Triangel Ausgabe 107 - 02/2019
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Warum also gerade Lobpreis und Gebet?<br />
Lobpreis und Gebet haben eine zentrale<br />
Bedeutung, so ergaben qualitative<br />
Interviews, weil sie Gott erfahrbar<br />
und erlebbar machen. Junge Menschen<br />
dieser Generation suchen Gottes<br />
Nähe und auch seine Weisung im<br />
bzw. für den Alltag. Sie suchen „Authentizität“<br />
und einen „Resonanzraum“,<br />
etwas wo sie „…das Gefühl<br />
haben, wir können da draußen sozusagen<br />
Klänge erzeugen, also Dinge<br />
in Schwingung bringen.“ (vgl. Rosa)<br />
Auch die hohe Bedeutung des persönlichen<br />
Gebets ist naheliegend.<br />
Gott wird gebeten, ins eigene Leben<br />
einzugreifen und es zu leiten. Jugendliche<br />
sehen dabei durchaus die<br />
Verantwortung für ihre Lebensführung<br />
bei sich, aber in der Überzeugung,<br />
dass Gott eingreift, sobald er<br />
einen anderen Plan hat.<br />
Die Gefahr dieser Praxis liegt dabei<br />
in der Therapeutisierung des Glauben,<br />
die Gott - so zeigt die Untersuchung<br />
- zu einer „Kombination aus<br />
göttlichem Butler und kosmischem<br />
Therapeuten“ macht.<br />
Tatsächlich hat Jesus uns mit seinem<br />
Tod am Kreuz gedient, unsere Sünden<br />
vergeben und sich selbst als Arzt der<br />
Kranken und Verlorenen bezeichnet,<br />
Gott als Vater im Himmel gepriesen<br />
dessen Kinder wir sind, Menschen<br />
geheilt und immer den Einzelnen im<br />
Blick gehabt.<br />
Allerdings wird der König, der seinem<br />
Volk und auch uns gedient hat,<br />
durch sein Handeln nicht zu meinem<br />
persönlichen Diener. Die Frage<br />
"Bin ich noch auf Gott ausgerichtet<br />
oder erwarte ich Gottes Ausrichtung<br />
auf mich?" kann ich nicht für jemand<br />
anderen beantworten, möchte<br />
sie aber trotzdem stellen. Vielleicht<br />
hilft ein Blick darauf, welches Gottesbild/welche<br />
Gottesbilder wir im<br />
Alten Testament finden und diese<br />
zu vergleichen mit dem/denen, die<br />
Jesus predigt. Gott als Vater, Jesus<br />
als Freund. Wir haben ein Gottesbild<br />
geprägt, das in der Gefahr steht,<br />
verwaschen zu sein. Ein Gottesbild<br />
von vielen, das mit emotionalen Lobpreisliedern<br />
gefüttert wird. Es besteht<br />
die Gefahr, den Gott der Bibel aus<br />
den Augen zu verlieren.<br />
An dieser Stelle kann und darf kritisch<br />
reflektiert werden, ob mehr Lobpreis<br />
große Nähe zu Gott bedeutet und<br />
was ich aus dem Blick verliere, wenn<br />
sich vieles um „mich, meinen Glauben,<br />
meine Nähe zu Gott und darum,<br />
dass ICH Gott erlebe“ dreht, wenn<br />
nur emotionales Lob im Mittelpunkt<br />
steht und Klage kaum Platz findet.<br />
Nichtsdestotrotz ist die Begegnung<br />
mit Gott (nicht nur bei den befragten<br />
Jugendlichen) eine Quelle der Kraft<br />
und des Glaubens. Auch Jesus hat<br />
sich regelmäßig für Gespräche mit<br />
seinem Vater zurückgezogen. Weiterhin<br />
kommt die „Bitte für andere<br />
Menschen“ bei 82% der hochreligiösen<br />
Jugendlichen (und damit auf<br />
Platz drei der Gebetsthemen) sehr<br />
häufig vor (vgl. S.100).<br />
Obwohl auch weit mehr als die Hälfte<br />
der befragten Jugendlichen mindestens<br />
wöchentlich, z.T. sogar täglich,<br />
in der Bibel liest (vgl. S.106),<br />
sollte hier erklärt werden, was hochreligiöse<br />
Jugendliche unter „Bibellesen“<br />
verstehen. Denn auch beim<br />
Bibellesen ist der gleiche Trend wie<br />
in anderen Bereichen festzustellen:<br />
Es werden einzelne Verse herausgepickt,<br />
die eine persönliche Bedeutung<br />
haben, die tragen und trösten.<br />
Dass Bibelverse trösten haben wir<br />
selbst erlebt, doch auch hier zeigt<br />
sich der Trend zur Individualisierung<br />
und vielleicht sogar zur Egozentriertheit.<br />
Der große Zusammenhang und<br />
der Überblick über den Kontext der<br />
Geschichte des AT und des NT, die<br />
Geschichte als Ganze, gehen dabei<br />
verloren. Wenn Texte nur im Hinblick<br />
auf die persönliche Aussage für<br />
mich oder gar wortwörtlich verstanden<br />
werden, kann es passieren, dass<br />
die historisch-kritische Reflektion zu<br />
kurz kommt oder dass Stellen allzu<br />
eindeutig verstanden werden. Natürlich<br />
kann und sollte ich mich fragen,<br />
was ein Text mir zu sagen hat,<br />
was er im hier und heute bedeutet,<br />
doch birgt eine 1:1 Übertragung die<br />
Gefahr an der eigentlichen Aussage<br />
des Textes vorbei etwas vollkommen<br />
anderes zu verstehen als eigentlich<br />
gemeint war. Die Studienleiter selbst<br />
liefern an dieser Stelle verschiedene<br />
Interpretationsmöglichkeiten zu den<br />
Gründen.<br />
Vielleicht wundert sich der eine oder<br />
andere, dass Predigten einen so hohen<br />
Stellenwert bei Jugendlichen einnehmen,<br />
aber gleichzeitig wenige im<br />
Gottesdienst am Sonntagmorgen oder<br />
in der Bibelstunde am Sonntagabend<br />
gesichtet werden. Auch hier ist durch<br />
qualitative Interviews deutlich geworden,<br />
dass es sich bei Gottesdiensten<br />
und Predigten nicht um eine formelle,<br />
sondern um eine geistliche Heimat<br />
dreht (vgl. Kapitel Kirche Gottesdienst<br />
und Ehrenamt). Diese wird dort<br />
gefunden wo auch Freunde den Gottesdienst<br />
besuchen und die ihnen Gott<br />
gefühlt und lebensnah näher bringen,<br />
die Jesus Christus im Mittelpunkt haben<br />
und zum Nachdenken anregen<br />
(vgl. S.183). Ein weiterer zentraler<br />
Faktor ist die Musik.<br />
Vor diesem Hintergrund verwundert<br />
es nicht, dass einzelne Gottesdienste<br />
besonders boomen, da viele Freunde<br />
sie besuchen und das Angebot an<br />
Musik und Predigt den Wünschen<br />
der Jugendlichen entspricht, während<br />
viele Jugendgottesdienste – und<br />
seien sie bis ins Detail wohlüberlegt<br />
und mit viel Engagement vorbereitet,<br />
kaum Besucher haben. Zwar<br />
kann hier nicht von einer Eventisierung<br />
des Glaubens gesprochen â<br />
11