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Kyle Harper: FATUM. Das Klima und der Untergang
des römischen Reiches, aus dem Englischen
von Anna Leube und Wolf Heinrich Leube,
Originaltitel: The Fate of Rome. Climate,
Disease, and the End of an Empire. Verlag C.
H. Beck, München 2020 | Gebundene Ausgabe.
Mit 42 Abbildungen, 9 Tabellen und 26
Karten. 567 Seiten, € 29,95
ISBN 978-3-406-74933-9
Drei Jahre vor Corona und zwei vor
Greta – im Jahr 2017 – veröffentlichte
Kyle Harper, Professor für Altertumswissenschaften
an der University of
Oklahoma, seine Geschichte über
große Pestepidemien, Hunnensturm und imperialen
Zusammenbruch. Er führt seine Leserinnen
und Leser vom Höhepunkt des 2. Jahrhunderts
n. Chr., als das römische Weltreich eine schier
unüberwindliche Macht zu sein schien, in die
Niederungen des 7. Jahrhunderts, als das Imperium
ausgemergelt, politisch fragmentiert und
materiell ausgelaugt war. Er beschreibt, wie die
Römer lange tapfer standzuhalten suchten, als
Umweltveränderungen das ganze Reich niederdrückten
– bis schließlich die Folgen der „Kleinen
Eiszeit“ und das wiederholte Auftreten der Pest
die Widerstandskraft der einstigen Weltmacht
aufgezehrt hatten.
Kyle Harper zieht erstmals die Summe aus umweltgeschichtlichen
Forschungen, die aufgrund
rasanter Fortschritte in naturwissenschaftlichen
Methoden (u.a. Eisbohrkernforschung, Gletscheranalysen,
Dendrochronologie, Paläogenetik,
Knochenuntersuchungen, Isotopenanalysen,
Paläomikrobiologie, Paläoklimaforschung) zu
einer Fülle von teils neuen, teils exakteren Erkenntnissen
kommen. So kann man sagen: Die
Klimaerwärmung zwischen 200 v. Chr. und 150
n. Chr. war Geburtshelfer unserer Zivilisation (so
Konstantin Sakkas im Deutschlandfunk Kultur
vom 30.3.2020). Denn die Römer verdankten ihre
mächtige Position offensichtlich einem glücklichen
Moment der Geschichte, schreibt Kyle Harper:
„Das Imperium erreichte seine größte Ausdehnung
und höchste Prosperität in einer Phase,
die römisches Klimaoptimum genannt wird. Neben
Handel und Technologie war das Klima ein
stiller Partner in einem scheinbaren circulus virtuosus
von Macht und Prosperität.“
„Gibbons berühmtes Werk Verfall und Untergang
des römischen Imperiums beginnt mit den glücklichen
Tagen des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts.
Sein berühmtes Urteil lautete: 'Wenn
jemand aufgefordert werden sollte, die Periode in
der Weltgeschichte anzugeben, während welcher
die Lage des Menschengeschlechtes die beste
und glücklichste war, so würde er ohne Zögern
diejenige nennen, welche zwischen dem Tode des
Domitian (96 n. Chr.) und der Thronbesteigung
des Commodus (180 n. Chr.) verfloss.'“ (31).
Die Blüte der Landwirtschaft und der Städte wäre
ohne besonders günstige klimatische Bedingungen
nicht möglich gewesen. Das Roman Climate
Optimum erweist sich als eine Warmphase mit
feuchtem und beständigem Klima fast im ganzen
mediterranen Kernland des Imperiums. Dies
war ein günstiger Moment, um dank einer Reihe
voneinander unabhängiger politischer und ökonomischer
Bedingungen ein agrarisches Reich zu
schaffen (35). Das, so Kyle Harper, begünstigte
den Aufstieg Roms zur Weltmacht: Immer mehr
Menschen konnten ernährt werden und die Wirtschaft
prosperierte.
„Bakterien sind noch weitaus
tödlicher als Barbaren“.
Doch mit dem geschenkten Glück bauten die
Menschen eine Umwelt, die auch besonders
anfällig war: Über die Verbindungswege der
protoglobalen Ökonomie sowie in den dichtbevölkerten
Städten konnten aus Mittelasien und
dem Raum des Indischen Ozeans eingeschleppte
Erreger nunmehr Pandemien auslösen.
Vorausgegangen waren klimatische Veränderungen;
dieser Umschwung vollzog sich ab der
Mitte des zweiten Jahrhunderts, seit diesem
Punkt „ging es mit dem Glück der Römer bergab.
Während der Jahrhunderte, die Gegenstand
unserer Untersuchung sind, kam es zu einer der
dramatischsten Klimaveränderungen im ganzen
Holozän. Zunächst begannen drei Jahrhunderte
andauernde klimatische Turbulenzen (von 150 bis
450 n. Chr.), die wir 'Römische Übergangsperiode'
nennen möchten. An entscheidenden Wendepunkten
belastete die Unbeständigkeit des Klimas
die Kraftreserven des Imperiums und beeinflusste
dramatisch den Lauf der Ereignisse. Gegen Ende
des fünften Jahrhunderts nehmen wir Anzeichen
einer entscheidenden Veränderung wahr, die in
der spätantiken 'Kleinen Eiszeit' ihren Höhepunkt
erreichte. Heftige vulkanische Aktivitäten in den
Jahren von 530 bis 540 führten zur kältesten
Zeitspanne des gesamten Holozäns. Gleichzeitig
gingen die Sonneneinstrahlung und damit die
zur Erde gelangende Energie auf das niedrigste
Niveau in mehreren Jahrtausenden zurück. Wir
werden sehen, dass die (reale) Klimaverschlechterung
mit einer bis dahin beispiellosen biologischen
Katastrophe einherging, so dass vollends
zerstört wurde, was vom römischen Staat damals
noch übrig war“ (36).
Gustav Seibt (Süddeutsche Zeitung vom 25.03.
2020) gibt in seiner Besprechung zu bedenken:
„Roms Ursprung in einer klimatisch milden Zwischenepoche
dürfte ein Grund gewesen sein,
warum seine Ökologie bisher so geringe Aufmerksamkeit
fand. Die Spätantike bietet das Kontrastbild,
das die Frage überhaupt erst plausibel
macht. Das Römische Klimaoptimum war eine
Hintergrundbedingung, die wegen ihrer Stabilität
nicht auffiel.“
Drei Seuchenzüge, die Antoninische Pest 165,
die Cyprianische Pest 249–264 und die Justinianische
Pest 541–543, sowie weitere Ausbrüche
bis 749, veränderten die Welt. Das Krankheitsbild
war verheerend, Geschwülste unter den Achseln,
an den Ohren und den Oberschenkeln, die in Eiter
übergingen, linsengroße schwarze Blasen am
ganzen Körper, schwarze Flecken auf den Händen:
Es handelte sich um die Beulenpest, die innerhalb
weniger Tage zum Tode führte und die
Bewohner ganzer Städte und Dörfer auslöschte
(327).
Der Infekt verbreitete sich, getragen von den
Zwischenwirten Flöhen, Ratten und Menschen
vor allem zu Wasser, über die Hafenstädte. Die
Pest war Begleiterin der kaiserzeitlichen Stadtkultur,
des mittelmeerischen Getreidehandels, ihre
Expansion nutzte auch das immer noch intakte
Straßennetz des Reichs. „Die Pest breitete sich in
verschiedenem Tempo aus: schnell auf dem See-,
langsam auf dem Landweg. Allein der Anblick
von Schiffen erregte Angst und Schrecken“ (328).
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LGBB 02 / 2020 · JAHRGANG LXIV
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