wirklich\\wahr – extrem
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Mai 1970, die Geburtsstunde der
Roten Armee Fraktion, kurz
RAF. Ihre Mission: der Kampf
gegen den Kapitalismus. Die
Terrororganisation stemmte sich mit Gewalt
gegen militärischen Einsatz, die amerikanische
Schutzmacht, Wiederbewaffnung, Westintegration
sowie gegen atomare Aufrüstung. Ihr
Name, eine ideologische Verbindung zur Sowjetunion,
zur DDR, zum Sozialismus. Inspiriert
von der „Roten Armee Russlands“. Sie sah sich
als Teil einer Fraktion, einer internationalen
linken Bewegung.
Die Organisation zündete Bomben in amerikanischen
Militäreinrichtungen auf deutschem
Boden, in den Gebäuden deutscher Sicherheitsbehörden
und Medienunternehmen. Ihr Ziel:
Politiker, Menschen der Öffentlichkeit. RAF und
Bundesregierung, beide hatten die eigenen Interessen
vor Augen, nahmen Opfer hin. Das Land erlebte
einen Schreckzustand, den es seit 1945 nicht
mehr kannte. Große Teile des linkspolitischen
Spektrums sahen die RAF als „soziale Protestbewegung“.
Was verleitet Menschen dazu, politische Forderungen
mit Terror umzusetzen? Wer verschreibt
sein Leben dieser Art von Wiederstand? Ulrike
Meinhof, Mitbegründerin der Roten Armee Fraktion,
lebt bis 1970 als angesehene Journalistin. Sie
bewegt sich in der High Society von Blankenese,
dem gesellschaftlichen Elitestadtteil Hamburgs.
Spannungen in ihrer Ehe zerreißen sie.
Im April 1968 schießt ein Rechtsextremist
drei Mal auf eine gute Freundin Meinhofs – zwei
Kugeln in seinen Kopf, eine in die Schulter. Rudi
Dutschke, der 1960er Studentenbewegung wird
lebensgefährlich verletzt. Von diesen Erfahrungen
geprägt, gleitet Ulrike Meinhof immer weiter ab.
Sie wird linker, extremer, radikaler.
Erdmann Wingert lebte nur einige Straßen entfernt
von Ulrike Meinhof. Er bewegte sich in den
gleichen gesellschaftlichen Kreisen, wohnte auch
in Blankenese. Während seines Studiums schreibt
er als Redakteur für Konkret. Seine Chefredakteurin:
Ulrike Meinhof.
„Dass die Meinhof in Radikalität und Untergrund
abtauchte, war ein Schock. Davor hatte ich sie als kluge
und engagierte Person schätzen gelernt. Was sie schrieb,
hatte Hand und Herz“.
Seit 1960 arbeitet Meinhof für das linke Magazin
Konkret. Sie übernimmt die Chefreaktion von
Klaus Rainer Röhl und heiratet ihn 1961. Meinhof
kritisiert, den Kalten Krieg, militärische Beteiligung
am Vietnamkrieg, Wiederbewaffnung, Antikommunismus
– die Politik Adenauers, Erhards
und Kiesingers.
Ich hatte nur ein „distanziertes Verhältnis“ zur Meinhof,
interessierte sie sich für meine Themen (Umweltschutz,
Ökologie und Nachhaltigkeit; Anmk. d. Redaktion)
doch höchstens am Rande, wenn überhaupt. Bis
auf ein paar kurze Kontakte innerhalb der Redaktion
und der Tatsache, dass wir beide in der „gutbürgerlichen
Ambiente“ von Hamburg-Blankenese lebten, hatten wir
kein inniges Verhältnis zueinander.
Woran ich mich jedoch erinnere: Sie war eine beeindruckende
Frau und hatte viele Verehrer in der
„Blankeneser Schickeria“. Darunter seien auch Größen
genannt wie Spiegel-Chef Rudolf Augstein, Dichter Peter
Rühmkorf und Journalist Stefan Aust.
Die SED Führung der DDR unterstützt das
Magazin Konkret finanziell. 1968 entscheidet sich
Röhl, als Herausgeber, die Zeitung umzugestalten
– Abwendung vom Marxismus hin zu einer
moderateren Einstellung des Magazins. Der SED
und Ulrike Meinhof gefallen diese Entwicklungen
nicht. Es kommt zu Machtkämpfen innerhalb des
Magazins, zur Trennung Röhls und Meinhofs. Mit
ihren Zwillingstöchtern verlässt Ulrike Meinhof
die Konkret-Redaktion und reist nach Berlin.
In der Hauptstadt finanziert sie den Lebensunterhalt
ihrer Familie unter anderem durch einen
Lehrauftrag für Publizistik an der Freien Universität
Berlin.
1968 begehen Andreas Baader und Gudrun
Ensslin Brandstiftung in einem Frankfurter Kaufhaus.
Meinhof lernt die Beiden bei einer Recherche
über den Brandanschlag kennen und freundet
sich mit ihnen an. 1970, ein radikaler Umbruch in
Meinhofs Leben: Die Beteiligung an der gewaltsamen
Befreiung Baaders aus dem Gefängnis. Es ist
das erste Verbrechen, die Geburtsstunde der RAF.
Noch im gleichen Jahre reisen Mitglieder der neu
gegründeten Terrorgruppierung nach Jordanien.
Sie werden ausgebildet in den Grundlagen des
Guerilla-Kampfes in einem palästinensischen
Ausbildungslager. Die RAF und palästinensische
Terrororganisationen, wie der „Schwarze September“
teilen gemeinsame Ideologien: der Sturz des
Kapitalismus. Sie schließen einen Pakt zur gegenseitigen
Unterstützung.
Währenddessen beantragt Röhl das Sorgerecht
für die Zwillinge. Der Zwist zwischen ihm
und Meinhof eskaliert zum Sorgerechtsstreit.
Röhl gewinnt und lässt mit Interpol nach seinen
Töchtern fanden. Meinhof reagiert indem sie die
Töchter in Sizilien verschanzt – ein kleines Dorf,
drei Zimmer und eine Betreuerin. Während die
Mutter sich total dem Kampf gegen das System
verschreibt, geraten ihre Töchter in Gefahr in ein
Lager „militanter Palästinenser“ abgeschleppt zu
werden. Stefan Aust, ein früherer Verehrer von
Ulrike Meinhof, erfährt von einem Aussteiger der
RAF den Aufenthaltsort der Kinder. Er rettet die
zwei Mädchen gerade noch rechtzeitig und bringt
sie letztendlich doch zu ihrem Vater.
Bomben treffen das Hauptquartier der US-Armee
in Frankfurt – das erste Ziel der RAF nach
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