26.06.2020 Aufrufe

immobilia 2020/05 - SVIT

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

IMMOBILIENPOLITIK<br />

COVID-19<br />

DAS VIRUS GREIFT<br />

DIE WERTE AN<br />

Wirtschaft und Gesellschaft kommen langsam<br />

aus dem Lockdown. Nun kommt das<br />

Parlament ins Spiel. Das verheisst nichts<br />

Gutes. TEXT—IVO CATHOMEN*<br />

UNTER DEM DECKMANTEL DER NOT<br />

Es ist erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit in Zeiten<br />

wie diesen selbst gestandenen Bürgerlichen der<br />

Ruf nach finanzieller Hilfe und Liberalen die Ideen eines<br />

staatlichen Eingriffs über die Lippen kommt. Werden<br />

sie sonst nicht müde, weniger statt mehr Staat und<br />

tiefere Steuern zu fordern, werfen sie ihre Prinzipien<br />

nun scheinbar mühelos und ohne innere Konflikte über<br />

Bord. Von der Linken ist man den Kanon des väterlichen<br />

Staates für alle erdenklichen Lebenslagen gewohnt.<br />

Alles andere als ihr Ruf nach finanzieller Hilfe<br />

für alles und jeden wäre eine Überraschung.<br />

Und bei dieser Gelegenheit kann man auch gleich<br />

noch das Klima retten (Regula Rytz) oder die Schuldenbremse<br />

aushebeln bzw. die Umverteilung mit einer<br />

«Reichensteuer» verstärken (Christian Levrat). Es<br />

braucht keine seherische Fähigkeit, um zu erahnen,<br />

dass die ausserordentliche Session der eidgenössischen<br />

Räte dazu missbraucht werden wird, unter dem<br />

Deckmantel der Notmassnahmen weitere Milliarden<br />

unters Volk zu bringen und damit vor allem die eigene<br />

Klientel zu bedienen.<br />

«Ma crainte, c’est que le monde d’après ressemble<br />

au monde d’avant, mais en pire», sagte der französische<br />

Aussenminister Jean-Yves Le Drian jüngst zur Corona-Pandemie<br />

gegenüber «Le Monde». Vereinfacht:<br />

«Alles ist wie immer, nur schlimmer.» Le Drian muss<br />

es wissen. Frankreich ist das leuchtende Beispiel gescheiterter<br />

Versuche, einmal versprochene staatliche<br />

Leistungen je wieder zurücknehmen zu können.<br />

TEMPO GEHT ÜBER STUDIEREN<br />

Es wird auch uns ungleich mehr Mühe bereiten, die<br />

eiligst eingeführten Verpflichtungen der öffentlichen<br />

Hand wieder zurückzunehmen, als die Einführung derselben<br />

gekostet hat. Ausserdem dürfen wir uns auf eine<br />

dauerhafte Verschiebung der Machtverhältnisse<br />

einstellen. Dabei ist wenig die Machtfülle des Bundesrats<br />

gemeint. Seine Kompetenzen in der aussergewöhnlichen<br />

Lage sind endlich. Bei überhasteten Eingriffen<br />

in das geltende Recht ist das weniger wahrscheinlich.<br />

Schnell ist selten gut, wie das nachfolgende Beispiel<br />

zeigt. Die Wirtschaftskommissionen der eidgenössischen<br />

Räte haben sich an ihren letzten Sitzungen aufgemacht,<br />

beherzt ins geltende Mietrecht einzugreifen<br />

(siehe nebenstehende Meldungen). Der Bundesrat hat<br />

weitsichtig die Finger von einer notrechtlichen Regelung<br />

in der Frage der Geschäftsmietzinse gelassen und<br />

die Vertragspartner zu individuellen Lösungen aufgerufen.<br />

Das ging den Parlamentariern nun offensichtlich<br />

zu wenig schnell, obwohl absolut keine Eile geboten ist.<br />

Vollkommen missraten ist die Motion «Geschäftsmieten»<br />

der ständerätlichen Wirtschaftskommission.<br />

Nicht nur reckt sie ohne Not die Hand in die Staatsschatulle<br />

und will damit Vermieter und Mieter für ihren<br />

Vorstoss ködern. Sie weitet auch den Kreis der anspruchsberechtigten<br />

Geschäftsmieter massiv aus. So<br />

können nicht nur Geschäfte eine Senkung reklamieren,<br />

die direkt vom Betriebs- und Publikumsöffnungsverbot<br />

betroffen sind. Eine Umsatzeinbusse reicht bereits<br />

aus. Diese Hintertüre könnte die Vermieter und den<br />

Staat sehr teuer zu stehen kommen. Ohne direkten Bezug<br />

zur Notverordnung des Bundesrats, also ohne vom<br />

Betriebsverbot betroffen zu sein, werden hier die unternehmerischen<br />

Risiken eines Ereignisses und Verluste<br />

vom Geschäftsmieter auf den Vermieter transferiert.<br />

Wir sind damit nicht mehr weit davon entfernt,<br />

dass Vermieter den regnerischen Sommer oder den<br />

schneearmen Winter finanziell zu verantworten<br />

haben.<br />

Alsdann haben Vermieter nach den Vorstellungen<br />

der WAK-S Kleinunternehmen und Selbstständigerwerbenden<br />

die Miete für zwei Monate ganz zu erlassen,<br />

wenn die Bruttomiete den Betrag von 5000 CHF<br />

nicht übersteigt. Das wird die überdurchschnittlich<br />

vielen privaten Vermieter von solchen Geschäftslokalen<br />

schwer treffen.<br />

Und schliesslich lässt die WAK-S geflissentlich offen,<br />

wie sie das Vorhaben in den unzähligen Detailfragen<br />

und die Prüfung von Mietzinsen und Jahresumsätzen<br />

administrativ zu bewältigen gedenkt. Das wird eine<br />

bürokratische Ausgeburt. Der Bundesrat tut gut daran,<br />

seinen Weg weiter zu beschreiten und die Motionen<br />

der Wirtschaftskommission abzulehnen.<br />

Das Coronavirus hat vor allem eines bewirkt: Es hat<br />

unsere Werte und Überzeugungen – und zuweilen auch<br />

den gesunden Menschenverstand – pandemisch angegriffen.<br />

Ort des Geschehens:<br />

ausserordentliche<br />

Session der eidgenössischen<br />

Räte in der<br />

Bernexpo.<br />

(FOTO: BERNEXPO)<br />

*IVO CATHOMEN<br />

Dr. oec. HSG, ist<br />

Herausgeber der<br />

Zeitschrift Immobilia.<br />

10<br />

IMMOBILIA / Mai <strong>2020</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!