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LEBE_137

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Palermo: „Vor rund 20 Jahren wurde ich<br />

auf dem Zebrastreifen von einem PKW<br />

angefahren und war so schwer verletzt,<br />

dass die Ärzte mir keine Chancen mehr<br />

gaben. Zu 99,99 Prozent, hieß es, würde<br />

ich den Unfall nicht überleben.“ Doch sie<br />

überlebte wie durch ein Wunder. Zum<br />

Glück, erzählt die Mutter dreier Kinder<br />

dem deutschen Rom-Korrespondenten,<br />

habe es damals noch nicht die<br />

Möglichkeit einer Patientenverfügung<br />

gegeben. Eine solche Verfügung, sagt<br />

sie, hätte sie vor dem Unfall sicherlich<br />

unterzeichnet. Heute würde sie das<br />

nicht tun: „Es geht doch nicht, dass da<br />

jemand für den Patienten entscheidet.<br />

Man ist es jedem Kranken schuldig,<br />

dass man ihn nicht einfach abschreibt,<br />

sondern mit Würde behandelt.“ Und<br />

deshalb ist Albertina Monti nach Rom<br />

gekommen, um vor dem Pantheon zu<br />

demonstrieren. Zusammen mit anderen<br />

Italienern, von denen viele Mitglied<br />

in Lebensschutzorganisationen sind.<br />

Albertina gehört keiner dieser Gruppen<br />

an. Aber auch sie findet es unerhört,<br />

dass im italienischen Parlament über die<br />

Einführung von Patientenverfügungen<br />

entschieden wird, berichtete der<br />

Journalist Thomas Migge im vergangenen<br />

Dezember.<br />

In der Tat sieht das neue Gesetz die<br />

Möglichkeit vor, Patientenverfügungen<br />

abzufassen, die für den Arzt bindend<br />

sind. Außerdem muss in der<br />

Patientenverfügung eine Person des<br />

Vertrauens benannt werden, die den<br />

Patienten vertritt. Insgesamt ermöglicht<br />

das Gesetz damit nicht nur die passive,<br />

sondern auch die aktive Euthanasie,<br />

indem beispielsweise der Arzt dazu<br />

verpflichtet wird, die Magensonde<br />

zu entfernen, die die Ernährung<br />

gewährleistet. Der Patient kann sich<br />

damit nicht nur Behandlungen entziehen<br />

um sterben zu können, sondern er<br />

kann den Arzt dazu verpflichten, ihm<br />

aktive Sterbehilfe zukommen zu lassen,<br />

wie es das Beispiel der Entfernung der<br />

Magensonde zeigt. Gesetzlich bislang<br />

ausgeschlossen sind lediglich die Gabe<br />

einer Giftspritze oder die Mitwirkung<br />

zum Selbstmord durch Verabreichung<br />

eines Gifttrunkes, denn hätte man diese<br />

beiden ohne jeden Zweifel verwerflichen<br />

Praktiken auch erlaubt, hätte sogar<br />

der Dümmste verstanden, dass das<br />

Gesetz zu den Patientenverfügungen<br />

eigentlich ein Euthanasiegesetz ist und<br />

damit durchaus auch in Kontinuität<br />

zum nationalsozialistischen Euthanasie-<br />

Programm gesehen werden kann.<br />

Das italienische Gesetz zu den<br />

Patientenverfügungen ist im Vergleich<br />

mit seinen Pendants in den Niederlanden,<br />

Belgien oder Kanada das<br />

Permissivste. Ein Recht für den Arzt, aus<br />

Gewissensgründen beispielsweise das<br />

Abbrechen der künstlichen Ernährung<br />

zu verweigern, besteht nicht. Er ist damit<br />

durch das Gesetz verpflichtet, einen<br />

Mord zu begehen. Eine Anwendung des<br />

strafrechtlichen Verbotes der Tötung mit<br />

Einwilligung (wie es durch Artikel 579<br />

des Strafgesetzbuches vorgesehen ist)<br />

scheint damit jede Anwendung auf die<br />

Fälle, in denen eine Patientenverfügung<br />

vorliegt, zu verlieren. Tatsächlich zeigt<br />

auch die Rechtsprechung des Obersten<br />

Kassationsgerichtshofes zumindest seit<br />

2007 (siehe Urteil der 1. Sektion des<br />

Kassationsgerichtshofes Nr. 21748 vom<br />

16.10.2007) ein sukzessives Zerbröseln<br />

des durch die Verfassung an sich geschützten<br />

Rechts auf Unverfügbarkeit<br />

des Lebens.<br />

Ungerechtes Gesetz<br />

„Wenn ein Gesetz nicht gerecht ist, so<br />

ist es nichtig“, schreiben Augustinus,<br />

und Thomas von Aquin: „Ein unmoralisches<br />

oder ungerechtes Gesetz ist kein<br />

Gesetz sondern eine Zerstörung des<br />

Gesetzes“.<br />

Substantiell wird mit dem Gesetz zur<br />

Patientenverfügung ein wirkliches<br />

„Recht zu Sterben“ eingeführt, und zwar<br />

in der Form eines „Rechtes sich das<br />

Leben zu nehmen, indem man sich sterben<br />

lässt“, sowie in Form eines „Rechtes<br />

sich umbringen zu lassen“. Weiters erhalten<br />

sowohl die Eltern bzw. rechtlichen<br />

Vertreter, als auch der Arzt ein „Recht zu<br />

Töten“, da diese Tötungsmöglichkeit<br />

durch eine Rechtsnorm vorgesehen ist.<br />

Außerdem wird dem Arzt eine „Pflicht<br />

zu Töten“ auferlegt, wenn der Patient<br />

danach verlangt, indem er, der jetzt<br />

nicht oder nicht mehr ansprechbar ist,<br />

eine Patientenverfügung unterschrieben<br />

hat. Dabei ist, worauf der ehemalige<br />

Präsident des Verfassungsgerichtes<br />

Gustavo Zagrebelski, der bestimmt<br />

nicht im Verdacht steht, den katholischen<br />

Kreisen der italienischen Politik<br />

nahe zu stehen, korrekterweise hingewiesen<br />

hat, ein „Recht zu Sterben“<br />

auch rein logisch ein Widerspruch in<br />

sich: Rechte oder Freiheiten sind immer<br />

eine Ausdehnung der eigenen<br />

Möglichkeiten, das Sterben dagegen ist<br />

seinem Wesen nach eine Eingrenzung<br />

der eigenen Möglichkeiten und damit<br />

ein „Recht zu Sterben“ genauso wenig<br />

denkbar, wie ein Recht oder eine<br />

Freiheit, die auf ein Nichts gerichtet<br />

sind.

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