immobilia 2020/05 - SVIT
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IMMOBILIENPOLITIK<br />
COVID-19<br />
DAS VIRUS GREIFT<br />
DIE WERTE AN<br />
Wirtschaft und Gesellschaft kommen langsam<br />
aus dem Lockdown. Nun kommt das<br />
Parlament ins Spiel. Das verheisst nichts<br />
Gutes. TEXT—IVO CATHOMEN*<br />
UNTER DEM DECKMANTEL DER NOT<br />
Es ist erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit in Zeiten<br />
wie diesen selbst gestandenen Bürgerlichen der<br />
Ruf nach finanzieller Hilfe und Liberalen die Ideen eines<br />
staatlichen Eingriffs über die Lippen kommt. Werden<br />
sie sonst nicht müde, weniger statt mehr Staat und<br />
tiefere Steuern zu fordern, werfen sie ihre Prinzipien<br />
nun scheinbar mühelos und ohne innere Konflikte über<br />
Bord. Von der Linken ist man den Kanon des väterlichen<br />
Staates für alle erdenklichen Lebenslagen gewohnt.<br />
Alles andere als ihr Ruf nach finanzieller Hilfe<br />
für alles und jeden wäre eine Überraschung.<br />
Und bei dieser Gelegenheit kann man auch gleich<br />
noch das Klima retten (Regula Rytz) oder die Schuldenbremse<br />
aushebeln bzw. die Umverteilung mit einer<br />
«Reichensteuer» verstärken (Christian Levrat). Es<br />
braucht keine seherische Fähigkeit, um zu erahnen,<br />
dass die ausserordentliche Session der eidgenössischen<br />
Räte dazu missbraucht werden wird, unter dem<br />
Deckmantel der Notmassnahmen weitere Milliarden<br />
unters Volk zu bringen und damit vor allem die eigene<br />
Klientel zu bedienen.<br />
«Ma crainte, c’est que le monde d’après ressemble<br />
au monde d’avant, mais en pire», sagte der französische<br />
Aussenminister Jean-Yves Le Drian jüngst zur Corona-Pandemie<br />
gegenüber «Le Monde». Vereinfacht:<br />
«Alles ist wie immer, nur schlimmer.» Le Drian muss<br />
es wissen. Frankreich ist das leuchtende Beispiel gescheiterter<br />
Versuche, einmal versprochene staatliche<br />
Leistungen je wieder zurücknehmen zu können.<br />
TEMPO GEHT ÜBER STUDIEREN<br />
Es wird auch uns ungleich mehr Mühe bereiten, die<br />
eiligst eingeführten Verpflichtungen der öffentlichen<br />
Hand wieder zurückzunehmen, als die Einführung derselben<br />
gekostet hat. Ausserdem dürfen wir uns auf eine<br />
dauerhafte Verschiebung der Machtverhältnisse<br />
einstellen. Dabei ist wenig die Machtfülle des Bundesrats<br />
gemeint. Seine Kompetenzen in der aussergewöhnlichen<br />
Lage sind endlich. Bei überhasteten Eingriffen<br />
in das geltende Recht ist das weniger wahrscheinlich.<br />
Schnell ist selten gut, wie das nachfolgende Beispiel<br />
zeigt. Die Wirtschaftskommissionen der eidgenössischen<br />
Räte haben sich an ihren letzten Sitzungen aufgemacht,<br />
beherzt ins geltende Mietrecht einzugreifen<br />
(siehe nebenstehende Meldungen). Der Bundesrat hat<br />
weitsichtig die Finger von einer notrechtlichen Regelung<br />
in der Frage der Geschäftsmietzinse gelassen und<br />
die Vertragspartner zu individuellen Lösungen aufgerufen.<br />
Das ging den Parlamentariern nun offensichtlich<br />
zu wenig schnell, obwohl absolut keine Eile geboten ist.<br />
Vollkommen missraten ist die Motion «Geschäftsmieten»<br />
der ständerätlichen Wirtschaftskommission.<br />
Nicht nur reckt sie ohne Not die Hand in die Staatsschatulle<br />
und will damit Vermieter und Mieter für ihren<br />
Vorstoss ködern. Sie weitet auch den Kreis der anspruchsberechtigten<br />
Geschäftsmieter massiv aus. So<br />
können nicht nur Geschäfte eine Senkung reklamieren,<br />
die direkt vom Betriebs- und Publikumsöffnungsverbot<br />
betroffen sind. Eine Umsatzeinbusse reicht bereits<br />
aus. Diese Hintertüre könnte die Vermieter und den<br />
Staat sehr teuer zu stehen kommen. Ohne direkten Bezug<br />
zur Notverordnung des Bundesrats, also ohne vom<br />
Betriebsverbot betroffen zu sein, werden hier die unternehmerischen<br />
Risiken eines Ereignisses und Verluste<br />
vom Geschäftsmieter auf den Vermieter transferiert.<br />
Wir sind damit nicht mehr weit davon entfernt,<br />
dass Vermieter den regnerischen Sommer oder den<br />
schneearmen Winter finanziell zu verantworten<br />
haben.<br />
Alsdann haben Vermieter nach den Vorstellungen<br />
der WAK-S Kleinunternehmen und Selbstständigerwerbenden<br />
die Miete für zwei Monate ganz zu erlassen,<br />
wenn die Bruttomiete den Betrag von 5000 CHF<br />
nicht übersteigt. Das wird die überdurchschnittlich<br />
vielen privaten Vermieter von solchen Geschäftslokalen<br />
schwer treffen.<br />
Und schliesslich lässt die WAK-S geflissentlich offen,<br />
wie sie das Vorhaben in den unzähligen Detailfragen<br />
und die Prüfung von Mietzinsen und Jahresumsätzen<br />
administrativ zu bewältigen gedenkt. Das wird eine<br />
bürokratische Ausgeburt. Der Bundesrat tut gut daran,<br />
seinen Weg weiter zu beschreiten und die Motionen<br />
der Wirtschaftskommission abzulehnen.<br />
Das Coronavirus hat vor allem eines bewirkt: Es hat<br />
unsere Werte und Überzeugungen – und zuweilen auch<br />
den gesunden Menschenverstand – pandemisch angegriffen.<br />
Ort des Geschehens:<br />
ausserordentliche<br />
Session der eidgenössischen<br />
Räte in der<br />
Bernexpo.<br />
(FOTO: BERNEXPO)<br />
*IVO CATHOMEN<br />
Dr. oec. HSG, ist<br />
Herausgeber der<br />
Zeitschrift Immobilia.<br />
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IMMOBILIA / Mai <strong>2020</strong>