<br />
bildete, der 1693 im Chateau de Saint Gobain seine<br />
Geburtsstunde erlebte.<br />
otto wagner und die anfänge der moderne<br />
Obwohl die amerikanische <strong>Architektur</strong> in der zweiten Hälfte<br />
des 19. Jahrhunderts die Entwicklung neuer Gebäudetypen<br />
erlebte, war Europa doch der Schauplatz des dritten großen<br />
Zeitalters der Glasarchitektur und seiner theoretischen Grundlagenbildung.<br />
Otto Wagners Postsparkasse in Wien <strong>von</strong> 1904–<br />
1912 führte mit ihrem wunderbaren Glasdach und ihrem<br />
Glasboden vor, wie die Bautechnik der großen Industriehallen<br />
auch auf ein öff entliches, städtisches Gebäude anzuwenden war.<br />
Doch es waren vor allem die deutschen Architekten des zweiten<br />
Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts, deren Besessenheit <strong>von</strong><br />
Glas einen nicht zu unterschätzenden Einfl uss auf die <strong>Architektur</strong><br />
und ihre Beziehung zu Glas ausübte. Die Schriften Paul<br />
Scheerbarts, des Autoren der „Glasarchitektur“ <strong>von</strong> 1914, und<br />
die Gebäude <strong>von</strong> Bruno Taut, später auch <strong>von</strong> Walter Gropius<br />
und Mies van der Rohe, öff neten ihren Zeitgenossen die Augen<br />
für die neue Rolle des Glases in der <strong>Architektur</strong>. Insbesondere<br />
Mies van der Rohe’s Wettbewerbsentwürfe für Berlin 1919 und<br />
1922 bedeuteten eine umwälzende Veränderung. Mies wurde<br />
zu einer der führenden Figuren der modernen Bewegung, die<br />
Glas als „ihr Material“ begriff ; eine Gruppe innerhalb der Bewegung,<br />
die „Gläserne Kette“, machte Glas sogar zum Bestandteil<br />
ihres Namens. Glas war mit seiner Transparenz und<br />
Off enheit das Material des Sozialismus und wurde als leichter<br />
und „moderner“ Ersatz für die Schwere und Pomposität der<br />
vergangenen Jahrhunderte angesehen.<br />
Die großen europäischen Architekten waren jedoch nicht<br />
die Einzigen, die die Schönheit und die Möglichkeiten des<br />
Glases nutzten. Frank Lloyd Wright’s Faible für farbiges Glas<br />
11
FOTO VON CHRISTOPH KOCH<br />
ließ ihn das Material in zahlreichen Wohnhäusern und öff entlichen<br />
Bauten einsetzen, die er während des 20. Jahrhunderts<br />
entwarf. In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen entwickelte<br />
sich die Begeisterung für Glas auf beiden Seiten des<br />
Atlantiks. Amerika wurde zum Geburtsort der Curtain Wall,<br />
die erstmals 1918 <strong>von</strong> William Jeff erson Polk am Hallidie Building<br />
in San Francisco eingesetzt wurde, und schon in den 30er<br />
Jahren griff en Architekten wie Fred Keck im amerikanischen<br />
mittleren Westen in ihren Entwürfen ein Th ema auf, das 40<br />
Jahre später virulent wurde: die energetisch optimierte, gläserne<br />
„Hochleistungsfassade“. Le Corbusier hatte das thermische Problem<br />
der Glasfassaden in seiner Cité de Réfuge in Paris 1931<br />
zu lösen versucht (dem gleichen Jahr übrigens, in dem eben-<br />
Unten Noch unbelastet <strong>von</strong><br />
gebäudeklimatischen Bedenken<br />
konstruierte Walter Gropius<br />
1926 die kleingliedrige, dreige -<br />
schossige Fassade des Bauhauses<br />
in Dessau aus Einscheibenglas.<br />
Mit „curtain walls” wie dieser<br />
ließ sich die Trennung <strong>von</strong> Tragwerk<br />
und Gebäudehaut, ein<br />
Ideal der klassischen Moderne,<br />
exemplarisch verwirklichen.<br />
12 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
Gegenüber Die Möglichkeiten<br />
moderner Glastechnologie<br />
demonstriert die Installation<br />
„Dichroic Light Field“ des Ingenieurs<br />
James Carpenter in New<br />
York. Dichroitisch beschichtete<br />
Glasschwerter ragen aus der<br />
Fassade hervor. Die Lichtreflexe<br />
und Schlagschatten, die sie<br />
auf die Glasfläche projizieren,<br />
ändern ihre Farbe mit dem<br />
Sonnenstand.<br />
falls in Paris eines der großartigsten aller Glashäuser, Pierre<br />
Chareaus Maison de Verre, entstand), doch die Gebäudetechnik<br />
war noch nicht weit genug entwickelt, um dieses Experiment<br />
zu unterstützen.<br />
In einer Vorlesung an der Princeton University legte Frank<br />
Lloyd Wright 1930 das theoretische und ästhetische Problem<br />
<strong>von</strong> Glas in der <strong>Architektur</strong> aus seiner Sicht dar: „Glas besitzt<br />
heutzutage eine perfekte Durchsichtigkeit; dünne, kristallisierte<br />
Scheiben aus Luft halten Luftströmungen innerhalb oder außerhalb<br />
eines Gebäudes ... Die Tradition hat uns keine Ordnung<br />
hinterlassen, die dieses Material als Mittel perfekter Durchsichtigkeit<br />
beträfen.“ In seinem unnachahmlichen, individuellen<br />
und innovativen Stil entwarf er sechs Jahre später das Verwaltungsgebäude<br />
<strong>von</strong> Johnson Wax in Racine. Hier verwendete er<br />
eine Membran aus Borsilikatglas-Röhren, die der Fassade eine<br />
einzigartige und fast magische Transluzenz verlieht.<br />
In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg hielt der Enthusiasmus<br />
für das Baumaterial Glas unvermindert an, insbesondere<br />
in den usa, der neuen Heimat vieler europäischer Emigranten<br />
wie Walter Gropius, Mies van der Rohe oder Eero Saarinen.<br />
Mit dem „Farnsworth House“ entwarf Mies van der Rohe 1946<br />
das wohl perfekteste Beispiel jener neuen <strong>Architektur</strong>, nach der<br />
schon Wright 1930 seinem eigenen Bekunden nach gesucht<br />
hatte: ein Haus ohne Wände. Die Nachkriegsarchitektur in<br />
den usa brachte weitere große Beispiele der Glasarchitektur<br />
hervor wie Eero Saarinens General Motors Technical Center in<br />
Detroit (1948–1956), ein Paradebeispiel für den technisch virtuosen<br />
Umgang mit Glas und eine der ersten Glasfassaden mit Neoprendichtung,<br />
sowie das Lever Building <strong>von</strong> som (1951) und das<br />
Seagram Building <strong>von</strong> Mies van der Rohe selbst (1954–1958).<br />
aufstieg und niedergang der vorhangfassade<br />
Es ist eine Tragik der Nachkriegsarchitektur, dass die geometrische<br />
Einfachheit dieser <strong>Architektur</strong> so leicht zu kopieren und zu<br />
banalisieren war. Die Technik, dünne, ästhetisch uninteressante<br />
und bauphysikalisch schlechte Gebäudehüllen zu konstruieren,<br />
die gigantische Aufwendungen zur künstlichen Klimatisierung<br />
nach sich zogen, wurde in alle Welt exportiert. Es entstand eine<br />
Generation entwerteter Glasarchitektur, die sich der in Massen<br />
produzierten Curtain-Wall-Fassade bediente und diese in der<br />
Folge zu einem der meistgehassten Elemente der Nachkriegs-
FOTO VON JAMES CARPENTER DESIGN ASSOCIATES<br />
architektur machte. Erst der Import einer weiteren, ursprünglich<br />
amerikanischen Erfi ndung, der passiven Solarfassade, und<br />
die Ölkrise der frühen 70er Jahre führten dazu, dass diese Art<br />
der <strong>Architektur</strong> endgültig der Geschichte angehörte. Die jahrzehntealte<br />
Idee, die charakteristische Strahlungstransmission<br />
<strong>von</strong> Glas zur solaren Energiegewinnung zu nutzen, hatte in den<br />
usa bereits Maria Telkes, eine Metallurgin am mit in Boston,<br />
in ihrem Peabody House <strong>von</strong> 1947 umgesetzt. Die Europäer<br />
folgten ihr mit Gebäuden wie der Wallasey School in England<br />
<strong>von</strong> a.e. Morgan (1961) und den Entwürfen <strong>von</strong> Jacques Michel<br />
und Félix Trombe Mitte der 60er Jahre in Frankreich.<br />
Bis heute hat die Curtain-Wall-Fassade unsere Großstädte<br />
fest im Griff und verschandelt sie vielfach. Dennoch brachte eine<br />
neue Architektengeneration mit anderen Prioritäten die Glasarchitektur<br />
in den 80er und 90er Jahren aufs Neue zur Blüte.<br />
Oftmals bauten die Entwerfer bewusst oder unbewusst auf den<br />
gleichen theoretischen Grundsätzen auf, die einst Wright, Mies<br />
van der Rohe und Le Corbusier formuliert hatten. Die Periode,<br />
die wir als „viertes Glaszeitalter“ bezeichnen können, führte die<br />
Entwicklungsstränge der vorangegangenen 60 Jahre zusammen.<br />
Sie nutzte die neuen Freiheiten, die die Erfi ndung des Floatglases<br />
durch Pilkington in den 50er Jahren eröff net hatte, und<br />
die zahlreichen Neuentwicklungen im Bereich der Glasveredelung<br />
und -beschichtung. Glas war nunmehr ein dominierender<br />
Bestandteil der <strong>Architektur</strong> in aller Welt; seine Verwendung<br />
reichte <strong>von</strong> Klimahüllen bis zu herausragenden Ingenieursbauten.<br />
Geklebte Glaskonstruktionen begannen sich durch die<br />
Arbeit des Briten Tim McFarlane, des Niederländers Mick Eekhout<br />
und des französischen Büros rfr zu verbreiten. In vielen<br />
ihrer Bauten halfen diese Ingenieure <strong>Architektur</strong>visionen zu<br />
realisieren, die schon seit 50 oder mehr Jahren Bestand hatten.<br />
Das Bürogebäude <strong>von</strong> Wilis Faber Dumas, das Foster and Partners<br />
Anfang der 70er Jahre in Ipswich errichteten, ließ Mies<br />
van der Rohes Idee der abgehängten Glasfassade aus den 20er<br />
Jahren Realität werden. Mit dem Lloyd’s Building in London<br />
verwirklichten Richard Rogers Partnership 10 Jahre später Le<br />
Corbusiers „mur neutralisant“ aus der „Cité de Réfuge“. Architekten<br />
begannen sich für die Entwicklungen der Bauchemie<br />
und für neuartige Glasbefestigungen zu interessieren, wie die<br />
Pyramide am Pariser Louvre <strong>von</strong> i.m. Pei (1983–1988) verdeutlicht.<br />
Hier wurde „wasserweißes“ Glas fast ohne Eisenoxid und<br />
FOTO VON JAMES CARPENTER DESIGN ASSOCIATES<br />
damit ohne den charakteristisch grünlichen Schimmer verwendet,<br />
das die Farbe der Steinfassaden des Louvre in der Durchsicht<br />
originalgetreu wiedergab. Die Silikonverklebung der Scheiben<br />
ermöglichte zudem ein komplett glattes Äußeres der Pyramide.<br />
Gunnar Birkerts Corning Museum <strong>von</strong> 1980 erhielt eine Glasfassade<br />
mit dünner Edelstahlbeschichtung, die der sonst harten<br />
und kristallinen Glasarchitektur einen weichen, seidigen<br />
Charakter verleiht. In den letzten 20 Jahren wurde Glas zum<br />
bevorzugten Medium architektonischer Versuche in Sachen<br />
Transparenz, Mehrdeutigkeit und Energie.<br />
Heute zeichnet sich ein fünftes Glaszeitalter am Horizont<br />
ab, mit neuen Materialien und neuen Nutzungsvorstellungen.<br />
„Intelligente“, elektrochrome Gläser wurden entwickelt, die<br />
ihr Aussehen auf Knopfdruck verändern. Hoch isolierende<br />
Gläser mit Füllungen aus Aerogel und U-Werten nahe bei 0<br />
sowie feuerfeste Gläser halten Einzug in die Herstellerkataloge.<br />
Dichroitische Gläser können vordefi nierte Frequenzen des Farbspektrums<br />
blockieren oder durchlassen. Flexible Lichtleiter, die<br />
auf dem Eff ekt der Totalrefl exion basieren, eröff nen neue Wege<br />
in der Beleuchtungsindustrie und neue Möglichkeiten, Tageslicht<br />
in Innenräume zu leiten oder Fassaden zu verschatten.<br />
Es fällt schwer, sich derzeit vorzustellen, welche Entwicklungen<br />
dieses fünfte Glaszeitalter in den nächsten 20 oder 50<br />
Jahren bringen wird. Viele Entwicklungen werden die Menschen<br />
bezaubern und sie magisch berühren, und wir können<br />
uns sicher sein, das Glas auf intelligente Weise genutzt und nicht<br />
dazu verwendet wird, allgemeine Gleichförmigkeit zu kreieren.<br />
Noch immer leiden wir unter der Allgegenwärtigkeit der Curtain-Wall-Fassade.<br />
Doch mit multifunktionalen, intelligenten<br />
Glasfassaden, die tages- und jahreszeitenabhängig auf die<br />
Unwägbarkeiten des Klimas und die Bedürfnisse der Bewohner<br />
reagieren, können wir auch in der <strong>Architektur</strong> die vergängliche<br />
Schönheit eines Schmetterlingsfl ügels erzeugen – und dies<br />
mit einem Material, das hart ist wie Stahl.<br />
Michael Wigginton ist Professor für <strong>Architektur</strong> und Design<br />
an der Plymouth School of <strong>Architecture</strong> in England. Sein<br />
Spezialgebiet sind intelligente Fassaden, Verglasungssysteme<br />
und energiesparendes Bauen. Michael Wigginton ist Autor<br />
mehrerer Bücher, darunter Glas in der <strong>Architektur</strong> (DVA 1998)<br />
und Intelligent Skins (Butterworth <strong>Architecture</strong>, 2002).<br />
13
TAGESLICHT Ein Geschenk der Natur: Tageslicht und wie<br />
es in der <strong>Architektur</strong> genutzt wird.<br />
AKADEMIE<br />
DER KÜNSTE BERLIN<br />
Text <strong>von</strong> Jakob Schoof.<br />
Fotos <strong>von</strong> Adam Mørk.<br />
Berlin, Pariser Platz. Mitten ins Zentrum der<br />
deutschen Hauptstadt hat Günter Behnisch<br />
einen gläsernen Fremdkörper eingefügt, der<br />
schon vor seiner Eröffnung zum Stein des<br />
Anstoßes wurde. Die große Offenheit der<br />
neuen Akademie der Künste erhitzte in Berlin<br />
die Gemüter – und beschäftigt inzwischen<br />
auch wieder die Klimaingenieure.<br />
15
Berlin, die strenge, protestantische Hauptstadt<br />
Preußens, hat sich dem kollektiven<br />
Gedächtnis bislang nicht gerade als eine<br />
Metropole der Farben eingeprägt. Auch<br />
heute noch – und nach dem Mauerfall mehr<br />
denn je – prägt das Leitbild der grauen, „steinernen“<br />
Stadt die Straßenzüge.<br />
Doch es gibt Ausnahmen. Die Bauten<br />
der Berliner Architekten sauerbruch hutton<br />
architects sind hier vor allem zu nennen – und<br />
ein Gebäude, das zu den umstrittensten der<br />
jüngeren deutschen Baugeschichte zählt:<br />
Günter Behnischs Akademie der Künste. Hinter<br />
seiner zurückhaltenden und darob viel<br />
kritisierten Glasfassade entfacht der Neubau<br />
einen Wirbel kreativer Unordnung. Flirrende<br />
Farb- und Lichtreflexe erfüllen die<br />
Innenräume, zumal in den obersten Etagen.<br />
Dort trennt den Besucher nur ein symbolisches<br />
Blätterdach vom Berliner Himmel.<br />
Es besteht aus Verbundglas, auf dessen<br />
Folienzwischenlage ein Herbstlaubmotiv<br />
gedruckt wurde. Günter Behnisch beschreibt<br />
das Phänomen, das hier spürbar wird, in seinem<br />
Buch „Über das Farbliche“: „... das frei<br />
im Raum schwebende Farbliche. Mittelalter<br />
und Barockzeit kannten es, und man hat es<br />
aufleuchten lassen in Kathedralen, Kirchen<br />
und Palästen.“ Es leuchtet auch hier.<br />
Der Standort der neuen Akademie könn -<br />
te kaum prominenter sein: Der Pariser Platz<br />
gilt als „Wohnzimmer“ der Berliner Republik.<br />
Dominiert wird er vom Brandenburger Tor,<br />
dem bis heute wichtigsten Wahrzeichen der<br />
Stadt. Zur Linken der Akademie steht das<br />
pseudohistorische, 1997 errichtete Hotel<br />
Adlon; zur Rechten die DZ-Bank <strong>von</strong> Frank<br />
Gehry, ein für den Kalifornier recht ungewöhnlicher<br />
Bau. In seiner ziviliserten, sandsteinfarbenen<br />
Lochfassade deuten lediglich<br />
die übergroßen, gekippten Fenster jene anarchische<br />
Wildheit an, für die Gehrys Bauten<br />
sonst bekannt sind.<br />
Das neue Haus der Akademie besteht<br />
aus drei wesentlichen Teilen: Im Zentrum,<br />
als alter Kern des Behnisch-Baus, stehen<br />
die fünf restaurierten Ausstellungssäle der<br />
alten Berliner Akademie <strong>von</strong> 1904. Im Norden,<br />
am Pariser Platz, schließt sich ein gläserner<br />
Kopfbau an und im Westen ein langgestreckter<br />
Seitenflügel, der die Arbeits-<br />
räume der Sektionen und des Archivs aufnimmt.<br />
Darunter musste ein öffentlicher<br />
Durchgang freigehalten werden, der das<br />
16 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
Vorhergehende Doppelseite Vom<br />
obersten Geschoss der Akademie<br />
aus genießen die Besucher freien<br />
Blick über eine der prominentesten<br />
Stätten Berliner <strong>Architektur</strong>: den<br />
Pariser Platz mit dem Brandenburger<br />
Tor. Im Hintergrund ist die Reichstagskuppel<br />
zu sehen.<br />
Links Günter Behnischs Akademie<br />
bildet eine gläserne Fuge in der steinernen<br />
Platzwand des Pariser Platzes.<br />
In Proportion und Gliederung<br />
bezieht sich die Nordfassade auf die<br />
Front des alten Akademiegebäudes.<br />
Doch diese Verwandtschaft erkennt<br />
nur, wer darüber Bescheid weiß.<br />
Gegenüber Trotz aller Kritik, die<br />
der Neubau über sich ergehen lassen<br />
musste: Berlin besitzt weitaus<br />
vulgärere Glasfassaden als diese.<br />
Im Streiflicht werden die Schichten<br />
der Konstruktion lesbar. Rechts die<br />
DZ-Bank <strong>von</strong> Frank Gehry.<br />
Grundstück <strong>von</strong> Nord nach Süd durchquert.<br />
Eine zweiter, repräsentativerer Durchweg<br />
führt östlich der Ausstellungssäle über<br />
einen Steg. Von hier aus ist der Innenhof des<br />
Hotels Adlon zum Greifen nah. Zwei völlig<br />
konträre <strong>Architektur</strong>auffassungen begegnen<br />
sich auf engstem Raum: dort das Hotel,<br />
bis unters Dach vollgestopft mit Nutzungen<br />
und engen Innenräumen, hier die Akademie,<br />
voller Licht und flexibel zu nutz-ender Raumzonen.<br />
Bewusst lässt Behnisch die Tradition<br />
der so genannten „Treppenreden“ aus der alten<br />
Westberliner Akademie aufleben – oder<br />
schafft zumindest die Möglichkeit dafür.<br />
Der Kopfbau der Akademie im Norden<br />
zeigt ein auf den ersten Blick kaum zu erfassendes<br />
inneres Gefüge aus schräg übereinander<br />
geschobenen Ebenen mit unter schiedlichen<br />
Nutzungen. Sechs sich kreuzende<br />
Treppenläufe, Stege und Rampen, <strong>von</strong> denen<br />
keiner dem anderen gleicht, geleiten den<br />
Besucher durch die Halle hinauf ins oberste<br />
Geschoss. Immer wieder kehrt der Weg dabei<br />
an die Nordfassade, die „Schokoladenseite“<br />
des Gebäudes, zurück. Jedes Mitglied<br />
und jeder Besucher soll an der Aussicht auf<br />
den Platz partizipieren können.
Im Erdgeschoss liegen Empfang und Buchladen,<br />
im ersten Obergeschoss die Bibliot<br />
hek mit Lesesaal und im zweiten der Plenarsaal<br />
der Akademie. Daneben, auf dem Dach<br />
des vorderen Ausstellungssaals, wurde ein<br />
teilweise überdachter Skulpturengarten eingerichtet.<br />
Von hier an beginnt der im Erd geschoss<br />
noch recht düstere Innenraum gleichsam<br />
„aufzuatmen“ und öffnet sich dem <strong>von</strong><br />
Süden reichlich hereinflutenden Tageslicht.<br />
Das dritte Obergeschoss dient dem<br />
Präsidenten der Akademie, seinen Mitarbeitern<br />
und der Pressestelle als Bürofläche.<br />
In der vierten Etage nimmt der Clubraum<br />
die ganze Tiefe des Vorderhauses ein. Hier<br />
heißt es: „Members only“ – nur Mitglieder<br />
der Akademie und ihre Freunde sind zugelassen.<br />
Sie genießen einen der kostbarsten<br />
Ausblicke, den Berlin zu bieten hat: nach<br />
Norden auf den Pariser Platz, auf Augenhöhe<br />
mit der Quadriga des Brandenburger<br />
Tors, und nach Süden auf das Eismeer aus<br />
Glasschollen im Hof der Akademie. Selbst<br />
an trüben Tagen macht der Raum einen heiteren<br />
Eindruck, wenn das einfallende Licht<br />
durch die bedruckten Verbundgläser rot<br />
und gelb gefiltert wird.<br />
Nach Süden öffnet sich eine gekippte Glasfassade<br />
zum Innenhof, in lediglich der Treppenturm<br />
der alten Akademie einen Fixpunkt<br />
bildet. Er wurde recht willkürlich innen weiß<br />
und außen dunkelgrün gestrichen und ist<br />
damit kein Einzelfall. Denn Behnisch steigert<br />
nicht nur die räumliche, sondern auch die<br />
Material- und Farbvielfalt des Gebäudes ins<br />
Extreme. Von Gussasphalt im Erdgeschoss<br />
schreitet der Besucher empor über Beton,<br />
Parkett und Linoleumboden; die Brüstungen<br />
der Stege und Treppen bestehen aus<br />
Stahl, Holz und Beton oder erhielten eine<br />
spiegelnde Blechverwahrung. Die schrägen<br />
Stützen der Südfassade sind sich in einer<br />
Farbe nicht genug; sie wechseln auf halber<br />
Höhe ihre Farbe <strong>von</strong> Lichtgrau zu Weiß.<br />
Statt sie dem Ganzen unterzuordnen,<br />
lässt Behnisch den Elementen seiner <strong>Architektur</strong><br />
freien Raum zur Entfaltung. Wer will,<br />
kann darin eine Metapher auf die Institution<br />
sehen, die das Bauwerk fortan nutzen<br />
wird. Vom Staat getragen (sprich: mitfinanziert),<br />
aber nicht unbedingt staatstragend,<br />
ist die Akademie der Künste ein Klub der führenden<br />
Literaten, Maler, Bildhauer, Komponisten<br />
und Schauspieler des Landes. Heute<br />
18 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
bildet sie eine Art Enklave der Hochkultur in<br />
der Welt des Pop – auch wenn ihr neues Haus<br />
das Gegenteil signalisiert: Inmitten der steinernen<br />
Berliner <strong>Architektur</strong> der 90er Jahre<br />
wirkt es wie der Exponent einer schrägen,<br />
bunten Gegenkultur.<br />
Und eben damit ist es in der Vergangenheit<br />
vielfach angeeckt. Das Stichwort lautet<br />
„Fassadenstreit“; eine Berliner Spezialität,<br />
bei der es vordergründig um Fassadenbekleidungen<br />
und Fensterformate, in Wirklichkeit<br />
aber um unterschiedliche Vorstellungen <strong>von</strong><br />
der europäischen Stadt ging. Für den Pariser<br />
Platz hatte die Stadt Berlin eine „Gestaltungssatzung“<br />
auf den Weg gebracht, die<br />
erstmals detaillierte Vorschriften für die<br />
Fassadengestaltung machte: „Stumpfe mineralische<br />
Oberflächen und eine Farbgebung<br />
zwischen hellem Ockergelb und Grau“ lautete<br />
die Vorgabe; die Fensterfläche sollte<br />
nicht mehr als 40 Prozent betragen.<br />
In Anbetracht dieser Vorgaben sorgte<br />
der Behnisch-Entwurf natürlich für einen<br />
Eklat. Seine Fensterfläche liegt bei 100<br />
Prozent, inklusive der „fünften Fassade“ –<br />
der Dachflächen. Um seinen Entwurf zu retten,<br />
ging Behnisch einen Scheinkompromiss
ein, indem er die doppelschichtige Glasfassade<br />
des Neubaus „in Gliederung und Relief“<br />
auf die alte Vorkriegsfassade zurückbezog.<br />
Was heißt, dass nun ein Rohrgestänge 40<br />
Zentimeter – so dick war die einstige Fassade<br />
– vor der Glashaut installiert wurde,<br />
welches gleichsam als Strichzeichnung die<br />
Fassade der alten Akademie wiedergibt.<br />
Der Akademiepräsident Adolf Muschg<br />
nannte den Neubau, in Anlehnung an ein<br />
Gedicht <strong>von</strong> Rimbaud, ein „bateau ivre“, ein<br />
trunkenes Schiff. Damit spielte er weniger<br />
auf die wechselvolle Baugeschichte an als<br />
vielmehr auf die <strong>von</strong> Schrägen und Spitzwinkligkeiten<br />
dominierte <strong>Architektur</strong> des<br />
Neubaus. Dafür, dass dessen Nordfassade<br />
tagsüber oft dunkel und leer wirkt, wurde<br />
Behnisch bereits heftig kritisiert. Auch dafür,<br />
dass die Architekten wenig pietätvoll mit<br />
der alten Bausubstanz umgingen, die über<br />
weite Strecken einfach mit weißer Farbe<br />
übertüncht oder mit Gipskarton verkleidet<br />
wurde. Der vielleicht größte Schwachpunkt<br />
des Neubaus stellte sich indessen erst drei<br />
Monate nach der Eröffnung heraus: Große<br />
Temperatur- und Feuchteschwankungen<br />
in den Innenräumen zwangen die Akade-<br />
mie dazu, ale Ausstellungen bis auf weiteres<br />
abzusagen. Nach den Ursachen wird<br />
derzeit geforscht; Eingeweihte vermuten<br />
hinter dem Problem indessen einen einfachen<br />
Grund: Günter Behnisch hatte sich<br />
stets gegen einen Windfang im Erdgeschoss<br />
gewehrt. Nun „schwappt“ im Sommer<br />
bei jedem Öffnen der Tür ein Schwall<br />
warmer Luft ins Innere des Gebäudes. Es ist<br />
also gut möglich, dass die Akademie durch<br />
einen nachträglichen Einbau praxistauglich<br />
gemacht werden muss.<br />
Sollte es gelingen, die Klimaprobleme in<br />
den Griff zu bekommen, hätte Berlin dennoch<br />
hinzugewonnen: eine abstrakte Bauplastik,<br />
die viele Qualitäten <strong>von</strong> Behnischs<br />
<strong>Architektur</strong> vereint. „Der Kontrast zum histo<br />
rischen Bestand wird betont. Transparenz,<br />
Leichtigkeit und helle Farben geben dem<br />
Neubau eine heitere und freundliche Atmosphäre.<br />
Er soll bei Tag schimmern, bei Nacht<br />
leuchten.“, hatten die Architekten 1998, noch<br />
vor Baubeginn, geschrieben. Das Versprechen<br />
der Heiterkeit löst der Neubau ein. Die<br />
Akademie ist nunmehr als Institution gefordert,<br />
diesen großartigen Bau mit Leben zu<br />
erfüllen.<br />
Gegenüber Der Clubraum für die<br />
Mitglieder der Akademie erstreckt<br />
sich unter dem bedruckten Glasdach<br />
über die ganze Tiefe des Vorderhauses.<br />
Das insgesamt 20 x 35 Meter<br />
große Dach hängt an einer Konstruktion<br />
aus Stahlträgern. Jede Glasscheibe<br />
ist 1,60 x 5,25 Meter groß.<br />
Diese Seite Das Palais an der Südseite<br />
des Grundstücks passt sich –<br />
anders als die Nordfassade – dem<br />
Berliner Lochfassaden-Diktat an.<br />
Ursprünglich sollte hier das Archiv<br />
der Akademie untergebracht werden.<br />
Heute gehört das Gebäude zum<br />
Hotel Adlon.<br />
19
20 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
Links Der Erdgeschossboden<br />
ist eine schräge Ebene aus Gussasphalt,<br />
die den Pariser Platz<br />
stufenlos ins Gebäude hinein<br />
fortsetzt. Der Eingangsbereich<br />
ist vergleichsweise niedrig und<br />
düster; erst weiter oben weitet<br />
sich das Gebäude zum Licht.<br />
Links Im Süden des Kopfbaus<br />
fängt eine schräg gestellte<br />
Glasfassade das Licht ein – und<br />
reflektiert das benachbarte<br />
Hotel Adlon. Die Vielschichtigkeit<br />
der Fassaden lässt die<br />
Grenzen zwischen Innen und<br />
Außen verschwimmen.<br />
Gegenüber Für Sonnenanbeter:<br />
Unmittelbar hinter der Südfassade<br />
sind Ausblick und Tageslicht<br />
am intensivsten zu erleben.<br />
Man fühlt sich wie im Freien –<br />
und ist doch wettergeschützt.
Fakten<br />
Standort<br />
Gebäudetyp<br />
Bauherr<br />
Architekten<br />
Fertigstellung<br />
Oben Der Weg hinauf ins Atrium<br />
führt vom Halbdunkel ins Licht:<br />
Im Erdgeschoss dominiert der<br />
anthrazitfarbene Gussasphaltboden,<br />
weiter oben das vom Hof<br />
hereinflutende Südlicht.<br />
Gegenüber Hinauf in die Halle<br />
führt eine Vielfalt an Stegen<br />
und Treppen, <strong>von</strong> denen keiner<br />
dem anderen gleicht. Je höher<br />
der Besucher steigt, desto heller<br />
werden die Räume.<br />
Berlin, D<br />
Mischnutzung für Ausstellungen<br />
und Verwaltung<br />
Land Berlin<br />
Behnisch und Partner mit<br />
Werner Durth, Stuttgart, D<br />
2005<br />
Rechts (Von oben nach unten)<br />
Grundriss Ebene 0<br />
Grundriss Ebene +1<br />
Grundriss Ebene +2<br />
Grundriss Ebene +3<br />
Grundriss Ebene +4<br />
Längsschnitt Nord-Süd<br />
Folgende Doppelseite Nachts<br />
wird das Haus mit seiner Nordfassade,<br />
die tagsüber oft grau<br />
und trüb erscheint, zum Leuchtkörper.<br />
Unterschiedliche Lichtstimmungen<br />
und – farben<br />
machen die vielseitige Nutzung<br />
der Akademie ablesbar.<br />
D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
23<br />
ZEICHNUNGEN © BEHNISCH UND PARTNER
RECHTE FÜR ALLE BILDER: TANYA BONAKDAR GALLERY/NEUGERRIEMSCHNEIDER, BERLIN.<br />
REFLEKTIONEN Neue Perspektiven:<br />
Ideen abseits der Alltagsarchitektur.<br />
SCHULE<br />
DES SEHENS<br />
OLAFUR<br />
ELIASSON<br />
26
Text <strong>von</strong> Jakob Schoof.<br />
Nebel und Licht, Wasser und Spiegelglas sind die<br />
Medien des dänischen Installationskünstlers Olafur<br />
Eliasson. Populär gemacht hat Eliasson nicht<br />
zuletzt der Erlebniswert seiner Arbeiten. Sie lehren<br />
uns, was wir inmitten <strong>von</strong> Reizüberflutung oftmals<br />
schon verlernt haben: uns und unsere Umwelt<br />
bewusst wahrzunehmen.<br />
Draussen ist die Sonne längst untergegangen. Hier, im Inneren<br />
der Turbinenhalle der Tate Modern in London, scheint sie<br />
noch immer. Das heißt: Eigentlich geht sie den ganzen Tag<br />
unter. Hoch über den Köpfen der Besucher füllt sie den riesigen<br />
Saal mit einem gleißenden, dottergelben Sonnenuntergangslicht.<br />
Feiner Nebel weht durch die Halle, sammelt sich<br />
unter der Decke zu Wolken und verliert sich wieder. Die Menschen<br />
starren auf das unbekannte Licht, meditieren oder liegen<br />
auf dem Boden, darniedergestreckt <strong>von</strong> seiner überwältigenden<br />
Präsenz. „Wie in Anbetung eines unbekannten Gottes“, wird<br />
eine Ausstellungsbesucherin später sagen. Manche <strong>von</strong> ihnen<br />
haben Tränen in den Augen.<br />
Ursache aller Emotionen sind 200 monochromatische<br />
Scheinwerfer, 3000 Quadratmeter Spiegelfolie auf einer Metallunterkonstruktion<br />
und ein Halbkreis aus transluzenter Membran.<br />
Der Halbkreis wird durch die verspiegelte Hallendecke<br />
verdoppelt und ergänzt sich dadurch zum Ganzen, zur Sonnenreplik.<br />
Wer genau hinsieht, kann alle technischen Komponenten,<br />
die die Installation in der Tate mit Leben erfüllen,<br />
sehen – auch die Nebelwerfer, die Wettermaschinen des<br />
„Weather Project“.<br />
Wer ist der Mann, der mit einem Arsenal technischer Gerätschaften<br />
Menschen zum Weinen, Träumen oder Meditieren,<br />
in jedem Fall aber zum intensiven Wahrnehmen bringt?<br />
Olafur Eliasson, ein Däne isländischer Abstammung, wurde<br />
1967 in Kopenhagen geboren und studierte dort <strong>von</strong> 1989 bis<br />
1995 an der königlichen Kunstakademie. Er lebt und arbeitet<br />
in Berlin. Soweit die dürren Angaben in der offi ziellen Vita des<br />
Künstlers. Meist folgt danach noch eine lange Liste der Ausstellungen<br />
und Museen, in denen seine Werke zu sehen waren und<br />
sind: unter anderem das Guggenheim Museum in New York,<br />
das Museum of Contemporary Art in Los Angeles und die Tate<br />
Gallery in London. Jährlich fi nden weltweit mindestens drei bis<br />
vier größere Einzelausstellungen seiner Werke statt.<br />
Der Zeitschrift „Kunstforum International“ sagte Eliasson<br />
in einem Gespräch: „Ich sehe mich als einen Mainstreamkünstler,<br />
weshalb auch leicht Zugang zu meinen Werken zu fi nden ist.”<br />
Dass seine Werke gelegentlich als „Anthologie <strong>von</strong> Spezialeff ekten”<br />
betitelt und vom Publikum aufgrund ihres Unterhaltungswerts<br />
geschätzt werden, stört ihn nicht: „Ich mag es, dass ein<br />
Unterhaltungswert dabei sein kann, wenn auch das Publikum<br />
diese Unterhaltungskonstruktion durchschauen könnte. Es geht<br />
um Verantwortung und eine Ethik in den Zusammenhängen<br />
zwischen dem was gesagt wird und was gemacht wird.”<br />
Eliasson als eine Art Varietékünstler zu beschreiben, der<br />
statt mit Zylinder und Kartentricks mit Installationen zaubert,<br />
hieße demnach, ihn misszuverstehen. Denn auf das große<br />
Staunen folgt bei der Betrachtung seiner Werke immer auch der<br />
Erkenntnisgewinn. Dabei kehren vier zentrale Th emen immer<br />
wieder: die Natur, das Licht, die <strong>Architektur</strong> und – am wichtigsten<br />
<strong>von</strong> allen – die Interaktion mit dem Betrachter.<br />
natur<br />
Die Erfahrung der vier Elemente der griechischen Naturwissenschaft<br />
– Wasser, Feuer, Erde, Luft – und daraus abgeleitet<br />
des Lichts, der Farbe und der Temperatur ist ein zentrales Element<br />
<strong>von</strong> Eliassons Kunst. Ein ungemein direktes Naturerlebnis<br />
vermittelt er den Besuchern der Ausstellung „Th e Mediated<br />
Motion“ (Die inszenierte Bewegung) 2001 im Kunsthaus Bre-<br />
genz. Gemeinsam mit dem Landschaftsarchitekten Günther<br />
Vogt gestaltet Eliasson die Innenräume des Zumthor-Baus zu<br />
einem mystisch anmutenden, <strong>von</strong> Nebelschwaden durchwehten<br />
Landschaftsgarten um. Auf Stegen und über eine Hängebrücke<br />
bewegen sich die Besucher durch die Landschaft, die<br />
weitgehend aus echten Naturmaterialien besteht: Wasser, Erde,<br />
Holz und Wasserlinse, eine Wasserpfl anze. Zusätzlich verändert<br />
Eliasson die orthogonale Struktur der Ausstellungsräume<br />
D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
27
durch schräge Fußbodenebenen, um den Besucher seine Bewegung<br />
durch den Raum bewusster wahrnehmen zu lassen. Er<br />
wollte „die sehr statische dominierende <strong>Architektur</strong> in Frage<br />
stellen, um den Umgang mit dem Haus zu relativieren”, wie er<br />
später in einem Interview berichtet.<br />
Im Grunde geht es Eliasson bei „Th e Mediated Motion” also<br />
nicht um Gartengestaltung: Die gartenlandschaftliche Inszenierung<br />
dient ihm als Werkzeug, mit dem er das Th ema der<br />
menschlichen Raum- und Naturwahrnehmung bespielt. Nach<br />
Eliassons Meinung ist die Natur keine „wahre“ und ursprüngliche<br />
Kategorie mehr; sondern ein Ergebnis unserer Sicht der<br />
Welt: „Es gibt keine wahrhaftige Natur. Es gibt nur dein und<br />
mein Konstrukt da<strong>von</strong>.“<br />
Dieses Konstrukt wird bei Eliasson auf zwei Ebenen sichtbar<br />
gemacht. Auf der ersten erlebt der Betrachter Nebelschwaden,<br />
künstliche Geysire, Wasserfälle und inszenierte Sonnenuntergänge.<br />
Er kann sich für einen fl üchtigen Moment der Illusion<br />
hingeben, dies sei „reale“ Natur. Doch sobald er näher hinsieht,<br />
wird er der Dinge hinter den Erscheinungen gewahr: Nebelmaschinen,<br />
Rohre und Schläuche, Dampfdüsen und Scheinwerfer.<br />
Auf die Spitze treibt Eliasson das Spiel mit konstruierten<br />
Naturphänomenen 1999 mit der Installation „Double Sunset“<br />
in Utrecht, bei der echter und falscher Sonnenuntergang in<br />
direkten Wettbewerb treten. Eine 38 Meter messende runde<br />
Scheibe aus gelbem Wellblech ist an der Fassade eines hohen<br />
Industriebaus angebracht und wird <strong>von</strong> den Flutlichtern des<br />
gegenüber liegenden Stadions angestrahlt. Die künstliche Sonnenscheibe<br />
ragt weit genug über die Silhouette der Stadt hinaus,<br />
um in den Abendstunden tatsächlich ein Vexierbild entstehen<br />
zu lassen: Welches ist die echte, welches die Blechsonne? Ist die<br />
Natur austauschbar geworden?<br />
licht<br />
Im Spiel Eliassons mit der Sinneswahrnehmung spielt das Licht<br />
die zentrale Rolle. Insgesamt 146 Arbeiten des Künstlers mit<br />
Licht zählt Holger Broeker im 2004 erschienenen Ausstellungskatalog<br />
„Your Lighthouse“ auf. Dabei sollte Licht bei Eliasson<br />
durchaus nicht metaphorisch im Sinne <strong>von</strong> „Erleuchtung“<br />
interpretiert werden. Licht ist für ihn weniger ein Träger <strong>von</strong><br />
Bedeutung als <strong>von</strong> Stimmungen – und natürlich ein Mittel,<br />
um Räume zu bilden.<br />
Bei der Arbeit mit Lichtrefl exionen steht Eliasson in einer<br />
Tradition, die <strong>von</strong> Laszlo Moholy-Nagys Licht-Raum-Modulatoren<br />
und Nicolas Schoeff ers kinetischen Lichtskulpturen<br />
bis in unsere Tage reichen. Auch wenn die Installationen mit<br />
ihren Spiegeln, Schweinwerfern und Farbfi ltern imposant wirken,<br />
stehen sie nie als Konstruktion im Vordergrund, sondern<br />
allein durch die Eff ekte, die sie erzeugen.<br />
Mit gleichsam körperhaftem Licht arbeitet Eliasson in einer<br />
zweiten Werkgruppe, in der er Leuchtquellen mit Wasser oder<br />
Nebel kombiniert. Die Installation „Th oka“ in der Hamburger<br />
Kunsthalle (1995), sein erster größerer Auftritt in Deutschland,<br />
ist ein gutes Beispiel: Zwischen Ausstellungsschluss und Mitternacht<br />
wurde der Raum hinter der Glasfassade des Gebäudes<br />
mit künstlichem Nebel gefüllt und <strong>von</strong> gelben Scheinwerfern<br />
28 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
beleuchtet. Tagsüber wurde das Kunstwerk abgestellt, nur die<br />
Maschinerie, die es in Gang hielt, blieb sichtbar.<br />
Generell verwendet Eliasson farbiges Licht meist nach dem<br />
Prinzip „Weniger ist mehr“. Sein Ziel dabei: zu zeigen, wie Lichtfarben<br />
unsere Wahrnehmung beeinfl ussen. In der Installation<br />
„Your inverted Veto“ trennen blaue Kunststoff planen den Ausstellungsraum<br />
vom Eingangsbereich. Sie erscheinen im gelben<br />
Scheinwerferlicht schwarz. Im Abstand <strong>von</strong> dreieinhalb Minuten<br />
überblendet weißes Licht das Gelblicht, und der Besucher<br />
kehrt für einen Moment in seine gewohnte Wahrnehmungswelt<br />
zurück. Dann beginnt der Zyklus <strong>von</strong> neuem.<br />
Dass es bei Eliassons Installationen nicht nur um Lichtphänomene,<br />
sondern vor allem um unsere Wahrnehmung da<strong>von</strong><br />
geht, wird an den optischen Apparaten deutlich, die er konstruiert.<br />
Die „Camera obscura“ etwa taucht seit 1999 wiederholt<br />
in Eliassons Werk auf; an prominentester Stelle als Kernstück<br />
des „blinden Pavillons“, Eliassons Beitrag zur Biennale 2003<br />
in Venedig.<br />
Ebenfalls seit Ende der 90er Jahre beschäftigt sich Eliasson<br />
mit Kaleidoskopen, die bei ihm mitunter Längen bis zu<br />
acht Metern erreichen können. Eines der ersten ist die Arbeit<br />
„Brunnen“ im Garten der Villa Medici (1998): Hier schaut der<br />
Betrachter in eine Spiegelröhre <strong>von</strong> zwei Metern tiefe hinab,<br />
die im Erdreich vergraben ist. In die andere Richtung geht der<br />
Blick bei „Your now is my surroundings“, 2000 in der Tanya<br />
Bonakdar Gallery in New York. Ein hoher schmaler Raum mit<br />
Glasdach ist ab Kopfhöhe mit Spiegelglas verkleidet, die Verglasung<br />
des Dachs wurde entfernt. Der Betrachter steckt mit<br />
dem Kopf gleichsam in einem riesigen, vertikalen Kaleidoskop.<br />
Er sieht sich selbst, die Dachkonstruktion und die Außenwelt<br />
in hundertfacher Spiegelung, ohne sich darin wirklich orientieren<br />
zu können. Die Grenzen zwischen Von und Hinten, Innen<br />
und Außen verschwinden in diesem Splitterbild.<br />
architektur<br />
Sind Eliassons Installationen „architektonisch“? Carsten Th au,<br />
Philosoph und Professor an der Kunstakademie in Kopenhagen,<br />
an der auch Eliasson studierte, schreibt im Ausstellungskatalog<br />
„Minding the world“: „Eliasson trägt die <strong>Architektur</strong> in die Welt<br />
der Kunst hinein.“ Th au sieht Eliasson in der Tradition der russischen<br />
Konstruktivisten und utopischer Ingenieur-Architekten
„Ich sehe mich als einen Mainstreamkünstler,<br />
weshalb auch leicht Zugang zu meinen Werken<br />
zu finden ist ... Ich mag es, dass ein Unterhaltungswert<br />
dabei sein kann, wenn auch das<br />
Publikum diese Unterhaltungskonstruktion<br />
durchschauen könnte. Es geht um Verantwortung<br />
und eine Ethik in den Zusammenhängen<br />
zwischen dem was gesagt wird und was gemacht<br />
wird.”<br />
Olafur Eliasson<br />
wie Buckminster Fuller, aber auch der Gartenarchitekten des 18.<br />
und 19. Jahrhunderts mit ihren „Follies“ und Wasserspielen.<br />
Die auff älligsten Parallelen zu Eliassons Werk sind weniger<br />
in der „Architekten-<strong>Architektur</strong>“ zu fi nden als vielmehr<br />
im Grenzbereich <strong>von</strong> Ingenieurbau und Utopie. Pate standen<br />
insbesondere die geodätischen Kuppeln Buckminster Fullers<br />
– ein Bautypus also, der <strong>von</strong> größtmöglicher Materialeffi zienz<br />
bestimmt war und die Menschen durch seine Kühnheit und<br />
mathematische Schönheit gleichermaßen in Bann schlug.<br />
Mit seinen Kuppeln schuf Buckminster Fuller funktionsneutrale<br />
Hüllen für Ausstellungsfl ächen, Autogaragen oder<br />
Gewächshäuser. Dagegen entwirft Eliasson seine Raumskulpturen<br />
nie als reinen Wind- und Wetterschutz, sondern als Teil<br />
Gegenüber und Seiten 30–31<br />
The mediated motion, Kunsthaus<br />
Bregenz 2001: Indem er<br />
die (menschengemachte) Landschaft<br />
ins Haus bringt, lässt<br />
Olafur Eliasson die Besucher den<br />
Zumthor-Bau neu und anders<br />
erleben. Die drei Ausstellungsebenen<br />
enthalten ein Wasserbecken,<br />
eine schräge Ebene aus<br />
kontaminierter Erde und schließlich<br />
ein nebliges Tal mit Hängebrücke.<br />
Unten Seeing yourself seeing,<br />
Museum of Modern Art, New<br />
York 2001: Der Titel dieser<br />
Installation programmatisch<br />
für Olafur Eliassons ganzes<br />
Werk. Durch die mit schmalen<br />
Spiegelstreifen hinterlegte<br />
Glasfläche sieht der Besucher<br />
die Außenwelt – und gleichzeitig<br />
sich selbst beim Sehen.<br />
seiner optischen Wahrnehmungsexperimente. In der Installation<br />
„La situazione antispettiva“, die er zur Kunstbiennale<br />
2003 in Venedig realisierte, stellte er ein „gigantisches poliertes<br />
Raumschiff , das gerade aus einer fremden Galaxie gelandet<br />
ist“ (so die Kuratorin Gitte Ørskou) in den dänischen Pavillon.<br />
Das „Raumschiff “ besteht aus 250 konischen Kaleidoskopen<br />
aus polierten Edelstahlplatten, die sich abwechselnd nach<br />
innen und außen vorstülpen. Von außen sieht der Betrachter<br />
ein stacheliges, raumfüllendes Objekt; <strong>von</strong> innen sieht er sich<br />
selbst und die anderen Besucher in tausendfach gespiegelter<br />
und gebrochener Form.<br />
Olafur Eliassons Installationen verkörpern gleichsam<br />
eine Art Vorstufe zur <strong>Architektur</strong>: Sie bewegen sich in einem<br />
ursprünglichen, „reinen“ Stadium der architektonischen Idee,<br />
die noch nicht durch Raumprogramme, Nutzerwünsche, Vorschriften<br />
und bauliches Umfeld deformiert ist. Dabei geht Eliasson<br />
mit höchster Präzision vor: Indem er auf überfl üssige<br />
Botschaften verzichtet, schaff t er dem Betrachter die Möglichkeit,<br />
seine Umwelt und sich selbst um so konzentrierter wahrzunehmen.<br />
Durch diese Zuspitzung bricht Eliasson scheinbar<br />
festzementierte Bilder und Routinen auf. Er schärft unseren<br />
Blick für den Raum, der sonst in der Alltagsarchitektur oftmals<br />
mit großer Nachlässigkeit „produziert“ und vom Nutzer<br />
eher geduldet als erlebt wird.<br />
der betrachter<br />
„In gewisser Hinsicht lässt sich behaupten, dass Olafur Eliasson<br />
gar keine Kunstwerke erschaff t. Er erschaff t Situationen.“,<br />
schreibt Gitte Ørskou im Ausstellungskatalog „Minding the<br />
World“. Fast nie stellt Eliasson seine Kunstwerke dem Betrachter<br />
frontal gegenüber. Er lädt ihn ein, herum- oder hineinzugehen<br />
und macht ihn damit nolens volens zu einem Teil des Kunstwerks.<br />
In einem Text zu „Th e Mediated Motion“ im Kunsthaus<br />
Bregenz (2001) spricht der den Besucher selbst an: „Diese<br />
Ausstellung ist abhängig <strong>von</strong> ihrer Bewegung, ihrem Engagement,<br />
sich einbeziehen zu lassen, sich auf Erfahrungen einzulassen.“<br />
Eine Botschaft des Künstlers, wie sie die Kunstkritik<br />
immer wieder aufzuspüren bestrebt ist, wird man bei Eliasson<br />
daher vergeblich suchen. Seine Auff orderung an den Besucher<br />
lautet: Finde Deine Botschaft selbst. Ich kann Dir höchstens<br />
dabei helfen, die Dinge bewusster wahrzunehmen.<br />
29
Geradezu programmatisch für Eliassons Werk sind die Titel<br />
der beiden Installationen „Seeing yourself sensing“ und „Seeing<br />
yourself seeing” <strong>von</strong> 2001. Auf einer Glasscheibe sind Spiegelstreifen<br />
in regelmäßigen Abständen angebracht; die dazwischen<br />
liegenden, gleich breiten Glasstreifen bleiben frei. Der Betrachter<br />
sieht also gleichzeitig sich selbst „beim Sehen“, und er sieht<br />
die Außenwelt. Zwei Personen, die sich zu beiden Seiten der<br />
Installation gegenüberstehen, können gleichzeitig mit ihrem<br />
Spiegelbild und ihrem Gegenüber kommunizieren.<br />
Obgleich die Installationen <strong>von</strong> Eliasson minutiös geplant<br />
sind, hängt ihr Erlebnis doch stets <strong>von</strong> der Wachsamkeit und<br />
Gemütsverfassung des Betrachters ab. Von wissenschaftlichobjektiver<br />
„Wahrheit“ kann daher keine Rede sein. Gitte Ørskou<br />
erklärt diese Auff assung im Ausstellungskatalog „Minding<br />
the World“: „Das ,Ding an sich’, die Bezeichnung des Philosophen<br />
Immanuel Kant für die utopische Vorstellung, dass<br />
die Dinge in der Welt unabhängig vom einzelnen Menschen<br />
– also unabhängig vom Subjekt – bestünden, wird in Eliassons<br />
Händen durch das , Ding für Uns’ ersetzt, also durch die<br />
Vorstellung, dass die Dinge in der Welt nur durch unsere Wahrnehmung<br />
existieren.”<br />
Nicht umsonst taucht das Wort „Your“ im Titel vieler Arbeiten<br />
Eliassons auf. In einem Interview zur Installation „Your<br />
denudation inverted“ (1999), einem künstlichen Geysir im<br />
Innenhof des Carnegie Museum of Art in Pittsburgh, sagte er:<br />
„Ich habe den Titel gewählt, weil er zeigt, dass Ihr Erlebnis wichtiger<br />
ist als meine Vorstellungen <strong>von</strong> dieser Arbeit.“<br />
Auch diese Strategie gehört zu Eliassons Werk: Die Dinge<br />
geschehen lassen und zusehen, wie die Betrachter damit umgehen.<br />
In Pittsburgh zum Beispiel verwandelte der Wintereinbruch<br />
die vom Geysir „eingenebelten“ Bäume in bizarre Eisskulpturen.<br />
Sie waren ebenfalls Teil der Arbeit, so Eliasson, und es wird verständlich,<br />
wenn er sagt: „Ich habe die Installation speziell für<br />
den Hof de Carnegie entworfen. Sie woanders zu installieren,<br />
ist möglich, aber dann ist das für mich eine andere Arbeit.“<br />
Unterschwellig greift Eliasson in vielen Arbeiten die Frage<br />
auf: Wie vermitteln Museen die Rezeption <strong>von</strong> Kunst? Bei der<br />
Vorbereitung zum „Weather Project“ beschäftigte sich Eliasson<br />
nach eigener Aussage intensiv mit der Struktur der Institution<br />
Tate. „Das Haus ist an Publikumszahlen orientiert und bringt<br />
unter anderem vor einer teils supermarktähnlichen Ästhetik<br />
Oben links Ice pavillion, 1998:<br />
Pavillons und andere Kleinst-<br />
<strong>Architektur</strong>en kehren in Eliassons<br />
Arbeiten beständig wieder.<br />
Hier verwendet er Wasser als<br />
Baumaterial und die Natur selbst<br />
als „Bauarbeiter”. Und doch:<br />
Die Planung ist Menschenwerk.<br />
Oben Olafur Eliasson.<br />
30 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
Menschen ins Museum, die noch nie zuvor in einem Museum<br />
waren. Damit habe ich meine Probleme, weil das Ganze zu<br />
fl ießbandartig ist“, verriet er der Zeitschrift „Kunstforum International“.<br />
Und, an anderer Stelle: „Die Museen, insbesondere<br />
die großen Museen, vermarkten das Kunsterlebnis und die<br />
Gefühle der Besucher. Das sehe ich als extrem problematisch.“<br />
Das „Weather Project“ ist deswegen noch kein Frontalangriff<br />
auf das moderne Kunstmarketing. Vielmehr wollte Eliasson<br />
die Zusammenhänge im Hintergrund der Ausstellung „transparent<br />
machen“ – ein Begriff , den er gern benutzt, wenn es um<br />
das Off enlegen seiner Mittel geht.<br />
eine schule des sehens<br />
In vielfacher Weise lehrt Olafur Eliasson uns wieder sehen –<br />
und verstehen, wie wir sehen. Unsere direkte Wahrnehmung,<br />
im Alltag oft durch Reizüberfl utung abgestumpft, wird bei<br />
ihm permanent hinterfragt. Der Blick in den Spiegel, sonst<br />
Routine, gewinnt bei ihm wieder neue Bedeutung. Naturphänomene<br />
und kulturelle Institutionen erschließt er uns in einem<br />
neuen Licht, indem er sie rekonstruiert und zugleich als Rekonstruktion<br />
off enlegt. Denn, so Eliasson: „Ohne unsere Erinnerung<br />
gäbe es kein Wiedererkennen – keine Wertesysteme – kein<br />
Zeitgefühl – und letztlich auch keine Erwartungen. So etwas<br />
wie ursprüngliche Sinneserfahrung gibt es nicht, nur Kultur.“
FOTO VON GIORGIO BOATO<br />
FOTO VON JENS ZIEHE<br />
Links La situazione antispettiva,<br />
Kunstbiennale Venedig 2003:<br />
Dieser „Sinneswahrnehmungs-<br />
Kokon“ war Herzstück des „Blind<br />
Pavillon“ genannten, dänischen<br />
Beitrags zur Biennale. 250 kaleidoskopartige<br />
Öffnungen kanalisieren,<br />
brechen und vervielfältigen<br />
die Ein- und Ausblicke aus<br />
dem „Raum im Raum“.<br />
Unten The Weather Project,<br />
Tate Gallery, London 2004:<br />
Olafur Eliassons Strategie, Naturphänomene<br />
zu „konstruieren“,<br />
fand in dieser Installation ihren<br />
bisherigen Höhepunkt. Das<br />
monochorome Scheinwerferlicht<br />
reduziert die Sinneswahrnehmung<br />
des Raums auf zwei<br />
Farben: Gelb und Schwarz.<br />
31
13° N 56° E<br />
06.2002<br />
04.00<br />
33
34<br />
13° N 56° E<br />
06.2002<br />
04.00<br />
Österlen, Schweden Fotograf: Per Magnus Persson Der halbfertige Himmel<br />
<strong>von</strong> Tomas Tranströmer<br />
Die Mutlosigkeit unterbricht ihren Lauf.<br />
Die Angst unterbricht ihren Lauf.<br />
Der Geier unterbricht seinen Flug.<br />
Das eifrige Licht fließt hervor,<br />
sogar die Gespenster nehmen einen Schluck.<br />
Und unsre Malereien kommen zutage,<br />
die roten Tiere unsrer Eiszeitateliers.<br />
Alles beginnt sich umzublicken.<br />
Wir gehen in der Sonne zu Hunderten.<br />
Jeder Mensch eine halboffne Tür,<br />
die in ein Zimmer für alle führt.<br />
Der unendliche Boden unter uns.<br />
Das Wasser leuchtet zwischen den Bäumen.<br />
Der Binnensee ist ein Fenster zur Erde.
QUELLE: TOMAS TRANSTRÖMER,<br />
SAMLADE DIKTER, 1954–1996. ALBERT BONNIERS FÖRLAG.<br />
DEUTSCHE ÜBERSETZUNG: TOMAS TRANSTRÖMER, SÄMTLICHE<br />
GEDICHTE, ÜBERSETZT VON HANNS GRÖSSEL. HANSER VERLAG.<br />
35
IM DETAIL<br />
GLAS<br />
ALS TRAGENDES<br />
MATERIAL<br />
FOTO VON CHRISTIAN RICHTERS TAGESLICHT<br />
36<br />
Genauer hingesehen: Wie Tageslicht<br />
in Gebäude gelangt.<br />
Unten Auf den Ruinen eines Teepavillons<br />
aus dem 18. Jahrhundert errichtete<br />
der Rotterdamer Architekt Dirk<br />
Jan Postel einen Pavillon mit Glaswänden,<br />
die zugleich das weit auskragende<br />
Dach tragen. Sie bestehen aus<br />
2 x 10 Millimeter Verbundsicherheitsglas<br />
und sind mit Bolzen und Stahlwinkeln<br />
am Mauerwerk sowie an der<br />
Dachunterseite befestigt.
Text <strong>von</strong> Rob Nijsse.<br />
Bauen an der Grenze des Machbaren: In den<br />
vergangenen 20 Jahren haben tragende<br />
Glaskonstruktionen die <strong>Architektur</strong> erobert.<br />
Einer ihrer Pioniere, Rob Nijsse vom niederländischen<br />
Ingenieurbüro ABT, erläutert die<br />
Errungenschaften auf dem Weg zur neuen<br />
Glasarchitektur.<br />
Glas ist ein faszinierendes Material, das bemerkenswerte und<br />
sogar widersprüchliche Eigenschaften vereint. Man kann durch<br />
Glas hindurchsehen, und dennoch wird Wasser, das bekanntlich<br />
fast alles durchdringt, <strong>von</strong> einer Glasscheibe zurückgehalten.<br />
Einerseits ist Glas stabil und nahezu unzerbrechlich,<br />
andererseits genügt oftmals ein Kratzer, um es in Stücke zerspringen<br />
zu lassen.<br />
Erst seit ein paar Jahrzehnten gibt es auch Bemühungen,<br />
Glas für die Welt des Ingenieurwesens nutzbar zu machen. Dennoch<br />
bin ich der Überzeugung, dass die Menschen tragendes<br />
Glas in einigen weiteren Jahrzehnten als ebenso vertrauenswürdig<br />
ansehen werden, wie sie es heute bei Stahl oder Stahlbeton<br />
tun. Wir sollten nicht vergessen, dass Gusseisen und Stahl erst<br />
seit rund 200 Jahren sowie Stahlbeton erst seit rund 100 Jahren<br />
als Baumaterial verwendet werden.<br />
glasträger<br />
Für Fenster und sogar Fußböden wird Glas seit Jahrhunderten<br />
verwendet – wenn auch in kleinen Dimensionen. Moderne<br />
Glasträger gehen allerdings einen entscheidenden Schritt weiter<br />
als die Konstruktionen des antiken Römischen Reiches. Die<br />
Idee des Glasträgers ist an sich verführerisch, aber auch gefährlich:<br />
Wenn Glas bricht, dann bricht es gänzlich, weil der innere<br />
Zusammenhalt des Materials verloren geht. Überbelastung oder<br />
ein Steinwurf führen zum völligen und plötzlichen Versagen<br />
des Trägers. Dies ist in der <strong>Architektur</strong> unter anderem deshalb<br />
nicht akzeptabel, weil wir gern ein Frühwarnsystem in unseren<br />
Gebäuden haben, das beim Überschreiten <strong>von</strong> Grenzwerten<br />
aktiviert wird. Ein Stahlträger zum Beispiel zeigt dies durch<br />
starke Verformung und das so genannte Fließen, eine plastische<br />
Deformation, an.<br />
Glas an sich besitzt keinerlei solche Warneigenschaften.<br />
Allein das unsichtbare Verkleben einzelner Scheiben – das so<br />
genannte Laminieren – macht die Herstellung eines sicheren<br />
Trägers möglich. Die Herstellung <strong>von</strong> Verbundglas wurde im<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts erfunden, als – so ist es überliefert<br />
– ein Wissenschaftler versehentlich eine Glasfl asche mit Leim<br />
fallen ließ und einige Tage später zwei unsichtbar verklebte Glasfragmente<br />
auf dem Boden fand. In der Abendzeitung desselben<br />
Tages las er <strong>von</strong> einem Mädchen, das in einem Auto durch die<br />
Splitter einer geborstenen Windschutzscheibe, die <strong>von</strong> einem<br />
winzigen Kieselstein getroff en wurde, ums Leben kam. Ihm<br />
wurde klar, dass dieser tragische Unfall vielleicht nicht passiert<br />
wäre, wenn die Windscheibe aus zwei unsichtbar verleimten<br />
Glasschichten bestanden hätte. Dieser Gedanke gab den Anstoß<br />
für die industrielle Produktion <strong>von</strong> Verbundglas. Ein weiterer<br />
Impuls war die Erfi ndung der transparenten Folie pvb (Polyvinylbutyral)<br />
durch die Chemiefi rma DuPont de Nemours,<br />
mit der man Glasscheiben miteinander verkleben kann. Der<br />
Produktionsprozess fi ndet unter Druck und einer Temperatur<br />
<strong>von</strong> ca. 250ºc in einem Autoklav statt. Die Glasscheiben und<br />
die Folien (oder auch Lagen) werden unter erheblichem Druck<br />
eingerollt. Das Ergebnis ist ein völlig transparentes Stück Glas,<br />
dass aus zwei bis zehn einzelnen Glasscheiben zusammengesetzt<br />
ist. Auf diese Weise werden zuverlässige Glassträger produziert,<br />
und zwar nicht durch die Herstellung <strong>von</strong> einem Träger sondern<br />
durch das Verkleben <strong>von</strong> zwei oder mehreren Trägern. Wenn<br />
eine böswillige Person einen Stein auf Ihren kostbaren Glasträger<br />
werfen sollte, wird sie nur die äußeren Scheiben zerstören<br />
können. Diese gebrochenen Scheiben kleben aber auf den<br />
inneren Scheiben und schützen sie auf diese Weise.<br />
Aus diesen Gründen war die Idee des Glasträgers in den<br />
80er Jahren reif für die Umsetzung in die Realität. Verschiedene<br />
international bekannte Tragwerksplaner führten Studien<br />
durch. Aber wer würde es wagen, den ersten Glasträger<br />
in einem Gebäude einzusetzen? Dies kostete enorme psychologische<br />
Überwindung, denn wir wissen aus täglicher Erfahrung,<br />
wie leicht Glas bricht. Bauherren und Baufi rmen neigen<br />
eher dazu, risikoreiche Experimente zu meiden. Die Bauindustrie<br />
gehört zu den konservativsten Branchen, und Neuentwicklungen<br />
bedürfen eines enthusiastischen Bauherrn, der ein<br />
gewisses Risiko in Kauf nimmt. Der Ingenieur muss natürlich<br />
seiner Verpfl ichtung nachkommen, jegliche unbeabsichtigten<br />
Auswirkungen der <strong>von</strong> ihm vorgeschlagenen Neuerung rechnerisch<br />
auszuschließen. Somit ist die Einführung <strong>von</strong> Glasträgern<br />
ein gutes Beispiel für eine nur äußerst zögerlich akzeptierte<br />
Innovation.<br />
glasböden<br />
Obgleich in kleineren Abmessungen schon seit langem bekannt,<br />
erfuhren Glasböden erst in den 70er Jahren durch den Film<br />
„Saturday Night Fever“ mit seiner <strong>von</strong> unten farbig beleuchteten<br />
Disko-Tanzfl äche einen wirklichen Aufschwung. Auf einem<br />
großen transparenten Fußboden zu laufen ist aufregend, aber<br />
für viele Menschen auch beängstigend. Neben einer off en auftretenden<br />
Höhenangst (Akrophobie) haben Menschen Angst<br />
davor, weil uns die Logik verbietet zu glauben, dass ein transparentes<br />
Material unser Gewicht sicher tragen wird. In den 50er<br />
Jahren drehte eine große Glasfi rma einen Film, in dem eine<br />
Mutter ihr Baby auf einen Tisch setzt, dessen Tischplatte zur<br />
Hälfte aus Glas besteht. Obwohl es <strong>von</strong> seiner Mutter – einer<br />
geliebten, vertrauten Person – gerufen wird, traut sich das Baby<br />
nicht über diese Fläche zu krabbeln. Dieses Verhalten ist typisch<br />
für Menschen, die über einen Glasboden gehen müssen. Auch<br />
wenn der Ingenieur noch so glaubwürdig versichert, dass eine<br />
zehnfach höhere Sicherheit als bei einem Holzboden besteht,<br />
D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
37
traut der Mensch ihm einfach nicht. Auch ich selbst muss zugegebenermassen<br />
jedes Mal tief Luft holen, wenn ich einen transparenten<br />
Fußboden betrete. Daher ist es ratsam, zumindest<br />
einen Teil des Glasbodens nicht transparent, sondern transluzent<br />
zu gestalten. Die Menschen fühlen sich dadurch sicherer,<br />
auch wenn der Unterschied zwischen einer transluzenten und<br />
einer transparenten Glasscheibe in nicht mehr als einer transluzenten<br />
Folie <strong>von</strong> 0.46 Millimetern Dicke besteht!<br />
Architekten und viele Nutzer sind fasziniert <strong>von</strong> der Möglichkeit,<br />
„durch die Luft zu gehen“ und ein Gebäude dreidimensional<br />
zu erfahren. Da Sicherheit ein Hauptentwurfskriterium<br />
ist, versteht es sich <strong>von</strong> selbst, dass alle Glasfußböden aus Verbundglas<br />
hergestellt werden. Sand und Kiesel an den Schuhsohlen<br />
verursachen Kratzer beim Betreten des Glases. Deshalb<br />
muss sichergestellt werden, dass die zerkratzten Laufbereiche<br />
nicht mit auf Zug beanspruchten Bereichen korrespondieren,<br />
weil die Kratzer dann punktuell konzentrierte Zugbelastungen<br />
darstellen und insgesamt zugverstärkend im Glas wirken würden.<br />
Man denkt oft, dass Glas eine sehr glatte Lauffl äche ist.<br />
In Wirklichkeit ist es im trockenen Zustand überhaupt nicht<br />
rutschig. Untersuchungen haben erwiesen, dass die Oberfl ächeneigenschaften<br />
<strong>von</strong> Glas sich mehr oder weniger mit denen<br />
<strong>von</strong> Natursteinplatten vergleichen lassen. Lediglich bei nassem<br />
Glas steigt die Rutschgefahr erheblich. Eine Möglichkeit<br />
diese Gefahr zu vermeiden ist die Verwendung <strong>von</strong> besonderem<br />
Glas mit der folgenden Spezialbehandlung: Eine Glasscheibe<br />
wird bis zu dem Punkt erhitzt, an dem die Oberfl äche leicht<br />
zähfl üssig wird. Dann werden Sandkörner oder feiner Glasbruch<br />
aufgestreut. Auf Grund der mehr oder weniger fl üssigen<br />
Glasoberfl äche sinken sie leicht ein. Nach dem Abkühlen<br />
und Erhärten erhält man eine auch im nassen Zustand sehr<br />
raue Oberfl äche. Als Nebeneff ekt dieses Eingriff s wird sich<br />
die Oberfl äche nicht so leicht abnutzen. Der eingestreute Sand<br />
oder die Glaspartikel sind gut mit der Glasscheibe verbunden<br />
und schützen so ihre Oberfl äche.<br />
Dieser Prozess des Schmelzens und Erhärtens erinnert<br />
mich an eine alte, aber leider unwahre Geschichte, die in arabischen<br />
Chroniken über den Bau eines der sieben Weltwunder<br />
der Antike, des Pharos <strong>von</strong> Alexandria, erzählt wird. Dieser<br />
sehr hohe und große Leuchtturm sollte durch „Haken aus Glas“<br />
mit dem felsigen Fundament verbunden sein. Im Nachhinein<br />
erscheint dies nicht ganz unmöglich. Glas kann leicht geschmolzen<br />
und in Felsspalten gegossen werden. Nach der Verfestigung<br />
kann es enormen Druck aufnehmen, sodass eine Neubetrachtung<br />
dieser alten Konstruktionsmethode lohnend erscheint.<br />
glasstützen<br />
Während wir mittlerweile in der Lage sind, Glasböden, Glasdächer,<br />
Glaswände und Glasträger herzustellen, widersetzt sich die<br />
Glasstütze als letztes tragendes Element der Umsetzung in Glas.<br />
Generell ist eine Stütze ein komplizierter und kontrovers<br />
diskutierter Teil eines Tragwerkes. Architekten und Bauherren<br />
mögen Stützen nicht: Sie sind im Weg und behindern die freie<br />
Sicht. Wenn sie nicht in ihrer Anzahl reduziert werden können,<br />
wollen Architekten sie so schlank wie möglich haben.<br />
38 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
Im Gegensatz dazu lieben Bauingenieure Stützen: sie verringern<br />
die Spannweite <strong>von</strong> Trägern und Decken und machen<br />
Konstruktionen einfacher. Wie kann man diese Aversion auf<br />
Seiten der Architekten überwinden? Ich möchte aus einem Text<br />
<strong>von</strong> Le Corbusier über seine Villa Savoye zitieren: „Stolz stehen<br />
die Stützen in Reih und Glied; die Soldaten der <strong>Architektur</strong>,<br />
die ihre Last tragen.“ Das hilft normalerweise ein wenig, denn<br />
niemand wagt einem so großen Architekten wie Le Corbusier<br />
zu widersprechen.<br />
Doch die Ingenieure sollten Stützen auch attraktiver machen.<br />
Eine Möglichkeit ist es, ihre Form expressiver zu gestalten, was<br />
ich zum Beispiel in einer Studie über die Form der Stützen des<br />
Restaurants des Educatorium-Projektes versucht habe. Als Ausgangspunkt<br />
für den Tragwerksentwurf dieser Stützen widmeten<br />
wir uns im Einvernehmen mit den Architekten der Frage:<br />
Wie kommt es zum Versagen <strong>von</strong> Stützen?<br />
Stützen können auf drei Arten versagen: erstens, indem<br />
sie unter Druck zusammenbrechen, also langsam unter einer<br />
zu großen Vertikallast nachgeben. Die zweite Variante ist das<br />
Knicken unter Aufl ast, wobei sie plötzlich in der Mitte brechen.<br />
Dies stellt in den meisten Fällen den kritischen Lastfall<br />
dar. Die dritte Art ist das Knicken infolge <strong>von</strong> Scherkräften,<br />
wenn sich beide Stützenenden gegeneinander verschieben. Für<br />
jeden dieser Versagensfälle habe ich im Educatorium eigene<br />
Stützen entworfen. Unser Ziel war es, für jede Position eine<br />
auf die Belastung hin optimierte Stützenform zu wählen und<br />
dadurch dem Umfeld der Stütze Identität zu verleihen. Leider<br />
ließ der fi nanzielle Rahmen des Projekts letztendlich nur<br />
eine Variation des gleichen kreuzförmigen Stützentypus (dem<br />
so genannten Mies-van-der-Rohe-Zitat) in Größe und Profi lform<br />
– Rund- oder Quadratprofi l – zu.<br />
Eine weitere Möglichkeit, Stützen attraktiver zu gestalten<br />
wäre es, sie aus Glas herzustellen. Obwohl Glas ein gutes Druckverhalten<br />
aufweist, existiert stets die Gefahr des Knickens, die<br />
die Konstruktion einer sicheren Glasstütze erschwert. Das Knicken<br />
führt zu Zugkräften, wobei winzige Risse in der Oberfl äche<br />
auftreten, die sich als „Spielverderber“ erweisen. Deshalb<br />
müssen sichere gläserne Tragelemente aus zwei, drei oder noch<br />
mehr Lagen Glas konstruiert sein. Falls ein Teil aus irgendeinem<br />
Grund versagt, müssen die übrigen Teile in der Lage sein,<br />
die Last zu tragen, damit das beschädigte Teil ausgetauscht<br />
werden kann.<br />
Doch wären Glasstützen nicht die ultimative Anwendung<br />
<strong>von</strong> Glas als lasttragendes Material? Man stelle sich ein <strong>von</strong><br />
geheimnisvoll leuchtenden Lichtstrahlen getragenes Hochhaus<br />
vor und bedenke die große potentielle Tragfähigkeit <strong>von</strong> Glas.<br />
Ein Traum würde wahr werden! Der Weg zu seiner Verwirklichung<br />
hat allerdings gerade erst begonnen.<br />
glaswände<br />
Wände trennen Bereiche auf sehr physische Weise. Glas erlaubt<br />
es, eine reale, physische Trennung zweier Räume herzustellen<br />
und gleichzeitig die volle Einsicht in den gegenüberliegenden<br />
Raum zu erhalten. Wände besitzen in der <strong>Architektur</strong> zwei<br />
unterschiedliche Zweckbestimmungen: Im Inneren <strong>von</strong> Gebäu-
den erfüllen sie vornehmlich akustische und optische Anforderungen.<br />
Als Teil der Fassade schützen sie dagegen den<br />
Innenraum des Gebäudes vor den äußeren Klimaeinfl üssen.<br />
Aus Sicht des Statikers ist eine Wand nichts weiter als eine<br />
besondere Art <strong>von</strong> Stütze: Sie ist einfach viel breiter als dick.<br />
Deshalb könnten wir unsere vorangegangenen Bemerkungen<br />
über Stützen hier wiederholen. Wir werden uns stattdessen auf<br />
den Entwurf solcher Glaswände konzentrieren. Im Grunde folgen<br />
wir damit den Fußspuren der Baumeister gotischer Kathedralen.<br />
Um Gott zu preisen, suchten sie die Wände ihrer Kirchen<br />
so transparent wie möglich zu gestalten. Sie waren bis dato nur<br />
vertraut mit Mauerwerkswänden und kleinen Fenstern, doch<br />
neue Konstruktionsmethoden ermöglichten es ihnen, aus den<br />
gleichen Materialien ungleich schlankere Wände zu errichten.<br />
Die Erfi ndung des Kreuzgewölbes, des Strebebogens und Strebepfeilers<br />
führte zu enormen Höhen. Während die maximale<br />
Höhe zu Beginn der Gotik bei 15 Metern lag, erreichte man in<br />
Beauvais (1245) die enorme Höhe <strong>von</strong> 48 Metern.<br />
Doch Beauvais markierte zugleich das Ende dieser Entwicklung:<br />
1284 brachen die geraden Teile der Gewölbe bei<br />
einem schweren Sturm zusammen. Es ist erstaunlich, dass diese<br />
leichten Tragwerke zu einer Zeit gebaut wurden, als es weder<br />
ein theoretisches Verständnis über das Wirken <strong>von</strong> Tragbögen<br />
oder -schalen noch Computerprogramme zur Berechnung<br />
solch räumlich komplizierter Strukturen gab. Die Menschen<br />
gebrauchten einfach ihren gesunden Verstand, sie lernten aus<br />
Fehlern (die wir nicht mehr sehen, weil nur die erfolgreichen<br />
Lösungen überdauerten) und versuchten jedes Mal, die Dinge<br />
etwas höher und schlanker zu konstruieren.<br />
Heute ist eine solche Vorgehensweise nicht mehr akzeptabel.<br />
Wir müssen zu allererst sichere Bauten errichten; ein Versagen<br />
ist unzulässig. Zum Glück besitzen wir nun ein gesundes theoretisches<br />
Wissen über Statik und haben auch die Computer<br />
zur Berechnung der Zugspannungen und Verformungen sehr<br />
komplizierter räumlicher Strukturen.<br />
Aus Sicherheitsgründen benutzen wir heute für tragende Elemente<br />
ausschließlich Verbundglas. Die kritischen Parameter für<br />
den Zusammenbruch einer Wand sind Knick- und Abscherverhalten.<br />
Deshalb muss eine Glaswand eine beträchtliche Dicke<br />
haben und aus einer recht großen Anzahl <strong>von</strong> Schichten bestehen.<br />
Dieser Aspekt könnte durch die Herstellung einer gewellten<br />
Wand verbessert werden, aber diese Art Glas ist erst seid kurzem<br />
erhältlich. Zum ersten Mal überhaupt wurde sie an der Casa<br />
da Música in Porto eingesetzt. Ein weiterer kritischer Punkt ist<br />
die Frage, wie man die Lasten, die <strong>von</strong> oben auf die Glaswand<br />
einwirken in die Glaswand ableitet, ohne allzu hohe punktuelle<br />
Belastungen zu erzeugen. Die Belastung sollte so zentrisch<br />
wie möglich erfolgen und ein elastisches Material (Neopren)<br />
sollte als Aufl ager verwendet werden. Auch die Detaillierung<br />
des Wandfußpunktes, wo die Kräfte ins Fundament abgeleitet<br />
werden, muss unter diesen Aspekten betrachtet werden.<br />
glasfassaden<br />
Eine Fassade ist insofern ein spezieller Wandtyp, als sie das<br />
Innere eines Gebäudes <strong>von</strong> der Außenwelt trennt. Seine beson-<br />
dere Lage im Gebäude bedeutet jedoch, dass dieser Wandtyp<br />
grundlegende bauphysikalische Anforderungen zu erfüllen hat.<br />
Auch die Windkräfte (Winddruck oder -sog) sowie temperaturbedingte<br />
Längenänderungen und Wasserdichtigkeit spielen<br />
eine wichtige Rolle. Diese Anforderungen machen den Entwurf<br />
und Bau <strong>von</strong> Fassaden zu einer schwierigen, Aufgabe, die<br />
Ingenieuren allerdings auch Gelegenheit gibt, attraktive Konstruktionen<br />
zu entwickeln: „Jeder Nachteil birgt einen Vorteil“,<br />
wie der berühmte holländische Fußballer Johan Cruijff<br />
einmal sagte.<br />
Glas spielt in Fassaden eine wesentliche Rolle. Durch seine<br />
Transparenz öff net es unsere Gebäude nach außen. Dieser psychologische<br />
Eff ekt ist sehr wertvoll. Die Menschen können<br />
die Aussicht genießen und sind <strong>von</strong> der Umwelt nicht durch<br />
eine dicke, geschlossene Wand getrennt – ein Aspekt, der vor<br />
allem in den kälteren Regionen unserer Welt wesentlich ist. Die<br />
Behaglichkeit <strong>von</strong> Wohnhäusern und Büros kann so viel einfacher<br />
gewährleistet werden, ohne die Möglichkeit des Blicks<br />
nach draußen aufgeben zu müssen. Doch der Einsatz <strong>von</strong> Glas<br />
bei Fassaden hat das Gebäude nicht nur <strong>von</strong> innen nach außen<br />
geöff net, sondern auch <strong>von</strong> außen nach innen. Die visuelle<br />
Grenze <strong>von</strong> Innen und Außen wird in der modernen <strong>Architektur</strong><br />
oft absichtlich verwischt. Allerdings führt die Herstellung<br />
kompletter Glasfassaden auch zu neuen Problemen im<br />
Hinblick auf den Komfort innerhalb des Gebäudes. Im Winter<br />
entweicht Wärme leicht durch die Glasfassade, und im Sommer<br />
heizt sich der Innenraum durch Absorption der Sonnenstrahlung<br />
– dem Treibhauseff ekt – auf.<br />
Eine einzelne Glasscheibe bietet keine gute Isolation, Wärme<br />
kann sie leicht durchdringen. Die Einführung <strong>von</strong> Doppelverglasung<br />
war eine große Verbesserung. Der abgeschlossene,<br />
schmale Luftraum zwischen den Glasscheiben bietet eine gute<br />
Wärmedämmung. Doppelverglasung verbessert den Komfort<br />
im Gebäude, verhindert Kondensation im Winter und reduziert<br />
die benötigte Heizenergie. Heutzutage wurde die Doppelverglasung<br />
durch den Einsatz <strong>von</strong> Edelgasen wie Argon im<br />
Glaszwischenraum oder das Bedampfen der Glasoberfl äche<br />
mit Edelmetallen sogar noch verbessert.<br />
Der Wärmedämmwert wurde so weit verbessert, dass er eine<br />
neue Gefahr herauf beschworen hat: im Sommer kann die Hitze<br />
nicht entweichen! Klimaanlagen sind keine gute Lösung dieses<br />
Problems. Architekten und Ingenieure werden den unrefl ektierten<br />
Einsatz isolierter Glaselementen im Fassadenbau künftig<br />
kritischer beurteilen müssen.<br />
Rob Nijsse ist Direktor des niederländischen Ingenieurbüros<br />
ABT mit Sitz in Arnhem. Seine Spezialgebiete sind experimentelle<br />
Tragstrukturen aus Glas, Stahl und Stahlbeton, die er zum<br />
Beispiel am niederländischen EXPO-Pavillon <strong>von</strong> 2000, am Educatorium<br />
in Utrecht oder an der Casa da Música in Porto erprobte.<br />
Seit 2003 lehrt Rob Nijsse an der Universität in Gent. Im gleichen<br />
Jahr erschien bei Birkhäuser sein Buch Tragendes Glas.<br />
39
<strong>VELUX</strong> EINBLICKE <strong>Architektur</strong> für den Menschen –<br />
Bauen mit <strong>VELUX</strong>.<br />
DER SONNE ENTGEGEN<br />
ARMADA<br />
40<br />
Text <strong>von</strong> Thomas Geuder.<br />
Fotos <strong>von</strong> Torben Eskerod.<br />
Das Land ist knapp in den Niederlanden<br />
– und gerade deshalb gibt es dort zahlreiche<br />
gute Beispiele für lebenswertes<br />
Wohnen bei hoher Dichte auf engem<br />
Raum. In ’s-Herto genbosch entstanden<br />
auf einem ehemaligen Industrieareal<br />
zehn Wohnblocks mit hohem Identifikationsgrad<br />
und intelligenter Verbindung<br />
<strong>von</strong> Privatheit und Öffentlichkeit.
ZEICHNUNGEN © BUILDING DESIGN PARTNERSHIP<br />
Die Autofahrt <strong>von</strong> Maastricht nach Amsterdam<br />
führt zu einem großen Teil durch die südniederländische<br />
Provinz ’s-Hertogenbosch,<br />
wo sich vor allem ein verkehrsgünstiger Knotenpunkt<br />
zwischen den Schnellbahntrassen<br />
des Landes befindet. Ein Abstecher in dessen<br />
historische Innenstadt lohnt sich – nicht<br />
zuletzt wegen der St.-Johannes-Kathedrale<br />
aus dem 14. Jahrhundert oder dem „Oeteldonksgemintemuzejum“,<br />
dem einzigen Karneval-Museum<br />
der Niederlande.<br />
Bereits am Stadteingang macht das<br />
neue Stadtquartier „Paleiskwartier“ auf sich<br />
aufmerksam, das sich auf einem ehemaligen<br />
Industrieareal direkt neben den Bahntrassen<br />
liegt. Hier entsteht seit Mitte der 90er<br />
Jahre ein Großprojekt, das in der Zukunft<br />
beispielhaft für das neue Bauen in der Region<br />
werden soll. Der Masterplan für das Areal,<br />
der vom Stadtplaner Shyam Khandekar aus<br />
Benthuizen bei Den Haag entwickelt wurde,<br />
sieht zu großen Teilen die Einteilung des<br />
Gebietes in Quadrate mit städtischer Blockrandbebauung<br />
vor. In der Mitte des Areals<br />
wurde ein langes und schmales Wasserbassin<br />
angelegt, das die Strenge des Masterplans<br />
auflockert und gleichzeitig das Zent-<br />
rum des neuen Stadtquartiers markiert. Hier<br />
weicht Khandekar <strong>von</strong> seinem Leitthema<br />
der Blockrandbebauung ab und plant entlang<br />
des Bassins „Häuser, die in einer feinfühligen<br />
Art und Weise mit den umliegenden<br />
Blocks kontrastieren und außerdem über das<br />
ganze Jahr Wärme und Qualität ausstrahlen.“<br />
Im Jahr 1998 wurde für diese Häuser ein<br />
eingeschränkter Wettbewerb ausgeschrieben,<br />
den schließlich die Architekten <strong>von</strong><br />
Building Design Partnership (BDP) aus London<br />
für sich entschieden. Sie entwarfen<br />
fünf Gebäudepaare, die vom rechten Winkel<br />
leicht abgedreht am künstlichen Wasserbassin<br />
stehen. Ins Auge sticht jedoch ihre<br />
prägnante äußere Form: Wie die Segel einer<br />
Flotte reihen sich die mit Metall verkleideten<br />
Fassaden am Bassin auf, verstärkt noch<br />
durch ihre zum Teil im Wasser stehenden<br />
Giebelseiten – eine Allegorie, die dem Projekt<br />
bald seinen Namen „Armada“ verlieh.<br />
Architekt Tony McGuirk <strong>von</strong> BDP spricht<br />
beim Beschreiben seines Entwurfs lieber<br />
<strong>von</strong> den „Longhouses“ und den „Tallhouses“,<br />
die entlang des „Longwater“ aufgereiht sind<br />
und so das Zentrum und Herz des neuen<br />
Wohnviertels Paleiskwartier markieren Na-<br />
42 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
Vorhergehende Doppelseite Wie<br />
die Segel einer Flotte reihen sich<br />
die Fassaden der Wohnanlage<br />
Armada am Wasserbecken auf.<br />
Ihre augenfällige Form folgt nicht<br />
nur gestalterischen Gesichtspunkten,<br />
sondern auch einem durchdachten<br />
technologischen Entwurfskonzept,<br />
das Wind und Sonneneinstrahlung<br />
berücksichtigt.<br />
Links Lageplan.<br />
Gegenüber Um die verhältnismäßig<br />
tiefen Räume gut belüften<br />
zu können, wird die Luft über die<br />
einzelnen Geschosse angesaugt<br />
und mit dem Kamineffekt nach<br />
oben abgesaugt. Verstärkt wird<br />
dieser Effekt noch durch das<br />
zusätzliche kleine „Segel“ auf<br />
dem Dach.<br />
türlich ist dieses Bild eine Anspielung auf<br />
die in den Niederlanden allgegenwärtigen<br />
Grundelemente Wind und Wasser und als<br />
Leitmotiv im Entwurf durchaus gewollt;<br />
jedoch ein Blick hinter die Kulissen lohnt,<br />
denn bei der bloßen Umsetzung dieses, zugegeben<br />
klischeehaften, Bildes bleibt es<br />
nicht. Hinter der augenfälligen Form steckt<br />
ein technologisches Designkonzept, das aus<br />
den Wohnblocks nicht nur visuell ansprechende,<br />
sondern auch ökologisch sinnvolle<br />
Gebäude macht.<br />
„Mikroklima“ war das Schlagwort, das<br />
für die Architekten zur zentralen Inspirationsquelle<br />
beim Entwerfen wurde. Innerhalb<br />
und außerhalb sollte ein ideales „Wohnfühlklima“<br />
für die Bewohner geschaffen werden.<br />
Dies beginnt bereits im Städtebau: Windturbulenzen<br />
und starke Böen zwischen den<br />
einzelnen Häusern werden durch die gegeneinander<br />
verdrehte Stellung der Gebäude<br />
verhindert. Außerdem verschatten sich<br />
die Gebäude dadurch nicht gegenseitig,<br />
sodass alle Südfassaden ungehindert <strong>von</strong><br />
der Sonne zehren können. Das Wasser des<br />
langen Bassins, unter dem sich auch die<br />
Tiefgarage der Wohnblocks befindet, wird
ZEICHNUNGEN © BUILDING DESIGN PARTNERSHIP<br />
zur Vorwärmung des Heizsystems benutzt,<br />
um <strong>von</strong> dort im Winter Wärme und im Sommer<br />
Kälte zu gewinnen.<br />
Die Südfassaden funktionieren wie ein<br />
klimatisches Schild, das die Sonne und das<br />
Tageslicht optimal auszunutzen sucht: Eine<br />
Edelstahlverkleidung zieht sich vom Dach<br />
hinunter über die Fassade und reflektiert so<br />
das Licht des niederländischen Himmels. In<br />
regelmäßigen Abständen werden die Fassaden<br />
dabei durchbohrt <strong>von</strong> „Löchern im<br />
Segel“, die im oberen, geneigten Teil der<br />
Fassade mit <strong>VELUX</strong>-Dachflächenfenstern<br />
versehen wurden. An den weit ausladenden<br />
Balkonen reflektiert, kann durch diese<br />
Öffnungen das Sonnenlicht bis weit in den<br />
Innenraum hineingelangen. Außerdem wird<br />
so die solare Energie eingefangen und der<br />
Innenraum auch an kalten, aber sonnigen<br />
Tagen auf natürliche Art erwärmt.<br />
Die Nordseite der Gebäude hingegen<br />
spricht eine andere architektonische Sprache:<br />
Hier befinden sich die Erschließungswege<br />
für die einzelnen Appartements. Doch<br />
auch dieser Bereich ist mehr als nur der bloße<br />
Wegbereiter für die Bewohner. Geschützt<br />
durch eine geschlossene Glasfassade ent-<br />
steht hier ein Bereich, der getrost als Erweiterung<br />
des Wohnraums gesehen werden<br />
kann. In dieser „Wintergarten-Atmosphäre“<br />
trifft man sich, um den neuesten Klatsch und<br />
Tratsch auszutauschen oder um seine Blumen<br />
und Orangenbäume aufzustellen, die<br />
zu beinahe jedem niederländischen Haushalt<br />
gehören. Auch für Kinder hat dieser zwischen<br />
Außen- und Innenraum liegende Bereich<br />
einen ganz besonderen Spielwert. Ähnliche<br />
Qualitäten besitzen die Flächen zwischen<br />
den Gebäuden: Grüne Gartenbereiche verlaufen<br />
bis zum Wasser und sind so vor allem<br />
in den Sommermonaten ein beliebter Treffpunkt<br />
für die Bewohner der Armada.<br />
Neben der auffälligen architektonischen<br />
Form liegt das Erfolgsgeheimnis der Wohnanlage<br />
Armada vor allem im sozialen Konzept<br />
des Entwurfs. Die Bewohner haben<br />
hier vielfältige Möglichkeiten, miteinander<br />
in Kontakt zu treten. Das Areal, das wie das<br />
gesamte Stadtquartier schon bei der Masterplanung<br />
fußgängerfreundlich gestaltet<br />
wurde, ist mit einer Fußgängerbrücke an<br />
das gleich hinter der Bahntrasse liegende<br />
Zentrum angebunden. Halböffentliche Rä ume<br />
wie die reichlich bepflanzten Gärten<br />
Fakten<br />
Standort<br />
Gebäudetyp<br />
Investor<br />
Projekt-<br />
entwickler<br />
Architekten<br />
Fertigstellung<br />
‘s-Hertogenbosch, NL<br />
Mehrfamilienhaus<br />
BV Ontwikkelingsmaatschappij<br />
Credo Integrale<br />
Planontwikkeling BV<br />
Building Design Partnership,<br />
London, GB<br />
2003<br />
zwischen den Gebäuden oder auch die vor<br />
Wind und Wetter geschützten „Wintergärten“<br />
an den Nordseiten der Gebäude sind<br />
die Orte der Begegnung und Kommunikation.<br />
Auch die Balkone und Terrassen lassen<br />
vielfältige Möglichkeiten der Interaktion<br />
zu. So hat die bildhafte und kommunikationsfördernde<br />
Architekur sofort einen hohen<br />
Identifikationsgrad der Bewohner mit ihren<br />
Häusern entstehen lassen – es verwundert<br />
also nicht, dass die Wohnanlage „Armada“<br />
in ‘s-Hertogenbosch Anfang 2004 mit dem<br />
„Publieksprijs“, dem Publikumspreis der Niederländischen<br />
Architektenkammer, ausgezeichnet<br />
wurde.<br />
43
Oben Aus den Südfassaden<br />
strecken sich weit ausladende<br />
Balkone der Sonne entgegen.<br />
Sie fangen das Sonnenlicht ein<br />
und transportieren es bis weit<br />
in den Innenraum hinein, der<br />
dadurch mit natürlichem Licht<br />
verwöhnt wird. Die Balkone<br />
sind außerdem beliebte Orte<br />
der Kommunikation unter den<br />
Bewohnern.<br />
Unten Weit über die Giebelseiten<br />
hinaus spannen sich die mit<br />
Edelstahl verkleideten Südfassaden<br />
und verstärken so deren<br />
optische Wirkung als Segel. Die<br />
Fassaden der niedrigen „Longhouses“<br />
sind horizontal mit<br />
Zedernholz verkleidet, demgegenüber<br />
besitzen die höheren<br />
„Tallhouses“ an den Giebelseiten<br />
Klinkerfassaden.<br />
44 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
Ganz unten Große Öffnungen<br />
in der Fassade lassen das Tageslicht<br />
bis weit in den Wohnraum<br />
eindringen, der somit lange<br />
Zeit ohne künstliches Licht auskommt.<br />
Außerdem kann so die<br />
solare Energie für die Erwärmung<br />
der Innenräume effektiv<br />
genutzt werden.
ZEICHNUNGEN © BUILDING DESIGN PARTNERSHIP<br />
Unten (links) Die bewegte Großform<br />
der Gebäude setzt sich in<br />
vielen Details fort: Wie Schrauben<br />
winden sich die Fluchttreppen<br />
aus dem Boden heraus,<br />
selbst die Straßenlaternen<br />
folgen mit ihrer Krümmung der<br />
Fassadenform.<br />
Unten (rechts) Die Südfassaden<br />
funktionieren wie ein klimatisches<br />
Schild, das Sonne und<br />
Tageslicht optimal ausnutzt.<br />
An der Edelstahlverkleidung<br />
wird das Sonnenlicht reflektiert<br />
und dadurch die Nordseite des<br />
Nachbarblocks beleuchet. Durch<br />
die „Löcher im Segel“, die mit<br />
unterschiedlichen Fensterlösungen<br />
ausgestattet sind, gelangt<br />
das Licht tief ins Gebäudeinnere.<br />
Ganz unten Die Flächen zwischen<br />
den „Segeln“ sind als Gärten<br />
angelegt, die bis ans Wasser<br />
reichen. Sie dienen den Bewohnern<br />
der „Armada“ als halböffentlichen<br />
Ort zur gemeinsamen<br />
Freizeitgestaltung.<br />
45
ZEICHNUNGEN © DE BONTH VAN HULTEN B.V.<br />
Im Uhrzeigersinn <strong>von</strong> unten links<br />
Detail Dachfenster (Horizontal-/<br />
Vertikalschnitt), Fassadenschnitt<br />
und Anschlussdetail Geschossdecke/Fassade.<br />
Gegenüber Nicht nur in den<br />
gewölbten Edelstahlfassaden der<br />
Wohnhäuser, sondern auch im<br />
Wasser des künstlichen Bassins<br />
spiegelt sich das Abendlicht.<br />
46 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01
<strong>VELUX</strong> PANORAMA <strong>Architektur</strong> mit <strong>VELUX</strong><br />
aus aller Welt.<br />
LICHTFÄNGER<br />
HAUS WILLIMANN-LÖTSCHER<br />
IN SEVGEIN<br />
Fakten<br />
Standort<br />
Gebäudetyp<br />
Bauherr<br />
Architekten<br />
Fertigstellung<br />
Eine Lichtung am Rande des 220 Einwohner-Dorfes<br />
Sevgein im Schweizer<br />
Kanton Graubünden wurde für die<br />
fünfköpfige Familie Willimann-Lötscher<br />
zum neuen Wohnsitz. Von der<br />
Hangseite aus gesehen, ist das Haus<br />
der Architekten Bearth & Deplazes<br />
turmartig schmal und hoch. Talabwärts<br />
weitet es sich dagegen wie ein<br />
Keil und eröffnet seinen Bewohnern<br />
2<br />
48<br />
Sevgein, Graubünden, CH<br />
Einfamilienhaus<br />
Familie Willimann-Lötscher<br />
Bearth & Deplazes Architekten AG,<br />
Chur, CH<br />
1998<br />
den Blick auf die Landschaft der<br />
Vorderrheinschlucht. Erst beim Umrunden<br />
des Gebäudes nimmt der<br />
Betrachter die gesamte Länge des<br />
Gebäudes wahr. Jeder Raum besitzt<br />
genau ein Fenster, das das Licht in<br />
einen bestimmten Winkel des Hauses<br />
fallen lässt und umgekehrt gerahmte<br />
Aussichten ins Freie zulässt.<br />
Im Wohnzimmer ist die gesamte Fas-<br />
sadenseite zum Tal hin mit einer einzigen<br />
ungeteilten Glasscheibe versehen<br />
und bietet den Bewohnern einen<br />
atemberaubenden Panoramablick.<br />
Um die Baukosten möglichst gering<br />
zu halten, wurde das Haus als<br />
Holzrahmenkonstruktion aus vorgefertigten<br />
Elementen mit eingebauten<br />
Fenstern errichtet. Die dunkel<br />
lasierte Holzverschalung der Fassa-<br />
D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
1<br />
3<br />
den brachten die Bauherren nach genauen<br />
Plänen der Architekten selbst<br />
an. Insgesamt wurden hierfür drei<br />
unterschiedliche Holzformate verwendet<br />
und zu verschieden großen<br />
Feldern zusammengefasst, die den<br />
Fassaden Struktur und dem Haus<br />
seinen eigenwilligen Charakter verleihen.
ZEICHNUNGEN © BEARTH & DEPLAZES ARCHITEKTEN AG<br />
1. Von außen wirkt das Panoramafenster<br />
des Wohnbereichs<br />
wie ein überdimensionaler Bilderrahmen,<br />
der den weiten Blick in<br />
die Landschaft einfängt. Doch<br />
auch der Innenraum selbst wird<br />
dadurch zum „Bild“ für den<br />
Außenstehenden.<br />
2. Das Wohnzimmer ist an seiner<br />
dem Tal zugewandten Fassade<br />
voll verglast und ermöglicht so<br />
dem Bewohner einen Panoramablick<br />
auf die Graubündner Landschaft.<br />
3 4<br />
3. In der Gebäudemitte verbindet<br />
ein Treppenhaus die als Split-<br />
Level organisierten Wohnetagen.<br />
Am obersten Treppenabsatz<br />
öffnet sich ein Dachfenster zum<br />
Alpenpanorama ringsum.<br />
4. Nicht nur in den Dachflächen,<br />
sondern auch in den Außenwänden<br />
des Hauses wurden<br />
Dachfenster eingesetzt. Ihre<br />
Kupferverkleidung harmoniert<br />
farblich mit der verwitterten<br />
Holzverschalung.<br />
Ganz links (im Uhrzeigersinn<br />
<strong>von</strong> oben links)<br />
Nordfassade<br />
Ostfassade<br />
Westfassade<br />
Südfassade<br />
Links (<strong>von</strong> oben nach<br />
unten)<br />
Obergeschoss 3<br />
Obergeschoss 2<br />
Obergeschoss 1<br />
Erdgeschoss<br />
49
FOTOS VON EUGENI PONS<br />
MIT DER NATUR GEBAUT<br />
HAUS CUBINA-MARCO<br />
IN DAS/CERDANYA<br />
Fakten<br />
Standort<br />
Gebäudetyp<br />
Bauherr<br />
Architekten<br />
Fertigstellung<br />
Kalte und schneereiche Winter sowie<br />
heiße und trockene Sommer prägen<br />
die Naturlandschaft <strong>von</strong> Das in der<br />
Comarca Cerdanya im Herzen der Pyrenäen.<br />
Am Rande des 165-Seelen-<br />
Ortes, auf rund 1200 Metern Höhe,<br />
liegt das <strong>von</strong> den Architekten Gelpi<br />
Arroyo geplante Wohnhaus „La Cerdanya“.<br />
Typisch für die Region sind geneigte<br />
Dächer mit großen Dachüberständen.<br />
Diese klimatisch bedingte<br />
Bauweise kam auch bei diesem Haus<br />
zum Tragen – neben einem weiteren<br />
wichtigen Element: Eine Trockenmauer<br />
aus Natursteinen bildet das<br />
visuelle und funktionale „Rückgrat“.<br />
1<br />
50<br />
Das, Cerdanya, E<br />
Einfamilienhaus<br />
Familie Cubiñà-Marco<br />
Carles Gelpí Arroyo, Barcelona, E<br />
Juni 2004<br />
Sie teilt das Wohnhaus in einen nach<br />
Süden ausgerichteten Baukörper<br />
und in zwei – ungleich große – Seitentrakte<br />
mit einem gemeinsamen<br />
Innenhof auf der Nordseite.<br />
Das Gebäude wird entlang der<br />
Mauer erschlossen: Südlich da<strong>von</strong><br />
befinden sich die „Tages-Zonen“ mit<br />
einem zum Garten hin transparenten<br />
Wohn- und Essbereich, Küche<br />
und Bibliothek. Die beiden nördlichen<br />
Baukörper beherbergen die<br />
so genannten „Nacht-Zonen“, deren<br />
Fassaden – auch sie wurden vorwiegend<br />
mit Schiefer verkleidet – bis auf<br />
wenige raumhohe, mit Holzklappläden<br />
versehene Öffnungen geschlos-<br />
sen bleiben. Im Westen liegt die<br />
Suite der Eltern mit Schlafzimmer,<br />
Umkleide und Bad, im Osten ein Gästezimmer<br />
sowie zwei großzügige<br />
Kinderzimmer mit jeweils eigenem<br />
Bad. Auch wenn die Suite der Eltern<br />
strikt vom Kinder- und Gästebereich<br />
getrennt ist, wird der dazwischen liegende<br />
Hof doch <strong>von</strong> beiden erschlossen<br />
und genutzt. So profitieren alle<br />
Bewohner <strong>von</strong> der Sicht auf das beeindruckende<br />
Bergpanorama, die<br />
sich <strong>von</strong> hier aus bietet.<br />
Ein Stockwerk tiefer, in den Hang<br />
gebaut, befinden sich die Service-<br />
Bereiche wie Garage, Heizungs- und<br />
Vorratsraum sowie die Wohnung<br />
D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
1. Das Wohnhaus liegt im<br />
Herzen der Pyrenäen am Rand<br />
der kleinen Ortschaft Das.<br />
Von hier aus erstreckt sich ein<br />
weiter Blick auf das idyllische<br />
Bergpanorama.<br />
2. Eine Natursteinmauer bildet<br />
das „Rückgrat“ des Gebäudes.<br />
Hier kommen die Lasten des<br />
Pultdachs zusammen. Der<br />
Übergang vom Erschließungsflur<br />
zum niedriger gelegenen<br />
Wohnraum wird durch die<br />
direkt unter dem First integrierten<br />
Dachfenster akzentuiert.<br />
der Hausangestellten. Als schmales<br />
Band angelegt ist der Sportraum mit<br />
direktem Zugang zum Swimmingpool<br />
im Freien.<br />
Die Materialien Schiefer und Holz<br />
spiegeln das raue Bergklima wider.<br />
Umso erstaunlicher ist es, ein sehr<br />
lichtes und offenes Gebäude vorzufinden.<br />
Der durchgehende Schieferboden,<br />
das Lichts des Innenhofs,<br />
der an die Mauer grenzt, sowie das<br />
gleichmäßige Licht <strong>von</strong> oben lassen<br />
einen starken Bezug zum Außenraum<br />
entstehen. Das Dach ist ebenfalls<br />
schiefergedeckt. Jeweils nach<br />
außen geneigt, ist es im Patio als<br />
dünne Kante sichtbar.
2<br />
Detail Dachfenster<br />
Längsschnitt<br />
Querschnitt<br />
Lageplan<br />
51<br />
ZEICHNUNGEN © CARLES GELPI ARROYO
SCHWARZ UND SCHLANK<br />
BLACK HOUSE<br />
IN PRICKWILLOW<br />
Fakten<br />
Standort<br />
Gebäudetyp<br />
Bauherr und Architekt<br />
Fertigstellung<br />
Die Region <strong>von</strong> Ely in der englischen<br />
Grafschaft Cambridgeshire nördlich<br />
<strong>von</strong> London ist geprägt <strong>von</strong> seinen<br />
trockengelegten Moorlandschaften<br />
„Cambridgeshire Fens“ und zahlreichen<br />
alten, mit dunklen Faserzementplatten<br />
verkleideten Feldscheunen,<br />
die wie auf die flache Ebene gewürfelt<br />
wirken. Ihr äußeres Erscheinungsbild<br />
greift der Architekt Meredith<br />
Bowles für seinen Entwurf des<br />
„Black House“ in Prickwillow auf: Die<br />
gesamte Fassade und das Dach sind<br />
mit schwarzen Faserzement-Wellplatten<br />
verkleidet. Die vertikal angebrachten<br />
Profile lassen die ohnehin<br />
schmalen Proportionen des Hauses<br />
noch schlanker und höher erscheinen,<br />
verstärkt durch das leichte Aufständern<br />
des gesamten Hauses. Durchbrochen<br />
wird das vorherrschende<br />
Schwarz der Fassade <strong>von</strong> Fenstern<br />
und Türen in unterschiedlichen Formaten,<br />
deren Farbigkeit spielerische<br />
Kingdon Ave., Prickwillow,<br />
Cambridgeshire, GB<br />
Einfamilienhaus<br />
Mole Architects, Prickwillow, GB<br />
2003<br />
Akzente setzt. Einzige Ausnahme bilden<br />
dabei die Dachwohnfenster, die<br />
sich farblich der dunklen Außenhaut<br />
anpassen. Unerwartet hell präsentieren<br />
sich dagegen die Innenräume,<br />
die mit viel natürlichem Licht durch<br />
die nach Sonnenverlauf und Ausblick<br />
angeordneten Fenster belichtet werden.<br />
Um einen zentralen Kern mit<br />
Küche, Bädern und Treppenhaus<br />
gruppieren sich die Wohn- und<br />
Schlafräume sowie Meredith Bowles’<br />
<strong>Architektur</strong>büro „Mole Achitects“.<br />
Farbliche Akzente in Grün und Pink<br />
setzen die Idee der Fassaden im Inneren<br />
fort. Das unter anderem mit<br />
dem RIBA Award 2004 ausgezeichnete<br />
Gebäude besteht zum größten<br />
Teil aus wieder verwertbaren Materialien<br />
und verfügt über eine Wärmetauscheranlage,<br />
die die warme<br />
Abluft aus den Innenräumen zum<br />
Vorheizen der Zuluft und des Warmwassers<br />
nutzt.<br />
Detail Dachfenster<br />
Von oben nach unten<br />
Dachgeschoss<br />
Obergeschoss<br />
Erdgeschoss<br />
52 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
ZEICHNUNGEN © MOLE ARCHITECTS
1 2<br />
3<br />
1. Vertikal angebrachte Faserzement-<br />
Wellplatten unterstreichen die Schlankheit<br />
des Gebäudes. Die Horizontale<br />
betonen Abdeckprofile in den Stößen<br />
der Platten.<br />
2. Insgesamt sechs <strong>VELUX</strong> Dachwohnfenster<br />
– drei in jeder Dachfläche – versorgen<br />
die Räume im obersten Geschoss<br />
mit Tageslicht. Kräftig gemusterte<br />
Tapeten, im Haus sonst eine Seltenheit,<br />
geben dem Teppenhaus optischen<br />
Zusammenhalt.<br />
3. Das „Black House“ ist im Ortsbild <strong>von</strong><br />
Prickwillow ohne Parallele. Doch seine<br />
<strong>Architektur</strong> orientiert sich durchaus an<br />
regionalen Vorbildern; namentlich den<br />
Feldscheunen der „Cambridgeshire Fens“.<br />
53<br />
FOTOS VON JOHN DONAT
HÄUSER AM ANGER<br />
NY MOESGÅRD IN SKÅDE<br />
Fakten<br />
Standort<br />
Gebäudetyp<br />
Bauher<br />
Architekt<br />
Fertigstellung<br />
In drei Reihen folgen die Häuser der<br />
Wohnanlage Ny Moesgård in Skåde<br />
dem steilen Hang. Sie sind so gestaffelt,<br />
dass fast alle <strong>von</strong> ihnen am Ausblick<br />
auf die umliegenden Wälder<br />
und das nicht weit entfernte Meer<br />
teilhaben. Am Fuß des Abhangs<br />
dient eine naturbelassene Wiese –<br />
der Anger – als gemeinschaftlicher<br />
Freibereich für alle Häuser. Die Vielgestaltigkeit<br />
der Anlage mit ihren<br />
zahlreichen Niveausprüngen setzt<br />
sich auch im Inneren der Häuser<br />
fort: Vom Ein- bis zum Viergeschosser<br />
kommt in Ny Moesgård alles vor.<br />
Allerdings besitzen selbst die größten<br />
Häuser mit 124 Quadratmetern<br />
Fläche nicht mehr als drei Zimmer.<br />
Der Grund war eine Vorschrift der<br />
örtlichen Behörden, die eigentlich<br />
darauf abzielte, die Ansiedlung kinderreicher<br />
Familien zu verhindern,<br />
weil die Grundschule des Ortes ihre<br />
1<br />
54<br />
Skåde, Århus, DK<br />
Reihenhäuser<br />
Tryg-Baltica Ejendomme<br />
C. F. Møller<br />
1999<br />
Kapazitätsgrenze erreicht hatte. Die<br />
<strong>Architektur</strong> profitiert da<strong>von</strong>: Die Innenräume<br />
sind groß, hoch und licht,<br />
doppelt geschosshohe Volumen sind<br />
keine Seltenheit.<br />
Die blassgelb verputzten, mit<br />
zwölf Metern ungewöhnlich tiefen<br />
Backsteinbauten setzen sich deutlich<br />
<strong>von</strong> der Wald- und Wiesenlandschaft<br />
ab. Ihre Fenster und Türen aus<br />
dunklem Holz kontrastieren mit den<br />
hellen Fassaden; die Zinkdächer reflektieren<br />
das Sonnenlicht. Markante<br />
„Lichtkamine“ nehmen die Stelle<br />
der in der traditionellen Ikonografie<br />
üblichen Schornsteine ein. Sie sind<br />
direkt über dem First angebracht<br />
und lassen Tageslicht in das zentrale,<br />
offene Treppenhaus fallen. Öffnungen<br />
in den Innenwänden leiten das<br />
Licht buchstäblich bis in die hintersten<br />
Winkel der Häuser weiter.<br />
2<br />
Querschnitt<br />
D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
1. Die blassgelb verputzten Häuser folgen mit<br />
ihrer Staffelung dem steilen Geländeverlauf.<br />
Zwischen den drei Häuserreihen bilden Grasflächen<br />
die grüne Mitte des Wohngebiets.<br />
2. Die Häuser scheinen wie „aus einem Block<br />
geschnitten“. Ihre Dachrinnen sind verdeckt<br />
angebracht und alle Fenster liegen bündig in<br />
der Fassade.<br />
FOTOS VON TORBEN ESKEROD ZEICHNUNGEN © C. F. MØLLER
HÄUSER AM ANGER<br />
NY MOESGÅRD IN SKÅDE<br />
Fakten<br />
Standort<br />
Gebäudetyp<br />
Bauher<br />
Architekt<br />
Fertigstellung<br />
In drei Reihen folgen die Häuser der<br />
Wohnanlage Ny Moesgård in Skåde<br />
dem steilen Hang. Sie sind so gestaffelt,<br />
dass fast alle <strong>von</strong> ihnen am Ausblick<br />
auf die umliegenden Wälder<br />
und das nicht weit entfernte Meer<br />
teilhaben. Am Fuß des Abhangs<br />
dient eine naturbelassene Wiese –<br />
der Anger – als gemeinschaftlicher<br />
Freibereich für alle Häuser. Die Vielgestaltigkeit<br />
der Anlage mit ihren<br />
zahlreichen Niveausprüngen setzt<br />
sich auch im Inneren der Häuser<br />
fort: Vom Ein- bis zum Viergeschosser<br />
kommt in Ny Moesgård alles vor.<br />
Allerdings besitzen selbst die größten<br />
Häuser mit 124 Quadratmetern<br />
Fläche nicht mehr als drei Zimmer.<br />
Der Grund war eine Vorschrift der<br />
örtlichen Behörden, die eigentlich<br />
darauf abzielte, die Ansiedlung kinderreicher<br />
Familien zu verhindern,<br />
weil die Grundschule des Ortes ihre<br />
1<br />
54<br />
Skåde, Århus, DK<br />
Reihenhäuser<br />
Tryg-Baltica Ejendomme<br />
C. F. Møller<br />
1999<br />
Kapazitätsgrenze erreicht hatte. Die<br />
<strong>Architektur</strong> profitiert da<strong>von</strong>: Die Innenräume<br />
sind groß, hoch und licht,<br />
doppelt geschosshohe Volumen sind<br />
keine Seltenheit.<br />
Die blassgelb verputzten, mit<br />
zwölf Metern ungewöhnlich tiefen<br />
Backsteinbauten setzen sich deutlich<br />
<strong>von</strong> der Wald- und Wiesenlandschaft<br />
ab. Ihre Fenster und Türen aus<br />
dunklem Holz kontrastieren mit den<br />
hellen Fassaden; die Zinkdächer reflektieren<br />
das Sonnenlicht. Markante<br />
„Lichtkamine“ nehmen die Stelle<br />
der in der traditionellen Ikonografie<br />
üblichen Schornsteine ein. Sie sind<br />
direkt über dem First angebracht<br />
und lassen Tageslicht in das zentrale,<br />
offene Treppenhaus fallen. Öffnungen<br />
in den Innenwänden leiten das<br />
Licht buchstäblich bis in die hintersten<br />
Winkel der Häuser weiter.<br />
2<br />
Querschnitt<br />
D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
1. Die blassgelb verputzten Häuser folgen mit<br />
ihrer Staffelung dem steilen Geländeverlauf.<br />
Zwischen den drei Häuserreihen bilden Grasflächen<br />
die grüne Mitte des Wohngebiets.<br />
2. Die Häuser scheinen wie „aus einem Block<br />
geschnitten“. Ihre Dachrinnen sind verdeckt<br />
angebracht und alle Fenster liegen bündig in<br />
der Fassade.<br />
FOTOS VON TORBEN ESKEROD ZEICHNUNGEN © C. F. MØLLER
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– besonders Biologie – interessiert<br />
und wollte dieses Fach auch an der<br />
Universität studieren. Vor der Zulassung<br />
zum Biologiestudium musste man jedoch<br />
eineinhalb Jahre lang an Vorkursen teilnehmen.<br />
Deshalb wechselte ich das Institut<br />
und begann, gesellschaftswissenschaftliche<br />
Fächer wie Psychologie und Sozialwis-<br />
senschaften zu studieren. Ich wäre vielleicht<br />
Seelendoktor geworden, wenn da nicht ein<br />
weiteres Hindernis gewesen wäre: Unabhängig<br />
<strong>von</strong> den Noten gab es eine etwa<br />
dreijährige Wartezeit für den Masterkurs<br />
in Psychologie, durch den man erst die<br />
Erla ubnis bekam, zu praktizieren. Daher ab -<br />
solvierte ich schließlich einen Bachelor in<br />
„Kultur- und Naturwissenschaften“.<br />
D&A Wie kamen Sie schließlich doch noch<br />
zur <strong>Architektur</strong>?<br />
CCHE Als Kind hatte ich immer Spaß am<br />
Zeichnen, Malen und Bauen. Während mei -<br />
ner Gymnasialzeit ging ich als Austauschschüler<br />
in die USA, wo man mir im Kunstunterricht<br />
völlige Freiheit gab. Erneut kam<br />
mir der Gedanke, einen kreativen Beruf zu<br />
er greifen, und zufällig fand ich einen Anmel -<br />
debogen für die Hochschule für <strong>Architektur</strong><br />
in Oslo. Das war ganz kurz vor dem Abgabetermin,<br />
und die Arbeit, die ich einreichen<br />
musste, habe ich erst auf dem Postamt<br />
fertig gestellt.<br />
D&A Glauben Sie, dass Sie durch Ihre vielseitige<br />
Ausbildung eine andere Sichtweise<br />
auf die <strong>Architektur</strong> besitzen?<br />
CCHE Ich habe in meinem <strong>Architektur</strong>studium<br />
oft auf das zurückgegriffen, was ich<br />
vorher gelernt hatte, vor allem auf mein sozialwissenschaftliches<br />
Studium. In jedem<br />
Fachgebiet unterliegt man der Gefahr, engstirnig<br />
zu werden und eindimensional zu<br />
D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
Links Claes Ekornås gewann den<br />
International <strong>VELUX</strong> Award 2004<br />
für seinen Diplomentwurf,<br />
ein Museum für den koreanischen<br />
Videokünstler Nam June Paik.<br />
Neben der <strong>Architektur</strong> interessiert<br />
er sich für Fotografie, Film und<br />
Kunst, Philosophie und Technik.<br />
arbeiten. Um die Dinge für sich ins rechte<br />
Licht zu rücken, ist es wichtig, auch für Wissen<br />
außerhalb des eigenen Spezialgebiets<br />
offen zu bleiben.<br />
Meine Arbeitsweise in der <strong>Architektur</strong><br />
ist immer projektbezogen; ich versuche stets,<br />
die zugrunde liegenden Vorgaben zu verstehen<br />
und zu erkennen. Oberflächlich werden<br />
meine Arbeiten oft als etwas „verrückt“ und<br />
„wild“ betrachtet. Falls dies stimmt, so ist das<br />
nur das Ergebnis meines akademischen Ansatzes:<br />
Meine Konzepte durchlaufen eine<br />
systematische und methodische Analyse,<br />
und ich visualisiere sie sowohl mit grafischen<br />
als auch mit physikalischen Modellen.<br />
D&A Wo steht die norwegische <strong>Architektur</strong><br />
heute im Vergleich zu den skandinavischen<br />
Nachbarn und zu anderen Ländern?<br />
CCHE Verglichen mit Dänemark, Finnland<br />
und Schweden haben wir in der <strong>Architektur</strong><br />
noch viel aufzuholen. Unsere Nachbarländer<br />
haben eine Geschichte, auf die sie verweisen<br />
und mit der sie sich brüsten können. Wir in<br />
Norwegen können dagegen nur auf unsere<br />
1000 Jahre alten Stabkirchen verweisen,<br />
die ich im Übrigen sehr schätze.<br />
Erst in den letzten paar Jahren sind<br />
Design und <strong>Architektur</strong> auch in Norwegen<br />
zu Themen geworden, die in der Öffentlichkeit<br />
regelmäßig Beachtung finden. Als gemeinsames<br />
Merkmal würde ich nennen,<br />
dass Elemente wie Licht und Wetter und<br />
eine enge Beziehung zur Natur die <strong>Architektur</strong><br />
hier stark beeinflussen.<br />
57
Durch das Klima und unsere <strong>Architektur</strong>tradition<br />
waren wir bisher auf kleine Fenster,<br />
dicke Mauern und geneigte Dächer<br />
beschränkt. Aber unsere Entwicklung ist<br />
viel versprechend. Moderne Technologien<br />
und Kontakte zur internationalen Szene<br />
haben uns neue Möglichkeiten eröffnet,<br />
und die Norweger haben erkannt, dass nicht<br />
alles wie eine Holzhütte aussehen muss. Im<br />
Moment gibt es in Norwegen einen bisher<br />
einmaligen Bauboom. Größere Projekte<br />
wecken neuerdings auch internationales<br />
Interesse, etwa die neue Oper in Oslo <strong>von</strong><br />
Snøhetta. Renommierte Architekten aus<br />
dem Ausland nehmen an Ausschreibungen<br />
für Projekte in Norwegen teil. Beispielsweise<br />
hat OMA gemeinsam mit der Space<br />
Group den Wettbewerb für ein neues Stadtviertel<br />
am Hafen <strong>von</strong> Oslo gewonnen, und<br />
daneben wird Renzo Piano gemeinsam mit<br />
der dänischen Kunststiftung Louisiana ein<br />
Museum errichten.<br />
D&A Wie sind die Arbeitschancen für junge<br />
Architekten in Norwegen?<br />
CCHE Zum Glück habe ich direkt nach mei-<br />
nem Diplom Arbeit gefunden, denn bei vielen<br />
Kommilitonen war das zu dieser Zeit nicht<br />
der Fall. Heute, nur eineinhalb Jahre später,<br />
ist es leichter, eine Stelle zu bekommen.<br />
D&A Haben Sie jemals im Ausland studiert?<br />
CCHE Ich hatte die Absicht, im Ausland <strong>Architektur</strong><br />
zu studieren, doch dazu ist es nie<br />
gekommen. Ich glaube, an der AHO (Oslo<br />
School of <strong>Architecture</strong> and Design) sind wir<br />
im Vergleich zu anderen Hochschulen im<br />
Ausland privilegiert. In manchen Kursen<br />
werden 30 Studenten <strong>von</strong> bis zu vier Dozenten<br />
betreut.<br />
Mein Eindruck <strong>von</strong> einigen ausländischen<br />
Hochschulen ist, dass sie einen sehr viel<br />
technischeren und pragmatischeren Ansatz<br />
verfolgen als wir. Während einige der ausländischen<br />
Austauschstudenten in meinem<br />
Kurs nach zwei Wochen ein „abgeschlossenes“<br />
Projekt vorliegen hatten, befanden sich<br />
viele <strong>von</strong> uns noch in der Konzeptphase.<br />
D&A Welche Architekten schätzen Sie?<br />
CCHE Ich habe Hochachtung vor Architekten,<br />
die nicht nur auf der Grundlage fester<br />
Vorgaben an ein Projekt herangehen, sondern<br />
die Grenzen <strong>von</strong> Stilen und gesellschaftlichen<br />
Sichtweisen überschreiten. Anstatt<br />
sich damit zufrieden zu geben, auf Nummer<br />
Sicher zu gehen, sollte man zumindest versuchen,<br />
etwas Neues auszuprobieren und<br />
Visionen zu entwickeln, denn nur so lässt<br />
sich mit den gesellschaftlichen Entwicklungen<br />
Schritt halten. Dabei beziehe ich mich<br />
nicht unbedingt auf soziale Bauprojekte. Als<br />
Architekten müssen wir die Hoffnung haben,<br />
in gewisser Weise an der Entwicklung der<br />
Gesellschaft mitzuwirken und nicht hinter<br />
ihr zurückzubleiben.<br />
D&A Für den <strong>VELUX</strong> Preis haben Sie ein<br />
Museum für den berühmten koreanischen<br />
Künstler Nam June Paik entworfen. Gab es<br />
irgendwelche Verbindungen zum realen<br />
Wettbewerb für das Nam June Paik-Museum,<br />
der vor etwa zwei Jahren stattfand?<br />
CCHE Teile meiner Arbeit für den <strong>VELUX</strong><br />
Preis waren meiner Diplomarbeit entnommen,<br />
die ich sechs Monate zuvor angefertigt<br />
hatte. Darum dachte ich nicht viel darüber<br />
nach, ob ich den Preis gewinnen könnte,<br />
denn der Entwurf war ja ursprünglich nicht<br />
für den Wettbewerb bestimmt.<br />
58 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
D&A Ihr Projekt ist eine multidisziplinäre<br />
Fusion <strong>von</strong> Kunst, <strong>Architektur</strong> und dem<br />
Menschen. Haben Sie schon gemeinsam<br />
mit Künstlern oder Naturwissenschaftlern<br />
an einem realen Projekt gearbeitet?<br />
CCHE Ich hatte noch nicht die Gelegenheit<br />
dazu, aber ich würde wirklich gern mehr<br />
mit Video und Film arbeiten, weil dieses<br />
Medium vielfältige Beziehungen zur <strong>Architektur</strong><br />
aufweist, wie zum Beispiel Beleuchtung,<br />
Inszenierung oder die menschliche<br />
Wahrnehmung. Meine Diplomarbeit besprach<br />
ich manchmal mit meiner Tante<br />
Marianne Heske, die auch Künstlerin ist<br />
und Nam June Paik persönlich kannte.<br />
D&A Was fasziniert Sie außer Kunst und<br />
<strong>Architektur</strong> am meisten?<br />
CCHE Ich bin ein Technik- und Naturwissenschaftsfreak<br />
und bin außerdem <strong>von</strong> Spiel-<br />
und Trickfilmen fasziniert. Wenn ich mehr<br />
Freizeit hätte, würde ich sie mit Fotografieren,<br />
Zeichnen und Malen verbringen. In<br />
Zukunft möchte ich außerdem gern im<br />
Bereich Möbeldesign arbeiten.<br />
D&A Ihre Vorfahren stammen aus Korea.<br />
Haben Sie noch eine persönliche Beziehung<br />
zu diesem Land?<br />
CCHE Im Alter <strong>von</strong> vier Jahren wurde ich<br />
<strong>von</strong> meinen norwegischen Eltern adoptiert.<br />
1998 bin ich mit meinen Eltern durch Korea<br />
gereist, aber darüber hinaus fühle mich nicht<br />
besonders mit dem Land verbunden. Allerdings<br />
faszinierte mich, dass die alte <strong>Architektur</strong><br />
Koreas zum großen Teil Ähnlichkeit<br />
mit der traditionellen altnorwegischen<br />
<strong>Architektur</strong> hat. Beide Länder haben eine<br />
ausgeprägte Tradition der Verbundenheit
mit der Natur, und dies spiegelt sich auch in<br />
der <strong>Architektur</strong> wider.<br />
D&A Was bedeutete es für Sie, den International<br />
<strong>VELUX</strong> Award zu gewinnen?<br />
CCHE Ich hatte eine überarbeitete Version<br />
meiner Diplomarbeit zum Wettbewerb eingesandt.<br />
Es hat mich sehr überrascht, als ich<br />
einen Anruf <strong>von</strong> Glenn Murcutt, dem Vorsitzenden<br />
der Jury persönlich, erhielt, der mir<br />
mitteilte, dass ich den ersten Preis gewonnen<br />
hatte. Mit einem solchen Preis ausgezeichnet<br />
zu werden, ist natürlich gut für das<br />
Selbstbewusstsein – insbesondere, wenn<br />
man die große Teilnehmerzahl und die prominent<br />
besetzte Jury bedenkt. Der Preis<br />
bestätigt aber auch, dass das, woran ich<br />
während meines Studiums gearbeitet habe,<br />
auch außerhalb meiner eigenen Hochschule<br />
einen gewissen Wert besitzt.<br />
Unabhängig da<strong>von</strong>, dass ich den ersten<br />
Preis gewonnen habe, möchte ich die Seriosität<br />
des International <strong>VELUX</strong> Award und<br />
die intensive Arbeit der Jury betonen. Es gibt<br />
nicht viele Preise für Studenten und junge<br />
Architekten, die sich so intensiv mit konzeptionellen<br />
Studienprojekten beschäftigen.<br />
D&A Was sind Ihre Pläne für die nächste<br />
Zukunft – beruflich und privat?<br />
CCHE Ich habe inzwischen eine Stelle beim<br />
<strong>Architektur</strong>büro Jarmund/Vigsnæs angetreten.<br />
Zumindest in Norwegen ist dieses Büro<br />
bekannt dafür, dass es frischen Wind in die<br />
<strong>Architektur</strong>szene bringt. Bisher wurden mir<br />
schon recht anspruchsvolle Aufgaben übertragen,<br />
und ich glaube, dass ich in diesem<br />
Büro viel lernen kann. Im Moment bin ich sehr<br />
zufrieden, hier zu sein, da wir an vielen interessanten<br />
Projekten arbeiten. Wir sind als<br />
einziges norwegisches Büro bei der <strong>Architektur</strong>biennale<br />
in Argentinien vertreten. Und<br />
übrigens haben Jarmund/Vigsnæs früher<br />
selbst einmal den <strong>VELUX</strong> Award gewonnen.<br />
In der Zukunft würde ich gern mit einigen<br />
Gleichgesinnten ein eigenes Büro eröffnen.<br />
Vielleicht werde ich ja auch im Ausland<br />
arbeiten. Ich finde es überaus schwierig, vorherzusagen,<br />
was in einem Jahr sein wird, und<br />
darum kann ich mich nur an ein Kriterium<br />
halten: Das, was ich tue, soll Spaß machen.<br />
Und wenn „Spaß machen“ bedeutet, einen<br />
24-stündigen Arbeitstag zu haben oder in<br />
Sibirien zu arbeiten, dann ist das gut so – ich<br />
bin offen für alles, was die Zukunft bringt!<br />
Gegenüber Landscape – Lightscape:<br />
Das Museum ist terrassenartig in die hügelige<br />
Umgebung integriert. Das Licht, das durch<br />
die Fassaden nach außen dringt, interpretiert<br />
Claes Ekornås als gebaute Landschaft, die<br />
Landschaft als gebautes Licht.<br />
Oben In Vorstudien vertiefte Claes Ekornås<br />
die Entwurfsaspekte Grenze, Struktur,<br />
Überblendung und Dualität.<br />
Unten Mit zahlreichen Handskizzen legte<br />
Claes Ekornås die Lage des Museums in der<br />
Hügellandschaft fest.<br />
59
BÜCHER<br />
REZENSIONEN<br />
Zum Weiterlesen:<br />
Aktuelle Bücher,<br />
präsentiert <strong>von</strong> D&A.<br />
CLAUS EN KAAN<br />
ARCHITECTEN<br />
The Royal Netherlands Embassy<br />
in Mozambique<br />
NAi Publishers 2005<br />
ISBN 90-5662-420-2<br />
Das Buch über die neue niederländische<br />
Botschaft in Maputo, der Hauptstadt<br />
<strong>von</strong> Moçambique, ist eine der<br />
wenigen Publikationen über <strong>Architektur</strong>,<br />
bei denen beides zusammenkommt:<br />
ein Architektenteam, das<br />
virtuos mit dem Tageslicht umgeht,<br />
und ein Fotograf, der diese Kunstfertigkeit<br />
im Bild festzuhalten weiß.<br />
Mit großformatigen Fotos <strong>von</strong> Christian<br />
Richters zeigt dieses Buch die<br />
<strong>Architektur</strong> der Botschaft mit ihren<br />
wechselnden Lichtstimmungen: die<br />
gläserne, hinter einem Portikus zurückgesetzte<br />
Straßenfassade, die<br />
das blendfreie Südlicht (wir befinden<br />
uns auf der Südhalbkugel) weit<br />
in die Büroräume fluten lässt, die<br />
Nordfassade mit ihren zahlreichen,<br />
vertikalen Lichtschlitzen, die die Erschließungshalle<br />
mit harten Kontrasten<br />
„bespielt“, und die überall im<br />
Gebäude verteilten Oberlichter, die<br />
auch die Nebenräume noch großzügig<br />
mit natürlichem Licht versorgen.<br />
Felix Claus und Kees Kaan sind Meister<br />
in der Kunst, auch kleinen Gebäuden<br />
Größe zu verleihen. Doch der<br />
trotz seiner 190 Seiten recht handliche<br />
Band dokumentiert nicht nur<br />
erstklassige <strong>Architektur</strong>. Neben den<br />
<strong>Architektur</strong>fotografien <strong>von</strong> Christian<br />
Richters zeigen Fotos <strong>von</strong> Maarten<br />
Laupman und Vincent Panhuyzen<br />
das Leben auf den Straßen der noch<br />
immer bitterarmen 1,25-Millionen-<br />
Metropole: Fußabdrücke im feuchten<br />
Beton, Wandmalereien mit Waschmittelwerbung,<br />
Straßenmärkte,<br />
Strandszenen und immer wieder<br />
nachkriegsmoderne Betonarchitektur.<br />
Maputo hat ein, wenn auch spärliches,<br />
modernes architektonisches<br />
Erbe, das der portugiesische Architekt<br />
José Forjaz eingangs des Buches<br />
vorstellt. Erst auf Seite 85 nähert<br />
sich das Buch der Botschaft selbst.<br />
Hans Ibelings erläutert in nüchterner,<br />
aber kenntnisreicher Manier die<br />
<strong>Architektur</strong> der Botschaft und ihre<br />
vielfältigen Beziehungen zur Umgebung,<br />
einem zwischenzeitlich etwas<br />
heruntergekommenen Villenviertel.<br />
Während Ibelings Bauten in (für die<br />
Architkten) fremden Ländern oftmals<br />
einen „klischeehaften Exotizismus,<br />
keine übereifrige Anpassung an<br />
lokale Gepflogenheiten oder, im Gegensatz<br />
hierzu, ein Mangel an Empathie“<br />
zuschreibt, stellt er für die<br />
Botschaft kurz und bündig das Gegenteil<br />
fest: „Sie sieht aus, als hätte<br />
sie schon immer dort gestanden“.<br />
Den Lernprozess, den das Bauen<br />
im fremden Kontext bedeutet, beschreiben<br />
auch die Architekten<br />
selbst in einem kurzen Essay. Für<br />
sie wurden Planung und Bau der<br />
Botschaft zu einem sechsjährigen<br />
Abenteuer, das mit dem Beschluss<br />
des niederländischen Außenministeriums<br />
begann, fünf neue Botschaften<br />
in Afrika zu bauen, über 25 Besuche<br />
in Maputo einschloss und schließlich<br />
mit der Einweihung im Mai 2005<br />
endete. Die unterschiedliche Baukultur<br />
zwischen den Niederlanden und<br />
Moçambique drückten sich in Bautoleranzen<br />
(die mitunter in Zentimetern<br />
gemessen wurden) und in der<br />
Oberflächenbearbeitung aus (die<br />
daher um so perfekter war und, bis<br />
hin zum Polieren des Sichtbetons,<br />
<strong>von</strong> Hand vorgenommen wurde).<br />
Rob Gaunt vom südafrikanischen<br />
Partnerbüro EQF, das für die Umsetzung<br />
zuständig war, und Jan Willem<br />
Smit, Projektleiter des Außenministeriums,<br />
nehmen den Erzählfaden<br />
in ihren Beiträgen auf. Smit schreibt<br />
über die ersten Begegnungen zwischen<br />
Bauherren, Architekten und<br />
Bauplatz sowie das Genehmigungsverfahren,<br />
(„eine Art Laden, der<br />
Baugenehmigungen und Waren gleichermaßen<br />
verkaufte“). Der Leser<br />
erfährt erstaunliche und teils amüsante<br />
Details aus dem Baualltag in<br />
einem Entwicklungsland; so etwa<br />
<strong>von</strong> dem vermeintlichen Holzlieferanten;<br />
der sich brüstet, Unmengen<br />
edlen Tropenholzes liefern zu können<br />
und auf die Bitte, dem Kunden sein<br />
Lager zu zeigen, auf den Urwald hinter<br />
seiner Hütte verweist.<br />
Anekdoten wie diese bestimmen<br />
den Erzählstil des Buchs, das<br />
trotz der staatstragenden Funktion<br />
des Bauwerks angenehm menschlich<br />
daherkommt. So bleibt das eine<br />
oder andere Detail am Bau zwar ohne<br />
Erläuterung, doch das Umfeld, in<br />
dem diese <strong>Architektur</strong> steht, tritt<br />
um so plastischer hervor. Selbst an<br />
einem zehnseitigen <strong>Architektur</strong>führer<br />
durch die Stadt Maputo am<br />
Schluss des Buches haben es die<br />
Herausgeber nicht fehlen lassen.<br />
.<br />
60 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
PETER<br />
EISENMAN<br />
Barfuß auf weiß<br />
glühenden Mauern<br />
Peter Noever (Herausgeber)<br />
Hatje Cantz 2004<br />
ISBN 3-7757-1561-4<br />
Er sei ein „Virtuose der Festlegungsscheu<br />
und ein Meister des In-der-<br />
Schwebe-Haltens“ schreibt der Direktor<br />
des Wiener Museums für<br />
Angewandte Kunst, Peter Noever,<br />
eingangs des Buchs „Barfuß auf<br />
weiß glühenden Mauern“ über Peter<br />
Eisenman. Der Amerikaner, dem das<br />
MAK im Frühjahr 2005 eine Ausstellung<br />
und den hier besprochenen Katalog<br />
widmete, steht just zu einem<br />
Zeitpunkt im Mittelpunkt des Interesses,<br />
da sich andere Vordenker der<br />
<strong>Architektur</strong> zunehmend dem Bauen<br />
und immer weniger dem Theoretisieren<br />
zuwenden. Nicht so Eisenman:<br />
Bei der <strong>Architektur</strong>biennale<br />
2004 in Venedig erhielt er den Goldenen<br />
Löwen für sein Lebenswerk,<br />
und dies – so ist zu vermuten – mehr<br />
noch für sein gedachtes als für sein<br />
gebautes Werk. Der wohl letzte aufrechte<br />
Dekonstruktivist „entzieht<br />
den Raum seiner üblichen Funktionalisierung<br />
und Zweckbestimmung,<br />
um ihn neu zu denken, ohne ihn deswegen<br />
aber neu erfinden zu können“,<br />
wie Noever in der Einleitung zum Katalog<br />
schreibt. Oder, kürzer: Er „stellt<br />
Haltung über Formfindung.“<br />
Für die Wiener Ausstellung realisierte<br />
Eisenman ein Feld aus 30<br />
weißen Kuben in der Ausstellungshalle<br />
des Museums, dessen jeder ein<br />
„Diagramm“ (in der Eisenman-Terminologie<br />
eine Art räumliche Konzeptskizze)<br />
einer seiner Bauten enthält.<br />
Sie stehen auch im Mittelpunkt des<br />
Katalogs, dessen Gestaltung Eisenmans<br />
<strong>Architektur</strong> auf das Beste wi-
derspiegelt: schwarzweiß, abstrakt<br />
und diagrammatisch und dabei (mit<br />
einem Format <strong>von</strong> 24 x 32 Zentimetern)<br />
überaus sperrig. Dargeboten<br />
wird eine Mischung aus theoretischen<br />
Schriften Eisenmans, Beschreibungen<br />
gebauter und erdachter Projekte<br />
sowie Würdigungen der Kritiker<br />
an die Adresse des Amerikaners.<br />
Das Buch wendet sich vorwiegend<br />
an einen eingeweihten Kreis <strong>von</strong> Eisenman-Kennern<br />
und Freunden tiefgründiger<br />
Theorie. Dass dabei mehr<br />
Fragen aufgeworfen als beantwortet<br />
werden, ist normal. Denn, um ein<br />
letztes Mal Peter Noever zu zitieren:<br />
„Wer Eisenman billigen Aplaus,<br />
naive Zustimmung entgegenbringt<br />
oder gar in dieser Stadt zu bauen beauftragt,<br />
der hat das Projekt empfindlich<br />
missverstanden.“<br />
NEUE SAKRALE<br />
ARCHITEKTUR<br />
Phyllis Richardson<br />
Deutsche Verlags-Anstalt 2004<br />
ISBN 3–421–03494–X<br />
Englisch: New Spiritual <strong>Architecture</strong>,<br />
Abbeville Press 2004<br />
ISBN 0789208350<br />
In der sakralen <strong>Architektur</strong> hat<br />
spielte Tageslicht schon immer eine<br />
besondere Rolle: Von funktionalen<br />
Zwängen weitgehend befreit, wird<br />
es in den Händen des Architekten zu<br />
einem Mittel, den Räumen Wirkung<br />
und gelegentlich Bedeutung zu verleihen.<br />
Unvergessen ist etwa die „Kirche<br />
des Lichts“ im japanischen Osaka,<br />
in deren Altarwand Tadao Ando zwei<br />
Lichtschlitze einbeschrieb, die sich<br />
zu einem Kreuz ergänzen. „Neue<br />
Sakrale <strong>Architektur</strong>“ hält diese<br />
Lichtvielfalt in großformatigen Fotografien<br />
fest. Doch nicht nur das:<br />
Sichtbar werden darin auch die sich<br />
ändernden Paradigmen in der Sakralkultur.<br />
„Die Religion erhält zu Zeit ein<br />
Redesign“, wie es die amerikanische<br />
Zeitschrift Wallpaper* einmal ausdrückte.<br />
Traditionelle Konfessionen<br />
werden gerade in westlichen Ländern<br />
durch neue Glaubensgemeinschaften<br />
verdrängt, oder sie öffnen<br />
sich <strong>von</strong> selbst neuen Liturgien und<br />
neuen Bauformen. Phyllis Richardson<br />
dokumentiert die neue Pluralität<br />
des Glaubens in ihrem Buch anhand<br />
<strong>von</strong> 41 Kirchen, Synagogen, Moscheen<br />
und Tempeln aus aller Welt.<br />
Ihre Auswahl ist nach Größe, Standort<br />
und Anspruch der Gotteshäuser<br />
in fünf Kapitel gegliedert – „Neue<br />
Traditionen“, „Interventionen“, „Zufluchtsstätten“,<br />
„Erhabene Ikonen“<br />
und „Bescheidene Pracht“. Das ist<br />
nachvollziehbar, aber etwas mager:<br />
Im Bemühen, aktuelle Tendenzen<br />
in der Sakralarchitektur aufzuspüren,<br />
beschränkt sich die Autorin fast<br />
ganz auf architektonische Phänomene<br />
und nimmt nur selten Bezug<br />
auf Glaubens inhalte. Darstellungen<br />
historischer Vorbilder, mit denen<br />
sich jeder Entwurf eines Sakralbaus<br />
auseinandersetzen muss - und sei es<br />
nur dadurch, dass er sich abgrenzt –<br />
sind auf Einzelfälle beschränkt. Die<br />
historischen Vorbilder, die die Autorin<br />
in der Einleitung anführt, reichen<br />
maximal bis zu Le Corbusiers<br />
Kapelle Notre-Dame-du-Haut in<br />
Ronchamp (1955) zurück. Als reine<br />
Projektsammlung ist „Neue Sakrale<br />
<strong>Architektur</strong>“ indessen durchaus akzeptabel:<br />
Das Buch zeigt erstklassige<br />
<strong>Architektur</strong> und regt dazu an, über<br />
das Thema „Spiritualität“ nachzudenken.<br />
Einen zweiten Überblick mit<br />
vergleichbar weltweitem und interkonfessionellen<br />
Horizont wird man<br />
derzeit vergeblich suchen.<br />
PROCEED AND<br />
BE BOLD<br />
The Rural Studio after<br />
Samuel Mockbee<br />
Andrea Oppenheimer Dean, mit<br />
Fotografien <strong>von</strong> Timothy Hursley<br />
Princeton Architectural Press<br />
2005 ISBN 1-56898-500-2<br />
1992 gründete Samuel Mockbee<br />
im Süden Alabamas eine Institution,<br />
die im wahrsten Wortsinne<br />
Schule machte: Das „Rural Studio“<br />
wurde <strong>von</strong> Kritikern bereits mit<br />
Frank Lloyd Wrights Taliesin West<br />
verglichen. Doch seine Intention<br />
ist eine andere, stärker soziale: Die<br />
Studenten des Rural Studio planen<br />
nicht nur Wohnhäuser und Gemeinschaftsbauten<br />
für die armen, meist<br />
farbigen Bewohner des Hale County,<br />
sie realisieren diese auch selbst und<br />
treiben Sponsorengelder auf. Wiederholt<br />
haben sie in den letzten 13<br />
Jahren bewiesen, dass es möglich ist,<br />
mit 35000 oder 30000, ja, manchmal<br />
mit nur 5000 Dollar funktionierende<br />
und ästhetisch ansprechende<br />
Wohnhäuser zu bauen. „Proceed and<br />
be bold“ dokumentiert die letzten<br />
vier Jahre des Studios seit dem Tode<br />
seines Gründers „Sambo“ Mockbee.<br />
Einzige Schwäche des Buchs ist der<br />
etwas unvermittelte Einstieg: Wer<br />
das Rural Studio nicht kennt und<br />
den vorderen Klappentext überliest,<br />
hat es schwer, mit der Erzählgeschwindigkeit<br />
Schritt zu halten.<br />
Dem Buch eignet etwas <strong>von</strong> der Offenheit<br />
der Leute in Amerikas Süden:<br />
Ohne lange Umschweife kommt Andrea<br />
Oppenheimer Dean auf das Hier<br />
und Jetzt, die Hintergründe interessieren<br />
zunächst wenig. Immer wieder<br />
lässt die Autorin die Betroffenen<br />
selbst sprechen: Mockbees Nachfolger<br />
Andrew Freear, die Tutoren, die<br />
Studenten selbst und ihre Bauherren,<br />
zu denen sie oftmals intensive persönliche<br />
Beziehungen entwickelten.<br />
Die Fotografien <strong>von</strong> Timothy Hursley<br />
dokumentieren den (manchmal<br />
überschießenden) Einfallsreichtum<br />
der Studenten, der sich schon<br />
einmal in Hauswänden aus Teppichfliesen<br />
oder zementgefüllten<br />
Autoreifen ausdrückt. Ein größerer<br />
Kontrast zur manchmal praxisfernen<br />
europäischen <strong>Architektur</strong>ausbildung<br />
ließe sich kaum denken als<br />
das symbiotische Zusammenwirken<br />
<strong>von</strong> Lehrpersonal, Studenten<br />
und lokaler Gesellschaft, das in der<br />
Arbeit des Rural Studio Gestalt angenommen<br />
hat . Deutlich wird aber<br />
auch, wie weit sich das Bauen in Zeiten<br />
der Renommierarchitektur <strong>von</strong><br />
seinen urspränglichen Zielen – dem<br />
Menschen Obdach zu bieten – entfernt<br />
hat. Dennoch, so schreibt die<br />
Autorin, macht sich inzwischen ein<br />
Wandel in der Planungskultur des<br />
Rural Studio bemerkbar: Die Bauten<br />
werden dem Mainstream angepasster,<br />
weniger improvisiert und vor<br />
allem größer. Jüngstes Beispiel ist<br />
ein Seniorenzentrum für mehr als einhundert<br />
Nutzer, das das Rural Studio<br />
in Akron fertig gestellt hat. Wie die<br />
Entwicklung weitergeht? Das weiß<br />
nicht einmal Stephen Freear. Einen<br />
„Masterplan“ für das Rural Studio,<br />
sagt er, hat auch Samuel Mockbee<br />
nie gehabt. Fast ist zu hoffen, dass<br />
die Anteilnahme der Öffentlichkeit<br />
trotz dieses Buchs und mehrerer<br />
Ausstellungen, die die Arbeiten des<br />
Rural Studio zuletzt präsentierten, in<br />
Grenzen hält und diese einzigartige<br />
Institution weiter ungestört ihrer Arbeit<br />
nachgehen kann.<br />
61
BÜCHER<br />
EMPFEHLUNGEN<br />
Architekten empfehlen ihre<br />
Lieblingsbücher in D&A.<br />
1 PAUL DE RUITER<br />
EMPFIEHLT<br />
Olafur Eliasson<br />
Madeleine Grynsztejn u.a.<br />
Phaidon Press 2002<br />
ISBN 071484036X<br />
Der Bildhauer, Installationskünstler<br />
und Fotograf Olafur Eliasson gehört<br />
zu den Stars der aktuellen Kunstszene.<br />
Seine Werke, mit Vorliebe aus<br />
industriellen Materialien wie Stahl<br />
und Spiegelglas hergestellt, sind<br />
Wahrnehmungsmaschinen für Naturphänomene:<br />
Unvergessen blieb<br />
der Welt etwa seine Installation<br />
„Weather Project“ in der Tate Gallery<br />
in London. Das vorliegende Buch beginnt<br />
und endet mit Eliassons eigenen<br />
Worten: In einem 30-seitigen<br />
Interview erläutert er Daniel Birnbaum<br />
die Wesenszüge seiner Kunst,<br />
und im Text „Dear Everybody“ wendet<br />
er sich an die Besucher, die sich<br />
durch seine Installation „The mediated<br />
motion“, die 2001 im Kunsthaus<br />
Bregenz gezeigt wurde. Komplettiert<br />
wird der Band durch eine ausführliche<br />
Werkanalyse <strong>von</strong> Madeleine<br />
Grynsztejn und einen Text des Philosophen<br />
Henri Bergson.<br />
62<br />
Superstudio<br />
Life Without Objects<br />
Peter Lang, William Menking<br />
Skira 2003<br />
ISBN 88-8491-569-4<br />
Die „erste größere Monografie“ (so<br />
der Verlag) der 1966 in Florenz gegründeten<br />
italienischen Architektengruppe<br />
erschien zu der gleichnamigen,<br />
<strong>von</strong> den beiden Autoren kuratierten<br />
Ausstellung im Jahr 2003. Sie<br />
vereint mehr als 200 Projekte und<br />
Zeichnungen <strong>von</strong> Superstudio aus<br />
den sechziger und siebziger Jahren,<br />
aber auch Designobjekte und die polemischen<br />
Statements, die Superstudio<br />
in Form <strong>von</strong> Bildergeschichten<br />
veröffentlichte. Unvergessen geblieben<br />
sind die endlosen, rasterartig gegliederten<br />
Landschaftsvisionen, die<br />
selbstverständlich auch in diesem<br />
Buch nicht fehlen.<br />
1<br />
2 3<br />
Metamorph<br />
K.W. Forster (Herausgeber)<br />
Rizzoli International Publications<br />
2004<br />
ISBN 0847826651 (3 Bände)<br />
Das zentrale Thema der letztjährigen<br />
<strong>Architektur</strong>biennale lautete „Metamorph“<br />
– ein Begriff, mit dem der<br />
Schweizer <strong>Architektur</strong>historiker und<br />
Kurator der Biennale, Kurt W. Forster,<br />
den Formenwandel in der zeitgenössischen<br />
<strong>Architektur</strong> zu fassen<br />
versuchte. Der dreibändige, bei Rizzoli<br />
in New York erschienene Katalog<br />
dokumentiert nicht nur die zentrale<br />
Ausstellung „Metamorph“ mit ihren<br />
200 Bauten und Projekten, sondern<br />
auch die Beiträge in den Länderpavillons<br />
und die zahlreichen Sonderausstellungen<br />
wie „Morphing Lights,<br />
Floating Shadows“ (über <strong>Architektur</strong>fotografie)<br />
oder „Città d’Acqua“<br />
(über Städte am Wasser). Das Buch<br />
ist ein kompakter und inhaltsreicher<br />
Überblick über den derzeitigen Stand<br />
in der Weltarchitektur.<br />
D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
1 Paul de Ruiter<br />
2 RCR Arquitectes<br />
3 Peter Ippolito<br />
Content<br />
Rem Koolhaas<br />
Taschen Verlag 2004<br />
ISBN 3-8228-30790-4<br />
Es ist billig (in Europa nur 9,99 Euro),<br />
es hat die Anmutung eines Warenhauskatalogs<br />
und steckt voller<br />
Fakten und streitbarer Zukunftsvisionen:<br />
Mit dem Nachfolgebuch <strong>von</strong><br />
„S.M.L.XL“ und „Shopping“ wendet<br />
sich Rem Koolhaas an eine breitere<br />
Öffentlichkeit denn je und entfernt<br />
sich mitunter weit <strong>von</strong> der <strong>Architektur</strong>.<br />
Koolhaas und seine Mitautoren<br />
entführen ihre Leser auf eine enzyklopädische,<br />
<strong>von</strong> West nach Ost gegliederte<br />
Weltreise. Die Zukunft des<br />
Ruhrgebietes, eine künftige europäische<br />
Flagge und die Evolution des<br />
Terrors werden in collagenhaftem,<br />
assoziativem Stil dargestellt. Von<br />
einer Lektüre im klassischen Sinn<br />
kann bei „Content“ somit kaum die<br />
Rede sein; viel eher wird man das<br />
Buch als <strong>Magazin</strong> oder Nachschlagewerk<br />
benutzen.
2<br />
3<br />
RCR ARQUITECTES<br />
EMPFEHLEN<br />
El Croquis 123: Toyo Ito<br />
2001/2005<br />
El Croquis Publishers 2005<br />
Zum wiederholten Mal ist das Werk<br />
des japanischen Architekten Toyo Ito<br />
Thema einer <strong>Ausgabe</strong> der spanischen<br />
Zeitschrift El Croquis. Schwerpunkt<br />
sind diesmal die Projekte der letzten<br />
fünf Jahre; unter anderem die Mediathek<br />
in Sendai, das Matsumoto<br />
Performing Arts Center und die beiden<br />
Pavillons, die Ito 2002 in Brügge<br />
und auf dem Gelände der Londoner<br />
Serpentine Gallery errichtete. Ein Interview<br />
mit dem Architekten komplettiert<br />
den Band.<br />
PETER IPPOLITO<br />
EMPFIEHLT<br />
Xtreme Interiors<br />
Courtenay Smith, Annette Ferrara<br />
Prestel Verlag 2003<br />
ISBN 3-7913-2970-7<br />
2002 erschien im Prestel Verlag das<br />
Buch „Xtreme Houses“ – eine Art<br />
Anthologie architektonischer Experimentierfreude,<br />
die die radikalsten<br />
und ungewöhnlichsten Wohnbauten<br />
der Gegenwart vorstellte und mit<br />
seiner Abwendung vom architektonischen<br />
Mainstream hohe Verkaufszahlen<br />
erreichte. Der Nachfolgeband<br />
heißt „Xtreme Interiors“ und stellt 40<br />
ähnlich ausgefallene Projekte aus<br />
dem Bereich der Innenraumgestaltung<br />
vor. Darunter sind bei weitem<br />
nicht nur Architektenentwürfe; die<br />
Bandbreite reicht vom Do-it-yourself<br />
zur Installationskunst. Zu sehen sind<br />
unter anderem ein Haus aus den<br />
Slums <strong>von</strong> Südafrika, eine Nasa-<br />
Raumkapsel, das erste Big-Brother-<br />
Haus im niederländischen Hilversum<br />
und die Villa eines amerikanischen Sicherheitsexperten,<br />
die einem Hochsicherheitstrakt<br />
gleicht.<br />
Event Cities 3<br />
Concept vs. Context vs. Content<br />
Bernard Tschumi<br />
The MIT Press 2005<br />
ISBN 0262701103<br />
Im Abstand <strong>von</strong> fünf Jahren hat der<br />
gebürtige Schweizer und Wahl-New<br />
Yorker Bernard Tschumi drei Bücher<br />
verfasst, in denen er die Präsentation<br />
seiner Projekte mit architekturtheoretischen<br />
Texten verknüpft.<br />
„Event Cities 3“ zeigt die <strong>Architektur</strong><br />
im Kräftedreieck ihrer wohl wichtigsten<br />
Einflussgrößen: Konzept,<br />
Kontext und Inhalt. Nicht immer, so<br />
sein Fazit, muss notwendigerweise<br />
ein Ausgleich zwischen ihnen gesucht<br />
werden. Die Liste der Projekte<br />
im Buch umfasst unter anderem das<br />
(nun doch nicht gebaute) Akropolis-<br />
Museum in Athen, weitere Museumsprojekte<br />
in Sao Paulo, New York und<br />
Antwerpen, ein Universitätssportzentrum<br />
in Cincinnati und ein spekulatives<br />
Städtebauprojekt in Beijing.<br />
Das Denken des Leibes und der<br />
architektonische Raum<br />
Wolfgang Meisenheimer<br />
Verlag der Buchhandlung Walter<br />
König 2004<br />
ISBN 3-88375-841-8<br />
Wolfgang Meisenheimer beschäftigt<br />
sich seit 30 Jahren mit der<br />
Wechselbeziehung zwischen gebauter<br />
Umwelt und menschlicher<br />
Wahrnehmung. In diesem neuen<br />
Buch unternimmt er den Versuch, die<br />
verschiedenen Ausdrucksformen der<br />
<strong>Architektur</strong> anthropologisch herzuleiten<br />
und so die ethischen Dimensionen<br />
architektonischen Handelns<br />
anzudeuten. Das ansprechend gestaltete<br />
kleine Buch ist keine ganz<br />
leichte Lektüre, aber es vermittelt<br />
auch beim mehrfachen Wieder-<br />
Lesen noch wertvolle Denkanstöße.<br />
L’architecture moderne<br />
depuis 1900<br />
William J.R. Curtis<br />
Phaidon Publishers 2004<br />
ISBN 0714894184<br />
(Englisch:<br />
Modern <strong>Architecture</strong> since 1900<br />
Phaidon Publishers 1996)<br />
Auch in französischer Sprache ist<br />
nun eines der wichtigsten Grundlagenwerke<br />
zur <strong>Architektur</strong> des 20.<br />
Jahrhunderts erschienen. In dem<br />
mit 650 Illustrationen reich bebilderten<br />
Band beschränkt sich der<br />
Autor nicht nur auf die Protagonisten<br />
der Moderne wie Wright, Mies<br />
und Le Corbusier, sondern geht auf<br />
der Suche nach deren Wurzeln bis<br />
ins 18. Jahrhundert zurück. Besonderer<br />
Raum wird „Nebenschauplätzen“<br />
der modernen <strong>Architektur</strong> wie<br />
Indien, Brasilien oder Mexiko eingeräumt,<br />
und auch die Geschichte der<br />
Ideen und Ideale, deren Ausdruck die<br />
<strong>Architektur</strong> war, kommt in der Darstellung<br />
nicht zu kurz.<br />
The Wirtz Gardens<br />
Jacques Wirtz, Patrick Taylor,<br />
Marco Antonio Valdivia<br />
Exhibitions International 2004<br />
ISBN 90-7670-436-8<br />
1950 gründete Jacques Wirtz ein<br />
Büro für Landschaftsarchitektur<br />
im belgischen Schoten. Seitdem ist<br />
Wirtz International zu einem erfolgreichen<br />
Unternehmen herangewachsen,<br />
das Gärten in Europa, Japan und<br />
den USA plant. Im Fokus steht dabei<br />
stets der Dialog mit der umgebenden<br />
<strong>Architektur</strong>; gleich, ob es sich um<br />
einen Universitätscampus, ein Businesscenter<br />
oder die Außenanlagen<br />
eines Museums handelt. Das luxuriöse,<br />
zweibändige Werk stellt 57 private<br />
und öffentliche Gärten vor, <strong>von</strong><br />
denen die meisten zuvor unveröffentlicht<br />
waren. Ein Essay <strong>von</strong> Patrick<br />
Taylor führt den Leser in das Werk<br />
der Landschaftsarchitekten ein.<br />
The Terragni Atlas<br />
Daniel Libeskind, Attilio Terragni &<br />
Paolo Rosselli<br />
Skira 2005<br />
ISBN 8884917328<br />
Giuseppe Terragni (1904-1943) war<br />
die Leitfigur des italienischen Rationalismus;<br />
seine Bauten zählen zu den<br />
wichtigsten Beispielen italienischer<br />
<strong>Architektur</strong> des 20. Jahrhunderts.<br />
Zum einhundertsten Geburtstag<br />
des Architekten präsentieren Daniel<br />
Libeskind, Paolo Rosselli und Attilio<br />
Terragni sein Oeuvre in einer Gegenüberstellung<br />
historischer und zeitgenössischer<br />
Fotografien. Das Buch<br />
lädt den Leser auf eine zeitliche und<br />
räumliche Reise durch Terragnis Bauten<br />
ein. In Ergänzung hierzu schildert<br />
Daniel Libeskind in seinem Beitrag<br />
die wichtigsten Stationen in Terragnis<br />
Werk wie etwa die „Casa del<br />
Fascio“ und das „Novocomum“ und<br />
zeigt auf, wie aktuell Terragni auch<br />
in der heutigen <strong>Architektur</strong>diskussion<br />
noch ist.<br />
63
DAYLIGHT &<br />
ARCHITECTURE<br />
AUSGABE 02<br />
WINTER 2006<br />
LEBENSRÄUME<br />
64