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ABC Jubiläumsbuch 2019

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die am letzten Sonntag pr [per] Velocipede den Süllberg besuchten“<br />

das Ziel „ohne Anstrengungen erreichten“. 18 Aber eine<br />

Tour von mehreren Velozipeden-Reitern war nicht jedermanns<br />

Geschmack und so sandte ein Leser der Altonaer<br />

Nachrichten einen Leserbrief an die Redaktion mit folgender<br />

Beschwerde: „Das Befahren des Fußweges an der Elbchaussee<br />

von Velocipeden durch eine größere Anzahl junger Cavaliere<br />

erregte gestern Abend unter den Fußgängern viel Schrecken<br />

und Unwillen.“ 19<br />

Trotz solcher Unmutsbekundungen hatten die Velozipedisten<br />

Morgenluft gewittert und strebten nach mehr und nach Höherem.<br />

So schön „Lusttouren“ entlang der Elbe auch waren,<br />

die Eimsbütteler verfolgten durchaus schon in jenen Tagen<br />

sportliche Ambitionen. In Paris waren bereits am 31. Mai 1869<br />

im Parc de Saint-Cloud nahe Paris zwei Veloziped-Rennen<br />

ausgetragen worden, wobei Letzteres der Engländer James<br />

Moore (1849-1935) auf einem Michaux-Veloziped gewann. 20 Am<br />

7. November 1869 folgte sogar, was im Sommer jenes Jahres<br />

freilich noch niemand ahnen konnte, das erste Straßenradrennen<br />

überhaupt von Paris nach Rouen mit einer beacht -<br />

lichen Länge von 123 Kilometern, welches ebenfalls James<br />

Moore in 10 Stunden und 45 Minuten für sich entscheiden<br />

konnte. Die frühen Veloziped-Rennen in Frankreich demonstrierten<br />

eindrucksvoll die Praxistauglichkeit der Gefährte und<br />

erinnerten an Pferderennen, die auch in Deutschland in bürgerlichen<br />

Kreisen populär waren. Über die Presse waren die<br />

Hamburger über die Ereignisse in der Welt und auch bezüglich<br />

der vélocipèdie gut informiert. Im März 1869 berichteten die<br />

Hamburger Nachrichten beispielsweise über ein Velozipeden-<br />

Rennen in Liverpool, das über eine Streckenlänge von nicht<br />

ganz 13 Kilometern reichte. 21<br />

Die Mitglieder des Eimsbütteler Velocipeden-Reit-Clubs werden<br />

die Nachrichten über die Veloziped-Rennen aufmerksam<br />

registriert haben und fühlten sich davon inspiriert, ein solches<br />

ebenfalls in eigener Regie durchzuführen. So lud der Club zu<br />

Pfingsten 1869, am 16. oder 17. Mai, zu einem „Wettfahren im<br />

Pinneberger Gehölz“, das „eine gewaltige Menschenmenge“<br />

ins beschauliche Städtchen lockte. 18 Velozipeden-Reiter<br />

machten sich von Altona auf den Weg dorthin, allerdings existierten<br />

nur zwölf Velozipede, weshalb sechs angehende Radsportler<br />

mit der Eisenbahn nach Pinneberg reisen mussten.<br />

Doch von einem Rennen konnte vor Ort nicht wirklich gesprochen<br />

werden und das „erwartungsvolle Publikum wurde bitter<br />

enttäuscht“, wie einige Protagonisten sich später erinnerten.<br />

„Zwar rasten die einzelnen Reiter in den Fusswegen wie besessen<br />

umher, gefährdeten das Leben von Gross und Klein,<br />

nicht minder ihr eigenes, doch von einem wirklichen Rennen<br />

keine Spur.“ 22 Dieser erste Testdurchlauf eines Rennens war<br />

grandios gescheitert, doch bald sollten sich weitere Möglichkeiten<br />

ergeben.<br />

Am 15. Juni fand in Hannover ein Veloziped-Rennen statt. 23 Ob<br />

auch Mitglieder aus Eimsbüttel darunter waren, ist unklar. Ende<br />

Juni richtete Schleswig ein Turnfest aus, das bisher in der<br />

Fahrradgeschichte gänzlich unberücksichtigt blieb, obwohl<br />

dort eines der frühesten Veloziped-Rennen in deutschen Landen<br />

ausgetragen wurde. Das Organisations-„Comité“ des Festes<br />

beschloss Ende April, „ein Wettfahren für Velocipeden zu<br />

veranstalten und dem Sieger einen Preis auszusetzen“. 24 Wie<br />

die Veranstalter auf die ungewöhnliche Idee kamen, wird in<br />

der Pressenotiz leider nicht erwähnt, es darf aber vermutet<br />

werden, dass der Eimsbütteler Club und die Schlüter-Brüder<br />

daran nicht unbeteiligt waren. Mit frischem Elan wollten sie<br />

nicht nur in Altona und Hamburg für ihre Velozipeden und<br />

den neuen Sport werben, sondern auch im nördlichen Schleswig-Holstein.<br />

Jedenfalls ging mit August Schlüter ein Mitglied<br />

des Clubs an den Start des Rennens, das am 28. Juni 1869 auf<br />

dem „Exercierplatze“ von Schleswig ausgetragen wurde. „Er<br />

legte die Bahnstrecke von 1/8 Meile [941,56 Meter] in weniger<br />

als 4 Minuten zurück, die anderen Velocipeden-Reiter um ca.<br />

120 Fuß schlagend“, wie die Hamburger Nachrichten berichteten.<br />

25 Die Geschwindigkeit des Siegers aus Eimsbüttel war<br />

mit 14,4 km/h aus heutiger Sicht eher beschaulich, für damalige<br />

Verhältnisse, im Vergleich zu Fußgängern, aber recht flott.<br />

Die Schleswiger Nachrichten erwähnten das Rennen ebenfalls<br />

kurz und lobten den Sieger August Schlüter, „welcher sich besonders<br />

auch durch elegantes Fahren auszeichnete“. 26 Das<br />

„Velocipeden-Wettfahren“ erregte in Schleswig große Aufmerksamkeit<br />

und wurde von den „zahlreich anwesenden Zuschauern“<br />

interessiert verfolgt, bot es ihnen doch die Möglichkeit,<br />

„sich mit diesem neuesten Beförderungsmittel näher<br />

bekannt zu machen“. 27 Beim Schleswiger Rennen handelte es<br />

sich wohl um den ersten Sieg des jungen Clubs aus Eimsbüttel,<br />

der die sportlichen Ambitionen, aber auch die kommerziellen<br />

Interessen einiger Mitglieder, namentlich der Brüder<br />

Schlüter, eindrucksvoll unterstrich. August Schlüter und die<br />

anderen Teilnehmer am Schleswiger Rennen übertrugen den<br />

Sportsgeist auf das Veloziped und imitierten Pferderennen,<br />

mit dem feinen Unterschied, dass die Fahrer sich mittels von<br />

Menschen erdachter und erbauter Technik fortbewegten. Der<br />

Erfolg in Schleswig fand in Altona schnell ein Echo von einem<br />

25

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