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Online-Ausgabe 2, ET 04.04.2020

Rauchende Colts: Marshall Matt Dillon hat früher die Banditen gejagt, die ein Halstuch vor Nase und Mund hatten. Wer damals im Röhren-TV zusah, ist heute in der Risikogruppe. Wie auch die Ärzte, denen millionenfach Schutzausrüstung fehlt. Von Michael Zäh

Rauchende Colts: Marshall Matt Dillon hat früher die Banditen gejagt, die ein Halstuch vor Nase und Mund hatten. Wer damals im Röhren-TV zusah, ist heute in der Risikogruppe. Wie auch die Ärzte, denen millionenfach Schutzausrüstung fehlt. Von Michael Zäh

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Samstag, 4. April 2020

10

GESELLSCHAFT

DEUTSCHLAND

Corona-Tagebuch

Samstag, 4.

Ausgabe 287 am 4.

Eine Hand wäscht

die andere,

oder wie?

Samstag, 4. April 2020

Coronavirus. Die drastischen Maßnahmen der deutschen Behörden

gegen die Verbreitung des Virus könnten am Ende zu einer paradoxen

Reaktion führen: Gelingt die Eindämmung auf einige Zehntausend

Fälle mit anschließend flacher Kurve, wird es heißen: Und deswegen

all die Verbote? Gelingt dies trotz aller Maßnahmen nicht, heißt es:

Wofür der ganze Zauber? Hat ja eh nichts genutzt! Von Michael Zäh

Es ist nicht so, wie man denkt, sondern so, wie es

kommt. Das sagte Sigmund Freud, der Begründer

der Psychoanalyse und einer der größten

Denker der Menschheit. Dies ist keinesfalls zu verwechseln

mit dem rheinischen Grundgesetz: „Et kütt

wie et kütt.“ Denn dieses „Es kommt wie es kommt“

ist eher fatalistisch lässig gemeint, bis hin zum unvermeidlichen

Untergang, während Freud sein Leben

lang Wissenschaftler war, der sich Gedanken darüber

machte, was den Menschen helfen könnte.

Niemand von uns hat derzeit die Macht, auch

nur zu wissen, was kommt und wie es kommt. Wohl

auch unsere Wissenschaftler nicht, denen aber in

der derzeitigen Situation zunächst einmal Glauben

geschenkt werden sollte. Und diese haben denn auch

eine recht klare Formel in Umlauf gebracht: Siebzig

Prozent der deutschen Bevölkerung werden sich über

kurz oder lang mit dem Corona-Virus anstecken. Dies

wären rund 58 Millionen Menschen in Deutschland.

Die Frage sei nur, in welchem Zeitraum dies geschehe.

Und genau diese Frage sei entscheidend dafür, wie

schlimm es kommt. Entweder zur Katastrophe und dem

gesellschaftlichen Zusammenbruch, oder zu einer gewaltigen

Aufgabe, die aber bewältigt werden könnte.

Die Wissenschaftler gehen bei ihren Prognosen

von zwei Prämissen aus: Erstens wird sich das Corona-

Virus so lange von Mensch zu Mensch weiter verbreiten,

in Deutschland wie in der Welt, bis es keine neuen

Wirte mehr findet, die nicht schon immun sind. Und

zweitens würde die Kurve der Ansteckungen in kurzer

Zeit steil nach oben gehen, wenn keine einschneidenden

Maßnahmen ergriffen würden. Wenn wie bisher

knapp ein Sechstel der Infizierten einen schweren

Verlauf der Lungenkrankheit bekämen und daher im

Krankenhaus behandelt werden müssten, dann wären

dies also knapp neun Millionen Menschen.

Dieses Szenario ist so, wie Wissenschaftler es

heute denken. Nein, keiner weiß, ob es so kommt.

Weil aber allein die Möglichkeit besteht, dass es –

ohne all die Gegenmaßnahmen, die bereits ergriffen

wurden – zu einem Kollaps in Kliniken führen könnte

(weil natürlich nicht neun Millionen Menschen dort

gleichzeitig behandelt werden könnten) alles rechtfertigt,

was man dagegen tun kann, kommt es im Moment

bei der Gesellschaft – uns allen – ganz gut an, wenn

nun der Ausnahmezustand ausgerufen ist. Noch dazu,

weil die Wissenschaftler ja darauf hinweisen, dass es

hauptsächlich eine bestimmte Gruppe ist, die durch

den Rest der Gesellschaft – uns alle – geschützt werden

müsse: Ältere und bereits erkrankte Menschen, also

unsere Eltern oder Großeltern (insofern wir das nicht

selbst schon sind). Und wer möchte nicht seine eigenen

Eltern schützen? Ohne die Bereitschaft aller käme es

laut Hochrechnungen bis zu 1,8 Millionen Toten in

kürzester Zeit durch das Corona-Virus. Hinzu kämen

vermutlich noch viele weitere Tote, die an ganz anderen

Krankheiten (wie etwa Herzinfarkte, Krebs und

dergleichen) leiden, aber wegen des Zusammenbruchs

des Gesundheitssystems nicht mehr entsprechend versorgt

werden könnten. Dass es nicht so kommen darf,

wie sich das die Wissenschaftler vorsorglich denken,

überzeugt auch jene von uns, die ungern auf all das

verzichten, was unser Leben schon auch ein bisschen

ausmacht: Soziale Kontakte, Kultur, Sport, Kneipen,

die Freiheit, sich dort bewegen zu dürfen, wo man will.

Man übt sich in Solidarität, es fühlt sich ja auch an

wie zwischen den Zeiten (verwandt mit den wenigen

Wochen zwischen den Jahren), ist mal etwas Neues

und schweißt im Abstandhalten sogar zusammen. Eine

Weile geht das gut. Es sind Coronaferien, die man gar

nicht beantragen musste (ja, die man nicht mal auf

die eigene Kappe nehmen muss), eine überraschend

geschenkte Zeit im Kreise seiner Nächsten. Und es

kann sogar sein, dass man dann in neun Monaten den

„Corona-Baby-Boom“ feststellt. Ja, was soll man auch

machen, wenn man mal nicht gestresst ist?

Eine Weile lang ist es ein Test, der seinen Reiz entfaltet.

Das sonstige gesellschaftliche Leben in Deutsch-

ZUR SACHE

Die „Bazooka“ soll

nun also helfen

Es ist eine seltsame Wortwahl, die

Finanzminister Olaf Scholz und

Bundeswirtschaftsminister Peter

Altmaier in Anschlag bringen: Der

Bund werde die „Bazooka“ gegen

die Auswirkungen des Corona-Virus

einsetzen. Nun ja, das ist wohl als

Beruhigung gemeint, obwohl das

„Ofenrohr“ im Zweiten Weltkrieg

als eher grobschlächtige Waffe der

US-Streitkräfte galt, die nicht selten

die Schützen selbst zu Tode verbrannte.

In Übersetzung heißt dies,

dass der Bund in unbegrenzter Höhe

Kredite für Firmen bereitstellen will,

die durch das Corona-Virus in Not

geraten sind. „Das ist ein Schritt,

den es so in der Nachkriegsgeschichte

noch nicht gegeben hat.

An fehlendem Geld und fehlendem

Willen soll es nicht scheitern“, so

Altmaier. Man sitze auf gut gefüllten

Kassen und habe deshalb auch

großes Durchhaltevermögen, sagte

Scholz. „Wir können alles stabilisieren,

was stabilisiert werden muss“,

so der Finanzminister weiter. Dies

soll für kleine wie für große Unternehmen

gelten, so heißt es. Wenn

man dies aber die „Bazooka“ nennt,

rennen viele Firmen gleich davon.

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