LEBE_136
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Zeugnis<br />
Zeit wird dir vergehen, du wirst nicht<br />
einmal merken, wann, und mir wird es<br />
zusammen mit dir viel wohler sein und<br />
auf dem Rückweg sicherer.“ Konnte<br />
ich da absagen? Der Gottesdienst an<br />
einem ge wöhnlichen Tag hatte sein<br />
beson deres Klima. Stille und Frieden,<br />
im Halbschatten ein Lichtlein, das vom<br />
Altar strahlte, geflüster te Gebete von<br />
den wenigen Gläu bigen, die nach dem<br />
Arbeitstag hierhin kamen, um Atem zu<br />
holen, Freude und Stärkung zu erfahren,<br />
all das wirkte auf mich wie ein unerforschlicher,<br />
geheimnisvoller Zauber.<br />
Immer öfter, besonders in schwierigen<br />
Augenblicken, dach te ich: „Gott, wenn<br />
du existierst, wenn es dich wirklich gibt,<br />
hilf mir bitte, meine Zweifel zu zerstreuen.“<br />
Ich schaute in Alicjas Gebetsbuch<br />
und begann „nur aus Neugierde“, wunderschöne<br />
Gebete und Psalmen zu lesen<br />
und kennenzulernen. Ich wurde mit<br />
dem Glauben und Gott vertraut. Vater<br />
unser, Gegrüßet seist du Maria - die<br />
Worte dieser Gebe te kamen immer öfter<br />
aus meinem Mund. Gott trat unbemerkt<br />
in mein Leben hinein, Er sprach<br />
ganz leise zu mir und nahm Wohnung in<br />
mei nem Herzen, obwohl ich das damals<br />
noch nicht wusste.<br />
Ähnlich wie meine Schwester lernte<br />
ich in Breslau die Liebe mei nes Lebens<br />
kennen. Georg kam aus Sosnowitz,<br />
aus einer schlesischen Bergarbeiter-<br />
Familie, wo an der ers ten Stelle Gott,<br />
dann Ehre und Hei matland standen. Er<br />
konnte sich das Ehegelübde nicht vor<br />
einem Stan desbeamten vorstellen. Für<br />
ihn war es klar, dass entweder Gott unsere<br />
Beziehung segnet und wir vor Ihm<br />
das sakramentale „Ja“ aussprechen,<br />
oder wir uns trennen müssen.<br />
Die Nachricht über meine even tuelle<br />
Ehe mit einem Katholiken und eine<br />
Hochzeit in der Kirche war für meine<br />
Eltern nicht akzeptabel. Ihr Widerstand<br />
war so groß und ich liebte sie so sehr,<br />
dass ich nachgab und mich von meinem<br />
geliebten Georg trennte. Es war<br />
schrecklich für uns beide. Insbesondere,<br />
da wir gemeinsam studierten, uns an<br />
der Uni sahen; unsere Herzen dräng ten<br />
zueinander, die Gefühle lebten weiter.<br />
Man konnte sich doch nicht das Herz<br />
herausreißen, die Liebe ersticken und<br />
sie vergessen.<br />
Nach einigen Wochen der Qual fielen<br />
wir uns in die Arme und ich fasste den<br />
Entschluss: Wir bleiben zusammen und<br />
meine Eltern müssen das ak zeptieren.<br />
Selbst heute noch, nach vielen Jahren,<br />
fällt es mir schwer, darüber zu schreiben,<br />
denn im Her zen öffnet sich eine<br />
nicht verheilte Wunde. Und damals?<br />
Auf der einen Seite die geliebten Eltern<br />
und eine über 20-jährige Bindung an<br />
sie, und auf der anderen Seite - der geliebte<br />
Mann, mit dem ich den Rest meines<br />
Lebens verbringen wollte, Kinder<br />
haben wollte, mit ihm in guten und in<br />
schlechten Zeiten zusammen sein, bis<br />
dass der Tod uns scheidet.<br />
In dieser Zeit absolvierte ich eine<br />
Kurzfassung der Katechese, ich bereitete<br />
mich auf das Tauf sakrament vor. Ohne<br />
Alicja wäre das jedoch nicht möglich<br />
gewe sen. Dank ihr und unserer endlosen<br />
Gespräche lernte ich langsam und<br />
systematisch Gott und seine Gesetze<br />
kennen. Ich begann, die Lehre Christi zu<br />
verstehen und mir dessen bewusst zu<br />
werden, welch großes Opfer Er für die<br />
Erlösung der Menschheit dargebracht<br />
hat. Alicja war meine erste Katechetin,<br />
es war also auch selbstverständlich,<br />
dass sie meine Taufpatin wurde.<br />
Den Tag, an dem ich getauft wurde,<br />
werde ich niemals verges sen. Das<br />
Bewusstsein, dass ich ein Kind Gottes<br />
wurde, dass meine Seele weiß wie<br />
Schnee wurde... Mein Herz schlug mir<br />
bis zum Hals, meine Kehle war wie<br />
zugeschnürt, die Tränen liefen mir<br />
die Wangen hinunter. Ich kann nicht<br />
beschrei ben, was ich fühlte. Kann man<br />
denn die richtigen Worte dafür finden?<br />
Dann die pflichtgemäße Trauung<br />
im Standesamt, gleich danach<br />
die feierliche Eucharistiefeier und<br />
Vermählungszeremonie in der Gemeindekirche.<br />
Gott, der Priester und<br />
wir! Der Rest der Welt, die Familie, die<br />
Gäste - alles entschwand uns. Wir sahen<br />
nur den Altar und den Priester, der genauso<br />
bewegt war wie wir. Dann wurde<br />
die Kirche von wunderschöner Musik<br />
erfüllt, das Ave Maria flog zum Himmel<br />
hinauf. Das war die Schwester meiner<br />
Mut ter, eine Sängerin der Warschauer<br />
Oper, die für uns sang und dabei ihre<br />
Rührung und ihre Tränen über winden<br />
musste. Mein geliebter Papa schritt die<br />
ganze Zeit über vor der Kirche wie ein<br />
Löwe in einem Käfig hin und zurück. Erst<br />
zum Ende der Eucharistie überwand er<br />
sich und kam in die Kirche hinein.<br />
Meine Eltern akzeptierten nie mals meinen<br />
Georg und fanden sich auch niemals<br />
damit ab, dass ich ausgebrochen<br />
bin und „ihre Ideale mit Füßen getreten<br />
habe“. Als ich noch bei ihnen wohnte,<br />
waren wir zu Gast bei Hochzeiten,<br />
Kommu nionfeiern und Taufen, die in<br />
der entfernteren Familie oder bei Bekannten<br />
stattfanden. Da waren sie voll<br />
Verständnis und stellten ihre Toleranz<br />
zur Schau, weil es sie nicht unmittelbar<br />
betraf. Doch nun litten ihr Ego und ihr<br />
Ehrgeiz.<br />
Meine Eltern brachen die Her zen meiner<br />
Großeltern, ich und Ge org die ihrigen.<br />
Meine Großeltern litten, weil ihre<br />
Kinder sich von Gott abwandten, sich<br />
vom Fürs ten dieser Welt verführen ließen,<br />
in Sünde lebten und ihre Seelen<br />
ins Verderben führten. Meine El tern litten<br />
aus einem ganz anderen Grunde.<br />
Sie waren in ihrem Stolz verletzt. Und<br />
das konnten sie uns nicht vergeben.<br />
Beide sind nicht mehr am Leben, und<br />
es gibt kei nen Tag, da ich nicht an sie<br />
denke, für sie bete.<br />
Gott, vergib meinen Eltern, zeige Deine<br />
Barmherzigkeit für sie. Hilf uns, im<br />
Glauben auszuharren, gib Hoffnung,<br />
vermehre die Liebe. Yvonne<br />
38 <strong>LEBE</strong> <strong>136</strong>/2018