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gibt sich, dass Latein in Zukunft nicht mehr nur
„als Zugang zum antiken Rom“, sondern „als
Zugang zu einem wesentlichen Teil der europäischen
Tradition“ zu begründen ist (a.a.O. 73).
Konkrete Beispiele stellte Fuhrmann in verschiedenen
Veröffentlichungen vor.
Europa als Thema des
Lateinunterrichts
Den Europa-Bezug des altsprachlichen Unterrichts
hat FRIEDRICH MAIER intensiv vertreten
und auch in Schul-Textausgaben konkretisiert.
Caesar könne als „Baumeister Europas“ verstanden
werden, ohne dass „das Bedenkliche“ an
seinem Vorgehen „ausgeblendet“ werden müsse
(Maier 1985: 38). Viele der von Ovid gestalteten
Episoden „haben in die europäische Kultur- und
Geistesgeschichte hineingewirkt“ (ib. 166). Im
antiken Mythos werde „gewissermaßen das kollektive
Bewusstsein des abendländisch-europäischen
Menschen fassbar“ (ib. 167). An bestimmten
Texten lasse sich zeigen, dass in Rom eine
„Herrschaftsideologie“ begründet wurde, „die
fast eineinhalb Jahrtausende die Geschichte Europas
bestimmte. Sie hat zu allen Zeiten Anerkennung,
aber auch Kritik gefunden“ (ib. 231). Maier
betonte die Wichtigkeit der Einbeziehung von
Rezeptionsdokumenten in den Lateinunterricht
4 Erwähnt sei hier, dass, seitdem die wissenschaftlichen
Hausarbeiten im Staatsexamen auch im Bereich der
Fachdidaktik geschrieben werden durften, Themen
bearbeitet wurden wie die beiden folgenden: „Die
Legenda aurea des Jacobus de Voragine – Fachwissenschaftliche
und fachdidaktische Grundlagen ihrer Lektüre
im heutigen Lateinunterricht“ (2006). – „Erasmus von
Rotterdam als Schulautor im heutigen Lateinunterricht –
Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Grundlagen
der Erasmus-Lektüre nach den «Curricularen Vorgaben
für die gymnasiale Oberstufe der Berliner Schule»
(2006).”
und stellt eine Fülle von Möglichkeiten hierzu vor.
Name und Begriff
„Die Rezeption der Antike, in welcher Form auch
Europas
immer“, gewinne „im Kulturraum Europas und
darüber hinaus zunehmend an Bedeutung“ (ib.
267). Durch diese Bestrebungen kam es zu einer
ganz erheblichen Schwerpunktverlagerung in den
Lehrplänen. Ging es in den früheren Lehrplänen
noch ausschließlich oder hauptsächlich um eine
„Begegnung mit dem Römertum“(Rahmenpläne
A V 11, Berlin 1968), indem „Werke römischer
Schriftsteller im Original gelesen“ werden sollten,
so wurde nunmehr (z.B. im „Rahmenlehrplan
für Latein in der Sekundarstufe I“, Berlin 2006:
9) ausdrücklich betont, dass das Lateinische
einen eigenen Zugang zur Vergangenheit der
griechisch-römischen Antike „und den folgenden
Epochen“ eröffnet: „Das Fach spannt durch
die Berücksichtigung lateinischer Literatur aus
Altertum, Mittelalter und Neuzeit eine Brücke
zwischen Antike und Moderne und trägt so entscheidend
dazu bei, einerseits ein Bewusstsein
europäischer Identität, andererseits einen vorurteilsfreien
Umgang mit fremden Kulturkreisen zu
schaffen.“
PETER GOCHT (1932–2009), Oberschulrat am damaligen
Wissenschaftlichen Landesprüfungsamt
in Berlin (West), zuständig für die Staatsexamina
im Fach Latein, hob auf einer Tagung im Oktober
1987 über die Ausbildung der Lateinlehrer in Berlin
„eine sehr einschneidende Veränderung“ der
Prüfungsordnung hervor: Demnach konnte ein
Student bereits seit 1982 „zumindest 50% seiner
Prüfung mit nachantikem Latein bestreiten. Das
bedeutet also mit einem Latein, das bis in das Jahr
1987 reicht. Diese sehr gravierende Veränderung
hat bis heute allerdings“, so stellte Gocht damals
fest, „wenig erkennbare Konsequenzen gehabt.“
Aus dem, was Gocht des Weiteren ausführte, sei
aber „klar, dass ein Studium auf diesem unerhört
erweiterten Feld einen ganz anderen Charakter
haben muss als das ganzheitliche Studium, das
auf die römische Literatur bezogen ist.“ (Gocht:
37) 4
Der altsprachliche Unterricht ist auch der geeignete
Ort, in dem Herkunft und Geschichte
des Namens „Europa“ erörtert werden können.
Auch außerhalb der Altertumswissenschaft ist
der Mythos von der Königstochter Europa allgemein
bekannt, die von Zeus in der Gestalt eines
Stieres aus Phönizien nach Kreta entführt wurde
(bei Ovid, met. 2,833–875; 3,1–2; 6,103–107).
Diese Szene wurde schon in der Antike auf Vasenbildern,
Wandgemälden und Münzen dargestellt
und ist auch heute in den Medien, besonders
in Karikatur und Satire präsent. Sie hat vor
allem in der Geschichte der europäischen Malerei
ihren Platz (z.B. Tizian, Rembrandt, Tiepolo). Die
Etymologie des Namens ist umstritten. Vielleicht
kommt er vom semitischen Wort ereb (Dunkel,
Abend); auch das griechische ἔρεβος bezeichnet
das Dunkel oder die Unterwelt. Demnach würde
der Name ursprünglich „Land der untergehenden
Sonne“ bedeuten, d.h. „Abendland“.
THEODOR HEUSS, der erste Bundespräsident der
Bundesrepublik Deutschland, sagte 1950 in einer
Rede bei einer Schuleinweihungsfeier: „Es gibt drei
Hügel, von denen das Abendland seinen Ausgang
genommen hat: Golgatha, die Akropolis in Athen,
das Capitol in Rom. Aus allen ist das Abendland
geistig gewirkt, und man darf alle drei, man muss
sie als Einheit sehen.“ (Heuss 1956: 32) Der Name
der mythischen Frauengestalt findet sich schon bei
Hesiod (theog. 357) und Herodot (1,2 und öfter),
als Name für ein Gebiet bei Herodot sehr oft, aber
noch ohne exakte Begrenzung auf den heute so
genannten Erdteil. Man kann allerdings feststellen,
dass die Antike noch „ohne einen Europagedanken
ausgekommen ist: Die Welt der Griechen und
Römer war mediterran“ (Fuhrmann 1995: 40). Der
politische Begriff von Europa setzt sich erst viel
später durch: nach dem Sieg über die Araber bei
Poitier im Jahr 732, nach Karl dem Großen, Otto
I., Friedrich II. dem Staufer. Erst nach dem Fall Konstantinopels
(1453) appellierte Enea Silvio Piccolomini
(der spätere Papst Pius II.) an ganz Europa,
indem er zur Abwehr der Türken aufrief. Europa
war für ihn „eine Vielheit und eine Einheit zugleich“
(Fuhrmann 1995: 41), eine Formel, die übrigens
dem heutigen lateinischen Motto der Europäischen
Union entspricht: In varietate concordia.
Gegenwartsbezüge
Der altsprachliche Unterricht bietet in Bezug auf
Europa zahlreiche Gegenwartsbezüge. Es beginnt
schon im lateinischen Anfangsunterricht
aller Lehrgangsformen, dass auf die Geschichte
der lateinischen und der griechischen Schrift
hingewiesen wird. „Das Lateinische ist in vieler
Hinsicht die erfolgreichste und produktivste Kultursprache
der Welt. Die Geschichte des Lateinischen
und der lateinischen Schriftkultur bietet
einige Superlative“, die der Sprachwissenschaftler
Haarmann ausführlich darstellt (HARALD HAAR-
MANN 2001: 239–245). Im Unterricht wird die
Verwandtschaft mit den romanischen Sprachen
und mit der englischen Sprache an zahlreichen
konkreten Beispielen thematisiert. Viele Fremdund
Fachwörter im Deutschen und in anderen
Sprachen sind dem lateinischen und griechischen
Wortschatz entnommen. So wird ein Gefühl für
die Verwandtschaft der europäischen Kulturen
angebahnt. Nicht nur in Europa, auch in ‘Lateinamerika’
werden Spanisch und Portugiesisch
gesprochen. Wenn die neulateinische Literatur in
den Unterricht einbezogen wird, kann das den
Schülern einen konkreten und bleibenden Eindruck
von der historisch begründeten Zusammengehörigkeit
der europäischen Völker und Kulturen
vermitteln. Schon das Lesebuch von ALFONS
FITZEK (1968) bot z.B. Textabschnitte aus der
Querela pacis von Erasmus von Rotterdam, aus
der Utopia von Thomas Morus, aus der Didactica
magna des Comenius und weitere für den Unterricht
ausgewählte Textstellen von Pietro Bembo,
Luther, Andreas Vesalius, William Harvey, Hugo
Grotius, Descartes, Spinoza und Leibniz.
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