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B O N N
betrachtet
Caroline Steffen
B O N N
betrachtet
Caroline Steffen
Projekt LAB III
Architektur und Stadt
0
1
2
8-9 Bonn betrachten
10-15 Bahnhof
16-23 Holländer
24-31 Martinitreiben
32-39 Beethoven
40-45 Drei Grazien
46-51 Acherstraße
3
4
5
52-57 Remigiusplatz
58-63 Bischhofsplatz
64-69 Schlosskirche
70-77 Blau
78-83 Lenné
84-89 Konviktstraße
90-91 Bonn reflektieren
92-93 Anleitung
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B O N N
betrachtet
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8 | 9 Bonn betrachten
Tagtäglich strömen Menschenmassen
durch die Straßen Bonns um Arbeiten
zu gehen, Erledigungen zu machen, zu
Essen, Freunde zu treffen, zu shoppen oder
einfach nur durch die schönen Straßen
der Stadt zu flanieren. Die Beweggründe
könnten unterschiedlicher nicht sein
und doch haben sie eins gemeinsam:
egal aus welchem Grund man die Stadt
aufsucht, man wird automatisch ein Teil
ihres Wesens.
Als Flaneur gibt man der Stadt etwas
von sich mit. Die Identität eines jeden
Einzelnen wirkt sich auf das Stadtbild und
dessen Entwicklung aus.
0
Bonn betrachten
Orte, an denen man sich gerne aufhält,
blühen auf während andere verwaisen.
All dies wird durch den Menschen bestimmt.
Doch diese Tatsache ist vermutlich
nicht jedem bewusst.
Der oft hektische Alltag scheint es nicht
zuzulassen, die Umgebung die man
um sich hat und die Straßen durch die
man wie mit Scheuklappen wandelt,
wahr zunehmen. Oftmals bedarf es einer
außenstehenden Person, die die Stadt
zum ersten Mal sieht und einem selber
die Augen öffnet. Das Sehen hat zwei
Ebenen: das physisch Gesehene und die
persönliche Reflektion dessen.
In der Routine sieht man nur die Oberfläche,
jedoch nicht die kleinen Details, die
die Stadt erst einzigartig machen.
Es lohnt sich genauer zu betrachten
und zu beobachten, wer sich wo in der
Stadt aufhält und warum; welche Orte
gut funktionieren und welche nicht. Was
macht die Stadt attraktiv und an welchen
Stellen muss angesetzt werden um ihre
Eigenheit zu stärken und das Bewusstsein
der Passanten zu schärfen? Und zu guter
Letzt: Wo ist eigentlich der Bonner Rhein?
Es heißt schließlich „Bonn am Rhein“, doch
sucht man als Ahnungsloser vergebens
nach dem großem Strom und seinen
Ufern.
10 | 11 Bahnhof ankommen
1
Bahnhof
Die Linie 18 trifft mit Verspätung auf Gleis
1 ein. C. steigt aus dem hinteren Wagon,
mit einer Nikon D3200 um den Hals,
einem Notizbuch und einem Aquarellmalkasten
in der Hand. Über die provisorische
Treppe kommt sie aus der Unterführung.
Der Ort von wo aus die meisten Passanten
die Stadt betreten ist der Bahnhof.
Und ausgerechnet dort fehlt es in so vielen
Städten an Qualitäten, die den Ankommenden
willkommen heißen.
So auch in Bonn.
12 | 13 Bahnhof betrachten
Das 1844 eröffnete Bahnhofsgebäude hat
nur noch wenig von seinem ursprünglichem
Charme behalten.
Lediglich die Fassade täuscht eine Erhabenheit
vor, von welcher im Inneren des
Gebäudes nicht mehr viel zu sehen ist.
Diverse Nutzungen wurden in die Bahnhofshalle
gequetscht, um allen Anforderungen
gerecht zu werden. Schreitet man
die Treppe zur Stadtseite hinunter, steht
man an einer viel befahrenen Straße.
Busse verdecken den Zugang zur Stadt.
Hat man die Straße überquert, befindet
man sich auf einer Großbaustelle, die
verzweifelt versucht, den Passantenstrom
unter Gerüsten und über Holzplanken
zu lenken. Hier soll im nächsten Jahr
eine Shopping-Mall entstehen, die die
Besucher direkt am Bahnhof abfängt , in
sich verschluckt und erst wieder ausspuckt,
wenn konsumiert wurde. So werden Shoppingwütige
schon vor den Einkaufsstraßen
Bonns eingesammelt.
Häuserfronten mit Bauten aus der
Gründerzeit und Nachkriegslückenfüllern,
bestimmen die Stadtkante und öffnen sich
in der Poststraße, dem Hauptzugang zur
Stadt. Flankiert von McDonalds und Backwerk
wird man empfangen. Am Eingang
der Fast-Food-Kette stehen wartende Leute
mit Luftballons am Stiel und Kopfhörern
auf den Ohren. Aus der Stadt kommt
eine Frau angerannt, die wohl noch ihre
Bahn erwischen möchte - den Arm voller
Einkaufstaschen.
Ist das das Willkommensszenario Bonns?
14 | 15 Bahnhof reflektieren
Die Planung des Bahnhofsvorplatzes
und somit des Stadteingangs ist eine
verantwortungsvolle Aufgabe, die auf
verschiedenen Ebenen ernst genommen
werden sollte. Dabei darf es niemals nur
um die Verwirklichung von Einzelinteressen
gehen. Viel mehr ist daran gelegen
ein städtebaulisches Gesamtkonzept zu
entwickeln, mit Nutzungen die an dieser
prominenten Stelle sinnvoll sind und die
Stadt ergänzen anstatt sie zu schwächen.
Bei der Entwicklung eines solchen Areals
geht es für mich um städtebauliche Qualität,
in der sich das Einzelne zurücknimmt.
Es geht um die Qualität der Architektur
und ihren Bezug zum Stadtraum.
Pompöse und imposante Hüllen die
diesen Versprechungen im Inneren keineswegs
gerecht werden und lediglich darauf
abzielen, zu konsumieren sind dabei
wenig hilfreich. Hier wird das Gebäude
selbst zum Konsumgut .
Architektur im städtebaulischen Kontext
sollte langlebig und nachhaltig durchdacht
sein und versuchen die Seele der
Stadt zu bereichern.
16 | 17 Der Holländer ankommen
1
Der Holländer
Die Poststraße führt den Passantenstrom in
Richtung Münsterplatz und von dort aus in
die Einkaufsstraßen. Sie ist sehr vom Konsum
geprägt und darauf ausgelegt. In der
Mitte der Fußgängerzone stehen billige
Tische einer Backkette unter Bäumen, an
denen man schnell sein Brötchen isst oder
seinen Kaffee trinkt, jedoch keineswegs
verweilt. Die linke Häuserzeile wird von
der Sonne in ein helles Gelb getaucht. Die
Architektur ist ein wilder Mix aus Vor- und
Nachkriegsarchitektur in unterschiedlichen
Qualitäten. Die Straße ist auf Grund der
Gebäudehöhen und des Querschnitts
meist verschattet. Es wird viel gerannt und
gehastet. An verschiedenen Treffpunkten
stehen Wartende, die den Besucherstrom
nach bekannten Gesichtern scannen.
Peter Bosse alias „der Holländer“ ist wohl
einer der bekanntesten Verkäufer Bonns.
An der Ecke Poststraße / Münsterstraße
eröffnet sich ein Meer von Blumen.
Leute stehen in gebückter Haltung über
den Plastikkübeln und atmen den süßlichen
Duft der Dalien ein. Ein Geschäftsmann
kauft einen üppigen Strauß Lilien.
Eine alte Dame stellt zwei Kübel Erika
in die Tasche ihres Rollators. Und eine
junge Studentin zieht mit einem Strauß
Wildblumen davon.
Der Mann, der einmal Reitlehrer werden
wollte, verkauft nun seit mehr als 40
Jahren Blumen an Bonner Bürger.
Sein symphatischer Akzent hat ihm den
Namen gegeben, unter dem er in der ganzen
Stadt bekannt ist. Bei Wind und Wetter
verschönern seine Blumen den sonst
sehr dunklen und kargen Karstadt-Vorplatz.
Sie geben ihm die Qualität, an der
es mangelt. Die leuchtenden Farben der
Freesien erhellen diesen rundum die Uhr
verschatteten Platz.
Peter Bosse gibt diesem Ort eine Identität.
Ohne sein Blumenmeer wäre dies wohl
ein Restraum, der als „Schmuddelecke“
enden würde.
18 | 19 Der Holländer betrachten
20 | 21 Der Holländer reflektieren
Die Identität und der Charakter einzelner
Orte sind extrem wichtig für die Seele
der Stadt. Zusammengesetzt aus vielen
einzelnen Bildern entsteht ein Gesamtbild.
Bonn hat einige dieser kleinen Orte von
großer Bedeutung, die nur durch genaues
Betrachten entdeckt werden können.
Es ist wichtig, einen solchen Ort hier zu
erwähnen, da diese Geschichten erzählt
werden müssen, um sie zu verbreiten und
das Gesicht der Stadt zu prägen. Jeder
von uns bewahrt seine eigene Erfahrung
mit der Stadt doch der Austausch darüber
bleibt in der Regel aus. Jedem sind andere
Orte von Bedeutung. Man verbindet
sie mit schönen Momenten, Abenden mit
Freunden, Familienfeiern, oder ausgelassenen
Nachmittagen. All diese Geschichten
erzählen liebevoll von einer Stadt am
Rhein als Teil unseres Lebens.
22 | 23 Der Holländer
24 | 25 Martinitreiben ankommen
1
Martinitreiben
Im Sommer stehen hier Biertische auf
dem Kopfsteinpflaster und man schlängelt
sich an Wiener Schnitzeln und ganzen Haxen
vorbei. Die Natursteinfassade wurde
im Erdgeschoss hinter einer horizontalen,
dunklen Holzvertäfelung versteckt. So soll
man wohl den Anschein bekommen, sich
in einer bayrischen Großstadt zu befinden.
Zwei Fahnen mit weißem Hintergrund und
blauen Rauten verweisen darauf.
Ein abgeschnittenes Kopfstück eines
Kupferkessels bildet das Vordach und
heißt den Besucher willkommen. Zwei
Bäume, spärlisch eingefasst, dienen als
Fahrradständer. Im Sommer erinnern sie
an das Gefühl eines Biergartens.
Legt man den Kopf in den Nacken, schaut
man ins Grüne.
Lässt man Bayern rechts liegen, blickt man
auf die Rückseite des Bonner Münsters mit
ihrem romanischen Rundfenster, welches
die Westsonne in den Sakralbau lenkt.
Um den Martinsbrunnen spielen zwei
Kinder Fangen. Die Mutter sitzt auf der
Steinkante und packt eine Brotdose aus.
Einige Passanten betreten die Pfarrei - entweder
aus Interesse an diesem Gebäude,
das sich auf ungewöhnliche Weise an
die Kirche fügt, oder aus Interesse an der
Institution ansich, was heutzutage wohl
nicht mehr so oft zutrifft.
26 | 27 Martinitreiben betrachten
Die Kirche spiegelt sich mit mir im grünlichen
Wasser des Brunnens.
In allen Nuancen von grün bis grau. Es
ist früh am Morgen. Auf der Steinkante
sitzt ein Mann und starrt auf sein Handy.
Ein kleines Mädchen versucht ihre Hand
in das grüne Wasser zu tauchen und
wird im letzten Moment von ihrer Mutter
gebremst. Noch eine Stunde bleibt der
Spiegel, dann wird sich das Wasser bis
20 Uhr in eine hektische Oberfläche
verwandeln, die sich ganz dem Strom des
Treibens anpasst. Heinrich Götschmann
fertigte dieses Kunstwerk bis 1902 und bildet
das Treiben vor dem Martinstag ab, an
dem die Kinder Gänse für das Festessen
einfangen. Die Wiederherstellung nach
der Kriegszerstörung hat 30.000 Mark
gekostet.
Ich setzte mich auf die abgerundete
Steinkante und blicke nach unten.
Das Kopfsteinpflaster schmiegt sich um
den Sockel des Brunnens. Ich schaue hoch
und sehe eine Gruppe Touristen, die sich
für eine Stadtführung versammelt.
Die meisten Leute hasten über den Platz
ohne dort zu verweilen. Die einzige Aufenthaltsqualität
bietet der Brunnen. Von dort
aus kann man den hektischen Münsterplatz
beobachten oder einen langsameren
Blick auf die Kirche richten.
28 | 29 Martinitreiben reflektieren
Heute sieht man nur noch wenige Leute
das Kirchengebäude betreten. Das Leben
des 21. Jahrhunderts scheint es nicht zu
erlauben, einen Moment inne zu halten.
Es gibt zu vieles, was noch erledigt werden
muss, und zu viele andere Prioritäten.
Die Kirche steht meist im Zentrum der
westlichen, historischen Stadt, rückt aber
immer mehr aus dem Mittelpunkt vieler
Leben.
Wie kann es ihr gelingen, wieder mehr
Menschen anzuziehen? Der provisorische
Bauzaun aus Holzplatten, der den Sakralbau
aktuell umzäunt und mit „Botschaften
für die Ewigkeit“ verschmiert wird, scheint
nicht der richtige Ansatz zu sein, auch in
Umbauphasen das Bestmögliche aus der
Situation zu machen.
30 | 31 Martinitreiben
32 | 33 Beethoven ankommen
2
Beethoven
Rechts eine spärlich eingezäunte Kirche,
links Shops hinter sanierten Natursteinfassaden.
Viele Menschen rauschen durch
das Nadelör, das auf den Münsterplatz
führt. Die Blickrichtung führt einen geradewegs
in eine der Haupteinkaufsstraßen
von Bonn. Alte Bäume umranden den
Platz. Nur dort, wo die Straßen einmünden,
stehen keine. Ein Wegeleitsystem,
das den Flaneur optisch lenkt.
Lässt man den schönen Brunnen hinter
sich, führt das Kopfsteinpflaster fast nahtlos
auf den Münsterplatz, den man im
Mittelalter „Aufm Hof“ nannte. Der größte
Platz in Bonn wird flankiert von bedeutenden
Bauten, wie dem Bonner Münster
und dem alten Postamt und solchen, die
es gerne wären. Die Fassade des großen
Kaufhauses versucht mit ihren massiven
Gesten die Filigranität der Vorkriegsarchitektur
neu zu interpretieren.
Ein kleines eingeschossiges Café bespielt
den Platz, der eigentlich mehr als Durchgangsraum
funktioniert mit Leben.
An anderen Tagen ist er Veranstaltungsort.
Gerade lässt sich ein Dutzend Touristen
mit dem berühmten Beethoven-Denkmal
fotografieren. Vereinzelt sitzen Leute
auf der Umrandung der Skulptur in der
Novembersonne.
Am 12. August 1845 wurde sie feierlich
enthüllt im Beisein von Friedrich Wilhelm
IV und Königin Viktoria von Großbritannien.
Unter den Bäumen, die den Platz
an seinen Längsseiten einrahmen, sitzen
Passanten auf den wenigen Bänken.
34 | 35 Beethoven betrachten
Der Platz hat eine gute Größe für Veranstaltungen.
Finden dort keine Feste statt,
wirkt er etwas leblos und verloren, da es
nicht viele Möglichkeiten zum Verweilen
gibt. Ein paar Bänke, die man an zwei
Händen abzählen kann, flankieren den
Raum. Leider werden die Veranstaltungen,
die dort stattfinden immer weniger, da sich
wütende Anwohner beschweren. Das ist
Schade, denn so kann es passieren, dass
man mit Egoismus den Erhalt der Bonner
Kultur blockiert und die ursprünglich
gedachte Nutzung eines solchen Platzes
verhindert. Da fragt man sich, ob es nicht
möglich ist, sich für einen Tag zusammen
zu reißen oder einfach am aktiven Leben
der Stadt teilzunehmen.
36 | 37 Beethoven reflektieren
38 | 39 Beethoven
40 | 41 Drei Grazien ankommen
2
Drei Grazien
Die verlängerte Häuserzeile der Galeria
Kaufhof und die des ehemaligen Postamts
laufen aufeinander zu und treffen sich
im nächsten Platz, der insbesondere mit
seinem besonderen Fachwerkhauses
die Blicke auf sich zieht. Gehwegplatten
führen einen an den Häuserzeilen entlang
zum Dreieck während der spitzzulaufende
Mittelstreifen in Bögen aus Kopfsteinpflaster
einen Ausläufer des Münsterplatzes
formt.
Schöne Häuserfassaden aus der Gründerzeit
werden durch Ladennutzungen in den
Erdgeschossen bestimmt.
42 | 43 Drei Grazien betrachten
Vom Münsterplatz kommend, führt ein
immer enger werden Arm des Platzes auf
das „Dreieck“. So lautet der offizielle Name
des Platzes, der auf seine Form zurück zu
führen ist. Die Namensgebung hat man
ernst genommen und auch den Bodenbelag
plakativ dreieckig verlegt. Außermittig
des großen zentralen Dreiecks steht ein
Brunnen. Der Drei Grazien Brunnen wurde
1976 vom Bildhauer Bildhauer Ernemann
F. Sander angefertigt.
In der gusseisernen Schale des Brunnens
schwimmen Zigarettenstummel zusammen
mit Kaugummis, Bronzemünzen und
Herbstlaub.
Die Farbe der Schale ist ein Streitthema
unter Bonner Bürgern. Nach einem Brand
2017 wurde die Beschichtung erneuert,
die nun nicht mehr die ursprüngliche
Patina hat.
Das Budget zur Sanierung der städtischen
Brunnen ist begrenzt und so ist eine teure
Sandstrahlung nicht möglich. Niemand
verweilt hier. Alle rauschen nur am Brunnen
vorbei, mit Brötchentüten, Eistee und
Einkauftaschen.
44 | 45 Drei Grazien reflektieren
Würde man Bonner Bürger und Besucher
fragen, welche Figuren den Brunnen am
Dreieck zieren, wüsste wahrscheinlich
niemand genau, dass es sich dabei um
die Drei Grazien handelt. Kunstwerke im
öffentlichen Raum erhalten oft nicht die
Aufmerksamkeit, die ihnen ursprünglich
zugeschrieben wurde. Sie stehen zwar oft
im Zentrum eines Platzes, doch sind sie für
viele eher ein Hindernis.
Die meisten gehen daran vorbei, ohne
ihn eines Blickes zu würdigen. Höchstens
Touristen bleiben stehen und machen
ein Foto, aber auch nur wenn es zu dem
Objekt eine interessante, erzählenswerte
Geschichte gibt. Das ist schade, da viele
Skulpturen im öffentlichen Raum alte
und neue Geschichten erzählen können.
Schärft man seinen Blick dafür, gelingt es
einem die Stadt und ihre verschiedenen
Gesichter besser kennen zu lernen.
46 | 47 Acherstraße ankommen
2
Acherstraße
Man weiß nicht so recht welchen Ausgang
des dreieckigen Platzes man nehmen soll,
da keine der abknickenden Straßen zu
dominieren scheint. Doch der Menschenfluss
treibt die Mehrheit der Passanten in
die Straße, die sich ebenso wie der Platz:
Dreieck nennt.Die wenigsten biegen in die
Acherstraße ab. Unter dem Brunnen, der
aus unerklärlichen Gründen von Pöllern
umgeben ist, wächst Gras. Es riecht nach
Früchtetee und warmen Brötchen.
Eine alte Dame stützt sich auf einen der
Poller um durchzuatmen. Sie lässt sich
die Wintersonne ins Gesicht scheinen
und beobachtet für einen Moment das
Treiben am Dreieck. An einem anderen
Poller ist ein Fahrrad angelehnt, dem der
Sattel fehlt. Zwei Maler in weißer Uniform
und Kaffeebechern in der Hand, biegen
aus der Acherstraße auf den Platz und
unterhalten sich nuschelnd.
Entgegen des Stromes, lasse ich mich
in die Acherstraße treiben. Sie wirkt ein
wenig ausgestorben, was daran liegt,
dass die Häuser sehr dicht aneinander
stehen und die Straße einen schmalen
Querschnitt hat. So ist sie die meiste Zeit
des Tages verschattet, weshalb sich keine
Geschäfte mit Außenbereichen ansiedeln.
Entlang der linken Straßenseite reihen
sich schöne Altbauten nebeneinander
auf, während auf der rechten Seite, die
weniger frequentiert ist, hauptsächlich
durchschnittliche Nachkriegsarchitektur
zu sehen ist. Die Acherstraße ist eine
angenehme Ruhepause, vom Trubel des
Münsterplatzes.
Betritt man die Straße, die eine starke
Krümmung hat, sieht man am Anfang
nicht das Ende. Geschäfte halten sich
in dieser Straße nur, wenn es sie schon
lange genug gibt oder wenn sie sich an
ihren Anfängen oder Enden befinden.
Die Läden dazwischen sind im ständigen
Wandel. Eine Metzgerei, deren rot-weiße
Markise in den Straßenraum ragt, ist
einer der Ankerpunkte, weshalb man die
Straße aufsucht. Ein Rinnsal teilt sie in
zwei Bereiche, in denen man flaniert.Die
geräuscharme Kulisse lädt dazu ein, auch
selber zu entschleunigen und eine kurze
Verschnaufpause zu nehmen, bevor man
sich wieder in den Trubel stürzt.
48 | 49 Acherstraße betrachten
50 | 51 Acherstraße reflektieren
Für Kenner ist die Acherstraße eine willkommene
Abkürzung, vom Münsterplatz
zum Marktplatz. So kann man den ständigen
Aufforderungen in der Remigiusstraße
zu konsumieren entgehen. Leider und
wie so oft in Städten, die in Teilen noch
auf dem mittelalterlichem Stadtgrundriss
aufbauen, ist die Acherstraße schwer
bespielbar, da ihr geringer Straßenquerschnitt
dies kaum zulässt.
Während früher der schmale Querschnitt
die Häuser vor Witterung und Sonneneinstrahlung
schützen sollte, lässt er sich in
der heutigen Zeit schwer nutzen. Die Flaneure
der Stadt wollen helle, lichtdurchflutete
Straßen, in deren Außengastronomie
sie sich gerne über Stunden aufhalten,
Leute beobachten und sich die Sonne ins
Gesicht scheinen lassen.
Die schmalen Grundrisse der alten Bauten
bieten außerdem keinen Platz für große
Modeketten derentwegen viele Besucher
die Stadtzentren aufsuchen. Nur kleine,
individuelle Läden können sich dort für
hohe Mieten niederlassen. Haben sie
keine namenhaften Nachbarn, werden sie
kaum wahrgenommen.
Dieses Phänomen ist spannend und
schwierig zugleich denn es gilt, eine gute
und attraktive Nutzung für diese dunklen,
kleinen Grundrisse zu finden. Bis das
passiert, genießen wir einfach noch die
beruhigende Stimmung der Acherstraße.
52 | 53 Remigiusplatz ankommen
2
Remigiusplatz
Ein Bär trinkt Bier aus einem Krug.
Unter ihm befinden sich Schaufenster
einer großen Modekette, wo früher einmal
das Kurfürstenbräu war. Der Bär und das
Schild sind davon übrig geblieben.
Auf dem Boden weißt eine Messingplakette
auf den Ursprung der Acherstraße im
Mittelalter hin. Von einem Crèpes-Stand in
der Remigiusstraße geht ein süßlicher Duft
von frischem Teig mit Nutella aus.
Hier werden hungrige Passanten abgefangen,
die sich nicht die Zeit nehmen, ein
Café zu besuchen.
Steht man am Ende der ruhigen Acherstraße
blickt man auf die Remigiusstraße,
die im Vergleich dazu wie eine Autobahn
wirkt, auf welcher wild überholt, gedrängelt,
abgebremst und wieder beschleunigt
wird.
Tritt man aus dem Schatten der Acherstraße
hervor, steht man auf dem
trapezförmigen Remigiusplatz, mit einem
kleinen Blumenmarkt, einem Kunstwerk
des britischen Bildhauers Tony Cragg, viel
Geschichte und neuer Zukunftsmusik.
Dort stand bis Mai 1800 die Remigiuskirche,
die sich heute in der Brüdergasse
befindet. Nachdem sie von einem Blitz
getroffen wurde und niederbrannte, hatte
man nicht das Geld sie wieder aufzubauen.
Heute lässt nichts mehr darauf
schließen, dass die Kirche einmal dort
gestanden hat.
Dabei hat sie eine wichtige Bedeutung
für die Geschichte der Stadt, denn 1770
wurde dort Bonns wohl berühmtester
Bürger getauft: Ludwig van Beethoven.
Hier hat er auch seine Liebe zu sakraler
Musik entdeckt.
Nur in der Weihnachtszeit besteht die
Chance an diesem Ort noch so etwas zu
hören.
Gut gelaunte Mütter, Freundinnen und
Rentnergruppen sitzen im Schatten des
einzigen Baumes, trinken Kaffee oder Sekt
und genießen es, den Trubel zu beobachten.
Ein Straßenkünstler steht direkt neben
einem Obdachlosen und einem Blumenverkäufer
und spielt konsumanregendes
Gedudel. Am Kiosk kaufen Touristen
Ansichtskarten von Beethoven und Bonn.
Die Bude wird schon bald nicht mehr
ihren ranzigen Charme haben, den jeder
Bonner kennt. Für sie wurden große
Pläne gemacht, denn der Platz, der so
bedeutend für Bonn ist, soll einen neuen
Anstrich verpasst bekommen. Zum 250.
Geburtstag von Beethoven, soll dort eine
Station des Stadtrundgangs entstehen.
Der Kiosk wird abgerissen und im neuen
Glanz aufgebaut. Beethovens Gesicht wird
an den Fensterscheiben kleben, da es
davon wahrscheinlich immer noch nicht
genug in den Straßen Bonns zu sehen
gibt.
54 | 55 Remigiusplatz betrachten
50 56 | 57 51 Remigiusplatz reflektieren
Altes, Ranziges, Abgenutztes, aber Geliebtes
wird ersetzt durch Neues, Cleanes aber
Unpersönliches. In diesem Fall handelt es
sich „nur“ um einen Kiosk, aber auch dieser
ist seit Jahrzehnten in den Köpfen der
Bürger und fast jeder hat dort schonmal
auf die Schnelle etwas gekauft.
Oftmals scheint es naheliegend Altes,
Abgenutztes abzureißen und es mit einer
strahlend, auf Hochglanz polierten neuen
Version zu ersetzen. Das kann gut gehen.
Meistens jedoch, erscheint das Neue
wie ein Fremdkörper, der sich nicht so
recht einfügen möchte. Muss eine Kiosk
repräsentativ sein? Oder ist es nicht viel
ehrlicher, ihn so zu belassen, wie er sich
über die Jahre in die Stadt eingelebt hat -
mit all seinen Gebrachsspuren?
Schließlich kauft man sich dort nicht ein
Glas Champanger, sondern einen zu dünnen
Filterkaffee und die Bonner Zeitung.
58 | 59 Bischofsplatz ankommen
3
Bischofsplatz
Die Stühle stehen in Reihe und Glied
nebeneinander, wie an einer Perlenkette
aufgereiht. Man setzt sich in ein
Outdoorkino. Der Film, der dort gezeigt
wird, könnte authentischer nicht sein: Das
Leben. Schnell sind alle Plätze besetzt
und die Bedienung hat genug zu tun, alle
Wünsche zu erfüllen. Viele bestellen sich
einen Kaffee und ein Croissant, wie man
es in Paris gelernt hat. Damit lässt sich
das Treiben am besten betrachten. Andere
bestellen sich ein Stück des Tageskuchens
und ein Glas Sekt.
Ein großer Teil der Besucher des Cafés am
Remigiusplatz sind Paare oder Einzelpersonen.
Es bildet auf charmante Art und
Weise den Übergang zum Bischofsplatz.
Sitzt man mit seiner Begleitung auf
dem französischen Balkon, kann einer
die Remigiusstraße beobachten und der
Andere den Bischhofsplatz. Im Erdgeschoss
jedoch, ist die Bestuhlung auf den
Remigiusplatz ausgerichtet.
Lässt man Beate Uhse links liegen kommt
man auf den Bischhofsplatz, der kein
Platz ist. Von diesem Punkt aus gibt es
keine Möglichkeit die Straße problemlos
zu überqueren. Man stolpert zuerst über
eine Tiefgaragenausfahrt und muss darauf
hoffen, dass der gestresste Autofahrer nicht
mit Vollgas angeschossen kommt. Hat
man dies geschafft steht man auf einem
Zipfel des Platzes. Außer als Abstellplatz für
Fahrräder und als Standort einer Bushaltestelle,
scheint der Platz keinen großen
Nutzen zu haben.
Zwei Studenten parken ihre Räder an einer
Hecke und rennen hastig über die Straße.
Eine Mutter steht genervt am Straßenrand,
während ihre Tochter an der Bushaltestelle
sitzt, die Beine baumeln lässt und einen
Lutscher lutscht. Weiter geht es über die
Busspur, die auch gerne mal von eiligen
Autofahrern genutzt wird. Und dann
über die Autospur. Völlig gestresst steht
man nun auf der anderen Straßenseite,
nachdem man einen echten Hürdenlauf
gemeistert hat.
60 | 61 Bischofsplatz betrachten
62 | 63 Bischofsplatz reflektieren
Der Bischofsplatz liegt zu Füßen des Bonner
Unigebäudes, das so dringend einen
würdigen Vorplatz bräuchte.
Zur Zeit wird es durch die viel befahrene
Straße „Am Hof“, die so idyllisch
klingt, vom Rest der Innenstadt radikal
abgeschnitten. Denn „Am Hof“ duellieren
sich die verschiedenen Buslinien
mit Autofahrern, die aus der Tiefgarage
kommen. Der Platz, der von einer Seite
vom Bonner Rathaus flankiert wird und
auf der anderen Seite vom Unischloss, hat
sich dem Autoverkehr untergeordnet und
ist daher selbst ein Teil der Infrastruktur
gewurden. Von einem Platz im klassischen
Sinne kann man dort jedenfalls nicht
sprechen. Er ist gleichsam Bushaltestelle,
Fahrradstellplatz und Tiefgaragenausfahrt.
Alles, nur kein Platz mit Aufenthaltsqualität
und Charakter.
64 | 65 Schlosskirche ankommen
3
Schlosskirche
Steht man nun auf der anderen Straßenseite,
nachdem man den Bischhofsplatz
überquert hat, blickt man auf einen kleinen
Platz, der sich durch den Rücksprung
des Universitätsgebäudes ergibt. Unsicher
ob dieser Platz öffentlich oder ausschließlich
für Studenten gedacht ist, lasse ich
mich auf einer der Bänke nieder. Hier sitzt
man geschützt, im Schatten der hohen
Bäume. Eher selten trifft man andere
Menschen.
Der Platz an der Schlosskirche ist symmetrisch
angelegt. Er wird auf den beiden
kurzen Seiten, entlang des Unigebäudes
von jeweils vier Bäumen umgeben, unter
denen wiederum fünf Holzbänke angeordnet
sind. Hier sitze ich mit Blick auf die
Schlosskirche, die 1779 von dem Architekten
Johann Heinrich Roth als Hofkapelle
für die Kurfürsten errichtet wurde.
Der Platz ist wohl einer der schönsten in
Bonn. Er hat angenehme Proportionen,
die einem genügend Weite aber auch
ausreichend Schutz bieten.
Zwischen dem großflächig verlegten
Kopfsteinpflaster spriesst Moos, was insbe-
sondere im Sommer Farbtupfer erzeugt.
Ab und zu strömen Studenten aus dem
Hinterausgang auf den Platz, setzten sich
auf eine der Bänke, rauchen eine Zigarette
und unterhalten sich lebhaft. Beginnt der
nächste Kurs, herrscht wieder Stille. Man
hört nur noch das Rauschen der Autos auf
den angrenzenden Straßen. Ich empfinde
das nicht als störend, da man sie nicht
sieht und die Gebäude den meisten Lärm
schlucken.
Hier verweile ich gerne, da dies ein geeigneter
Ort ist, mitten in der Stadt Ruhe
zu finden und mit einem Kaffee vom Fritz
ungestört ein Buch zu lesen.
66 | 67 Schlosskirche betrachten
68 | 69 Schlosskirche reflektieren
Der Grund dafür, das sich hier so
wenig Leute aufhalten, ist vermutlich die
versteckte Lage und die Vermutung, dass
dieser Platz zur Universität gehört.
Daher fühlt es sich für viele wahrscheinlich
nicht natürlich an, sich dort aufzuhalten.
Lediglich die Studenten nutzen ihn
unbekümmert und sind sich der Qualität
bestimmt nicht bewusst, da sie andere
Dinge im Kopf haben. Im Sommer stehen
hier Tische vom Fritz‘ Café, doch um diese
Jahreszeit ist es hier ausgestorben.
Andere Sitzmöglichkeiten und mehr
davon würden den Aufenthalt auf diesem
Platz vermutlich angenehmer machen.
Durch die strikt symmetrische Anordnung
hat man das Gefühl mit der eigenen
Anwesenheit Unordnung zu stiften
und fühlt sich nicht eingeladen dort zu
verweilen. Vielleicht muss man sich von
der ursprünglichen Komposition lösen um
neue Eindrücke zu schaffen.
70 | 71 Blau ankommen
4
Blau
Ein Schritt. Von Kopfsteinpflaster auf
Asphalt. Ein Baum spendet den ganzen
Falschparkern, die die Feuerwehrzufahrt zu
parken, Schatten. Durch die großen Schaufenster
sehe ich auf die hölzerne Sushi
theke, an der im Akkord die Reisröllchen
produziert werden. An kleinen Tischen
sitzen Freundinnen, die gerade aus der
Vorlesung kommen, Mutter und Tochter,
die sich eine lange Zeit nicht gesehen
haben, ein Pärchen, das noch alles vor sich
hat. Es entsteht ein Stau für die Tiefgaragenzufahrt,
um den man Slalom laufen
muss, um in die Franziskanerstraße zu
kommen. Studenten sitzen in den großen
Fenstern des Unigebäudes, rauchen und
beobachten die andere Straßenseite.
Dort sind kleine Studentencafés und
Bars aneinander gereiht. Bunte Tische
und Stühle stehen auf dem Bürgersteig.
Auch jetzt noch, sodass man befürchten
muss, mit der Handtasche die Tassen und
Gläser abzuräumen. „Opium Höhle“ ist
in hellblau an ein Schild gekritzelt. Eine
stumme Kritik an das, was innerhalb des
Blocks passiert, wo sich Obdachlose die
Spritze geben. Oder doch eine Anspielung
auf die turbulenten Zukunftspläne für das
Viktoriakarré?
Hier befindet sich das Stadtmuseum. Oder
besser gesagt versteckt es sich. Das ehemalige
Viktoriabad bietet Raum für diese
Nutzung und beheimatet das Café Blau.
Schon von Außen fällt auf, dass dem Gebäude
wohl ursprünglich eine andere Nutzung
zugeschrieben war. Das Vordach, das
sich über die Gesamtlänge der verglasten
Erdgeschossfassade zieht, sitzt höher als
die mickrigen Vordächer der benachbarten
Cafés und ist ebenso wie die Fassade mit
hellem Naturstein verkleidet.
Das Erdgeschoss öffnet sich zum Vorplatz
und die Eingangstür verweist auf eine
ursprünglich öffentliche Nutzung.
72 | 73 Blau betrachten
Man betritt einen großzügigen Eingangsbereich,
früher einmal der Zugang
zum Viktoriaschwimmbad. Außer ein
paar Sesseln, die am schweren Vorhang
aufgereiht sind, der den Eingangsbereich
vom eigentlichen Café abtrennt, ist der
Raum leer.
Abends fängt sich das bunte Licht der
Diskokugel in der hellen Kassettendecke.
Studenten und Nachtschwärmer bewegen
sich eng aneinander gedrungen im
Rhytmus der Musik.
Hinter dem Vorhang wird man in die 70er
Jahre geführt. Grüne und rote Plastikstühle,
ebenso wie Leuchten aus dieser Zeit
lassen einen in Nostalgie verfallen. Der
Geruch von Kürbissuppe und Kaffee hängt
in der Luft. Zwei Studentinnen sitzen sich
gegenüber, die Laptops aufgeklappt, zwei
Schüsseln heißen, dampfenden Kakao
daneben. Die Leuchten strahlen warmes
Licht gegen die blaue Wand.
74 | 75 Blau reflektieren
Eine Stimmung, die es nur noch selten zu
geben scheint. Umso mehr freut es einen,
so einen besonderen Ort zu finden.
Neben all den künstlich hippen Cafés
oder eingestaubten Konditoreien ist es
erfrischend, einen so ehrlichen Ort zu
finden, wo das Leben zu pulsieren scheint.
Studenten nehmen die Sonderangebote
wahr und Freunde treffen sich auf
einen Kaffee. Eine Umnutzung, die nicht
aufgezwungen ist. Es fühlt sich nicht an,
als hätte man dem Schwimmbad ein Café
aufgedrückt. Viel mehr wirkt es so lässig,
als wäre es das Normalste auf der Welt.
Warum nicht mehr von solchen simplen
Nutzungen von Leerständen, die einem
Ort eine neue Identität geben und eine
Geschichte bewahren?
76 | 77 Blau
78 | 79 Lenné ankommen
4
Lenné
Eine Druckerei, ein Spieleladen, ein
Antikgeschäft. Dann Lärm. Autos rasen
im Sekundentakt durch das Koblenzener
Tor. Die Straße Am Belderberg ist ein
Hindernis und die grüne Insel, die ein
Zwischenstopp sein könnte, ist eingezäunt.
Links, das alte leerstehende Schwimmbad
mit bunter Glasfassade. Rechts, hinter dem
Torbogen, der Hofgarten. Einen Moment
lang kommen keine Fahrzeuge und ich
renne auf die andere Straßenseite. Die
Konviktstraße ist unscheinbar und verläuft
entlang der Uniachse. Ein paar Miethäuser
bilden das Gegenüber zum Schloss. Nach
einem mickrigen Grünstreifen rechts ein
weißes Gebäude.
80 | 81 Lenné betrachten
Außer ein paar Radfahrern kommt lange
niemand vorbei und beachtet das zweigeschossige
kleine weiße Haus an dem der
Putz schon großflächig abbricht und man
nicht genau weiß, ob es noch bewohnt ist.
Lediglich die Pflanzen auf dem Balkon,
deuten eine lebendige Nutzung an.
Schenkt man diesem vernachlässigten
Kleinod mehr Aufmerksamkeit wird man
herausfinden, dass dies das Geburtshaus
von Peter Joseph Lenné ist, dem Straßen,
Gärten und Plätze in Bonn und unzähligen
Städten gewidmet sind.
„Als Sohn des Hofgärtners und Inspektors
des Botanischen Gartens in Bonn aufgewachsen,
in Brühl und Paris ausgebildet,
revolutionierte er die Gartenbaukunst
seiner Zeit (...)“.
so heißt es auf der goldenen Plakette, die
zaghaft auf die besondere Bedeutung
dieses Ortes hinweist.
82 | 83 Lenné reflektieren
Wohl kaum ein Bonner, wird viel über
Peter Joseph Lenné sagen können.
Den Meisten wird vielleicht noch die
Lennéstraße in der Südstadt einfallen, in
der man gerne wohnt und einige werden
vielleicht an die „Lenné-Parterre“ an der
Rheinuferpromenade mit der Kopie der
bekannten Lenné-Büste von Christian
Daniel Rauch denken.
Doch nur wenige werden wirklich etwas zu
der Person Lenné und seinen Meisterwerken
sagen können, obwohl vermutlich
jeder schon einmal in einer solchen
Parkanlage flaniert ist. Es ist schade, dass
das Geburtshaus hinter dem prachtvollen
Unigebäude verkümmern muss,
während das von Beethoven von Touristen
überrannt wird und vermutlich in jedem
Fotoalbum klebt. Die Geschichte Lennés
sollte wieder mehr in die Köpfe Bonner
Bürger zurück gebracht werden.
84 | 85 Konviktstraße ankommen
4
Konviktstraße
Das Institut für Geschichtswissenschaften
befindet sich gegenüber des Geburtshauses
von Peter Joseph Lenné. Vor der
schönen, alten Holztür sitzen Studenten
auf den Steinstufen, während andere Ihnen
gegenüber stehen und sich angeregt
unterhalten. Die Sonne scheint auf den
Vorplatz des Gebäudes. Im Hintergrund
sieht man den Rhein glitzern. Man ist
schon so nahe am Fluss, dass man die
vorbei fahrenden Schiffe hören kann. Folgt
man der Straße weiter, kann man zwischen
den kahlen Baumkronen einen ersten
Blick auf den Rhein werfen.
86 | 87 Konviktstraße betrachten
Wirft man einen Blick nach rechts, schaut
man auf die sanierte Mauer des alten
Zolls. Zwischen Straße und Mauer befindet
sich ein ausgefranster und ungepflegter
Grünstreifen. Er bildet einen kleinen
Platz, dessen Qualitäten scheinbar noch
nicht entdeckt wurden. Lediglich ein paar
Jugendliche haben hier, wie es scheint,
einen fröhlichen Abend verbracht. Man
steht oberhalb des Brassertufer, an einer
historischen Steinbrüstung aus früherer
Zeit und blickt auf das Siebengebirge.
Unten fahren die Autos zu schnell am
Ufer entlang, sodass Fahrradfahrer und
Fußgänger ausweichen müssen. Die
Konviktstraße führt nicht geradewegs
zum Ufer, sondern knickt am Ende ihres
stringenten Verlaufs nach links über eine
Rampe ab. Ist man unten angekommen
muss man die leider zu viel befahrene
Straße überqueren. Dann geht es über
einen Bürgersteig um einen Pavillon
herum bis endlich der Flanierweg am
Rhein erreicht ist.
Der Ausblick ist wunderschön.
88 | 89 Konviktstraße reflektieren
Diese unscheinbare Straße eröffnet einem
einen wunderschönen Blick auf den Rhein.
Der Platz am alten Zoll wäre vermutlich ein
sehr beliebter Treffpunkt, wenn man ihn
ansprechend anlegen und besser erschließen
würde. Von dort aus hat man einen
ungestörten Blick auf die Rheinlandschaft.
Und zu guter Letzt: Das Brassertufer. Ist es
nicht schade, dass man dem Autoverkehr
an dieser Stelle den Vorrang überlässt?
Sollte eine Uferpromenade nicht zum Flanieren,
Spazieren und Radfahren da sein?
Außerdem ist es dringend notwendig, dass
das Ufer von jeglichen Stolperfallen befreit
und ansprechend gestaltet wird! Hier
schlummern viele Potentiale für einen
würdigen Übergang von Stadt und Rhein.
Alles andere ist eine Verschwendung nicht
genutzter Ressourcen.
90 | 91 Bonn reflektieren
5
Bonn reflektieren
Eine Stadt zu betrachten, bedeutet immer
einen Blick auf Altbekanntes zu werfen
und dabei Neues zu entdecken. Man fängt
an sie anders zu sehen und man wird
nicht müde sie immer wieder aus anderen
Perspektiven zu betrachten.
So erkennt man Sachen, die einen inspirieren
und anregen. Man findet für sich
selber raus, wie und wo man sich in der
Stadt sieht und gesehen werden möchte.
Bonn wird oft im Vergleich zu ihrer großen
Schwester Köln unterschätzt.
Sie gilt zwar als schön aber unaufgeregt.
Das mag der Gesamteindruck sein, doch
schaut man auf die Details, wirft man
einen Blick in Nebenstraßen oder setzt
einen Fuß in unscheinbar wirkende Cafés,
kann man sehr viel mehr entdecken, als
den schönen Schein.
Mit diesem Buch möchte ich jeden dazu
inspirieren, seine eigene Stadt neu kennenzulernen,
und den verloren gegangenen
Blick darauf wieder zu finden.
.
92 | 93 Anleitung
Anleitung
Auf den folgenden Seiten habe ich ein
leeres Kapitel eingefügt, welches darauf
wartet, von eigenen Betrachtungen gefüllt
zu werden.
Vielleicht verleitet es dazu, einen Lieblingsort
ebenfalls unter den vorab genannten
Kriterien zu betrachten und diese auf
folgende Weise festzuhalten.
ankommen:
Wie und von welcher Seite nähert man
sich dem Ort? Wie nimmt man den Weg
dorthin wahr? Was fällt Besonderes auf?
betrachten:
Langsames und genaues Betrachten.
Welche Personen halten sich dort auf? Wie
ist die Stimmung zu beschreiben? Welche
Materialien prägen den Ort? Wie fühlt
man sich dort?
reflektieren:
Beziehen Sie Haltung.
Was ist gut gelungen und was würden Sie
gerne ändern?
Viel Spaß dabei!
94 | 95 ankommen
6
96 | 97 betrachten
98 | 99 reflektieren
Impressum
BONN betrachtet
Projekt LAB III
Januar 2019
Caroline Steffen
Master of Arts | Prozessarchitektur
Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft
Betreuende Professoren
Prof. Benedikt Stahl
Prof. Willem-Jan Beeren
Schriften
Fließtext: Avenir Next Condensed Ultra Light
Titel: Futura Medium | Light
Papier
Munken Print White, 115 g/m 2
Druck und Bindung
Buchbinderei Comouth, Aachen
Dank
Benedikt Stahl, Willem-Jan Beeren, Miriam Hamel,
Dominique Buchmaier, Fabian Schulz