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McCulley: Ungeküsst und doch Prinzessin

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Teil 1 · Die Ehelosigkeit<br />

es das Beste, was ihr jemals geschenkt worden war. Ich erinnere<br />

mich auch daran, dass ich gekichert habe, wie es älteste Kinder<br />

mit ihrer altklugen Ich-verstehe-alles-Haltung oftmals tun. Eine<br />

Schachtel mit Papierservietten?! Das ist <strong>doch</strong> kein richtiges Geschenk!<br />

Ich sah nur auf den Wert des Geschenks, aber nicht auf die Motivation<br />

meiner Schwester.<br />

Ein paar Monate später, kurz vor Weihnachten, hatte ich im Alter<br />

von acht Jahren genug Geld zusammengekratzt, um meinen Eltern<br />

die ersten »richtigen« Geschenke kaufen zu können. Ich machte<br />

mich bei unserem Schulfest auf die Suche, wo es für Kinder die<br />

Möglichkeit gab, günstig Geschenke für ihre Familien zu erstehen.<br />

Aus all den schönen Dingen, die dort angeboten wurden, suchte<br />

ich für meine Mutter ein »Dings« aus Acryl aus. Ich glaube nicht,<br />

dass es dafür irgendeinen anderen Namen gibt, denn für einen Gegenstand<br />

wie diesen gibt es einfach keine sinnvolle Verwendung.<br />

Dieses spezielle Dings bestand aus einem Sockel aus Acryl, aus dem<br />

etwa zehn schwarze, ungefähr zwanzig Zentimeter lange Drähte<br />

entsprangen. Am Ende jedes Drahtes prangte eine farbige Halbkugel<br />

aus Acryl. Ein buntes Gesteck aus Acrylkugeln, die sanft im<br />

Luftzug hin <strong>und</strong> her schaukelten. Kein Haushalt, der etwas auf sich<br />

hält, sollte auf so etwas verzichten.<br />

Aufgr<strong>und</strong> meiner begrenzten Ressourcen war dieses seltsame<br />

Symbol meiner Zuneigung alles, was ich mir leisten konnte. Zur<br />

Verteidigung meiner Mutter muss ich sagen, dass sie sich über das<br />

Dings offenbar genau so gefreut hat wie über die Papierservietten-Schachtel.<br />

Und mein Vater, ein Pilot, bekam ein Modellflugzeug, das aus<br />

irgendwelchem Kleinkram zusammengeschustert war. Sie beide<br />

haben diese Geschenke mit aufrichtiger Wertschätzung <strong>und</strong> überschwänglicher<br />

Dankbarkeit entgegengenommen. Wie ehrlich sie<br />

dabei waren, beweist die Tatsache, dass beide Geschenke bis heute<br />

im Zimmer meiner Eltern stehen.<br />

In beiden Fällen waren wir als Schenkende in unseren Ressourcen,<br />

Fähigkeiten <strong>und</strong> auch in unserem Geschmack limitiert. Wir<br />

wollten etwas Extravagantes <strong>und</strong> machten stattdessen symbolische<br />

Geschenke.<br />

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