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Julie und der Klang des Meeres. Leseprobe

Liebe Lesenden, mit Stephanies Frage nach dem Salz im Meer, begann vor vielen Jahren auf einer kleinen Insel im Mittelmeer, das Abenteuer dieses Romans. Ich habe mich auf die Reise gemacht ihn aufzuschreiben. JULIE UND DER KLANG DES MEERES ist die Geschichte einer großen und sinnlichen Liebe, zwischen Julie und Andrej, aber auch der Liebe zum Leben. Sie erzählt von der Entdeckung der Freiheit zu SEIN, dem Geschenk der Lebendigkeit und von der verbindenden Kraft der Musik. JULIE UND DER KLANG DES MEERES ist eine Einladung, sich auf die Reise zu begeben und einzutauchen. Bereichert wieder aufzutauchen und die Flügel auszubreiten. Sich überraschen zu lassen von der Geschichte an sich, von den Menschen und Orten, an die sie führt und vom Leben selbst, das so viel größer sein kann, als unsere Vorstellung darüber. Dann, wenn wir uns ihm öffnen. „If you want to sing out, sing out, and if you want to be free, be free!“ (cat stevens) glückliche Reise Armgard

Liebe Lesenden,

mit Stephanies Frage nach dem Salz im Meer, begann vor vielen Jahren auf einer kleinen Insel im Mittelmeer, das Abenteuer dieses Romans.
Ich habe mich auf die Reise gemacht ihn aufzuschreiben.

JULIE UND DER KLANG DES MEERES
ist die Geschichte einer großen und sinnlichen Liebe, zwischen Julie und Andrej, aber auch der Liebe zum Leben. Sie erzählt von der Entdeckung der Freiheit zu SEIN, dem Geschenk der Lebendigkeit und von der verbindenden Kraft der Musik.

JULIE UND DER KLANG DES MEERES ist eine Einladung, sich auf die Reise zu begeben und einzutauchen.
Bereichert wieder aufzutauchen und die Flügel auszubreiten. Sich überraschen zu lassen von der Geschichte an sich, von den Menschen und Orten, an die sie führt und vom Leben selbst, das so viel größer sein kann, als unsere Vorstellung darüber. Dann, wenn wir uns ihm öffnen.

„If you want to sing out, sing out,
and if you want to be free, be free!“ (cat stevens)

glückliche Reise
Armgard

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Armgard Schörle

ROMAN

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ISBN 978-3-926341-25-9

1. Auflage Januar 2012

620 Seiten

Hardcover, Gebundene Ausgabe

© Buch & Bild Verlag · Hajo Schörle · Nagold

Industriegebiet Wolfsberg · 72202 Nagold

www.schoerle.de

Druck: ANROP LTD Israel

Titelbild, Gestaltung:

Hajo Schörle, w&d · werbung & design · Nagold

Bild- und Kunst Urheber Nr. 412 646

Lektorat:

Johanna Stotz, Bettina Flossmann

Songtexte im Buch:

Die Rechte liegen bei den jeweiligen Rechteinhabern.

Einzelnachweise siehe Anhang.

Julie

und der Klang des Meeres

Armgard Schörle



Reisen!

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Baltimore,

Irland

Hendaye,

Südfrankreich

Paris

Zürich

Fehmarn

Berlin

Annaburg

Kroatien,

Plitvicer Seen

Die Flügel ausbreiten,

den Staub aus struppigem Gefieder schütteln,

mutig den Blick heben,

der Gemütlichkeit adieu sagen,

neuen Welten entgegentreten,

eintauchen, annehmen, was da ist,

und weitergehen.

Offen, ohne Furcht, ohne Erwartung,

ohne Landkarte.



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ef

„Julie!“

Das Flirren südlicher Hitze vermischte sich mit dem leisen

Geklapper blauweißer Emaillebecher und schob sich erbarmungslos

in Julies Träume.

„Julie, le petit déjeuner!“

Tiefschwarzer Kaffeegeruch kam hinzu und Julies Traum

drohte endgültig zu entgleiten. Sie warf sich unruhig von einer

Seite zur anderen, so dass das alte französische Doppelbett

ächzte und knarrte. Verzweifelt versuchte sie den letzten Zipfel

ihres Traumes festzuhalten, der durch seine Intensität ihren

ganzen Körper, all ihre Sinne und ihr Fühlen erfasst hatte.

Plötzlich schoss ihr die südfranzösische Hitze wie ein glühender

Strahl durch den Körper und ließ ihr Herz für einen Moment

aussetzen. Sie öffnete die Augen und fuhr sich mit einer

heftigen Geste durch die langen, dunklen Haare. Zögernd

drehte sie sich zur Seite. Nein, da war niemand. Dabei hätte

sie schwören können, jemand hätte sie berührt, mit einer

zärtlichen Geste ihr Haar zur Seite geschoben und über ihre

nackte Schulter gestreichelt. Verwirrt umschlang sie mit den

Armen ihre hochgezogenen Knie. Fröstelnd, trotz der Hitze,

zog sie ihre Schultern hoch.

Der Mann, von dem sie geträumt hatte … nein, das war

überhaupt nicht wie ein Traum gewesen, eher wie eine wirkliche,

körperliche Begegnung. Sie sah sich nochmals um. Für

einen flüchtigen Moment meinte sie den Geruch seines nach

Meerwasser riechenden Körpers zu erkennen. Der Klang seiner

Stimme, von einem fremden Akzent gefärbt, schien noch

im Raum zu schweben und Julie hörte sein warmes, leicht

ironisches Lachen so klar, als ob er eben noch neben ihr gelegen

hätte. Doch das eigentlich Beunruhigende daran war das

Feuer, das seine Berührung auf ihrer Haut entfacht hatte. Ihr

Herz schlug heftig gegen die Rippen.

Aber nein, so etwas war doch nicht möglich, sie schüttelte den

Kopf um die Eindrücke des Traumes loszuwerden. Es klopfte

jetzt an der Tür, die im gleichen Moment einen kleinen Spalt

aufging, so dass gerade ein sommersprossiges Gesicht mit zwei

grünen, vorwurfsvoll blickenden Augen zu erkennen war.

„Julie, Maman wartet mit dem Frühstück auf dich.“

Die allwissend scheinenden Kinderaugen ruhten auf Julie.

„Was ist mit dir? Du siehst irgendwie komisch aus.“

„Stéphanie, mach, dass du rauskommst, du kleine Katze, ich

komme ja gleich, lass mir noch einen Moment.“

„Ich will ja nur wissen …“

Der Hausschuh, den Julie Richtung Tür schleuderte, verfehlte

Stéphanie bei weitem. „Du hast auch schon besser geworfen!“

Kichernd huschte die Kleine aus dem Zimmer, sie hatte die

Türe einfach losgelassen, die daraufhin zuglitt und mit einem

weichen Knacken ins Schloss fiel. Das Kind hüpfte, immer

zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter.

Julie ließ sich ins Bett zurückfallen. Laut aufstöhnend wälzte

sie sich in den weißen Kissen, ließ ihre schlanken, gebräunten

Hände zwischen ihre Beine gleiten und sehnte sich nach der

Berührung dieses Mannes zurück. Sie konnte es nicht fassen,

dass es möglich war, so heftig für jemanden zu empfinden,

den es definitiv nicht gab.

„Oh Julie“, sagte sie zu sich selbst, „du bist verrückt, hör auf,

dich in solche Dinge immer so hineinzusteigern, Schluss jetzt,

steh auf!“ Diese Art von Selbstgesprächen hatte sie angefangen

zu führen, seitdem ihre Mutter vor über 20 Jahren gestorben

war, und manchmal war es so, als ob sie der fürsorglichen

Stimme ihrer Mutter Ausdruck verleihen könnte, indem sie

sie an sich selbst richtete. Widerstrebend schob sie die Beine

über die Bettkante, ließ sie eine Weile dort baumeln, tappte

mit nackten Füßen über den kühlen Fliesenboden zum

Waschbecken und warf einen Blick in den ovalen Spiegel darüber.



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„Ach Gott“, verdrehte sie die Augen. „Wie sehe ich denn

aus?“ Unvermittelt spürte sie den Schmerz der vergangenen

Tage, der Tage seit Frans Tod wieder in sich aufsteigen, als

sie in ihr vom vielen Weinen erschöpftes Gesicht im Spiegel

blickte. Sie hatte geglaubt, da wären überhaupt keine Tränen

mehr, aber als sie jetzt, für einen kurzen Augenblick, Frans

Gesicht vor sich auftauchen sah, wie er sie zuletzt an der Wange

berührt und ihr alle Angst genommen hatte, da schossen

ihr die Tränen sofort wieder aus den Augen.

Jahre würden nicht ausreichen, um den Schmerz und die

Schuldgefühle zu besänftigen, die Frans Tod in ihr ausgelöst

hatten. Während Julie sich das Gesicht wusch und versuchte,

wieder einen klareren Blick zu bekommen, schwirrten unaufhörlich

die Bilder ihrer letzen Reise mit Fran durch ihren

Kopf. Sie bemühte sich, sie beiseite zu schieben. Sie wollte

nicht mehr weinen und sie wollte auf keinen Fall mehr die besorgten,

mitleidigen Blicke der anderen auf sich ruhen sehen.

Es war ihr Schmerz, ihrer allein. Außer natürlich Anna, mit

Anna konnte sie den Schmerz teilen, sie war die Einzige.

Sie schminkte sich ein wenig und bürstete ihre dunklen, langen

Haare, die irgendwie immer so aussahen, als sei gerade

der Wind hindurchgefegt. Sie lächelte still in sich hinein. Née

de la mer! – ihr Vater hatte ihr früher diese Geschichte erzählt,

aus dem Meer geboren zu sein. Es hatte sie getröstet. Sie war

immer schon gerne am Meer gewesen, fühlte sich ohne Furcht

vor der Wucht der Gezeiten und so zu Hause dort, dass sie

mit dem Meer wie mit ihrer Mutter sprechen konnte.

Der Kaffeegeruch tat gut. Als sie die Tür der geräumigen, hellen

Küche öffnete, kam ihr Tante Luise sofort entgegen und

drückte sie an ihre Brust.

„Mein Liebes, wie geht es dir?“

„Es geht, Luise, danke. Hast du noch einen Kaffee für mich?“

Während Luise erleichtert war etwas tun zu können und mit

dem blau-weißen Geschirr zu hantieren begann, wanderte

Julies Blick zur Küchenbank am Fenster. Sie musste schmunzeln.

Ohne es bewusst gesehen zu haben, hatte sie, seit sie den

Raum betreten hatte, Geronimos Blick auf sich gespürt, der

ans Fenster gelehnt auf der alten Holzküchenbank saß. „Na,

kommst du ein wenig zu mir, mein Mädchen und lässt mich

in deine tiefgründigen Augen schauen?“

„Ach Großpapa …“ Sie setzte sich auf den Platz am Tisch ihm

gegenüber, den Kopf auf die Hände gestützt. Geronimo lehnte

sich über den Tisch zu ihr, hob mit dem Zeigefinger der

linken Hand ihr Kinn ein wenig an, bis er ihr in die Augen

schauen konnte. „So ist’s besser, mein Mädchen. Und wie geht

es dir nun wirklich?“

„Geronimo, hör auf, mich so anzuschauen, ich weiß, dass du

bis auf den Grund meiner Seele schauen kannst, aber ich kann

noch nicht darüber reden, bitte!“ Julies Blick begann schon

wieder zu verschwimmen, als die Tränen in ihr hochstiegen.

„Ist ja gut, ich schau ja gar nicht mehr hin!“ Lächelnd stand er

auf, kam um den Tisch herum, setzte sich neben Julie auf die

Bank und zog sie an sich.

Julie lehnte sich an seine kräftige Schulter. ‚Wie früher‘, dachte

sie und musste auch lächeln. Wie er das nur immer wieder

schaffte, sie so weich zu kriegen. Niemand sonst hatte es je

geschafft, so in sie hineinzublicken, sie so zu erreichen, sämtliche

ihrer Warnsysteme und Sicherungsanlagen in aller Seelenruhe

zu umgehen und plötzlich mitten in ihrem Innersten

zu stehen. Was sie bei niemand anderem geduldet hätte, ließ

sie bei ihm geschehen, schmunzelnd, manchmal auch empört,

wenn er sie wieder einmal überrumpelt hatte.

Sie liebte ihn.

Ihr Großvater war sein Leben lang Fischer gewesen und war

es in seiner Seele immer noch. Seit über zwei Jahren konnte

er nicht mehr selbst aufs Meer hinausfahren. Aber jeden Morgen,

in aller Herrgottsfrühe, wenn die anderen Fischer nach



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und nach am Hafen eintrafen um ihre Boote zu beladen und

die Leinen der schnell in See stechenden Schiffe ans Ufer warfen,

war auch er da. Immer, Morgen für Morgen, und Julie

war sich sicher, dass er in Gedanken und im Herzen noch genauso

mit ihnen in See stach wie all die Jahre zuvor. Das Gleiche

mittags, wenn die Boote schaukelnd, mit leichter Schräglage

manchmal, je nach Fang, wieder in den Hafen einliefen.

Wenn es so warm war wie jetzt, dann half er gelegentlich

noch, die vom Einholen zerrissenen Netze wieder zu flicken

oder die Planken der ‚Mathilde‘ zu schrubben, während die

weißen Möwen kreischend und flügelschlagend das Boot umschwirrten.

Am Nachmittag, wenn dann alles vorüber war, saß

er noch auf der Kaimauer, rauchte Pfeife oder redete mit den

anderen Fischern über ihren Tag. Julie war einmal aufgefallen,

dass er auch hier wenig von sich erzählte, wohl aber alle anderen

sehr offenherzig von ihren Erlebnissen, ihren Ängsten und

Hoffnungen berichteten, wenn er dabei war. Seine Gegenwart

allein, das Funkeln seiner meerblauen Augen und sein Blick

schienen nicht nur bei ihr Schleusen zu öffnen.

Sie schaute ihn von der Seite an. Sein Gesicht, im Profil betrachtet,

war markant. Die Sonne, der Wind und das Meerwasser

hatten seine Haut mit den Jahren gegerbt wie Leder.

Fast immer hatte er einen Dreitagebart. Seltsamerweise konnte

sich Julie allerdings nicht daran erinnern, ihn jemals rasiert

erlebt zu haben. Er roch nach Tabak, nach Holz und nach der

See. Sie liebte diesen Geruch über alles. Wenn es irgendetwas

gab, das für sie Heimat bedeutete, dann war es wohl dieser

Geruch. Heute hatte er ihren Lieblingspullover an, einen dunkelblauen

gerippten Seemannspullover, den er wahrscheinlich

tragen würde, bis er ihm vom Leib fiel, sehr zum Leidwesen

von Tante Luise, die ihn nie waschen durfte. Geronimo war

damals, als Julies Mutter gestorben war, hierher zu ihr und

ihrem Vater gezogen. Zu dritt hatten sie mehrere Jahre in der

kleinen Fischerhütte am Meer gelebt, bis ihr Vater und sie in

die Stadt gegangen waren. Ihre Mutter hatte das kleine Haus

als junges Mädchen entdeckt, als sie einmal am Strand entlanggeritten

war. Sie hatte sich sofort in diesen besonderen

Ort verliebt und es war ihr Traum gewesen, hier irgendwann

einmal zu leben.

Zum Küchenfenster hinaus sah man direkt in die schäumende

Gischt des Atlantiks. Die Wellen brachen sich an zwei riesigen

Felsbrocken, die schräg gegenüber der Hütte in der brandenden

See lagen. Die Rückseite der Hütte war geschützt durch

die direkt dahinter ansteigenden Dünen und eine Gruppe

windzerzauster Kiefern. Als Kind war Julie wie ein Junge auf

ihnen herumgeklettert, hatte vom höchsten Punkt aus Ausschau

gehalten, nach den zurückkehrenden Booten, nach der

untergehenden Sonne oder eventuell eintreffenden Besuchern.

Mehr als einmal hatten Geronimo und ihr Vater sie mit gebrochenen

Rippen, verstauchten Fuß- oder Handgelenken ins

nahe gelegene Krankenhaus nach Arcachon fahren müssen.

Geronimo hatte sie jedes Mal angeschaut, sehr ernst und ohne

zu schimpfen, hatte er nur diesen Blick auf ihr ruhen lassen,

der um alles wusste. Der um ihre Lust wusste, bis an die

Grenzen und darüber hinaus zu gehen, von ihrer unbändigen

Kraft und ihrer tiefen Empfindsamkeit, für die sie zu dieser

Zeit noch keine Ausdrucksmöglichkeit gefunden hatte. Er

hatte sie zum Auto getragen, ihr die Hand gehalten, während

ihr Vater das Auto lenkte und hatte nur geschmunzelt, wenn

sie ihm drei Wochen später bereits wieder von den höchsten

Kiefern entgegenwinkte.

Und auch wenn er über all das wenig Worte verlor, so, wie

er überhaupt nur sprach, wenn er Lust dazu hatte, so war er

doch für Julie immer präsenter gewesen als ihr Vater. Jetzt,

Jahre später, konnte sie auch besser verstehen, warum das so

gewesen war. Sie vermutete, dass ihr Vater den Tod ihrer Mutter

nie wirklich verwunden hatte. Ein Teil von ihm war ihr gefolgt,

ein anderer Teil war notgedrungen bei ihr, Julie, geblie-



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ben. Auf seine Art hatte er sie auch geliebt. Aber sowohl er als

auch Julie waren froh gewesen über Geronimos Gegenwart,

die dem Dasein oft die Schwere genommen hatte.

Tante Luise stellte den dampfenden Becher mit schwarzem,

süßem Kaffee vor Julie auf den Tisch, so dass sie abrupt aus

ihren Erinnerungen zurückkehrte. Im selben Augenblick kam

Stéphanie, ihre kleine Cousine, in die Küche gehüpft.

„Hey, da bist du ja endlich, du Schlafmütze!“, ließ sie sich

neben ihr auf die Küchenbank fallen. „Wie lange willst du eigentlich

noch bleiben?“, fragte sie im gleichen Moment.

„Oh Stéphanie, du bist schrecklich unhöflich! Ihr fehlt einfach

ein vernünftiger Umgang“, wandte sich Tante Luise entschuldigend

Julie zu. Die stand mit einer geschmeidigen Bewegung

auf, drehte sich zu Stéphanie, umfasste deren schmalen Körper

mit beiden Händen und kitzelte sie, bis sie kreischend um

den Tisch herumsprang und so zu entwischen suchte. „Nein,

nicht, lass mich los, du bist viel größer und stärker als ich, Julie,

hör auf, ich kann nicht mehr!“ Sie hielt einen kleinen Moment

inne, aber nur, um Stéphanie kurz Luft holen zu lassen.

„Dafür bist du viel frecher als ich!“, stürzte sie sich wieder auf

das Mädchen. Aber dieses Mal war Stéphanie schneller und

schlüpfte unter dem Tisch hindurch, um auf der anderen Seite

hinter Geronimos kräftigem Rücken Schutz zu suchen. „Warte,

ich will dich doch nur etwas fragen!“

„Na dann frag schon, los!“

„Julie, weißt du, wie das Salz ins Meer kommt?“

„Was, wie das Salz ins Meer kommt? Was ist das für eine lustige

Frage. Ich könnte dir erzählen, wie man es wieder herausholt,

wenn dir das hilft!“

Stéphanie wandte sich enttäuscht ab, weil Julie ihre Frage

nicht ernst nahm. Der tat ihre Reaktion im selben Moment

leid und sie zog Stéphanie zu sich auf den Schoß. „Na komm

schon, tut mir leid, ich wusste nicht, dass es wirklich wichtig

für dich ist. Wie kommst du denn darauf?“ Stéphanie

schmollte noch ein wenig, richtete sich dann aber kerzengerade

auf, um Julie mit aller Ernsthaftigkeit, die ihr mit ihren

elf Jahren möglich war, anzuschauen. „Weißt du, ich muss

das wissen, weil, ich mache Forschungen, solche Forschungen

mit Paul zusammen.“ Julie musste sich beherrschen, um nicht

wieder loszuprusten. „Forschungen? Mit Paul? So, so, das

klingt ja hochinteressant.“

„Ach Julie, du kannst scheußlich sein.“ Zornig trommelte Stéphanie

mit ihren Fäusten auf sie ein. Aber Julie packte sie an

beiden Handgelenken, hielt diese fest umschlossen und schaute

Stéphanie direkt in ihre grünen Augen.

„Nun erzähl schon, ich hör dir ja zu.“

Zögernd und unruhig mit den Fingern an ihren rotblonden

Haaren herumnestelnd nahm Stéphanie einen neuen Anlauf.

Sie ärgerte sich wirklich über Julie. Wenn ihr die Sache nicht

so wichtig gewesen wäre, hätte sie schon längst das Feld geräumt.

Aber sie hatte Paul fest versprochen, Julie zu fragen,

und sie wollte ihn auf gar keinen Fall enttäuschen, indem sie

mit leeren Händen zurückkam. Also holte sie tief Luft und

versuchte, nur das Allernotwendigste erwähnend, ihre Lage zu

erklären. „Wir machen Forschungen über das Salz im Meer,

und am Strand, und in den Felsen … und so“, stockte sie unsicher,

was sonst überhaupt nicht ihre Art war. „Paul und ich

wollen nämlich berühmt werden mit unseren Forschungen, so

wie du!“, setzte sie nach einer keinen Pause trotzig hinzu. Julie

musste nun doch schmunzeln und sah aus dem Augenwinkel

auch Geronimo in seinen Dreitagebart hineingrinsen.

„Stéphanie, ich bin doch überhaupt nicht berühmt.“ Stéphanie

unterbrach sie ungehalten. „Natürlich bist du das, wir haben

deine Artikel im ,National Geographic‘ gelesen, und da

steht, mit wem du da alles zusammengearbeitet hast, so!“ Jetzt

war Julie tatsächlich sprachlos.

„Ihr habt was? Diese komplizierten Untersuchungen … das



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kann doch kein normaler Mensch lesen! Ich meine, entschuldige,

das ist natürlich klasse, aber wo in aller Welt bekommt

ihr denn hier den ,National Geographic‘?“

„Mein Geheimnis. Aber jetzt sag mir doch bitte endlich das

mit dem Salz, Julie.“ Sie schaute zu Geronimo, der sie interessiert

betrachtete, auch Tante Luise war an den Tisch gekommen

und blickte gespannt auf Julie.

„Hey, ich habe keine Ahnung, ich muss euch ehrlich enttäuschen.

Ich habe zwar in der Geophysik mit dem Meer zu tun,

aber es geht da … na wie soll ich euch das erklären?“

„Es geht um die Ausbreitung seismischer Wellen“, fiel ihr

Stéphanie ins Wort, ergänzte jedoch schnell: „Hab aber keine

Ahnung, was das ist.“ Julie lachte nun lauthals. „Das gibt’s

doch gar nicht, also gut, du freche Göre, du hast mich überzeugt.

Ich verspreche dir, dass ich herausfinden werde, wie das

Salz ins Meer kommt, bis ich euch das nächste Mal besuchen

komme, abgemacht?“

„Du bist mir vielleicht eine, schlimmer als ich“, fügte sie

kopfschüttelnd, mehr zu sich selbst, hinzu. „Denkst du, dein

Paul wird damit zufrieden sein?“

„Verdammt noch einmal, er ist nicht ‚mein Paul‘!“

Stéphanie stapfte wütend zur Tür, drehte sich dann aber doch

noch einmal um. „Julie, aber versprochen ist versprochen,

okay?“

„Ja, Stéphanie, versprochen ist versprochen“, versicherte sie

ihr nun ernst.

Nachdenklich umfasste sie ihren Kaffeebecher und drehte ihn

zwischen den Händen, nachdem Stéphanie den Raum verlassen

hatte. „Sag mal Geronimo“, wandte sie sich ihrem Großvater

zu, dessen Blick auf die tanzenden, weißen Schaumkronen

der unruhigen See hinausgewandert war. „Glaubst du

nicht, es wäre besser, Stéphanie würde für eine Zeit lang zu

Vater nach Arcachon ziehen? Sie könnte auf die Schule nach

Bordeaux. Ich meine, sie braucht einfach andere Anregungen.“

Der Großvater sprach, ohne seinen Blick vom Meer abzuwenden.

„Julie, ich weiß nicht, wie lange ich noch leben werde

und sie wollen mich nicht alleine hier lassen.“ Julies Herz

krampfte sich heftig zusammen, aber sie wollte sich nichts anmerken

lassen und legte ihre Hand zärtlich auf seinen Unterarm.

„Du bist aber nicht krank oder so etwas?“, fragte sie mit

leiser Stimme und folgte dabei seinem Blick aufs Meer hinaus.

Unruhige Gedanken schossen ihr durch den Sinn, wie aufflackernde

Lichter. ‚Mein Gott, das ist es, was ich in der Physik

suche. Ich will verstehen, ich will nicht ausgeliefert sein …

nicht der Angst, nicht dem Schmerz, nicht dem Verlust. Ich

will die Ordnung, die Regeln verstehen und den Ozean, die

Tiefe des Ozeans. Als würde die Tiefe mich dem Verstehen

näher bringen, wie Stéphanie, das ist doch verrückt, was fasziniert

uns nur so sehr daran?‘ .

Gleichzeitig war da eine intensive Präsenz des Augenblicks,

als würde gerade etwas Wichtiges stattfinden. Aber sie konnte

nicht erfassen, was es war, ähnlich wie in ihrem Traum heute

morgen. Wohlmöglich war die Tür zu diesem Raum, von dem

sie nur eine vage Ahnung hatte, noch verschlossen.

‚Ich brauche Zeit, ich brauche einfach noch viel Zeit … aber

gleichzeitig ist da diese Ungeduld.‘ Die leuchtende Kraft des

Augenblicks erlosch langsam. Geronimo hatte ihre Hand ergriffen,

umfasste sie mit seinen rauen Seemannshänden und

drückte sie gegen seine Stirn. „Julie ich bin 79 Jahre alt, das ist

alles, siehst du?“

„Ja Geronimo, ich weiß.“ Sie blickte ihm lange und ruhig in

die Augen, so wie sein Blick in ihr ruhte, und es war, als ob

sie beide gemeinsam in die Tiefen des Ozeans, in die Tiefen

der Seele schauten. Wie ein Gespräch, ein Eintauchen und ein

tiefes Verstehen zugleich.



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Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben und Geronimo

stand auf, um die Fenster zu schließen. Ohne die Sonne

wurde es gleich frisch. Die Luft, durch den ständigen Wind

ausgekühlt, konnte die Wärme nicht speichern und ließ Julie

frösteln.

„Fährst du noch nach Baltimore?“, fragte Geronimo als er

zum Tisch zurückkehrte.

„Woher wusstest du das nun schon wieder? Woher wusstest

du überhaupt, dass ich ans Zurückfahren denke?“ Auch der

Großvater lächelte, als er ihr die Hände auf die Schultern legte.

„Julie, mein Mädchen, du musst noch so viel lernen! Wann

fährst du?“

„Ich hätte Vater noch so gerne getroffen, aber er ist anscheinend

nicht zuhause, so wie Luise mir gesagt hat.“

„Soweit ich weiß, trifft er sich mit Marc in der Schweiz.“

„Weißt du, wie es ihm geht? Ich höre so wenig von ihm. Hat

er seine Wohnung in Arcachon denn noch?“

„Ja, die hat er schon noch. Aber er ist viel unterwegs. Ab und

zu besucht er uns. Das ist immer sehr schön. Ich denke es

geht ihm ganz gut.“

„Dann werde ich mich morgen nach dem Frühstück langsam

auf den Weg machen, Großvater.“ Julie stand auf und küsste

ihn auf die Stirn. Liebevoll hielt er sie an ihrer Schulter fest.

„Ich wünsche dir viel Glück, mein Mädchen.“

„Danke, Großvater.“

Frankreichreise

Überall ist Sand und Wärme und salzige Luft.

Alles scheint möglich.

Das nahe Meer schenkt seinen Rhythmus und seine Bewegung.

Der Wind entblättert die Schichten,

die nicht mehr gebraucht werden,

bis das Gesicht vollkommen frei liegt.

Salzige Lippen berühren Armbeugen,

Halslinien und die zarte, empfindsame Haut

zwischen den Schenkeln.

Die Freude dehnt sich aus,

wächst weit über den Körper hinaus

und lacht und weint zugleich.

Berühren, halten, eintauchen, in geöffnete Körper,

ausgelassene Bewegungen und freie Blicke.

Eintauchen, immer und immer wieder,

eintauchen und abheben

zugleich.



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Reise ins Altaigebirge (ab Seite 478)

Seit Tagen waren sie nun schon mit der Eisenbahn durch die

Weiten der sibirischen Ebene unterwegs. Die Essensvorräte,

die sie sich aus Sankt Petersburg mitgenommen hatten, waren

aufgebraucht. Dadurch mussten sie gelegentlich in den vorderen

Teil des Zuges, um sich etwas zu essen zu kaufen. Ihr Zug

war einer der wenigen, der mit einem einfachen Speisewagen

ausgestattet war. Man konnte dort gebackene Piroggen und

heißen Borschtsch bekommen. Es tat darüber hinaus auch

gut, sich ein wenig zu bewegen.Nachts wurden die Sitze in

ihrem Abteil von Pjotr zum Liegen umgeklappt, so dass sie

einige Stunden schlafen konnten.

Julies Schlaf war unruhig. In den Nächten schob sich das Gesicht

des alten Mongolen in ihre Traumbilder und rüttelte an

ihren Gedanken wie an einer verschlossenen Tür.

Tagsüber saß sie stundenlang am Fenster, mit Blick auf die

weiße Kälte. Kamen sie an einem Dorf oder einer Stadt vorbei,

versuchte sie sich vorzustellen, wie die Menschen, die

vielleicht gerade jetzt in einem der Häuser saßen, aus dem

Fenster schauten und der Bahn nachblickten. Wie sie wohl

dieses rauchende und stampfende Gefährt, diesen Boten aus

einer anderen Welt, anschauten?

Es schien so, dass der Zug allein die sich dahinziehenden

Zeitzonen und Orte miteinander verbinden konnte. Orte,

die ohne Bewegung im Schnee ruhten und nur für sich selbst

da waren. Kaum war die Bahn ratternd und pfeifend im aufstiebenden

Schnee verschwunden, sanken die Häuser wieder

zurück in ihre Abgeschiedenheit, nichts wissend voneinander,

sich selbst überlassen. 380 Orte, die die Reiseroute der Transsibirischen

Eisenbahn säumten, verbunden allein durch das

eiserne Band der endlos scheinenden Schienenstränge.

Sie erinnerte sich an einen Film über den damals gerade achtjährigen

Nurejew, der als Kind tagelang am Fenster seines einfachen

Holzhauses im Städtchen Ufa gesessen hatte und sehnsuchtsvoll

der Transsibirischen Eisenbahn auf ihrem Weg nach

Wladiwostok nachgeschaut hatte. Er hatte sich vorgestellt,

aus welchen fernen, hellen, interessanten und lauten Welten

die Bahn so viele Menschen hierher, in die entlegene Stille

der sibirischen Weite transportierte. Acht Jahre später war

er dann mit seinem ersten selbst verdienten Geld nach – damals

noch – Leningrad aufgebrochen, um im weltberühmten

Kirow-Ballett seine Ausbildung als Tänzer zu beginnen. Die

unterschiedlichen Perspektiven, aus denen man auf diese Reise

schauen konnte, sprangen in Julies Vorstellung hin und her.

Zugehörigkeitsgefühl und Fremdheit, Anziehung und Angst

verwoben sich in ihren Gedanken zu einem Hintergrund, vor

dem ihre Reise stattfand.

Sibirien,

schlafende Erde.

Die Zeit beginnt Risse zu bekommen.

Julies Rhythmus verselbständigt sich

und entzieht sich mehr und mehr ihrer Kontrolle.

Ihr Zeitgefühl

gerät ins Wanken.

Sie kann nicht mehr sagen,

ob die Zeit schnell oder langsam vergeht,

es scheint einfach gar keine Zeit mehr zu geben.

Sie fühlt sich, als wäre sie in eine Spalte gefallen,

irgendwo zwischen die Weltzeiten,

in der es keine Bemessung

von Zeit und Geschwindigkeit mehr gibt.



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Unendliche Zeitreserven,

hier im weißen Land der Seele

aufbewahrt

für immer,

Sibirien,

die schlafende Erde.

Die Gegend veränderte sich langsam. Die spärlich bewachsenen

Ausläufer des Urals wurden abgelöst durch die wilde und

hügeliger werdende Vorgebirgslandschaft. Anderes wiederum

blieb und wiederholte sich mit unverrückbarer Gleichmäßigkeit:

windschiefe Hütten, rostige, zerfallene Fahrzeuge,

zurückgelassen, gerade da, wo sie ihren letzten Dienst getan

hatten. Von großen Reifen aufgewühlte Fahrwege. Beharrlich

wiederkehrende, vage Spuren menschlicher Zivilisation im

endlosen Weiß.

„Wie ungewöhnlich rasch die Sonne hier aufgeht, von einem

Augenblick auf den anderen bannt das Licht die Dunkelheit

der Nacht.“

Julie drehte sich um zu dem Mann, der diese Worte soeben

mit leiser, klarer Stimme in akzentfreiem Französisch zu ihr

gesprochen hatte. Es überraschte sie nicht wirklich, den alten

Mongolen hinter sich stehen zu sehen, der ebenso wie sie

selbst den Aufgang der Sonne über den Bergen verfolgt hatte.

Sie hatten Jekaterinenburg in der Nacht hinter sich gelassen

und befanden sich nun auf ihrem letzten Reiseabschnitt in

Richtung Nowosibirsk.

Die Morgenstunde, kurz vor der aufgehenden Sonne, war für

Julie jedes Mal ein faszinierender Augenblick. Weder abends

noch morgens gab es eine Dämmerung. Hell und Dunkel

gaben sich die Hand, um sich im selben Moment wieder voneinander

zu verabschieden. Einer machte dem anderen Platz,

ohne zu verweilen. Die Fahrtrichtung nach Osten ließ in jenen

Momenten das Gefühl aufkommen, direkt in die Sonne

zu fahren.

Julies Gedanken arbeiteten langsam. Sie sah dem Fremden in

das freundliche Gesicht. Er hatte mit ihr gesprochen, als ob

sie eine gemeinsame Vergangenheit teilen würden. Sie bemühte

sich, ihre Aufmerksamkeit an die Oberfläche ihres Bewusstseins

zu bringen.

„Sie sprechen ungewöhnlich gut Französisch“, wandte sie dem

Mann gegenüber ein, um Zeit zu gewinnen und ihre Gedanken

ordnen zu können.

„Entschuldigen Sie, wenn ich Sie auf Ihrer Reise durch den

weißen See der Seele gestört haben sollte, aber uns bleibt nicht

mehr allzu viel Zeit, nun da wir uns dem Baikal nähern.“

Julie sah den Alten irritiert an. Belustigt wandte dieser sich

wiederum mit einer höflichen Verbeugung an sie.

„Sie müssen mir noch einmal verzeihen, ich habe mich noch

gar nicht vorgestellt, Menachin ist mein Name. Ich bin auf

der Rückreise von Paris nach Irkutsk. Ich war auf einem russisch-französischen

Kongress.“

„Was meinen Sie damit, dass wir nicht mehr viel Zeit haben?“

„Sie fahren bis Nowosibirsk?“

Julie nickte und sah ihn weiterhin fragend an.

„Ich fahre ins Kharkhiraatal. Kennen sie das Kharkhiraatal?“

Er nickte ihr aufmunternd zu.

„Nein, es ist das erste Mal, dass ich in dieser Gegend unterwegs

bin.“

Julie sah sich suchend nach Andrej um. Er hatte lediglich einen

Tee für sie holen wollen, wo blieb er nur?

„Mein Freund kommt von hier.“

Sie fühlte sich unwohl und wurde das Gefühl nicht los, dass

der Mann etwas von ihnen wollte. Der Mongole nickte gedankenverloren.

Sie betrachtete ihn prüfend. Sein Gesicht

voller Lachfältchen. Ein überraschendes Gefühl von Vertraut-



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heit blitzte für einen kurzen Moment auf, verschwand aber sogleich

wieder. Sie dachte an ihren Traum in der letzten Nacht.

Woran rüttelte das Gesicht des Alten? Auch er betrachtete sie,

ohne einen Hehl daraus zu machen.

„Ich habe eine Bitte an Sie.“

„An mich?“

Nun war Julie endgültig verwirrt. Zum Glück kam in diesem

Augenblick Andrej mit den zwei Teetassen. Sie nahm ihm eine

der Tassen ab und deutete zu dem Mongolen.

„Andrej, das ist Menachin.“

„Darf ich mich bekannt machen?“ Menachin reichte Andrej

die Hand und sie begannen sich auf Russisch zu unterhalten.

Andrej nickte ein ums andere Mal, sah zwischendurch aus

dem Fenster auf die vorbeiziehende Schneelandschaft und

dann wieder zu Menachin. Julie wurde immer unruhiger. Am

liebsten hätte sie die beiden unterbrochen, um zu fragen, worum

es ging. Nach einer endlos langen Zeit nahm Andrej ihre

Hand und sah sie an.

„Julie, er hat uns eingeladen. Er lebt im Kharkhiraatal, das ist

nicht weit von dort, wo ich herkomme.“ Seine Stimme blieb

in der Schwebe.

„Aber warum? Was weiß er von uns? Er wusste, dass du von

hier bist. Warum weiß er das?“

„Er kennt Sascha.“

„Sascha?“ Sie sah zu Menachin.

Ihre Gedanken versuchten mühsam ein Bild zu formen.

„Ja, er hat ihn in Nowosibirsk getroffen.“

„Wollen wir uns ein wenig zusammensetzen? Hier vorne vielleicht?“

Sie gingen an das Ende des Abteils, wo vor dem Durchgang

zum nächsten Waggon drei ausklappbare Sitze um einen kleinen

Tisch herum angebracht waren.

„Dort, wo ich herkomme“, begann der Mongole, jetzt auf

Englisch, „einer entlegenen Region im Hochaltai, gibt es ein

sehr, sehr altes Ritual, das wir vor einigen Jahren wieder zum

Leben erweckt haben. Es ist das Winterfeuer. Das Winterfeuer

ist das stärkste aller Feuer. Es ist stark, weil es uns zeigt, dass

ein Feuer selbst in den kältesten, unwirtlichsten Gegenden,

auch unter schlechtesten Bedingungen wie in Eis, Kälte und

Schnee, brennen kann. Es kann wärmen, Licht bringen und

die Menschen um sich sammeln. Das Winterfeuer ist ein Bild

dafür, was wir als Menschen tun können, solange uns das Leben

auf dieser Erde geschenkt ist. Brennen, leuchten, wärmen.

Für uns selbst und für alle, die sich, kurz oder lang, in unserer

Nähe aufhalten. Es ist unerheblich, wo wir das tun und womit

wir gerade beschäftigt sind, ob die Bedingungen günstig

oder ungünstig sind, ob wir viel haben oder nichts. Das Winterfeuer

lehrt uns, dass jeder, der den Funken, die Urquelle

seiner Kraft gefunden hat, auch in Schnee und Eis, auch in

Einsamkeit und Dunkelheit zu brennen vermag.

Ein Winterfeuer ist ein aus der Tiefe gespeistes Feuer. Ein

Winterfeuer darf, wenn es einmal brennt, nicht erlöschen.

Denn anders als ein Feuer im trockenen, heißen Sommer, wo

jeder dürre Zweig sofort lichterloh entflammt, ist ein einmal

erloschenes Winterfeuer nur schwer wieder zu entfachen. Wer

ein Winterfeuer anzündet, muss sich dieser Verantwortung

bewusst sein.“

Menachin machte eine Pause, sein Blick schweifte zum Fenster,

verharrte, kehrte zurück. Er schien die passenden Worte

für die nächsten Sätze zu suchen.

„Ihr werdet euch natürlich fragen, was das alles mit euch zu

tun hat. Nun, es ist so, dass unsere Gruppe beschlossen hat,

dass ihr beide dieses Jahr an der Zeremonie des Winterfeuers

teilnehmen sollt. Es ist an der Zeit, dass ihr zurückkehrt und

fortführt, was einst begonnen wurde.“

„Andrej.“ Julie sah sich hilfesuchend zu ihm um. Ihr Herz

klopfte bis zum Hals. Unmerklich öffnete sich das Tor zu einer

anderen Welt und der Boden unter ihren Füßen schwank-



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te. „Ich verstehe überhaupt nichts. Was meint er mit zurückkehren

und fortführen? Warum denn gerade wir? Was weiß er

von uns?“

Andrej schüttelte den Kopf und sah nachdenklich zu Menachin.

Er fragte ihn etwas auf Russisch, worauf dieser lachend

den Kopf schüttelte.

„Wir warten jetzt schon so lange auf euch!“

„Aber das ist doch unmöglich, wir hatten doch eine ganz andere

Reise vor!“

„Ja, auch das weiß ich.“ Der Mongole holte tief Luft und unterdrückte

eine leise aufsteigende Ungeduld.

„Du kannst für alle Zeiten von außen auf ein Wasser schauen,

die funkelnde Oberfläche bewundern und dich fragen, was sie

wohl verbirgt. Aber erst wenn du hineintauchst, entdeckst du

die Tiefe, fühlst das Wasser auf deiner Haut und kannst die

Faszination der unendlichen Unterwasserwelt begreifen.“

Der Mongole lehnte sich jetzt entspannt zurück.

„Und nun ist es an der Zeit.“

„Frank Bahro“, murmelte Julie und schloss die Augen. Sie sah

das Gesicht des Professors vor sich auftauchen, wie er kurz vor

ihrer Abreise seine Lesung gehalten hatte. ‚Du kannst von außen

auf das Wasser schauen oder hineintauchen.‘

Er lächelte ihr zu. ‚Na Julie, das wollten Sie doch erleben,

oder? Jetzt ist es da, das Leben kommt zu Ihnen, zögern Sie

nicht!‘

Andrej war aufgestanden und lehnte sich ans Fenster. Die

ersten Reisenden bereiteten sich schon darauf vor, bald auszusteigen.

Koffer und Taschen wurden an ihnen vorbeigeschoben,

Unruhe kam auf. Sie würden demnächst Nowosibirsk

erreichen.

„Was machen wir denn jetzt, Andrej?“

„Ich weiß es auch nicht. Ich muss ohnehin zuerst mit der Uni

in Nowosibirsk Kontakt aufnehmen. Nächste Woche sind ja

die Vorträge. Vielleicht finden wir Sascha, das würde uns weiterhelfen.“

„Hat er einen Termin genannt für dieses Feuer?“

Julie sah aus den Augenwinkeln zu Menachin, der auch aufgestanden

war, um den vorbeidrängenden Menschen mit ihrem

Gepäck Platz zu machen.

„Tsagan-Sar.“

„Das Neujahrsfest?“

„Ja.“

„Wir wollten in Ashkat sein zu diesem Fest.“

„Ja, eigentlich schon.“

Julie sah aus dem Fenster. Die Sonne ließ die aufstiebenden

Schneekristalle glitzern und funkeln. An einem kahlen Baum

unweit der Bahnlinie hatte jemand farbige Stoffstreifen in die

Äste gebunden. Julie musste lächeln. Ihr Herz tat sich auf und

die Weite der Landschaft floss in sie hinein. Die ersten Vorboten

der Stadt tauchten auf. Nun würden sie bald da sein und

sie wunderte sich, wie schnell die Zeit auf einmal vergangen

war, ohne dass es ihr schnell vorgekommen wäre.

„Wir müssen auch langsam unser Gepäck holen, Julie.“

Sie hatten beide ihre Rucksäcke dabei, die noch in ihrem Abteil

standen.

„Ich wünsche euch eine gute Zeit in Nowosibirsk.“ Menachin

verabschiedete sich freundschaftlich von ihnen. Er schien es

nicht für nötig zu halten, weitere Absprachen zu treffen. Als

Julie ihm die Hand reichte, zwinkerte er ihr zu. „Bis bald.“

Julie lächelte zurück. In diesem Augenblick wusste sie, dass sie

ins Kharkhiraatal fahren würden.

Dann ging alles schnell. Der Zug fuhr mit quietschenden

Bremsen in den Bahnhof ein. Türen gingen auf, Rufe und

Gedränge, Blinzeln angesichts des hellen Lichtes, das sie alle

empfing. Dann: Türenschlagen, Pfiffe und die Bahn machte

sich wieder auf ihren Weg, weiter in Richtung Osten.

„Andrej Karinov?“

Andrej sah sich um. Ein hochgewachsener, junger Mann kam

auf sie zu. In einer Hand hielt er eine zusammengerollte Tageszeitung.



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„Viktor.“ Er deutete eine leichte Verbeugung an.

„Ah, Sie kommen uns abholen! Das ist aber nett. Professor

Luskaja hatte mir gar nichts davon gesagt!“

Sie begrüßten sich gegenseitig, freudig überrascht. Viktor hob

Julies Rucksack hoch. „Darf ich? Das Auto steht leider ein

wenig entfernt von hier. Keine Parkplätze, immer dasselbe!“

Er lachte, berührte Julie kurz am Arm und deutete in eine

Richtung durch das Menschengewühl. Sein Englisch war sehr

gewählt, aber von einem starken russischen Akzent gefärbt.

„Wir haben ein Zimmer im Zentrum bestellt, für Sie beide,

das ist leichter, wenn Sie noch ein wenig unterwegs sein wollen.

Für Akademgorodok, Professor Luskaja, holen wir Sie

dann mit dem Wagen ab, ist dies in Ordnung?“

Andrej nickte und verstaute die Rucksäcke im Kofferraum des

alten Lada. Trotz der Sonne ging ein kalter Wind.

Müdigkeit übermannte ihn. Er war froh, dass Viktor gekommen

war, um sie abzuholen. Auf dem Weg zum Hotel sprachen

sie ein wenig über den Winter, der den ohnehin schon

schlechten Straßen der Stadt wieder arg zugesetzt hatte. Sie

unterhielten sich auf Russisch. Julie schloss die Augen und

folgte dem warmen, singenden Klang der Stimmen.

Ankommen,

tastende Bewegungen,

zögernde Blicke

hinter die dünner werdenden Schleier.

Das Erkennen entzieht sich noch,

schlüpft wie ein scheues Tier

Schicht um Schicht tiefer.

Sie legt ihre Hand

auf die raue braune Erde,

die der Frost

noch fest umklammert hält.

Der Puls darunter

schlägt jedoch weich und warm

und sein gleichmäßiger Rhythmus

versorgt ihren Körper bis in die feinsten Kapillaren.

Unwichtiges fällt ab,

wird zu Staub

und der Wind nimmt es freudig auf.

Freude und Weite breiten sich in ihr aus

und das dicht beschriebene Blatt ihrer eigenen Geschichte

beginnt sich zu leeren.



Salz im Meer,

lebensspendende Kraft,

Hingabe,

Liebe.

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Die fest geschlossene Faust

gibt jedoch

den so gut gehüteten Schatz

noch nicht preis.

Immer wieder

sich neu herausbildende

und kurz darauf

wieder auflösende Kristalle

von unbeschreiblicher Schönheit!

Angst vor dem Verlust

formgebender Struktur.

Sehnsucht nach dem Verlust

formgebender Struktur!

Die lichtdurchflutete

Wasseroberfläche

beglückt und verhindert zugleich.

Verhindert den Blick

zum Meeresgrund.

Dorthin, wo die Muschel liegt.

Die Muschel,

die dem Schatz

seit Äonen ihre schützende Hülle leiht.



Weitere Hintergrundinfos und

aktuelle Termine finden Sie auf

www.julie-roman.de

Lyrics als Kalligraphien

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Zum Roman erhalten Sie auch

einige Schriftgrafik-Poster und

Klappkarten mit Kuvert.

Salz

im

lebensspendende Kraft,

Hingabe,

Liebe.

Die fest geschlossene Faust

gibt jedoch

den so gut gehüteten Schatz

noch nicht preis.

Immer wieder

sich neu herausbildende

und kurz darauf

wieder auflösende Kristalle

von unbeschreiblicher Schönheit!

Angst vor dem Verlust

formgebender Struktur.

Sehnsucht nach dem Verlust

formgebender Struktur!

Die lichtdurchflutete

Wasseroberfläche

beglückt und verhindert zugleich.

Verhindert den Blick

zum Meeresgrund.

Dorthin, wo die Muschel liegt.

Die Muschel,

die dem Schatz

seit Äonen ihre schützende Hülle leiht.

Lyrics aus dem Roman „Julie und der Klang des Meeres, 2012“ Armgard Schörle



Liebe Lesenden,

mit Stéphanies Frage nach dem Salz im Meer, begann

vor vielen Jahren auf einer kleinen Insel im Mittelmeer,

das Abenteuer dieses Romans.

Ich habe mich auf die Reise gemacht ihn aufzuschreiben.

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JULIE UND DER KLANG DES MEERES

ist die Geschichte einer großen und sinnlichen Liebe,

zwischen Julie und Andrej, aber auch der Liebe zum Leben.

Sie erzählt von der Entdeckung der Freiheit zu SEIN, dem

Geschenk der Lebendigkeit und von der verbindenden Kraft

der Musik.

JULIE UND DER KLANG DES MEERES ist eine Einladung,

sich auf die Reise zu begeben und einzutauchen.

Bereichert wieder aufzutauchen und die Flügel auszubreiten.

Sich überraschen zu lassen von der Geschichte an sich,

von den Menschen und Orten, an die sie führt und vom

Leben selbst, das so viel größer sein kann,

als unsere Vorstellung darüber.

Dann, wenn wir uns ihm öffnen.

„If you want to sing out, sing out,

and if you want to be free, be free!“ (cat stevens)

glückliche Reise

Armgard

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