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2019_517

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D.a. <strong>517</strong> ... aktuell * Service April <strong>2019</strong><br />

D.a. gibt Tipps zu Ihrem Recht .<br />

§<br />

Wirksame Patientenverfügung<br />

zum<br />

Abbruch lebenserhaltender<br />

Maßnahmen (BGH, Beschl. vom<br />

14.11.2018 - XII ZB 107/18)<br />

Die betroffene Patientin erlitt im<br />

Jahre 2008 einen Schlaganfall und<br />

befand sich seit einem hypoxisch<br />

bedingten Herz-Kreislaufstillstand in<br />

einem wachkomatösen Zustand.<br />

Seitdem wird sie über eine Magensonde<br />

künstlich ernährt und mit<br />

Flüssigkeit versorgt.<br />

Im Jahre 1998 hatte die Betroffene<br />

eine Patientenverfügung verfasst, in<br />

der niedergelegt war, dass u.a.<br />

dann, wenn keine Aussicht auf<br />

Wiedererlangung des Bewusstseins<br />

besteht oder aufgrund von Krankheit<br />

oder Unfall ein schwerer Dauerschaden<br />

des Gehirns zurückbleibe,<br />

„lebensverlängernde Maßnahmen<br />

unterbleiben“ sollen.<br />

Irgendwann danach hatte sie<br />

zudem gegenüber verschiedenen<br />

Familienangehörigen und Bekannten<br />

geäußert, ihr waren nämlich aus<br />

dem näheren Umfeld zwei Wachkoma-Fälle<br />

bekannt, sie wolle lieber<br />

sterben als so dazuliegen. Wenn<br />

ein solcher Fall eintreten sollte,<br />

dann wolle sie nicht etwa durch<br />

künstliche Ernährung am Leben<br />

erhalten werden. Außerdem hat sie<br />

in diesem Zusammenhang auch<br />

geäußert, dass ihr das ja auch nicht<br />

passieren könne, da sie eine Patientenverfügung<br />

habe. Kurz nach<br />

dem Schlaganfall erhielt die Betroffene<br />

darüber hinaus einmalig die<br />

Möglichkeit, trotz Trachealkanüle zu<br />

sprechen. Dabei sagte sie ihrer<br />

Therapeutin: „Ich möchte sterben.“<br />

4 Jahre später regte der Sohn der<br />

Betroffenen unter Vorlage der oben<br />

erwähnten Patientenverfügung an,<br />

ihr einen Betreuer zu bestellen. Das<br />

Amtsgericht bestellte daraufhin den<br />

Sohn und den Ehemann zu jeweils<br />

alleinvertretungsberechtigten<br />

Betreuern der Betroffenen. Weitere<br />

zwei Jahre später waren der Sohn<br />

Aktuelle Urteile XXXV<br />

und auch der behandelnde Arzt der<br />

Meinung, dass die künstliche<br />

Ernährung und die Flüssigkeitszufuhr<br />

eingestellt werden sollten, weil<br />

dies dem in der Patientenverfügung<br />

niedergelegten Willen der Betroffenen<br />

entspreche. Das aber lehnte<br />

der Ehemann ab.<br />

Den entsprechenden Antrag der<br />

Betroffenen, vertreten durch ihren<br />

Sohn, lehnte das Amtsgericht ab.<br />

Die dagegen gerichtete Beschwerde<br />

wurde vom Landgericht<br />

zunächst zurückgewiesen. Nach<br />

Aufhebung dieser Entscheidung<br />

durch den BGH und Zurückverweisung<br />

an das Landgericht hat dieses<br />

ein Sachverständigengutachten zu<br />

der Frage eingeholt, ob der konkrete<br />

Zustand der Betroffenen im<br />

Wachkoma ihr Bewusstsein entfallen<br />

lässt und ob in diesem Fall eine<br />

Aussicht auf Wiedererlangung des<br />

Bewusstseins besteht.<br />

Daraufhin hat das Landgericht die<br />

Beschwerde der Betroffenen nun<br />

mit der Maßgabe zurückgewiesen,<br />

dass eine gerichtliche Genehmigung<br />

nicht erforderlich sei. Die<br />

dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde<br />

des Ehemannes beim<br />

BGH hatte keinen Erfolg. Der BGH<br />

hat diese mit folgender Begründung<br />

zurückgewiesen:<br />

Der Abbruch einer lebenserhaltenden<br />

Maßnahme bedarf dann nicht<br />

der betreuungsrechtlichen Genehmigung<br />

nach § 1904 II BGB, wenn<br />

der Betroffene einen entsprechenden<br />

eigenen Willen bereits in einer<br />

wirksamen Patientenverfügung (§<br />

1901a I BGB) niedergelegt hat und<br />

diese auf die konkret eingetretene<br />

Lebens – und Behandlungssituation<br />

zutrifft. Ist das der Fall, sind alle<br />

Beteiligten daran gebunden. Das<br />

bedeutet, dass eine Einwilligung<br />

des Betreuers, die vom Betreuungsgericht<br />

genehmigt werden<br />

müsste, nicht erforderlich ist. Wird<br />

das Gericht gleichwohl angerufen,<br />

weil ein Beteiligter Zweifel an der<br />

Bindungswirkung einer Patientenverfügung<br />

hat und kommt das<br />

Gericht zu dem Ergebnis, dass die<br />

Patientenverfügung wirksam ist und<br />

auf die aktuelle Lebens – und<br />

Behandlungssituation zutrifft, dann<br />

spricht es aus, dass eine gerichtliche<br />

Genehmigung nicht erforderlich<br />

ist (sog. Negativattest). Voraussetzung<br />

für eine unmittelbare Bindungswirkung<br />

sei es, dass festzustellen<br />

ist, in welcher Behandlungssituation<br />

welche ärztliche Maßnahmen<br />

durchgeführt und welche<br />

unterbleiben sollen.<br />

Aufgrund des Sachverständigengutachtens<br />

stand fest, dass bei der<br />

Betroffenen keine Aussicht auf<br />

Wiedererlangung des Bewusstseins<br />

bestand. Für diesen Fall war in der<br />

Patientenverfügung bestimmt, dass<br />

keine künstliche Ernährung und<br />

Flüssigkeitszufuhr erfolgen soll.<br />

Daraus folgt, dass es, weil der Wille<br />

der Betroffenen in der Patientenverfügung<br />

klar zum Ausdruck kommt,<br />

keiner Einwilligung des Betreuers<br />

mehr bedarf. Er hat nur noch dafür<br />

Sorge zu tragen, dass dem Willen<br />

des Betroffenen entsprochen wird.<br />

Der BGH sagt auch, dass die Anforderungen<br />

an die Bestimmtheit<br />

einer Patientenverfügung nicht<br />

überspannt werden dürfen. Vorausgesetzt<br />

wird nur, dass der Betroffene<br />

umschreibend festlegt, was er in<br />

einer bestimmten Lebens- und<br />

Behandlungssituation will und was<br />

nicht. Dabei ist auch nicht von<br />

Bedeutung, dass der Betroffene<br />

seine eigene Biografie vorausahnt<br />

und die zukünftigen Fortschritte in<br />

der Medizin vorwegnehmend<br />

berücksichtigt. Nicht ausreichend<br />

wären allerdings bloße allgemeine<br />

Anweisungen, wie die Aufforderung,<br />

ein würdevolles Sterben zu ermöglichen<br />

oder zuzulassen, wenn ein<br />

Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten<br />

ist.<br />

Meinhard Brink<br />

(Rechtsanwalt),<br />

Am Birkhof 50,<br />

Dedinghausen<br />

D.a. <strong>517</strong>/25

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