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sonne, sonne, was scheinst du so wild? was wirfst du dein goldrotes glühen über uns hin? die urteile überstürzen sich in blinder hast. der mahlstrom brach sich eine zu breite bahn. schuldig, tot. täglich werden „neue“ eingeliefert. sie sehen uns ehrfürchtig an, um uns „alteingesessene“ spielen schon fast legenden. <strong>und</strong> doch sind auch wir erst nach monaten gemessen, eine kurze zeit hier. aber die zeit ist hier ein relativer begriff geworden, das ganze dasein, das private leben, die zukunft. jetzt kann es sich nur noch um wochen handeln, dass dieser totentanz zu ende geht. die schliesser gehen mit weichen knien, sie sind bereit, uns zigaretten zu besorgen, allerdings zu schandbaren preisen. gerüchte schwirren. parolen werden ausgegeben <strong>und</strong> sofort widerrufen. täglich rollen die großen lastwagen nach tegel, nach plötzensee, nach spandau. der „führer“ soll krank sein, göring in haft, himmler-, mein himmel! es ist alles nicht zu glauben. meine zeichenfeder ruhte in diesen tagen wüster unruhe. die h<strong>und</strong>erte oder tausende, denn keiner weiß, wie viele seeelen zwischen diesen mauern noch sind, sind wie ein riesiger wurm, der an einem körperende verletzt ist <strong>und</strong> sich nun windet <strong>und</strong> wehrt. jedes kommando schreckt uns hoch. einer von uns wurde aufgerufen: wohin brachte man ihn? was wurde aus ihm? leben? tod? alarm. larm. alarm. aufheulen der sirene, dies quälende sinnlose tiergeheul urweltlicher bestien. jaulendes inferno, zerkrachende in blut <strong>und</strong> flammen erstickende welt. <strong>und</strong> man wischt sich den dreck aus den augen <strong>und</strong> atmet gepresst den stinkenden brodem von mord <strong>und</strong> untergang. fre<strong>und</strong>e, lebt ihr noch? fre<strong>und</strong>e, ihr wart so mäßig, so klar <strong>und</strong> nüchtern in eurem widerstand gegen dieses wahnsinnssystem der geistigen verknechtung. <strong>und</strong> ich sah nicht die politischen dinge allein, ich sah den kulturellen niedergang, den geistigen chaos vor allen andern dingen. das schied mich von euch <strong>und</strong> band mich gleichzeitig noch fester, denn eins gehört zum anderen. ihr warntet mich oft, doch ich lachte dagegen: war ich doch eins unter einem glückshaften sonntagsstern im löwen geboren! ein maler von gottes gnadentum! ein freier mann, ein ganz freier mann, ein könig war ich, ein herr über raum <strong>und</strong> form <strong>und</strong> farbe! ich bin nichts mehr, weniger als ein nichts. es ist nun alles mit einmal so ganz einfach geworden! der generalnenner tod hat uns auf eine schlichte <strong>und</strong> gerechte formel gebracht. man könnte in versuchung kommen, von der philosophie des todes zu sprechen. wie schön <strong>und</strong> befreiend war die gesellige lust am wortstreit, bevor die düsternis des argwohns den riegel vorschob <strong>und</strong> den letzten hauch von freiheit verpestete. die unmenschlichkeit begann mit ihrer zitternden hand wüste kurven zu zeichnen, kurven in denen man sich verfing <strong>und</strong> hängenblieb <strong>und</strong> verblutete. „der mensch ist frei geschaffen, ist frei, <strong>und</strong> würd er in ketten geboren!“ von uns ist keiner mehr frei. unser ring schließt sich <strong>und</strong> keiner von uns weiß, was morgen sein wird. viele von denen die zu uns <strong>und</strong> unserer gruppe gehörten, werden nicht mehr am leben sein. ich habe noch so vieles vor, jahrzehnte würden nicht genügen, diesen schaffensdrang einzudämmen. doch ich weiß nicht, ob das gefühlspendel mich trügt. allzuschnell verschlingt der moloch staat seine kinder. du bist schuldig? so musst du sterben! wir wollten ein damm sein, <strong>und</strong> dieser damm wurde zerbrochen. die flut ging über uns hin. ein neuer morgen. die bomben heulen <strong>und</strong> krachen nieder. über unsere frierenden leiber kriechen fieberschauer. die wände unten in den kellern sind so nass. einer sagt leise: heute vielleicht - <strong>und</strong> wir anderen sitzen wie graue steine da. heute brachten sie einen ritterkreuzträger weg. es ist ja jetzt alles so einfach: wir bekommen dann, wenn es zu ende sein soll, ein papierhemd, zehn zigaretten <strong>und</strong> zwei spiegeleier. es bleibt einem noch zeit genug, einen kurzen brief an die familie zu schreiben <strong>und</strong> den gefängnispfarrer zu sprechen, <strong>und</strong> dann gehen wir sterben. im morgengrauen ist es dann soweit, kugel oder strang. <strong>und</strong> jetzt sind die morgendämmerungen immer ganz besonders schön. 8