Julie und der Klang des Meeres. Leseprobe
Liebe Lesenden, mit Stephanies Frage nach dem Salz im Meer, begann vor vielen Jahren auf einer kleinen Insel im Mittelmeer, das Abenteuer dieses Romans. Ich habe mich auf die Reise gemacht ihn aufzuschreiben. JULIE UND DER KLANG DES MEERES ist die Geschichte einer großen und sinnlichen Liebe, zwischen Julie und Andrej, aber auch der Liebe zum Leben. Sie erzählt von der Entdeckung der Freiheit zu SEIN, dem Geschenk der Lebendigkeit und von der verbindenden Kraft der Musik. JULIE UND DER KLANG DES MEERES ist eine Einladung, sich auf die Reise zu begeben und einzutauchen. Bereichert wieder aufzutauchen und die Flügel auszubreiten. Sich überraschen zu lassen von der Geschichte an sich, von den Menschen und Orten, an die sie führt und vom Leben selbst, das so viel größer sein kann, als unsere Vorstellung darüber. Dann, wenn wir uns ihm öffnen. „If you want to sing out, sing out, and if you want to be free, be free!“ (cat stevens) glückliche Reise Armgard
Liebe Lesenden,
mit Stephanies Frage nach dem Salz im Meer, begann vor vielen Jahren auf einer kleinen Insel im Mittelmeer, das Abenteuer dieses Romans.
Ich habe mich auf die Reise gemacht ihn aufzuschreiben.
JULIE UND DER KLANG DES MEERES
ist die Geschichte einer großen und sinnlichen Liebe, zwischen Julie und Andrej, aber auch der Liebe zum Leben. Sie erzählt von der Entdeckung der Freiheit zu SEIN, dem Geschenk der Lebendigkeit und von der verbindenden Kraft der Musik.
JULIE UND DER KLANG DES MEERES ist eine Einladung, sich auf die Reise zu begeben und einzutauchen.
Bereichert wieder aufzutauchen und die Flügel auszubreiten. Sich überraschen zu lassen von der Geschichte an sich, von den Menschen und Orten, an die sie führt und vom Leben selbst, das so viel größer sein kann, als unsere Vorstellung darüber. Dann, wenn wir uns ihm öffnen.
„If you want to sing out, sing out,
and if you want to be free, be free!“ (cat stevens)
glückliche Reise
Armgard
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Armgard Schörle
ROMAN
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ISBN 978-3-926341-25-9
1. Auflage Januar 2012
620 Seiten
Hardcover, Gebundene Ausgabe
© Buch & Bild Verlag · Hajo Schörle · Nagold
Industriegebiet Wolfsberg · 72202 Nagold
www.schoerle.de
Druck: ANROP LTD Israel
Titelbild, Gestaltung:
Hajo Schörle, w&d · werbung & design · Nagold
Bild- und Kunst Urheber Nr. 412 646
Lektorat:
Johanna Stotz, Bettina Flossmann
Songtexte im Buch:
Die Rechte liegen bei den jeweiligen Rechteinhabern.
Einzelnachweise siehe Anhang.
Julie
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Baltimore,
Irland
Hendaye,
Südfrankreich
Paris
Zürich
Fehmarn
Berlin
Annaburg
Kroatien,
Plitvicer Seen
Die Flügel ausbreiten,
den Staub aus struppigem Gefieder schütteln,
mutig den Blick heben,
der Gemütlichkeit adieu sagen,
neuen Welten entgegentreten,
eintauchen, annehmen, was da ist,
und weitergehen.
Offen, ohne Furcht, ohne Erwartung,
ohne Landkarte.
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ef
„Julie!“
Das Flirren südlicher Hitze vermischte sich mit dem leisen
Geklapper blauweißer Emaillebecher und schob sich erbarmungslos
in Julies Träume.
„Julie, le petit déjeuner!“
Tiefschwarzer Kaffeegeruch kam hinzu und Julies Traum
drohte endgültig zu entgleiten. Sie warf sich unruhig von einer
Seite zur anderen, so dass das alte französische Doppelbett
ächzte und knarrte. Verzweifelt versuchte sie den letzten Zipfel
ihres Traumes festzuhalten, der durch seine Intensität ihren
ganzen Körper, all ihre Sinne und ihr Fühlen erfasst hatte.
Plötzlich schoss ihr die südfranzösische Hitze wie ein glühender
Strahl durch den Körper und ließ ihr Herz für einen Moment
aussetzen. Sie öffnete die Augen und fuhr sich mit einer
heftigen Geste durch die langen, dunklen Haare. Zögernd
drehte sie sich zur Seite. Nein, da war niemand. Dabei hätte
sie schwören können, jemand hätte sie berührt, mit einer
zärtlichen Geste ihr Haar zur Seite geschoben und über ihre
nackte Schulter gestreichelt. Verwirrt umschlang sie mit den
Armen ihre hochgezogenen Knie. Fröstelnd, trotz der Hitze,
zog sie ihre Schultern hoch.
Der Mann, von dem sie geträumt hatte … nein, das war
überhaupt nicht wie ein Traum gewesen, eher wie eine wirkliche,
körperliche Begegnung. Sie sah sich nochmals um. Für
einen flüchtigen Moment meinte sie den Geruch seines nach
Meerwasser riechenden Körpers zu erkennen. Der Klang seiner
Stimme, von einem fremden Akzent gefärbt, schien noch
im Raum zu schweben und Julie hörte sein warmes, leicht
ironisches Lachen so klar, als ob er eben noch neben ihr gelegen
hätte. Doch das eigentlich Beunruhigende daran war das
Feuer, das seine Berührung auf ihrer Haut entfacht hatte. Ihr
Herz schlug heftig gegen die Rippen.
Aber nein, so etwas war doch nicht möglich, sie schüttelte den
Kopf um die Eindrücke des Traumes loszuwerden. Es klopfte
jetzt an der Tür, die im gleichen Moment einen kleinen Spalt
aufging, so dass gerade ein sommersprossiges Gesicht mit zwei
grünen, vorwurfsvoll blickenden Augen zu erkennen war.
„Julie, Maman wartet mit dem Frühstück auf dich.“
Die allwissend scheinenden Kinderaugen ruhten auf Julie.
„Was ist mit dir? Du siehst irgendwie komisch aus.“
„Stéphanie, mach, dass du rauskommst, du kleine Katze, ich
komme ja gleich, lass mir noch einen Moment.“
„Ich will ja nur wissen …“
Der Hausschuh, den Julie Richtung Tür schleuderte, verfehlte
Stéphanie bei weitem. „Du hast auch schon besser geworfen!“
Kichernd huschte die Kleine aus dem Zimmer, sie hatte die
Türe einfach losgelassen, die daraufhin zuglitt und mit einem
weichen Knacken ins Schloss fiel. Das Kind hüpfte, immer
zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter.
Julie ließ sich ins Bett zurückfallen. Laut aufstöhnend wälzte
sie sich in den weißen Kissen, ließ ihre schlanken, gebräunten
Hände zwischen ihre Beine gleiten und sehnte sich nach der
Berührung dieses Mannes zurück. Sie konnte es nicht fassen,
dass es möglich war, so heftig für jemanden zu empfinden,
den es definitiv nicht gab.
„Oh Julie“, sagte sie zu sich selbst, „du bist verrückt, hör auf,
dich in solche Dinge immer so hineinzusteigern, Schluss jetzt,
steh auf!“ Diese Art von Selbstgesprächen hatte sie angefangen
zu führen, seitdem ihre Mutter vor über 20 Jahren gestorben
war, und manchmal war es so, als ob sie der fürsorglichen
Stimme ihrer Mutter Ausdruck verleihen könnte, indem sie
sie an sich selbst richtete. Widerstrebend schob sie die Beine
über die Bettkante, ließ sie eine Weile dort baumeln, tappte
mit nackten Füßen über den kühlen Fliesenboden zum
Waschbecken und warf einen Blick in den ovalen Spiegel darüber.
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„Ach Gott“, verdrehte sie die Augen. „Wie sehe ich denn
aus?“ Unvermittelt spürte sie den Schmerz der vergangenen
Tage, der Tage seit Frans Tod wieder in sich aufsteigen, als
sie in ihr vom vielen Weinen erschöpftes Gesicht im Spiegel
blickte. Sie hatte geglaubt, da wären überhaupt keine Tränen
mehr, aber als sie jetzt, für einen kurzen Augenblick, Frans
Gesicht vor sich auftauchen sah, wie er sie zuletzt an der Wange
berührt und ihr alle Angst genommen hatte, da schossen
ihr die Tränen sofort wieder aus den Augen.
Jahre würden nicht ausreichen, um den Schmerz und die
Schuldgefühle zu besänftigen, die Frans Tod in ihr ausgelöst
hatten. Während Julie sich das Gesicht wusch und versuchte,
wieder einen klareren Blick zu bekommen, schwirrten unaufhörlich
die Bilder ihrer letzen Reise mit Fran durch ihren
Kopf. Sie bemühte sich, sie beiseite zu schieben. Sie wollte
nicht mehr weinen und sie wollte auf keinen Fall mehr die besorgten,
mitleidigen Blicke der anderen auf sich ruhen sehen.
Es war ihr Schmerz, ihrer allein. Außer natürlich Anna, mit
Anna konnte sie den Schmerz teilen, sie war die Einzige.
Sie schminkte sich ein wenig und bürstete ihre dunklen, langen
Haare, die irgendwie immer so aussahen, als sei gerade
der Wind hindurchgefegt. Sie lächelte still in sich hinein. Née
de la mer! – ihr Vater hatte ihr früher diese Geschichte erzählt,
aus dem Meer geboren zu sein. Es hatte sie getröstet. Sie war
immer schon gerne am Meer gewesen, fühlte sich ohne Furcht
vor der Wucht der Gezeiten und so zu Hause dort, dass sie
mit dem Meer wie mit ihrer Mutter sprechen konnte.
Der Kaffeegeruch tat gut. Als sie die Tür der geräumigen, hellen
Küche öffnete, kam ihr Tante Luise sofort entgegen und
drückte sie an ihre Brust.
„Mein Liebes, wie geht es dir?“
„Es geht, Luise, danke. Hast du noch einen Kaffee für mich?“
Während Luise erleichtert war etwas tun zu können und mit
dem blau-weißen Geschirr zu hantieren begann, wanderte
Julies Blick zur Küchenbank am Fenster. Sie musste schmunzeln.
Ohne es bewusst gesehen zu haben, hatte sie, seit sie den
Raum betreten hatte, Geronimos Blick auf sich gespürt, der
ans Fenster gelehnt auf der alten Holzküchenbank saß. „Na,
kommst du ein wenig zu mir, mein Mädchen und lässt mich
in deine tiefgründigen Augen schauen?“
„Ach Großpapa …“ Sie setzte sich auf den Platz am Tisch ihm
gegenüber, den Kopf auf die Hände gestützt. Geronimo lehnte
sich über den Tisch zu ihr, hob mit dem Zeigefinger der
linken Hand ihr Kinn ein wenig an, bis er ihr in die Augen
schauen konnte. „So ist’s besser, mein Mädchen. Und wie geht
es dir nun wirklich?“
„Geronimo, hör auf, mich so anzuschauen, ich weiß, dass du
bis auf den Grund meiner Seele schauen kannst, aber ich kann
noch nicht darüber reden, bitte!“ Julies Blick begann schon
wieder zu verschwimmen, als die Tränen in ihr hochstiegen.
„Ist ja gut, ich schau ja gar nicht mehr hin!“ Lächelnd stand er
auf, kam um den Tisch herum, setzte sich neben Julie auf die
Bank und zog sie an sich.
Julie lehnte sich an seine kräftige Schulter. ‚Wie früher‘, dachte
sie und musste auch lächeln. Wie er das nur immer wieder
schaffte, sie so weich zu kriegen. Niemand sonst hatte es je
geschafft, so in sie hineinzublicken, sie so zu erreichen, sämtliche
ihrer Warnsysteme und Sicherungsanlagen in aller Seelenruhe
zu umgehen und plötzlich mitten in ihrem Innersten
zu stehen. Was sie bei niemand anderem geduldet hätte, ließ
sie bei ihm geschehen, schmunzelnd, manchmal auch empört,
wenn er sie wieder einmal überrumpelt hatte.
Sie liebte ihn.
Ihr Großvater war sein Leben lang Fischer gewesen und war
es in seiner Seele immer noch. Seit über zwei Jahren konnte
er nicht mehr selbst aufs Meer hinausfahren. Aber jeden Morgen,
in aller Herrgottsfrühe, wenn die anderen Fischer nach
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und nach am Hafen eintrafen um ihre Boote zu beladen und
die Leinen der schnell in See stechenden Schiffe ans Ufer warfen,
war auch er da. Immer, Morgen für Morgen, und Julie
war sich sicher, dass er in Gedanken und im Herzen noch genauso
mit ihnen in See stach wie all die Jahre zuvor. Das Gleiche
mittags, wenn die Boote schaukelnd, mit leichter Schräglage
manchmal, je nach Fang, wieder in den Hafen einliefen.
Wenn es so warm war wie jetzt, dann half er gelegentlich
noch, die vom Einholen zerrissenen Netze wieder zu flicken
oder die Planken der ‚Mathilde‘ zu schrubben, während die
weißen Möwen kreischend und flügelschlagend das Boot umschwirrten.
Am Nachmittag, wenn dann alles vorüber war, saß
er noch auf der Kaimauer, rauchte Pfeife oder redete mit den
anderen Fischern über ihren Tag. Julie war einmal aufgefallen,
dass er auch hier wenig von sich erzählte, wohl aber alle anderen
sehr offenherzig von ihren Erlebnissen, ihren Ängsten und
Hoffnungen berichteten, wenn er dabei war. Seine Gegenwart
allein, das Funkeln seiner meerblauen Augen und sein Blick
schienen nicht nur bei ihr Schleusen zu öffnen.
Sie schaute ihn von der Seite an. Sein Gesicht, im Profil betrachtet,
war markant. Die Sonne, der Wind und das Meerwasser
hatten seine Haut mit den Jahren gegerbt wie Leder.
Fast immer hatte er einen Dreitagebart. Seltsamerweise konnte
sich Julie allerdings nicht daran erinnern, ihn jemals rasiert
erlebt zu haben. Er roch nach Tabak, nach Holz und nach der
See. Sie liebte diesen Geruch über alles. Wenn es irgendetwas
gab, das für sie Heimat bedeutete, dann war es wohl dieser
Geruch. Heute hatte er ihren Lieblingspullover an, einen dunkelblauen
gerippten Seemannspullover, den er wahrscheinlich
tragen würde, bis er ihm vom Leib fiel, sehr zum Leidwesen
von Tante Luise, die ihn nie waschen durfte. Geronimo war
damals, als Julies Mutter gestorben war, hierher zu ihr und
ihrem Vater gezogen. Zu dritt hatten sie mehrere Jahre in der
kleinen Fischerhütte am Meer gelebt, bis ihr Vater und sie in
die Stadt gegangen waren. Ihre Mutter hatte das kleine Haus
als junges Mädchen entdeckt, als sie einmal am Strand entlanggeritten
war. Sie hatte sich sofort in diesen besonderen
Ort verliebt und es war ihr Traum gewesen, hier irgendwann
einmal zu leben.
Zum Küchenfenster hinaus sah man direkt in die schäumende
Gischt des Atlantiks. Die Wellen brachen sich an zwei riesigen
Felsbrocken, die schräg gegenüber der Hütte in der brandenden
See lagen. Die Rückseite der Hütte war geschützt durch
die direkt dahinter ansteigenden Dünen und eine Gruppe
windzerzauster Kiefern. Als Kind war Julie wie ein Junge auf
ihnen herumgeklettert, hatte vom höchsten Punkt aus Ausschau
gehalten, nach den zurückkehrenden Booten, nach der
untergehenden Sonne oder eventuell eintreffenden Besuchern.
Mehr als einmal hatten Geronimo und ihr Vater sie mit gebrochenen
Rippen, verstauchten Fuß- oder Handgelenken ins
nahe gelegene Krankenhaus nach Arcachon fahren müssen.
Geronimo hatte sie jedes Mal angeschaut, sehr ernst und ohne
zu schimpfen, hatte er nur diesen Blick auf ihr ruhen lassen,
der um alles wusste. Der um ihre Lust wusste, bis an die
Grenzen und darüber hinaus zu gehen, von ihrer unbändigen
Kraft und ihrer tiefen Empfindsamkeit, für die sie zu dieser
Zeit noch keine Ausdrucksmöglichkeit gefunden hatte. Er
hatte sie zum Auto getragen, ihr die Hand gehalten, während
ihr Vater das Auto lenkte und hatte nur geschmunzelt, wenn
sie ihm drei Wochen später bereits wieder von den höchsten
Kiefern entgegenwinkte.
Und auch wenn er über all das wenig Worte verlor, so, wie
er überhaupt nur sprach, wenn er Lust dazu hatte, so war er
doch für Julie immer präsenter gewesen als ihr Vater. Jetzt,
Jahre später, konnte sie auch besser verstehen, warum das so
gewesen war. Sie vermutete, dass ihr Vater den Tod ihrer Mutter
nie wirklich verwunden hatte. Ein Teil von ihm war ihr gefolgt,
ein anderer Teil war notgedrungen bei ihr, Julie, geblie-
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ben. Auf seine Art hatte er sie auch geliebt. Aber sowohl er als
auch Julie waren froh gewesen über Geronimos Gegenwart,
die dem Dasein oft die Schwere genommen hatte.
Tante Luise stellte den dampfenden Becher mit schwarzem,
süßem Kaffee vor Julie auf den Tisch, so dass sie abrupt aus
ihren Erinnerungen zurückkehrte. Im selben Augenblick kam
Stéphanie, ihre kleine Cousine, in die Küche gehüpft.
„Hey, da bist du ja endlich, du Schlafmütze!“, ließ sie sich
neben ihr auf die Küchenbank fallen. „Wie lange willst du eigentlich
noch bleiben?“, fragte sie im gleichen Moment.
„Oh Stéphanie, du bist schrecklich unhöflich! Ihr fehlt einfach
ein vernünftiger Umgang“, wandte sich Tante Luise entschuldigend
Julie zu. Die stand mit einer geschmeidigen Bewegung
auf, drehte sich zu Stéphanie, umfasste deren schmalen Körper
mit beiden Händen und kitzelte sie, bis sie kreischend um
den Tisch herumsprang und so zu entwischen suchte. „Nein,
nicht, lass mich los, du bist viel größer und stärker als ich, Julie,
hör auf, ich kann nicht mehr!“ Sie hielt einen kleinen Moment
inne, aber nur, um Stéphanie kurz Luft holen zu lassen.
„Dafür bist du viel frecher als ich!“, stürzte sie sich wieder auf
das Mädchen. Aber dieses Mal war Stéphanie schneller und
schlüpfte unter dem Tisch hindurch, um auf der anderen Seite
hinter Geronimos kräftigem Rücken Schutz zu suchen. „Warte,
ich will dich doch nur etwas fragen!“
„Na dann frag schon, los!“
„Julie, weißt du, wie das Salz ins Meer kommt?“
„Was, wie das Salz ins Meer kommt? Was ist das für eine lustige
Frage. Ich könnte dir erzählen, wie man es wieder herausholt,
wenn dir das hilft!“
Stéphanie wandte sich enttäuscht ab, weil Julie ihre Frage
nicht ernst nahm. Der tat ihre Reaktion im selben Moment
leid und sie zog Stéphanie zu sich auf den Schoß. „Na komm
schon, tut mir leid, ich wusste nicht, dass es wirklich wichtig
für dich ist. Wie kommst du denn darauf?“ Stéphanie
schmollte noch ein wenig, richtete sich dann aber kerzengerade
auf, um Julie mit aller Ernsthaftigkeit, die ihr mit ihren
elf Jahren möglich war, anzuschauen. „Weißt du, ich muss
das wissen, weil, ich mache Forschungen, solche Forschungen
mit Paul zusammen.“ Julie musste sich beherrschen, um nicht
wieder loszuprusten. „Forschungen? Mit Paul? So, so, das
klingt ja hochinteressant.“
„Ach Julie, du kannst scheußlich sein.“ Zornig trommelte Stéphanie
mit ihren Fäusten auf sie ein. Aber Julie packte sie an
beiden Handgelenken, hielt diese fest umschlossen und schaute
Stéphanie direkt in ihre grünen Augen.
„Nun erzähl schon, ich hör dir ja zu.“
Zögernd und unruhig mit den Fingern an ihren rotblonden
Haaren herumnestelnd nahm Stéphanie einen neuen Anlauf.
Sie ärgerte sich wirklich über Julie. Wenn ihr die Sache nicht
so wichtig gewesen wäre, hätte sie schon längst das Feld geräumt.
Aber sie hatte Paul fest versprochen, Julie zu fragen,
und sie wollte ihn auf gar keinen Fall enttäuschen, indem sie
mit leeren Händen zurückkam. Also holte sie tief Luft und
versuchte, nur das Allernotwendigste erwähnend, ihre Lage zu
erklären. „Wir machen Forschungen über das Salz im Meer,
und am Strand, und in den Felsen … und so“, stockte sie unsicher,
was sonst überhaupt nicht ihre Art war. „Paul und ich
wollen nämlich berühmt werden mit unseren Forschungen, so
wie du!“, setzte sie nach einer keinen Pause trotzig hinzu. Julie
musste nun doch schmunzeln und sah aus dem Augenwinkel
auch Geronimo in seinen Dreitagebart hineingrinsen.
„Stéphanie, ich bin doch überhaupt nicht berühmt.“ Stéphanie
unterbrach sie ungehalten. „Natürlich bist du das, wir haben
deine Artikel im ,National Geographic‘ gelesen, und da
steht, mit wem du da alles zusammengearbeitet hast, so!“ Jetzt
war Julie tatsächlich sprachlos.
„Ihr habt was? Diese komplizierten Untersuchungen … das
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kann doch kein normaler Mensch lesen! Ich meine, entschuldige,
das ist natürlich klasse, aber wo in aller Welt bekommt
ihr denn hier den ,National Geographic‘?“
„Mein Geheimnis. Aber jetzt sag mir doch bitte endlich das
mit dem Salz, Julie.“ Sie schaute zu Geronimo, der sie interessiert
betrachtete, auch Tante Luise war an den Tisch gekommen
und blickte gespannt auf Julie.
„Hey, ich habe keine Ahnung, ich muss euch ehrlich enttäuschen.
Ich habe zwar in der Geophysik mit dem Meer zu tun,
aber es geht da … na wie soll ich euch das erklären?“
„Es geht um die Ausbreitung seismischer Wellen“, fiel ihr
Stéphanie ins Wort, ergänzte jedoch schnell: „Hab aber keine
Ahnung, was das ist.“ Julie lachte nun lauthals. „Das gibt’s
doch gar nicht, also gut, du freche Göre, du hast mich überzeugt.
Ich verspreche dir, dass ich herausfinden werde, wie das
Salz ins Meer kommt, bis ich euch das nächste Mal besuchen
komme, abgemacht?“
„Du bist mir vielleicht eine, schlimmer als ich“, fügte sie
kopfschüttelnd, mehr zu sich selbst, hinzu. „Denkst du, dein
Paul wird damit zufrieden sein?“
„Verdammt noch einmal, er ist nicht ‚mein Paul‘!“
Stéphanie stapfte wütend zur Tür, drehte sich dann aber doch
noch einmal um. „Julie, aber versprochen ist versprochen,
okay?“
„Ja, Stéphanie, versprochen ist versprochen“, versicherte sie
ihr nun ernst.
Nachdenklich umfasste sie ihren Kaffeebecher und drehte ihn
zwischen den Händen, nachdem Stéphanie den Raum verlassen
hatte. „Sag mal Geronimo“, wandte sie sich ihrem Großvater
zu, dessen Blick auf die tanzenden, weißen Schaumkronen
der unruhigen See hinausgewandert war. „Glaubst du
nicht, es wäre besser, Stéphanie würde für eine Zeit lang zu
Vater nach Arcachon ziehen? Sie könnte auf die Schule nach
Bordeaux. Ich meine, sie braucht einfach andere Anregungen.“
Der Großvater sprach, ohne seinen Blick vom Meer abzuwenden.
„Julie, ich weiß nicht, wie lange ich noch leben werde
und sie wollen mich nicht alleine hier lassen.“ Julies Herz
krampfte sich heftig zusammen, aber sie wollte sich nichts anmerken
lassen und legte ihre Hand zärtlich auf seinen Unterarm.
„Du bist aber nicht krank oder so etwas?“, fragte sie mit
leiser Stimme und folgte dabei seinem Blick aufs Meer hinaus.
Unruhige Gedanken schossen ihr durch den Sinn, wie aufflackernde
Lichter. ‚Mein Gott, das ist es, was ich in der Physik
suche. Ich will verstehen, ich will nicht ausgeliefert sein …
nicht der Angst, nicht dem Schmerz, nicht dem Verlust. Ich
will die Ordnung, die Regeln verstehen und den Ozean, die
Tiefe des Ozeans. Als würde die Tiefe mich dem Verstehen
näher bringen, wie Stéphanie, das ist doch verrückt, was fasziniert
uns nur so sehr daran?‘ .
Gleichzeitig war da eine intensive Präsenz des Augenblicks,
als würde gerade etwas Wichtiges stattfinden. Aber sie konnte
nicht erfassen, was es war, ähnlich wie in ihrem Traum heute
morgen. Wohlmöglich war die Tür zu diesem Raum, von dem
sie nur eine vage Ahnung hatte, noch verschlossen.
‚Ich brauche Zeit, ich brauche einfach noch viel Zeit … aber
gleichzeitig ist da diese Ungeduld.‘ Die leuchtende Kraft des
Augenblicks erlosch langsam. Geronimo hatte ihre Hand ergriffen,
umfasste sie mit seinen rauen Seemannshänden und
drückte sie gegen seine Stirn. „Julie ich bin 79 Jahre alt, das ist
alles, siehst du?“
„Ja Geronimo, ich weiß.“ Sie blickte ihm lange und ruhig in
die Augen, so wie sein Blick in ihr ruhte, und es war, als ob
sie beide gemeinsam in die Tiefen des Ozeans, in die Tiefen
der Seele schauten. Wie ein Gespräch, ein Eintauchen und ein
tiefes Verstehen zugleich.
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Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben und Geronimo
stand auf, um die Fenster zu schließen. Ohne die Sonne
wurde es gleich frisch. Die Luft, durch den ständigen Wind
ausgekühlt, konnte die Wärme nicht speichern und ließ Julie
frösteln.
„Fährst du noch nach Baltimore?“, fragte Geronimo als er
zum Tisch zurückkehrte.
„Woher wusstest du das nun schon wieder? Woher wusstest
du überhaupt, dass ich ans Zurückfahren denke?“ Auch der
Großvater lächelte, als er ihr die Hände auf die Schultern legte.
„Julie, mein Mädchen, du musst noch so viel lernen! Wann
fährst du?“
„Ich hätte Vater noch so gerne getroffen, aber er ist anscheinend
nicht zuhause, so wie Luise mir gesagt hat.“
„Soweit ich weiß, trifft er sich mit Marc in der Schweiz.“
„Weißt du, wie es ihm geht? Ich höre so wenig von ihm. Hat
er seine Wohnung in Arcachon denn noch?“
„Ja, die hat er schon noch. Aber er ist viel unterwegs. Ab und
zu besucht er uns. Das ist immer sehr schön. Ich denke es
geht ihm ganz gut.“
„Dann werde ich mich morgen nach dem Frühstück langsam
auf den Weg machen, Großvater.“ Julie stand auf und küsste
ihn auf die Stirn. Liebevoll hielt er sie an ihrer Schulter fest.
„Ich wünsche dir viel Glück, mein Mädchen.“
„Danke, Großvater.“
Frankreichreise
Überall ist Sand und Wärme und salzige Luft.
Alles scheint möglich.
Das nahe Meer schenkt seinen Rhythmus und seine Bewegung.
Der Wind entblättert die Schichten,
die nicht mehr gebraucht werden,
bis das Gesicht vollkommen frei liegt.
Salzige Lippen berühren Armbeugen,
Halslinien und die zarte, empfindsame Haut
zwischen den Schenkeln.
Die Freude dehnt sich aus,
wächst weit über den Körper hinaus
und lacht und weint zugleich.
Berühren, halten, eintauchen, in geöffnete Körper,
ausgelassene Bewegungen und freie Blicke.
Eintauchen, immer und immer wieder,
eintauchen und abheben
zugleich.
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Reise ins Altaigebirge (ab Seite 478)
Seit Tagen waren sie nun schon mit der Eisenbahn durch die
Weiten der sibirischen Ebene unterwegs. Die Essensvorräte,
die sie sich aus Sankt Petersburg mitgenommen hatten, waren
aufgebraucht. Dadurch mussten sie gelegentlich in den vorderen
Teil des Zuges, um sich etwas zu essen zu kaufen. Ihr Zug
war einer der wenigen, der mit einem einfachen Speisewagen
ausgestattet war. Man konnte dort gebackene Piroggen und
heißen Borschtsch bekommen. Es tat darüber hinaus auch
gut, sich ein wenig zu bewegen.Nachts wurden die Sitze in
ihrem Abteil von Pjotr zum Liegen umgeklappt, so dass sie
einige Stunden schlafen konnten.
Julies Schlaf war unruhig. In den Nächten schob sich das Gesicht
des alten Mongolen in ihre Traumbilder und rüttelte an
ihren Gedanken wie an einer verschlossenen Tür.
Tagsüber saß sie stundenlang am Fenster, mit Blick auf die
weiße Kälte. Kamen sie an einem Dorf oder einer Stadt vorbei,
versuchte sie sich vorzustellen, wie die Menschen, die
vielleicht gerade jetzt in einem der Häuser saßen, aus dem
Fenster schauten und der Bahn nachblickten. Wie sie wohl
dieses rauchende und stampfende Gefährt, diesen Boten aus
einer anderen Welt, anschauten?
Es schien so, dass der Zug allein die sich dahinziehenden
Zeitzonen und Orte miteinander verbinden konnte. Orte,
die ohne Bewegung im Schnee ruhten und nur für sich selbst
da waren. Kaum war die Bahn ratternd und pfeifend im aufstiebenden
Schnee verschwunden, sanken die Häuser wieder
zurück in ihre Abgeschiedenheit, nichts wissend voneinander,
sich selbst überlassen. 380 Orte, die die Reiseroute der Transsibirischen
Eisenbahn säumten, verbunden allein durch das
eiserne Band der endlos scheinenden Schienenstränge.
Sie erinnerte sich an einen Film über den damals gerade achtjährigen
Nurejew, der als Kind tagelang am Fenster seines einfachen
Holzhauses im Städtchen Ufa gesessen hatte und sehnsuchtsvoll
der Transsibirischen Eisenbahn auf ihrem Weg nach
Wladiwostok nachgeschaut hatte. Er hatte sich vorgestellt,
aus welchen fernen, hellen, interessanten und lauten Welten
die Bahn so viele Menschen hierher, in die entlegene Stille
der sibirischen Weite transportierte. Acht Jahre später war
er dann mit seinem ersten selbst verdienten Geld nach – damals
noch – Leningrad aufgebrochen, um im weltberühmten
Kirow-Ballett seine Ausbildung als Tänzer zu beginnen. Die
unterschiedlichen Perspektiven, aus denen man auf diese Reise
schauen konnte, sprangen in Julies Vorstellung hin und her.
Zugehörigkeitsgefühl und Fremdheit, Anziehung und Angst
verwoben sich in ihren Gedanken zu einem Hintergrund, vor
dem ihre Reise stattfand.
Sibirien,
schlafende Erde.
Die Zeit beginnt Risse zu bekommen.
Julies Rhythmus verselbständigt sich
und entzieht sich mehr und mehr ihrer Kontrolle.
Ihr Zeitgefühl
gerät ins Wanken.
Sie kann nicht mehr sagen,
ob die Zeit schnell oder langsam vergeht,
es scheint einfach gar keine Zeit mehr zu geben.
Sie fühlt sich, als wäre sie in eine Spalte gefallen,
irgendwo zwischen die Weltzeiten,
in der es keine Bemessung
von Zeit und Geschwindigkeit mehr gibt.
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Unendliche Zeitreserven,
hier im weißen Land der Seele
aufbewahrt
für immer,
Sibirien,
die schlafende Erde.
Die Gegend veränderte sich langsam. Die spärlich bewachsenen
Ausläufer des Urals wurden abgelöst durch die wilde und
hügeliger werdende Vorgebirgslandschaft. Anderes wiederum
blieb und wiederholte sich mit unverrückbarer Gleichmäßigkeit:
windschiefe Hütten, rostige, zerfallene Fahrzeuge,
zurückgelassen, gerade da, wo sie ihren letzten Dienst getan
hatten. Von großen Reifen aufgewühlte Fahrwege. Beharrlich
wiederkehrende, vage Spuren menschlicher Zivilisation im
endlosen Weiß.
„Wie ungewöhnlich rasch die Sonne hier aufgeht, von einem
Augenblick auf den anderen bannt das Licht die Dunkelheit
der Nacht.“
Julie drehte sich um zu dem Mann, der diese Worte soeben
mit leiser, klarer Stimme in akzentfreiem Französisch zu ihr
gesprochen hatte. Es überraschte sie nicht wirklich, den alten
Mongolen hinter sich stehen zu sehen, der ebenso wie sie
selbst den Aufgang der Sonne über den Bergen verfolgt hatte.
Sie hatten Jekaterinenburg in der Nacht hinter sich gelassen
und befanden sich nun auf ihrem letzten Reiseabschnitt in
Richtung Nowosibirsk.
Die Morgenstunde, kurz vor der aufgehenden Sonne, war für
Julie jedes Mal ein faszinierender Augenblick. Weder abends
noch morgens gab es eine Dämmerung. Hell und Dunkel
gaben sich die Hand, um sich im selben Moment wieder voneinander
zu verabschieden. Einer machte dem anderen Platz,
ohne zu verweilen. Die Fahrtrichtung nach Osten ließ in jenen
Momenten das Gefühl aufkommen, direkt in die Sonne
zu fahren.
Julies Gedanken arbeiteten langsam. Sie sah dem Fremden in
das freundliche Gesicht. Er hatte mit ihr gesprochen, als ob
sie eine gemeinsame Vergangenheit teilen würden. Sie bemühte
sich, ihre Aufmerksamkeit an die Oberfläche ihres Bewusstseins
zu bringen.
„Sie sprechen ungewöhnlich gut Französisch“, wandte sie dem
Mann gegenüber ein, um Zeit zu gewinnen und ihre Gedanken
ordnen zu können.
„Entschuldigen Sie, wenn ich Sie auf Ihrer Reise durch den
weißen See der Seele gestört haben sollte, aber uns bleibt nicht
mehr allzu viel Zeit, nun da wir uns dem Baikal nähern.“
Julie sah den Alten irritiert an. Belustigt wandte dieser sich
wiederum mit einer höflichen Verbeugung an sie.
„Sie müssen mir noch einmal verzeihen, ich habe mich noch
gar nicht vorgestellt, Menachin ist mein Name. Ich bin auf
der Rückreise von Paris nach Irkutsk. Ich war auf einem russisch-französischen
Kongress.“
„Was meinen Sie damit, dass wir nicht mehr viel Zeit haben?“
„Sie fahren bis Nowosibirsk?“
Julie nickte und sah ihn weiterhin fragend an.
„Ich fahre ins Kharkhiraatal. Kennen sie das Kharkhiraatal?“
Er nickte ihr aufmunternd zu.
„Nein, es ist das erste Mal, dass ich in dieser Gegend unterwegs
bin.“
Julie sah sich suchend nach Andrej um. Er hatte lediglich einen
Tee für sie holen wollen, wo blieb er nur?
„Mein Freund kommt von hier.“
Sie fühlte sich unwohl und wurde das Gefühl nicht los, dass
der Mann etwas von ihnen wollte. Der Mongole nickte gedankenverloren.
Sie betrachtete ihn prüfend. Sein Gesicht
voller Lachfältchen. Ein überraschendes Gefühl von Vertraut-
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heit blitzte für einen kurzen Moment auf, verschwand aber sogleich
wieder. Sie dachte an ihren Traum in der letzten Nacht.
Woran rüttelte das Gesicht des Alten? Auch er betrachtete sie,
ohne einen Hehl daraus zu machen.
„Ich habe eine Bitte an Sie.“
„An mich?“
Nun war Julie endgültig verwirrt. Zum Glück kam in diesem
Augenblick Andrej mit den zwei Teetassen. Sie nahm ihm eine
der Tassen ab und deutete zu dem Mongolen.
„Andrej, das ist Menachin.“
„Darf ich mich bekannt machen?“ Menachin reichte Andrej
die Hand und sie begannen sich auf Russisch zu unterhalten.
Andrej nickte ein ums andere Mal, sah zwischendurch aus
dem Fenster auf die vorbeiziehende Schneelandschaft und
dann wieder zu Menachin. Julie wurde immer unruhiger. Am
liebsten hätte sie die beiden unterbrochen, um zu fragen, worum
es ging. Nach einer endlos langen Zeit nahm Andrej ihre
Hand und sah sie an.
„Julie, er hat uns eingeladen. Er lebt im Kharkhiraatal, das ist
nicht weit von dort, wo ich herkomme.“ Seine Stimme blieb
in der Schwebe.
„Aber warum? Was weiß er von uns? Er wusste, dass du von
hier bist. Warum weiß er das?“
„Er kennt Sascha.“
„Sascha?“ Sie sah zu Menachin.
Ihre Gedanken versuchten mühsam ein Bild zu formen.
„Ja, er hat ihn in Nowosibirsk getroffen.“
„Wollen wir uns ein wenig zusammensetzen? Hier vorne vielleicht?“
Sie gingen an das Ende des Abteils, wo vor dem Durchgang
zum nächsten Waggon drei ausklappbare Sitze um einen kleinen
Tisch herum angebracht waren.
„Dort, wo ich herkomme“, begann der Mongole, jetzt auf
Englisch, „einer entlegenen Region im Hochaltai, gibt es ein
sehr, sehr altes Ritual, das wir vor einigen Jahren wieder zum
Leben erweckt haben. Es ist das Winterfeuer. Das Winterfeuer
ist das stärkste aller Feuer. Es ist stark, weil es uns zeigt, dass
ein Feuer selbst in den kältesten, unwirtlichsten Gegenden,
auch unter schlechtesten Bedingungen wie in Eis, Kälte und
Schnee, brennen kann. Es kann wärmen, Licht bringen und
die Menschen um sich sammeln. Das Winterfeuer ist ein Bild
dafür, was wir als Menschen tun können, solange uns das Leben
auf dieser Erde geschenkt ist. Brennen, leuchten, wärmen.
Für uns selbst und für alle, die sich, kurz oder lang, in unserer
Nähe aufhalten. Es ist unerheblich, wo wir das tun und womit
wir gerade beschäftigt sind, ob die Bedingungen günstig
oder ungünstig sind, ob wir viel haben oder nichts. Das Winterfeuer
lehrt uns, dass jeder, der den Funken, die Urquelle
seiner Kraft gefunden hat, auch in Schnee und Eis, auch in
Einsamkeit und Dunkelheit zu brennen vermag.
Ein Winterfeuer ist ein aus der Tiefe gespeistes Feuer. Ein
Winterfeuer darf, wenn es einmal brennt, nicht erlöschen.
Denn anders als ein Feuer im trockenen, heißen Sommer, wo
jeder dürre Zweig sofort lichterloh entflammt, ist ein einmal
erloschenes Winterfeuer nur schwer wieder zu entfachen. Wer
ein Winterfeuer anzündet, muss sich dieser Verantwortung
bewusst sein.“
Menachin machte eine Pause, sein Blick schweifte zum Fenster,
verharrte, kehrte zurück. Er schien die passenden Worte
für die nächsten Sätze zu suchen.
„Ihr werdet euch natürlich fragen, was das alles mit euch zu
tun hat. Nun, es ist so, dass unsere Gruppe beschlossen hat,
dass ihr beide dieses Jahr an der Zeremonie des Winterfeuers
teilnehmen sollt. Es ist an der Zeit, dass ihr zurückkehrt und
fortführt, was einst begonnen wurde.“
„Andrej.“ Julie sah sich hilfesuchend zu ihm um. Ihr Herz
klopfte bis zum Hals. Unmerklich öffnete sich das Tor zu einer
anderen Welt und der Boden unter ihren Füßen schwank-
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te. „Ich verstehe überhaupt nichts. Was meint er mit zurückkehren
und fortführen? Warum denn gerade wir? Was weiß er
von uns?“
Andrej schüttelte den Kopf und sah nachdenklich zu Menachin.
Er fragte ihn etwas auf Russisch, worauf dieser lachend
den Kopf schüttelte.
„Wir warten jetzt schon so lange auf euch!“
„Aber das ist doch unmöglich, wir hatten doch eine ganz andere
Reise vor!“
„Ja, auch das weiß ich.“ Der Mongole holte tief Luft und unterdrückte
eine leise aufsteigende Ungeduld.
„Du kannst für alle Zeiten von außen auf ein Wasser schauen,
die funkelnde Oberfläche bewundern und dich fragen, was sie
wohl verbirgt. Aber erst wenn du hineintauchst, entdeckst du
die Tiefe, fühlst das Wasser auf deiner Haut und kannst die
Faszination der unendlichen Unterwasserwelt begreifen.“
Der Mongole lehnte sich jetzt entspannt zurück.
„Und nun ist es an der Zeit.“
„Frank Bahro“, murmelte Julie und schloss die Augen. Sie sah
das Gesicht des Professors vor sich auftauchen, wie er kurz vor
ihrer Abreise seine Lesung gehalten hatte. ‚Du kannst von außen
auf das Wasser schauen oder hineintauchen.‘
Er lächelte ihr zu. ‚Na Julie, das wollten Sie doch erleben,
oder? Jetzt ist es da, das Leben kommt zu Ihnen, zögern Sie
nicht!‘
Andrej war aufgestanden und lehnte sich ans Fenster. Die
ersten Reisenden bereiteten sich schon darauf vor, bald auszusteigen.
Koffer und Taschen wurden an ihnen vorbeigeschoben,
Unruhe kam auf. Sie würden demnächst Nowosibirsk
erreichen.
„Was machen wir denn jetzt, Andrej?“
„Ich weiß es auch nicht. Ich muss ohnehin zuerst mit der Uni
in Nowosibirsk Kontakt aufnehmen. Nächste Woche sind ja
die Vorträge. Vielleicht finden wir Sascha, das würde uns weiterhelfen.“
„Hat er einen Termin genannt für dieses Feuer?“
Julie sah aus den Augenwinkeln zu Menachin, der auch aufgestanden
war, um den vorbeidrängenden Menschen mit ihrem
Gepäck Platz zu machen.
„Tsagan-Sar.“
„Das Neujahrsfest?“
„Ja.“
„Wir wollten in Ashkat sein zu diesem Fest.“
„Ja, eigentlich schon.“
Julie sah aus dem Fenster. Die Sonne ließ die aufstiebenden
Schneekristalle glitzern und funkeln. An einem kahlen Baum
unweit der Bahnlinie hatte jemand farbige Stoffstreifen in die
Äste gebunden. Julie musste lächeln. Ihr Herz tat sich auf und
die Weite der Landschaft floss in sie hinein. Die ersten Vorboten
der Stadt tauchten auf. Nun würden sie bald da sein und
sie wunderte sich, wie schnell die Zeit auf einmal vergangen
war, ohne dass es ihr schnell vorgekommen wäre.
„Wir müssen auch langsam unser Gepäck holen, Julie.“
Sie hatten beide ihre Rucksäcke dabei, die noch in ihrem Abteil
standen.
„Ich wünsche euch eine gute Zeit in Nowosibirsk.“ Menachin
verabschiedete sich freundschaftlich von ihnen. Er schien es
nicht für nötig zu halten, weitere Absprachen zu treffen. Als
Julie ihm die Hand reichte, zwinkerte er ihr zu. „Bis bald.“
Julie lächelte zurück. In diesem Augenblick wusste sie, dass sie
ins Kharkhiraatal fahren würden.
Dann ging alles schnell. Der Zug fuhr mit quietschenden
Bremsen in den Bahnhof ein. Türen gingen auf, Rufe und
Gedränge, Blinzeln angesichts des hellen Lichtes, das sie alle
empfing. Dann: Türenschlagen, Pfiffe und die Bahn machte
sich wieder auf ihren Weg, weiter in Richtung Osten.
„Andrej Karinov?“
Andrej sah sich um. Ein hochgewachsener, junger Mann kam
auf sie zu. In einer Hand hielt er eine zusammengerollte Tageszeitung.
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„Viktor.“ Er deutete eine leichte Verbeugung an.
„Ah, Sie kommen uns abholen! Das ist aber nett. Professor
Luskaja hatte mir gar nichts davon gesagt!“
Sie begrüßten sich gegenseitig, freudig überrascht. Viktor hob
Julies Rucksack hoch. „Darf ich? Das Auto steht leider ein
wenig entfernt von hier. Keine Parkplätze, immer dasselbe!“
Er lachte, berührte Julie kurz am Arm und deutete in eine
Richtung durch das Menschengewühl. Sein Englisch war sehr
gewählt, aber von einem starken russischen Akzent gefärbt.
„Wir haben ein Zimmer im Zentrum bestellt, für Sie beide,
das ist leichter, wenn Sie noch ein wenig unterwegs sein wollen.
Für Akademgorodok, Professor Luskaja, holen wir Sie
dann mit dem Wagen ab, ist dies in Ordnung?“
Andrej nickte und verstaute die Rucksäcke im Kofferraum des
alten Lada. Trotz der Sonne ging ein kalter Wind.
Müdigkeit übermannte ihn. Er war froh, dass Viktor gekommen
war, um sie abzuholen. Auf dem Weg zum Hotel sprachen
sie ein wenig über den Winter, der den ohnehin schon
schlechten Straßen der Stadt wieder arg zugesetzt hatte. Sie
unterhielten sich auf Russisch. Julie schloss die Augen und
folgte dem warmen, singenden Klang der Stimmen.
Ankommen,
tastende Bewegungen,
zögernde Blicke
hinter die dünner werdenden Schleier.
Das Erkennen entzieht sich noch,
schlüpft wie ein scheues Tier
Schicht um Schicht tiefer.
Sie legt ihre Hand
auf die raue braune Erde,
die der Frost
noch fest umklammert hält.
Der Puls darunter
schlägt jedoch weich und warm
und sein gleichmäßiger Rhythmus
versorgt ihren Körper bis in die feinsten Kapillaren.
Unwichtiges fällt ab,
wird zu Staub
und der Wind nimmt es freudig auf.
Freude und Weite breiten sich in ihr aus
und das dicht beschriebene Blatt ihrer eigenen Geschichte
beginnt sich zu leeren.
Salz im Meer,
lebensspendende Kraft,
Hingabe,
Liebe.
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Die fest geschlossene Faust
gibt jedoch
den so gut gehüteten Schatz
noch nicht preis.
Immer wieder
sich neu herausbildende
und kurz darauf
wieder auflösende Kristalle
von unbeschreiblicher Schönheit!
Angst vor dem Verlust
formgebender Struktur.
Sehnsucht nach dem Verlust
formgebender Struktur!
Die lichtdurchflutete
Wasseroberfläche
beglückt und verhindert zugleich.
Verhindert den Blick
zum Meeresgrund.
Dorthin, wo die Muschel liegt.
Die Muschel,
die dem Schatz
seit Äonen ihre schützende Hülle leiht.
Weitere Hintergrundinfos und
aktuelle Termine finden Sie auf
www.julie-roman.de
Lyrics als Kalligraphien
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Salz
im
lebensspendende Kraft,
Hingabe,
Liebe.
Die fest geschlossene Faust
gibt jedoch
den so gut gehüteten Schatz
noch nicht preis.
Immer wieder
sich neu herausbildende
und kurz darauf
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Angst vor dem Verlust
formgebender Struktur.
Sehnsucht nach dem Verlust
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Die lichtdurchflutete
Wasseroberfläche
beglückt und verhindert zugleich.
Verhindert den Blick
zum Meeresgrund.
Dorthin, wo die Muschel liegt.
Die Muschel,
die dem Schatz
seit Äonen ihre schützende Hülle leiht.
Lyrics aus dem Roman „Julie und der Klang des Meeres, 2012“ Armgard Schörle
Liebe Lesenden,
mit Stéphanies Frage nach dem Salz im Meer, begann
vor vielen Jahren auf einer kleinen Insel im Mittelmeer,
das Abenteuer dieses Romans.
Ich habe mich auf die Reise gemacht ihn aufzuschreiben.
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JULIE UND DER KLANG DES MEERES
ist die Geschichte einer großen und sinnlichen Liebe,
zwischen Julie und Andrej, aber auch der Liebe zum Leben.
Sie erzählt von der Entdeckung der Freiheit zu SEIN, dem
Geschenk der Lebendigkeit und von der verbindenden Kraft
der Musik.
JULIE UND DER KLANG DES MEERES ist eine Einladung,
sich auf die Reise zu begeben und einzutauchen.
Bereichert wieder aufzutauchen und die Flügel auszubreiten.
Sich überraschen zu lassen von der Geschichte an sich,
von den Menschen und Orten, an die sie führt und vom
Leben selbst, das so viel größer sein kann,
als unsere Vorstellung darüber.
Dann, wenn wir uns ihm öffnen.
„If you want to sing out, sing out,
and if you want to be free, be free!“ (cat stevens)
glückliche Reise
Armgard
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