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LEBE_82

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Kinder oder gar keine?<br />

Von Frauen, die sich dem Druck zur Abtreibung behinderter Kinder<br />

widersetzt haben "Defiant Birth", ein Buch von MELINDA TANKARD REIST<br />

So etwas geschah bei Natalie Withers.<br />

Bei ihrem vierten Kind wurde unter anderem<br />

ein Herzfehler diagnostiziert. Die<br />

Ärzte hätten das Wort "Abtreibung" niemals<br />

erwähnt, sondern immer nur von<br />

"Einleitung der Geburt" gesprochen – in<br />

der 20. Schwangerschaftswoche, sprich<br />

5. Schwangerschaftsmonat! Erst als<br />

Natalie Withers im Labor war, habe man<br />

sie darüber informiert, dass ihr Kind<br />

höchstwahrscheinlich entweder tot geboren<br />

oder direkt nach der Geburt sterben<br />

werde. Und erst nach dem Eingriff – das<br />

Baby überlebte nicht – habe Withers<br />

erfahren, dass Kinder mit einer Herzkrankheit<br />

wie die bei ihrer ungeborenen<br />

und verstorbenen Tochter in der Regel<br />

durchaus überlebten und ein gutes<br />

Leben führen könnten, wenn sie die richtige<br />

Behandlung bekämen.<br />

Häufig ermutigten die Informationsbroschüren<br />

für Mütter von möglicherweise<br />

behinderten Kindern zur Abtreibung. In<br />

vielen Fällen werde verabsäumt, die<br />

Eltern an jene Organisationen zu verweisen,<br />

die ihnen helfen könnten,<br />

mehr über die angeblich<br />

vorliegende Form von<br />

Behinderung zu erfahren<br />

und was in einem solchen<br />

Fall zu tun sei.<br />

Ein großes Problem, auf das<br />

die Autorin in ihrem Buch<br />

ebenfalls eingeht, ist es, mit<br />

dem Schock und den Angstgefühlen<br />

fertig zu werden,<br />

die von beunruhigenden<br />

Untersuchungsergebnissen<br />

herrühren. Tankard Reist<br />

führt einige Studien an, die<br />

belegen, dass viele Frauen<br />

nach einem unerfreulichen<br />

Befund einen schweren<br />

Schock, tiefe innere Schmerzen<br />

und Panikattacken erleiden.<br />

Der ausgelöste psychische<br />

Stress kann demnach<br />

sogar das Wohlbefinden der<br />

Mutter und ihres ungeborenen<br />

Kindes beeinträchtigen.<br />

Körperliche Risiken stellen<br />

eine andere Form von<br />

Gefahr dar. So melden zum<br />

Beispiel einige Beobachter<br />

Bedenken im Fall der häufigen<br />

Ultraschalluntesuchungen<br />

an. Ihrer Ansicht nach<br />

würde zu wenig auf die<br />

möglichen negativen Auswirkungen<br />

gedacht.<br />

In manchen Fällen seien die<br />

Diagnosen nicht nur gefährlich, sondern<br />

schlichtweg falsch. Eine Analyse von<br />

300 Autopsien an Föten soll in diesem<br />

Sinn ergeben haben, dass die Vermutung<br />

von Anomalien in nur 39 Prozent<br />

der Fälle bestätigt worden sei.<br />

Hinter der Praxis, ungeborene Kinder mit<br />

Behinderungen abzutreiben, stehe eine<br />

ausgeprägte Eugenik-Mentalität: Eine<br />

Erhebung unter Hebammen in England<br />

und Wales habe ergeben, dass ein Drittel<br />

der Befragten noch vor der Pränataldiagnostik<br />

dazu aufgefordert worden sei,<br />

eine Einverständniserklärung zur Abtreibung<br />

zu unterschreiben, falls bei dem<br />

Kind eine Anomalie festgestellt würde.<br />

Andere Erscheinungsformen des gesellschaftlichen<br />

Trends zu immer mehr Perfektion<br />

sind nach Tankard Reist Schlankheitskuren<br />

und Schönheitsoperationen.<br />

Und Gentechnik sei für eine Reihe prominenter<br />

Genetiker und Ethiker wie zum<br />

Beispiel James Watson und Peter Singer<br />

eine Möglichkeit, um "perfektere Kinder<br />

zu entwerfen".<br />

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Immer höhere Gesundheitskosten trügen<br />

ebenfalls dazu bei, auf die Mütter<br />

Druck zur Abtreibung eines behinderten<br />

Kindes auszuüben. Eltern, die sich gegen<br />

eine Abtreibung von Kindern mit Behinderungen<br />

entscheiden, würden nicht selten<br />

als verantwortungslos hingestellt<br />

und müssten mit dem Schuldbewusstsein<br />

leben, die Gesellschaft zu<br />

"belasten".<br />

Tankard Reist zitiert diesbezüglich den<br />

australischen Genetiker Grant Sutherland,<br />

der vorgerechnet hat, dass die Verhinderung<br />

der Geburt eines Kindes mit<br />

Down-Syndrom der Allgemeinheit mehr<br />

als eine Million Dollar erspare. Er forderte<br />

die Regierungen deshalb<br />

dazu auf, an staatlichen Kliniken<br />

die Pränataldiagnostik<br />

zur Pflicht zu machen.<br />

Der finanzielle Druck dehne<br />

sich aber auf andere Gebiete<br />

aus: So hätten zum Beispiel<br />

behinderte Menschen immer<br />

größere Schwierigkeiten,<br />

eine Lebensversicherung<br />

abzuschließen oder Kinder zu<br />

adoptieren.<br />

Ein Bericht, der Ende Mai in<br />

der Sonntagsausgabe des<br />

Londoner "Telegraph"<br />

erschien, illustriert die große<br />

Bedeutung der in "Defiant<br />

Birth" dargestellten Probleme:<br />

Lisa Green befand sich in<br />

der 35. Schwangerschaftswoche,<br />

als sie die Diagnose<br />

erhielt, ihr Kind leide am<br />

Down-Syndrom. Es wurde ihr<br />

angeboten, das ungeborene<br />

Kind sofort abzutreiben. Wie<br />

die Betroffene selbst erklärte,<br />

habe der Arzt ihr gegenüber<br />

nur die negativen Aspekte<br />

einer Geburt des Kindes dargelegt.<br />

Sie habe den Rat des<br />

Arztes nicht befolgt und zwei<br />

Wochen später einen Jungen<br />

namens Harrison geboren. Er<br />

ist heute zwei Jahre alt und<br />

nach Angaben der Mutter ein<br />

"glückliches und gesundes<br />

Kind".<br />

■<br />

L<br />

EBE <strong>82</strong>/2006<br />

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