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KRANKENGYMNASTIK AUF NEUROPHYSIOLOGISCHER GRUNDLAGE NACH<br />

BOBATH UND VOJTA BEI DER FRÜHBEHANDLUNG VON ZEREBRALEN<br />

BEWEGUNGSSTÖRUNGEN -DISSENS UND KONSENS-<br />

D. Karch*, P.Schulz**, H. Haberfellner***, W. Berger****<br />

Einleitung<br />

Seit Jahrzehnten werden unterschiedliche Techniken zur Behandlung von Kindern<br />

mit zerebraler Bewegungsstörung angewendet (Scrutton 1984). Fast alle<br />

Behandlungstechniken ergaben sich aus dem praktischen Umgang mit Patienten.<br />

Theoretische Modellvorstellungen wurden erst nachträglich entwickelt, welche aus<br />

neurophysiologischer oder entwicklungsneurologischer Sicht die Methode<br />

begründen sollten. Dies gilt auch für die Krankengymnastik auf<br />

neurophysiologischer Grundlage sowohl nach Bobath als auch nach Vojta.<br />

Obwohl es für beide Methoden keine Studien gibt, die Erfolge zweifelsfrei belegen<br />

können, geschweige denn eine vergleichende Studie zwischen beiden Methoden,<br />

bestehen z.T. rational nicht einsehbare Meinungsunterschiede. In der<br />

Vergangenheit kam es bisweilen zu einer Polarisierung, die dazu führte, daß eine<br />

Ausschließlichkeit der Methode von jeder Seite reklamiert und z.B. eine ergänzende<br />

Anwendung beider Methoden bei ein und dem selben Kind strikt abgelehnt wurde<br />

(Karch et al. 1993).<br />

In dem folgenden Beitrag soll der Versuch unternommen werden, die Theorie und<br />

Praxis beider Methoden, ihre Gemeinsamkeiten und ihre Unterschiede zu<br />

verdeutlichen, insbesondere bei der Früherkennung und Frühbehandlung von<br />

infantilen Zerebralparesen oder zerebralen Bewegungsstörungen. Dabei wird jeder<br />

Seite die Möglichkeit gegeben, das eigene Begriffssystem und die eigene Diktion<br />

anzuwenden und zu erklären. Die Terminologie gibt die jeweils benutzten Begriffe<br />

und Deutungen unter historischen Aspekten wieder. Eine kritische Bewertung ist,<br />

auch in der Darstellung von Konsens und Dissens, nicht durchgeführt und nicht<br />

beabsichtigt.<br />

Die zerebralen Bewegungsstörungen werden als Überbegriff für alle Störungen von<br />

Körperhaltung und Bewegung verstanden, die auf einer Erkrankung, Schädigung<br />

oder Aufbaustörung (Anomalie) des Gehirns beruhen. Dazu gehören die infantilen<br />

Zerebralparesen (cerebral palsy), eine Gruppe von Syndromen mit nicht<br />

progredienten, aber sich ändernden sensomotorischen Störungen, die sich in der<br />

frühen Kindheit manifestieren; eine allgemein anerkannte Definition gibt es nicht<br />

(Tabelle 1).<br />

______________________________________________________________<br />

Die Autoren sind Teil der ”Arbeitsgemeinschaft Bobath/Vojta -Konsens/Dissens”<br />

(Mitglieder: H. Bauer**, W. Berger****, W. Ernst**, A. Glauche-Hiegler*, H.<br />

Haberfellner***, U. Haberfellner***,<br />

D. Karch*, G. Naß*, P. Schulz**, H. von Voß**).<br />

* Klinik für Kinderneurologie und Sozialpädiatrie, <strong>Maulbronn</strong>,<br />

** <strong>Kinderzentrum</strong> München,<br />

*** Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Abteilung Bewegungs-<br />

und Entwicklungsstörungen, Innsbruck<br />

**** Neurologische Universitätsklinik und Poliklinik-Neurozentrum, Freiburg.<br />

1


Der Beitrag ist in 3 Kapitel gegliedert:<br />

A) Darstellung der Begriffssysteme,<br />

B) Konzepte und Durchführung der Krankengymnastik,<br />

C) Indikation zur Behandlung im ersten Lebensjahr.<br />

A) BEGRIFFSSYSTEME<br />

In diesem Abschnitt sollen die Bezeichnungen und Begriffssysteme, welche nach<br />

dem Vojta- oder Bobath Konzept verwendet werden, definiert und die<br />

Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede analysiert werden (Bobath et al. 1983, Bobath<br />

1986, Vojta 1988, Vojta et al. 1997). Dabei werden in den Abschnitten a) und b) die<br />

Semantik nach Vojta bzw. Bobath und in den Abschnitten c) Konsens und d)<br />

Dissens behandelt (Tabelle 2)<br />

Posturale Ontogenese / motorische Entwicklung<br />

a) Die posturale Ontogenese ist nur ein Aspekt der menschlichen Ontogenese und<br />

wird beschrieben durch folgende Entwicklungsparameter (Tabelle 3):<br />

− die 7 Lagereaktionen (posturale Reaktionen),<br />

− die wichtigsten Aspekte der Spontanmotorik wie Aufrichtung, phasische<br />

zielgerichtete Motorik und Lokomotion (posturale Aktionen) sowie<br />

− die Entwicklungsdynamik der primitiven Reflexe und Automatismen. Sie folgt<br />

einem artspezifischen Programm, das daher nicht trainiert werden muß.<br />

Die automatische Steuerung der Körperhaltung ist Ausdruck einer zentralnervösen<br />

posturalen Funktion, die mit den Lagereaktionen erfaßbar ist. Sie begleitet jede<br />

normale motorischen Äußerung des Säuglings. Es lassen sich bestimmte<br />

Meilensteine der idealen posturalen Aktionen (= Spontanmotorik) auf bestimmte<br />

Stufen der idealen posturalen Reaktionen (= Lagereaktionen) beziehen und<br />

umgekehrt.<br />

Auch die physiologische Präsenz, Abschwächung oder Abwesenheit der primitiven<br />

Reflexe und Automatismen (= Dynamik der primitiven Reflexe) läßt sich anhand der<br />

Lagereaktionen oder der Spontanmotorik vorhersagen, wenn diese ideal gestaltet<br />

sind. -Zum Beispiel ist ein Kind mit einem posturalen Niveau am Beginn des 7.<br />

Monats in der Lage, sich auf die geöffneten Hände zu stützen und sich rückwärts<br />

auf die Knie zu schieben. Die Primitivreflexe sind mit Ausnahme des<br />

Fußgreifreflexes zu diesem Zeitpunkt erloschen (Vojta 1989a).- Die Beschreibung<br />

der Lagereaktionsentwicklung beginnt mit der Geburt (40. SSW). Nach dem<br />

Abschluß des 10. posturalen Entwicklungsmonats können die Lagereaktionen nicht<br />

mehr zur Feststellung des posturalen Alters gewertet werden.<br />

Bei Frühgeborenen wurden sie noch nicht standardisiert. Gesunde Säuglinge gehen<br />

zeitweilig über die Grenzen ihrer sicheren posturalen Fertigkeiten hinaus. Die<br />

Frühgeborenen benutzen passagere Ersatzmuster (vgl. Kapitel Spontanmotorik),<br />

wenn sie durch ihre früher reifende visuelle und akustische Perzeption zum Handeln<br />

motiviert werden.<br />

b) Die motorische Entwicklung -ein Aspekt der psychomotorischen Entwicklung<br />

insgesamt- wird von unterschiedlichen Faktoren beeinflußt und zeigt innerhalb<br />

2


estimmter Grenzen eine große Variabilität. Dies erschwert die Früherkennung der<br />

zerebralen Bewegungsstörungen bzw. auch der verzögerten oder gestörten<br />

motorischen Entwicklung eines Kindes. In diesem Zusammenhang müssen vor<br />

allem der Entwicklungsstand der Rumpfaufrichtung und Kopf(haltungs)kontrolle, der<br />

Stütz- und Greiffunktion in Verbindung mit der Absicherung der Körperlage (Hand-<br />

Mund-Fuß-Koordination, Übergreifen der Mittellinie etc.) beachtet werden. Skripten<br />

und Kursaufzeichnungen zur Beurteilung sind nicht allgemein zugänglich, daher<br />

orientiert man sich an Studien über die motorische und psychomotorische<br />

Entwicklung wie z.B. Bobath et al. 1983, 1984, Gesell et al. 1964, Illingworth 1975,<br />

Mc Graw 1989, Sheridan 1975).<br />

Die motorische Entwicklung ist genetisch determiniert. Wie einzelne Entwicklungsschritte<br />

erreicht werden, kann individuell unterschiedlich sein und wird von<br />

epigenetischen Faktoren beeinflußt, wie z.B. kulturelle, familiäre oder psychosoziale<br />

Einflüsse (Michaelis 1985, Michaelis et al. 1989). In prospektiven Studien ist diese<br />

Variabilität von Largo et al. (Largo et al. 1985, Largo et al. 1993) demonstriert<br />

worden. Ca. 13% der Kinder wählten andere Bewegungsmuster bzw. ließen<br />

bestimmte Meilensteine der Aufrichtung und Lokomotion bis zum freien Laufen aus.<br />

Unklar ist allerdings, ob es sich dabei, zumindest bei einigen Kindern, um den<br />

Versuch handelt, eine bestehende Störung der motorischen Koordination zu<br />

kompensieren.<br />

c) Der Säugling nutzt angeborene Bewegungsmuster und sensomotorische<br />

Regulationskreise, so daß er bei einer zielgerichteten Bewegung oder Aufrichtung<br />

nicht jeden einzelnen Bewegungsablauf völlig neu und individuell erlernen muß.<br />

Teile dieser angeborenen Bewegungsabläufe werden spinal oder im Hirnstamm<br />

generiert. Aufgrund von Tierversuchen sprechen Grillner et al. (1985) von "central<br />

pattern generator" (CPG). Solche "Teilprogramme" werden auch für den Menschen<br />

als angeboren diskutiert, die unter zunehmender supraspinaler Kontrolle modifiziert<br />

werden (Berger et al. 1984, Schotland 1992). Um sich auf die Erfordernisse der<br />

Umwelt einzustellen, werden neurale Mechanismen benötigt, die in einem<br />

komplexen Netzwerk eng miteinander in Verbindung stehen müssen (Touwen<br />

1993). Der Einfluß von angeborenen Bewegungsmustern wird mit der Reifung des<br />

ZNS geringer.<br />

d) Vojta betont, es komme auf den systematischen Zusammenhang zwischen den<br />

posturalen Reaktionen (Lagereaktionen), posturalen Aktionen (Spontanmotorik)<br />

sowie der Entwicklungsdynamik der primitiven Reflexe und Automatismen beim<br />

Säugling an.<br />

Bei Bobath wird ein lockerer Zusammenhang von Primärreaktionen und spontaner<br />

Motorik angenommen (z.B. Handgreifreflex und Greifen) (Touwen 1984 und1993).<br />

Spontanmotorik<br />

a) Spontanmotorik bedeutet, daß bestimmte Aspekte der Motorik (Aufrichtung,<br />

Greifen, Fortbewegung), die bei der Interaktion mit dem Säugling unwillkürlich oder<br />

willkürlich auftreten, vom Untersucher beobachtet werden. Auch hier werden<br />

reifeabhängige, ideale Muster zugrunde gelegt (Tabelle 4). Abweichungen davon<br />

werden als Ersatzmuster beurteilt.<br />

3


Die Spontanmotorik gehört zu den essentiellen Bewertungsmerkmalen bei jeder<br />

Untersuchung und erlaubt im Normalfall eine weitgehende Vorhersage des<br />

posturalen Entwicklungsstandes. Beim Auftreten von Ersatzmustern wiederum<br />

wird eine Zentrale Koordinationsstörung, definiert mit den Lagereaktionen, erwartet.<br />

b) Die Beobachtung der spontanen Motorik (Haltung, Aufrichtungs- und<br />

Willkürmotorik) des Neugeborenen und Säuglings stellt die wichtigste<br />

Informationsquelle zur Beurteilung der Entwicklung sowie zur Erkennung von<br />

zerebralen Bewegungsstörungen dar. Beachtet werden alle spontanen Haltungen<br />

und Aktivitäten<br />

− des Kindes, die seine Körperlage stabilisieren und es befähigen,<br />

den Körperschwerpunkt zu verlagern,<br />

− die zur Entwicklung der Fein- und Zielmotorik beitragen und<br />

− die der Fortbewegung dienen,<br />

− insbesondere bei Kommunikation mit Bezugspersonen (Tabelle 5).<br />

Sie wird vor allem qualitativ beurteilt (bis Ende des 1. Lebensjahres entsprechend<br />

dem korrigierten Lebensalter = neurologisches Alter) und unter Berücksichtigung<br />

der unten aufgeführten Kriterien zur Beurteilung der automatischen Reaktionen.<br />

Verzögerte motorische Entwicklung, eingeschränkte Variabilität der spontanen<br />

Motorik oder gar stereotypes (= ”pathologisches”) Auftreten von Haltungs- und<br />

Bewegungsmustern sind Kriterien, die eine mentale Entwicklungsstörung oder<br />

eine zerebrale Bewegungssstörung vermuten lassen.<br />

c) Die Spontanmotorik stellt eine äußerst wichtige, aber nicht die einzige<br />

Informationsquelle zur Beurteilung der Entwicklung und zur Erkennung spezieller<br />

Abweichungen dar. Die ”Ersatzmuster” des Vojta-Konzepts entsprechen weitgehend<br />

den ”pathologischen” Haltungs- und Bewegungsmustern des Bobath-Konzepts.<br />

Posturale Reagibilität / automatische Reaktionen zur Haltungskontrolle<br />

a) Die posturale Reagibilität bezeichnet die grundsätzliche Fähigkeit des<br />

Menschen, auf provozierte Lageveränderungen zu reagieren. Posturale Reaktionen<br />

laufen unbewußt ab und dienen der Sicherung der Körperhaltung bei jeder<br />

Lokomotion und Zielbewegung (Magnus 1924).<br />

b) Automatische Reaktionen sind Stell- und Gleichgewichtsreaktionen sowie<br />

Kettenreaktionen (Peiper 1963), die für die automatische Kontrolle der<br />

Körperhaltung sorgen und als Haltungshintergrund für jede willkürliche Bewegung<br />

unerläßlich sind. In der klinischen Untersuchung sind die Wirkbereiche der<br />

einzelnen Reaktionen nicht klar voneinander zu trennen.<br />

c) Beide Begriffe beschreiben die unbewußt ablaufenden, angeborenen<br />

Fähigkeiten, die Körperhaltung zu kontrollieren. Selbst beim Neugeborenen sind die<br />

automatischen Reaktionen nie in der vom Tierversuch bekannten Form sichtbar.<br />

Gleichgültig, ob es gesund oder zerebral geschädigt ist, sind die Einflüsse<br />

verschiedener zentralnervöser Bereiche im Gegensatz zum Tierversuch nie auf<br />

definierten Ebenen vollständig unterbrochen. Die Stell- und<br />

Gleichgewichtsreaktionen sind zunehmend weniger variabel oder gar nicht mehr<br />

auslösbar, je nachdem wie stark das ZNS geschädigt ist. Beide Konzepte nehmen<br />

4


eine eigenständige Funktion kortikaler und subkortikaler Areale an, die alle für die<br />

Haltung bedeutsamen Teilfunktionen des ZNS sowie Informationen aus Rumpf,<br />

Extremitäten und Sinnesorganen integriert.<br />

d) Vojta schätzt die Stell- und die Kettenreaktionen als weniger bedeutend für die<br />

Frühdiagnostik von zerebralen Bewegungsstörungen ein als die Vertreter des<br />

Bobath- Konzeptes.<br />

Prüfung der posturalen Reagibilität / automatischen Reaktionen zur<br />

Haltungskontrolle<br />

a) Die posturale Reagibilität wird mittels 7 Lagereaktionen geprüft:<br />

Traktionsreaktion (modifiziert von Vojta), Landau-Reaktion (modifiziert von<br />

Vojta),Axillare Hängereaktion, Seitkippreaktion nach Vojta, Horizontale<br />

Seithängereaktion nach Collis (modifiziert von Vojta), vertikale Hängereaktion nach<br />

Peiper und Isbert (modifiziert von Vojta) sowie Vertikale Hängereaktion nach Collis<br />

(modifiziert von Vojta). Die Lagerereaktionen prüfen die posturale Reagibilität. Die<br />

Reaktionsmuster entwickeln sich während des Säuglingsalters als maßgeblicher Teil<br />

der posturalen Ontogenese.<br />

Die Bewertung erfolgt nach zwei Gesichtspunkten: das Lagereaktionsalter<br />

(posturales Alter) und Zahl der abnormalen Reaktionen (Abbildung 1). Die idealen<br />

Antworten auf die 7 Lageveränderungen ergaben sich für alle Lebensalter zwischen<br />

Geburt (40.SSW) und dem 10. Lebensmonat aus zahlreichen Einzelbeobachtungen<br />

und wurden von Vojta als Idealitätsmaßstab nach rein kinesiologischen<br />

Gesichtspunkten definiert. Im Alter von 4-6 Wochen erfüllen z.B. 70% der Säuglinge<br />

diese idealen Kriterien (Costi et al. 1983). Die interindividuelle Variabilität der<br />

Reifung wurde dadurch berücksichtigt, daß Abweichungen des posturalen Alters<br />

vom Lebensalter bis zu höchstens 3 Monaten noch als normal beurteilt werden.<br />

Bei der kinesiologischen Bewertung der Reaktionen unterscheidet man globale<br />

Muster (z.B. Beugesynergie des 2. Trimenons) und Teilmuster (z.B. lockere<br />

Streckung des Armes, Pronation der Hand). Jede Abweichung von den idealen<br />

Reaktionsmustern führt zur Bewertung der jeweiligen Reaktion als abnormal. Eine<br />

Retardierung des Lagereaktionsalters (=posturales Alter) von mehr als 3 Monaten<br />

führt ebenfalls zur Bewertung der Lagereaktion als abnormal, selbst wenn die<br />

Teilmuster nicht von der idealen Form abweichen. Der idealen Reaktionsweise<br />

(= keine abnormalen Lagereaktionen, LR) wird die abnormale mit folgender<br />

Quantifizierung gegenübergestellt:<br />

− 1-3 abnormale LR = leichteste Zentrale Koordinationsstörung (ZKS)<br />

− 4-5 abnormale LR = leichte ZKS<br />

− 6-7 abnormale LR = mittelschwere ZKS<br />

− 7 abnormale LR + schwere Muskeltonusstörung = schwere ZKS<br />

Die Beziehung der posturalen Reaktionen zum Entwicklungsstand der Aufrichtung,<br />

Fortbewegung und Greifmotorik wird als so eng angesehen, daß Vojta von<br />

provozierten, posturalen Reaktionen (Lagereaktionen) und spontanen, posturalen<br />

Aktionen (Spontanmotorik) spricht. Insofern sind bei abnormalen Lagereaktionen<br />

immer auch Abweichungen von idealen spontanen Aufrichtungs- und<br />

Fortbewegungsmustern zu erwarten. Je abnormaler die Teilmuster und globalen<br />

5


Muster der Lagereaktionen ausfallen, desto weniger ist das posturale Alter des<br />

Säuglings bestimmbar. Besteht eine schwere zerebrale Bewegungsstörung, ist das<br />

posturale Alter weder ablesbar noch entwickelt es sich weiter (Blockade der<br />

posturalen Ontogenese). Auch die Waltezeit der Primitivreflexe und die<br />

Abschwächung ihrer Intensität sind entscheidend vom Stand der posturalen<br />

Entwicklung (nicht alleine vom Lebensalter) abhängig.<br />

Die begriffliche Unterscheidung zwischen "idealer” und "abnormaler”<br />

Reaktionsweise ist semantisch nicht einwandfrei; es müßte eigentlich "ideal” und<br />

"nicht ideal” heißen. Die Idealität wurde nach rein kinesiologischen Gesichtspunkten<br />

festgelegt und beruht nicht auf statistischen Erhebungen. Die idealen<br />

kinesiologischen Muster der Lagereaktionen wurden nach klinischer Erfahrung<br />

einem idealen posturalen Alter zugeordnet. Ihre Beziehung zur normalen<br />

motorischen Ontogenese stützt sich wesentlich auf die von Gesell (1964,1988)<br />

angegebenen motorischen Meilensteine. Dadurch gelang es auch, eine Beziehung<br />

zum Lebensalter herzustellen, die relativ locker ist, da Unterschiede in der normalen<br />

individuellen Entwicklungsgeschwindigkeit bis zu drei Monate toleriert werden.<br />

Der Begriff "pathologisch" wird im Zusammenhang mit den posturalen Reaktionen<br />

und der ZKS nicht benutzt, denn der zunehmende Abweichungsgrad der<br />

Haltungsmuster von der Idealität zeigt nur ein steigendes symptomatisches Risiko<br />

für eine evtl. erst später definierbare Entwicklungsstörung an.<br />

b) Die Prüfung der automatischen Reaktionen hat das Ziel, die zunehmenden<br />

Einflüsse der obersten Kontrollebenen des ZNS auf die Ausprägung der<br />

Stellreaktionen, der Kettenreaktionen und der Gleichgewichtsreaktionen während<br />

des 1. Lebensjahres zu erfassen. Ihre altersabhängige Entwicklung gilt als Indikator<br />

für die Entwicklung und Reifung der Haltungskontrolle und der motorischen<br />

Entwicklung. Die Prüfung erfolgt mittels Beobachtung spontaner motorischer<br />

Aktivität und interaktiver Motorik in einem dem Kind verständlichen und adäquaten<br />

Kontext.<br />

Die Stellreaktionen steuern die Einstellung des Kopfes im Raum sowie die<br />

Ausrichtung der Rumpfsegmente zueinander und in Beziehung zum Kopf. Sie<br />

dienen der Orientierung des Körpers im Raum im Bezug auf die Schwerkraft, auf die<br />

Unterstützungsfläche sowie auf andere sensorische Reize. Im einzelnen wurden<br />

folgende Reaktionsmuster beschrieben: die Labyrinthstellreaktion auf den Kopf, die<br />

Kopfstellreaktion auf den Körper, die Körperstellreaktion auf den Körper, die<br />

Körperstellreaktion auf den Kopf, sowie die optische Stellreaktion (R. Magnus 1924).<br />

Die Kettenreaktionen (Peiper 1963) wirken - z.B. ausgehend von der<br />

Labyrinthstellreaktion - von einem Körpersegment auf das nächste (wie von einem<br />

Kettenglied zum anderen) entlang des Rumpfes und der Extremitäten mit fortlaufend<br />

koordinierten Muskelkontraktionen (z.B. im Sinne der Extension und Abduktion). Sie<br />

können sich sowohl in kraniokaudaler wie auch in umgekehrter Richtung auswirken.<br />

Es können symmetrische und asymmetrische Kettenreaktionen beobachtet werden.<br />

Unter Gleichgewichtsreaktionen versteht man Veränderungen der Haltung des<br />

Rumpfes und der Extremitäten, sowie automatische Bewegungsantworten als<br />

Reaktion auf Einwirkungen, die zu einer Verlagerung des Körperschwerpunktes<br />

führen oder führen können. Sie bestehen nicht nur in Tonusänderungen oder<br />

Bewegungen des Rumpfes sondern auch der Extremitäten.<br />

6


c) Es werden angeborene und reifende Bewegungs- und Reaktionsmuster<br />

beschrieben, die sowohl den Reifegrad der Körperhaltungskontrolle als auch der<br />

motorischen Entwicklung erkennen lassen, da sie sich entsprechend der Reifung<br />

und Entwicklung des ZNS in charakteristischer Weise ändern. Die Haltungskontrolle<br />

stellt die Basis für die Willkürmotorik dar. Verläßliche Normwerte für die Entwicklung<br />

der automatischen Reaktionen existieren nicht.<br />

d) Die Vertreter des Bobath-Konzepts sehen die Grenzen bei der Beurteilung der<br />

posturalen Reagibilität von Vojta zu eng gesetzt. Für die Vertreter des Vojta<br />

Konzeptes sind die sehr variablen Angaben über das normale Auftreten der<br />

automatischen Reaktionen nicht vereinbar mit dem Ziel einer frühen Erkennung von<br />

zerebralen Bewegungsstörungen (siehe auch Kapitel C).<br />

Zentrale Koordinationsstörungen / sensomotorische Koordinationsstörung<br />

a) Die Zentrale Koordinationsstörung (ZKS) ist eine zusammenfassende<br />

Bewertung abnormaler Lagereaktionen. Sie bedeutet eine aktuelle<br />

entwicklungsneurologische Funktionsbeschreibung des Nervensystems,<br />

insbesondere der motorischen Regulationskreise, und spiegelt die Funktionen der<br />

Afferenzen, zentralen Verarbeitung und Efferenzen, einschließlich des Muskel-<br />

Skelettsystems wider. Die Wahrscheinlichkeit einer pathologischen Entwicklung<br />

erhöht sich mit steigender Zahl abnormaler Lagereaktionen bzw. mit<br />

unterschiedlichem Ausprägungsgrad der ZKS insbesondere wenn die Ergebnisse<br />

bei Kontrolluntersuchungen gleich bleiben oder sich gar verschlechtern. Hinter der<br />

ZKS verbergen sich nicht nur rein motorische, sondern auch intellektuelle<br />

Entwicklungsstörungen und andere Beeinträchtigungen, die zu Störungen der<br />

motorischen oder mentalen Entwicklung führen können (Imamura et al.1983, Costi<br />

et al. 1983). Spontane Verbesserungen der ZKS nach dem 6. Lebensmonat sind<br />

häufig (Lajosi 1985).<br />

b) Unter dem Begriff der sensomotorischen Koordinationsstörung sollen<br />

Abweichungen vom normalen Verhalten zusammengefaßt werden, die sich bei der<br />

Beobachtung des Spontanverhaltens, der Prüfung der automatischen Reaktionen,<br />

der Beurteilung des motorischen Entwicklungsstandes und der klinischneurologischen<br />

Untersuchung als sensomotorische oder mentale<br />

Entwicklungsstörungen bzw. Defizite zeigen. Die Ursache dafür kann im ZNS, aber<br />

auch im peripheren Nervensystem oder dem Muskel- und Bindegewebesystem<br />

liegen.<br />

Solche Abweichungen sind z.B. die folgenden Störungsbilder:<br />

Hyperexzitabilitätssyndrom, Hemisyndrom mit einseitiger Bewegungssstörung,<br />

Hypotoniesyndrom oder Apathiesyndrom und Hypertoniesyndrom. Die verwendeten<br />

Bezeichnungen sind nicht Bobath-spezifisch, sie werden z.B. bei den<br />

Früherkennungsuntersuchungen U4 -U6 verwendet). Eine weitere Bezeichnung ist<br />

die ”Dystonie”: dem Alter und der Beobachtungssituation nicht adäquater posturaler<br />

Tonus, vom Wortsinn her. Die häufigste Form: hypotoner Hals und Rumpf,<br />

hypertone Extremitäten, entspricht der Beschreibung von Drillien (1972).<br />

Weitere Symptome können sein: Asymmetrie, Muskelypertonie oder -hypotonie in<br />

7


anderen Körperregionen. Bei günstigem Verlauf (Normalisierung) wird retrospektiv<br />

von einer transienten Dystonie gesprochen.<br />

c) Es handelt sich bei allen Begriffen um eine vorläufige Beschreibung einer<br />

Auffälligkeit der Bewegungsentwicklung, deren Ursache nicht nur in einer Störung<br />

des ZNS liegen muß.<br />

d) Sowohl die transiente Dystonie als auch die Definition verschiedener Syndrome,<br />

die bei den Früherkennungsuntersuchungen benutzt werden, sind im Vojta Konzept<br />

deshalb entbehrlich, da das Begriffssystem der ZKS die Quantifizierung einer<br />

neurologischen Störung, eine Verlaufskontrolle und eine frühe Einschätzung der<br />

Prognose erlauben soll. Die beim Bobath Konzept genannten Begriffe und<br />

Beschreibungen der Störungsbilder sollen eine adäquatere Beurteilung und<br />

Verlaufseinschätzung ermöglichen, sie auf einer Prüfung im einem funktionellen<br />

Zusammenhang und in der entwicklungsgemäßen Auseinandersetzung mit der<br />

Umwelt beruhen. Siehe auch Kapitel C.<br />

Primitiv-Reflexe/ primäre Reaktionen<br />

a) Unter Primitivreflexen werden Automatismen und Reaktionen der<br />

Neugeborenen und Säuglinge bis zum Ende des ersten Trimenons verstanden, die<br />

unmittelbar, unwillkürlich und regelmäßig im Wachzustand reproduzierbar sind.<br />

Diese sind vornehmlich das Puppenaugenphänomen, der optiko-faziale Reflex, die<br />

oralen Suchreflexe (Rootingreflexe), der Babkin-Reflex, die Greifreflexe der Hand<br />

und des Fußes, die Galant-Reaktion, der suprapubische und der gekreuzte<br />

Streckreflex, der Fersen- und Handwurzelreflex, das positive Supporting der Beine<br />

und der Gehautomatismus (Anhang Tabelle I).<br />

Die "Waltezeit" der Primitivreflexe wurde von Vojta (1988) beschrieben. Die<br />

entsprechenden Altersangaben beziehen sich immer auf das posturale Alter. Bei<br />

reifen, normalen Säuglingen ist spätestens nach 3 Monaten - bei den meisten<br />

Reflexen schon früher - eine Auslösung nicht mehr möglich. Vojta nennt diese<br />

Entwicklung die "Dynamik der Primitivreflexe".<br />

Die Greifreflexe der Hand und des Fußes sind bis zur Entwicklung der Stütz- und<br />

Greiffunktion der Hand, bzw. bis zur Entwicklung der Stützfunktion des Fußes<br />

nachweisbar. Bestehen Primitiv-Reflexe bei retardiertem posturalem Alter und<br />

idealen oder nahezu idealen Lagereaktionen 3 Monate über die angegebenen<br />

"Waltezeiten" hinaus, so ist aus klinischer Erfahrung mit einer gestörten mentalen<br />

Entwicklung zu rechnen. Persistieren sie bei abnormalen Lagereaktionen, so muß<br />

man von einer "motorischen Pathologie" ausgehen, die bereits im 2. Trimenon<br />

näher bezeichnet werden kann (Abbildung 2). Auch konstante Seitendifferenzen oder<br />

ein vorzeitiges Nichtvorhandensein sind unspezifische Zeichen einer pathologischen<br />

Entwicklung (Futagi et al. 1995).<br />

Futagi et al. (1992) beobachteten, daß die meisten Primitiv-Reflexe normalerweise<br />

mit etwa 3-4 Monaten nicht mehr zu finden waren, außer bei Kindern mit einer<br />

zerebralen Bewegungsstörung, bei der sie auch über das erste Lebensjahr hinaus<br />

persistieren können (Abbildung 3)und (Abbildung 4). Diese Ergebnisse wurden bestätigt<br />

bei Berechnung der Mittelwerte und Streubreite von Futagi (persönliche Mitteilung),<br />

8


sowie in den Studien von Ferro (1991) und Zafeiriou et al. (1995). Dies gilt auch für<br />

die vorzeitige Abschwächung der Galant-Reaktion und des plantaren Greifreflexes<br />

bei sich entwickelnder Spastik und ihre Persistenz bei sich entwickelnden Athetosen<br />

(Futagi et al. 1995).<br />

b) Die primären Reaktionen des Neugeborenen und Säuglings sind regelhaft<br />

auslösbare motorische Antworten auf definierte kutane und/oder propriozeptive<br />

Reize, z.B. durch Änderungen der Körperlage. Bei normaler Entwicklung erscheinen<br />

die meisten dieser Reaktionen im Verlauf der ersten Lebensmonate. Sie<br />

verschwinden schließlich in ihrer ursprünglichen Ausprägung und werden<br />

wahrscheinlich als motorische Teilprogramme in die sich entwickelnden<br />

differenzierteren Bewegungsabläufen eingeordnet. Es handelt sich dabei um<br />

unterschiedliche, von verschiedenen Autoren beschriebene Reaktionen wie z.B.<br />

Puppenaugenphänomen, orale Suchreaktion, Mororeaktion, Galant-Reaktion, Hand-<br />

und Fußgreifreflexe und primäres Schreiten etc.. Neben einer erheblich verlängerten<br />

Nachweisbarkeit dieser Reaktionen, (normalerweise sind die primären Reaktionen<br />

etwa nach dem 3. Lebensmonat abgeklungen), sind ihr völliges Fehlen und eine<br />

konstant asymmetrische Antwort als auffällige Befunde zu bewerten und können die<br />

aus anderen Untersuchungstechniken resultierenden Hinweise auf eine Störung der<br />

motorischen Entwicklung oder des ZNS unterstützen (André-Thomas et al. 1966,<br />

Bobath 1986).<br />

c) Bei einer Wertung der bisherigen Studien über die klinische, insbesondere auch<br />

diagnostische Bedeutung der Primitivreflexe oder primären Reaktionen muß<br />

berücksichtigt werden, daß selbst namensgleiche Reaktionen oder Reflexe<br />

uneinheitlich ausgelöst und beurteilt werden.<br />

d) Im Bobath-Konzept ist das Verschwinden bzw. Auftreten von primären<br />

Reaktionen mit der motorischen Entwicklung nicht so eng verknüpft wie im Vojta-<br />

Konzept. Nach dem Vojta-Konzept korreliert die Persistenz bestimmter<br />

Primitivreflexe im 2. Trimenon eng mit dem Schweregrad der ZKS. Daraus wird eine<br />

hohe prognostische Aussagekraft für die Entwicklung einer zerebralen<br />

Bewegungsstörung abgeleitet.<br />

B) WIRKWEISE UND DURCHFÜHRUNG DER KRANKENGYMNASTISCHEN<br />

BEHANDLUNG BEI KINDERN MIT ZEREBRALEN BEWEGUNGSSTÖRUNGEN<br />

In diesem Kapitel soll dargestellt werden, wie man sich den Einfluß der<br />

Krankengymnastik allgemein und speziell bei der Behandlung nach den Konzepten<br />

von Vojta und Bobath vorstellt und welche neurophysiologischen Grundlagen<br />

bestehen (Übersicht bei Karch et al. 1993).<br />

KRANKENGYMNASTIK ALLGEMEIN<br />

9


Muskel und Bindegewebe<br />

Jede aktive und passive krankengymnastische Übung beeinflußt das Muskel-<br />

Bindegewebs-Skelettsystem. Wenn Bewegungsausmaß und -intensität<br />

eingeschränkt sind, kommt es zu strukturellen Veränderungen, die zu einer<br />

Kontraktur führen können (O'Dwyer et al. 1989). Es gibt auch Hinweise aus<br />

Tierexperimenten, daß die Muskulatur der spastischen Maus langsamer wächst als<br />

die der gesunden, wodurch die Entstehung von Gelenkkontrakturen unterstützt wird<br />

(Ziv et al. 1984).<br />

Veränderungen des Muskelaufbaus bei Kindern und Erwachsenen mit einer<br />

spastischen Bewegungssstörung wurden von mehreren Arbeitsgruppen beschrieben<br />

( Castle et al. 1979, Tardieu et al. 1977 und 1979, Dietz et al. 1981 und 1986,<br />

Bourbonnais et al. 1989, Dietz et al. 1995). Tardieu et al. 1982a und b) leiten aus<br />

unterschiedlichen strukturellen und biomechanischen Eigenschaften der Muskulatur<br />

auch unterschiedliche therapeutische Maßnahmen bei der ICP ab. Allerdings lassen<br />

sich nur relativ geringe histologische Veränderungen nachweisen (Übersichten bei<br />

Bax et al. 1985 und Bleck 1987).<br />

Spinale Ebene<br />

Über afferente Rückmeldungen wirken sich biomechanische Veränderungen und<br />

krankengymnastische Übungen auf das spinale System aus.<br />

In einer Übersichtsarbeit haben Umphread et al. (1985) die neurophysiologischen<br />

Grundlagen analysiert. Beugen und Strecken der Gelenke, aktives und passives<br />

Dehnen, Tapping, Druck auf die Muskeln, isometrische Anspannung und<br />

Aufrichtung gegen die Schwerkraft aktivieren das Muskelspindel-System durch<br />

Längenänderung, das Golgi-System durch Spannungsänderung und die<br />

Gelenkrezeptoren durch statische oder dynamische Belastung des Gelenks.<br />

Zusätzliche Stimulationen durch Wärme- Kälte oder Vibrationsreize werden<br />

allgemein bei der Krankengymnastik eingesetzt.<br />

Jede motorische Übung wirkt sich auf die Entladungsbereitschaft der Alpha-<br />

Motoneurone aus; nicht nur wegen der beschriebenen biomechanischen Effekte,<br />

sondern auch über neurale Regelkreise. Eine tonische Dauerdehnung hemmt, eine<br />

phasische Muskeldehnung bahnt die Entladungsbereitschaft. So konnten Nash et al.<br />

(1989) nachweisen, daß bei repetitiver Dorsalflexion des Fußes die Empfindlichkeit<br />

des tonischen Streckreflexes bei Kindern mit spastischer Bewegungssstörung<br />

gesenkt werden kann, wodurch sich die Muskelspannung verringert. Alle afferenten<br />

Impulse werden von den supraspinalen Zentren moduliert. Es kann vermutet<br />

werden, daß diese Modulation (auf supra- und spinaler Ebene) aufgabenspezifisch<br />

ist, und daß z.B. eine Hemmung (im Sitzen) in eine Bahnung (beim Stehen)<br />

umgewandelt werden kann (Faist et al. 1995).<br />

Das supraspinale System und Plastizität des ZNS<br />

In tierexperimentellen Studien wurde eine Reihe von schablonenartigen<br />

Bewegungs- und Haltungsmustern beschrieben (sog. Labyrinth- und Halsreflexe),<br />

sobald der Einfluß von supraspinalen Zentren ausgeschaltet worden war.<br />

Muskeltonus, Körperhaltung, automatische Bewegungsabläufe, Stellreaktionen und<br />

Laufreaktionen werden auf der spinalen und Hirnstamm-Ebene generiert (Schmidt<br />

10


und Wiesendanger 1993). Zur sinnvollen, kontrollierten und angepaßten Bewegung<br />

ist die Mitwirkung höherer Zentren jedoch unerläßlich. Bei Kindern mit frühkindlichen<br />

Hirnschäden und einer daraus resultierenden zerebralen Bewegungssstörung<br />

beeinflussen diese schablonenhaften Muster Körperhaltung und Bewegungsablauf<br />

besonders eindrucksvoll, da der gestörte supraspinale Einfluß die normale Reifung<br />

behindert (Berger et al. 1982 und 1984).<br />

Bei der Behandlung wird das Wechselspiel zwischen Peripherie und ZNS auf allen<br />

Ebenen angesprochen. Rückmeldevorgänge und Programmierung von<br />

Bewegungsabläufen geschehen nicht ohne Beteiligung der supraspinalen Ebene.<br />

Gerade die höheren Ebenen der sensomotorischen Kontrollsysteme sind allerdings<br />

am meisten geschädigt, wodurch Perzeption, Verarbeitung und Programmierung in<br />

unterschiedlicher Weise beeinträchtigt sind.<br />

Die Konzepte<br />

Das Konzept der krankengymnastischen Behandlung auf neurophysiologischer<br />

Grundlage setzt auf die Plastizität des ZNS und auf Reorganisations- und<br />

Kompensationsvorgänge, die im Tierexperiment und beim Menschen beobachtet<br />

worden sind (Tabelle 6).<br />

Viele Publikationen zur Plastizität des ZNS beschäftigen sich allerdings mit<br />

erworbenen, meist selektiven Hirnschädigungen oder mit ungewöhnlichen<br />

Beispielen wie Hemisphärektomien oder Callosotomien im frühen Kindesalter, wobei<br />

die übrigen Hirnareale wahrscheinlich unversehrt oder zumindest klinisch ungestört<br />

funktionstüchtig erscheinen (Hallet et al. 1993, Kaas et al. 1991, Hallet 1995). Bei<br />

Kindern mit kongenitaler Hemiparese konnte nachgewiesen werden (Farmer et al.<br />

1991, Carr et al. 1993), daß die ipsilateralen kortikospinalen Bahnen und<br />

Verbindungen zur Steuerung der plegischen Seite eingesetzt werden können. Wie<br />

groß die Chance für solche Reparaturvorgänge bei Kindern mit frühkindlichen<br />

Hirnschädigungen oder Hirnaufbaustörungen ist, kann im Prinzip nicht beurteilt<br />

werden. Die Behandlungs-effekte lassen sich z.B. von denen der gleichzeitig<br />

stattfindenden Reifung und Entwicklung nicht sicher abgrenzen.<br />

Ein weiterer Aspekt ist die Wirkung neurotropher Faktoren, welche in den letzten<br />

Jahren, vor allem an Tiermodellen und in vitro, untersucht worden sind. Sie sind<br />

wichtig als Basis aller neurologischer Regenerationsvorgänge und beeinflussen<br />

auch die normale Reifung und Entwicklung des ZNS. Ob ihnen eine klinische<br />

Relevanz im Zusammenhang mit der Behandlung der zerebralen Bewegungstörung<br />

zukommt, ist eine offene Frage ( Snider et al. 1989).<br />

Historisch gesehen, war man am Anfang des Jahrhunderts u.a. aufgrund von<br />

neuroanatomischen Untersuchungen Cajals (1928) der Meinung, daß es<br />

regeneratorische Prozesse im ZNS praktisch nicht geben würde. Bereits Foerster<br />

(1936) hat dagegen die Reorganisationsfähigkeiten des ZNS hervorgehoben im<br />

Sinne einer "Betriebsumstellung" bzw. Arbeitsgemeinschaft mit und von erhaltenen<br />

ZNS-Arealen. Man blieb aber skeptisch gegenüber den eigentlichen Regenerationsfähigkeiten.<br />

Aus diesem Grunde konzentrierte sich die krankengymnastische<br />

Behandlung von zerebralen Bewegungsstörungen auf biomechanisch wirksame<br />

Maßnahmen: passives Durchbewegen, Schienen, Weichteiloperationen u.a. Später<br />

rückte die aktive Bewegungstherapie in den Mittelpunkt (Köng 1991). Auch<br />

zweifelhafte Methoden wie das systematische passive Einüben von primitiven<br />

Bewegungsschablonen in der angenommenen Reihenfolge der phylogenetischen<br />

11


oder ontogenetischen Entwicklung (z.B. speziell im Konzept von Doman und<br />

Delacato) wurde versucht (Karch et al. 1997).<br />

In dieser Zeit entwickelte man auch die Vorstellung, daß man Einfluß nehmen könne<br />

nicht nur auf das motorische System selbst, sondern auf die zugrunde liegenden<br />

Störungen und Läsionen des ZNS, indem man Kompensations-, Reorganisations-<br />

und auch Regenerationsvorgänge stimulieren und ausnutzen könne. Die<br />

Krankengymnastik auf neurophysiologischer Grundlage formulierte erstmals unter<br />

dem Einfluß des Ehepaars Bobath, daß es darauf ankommt, normale<br />

sensomotorische Erfahrungen anzuregen bzw. zu sammeln, die dann bei der<br />

Planung der aktiven Bewegungen und Handlungen eingebunden werden können.<br />

Hinweise zur Früherkennung einer gestörten psychomotorischen Entwicklung<br />

einschließlich einer zerebralen Bewegungsstörung, d.h. zu einem Zeitpunkt, an dem<br />

das Vollbild der Erkrankung noch nicht ausgeprägt ist, gab erstmals Eirene Collis<br />

(1953 und 1954). Sie leitete auch die Eltern im Umgang mit ihrem Kind an, so daß<br />

funktionseinschränkende Fehlentwicklungen reduziert wurden, und legte einen<br />

Grundstein für die Frühbehandlung.<br />

Nach wie vor bleiben zur Wirkungsweise der Krankengymnastik bei Patienten bzw.<br />

Kindern mit zerebralen Bewegungsstörungen Antworten auf viele wichtige Fragen im<br />

Bereich von weithin akzeptierten Annahmen und persönlichen Erfahrungen offen:<br />

− Können verbleibende Verbindungswege erhalten oder gefestigt werden, und<br />

wenn ja, wie geschieht dies?<br />

− Kann eine frühzeitig beginnende Behandlung zu einer besseren oder<br />

rascheren Reorganisation führen?<br />

− Inwieweit können Ersatzwege angeregt werden, insbesondere bei Kindern,<br />

deren Neuroplastizität, nach allem was wir wissen, größer ist?<br />

− Wieviel aktive Bewegung ist erforderlich, um einen motorischen Ablauf zu<br />

− trainieren? Wieviel darf passiv sein?<br />

− Kann man, ohne bestimmte Entwicklungsschritte zu berücksichtigen, ein<br />

− aufgabenspezifisches Training (Laufen für Laufen, Greifen für Greifen,<br />

Handbewegung für Handbewegung) durchführen?<br />

− Wie groß ist der Effekt eines allgemeinen Arousals, unter Berücksichtigung<br />

von Untersuchungsergebnissen zu evozierten Potentialen bei<br />

Lernvorgängen?<br />

− Welchen Anteil haben positive und negative emotionale Beteiligung und<br />

− Motivation des Patienten an motorischen Lernvorgängen?<br />

− Wie erkennt man, in wieweit ein gestörter Bewegungsablauf beeinflußt wird<br />

von falschen Ersatzstrategien, die nicht nur von der Läsion selbst, sondern<br />

z.B. durch eine forcierte bewußte Kontrolle bei zielgerichteten Bewegungen,<br />

im Sinne einer Ko-Kontraktion, bedingt sind? Wie kann es gelingen neue<br />

Ersatzstrategien zu finden, die automatisiert werden können?<br />

Diese Fragen sind bei infantilen Zerebralparesen noch schwieriger zu beantworten<br />

als bei später erworbenen Bewegungsstörungen. Fehlende und gestörte<br />

Weiterreifung können sich potentiell überlappen mit diesen Ersatzstrategien.<br />

Mögliche Auswirkungen der krankengymnastischen Behandlung interferieren mit<br />

dem Verlauf der Reifung und Entwicklung des zentralen Nervensystems.<br />

12


a) KRANKENGYMNASTIK NACH DEM VOJTA KONZEPT<br />

Vojta bezeichnet seine krankengymnastische Therapie als Aktivationsprinzip der<br />

Reflexlokomotion. Spezifische Zonen werden durch den Druck in definierter<br />

Richtung gereizt. Dadurch werden lageabhängig verschiedene Lokomotionsmuster<br />

ausgelöst, aus der Bauchlage das Reflexkriechen, aus der Rückenlage die erste<br />

Phase des Reflexumdrehens und aus der Seitlage die zweite Phase des<br />

Reflexumdrehens.<br />

Historie<br />

Seit 1954 entwickelte Vojta seine Therapie bei normalbegabten, gehfähigen<br />

Schulkindern mit infantilen Zerebralparesen (CP). Er versuchte zunächst, die<br />

typischen pathologischen Haltungsstereotypien der CP bei Spastikern passiv zu<br />

verändern. Anfangs nutzte er dazu auch Aufforderungen, die zur Haltungsänderung<br />

von Rumpf und rumpfnahen Extremitätengelenken führen sollten. Dabei<br />

beobachtete er, daß definierte Veränderungen der Rumpfhaltung regelmäßig<br />

bestimmte Bewegungen distal an den Extremitäten provozierten und daß mit<br />

bestimmten Ausgangsstellungen der Zugang zu den provozierten<br />

Haltungsänderungen und phasischen Bewegungen erleichtert wurde. Diese<br />

Ausgangsstellungen wurden zunächst als "Attitüden", später als aktivierte oder labile<br />

Körperlagen bezeichnet.<br />

Nach den Übungen berichteten die Patienten regelmäßig von einem Gefühl der<br />

Lockerung, welches bis zu einigen Stunden anhielt. Eine erste Langzeitauswirkung,<br />

schon wenige Wochen nach Behandlungsbeginn, war die Verbesserung des<br />

Sprechens bei verschiedenen CP-Bildern. Während der Krankengymnastik und<br />

auch einige Zeit danach konnten gerade dort vermehrte Muskelaktivitäten<br />

beobachtet werden, wo sie typischerweise bei CP-Kindern mangelhaft vorhanden<br />

waren, wie die Aktivität der Schulterblattadduktoren und die der Außenrotatoren der<br />

proximalen Extremitäten-gelenke (Hüft- und Schultergelenke: Schlüsselgelenke).<br />

Dagegen reduzierten die Antagonisten dieser aktivierten Muskeln fühlbar ihre<br />

Anspannung. Diese Beobachtungen waren bei der leichten CP die Regel und<br />

führten zu der hypothetischen Vorstellung, daß die CP therapeutisch beeinflußbar<br />

sein müßte.<br />

Die Behandlungen mußten wiederholt werden, da die günstige Nachwirkung<br />

zunächst nur wenige Minuten anhielt. Diese Zeitspanne verlängerte sich mit der<br />

Gesamtdauer der Behandlung. Zudem erschienen allmählich neue, bisher für den<br />

CP-Patienten nicht oder nicht ausreichend verfügbare Funktionen, die im<br />

Übungsprogramm nicht konkret angestrebt wurden. Nämlich: eine verbesserte<br />

Rumpfhaltung, eine Steigerung der aktiven Beweglichkeit in den Schulter- und<br />

Hüftgelenken, effektivere Mundmotorik bei der Nahrungsaufnahme. Aber auch eine<br />

Verbesserung der vegetativen Funktionen, wie die Steigerung der costalen Atmung,<br />

Zunahme der Darmentleerungen und Minderung des Strabismus convergens<br />

alternans bei Kindern mit spastischer Diparese wurde beobachtet. Bei gehfähigen<br />

Jugendlichen war schon nach wenigen Behandlungen eine positive Veränderung<br />

des Schrittzyklus zu sehen. Die während der Therapie regelmäßig aktivierten<br />

Bewegungsmuster hatten zudem einen reziproken Charakter: so wurden bei der<br />

Reizung auf einer Seite des Rumpfes ein Bein gestreckt, Rumpf und Arm gebeugt,<br />

bei der Reizung auf der Gegenseite wurden das eben gestreckte Bein gebeugt,<br />

sowie Rumpf und Arm gestreckt. Außerdem löste der Reiz auf nur einer Körperseite<br />

13


ein reproduzierbares motorisches Muster auf beiden Körperseiten aus. Diese<br />

Beobachtungen führten zur Ansicht, daß den provozierten Reaktionen komplexe<br />

Reaktionsmuster zugrunde liegen, die als Koordinationskomplexe" bezeichnet<br />

wurden.<br />

Nicht nur Extremitätenbewegungen konnten systematisch ausgelöst werden,<br />

sondern auch eine aktive Streckhaltung der gesamten Wirbelsäule mit Reduzierung<br />

der Kopfreklination und der ventralen Beckenbeugung, die von Vojta als<br />

”Aufrichtung des Axisorgans” bezeichnet wurde. Die Auswirkung auf das<br />

autochthone Muskelsystem der Wirbelsäule wurde als die eigentliche Ursache für<br />

die verbesserte Haltung und Bewegung der Extremitäten in den Schlüsselgelenken<br />

angesehen. Auch sakkadische Augenbewegungen gehörten regelmäßig dazu, die in<br />

Richtung der stimulierten Kopfdrehung abliefen. Die genauere Beobachtung der<br />

Koordinationskomplexe nahm viele Jahre in Anspruch. Durch die bessere Kenntnis<br />

der Reizantworten konnte auf die anfangs genutzten Kommandos verzichtet und<br />

statt dessen der bewegungsführende Widerstand an den Extremitäten mit dem<br />

gleichen Ergebnis eingesetzt werden. Die Reizungen wurden zunehmend<br />

punktueller, und bestimmte Reizzonen wurden definiert (Tabelle 7). Die regelmäßig<br />

provozierbaren Koordinationskomplexe erweckten den Eindruck, als ob sie Teile<br />

einer Lokomotion wären. So lag der Begriff der Reflexlokomotion nahe, und zwei<br />

definierte Koordinationskomplexe wurden publiziert: der aus der Bauchlage<br />

(Reflexkriechen, Vojta 1965 und 1968) und der aus der Rückenlage<br />

(Reflexumdrehen, Vojta 1970). Während das Reflexumdrehen der spontanen<br />

menschlichen Körperdrehung analog war, fand sich für den Koordinationskomplex<br />

Reflexkriechen keine eindeutige Analogie in der Spontanmotorik des Menschen.<br />

Entscheidend für das Verständnis der Therapie, als auch ihrer Resultate bei<br />

Patienten mit CP, war für Vojta die Annahme einer "Blockierung" der posturalen<br />

Ontogenese durch die Hirnschädigung. Auch die lokomotorische Ontogenese<br />

entwickelt sich bei dem schwer zerebral geschädigten Säugling nicht über den<br />

Zustand der ersten sechs Lebenswochen hinaus ("ist blockiert"). Normalerweise ist<br />

dieser Säugling aber dennoch bemüht, zu greifen, sich aufzurichten und sich<br />

fortzubewegen. Die dafür notwendigen Haltungs- oder Bewegungsmuster stehen<br />

ihm dafür aber nicht oder nur begrenzt zur Verfügung. So weicht er während der<br />

Entwicklung seiner motorischen Kommunikation mit der Umwelt auf sog.<br />

"Ersatzmuster" aus. Diese werden auch als abnormale Muster in den<br />

Lagereaktionen beobachtet. Während der krankengymnastischen Behandlung soll<br />

die Möglichkeit eröffnet werden, zunehmend die von Vojta beschriebenen idealen<br />

Muster der Reflexlokomotion einzusetzen und somit weniger auf Ersatzmuster<br />

angewiesen zu sein.<br />

Ist die Behandlung erfolgreich, können in den Lagereaktionen zunächst die ”idealen<br />

Muster” der Neugeborenenzeit beobachtet werden. Nach dem Erreichen der idealen<br />

Neugeborenenmuster (”Startstufe der posturalen Ontogenese”) durchläuft der<br />

Säugling die weiteren Entwicklungsschritte der posturalen Ontogenese. Parallel<br />

dazu normalisiert sich auch die Spontanmotorik ( Vojta et al. 1989b).<br />

14


Heute<br />

Kurz zusammengefaßt, wurden in den mehr als 40 Jahren seit der Entwicklung der<br />

Reflexlokomotion regelmäßig folgende Beobachtungen während der<br />

krankengymnastischen Behandlung gemacht:<br />

− Abhängigkeit des Ablaufes der Reflexlokomotion von bestimmten<br />

Körperhaltungen ("aktivierte oder labile Lage");<br />

− Provokation reziproker Extremitäten-Bewegungs-Muster;<br />

− aktiv gehaltene Streckung des gesamten Rumpfes infolge Aktivierung der<br />

autochthonen Wirbelsäulenmuskulatur ("Rumpfaufrichtung");<br />

− Annäherung der Muskelaktivierung an ideale Bewegungsabläufe;<br />

− Funktionsdifferenzierung des einzelnen Muskels: erst eine größere Variabilität<br />

von exzentrischer und konzentrischer isometrischer wie auch phasischer<br />

Kontraktionsfähigkeit ermöglicht eine Umkehr der Kontraktionsrichtung. Diese<br />

ist notwendig für den Austausch von Punctum fixum und mobile in<br />

unterschiedlichen Funktionszusammenhängen (z.B. Beugung des<br />

Unterarmes vs. Heranziehen des Rumpfes an den gestützten Ellenbogen im<br />

Reflexkriechen);<br />

− Wirkung auf vegetative Funktionen wie Hautrötung und lokale<br />

Schweißbildung in der aktivierten Körperregion, sowie auf Respiration,<br />

Darmperistaltik und Urinentleerung.<br />

Langfristig lassen sich klinisch eine funktionelle Besserung des klinischen<br />

Zustandes ohne Training von Einzelfunktionen beobachten und die Veränderung<br />

der Trophik oder Vermeidung oder Verbesserung der Hypoplasie an der betroffenen<br />

Extremität.<br />

b) Krankengymnastische Behandlung nach dem Bobath Konzept<br />

Die Bobaths haben ihr therapeutisches Vorgehen weitgehend an der<br />

sensomotorischen Entwicklung orientiert und deshalb als entwicklungsneurologische<br />

Behandlung (neurodevelopmental treatment) bezeichnet.<br />

Historie<br />

In den 40er Jahren hatte die Krankengymnastin Berta Bobath bei der Behandlung<br />

eines erwachsenen Patienten mit einer spastischen Hemiparese die stereotypen,<br />

kaum variierten Beugemuster eines spastischen Armes beobachtet. Diese waren<br />

bei allen willkürlichen Bewegungsversuchen und vor allem auch bei psychischen<br />

und physischen Belastungssituationen aufgetreten (B.Bobath, persönliche<br />

Mittteilung 1973, Köng 1991).<br />

Die verschiedenen stereotypen Haltungen der Gelenke des betroffenen Armes<br />

(assoziierte Reaktionen) konnten durch die Therapeutin von den proximalen<br />

Gelenken, am effektivsten von der Schulter aus, beeinflußt werden. Neben einer<br />

Reduktion des erhöhten Muskeltonus veränderte sich auch die Haltung der Hand.<br />

Noch in der gleichen Therapiesitzung waren minimale Willkürbewegungen der<br />

Finger zu beobachten, und der Patient berichtete über eine verbesserte Empfindung<br />

in dieser Hand. Damit hatte B. Bobath nicht nur wahrgenommen, daß eine zentral<br />

verursachte Bewegungsstörung von der Peripherie her beeinflußt werden kann. B.<br />

und K. Bobath erkannten darüber hinaus, daß es sich bei spastischen<br />

Bewegungsstörungen nicht um ausschließlich motorische, sondern um<br />

“sensomotorische Störungen” handelte.<br />

15


Eine neurophysiologische Erklärung für diese Beobachtungen fand Karel Bobath in<br />

den Arbeiten von Magnus (1924), Sherrington (1947) und Schaltenbrand (1925).<br />

Diese hatten bei Tieren durch experimentell gesetzte Hirnläsionen regelhafte Reflex-<br />

und Bewegungsantworten sowie Haltungsmuster beschrieben, die den bei Patienten<br />

beobachteten spastischen Mustern ähnlich schienen.<br />

Berta Bobath stellte im Verlauf ihrer Arbeit fest, daß die Bewegungen der Patienten<br />

in bestimmten Körperhaltungen deutlich weniger von pathologischer Reflexaktivität<br />

bestimmt wurden und bezeichnete diese als reflexhemmende Ausgangsstellungen<br />

(”reflex inhibiting postures, RIP”). Ziel der Therapie wurde es, unter<br />

Berücksichtigung der RIP von bestimmten "Schlüsselpunkten" aus diejenigen<br />

Bewegungsmuster zu hemmen - inhibieren -, die wegen ihrer Invariabilität als<br />

pathologisch angesehen wurden. Gleichzeitig sollten variablere Bewegungen<br />

angebahnt - fazilitiert - werden. Die erwartete Normalisierung von Haltung,<br />

Bewegung und Wahrnehmung außerhalb der Therapiesituation gelang allerdings<br />

häufig nur unvollständig.<br />

Bei der Therapie von sehr jungen Kindern mit zerebralen Bewegungsstörungen<br />

schienen häufig Vorerfahrungen zu fehlen, die für die Sicherung der Körperhaltung<br />

und Einleitung von Bewegungen notwendig sind. Diese Erkenntnis führte -neben<br />

den Anregungen durch E. Collis (1954)- zum Studium der normalen Entwicklung von<br />

Säuglingen und Kleinkindern und deren Berücksichtigung in der Therapie. In der<br />

Behandlung sollte in festgelegter Entwicklungsfolge eine Fertigkeit nach der<br />

anderen verfügbar gemacht werden. Erst sollte die Kontrolle der Kopfhaltung, dann<br />

Drehen, Sitzen, Vierfüßlerstand, Kniestand, Stehen und Gehen geübt werden -<br />

“neurodevelopmental treatment” - (Bobath, 1984).<br />

Allerdings führten der "normalere" Muskeltonus und die effektiveren Stell- und<br />

Gleichgewichtsreaktionen in den oft noch recht statischen Therapiesituationen<br />

häufig nicht zu einer funktionellen Verbesserung der Spontan- und Zielmotorik.<br />

Berta Bobath und ihre Mitarbeiter beobachteten, daß eine dynamischere, in<br />

funktionellen Bewegungsabfolgen durchgeführte und in alltagsnahen Situationen<br />

gestaltete Behandlung wesentlich besser zum Ziel führte. Die in der Therapie<br />

erarbeiteten Mechanismen der Haltungskontrolle konnten dadurch besser in die<br />

Alltagssituation übernommen werden. Auch wurde bald erkannt, daß eine direkte<br />

und stark kontrollierende therapeutische Einflußnahme im Verlauf der Behandlung<br />

reduziert werden mußte. Die zunehmende Betonung der Motivation und der<br />

Anregung der Eigenaktivität des Kindes bei der Regulierung von Gleichgewicht und<br />

Bewegung wies der Interaktion zwischen Therapeutin und Kind einen immer<br />

größeren Stellenwert zu.<br />

(Die Änderung der Begriffe -aus reflex-inhibiting postures wurde reflex-inhibiting<br />

patterns- führte nicht zur Änderung der Abkürzung -"RIP"- woraus lange Zeit<br />

Mißverständnisse resultierten.)<br />

Unabhängig von der beschriebenen Entwicklung blieben die Grundgedanken des<br />

Konzeptes erhalten. Die Therapie soll dem Kind ermöglichen, die assoziierten<br />

Reaktionen und Bewegungen zu verringern und seinen Bewegungs- und<br />

Handlungsspielraum zu erweitern. So sollen neue sensomotorische Erfahrungen<br />

möglich und positiv veränderte Rückmeldungen über das jeweils erreichte Ergebnis<br />

erzielt werden (Bobath 1990).<br />

16


Für die Entstehung der Symptomatik bei der infantilen Zerebralparese werden nach<br />

wie vor für wesentlich gehalten und sollen positiv verändert werden (Tabelle 8)<br />

Dabei gilt die Verminderung „assoziierter Reaktionen“ als Indikator für eine<br />

Reduktion der pathologischen Einschränkung mit dem Risiko fixierter<br />

Fehlstellungen, jene der „assoziierten Bewegungen“ als Hinweis auf Ausreifung<br />

und zunehmende Ökonomisierung.<br />

Heute wird das therapeutische Vorgehen durch Erkenntnisse über motorische<br />

Lernvorgänge modifiziert. Variable Bewegungsabläufe und die entsprechende<br />

Haltungskontrolle sollen eigenständig in funktionell sinnvollen Zusammenhängen<br />

erlernt und gefestigt werden. Es wird erwartet, daß so zumindest teilweise eine<br />

antizipatorische Programmierung der Motorik für differenzierte Aufgabenstellungen<br />

erreicht werden kann.<br />

Die Anwendung der Behandlungstechniken Inhibition, Fazilitation und Stimulation<br />

setzt eine sorgfältige Bewegungsanalyse und die Kenntnis der Faktoren, welche die<br />

Tonusregulation beeinflussen (z.B. Körperhaltung, Intention, Emotion), voraus. Die<br />

Bedeutung der "klassischen Behandlungstechniken" für die Therapie wird aufgrund<br />

der Einbeziehung neuer Erkenntnisse über die Entwicklung der Haltungs- und<br />

Bewegungskontrolle (Matiello und Woolacott 1997) von vielen Bobath-<br />

Therapeutinn/-en in den Hintergrund gerückt.<br />

Als Ausgangsbasis für die Behandlung dient der sensomotorische und der mentale<br />

Entwicklungsstand des Kindes. Im Vordergrund steht die Frage: Was kann das Kind<br />

und was sind kurz- oder mittelfristige Behandlungs- oder Lernziele? Als Leitlinie für<br />

die Therapie und Begleitung dient einerseits der normale Verlauf der<br />

psychomotorischen Entwicklung und anderseits die Absicht, Entwicklungsschritte<br />

adäquat anzuregen und zu unterstützen, wenn diese noch nicht oder nur mit<br />

pathologischen Haltungs- und Bewegungsmustern erreicht werden können.<br />

Spätestens im Vorschulalter wird das therapeutische Vorgehen immer mehr von<br />

dem mentalen Entwicklungsstand, den Interessen und der Motivation des Kindes<br />

bestimmt als von dem Ziel, motorische Entwicklungsschritte in einer bestimmten<br />

Abfolge erreichen zu wollen oder die Qualität der Bewegungen zu verbessern. So<br />

werden im Laufe der Zeit auch als pathologisch zu bewertende Bewegungsabläufe<br />

zum eigenständigen Lösen einer Aufgabe oder zum Erreichen eines Ziels in Kauf<br />

genommen.<br />

Das therapeutische Vorgehen muß immer im Gesamtzusammenhang der<br />

Lebenssituation des Kindes gesehen und zwischen den Fähigkeiten und<br />

Bedürfnissen des Kindes, den Wünschen der Eltern und den Zielen des<br />

Therapeuten abgestimmt werden. Das gilt auch für die Auswahl geeigneter<br />

Hilfsmittel. Sie sollen dazu beitragen, durch neue Haltungs- und<br />

Bewegungsmöglichkeiten die Selbständigkeit zu verbessern und die Fixierung von<br />

abnormen Haltungen und Bewegungen zu vermeiden, um die Entstehung<br />

sekundärer orthopädischer Probleme zu vermindern.<br />

'Handling' ist ein integraler Bestandteil der Therapie. Man versteht darunter das<br />

Einbeziehen therapeutischer Prinzipien in den Alltag und alle Maßnahmen, die zur<br />

Erleichterung im Umgang der Eltern und Therapeuten mit dem Patienten dienen.<br />

Bei der Pflege (wie z.B. Lagern, Wickeln, Anziehen oder Baden), beim Essen, bei<br />

17


der Selbstversorgung sowie im Spiel, sollen pathologische Bewegungsabläufe<br />

möglichst vermieden oder in ihrer Ausprägung gemildert werden. Variablere<br />

Bewegungen sollen angeregt und die Eigenaktiviät des Kindes zur Bewältigung der<br />

alltäglichen Aufgaben gefördert werden.<br />

Ein wesentlicher Bestandteil des Bobath Konzeptes ist auch die Einbeziehung<br />

spezieller Formen der Ergotherapie und Logopädie, die vorwiegend über andere<br />

Sinnesmodalitäten als die Krankengymnastik wirken und sensorische Störungen<br />

verändern wollen. Sie tragen durch Verbesserung der visuellen, räumlichen und<br />

taktilen Wahrnehmung sowie durch Unterstützung beim Kleiden, bei der<br />

Nahrungsaufnahme, bei der Laut- und Sprachanbahnung und bei der<br />

Kommunikation zu einer Ausweitung der Patienten-Selbständigkeit bei.<br />

c) Konsens<br />

Die neurophysiologischen theoretischen Vorstellungen zur motorischen Kontrolle<br />

unterscheiden sich zwischen beiden Methoden nach den ursprünglichen Konzepten<br />

weit weniger, als dies allgemein angenommen wird. Das zugrunde liegende<br />

hierarchisch-reflektorische Modell der motorischen Kontrolle wirkte sich konkret<br />

auch auf das therapeutische Vorgehen bei der zerebralen Bewegungssstörung aus<br />

(Horak 1992).<br />

Dabei wird von den folgenden Annahmen ausgegangen:<br />

− Die abnormale motorische Kontrolle ist direkte Folge der Hirnläsion und führt zu<br />

einer Enthemmung von Reflexen bzw. Reaktionsmustern der unteren Ebenen<br />

des Zentralnervensystems. Die motorischen Äußerungen des CP-Kindes<br />

werden mehr oder weniger durch die Aktivität primitiver, primärer und tonischer<br />

Reflexe bzw. Reaktionen bestimmt ("Ersatzmuster", ”assoziierte Reaktionen und<br />

Bewegungen").<br />

− Die Motorik kann durch Therapie nur verbessert werden, wenn auch höhere<br />

Zentren ihre ”Kontrollfunktionen" erlangen und keine weiterreichenden<br />

Veränderungen auf spinaler Ebene oder sekundäre Veränderungen des<br />

Bewegungsapparates eingetreten sind.<br />

− Nach konsequenter Therapie ist es von einem bestimmten Alter an nicht mehr<br />

möglich ist, die typischen Symptome einer zerebralen Bewegungsstörung<br />

wesentlich zu verbessern.<br />

d) Dissens<br />

So ähnlich die "ursprünglichen" Vorstellungen zur Entwicklungsneurologie sind,<br />

welche die Konzepte beeinflußt haben, so unterschiedlich ist aber das praktische<br />

Vorgehen in der Therapiesituation. Der gestörte Muskeltonus wird von Vojta als<br />

Folge der posturalen Störung angesehen, die sich in der Haltlosigkeit des Rumpfes<br />

bei allen Formen der CP ausdrückt. Die Therapie richtet sich dementsprechend in<br />

erster Linie auf die Verbesserung der Wirbelsäulenhaltung (”Aufrichtung” der<br />

Wirbelsäule), die wiederum die Basis für eine Verbesserung der<br />

Extremitätenfunktion bildet. Die passive Aufrichtung eines Kindes, das postural dazu<br />

noch nicht selbständig in der Lage ist, wird strikt abgelehnt, da in einer vom Kind<br />

nicht kontrollierbaren Haltung vermehrt Ersatzmuster auftreten und so z.B. auch die<br />

Hüftluxation gefördert wird.<br />

Im Vojta Konzept wird davon ausgegangen, daß Eltern normalerweise zur Erziehung<br />

und Förderung ihres Kindes fähig sind. Sie werden nicht ausdrücklich zu<br />

18


zusätzlichen Maßnahmen im täglichen Leben oder beim Spielen angehalten,<br />

sondern die notwendige krankengymnastische Behandlung wird täglich mehrmals<br />

gefordert. Es wird erwartet, daß es dem ZNS selbständig gelingt, die angebotenen<br />

idealen Bewegungsmuster in der freien Spielsituation in die willkürliche<br />

Alltagsmotorik zu übernehmen, bzw. auf ihnen aufzubauen. Nur falls das Kind sehr<br />

passiv ist oder die Eltern wenig zur Bewegungsmotivation beitragen können, wird<br />

die Krankengymnastik mit Ergo- bzw. Montessori-Therapie oder psychologischer<br />

Therapie kombiniert.<br />

Stagniert die motorische Entwicklung mehr als ein Jahr, wird die Krankengymnastik<br />

reduziert. Sie dient dann vor allem der Prophylaxe von schweren Sekundärveränderungen<br />

am Muskel-Skelettsystem. Dann werden auch orthopädische<br />

Operationen oder Hilfsmittel zur Erhaltung des Erreichten eingesetzt. Hilfsmittel zur<br />

Fortbewegung werden bei Kindern angewendet, deren Vertikalisierung vor allem<br />

wegen einer mentalen Entwicklungsstörung verzögert ist.<br />

Nach dem Bobath Konzept benötigen die Eltern wegen der gestörten Interaktion<br />

Unterstützung im Alltag für einen adäquaten Umgang mit dem<br />

entwicklungsgestörten oder behinderten Kind, sowie für die optimale Anregung<br />

kindlicher Aktivitäten. Die Behandlung beschränkt sich daher nicht nur auf<br />

spezifische Therapieeinheiten, sondern begleitet Kind und Bezugspersonen<br />

während des gesamten Tages.<br />

Je älter das Kind wird und je motivierter es ist, um so eher werden auch<br />

Bewegungsabläufe geduldet, die das Risiko in sich tragen, daß abnorme "Muster"<br />

gespeichert oder automatisiert werden. Bei Kindern, bei denen die Erfolge der<br />

Behandlung nur relativ gering sind, soll nach dem Bobath Konzept die Behandlung<br />

und Förderung auch und gerade im Bereich der Schule fortgeführt werden, selbst<br />

wenn dadurch lediglich Verschlechterungen vermieden oder Erreichtes erhalten<br />

werden kann.<br />

In den letzten Jahren haben sich im Bobath Konzept die Schwerpunkte der<br />

Behandlung mehr auf die Anregung von eigenständigen und selbstbestimmten<br />

(motorischen) Lernprozessen verlagert. Die Unterschiede zwischen den beiden<br />

Konzepten sind dadurch auch in ihren theoretischen Grundlagen größer geworden.<br />

C) INDIKATION ZUR KRANKENGYMNASTISCHEN BEHANDLUNG IM ERSTEN<br />

LEBENSJAHR<br />

a) Nach dem Vojta Konzept<br />

wird die Indikation zur Frühbehandlung eines Säuglings fast ausschließlich aufgrund<br />

des klinischen Befundes gestellt. Anamnese (Risikofaktoren) und technische<br />

Befunde werden weniger stark berücksichtigt. Ausnahmen bilden hierbei z.B. eine<br />

ausgeprägte periventrikuläre Leukomalazie oder porenzephale Cysten, die mit<br />

hoher Wahrscheinlichkeit auf die Entwicklung einer zerebralen Bewegungsstörung<br />

hinweisen.<br />

Bei der klinischen Befundherhebung spielt die Zentrale Koordinationsstörung (ZKS)<br />

(Vojta 1988) die Hauptrolle, die sich aus der Summe der abnormalen<br />

Lagereaktionen und den Störungen der interaktiven Spontanmotorik (in Rücken-<br />

19


und Bauchlage) sowie in Auffälligkeiten der Primitivreflexe ergibt. Da das Risiko<br />

einer zerebralen Bewegungsstörung bei einer schweren und mittelschweren ZKS<br />

deutlich ansteigt, stellen diese die Hauptindikation bei Frühgeborenen und<br />

Säuglingen dar (Costi 1983, Imamura 1983); die Behandlung soll unmittelbar nach<br />

der Diagnostik beginnen. Bei leichteren Formen der ZKS wird eine langfristige<br />

Behandlung eingeleitet, wenn durch Kontrolluntersuchungen spontane<br />

Normalisierungen unwahrscheinlich, abnormale Entwicklungen dagegen sicher<br />

scheinen (Tabelle 9).<br />

b) Nach dem Bobath Konzept<br />

ist die Behandlung dann angezeigt, wenn eine deutliche motorische oder<br />

sensomotorische Entwicklungsstörung erkannt oder die Diagnose einer zerebralen<br />

Bewegungsstörung als wahrscheinlich angesehen wird. Vielfach ergibt sich die<br />

Indikation nicht nur aus der klinisch-neurologischen Untersuchung und Beobachtung<br />

des Kindes, sondern auch aus detaillierten Informationen über das Verhalten des<br />

Kindes.<br />

Bei sehr unreif geborenen Kindern stellen Auffälligkeiten der Körperhaltung und der<br />

Bewegungsabläufe, welche die Pflegemaßnahmen und Nahrungsaufnahme<br />

beeinträchtigen, schon in den ersten Lebenswochen und -monaten eine Indikation<br />

zur krankengymnastischen Behandlung dar. Bei der entwicklungsneurologischen<br />

Untersuchung sind nicht nur Muskeltonus, Muskelkraft, Muskeleigenreflexe,<br />

Körperhaltung, Funktion der Hirnnerven -von Paine et al. (1970) angegeben- und<br />

Stand der motorischen Entwicklung zu beachten, sondern weitere Symptome<br />

wichtig (Tabelle 10): z.B. Auffälligkeiten des Verhaltens wie Bewegungsarmut, Apathie,<br />

vermehrte Erregbarkeit, Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus, sowie Ess- und<br />

Trinkstörungen oder abnorme Ausprägung der automatischen und auch der<br />

primären Reaktionen (siehe Kapitel A) im Bezug auf "neurologisches Alter" sowie<br />

geringe Variabilität oder gar Stereotypie der Bewegungsabläufe. Dazu konstante<br />

Asymmetrien, symmetrische Fehlhaltungen, besonders eine immer wiederkehrende<br />

Überstreckung des Rumpfes und des Halses. Auch ein auffälliges Kommunikations-<br />

und Interaktionsverhalten, insbesondere mit den nahestehenden Bezugspersonen,<br />

sowie Hinweise auf eine gestörte akustische, optische oder taktile Wahrnehmung<br />

kann auf Störungen der zentralnervösen Funktionen hinweisen und wird für die<br />

Indikation beachtet.<br />

Zusätzlich können Informationen über ernsthafte Erkrankungen der Mutter in der<br />

Schwangerschaft, Risiken oder Komplikationen in der Prä- und Perinatalzeit<br />

(Übersicht bei Karch 1994) und Befunde von bildgebenden Verfahren zur<br />

Untersuchung des Gehirns die Indikation unterstützen. Insbesondere abnorme<br />

Befunde der Neurosonographie im Neugeborenenalter bei untergewichtig und unreif<br />

geborenen Kindern besitzen eine große prognostische Aussagekraft.<br />

c) Konsens<br />

Beide Konzepte nehmen an, daß eine klinisch noch nicht fixierte CP im Sinne einer<br />

Kompensation beeinflußbar ist. Zumindest aber mit einer behandlungsbedingten<br />

funktionellen Verbesserung wird fest gerechnet. Kontrollierte Nachweise darüber<br />

müssen jedoch noch erbracht werden.<br />

20


Die Kriterien zur Indikation einer Frühbehandlung der zerebralen Bewegungsstörung<br />

bzw. ihre Früherkennung nach dem Vojta oder Bobath Konzept sind bisher nicht<br />

ausreichend in prospektiven, kontrollierten Diagnostikstudien evaluiert worden.<br />

Die Methode zur Früherkennung nach Vojta (Spontanmotorik, Lagereaktionen,<br />

Primitivreflexe) wurde im Rahmen von prospektiven Therapiestudien überprüft.<br />

Dabei wurden die Kinder auf erhebliche Entwicklungsstörungen einschließlich der<br />

zerebralen Bewegungsstörung nachuntersucht. Es ergab sich bei 4 - 6 Wochen<br />

alten Säuglingen eine Sensitivität von 87,5 und eine positive Prädiktion von nur 8,1<br />

(Costi et al. 1983) und bei Säuglingen bis zum Alter von 5 Monaten eine Sensitivität<br />

von 100 bei einer positiven Prädiktion von 34,4 (Tomi 1984) (Anhang Tabelle II a).<br />

Auch wenn die Voraussagen bei älteren Säuglingen deutlich besser waren, wurde<br />

doch auch hier eine große Zahl von Kindern "fälschlich" behandelt. Da während des<br />

Studienzeitraums ein Teil der Kinder, bei dem eine Indikation angenommen wurde,<br />

behandelt wurde, könnte auch argumentiert werden, daß die positive Prädiktion so<br />

gering war, weil sich die Zahl der CP-Kinder therapiebedingt verringert hätte.<br />

Ähnliche Studien gibt es für die unter b) dargestellten Kriterien zur Früherkennung<br />

unter ausdrücklicher Berufung auf das Bobath Konzept bis heute nicht. Allerdings<br />

wurden einige neurologische Untersuchungsverfahren von ähnlichem Charakter, im<br />

Bobathbereich auch nur teilweise akzeptiert, in prospektiven Studien überprüft. Die<br />

Ergebnisse sind in Tabelle II b - c im Anhang aufgeführt. Die Patientenkollektive<br />

sind meistens klein, nur in wenigen Untersuchungen repräsentativ für eine<br />

Normalpopulation und die Nachuntersuchungsverfahren sind nur selten miteinander<br />

vergleichbar. Bei Untersuchungen mit Hochrisiko-Populationen treten CP und<br />

sonstige Entwicklungstörungen ohnehin häufiger auf, so daß die<br />

Untersuchungsmethoden aussagekräftiger aussehen können, als sie es wirklich<br />

sind. Zudem wurde in allen Studien die Vorhersage einer CP oder<br />

Entwicklungsstörung nur nach einer einzigen Untersuchung getroffen. Es ist aber<br />

damit zu rechnen, daß die diagnostische Treffsicherheit durch mehrere<br />

Nachuntersuchungen erheblich vergrößert wird (Allen et al. 1997).<br />

Die Beurteilung der General Movements als interaktionsfreie Spontanmotorik nach<br />

Prechtl et al. (1997) hat in den letzten Jahren eine weitere Verbreitung gefunden.<br />

Bei dieser Methode werden grundsätzlich -anders als bei den bisher erwähnten-<br />

mehrere follow-up-Untersuchungen durchgeführt. Prospektive Studien, bei relativ<br />

wenigen Hochrisiko-Neugeborenen, zeigten eine überraschend gut Sensitivität und<br />

und positive Prädiktion im Alter von 2-3 Monaten durch die Beurteilung der<br />

sogenannten fidgety movements (Anhang Tabelle II d). In den ersten 6 Lebenswochen<br />

bei der Beurteilung der sogenannten writhing movements war die diagnostische<br />

Sicherheit allerdings deutlich geringer. Ob sich diese Methode in der täglichenPraxis<br />

bewährt, ist noch nicht entschieden.<br />

Neurosonographische Befunde alleine besitzen keine bessere Voraussagefähigkeit<br />

als andere neurologische Methoden bei Frühgeborenen von 501 - 2000 g. Pinto-<br />

Martin et al. (1995) weisen für verschiedene Ultraschallbefunde eine Sensitivität von<br />

61% bis 15% und eine positive Prädiktion von 52% bis 9% nach. Die höheren<br />

Werte werden bei den schweren Zerebralparesen erreicht. Whitaker et al. (1996)<br />

untersuchten bei Frühgeborenen (


Der Wunsch, mit einer einzigen Untersuchung das Bestehen einer infantilen<br />

Zerebralparese bei einem Säugling nicht zu übersehen und zudem keinen<br />

Gesunden fälschlich für zerebralparetisch zu halten, ist bisher nicht erfüllbar. Noch<br />

problematischer scheint es zu sein, bei sehr jungen Säuglingen (


Angesichts der Tatsache, daß für beide Methoden bis heute kontrollierte Studien,<br />

welche die zu erwartenden Erfolge belegen, noch nicht vorliegen, sollte es Anliegen<br />

der Anhänger beider Konzepte sein, eine unnötige Polarisierung ihrer Meinungen zu<br />

vermeiden. Die jahrzehntelange Debatte über Wert und Unwert der verschiedenen<br />

Methoden war möglicherweise mitverantwortlich dafür, daß wichtige Fragen zur<br />

Indikation, Intensität, Dauer und Effektivität bis heute nicht ausreichend in Studien<br />

untersucht worden sind. Der Wert der diagnostisch-prognostischen und dann auch<br />

therapeutischen Bemühungen der beiden Konzepte wird sich in Zukunft an<br />

fortschreitenden neurophysiologischen / bildgebenden Meßmethoden überprüfen<br />

lassen, ebenso an objektivierenden Verfahren in der Neurorehabilitation (Berger<br />

1998).<br />

Folgende Fragen sollten in Evaluations-Studien sobald wie möglich geprüft werden:<br />

1. Ausmaß und Art der Behandlungseffekte der krankengymnastischen<br />

Behandlung auf neurophysiologischer Grundlage unter besonderer<br />

Berücksichtigung von<br />

− Indikationen,<br />

− Intensität,<br />

− Dauer und<br />

− möglicher Nachteile der Behandlung;<br />

2. Unterschiedliche Effekte bei der Behandlung nach Bobath bzw. Vojta;<br />

3. Behandlungseffekte bei Kombination mit anderen Massnahmen (z.B.<br />

Manuelle Medizin, Botulinum Toxin, Laufbandtraining, orthopädischen<br />

Hilfsmitteln);<br />

4. Vergleiche zwischen der Behandlung auf neurophysiologischer Grundlage<br />

und anderen Konzepten wie z.B. der konduktiven Förderung nach Petö.<br />

ANHANG<br />

Literaturverzeichnis<br />

4 Abbildungen und 13 Tabellen<br />

23


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Vojta V (1968) Das Reflexkriechen und seine Bedeutung für die krankengymnastische Frühbehandlung. Z<br />

Kinderheilkd 104:319-330.<br />

Vojta V (1970) Reflex-Umdrehen als Bahnungssystem der menschlichen Fortbewegung. Z Orthop 108:446-452.<br />

Vojta V (1988) Die cerebralen Bewegungsstörungen im Säuglingsalter. Frühdiagnose und Frühtherapie. 5. Aufl.,<br />

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Vojta V (1989a) Die posturale Ontogenese. der kinderarzt 20:669-674.<br />

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Ziv J, Blackburn N, Rang M, Korska J (1984) Muscle growth in normal and spastic mice. Dev Med Child<br />

Neurol 26:94-99<br />

28


Tabelle 1<br />

Definitionen der zerebralen Bewegungsstörungen und Zerebralparesen in der Literatur<br />

--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />

Little Club (1959)<br />

Unter “cerebral palsy” versteht man eine persistierende Erkrankung der Bewegung und der Haltung, die in der<br />

frühen Kindheit auftritt und auf einer entwicklungsbedingten nichtprogressiven Schädigung des Gehirns beruht.<br />

Bax (1964)<br />

Eine Zerebralparese wird definiert durch eine Störung von Bewegung und Haltung infolge eines Defektes oder<br />

einer Läsion des unreifen Gehirns.<br />

Brett (1991)<br />

Eine Zerebralparese ist eine bleibende sich in ihrem Verlauf symptomatisch verändernde, aber nicht<br />

progrediente Erkrankung des unreifen Gehirns.<br />

Mutch et al. (1992)<br />

Als infantile Zerebralparese wird eine Gruppe von nichtprogressiven Syndromen motorischer Störungen<br />

bezeichnet infolge von Läsionen oder Anomalien des Gehirns aus der frühen Entwicklungsphase.<br />

Michaelis et al. (1999)<br />

Der Begriff Zerebralparesen sollte vorbehalten sein, wenn die folgenden ätiologischen Faktoren bestehen:<br />

Perinatale Komplikationen mit schwerer zentraler Hypoxie, Prä- oder perinatale Verschlüsse von größeren<br />

zentralen Arterien oder Venen, Prä- oder perinatale Infektionen, Placentar bedingte Hypoxien bei mütterlichen<br />

Erkrankungen, eventuell auch Hirnfehlbildungen.<br />

Tabelle 2<br />

Konsens und Dissens bei der Begriffsbildung: Vergleichbare Begriffspaare<br />

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />

Nach Vojta Nach Bobath<br />

Posturale Ontogenese Motorische Entwicklung<br />

Spontanmotorik Spontanmotorik<br />

Posturale Reagibilität Automatische Reaktionen zur<br />

Haltungskontrolle<br />

Zentrale Koordinationsstörung Sensomotorische Koordinationsstörung<br />

Primitiv-Reflexe Primäre Reaktionen<br />

29


Tabelle 3<br />

POSTURALE ONTOGENESE: Untersuchung zur Entwicklung der Motorik.<br />

UNTERSUCHUNG<br />

Posturale Aktionen (interaktive Prüfung der<br />

Spontanmotorik)<br />

Posturale Reaktionen (Provokation der<br />

Lagereaktionen)<br />

Prüfung der Primitivreflexe und automatischen<br />

Reaktionen<br />

ERGEBNIS<br />

Erreichte Meilensteine der Aufrichtung,<br />

Lokomotion und Handmotorik mit Altersangabe<br />

Posturales Alter (Lagereaktionsalter)<br />

Primitivreflexalter<br />

Die Entwicklung ist normal, wenn die motorischen Meilensteine, die Lagereaktionen und die<br />

Primitivreflexe sich entsprechend dem Lebensalter entwickelt haben (homogenes Profil).<br />

Die Entwicklung ist nicht normal, wenn die Ergebnisse der drei Untersuchungen inhomogen sind<br />

und die Entwicklung auf früheren Stufen persistiert.<br />

Die posturale Ontogenese ist nur ein Teilaspekt der menschlichen Ontogenese im ersten<br />

Lebensjahr. Weitere Teilaspekte sind: z.B. Ontogenese der mentalen Fähigkeiten, der Sprache,<br />

des Verhaltens.<br />

Tabelle 4<br />

Aspekte der Spontanmotorik<br />

Aufrichtung in<br />

Bauchlage<br />

Greifen<br />

Fortbewegung<br />

ideale Muster, ”normal”<br />

(im Alter von)<br />

z.B. physiologische Streckung der<br />

Brust- und Halswirbelsäule, Stütz auf<br />

beiden Ellenbogen, Hände frei zum<br />

Greifen.<br />

(5 Monate)<br />

z.B. radiale Duktion der entfalteten<br />

Hand beim Pinzettengriff.<br />

(7 Monate)<br />

z.B. schnelles Robben mit<br />

physiologisch gestreckter Wirbelsäule,<br />

alternierendem Voranschreiten der<br />

Ellenbogen und locker gestreckten<br />

Beinen, Füße in Neutralstellung.<br />

(9 Monate)<br />

Ersatzmuster, abnormal<br />

z.B. Reklination des Kopfes im atlantooccipitalen<br />

Gelenk bei Hyperkyphose<br />

der Brustwirbelsäule, Stütz im<br />

Handwurzelbereich auf steif<br />

extendierten Armen, Greifen nicht<br />

möglich.<br />

z.B. ulnare Duktion der unentfalteten<br />

Hand im Handgelenk, Adduktion des<br />

Daumens bei mangelhaftem oder<br />

fehlendem Pinzettengriff.<br />

z.B. beginnendes Robben oder<br />

Kriechen mit gleichzeitigem Einsatz<br />

(homolog) der Unterarme bei<br />

rekliniertem Kopf, steif gestreckten<br />

Beinen und Spitzfuß.<br />

30


Tabelle 5<br />

Stato-motorische Leitlinien nach dem Bobath-Konzept<br />

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />

Beachtet werden Haltung und Aktivitäten bei:<br />

− der Stabilisierung der Körperlage,<br />

− der Fortbewegung,<br />

− der Kommunikation,<br />

− der Feinmotorik.<br />

Beurteilt werden (qualitativ):<br />

− der Einfluß der automatischen Reaktionen (Stell-, Gleichgewichts- und Kettenreaktionen)<br />

auf die Kontrolle der Körperhaltung,<br />

− die Variabilität der spontanen Motorik und Bewegungsabläufe,<br />

− die Symmetrie,<br />

− das Auftreten von assoziierten Reaktionen und Bewegungen.<br />

Tabelle 6<br />

"Plastizität" des zentralen Nervensystems<br />

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />

− Bildung neuer Synapsen<br />

− Aussprossen von Axonen ("sprouting")<br />

− Reorganisation motorischer Kontrollsysteme und sensorischer Areale<br />

− Übernahme von Aufgaben durch Hirnbereiche, die dafür nicht vorgesehen sind<br />

− Konditionierung automatisierter Bewegungsabläufe (auf Hirnstamm- und spinaler Ebene)<br />

− Kompensation von Funktionsverlusten durch Ausnutzen völlig anderer Möglichkeiten<br />

(z.B. bessere auditive und taktile Wahrnehmung bei Blinden)<br />

Tabelle 7<br />

10 Haupt- und Hilfszonen für das Reflexkriechen und das Reflexumdrehen<br />

Hauptzonen<br />

Reflexkriechen<br />

dem Hinterhaupt<br />

zugehörige Körperseite<br />

dem Gesicht<br />

zugehörige Körperseite<br />

distaler radialer Rand<br />

Unterarm<br />

Epicondylus medialis humeri<br />

Ferse condylus medialis femoris<br />

Hilfszonen Acromion innerer Scapularand unteres Drittel<br />

glutäale Oberschenkelfaszie<br />

Rumpf unterhalb Schulterblatt<br />

spina iliaca anterior superior<br />

Reflexumdrehen<br />

Zone Brustzone zwischen 7. und 8. Rippe<br />

Von jeder Haupt- oder Hilfszone alleine kann in der Neugeborenenperiode der gesamte<br />

Lokomotionskomplex aktiviert werden. Der Kopf wird dabei stets vor Beginn der Stimulation<br />

in eine asymmetrische Haltung gebracht .<br />

31


Tabelle 8<br />

Behandlungsziele bei der infantilen Zerebralparese nach dem Bobath-Konzept<br />

--------------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />

− Bessere Regulation des Haltungstonus und der Haltungskontrolle<br />

− Abstimmung der Kontraktion von synergistisch und antagonistisch wirkenden Muskelgruppen<br />

− Verbesserung der abnormen, meist stereotypen grob- und feinmotorischen Bewegungsabläufe<br />

(einschließlich der Mundmotorik)<br />

− Verminderung der assoziierte Reaktionen und assoziierte Bewegungen<br />

Tabelle 9<br />

Indikationen zur Behandlung nach Vojta im frühen Kindesalter<br />

Sofortiger Behandlungsbeginn bei<br />

− schweren und mittelschweren Zentralen Koordinationsstörungen (ZKS),<br />

− leichter ZKS mit konstanten Haltungsasymmetrien,<br />

Behandlungsbeginn nach Kontrolluntersuchungen<br />

− bei gravierender Verschlechterung von leichtesten und leichten ZKS. Kontrollen<br />

bei leichtester ZKS nach 6 - 8 Wochen, bei leichter ZKS nach 4 - 6 Wochen.<br />

Tabelle 10<br />

Kriterien bei der Indikation zur Behandlung im frühen Kindesalter nach dem Bobath-Konzept<br />

Bei reifgeborenen Säuglingen<br />

− deutliche motorische oder sensomotorische Entwicklungsstörung<br />

− Symptome, die eine zerebrale Bewegungsstörung wahrscheinlich machen<br />

Bei sehr unreifgeborenen Säuglingen<br />

− Auffälligkeiten von Körperhaltung und Bewegungsabläufen, die die Nahrungsaufnahme beeinträchtigen<br />

− Erhebliche Verhaltensauffälligkeiten wie z.B. Ess- und Trinkstörungen, Störung des Schlaf-Wachrhythmus<br />

− Abnorme Ausprägung der automatischen und der primären Reaktionen (im Bezug auf das Lebensalter oder<br />

"neurologische" Alter)<br />

− Stereotype Bewegungsabläufe, konstante Haltungs- und Bewegungsasymmetrien<br />

− Gestörte Kommunikations- und Interaktionsfähigkeit.<br />

Ergänzende Kriterien<br />

− Erhebliche Komplikationen in der Perinatalzeit<br />

− Abnorme Befunde bei der Bildgebung, die auf eine schlechte Prognose hinweisen<br />

32


Tabelle 11<br />

Vergleich der Behandlungskonzepte nach Bobath und Vojta<br />

1) Konzepte zur<br />

Motorischen Entwicklung<br />

und Kontrolle:<br />

Bobath-Konzept Vojta-Konzept<br />

Ursprünglich hierarchisch-reflektorisch<br />

orientiert, später Betonung der Umwelt-<br />

einflüsse und der simultanen Entwicklung der<br />

sensomotorischen Bereiche, die miteinander<br />

in Verbindung stehen, aber<br />

nicht zwingend aufeinander aufbauen.<br />

2) Behandlung: Individuelles, aufgaben- und<br />

funktionsorientiertes Vorgehen, mit dem Ziel<br />

die Körperhaltung zu stabilisieren und<br />

eigenständige Handlungen anzuregen. Die<br />

Behandlung soll in den Alltag eingebunden<br />

werden und ist daher sehr variabel zu<br />

gestalten. Nur in den ersten Lebensjahren<br />

wird die Verbesserung der Qualität der<br />

Bewegungsabläufe in den Vordergrund<br />

gestellt.<br />

Hierarchisch-reflektorisch orientiert.<br />

Repetitives Auslösen angeborener<br />

Bewegungsmuster (Reflexkriechen und<br />

Reflexumdrehen) mit dem Ziel, diese so<br />

fazilitieren zu können, daß sie als<br />

normaleTeilmuster auch der<br />

Willkürmotorik zur Verfügung stehen.<br />

Die Behandlung erfolgt 2 bis 4mal<br />

täglich nach festgelegtem Plan. Bei<br />

Stagnation der Fortschritte orientiert<br />

sich die Therapie an der Erhaltung des<br />

Erreichten.<br />

33


Anhang Tabelle I<br />

Auswahl bestimmter Neugeborenen-Primitiv-Reflexe und Automatismen für die Diagnostik<br />

nach Vojta<br />

Bezeichnung Waltezeit<br />

Intensität)<br />

(höchste Pathologisches Symptom<br />

Orofaziale Reflexe<br />

Babkin-Reflex<br />

bis 4 Wochen<br />

nach 6 Wochen<br />

Rooting-Reflexe<br />

bis 3 Monate<br />

nach 6 Monaten<br />

Saug-Reflex<br />

bis 3 Monate<br />

nach 6 Monaten<br />

Puppenaugenphänomen<br />

Positive Supporting Reaction<br />

der Arme<br />

der Beine<br />

Phasische Streckreflexe<br />

Handwurzelreflex<br />

Fersenreflex<br />

Tonische Streckreflexe<br />

suprapubischer Streckreflex<br />

gekreuzter Streckreflex<br />

Neonataler Gehautomatismus<br />

Galant-Reflex<br />

Lift-Reaktion<br />

Greifreflexe<br />

der Hand<br />

des Fußes<br />

Telerezeptorische Reaktionen<br />

bis 4 Wochen<br />

keine<br />

bis 4 Wochen<br />

keine<br />

bis 4 Wochen<br />

bis 4 Wochen<br />

bis 6 Wochen<br />

nach 6 Wochen<br />

von Geburt an<br />

nach 3 Monaten<br />

von Geburt an<br />

nach 3 Monaten<br />

nach 3 Monaten<br />

nach 3 Monaten<br />

bis 4 Wochen<br />

nach 3 Monaten<br />

bis 4 Monate nach 3 Monaten<br />

bis 4 Monate +++ im 2. Trimenon<br />

bis zur Entwicklung der<br />

Stütz- und Greiffunktion<br />

der Hand<br />

bis zur Entwicklung der<br />

Stützfunktion des Fußes<br />

vermindert bis fehlend im 2. Trimenon bei<br />

dyskinetischer Bedrohung<br />

+++ im 2. Trimenon und später bei spastischer<br />

Bedrohung<br />

vermindert bis fehlend im 2.-3. Trimenon und<br />

später bei spastischer Bedrohung<br />

+++ im 2. und 3. Trimenon und später bei<br />

dyskinetischer Bedrohung<br />

RAF (Reflex acustico-facialis) ca. 10. Lebenstag bis bei Fehlen nach 4. Lebenswoche<br />

Lebensende<br />

ROF (Reflex optico-facialis) nach 3. Monat bis bei Fehlen nach 4. Lebensmonat<br />

Lebensende<br />

Für alle Reflexe gültig: jede Abschwächung oder Fehlen in der Waltezeit ist pathologisch.<br />

34


Anhang Tabelle II<br />

35


Abbildung 1<br />

37


Abbildung 2<br />

38


Abbildung 3<br />

gemittelte<br />

Reflexstärke<br />

2.0<br />

1.5<br />

1.0<br />

0.5<br />

Kontrolle (n = 458) Spastische CP (n = 65)<br />

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11<br />

Alter (Monate)<br />

Anhang Abbildung 3 : Altersabhängigkeit der Intensität des suprapubischen<br />

Streckreflexes bei normalen Säuglingen und bei solchen mit infantiler<br />

spastischer Zerebralparese (Futagi et al. 1992)<br />

39


Abbildung 4<br />

gemittelter<br />

Reflexscore<br />

2,5<br />

2<br />

1,5<br />

1<br />

0,5<br />

0<br />

Kontrolle (n=458) Spastische CP (n=65)<br />

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11<br />

Alter (Monate)<br />

Anhang Abbildung 4: Altersabhängigkeit der Intensität des gekreuzten Streckreflexes<br />

bei normalen Säuglingen und solchen mit infantiler spastischer Zerebralparese<br />

(Futagi et al. 1992)<br />

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