Bayreuth Aktuell August 2019
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PiontEck<br />
Jenseits des <strong>Bayreuth</strong>er Wagnerkanons<br />
4<br />
Wissen Sie, was „ImaginationsAktivismus“<br />
(so geschrieben)<br />
ist? Nein, ich<br />
auch nicht, aber ich kann<br />
mir, da geistig tätig, etwas<br />
darunter vorstellen. ImaginationsAktivismus<br />
(so geschrieben)<br />
ist der Versuch,<br />
sich aktiv ein Bild zu machen,<br />
das man sich ausmalen<br />
kann wie man will:<br />
im Gehirn. Da aber, wie es<br />
in einem alten und sehr<br />
klugen Sinnspruch heißt,<br />
aus Gedanken Worte und<br />
aus Worten Taten werden,<br />
könnte aus der Einbildung schnell etwas sehr Konkretes entstehen<br />
– so wie aus den Gehirnwindungen eines Komponisten aufs Papier<br />
geworfene kleine schwarze Punkte und Striche generiert werden, die, zum<br />
Klingen gebracht, als Kompositionen in die Welt kommen.<br />
Dr. Frank Piontek<br />
„ImaginationsAktivismus“ - so modernistisch-maniriert kam mir das gute<br />
Wort entgegen, als das <strong>Bayreuth</strong>er BIGSAS Festival of African and African Diasporic<br />
Literatures Anfang Juli im Iwalewahaus und im Alten Schloss tagte.<br />
Vergessen wir mal die sprachliche Bedeutung der Wortendung Ismus, die<br />
in diesem Fall im Sinn des „bloßen Aktivismus“ eher Kritisches als Neutrales<br />
ausdrückt, auch wenn man über die Probleme, die auf dem Festival diskutiert<br />
wurden – eben diskutieren kann, ja muss. Denn wo es um die Frage<br />
geht, ob der Krisenkontinent nicht Afrika, sondern eher Europa ist, wird der<br />
Finger in die Wunde gelegt: das – oder müsste Mann nicht genauer sagen:<br />
die „gute alte Europa“ hat, so scheint es, als Verursacherin diverser Krisen<br />
längst in ihrem Vorbildstatus ausgedient, nicht aber als Versuchslabor zur<br />
Rettung von Klima, Politik und auch imaginativer Welt. Zur Erinnerung: der<br />
Philosoph Jürgen Habermas ist gerade 90 Jahre jung geworden. Er schreibt<br />
und doziert immer noch, mit bemerkenswerter Klarheit, über ein sozial und<br />
politisch definiertes Europa, das nicht aufgegeben werden darf.<br />
Iwalewahaus<br />
Der <strong>Bayreuth</strong>er Kolumnist<br />
denkt in seinem<br />
bescheidenen<br />
Rahmen nicht nur an<br />
die Festspiele, wenn<br />
es um die Verwirklichung<br />
europäischer<br />
Ideen in der kleinen<br />
Stadt am Roten Main<br />
geht, in der das Nationale<br />
mit dem<br />
Übernationalen einträchtig spazieren geht. Liszt, Beethoven und Rachmaninow<br />
waren Weltbürger der Musik, der Nationalist Debussy schon<br />
weniger, obwohl seine Werke die Welt erobert haben und er sich von einem<br />
Russen, von Mussorgsky, inspirieren ließ. Chopin war durch und durch<br />
Pole, aber mit einem starken französischen Anteil. Mozart und Schubert<br />
scheinen unvergleichlich zu sein, wobei Letzterer eine Wiener Musik mit<br />
einer ungewöhnlich melancholischen Färbung geschrieben hat, die man<br />
einmal als „schlesisch“ bezeichnet hat. Wie auch immer: Sie alle waren,<br />
in ihren Unterschiedlichkeiten, in ihrer geistigen und gelegentlich reisenden<br />
Tätigkeit, gute alte Europäer. Bei Steingraeber, wo im <strong>August</strong>, sozusagen am<br />
Fuße des Hügels, mit der „Piano Time“ das schönste Alternativ- und gleichzeitig<br />
Ergänzungsprogramm zu den Festspielen veranstaltet wird, werden in<br />
diesem Monat einige Werke dieser Komponisten erklingen. Der Klavier-Aficionado<br />
darf sich besonders auf ein Konzert freuen, das die türkische Pianistin<br />
Ece Demirci am 12. <strong>August</strong> spielen wird: Rachmaninow in Kontrast mit „türkischer<br />
Klassik des 20. Jahrhunderts“, wie es im Waschzettel des Programms<br />
heißt, was uns daran erinnert, dass auch Franz Liszt am Bosporus musizierte.<br />
Waren da nicht gerade vielleicht richtungsweisende Bürgermeisterwahlen?<br />
Ach, die Politik… Es gab Zeiten, da konnte, ja: da durfte man sich noch unschuldig<br />
unterhalten, wenn man des Tages Mühen hinter sich ließ. Nein, ich<br />
rede nicht vom Kino der 50er Jahre. Ich spreche von der goldenen Zeit der<br />
Operette, die zu Unrecht als „silbern“ bezeichnet wird. Wer eine der allerschönsten<br />
sehen und hören will, sei auf ein anderes Festspiel verwiesen. In<br />
Wunsiedel wird die Wiener Operettenbühne, zum letzten Mal nach genau<br />
20 Jahren, denn sie hat gerade den Abschiedszettel überreicht bekommen,<br />
bei den Luisenburgfestspielen mit einer absoluten Perle der vielgeschmähten,<br />
aber auch -geliebten Gattung gastieren: mit dem „Walzertraum“ des<br />
Oscar Straus. Für den wahren Operettenfreund bedarf es keines ImaginationsAktivismus<br />
(so geschrieben), um sich leise, ganz leise die schönsten<br />
Melodien dieses späten Wunderwerks der Operette ins Gedächtnis zu<br />
rufen. Dem Musikfreund, der Operette für Uropas und Uromas Kino und für<br />
bekloppt hält, sei der Besuch besonders ans Herz gelegt: weil die durchaus<br />
nicht heile Welt dieses Stücks und die geniale Musik des Oscar Straus<br />
schlichtweg bezwingend sind – so wie Wagners Werke, zu denen auch<br />
das juvenile Bubenstück vom furchtbaren Leubald gehört. Wer Wagner<br />
erfassen will, muss ihn ganz erfassen: auch jenseits des Kanons der zehn<br />
<strong>Bayreuth</strong>-Stücke. Die Studiobühne hat also wieder den „Leubald“ ausgegraben<br />
und ihn auf die Bühne von Steingraebers Hoftheater gebracht, wo<br />
er, und auch dies zum letzten Mal, heuer wieder metzeln und minnen wird.<br />
Auch der Kolumnist freut sich darauf: und zwar sehr aktiv.<br />
Der Kolumnist Dr. Frank Piontek