ORNATIP / ORNARIS Bern '12(PDF /13.4 MB)
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PoRTRäT<br />
Ich nehme den wüstesten Baum<br />
Ein Telefon mit Wählscheibe als Christbaumschmuck? Oder ein Schweinchen im Bolero, eine warzige Gurke? Johann<br />
Wanner führt jeden erdenklichen Baumschmuck (und anderes mehr). Der Basler feiert in seinem Laden am Spalenberg<br />
von Januar bis Dezember Weihnachten. Und an der <strong>ORNARIS</strong> <strong>Bern</strong> ’12 zeigt der 73-Jährige neben seinem Stand voller<br />
Schmuck «den schönsten Weihnachtsbaum von allen». Text: René Ammann, Fotos: Johann Wanner<br />
Für Johann Wanner, ältestes von sechs Kindern einer streng katholi-<br />
schen Basler Familie, waren die Weihnachtstage nicht nur eine wichtige<br />
Episode, sondern sie bestimmten sein Leben. Er erinnert sich bis heute<br />
ans Geigenspiel seines Vaters, an den Teddybären, der von einem Kind<br />
zum anderen wanderte, und an den Wisa-Gloria-Anhänger, dessen Holz<br />
fürs nächste Kind erneut in frischem Rot und Gelb erstrahlte.<br />
Mit sechzehn war Johann Wanner als «Chlaus» unterwegs, er hatte<br />
in der Zeitung ein kleines Inserat geschaltet. Daraufhin meldeten sich<br />
Familien, die er der Reihe nach besuchte: «Ich läutete als Chlaus mit<br />
falschem Bart, der Vater oder die Mutter kam heraus und gab mir fünf<br />
Franken und einen Zettel, auf dem stand, was die Kinder geleistet<br />
hatten – oder eben nicht. Und das trug ich den Kindern vor. Mit dem<br />
«Chlausgeld» fuhr ich im Jänner in die Ferien ins <strong>Bern</strong>er Oberland,<br />
logierte in einer Jugendherberge und trank zum «Thé dansant» allen-<br />
falls ein Pepita, das ich auf dem WC mit Wasser auffüllte. Ich habe noch<br />
heute eine Sammlung der Zettel. Letzthin traf ich einen Staatsanwalt,<br />
bei dessen Familie ich als Chlaus gewesen bin, als er noch ein Kind war.<br />
Ich gab ihm den Zettel, und er brach in Tränen aus. Die Weihnachtstage<br />
sind etwas sehr Emotionales, das gilt auch für mich.»<br />
Mit 23 packte Wanner sein Erspartes und seine Siebensachen und<br />
fuhr zwei Jahre lang mit einer «Ente» durch die Welt. Sein «Döschwo»<br />
führte ihn in den Orient. Das war 1962, die Welt befand sich im Kalten<br />
Krieg, die Amerikaner und Briten pflanzten in der Türkei Raketen mit<br />
Atomsprengköpfen Richtung Russland, Wanner erfreute sich in Ägypten<br />
im Schatten der Pyramiden an seinem Weihnachtsbäumchen. Zurück<br />
in Basel, eröffnete er ein Geschäft für Antiquitäten. Spezialgebiet:<br />
Weihnachtsschmuck. Doch den handgemachten aus seiner Kindheit,<br />
die Vögelchen, Engel und Pilze – all dies gab es nicht mehr.<br />
Wie der Zufall spielte, tauchte eines Tages ein Mann aus Thüringen in<br />
Wanners Laden auf. In seinem Gepäck: alter Christbaumschmuck aus<br />
Glas. Wanners Feuer war entfacht. Er reiste in die DDR, fand Glasbläser,<br />
Kugeln, Gussformen und bestellte 500 000 Kugeln aufs Mal. Nach<br />
der Wende, 1989, schlug für Wanner erneut eine Schicksalsstunde.<br />
Die Tschechen wollten ihr staatliches Archiv samt den schönsten<br />
Weihnachtskugeln aus 50 Jahren wegwerfen. Wanner griff zu, und zwei<br />
volle Güterwagen mit schönstem Schmuck fuhren in Basel vor.<br />
Heute lenkt Johann Wanner einen Rolls-Royce, er war als Messebeirat<br />
der «Christmasworld» in Frankfurt tätig, brachte mit seiner Frau Ursel<br />
jedes Jahr erschöpfende acht Fachmessen hinter sich. Kürzer treten?<br />
Nein. Er sprüht vor Ideen. An der <strong>ORNARIS</strong> will er neben dem Stand<br />
zweimal am Tag einen Vortrag halten zum Thema: Wie schmücke ich<br />
den Baum? Das kann von wunderbar kitschigem Biedermeier bis zu<br />
echt versilbertem Glasschmuck reichen. Wanners Lieblingskugel ist<br />
übrigens schwarz, ein dunkler, geheimnisvoller Spiegel.<br />
Wie weiss der Experte, ob ein neuer Artikel ein Erfolg wird oder<br />
nicht? Er zählt die Nasenabdrücke am Schaufenster seines Ladens<br />
am Spalenberg. Auf 70 cm Höhe drücken sich die Kindergärtler die<br />
Nasen platt, und Herr Wanners Ohren werden «noch grösser, als sie<br />
schon sind». Und was tut er, wenn er am Weihnachtstag den Schlüssel<br />
dreht? «Nach Weihnachten ist immer vor Weihnachten. Aber am spä-<br />
ten Nachmittag wird es ruhiger», sagt Johann Wanner, «wir wohnen<br />
ja nach alter Art und Weise im Haus, dort wo der Laden ist. Wir spa-<br />
zieren durch die Gassen zum grossen Baum vor dem Münster, hören<br />
die Posaunen. In den Tagen danach schöpfen wir Kraft. Weihnachten,<br />
das ist wie ein Abschied. Wie wenn der Schullehrer seinen Abgang<br />
gibt. Das Ende eines Zyklus. Meistens regnets. Es gab auch schon<br />
Schnee. Aber selten.»<br />
Aussteller: Johann Wanner, Stand 2.0.B-04.<br />
Bis der Baum singt<br />
Wer schmückt Ihren Christbaum, Sie oder Ihre Frau?<br />
Meinen Baum dekoriere ich sicher selbst. Es ist etwas sehr<br />
Persönliches, die Kugeln aus den Schuhschachteln auszu-<br />
packen. Man hängt den Schmuck niemals auf! Man deko-<br />
riert! Und man zelebriert das Dekorieren mit einem Gläsli<br />
«Wysse» oder «Roote» und einer Zigarre. Wenns länger<br />
dauert, auch mit einem zweiten oder dritten Gläsli, oder<br />
einem vierten, dann beginnt der Baum zu singen . . .<br />
Welche Baumsorte wählen Sie?<br />
Eine Fichte oder Rottanne, wie sie bei uns heisst. Ich nehme<br />
jeweils den wüstesten Baum. Wenn man ihm die Ehre gibt,<br />
erhält man eine Antwort zurück. Auch als junger Mann for-<br />
derte ich erst die älteren Damen zum Tanz auf, dann hatte<br />
ich kein schlechtes Gewissen.<br />
Was werden Sie an der <strong>ORNARIS</strong> <strong>Bern</strong> ’12 zeigen?<br />
Neben unserem Stand mit traditionellen, dekorierten Fich-<br />
ten zeigen wir «den schönsten Weihnachtsbaum von allen».<br />
Zweimal am Tag – um 10.30 und um 14.30 Uhr – erkläre ich,<br />
wie man einen Baum schmückt, und das anhand mehrerer<br />
Bäume, die erst nur teilweise dekoriert sind, dann voll de-<br />
koriert und schliesslich perfekt sind.<br />
Welchen Trend sehen Sie?<br />
Silber. Weihnachtsschmuck hat viel mit der Mode zu tun.<br />
Nur ziehe ich keine Frauen an, sondern Bäume. Wir werden<br />
echt versilberten Glasschmuck präsentieren. Nur er bildet<br />
mit dem Silberbesteck eine Einheit. www.johannwanner.ch.<br />
0RNATIP <strong>Bern</strong> ’12 31