07.07.2020 Aufrufe

Leseprobe_Hnidek

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Leopold <strong>Hnidek</strong><br />

DIE ERSTE<br />

STADT<br />

Roman


Die Erste Stadt


LEOPOLD HNIDEK<br />

DIE ERSTE STADT<br />

Roman<br />

Literaturgruppe Textmotor


Umschlaggestaltung: Nikola Stevanović<br />

Satz: Daniela Seiler<br />

Hergestellt in der EU<br />

Leopold <strong>Hnidek</strong>: Die erste Stadt<br />

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von:<br />

MA 7 – Kulturabteilung der Stadt Wien<br />

Land Niederösterreich<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

© HOLLITZER Verlag, Wien 2019<br />

www.hollitzer.at<br />

ISBN 978-3-99012-589-2


I<br />

Ein Blick auf seinen Terminkalender ließ in Major<br />

Daniel Politzky die Überzeugung aufkeimen, dass die<br />

in wenigen Minuten folgende Besprechung eine überaus<br />

lästige Angelegenheit werden könnte. Er öffnete<br />

eine Lade seines Schreibtisches, holte ein Medikamentenröhrchen<br />

heraus und schüttelte eine Tablette in die<br />

linke Handfläche. Mit Schwung warf er sich die Tablette<br />

in den Mund, nahm einen Schluck Kaffee dazu<br />

und verzog wie üblich sein Gesicht zu einer angewiderten<br />

Grimasse, schüttelte sich und verstaute das Medikament<br />

wieder in der Tischlade.<br />

Ein Systemposten war ihm vom israelischen Militär<br />

zugewiesen worden, nachdem ihm irgendein Heckenschütze<br />

der Fatah sein Bein zerschossen hatte. Er werde<br />

das Kreativzentrum der Truppeninspektion leiten, hatte<br />

man ihm gesagt. Schließlich seien israelische Militärangehörige<br />

pfiffige Köpfe, hätten viele Ideen, und an<br />

ihm werde es liegen, diese Ideen zu bewerten, auf ihre<br />

Umsetzungsmöglichkeit hin zu prüfen, an die richtigen<br />

Stellen weiterzuleiten oder auch abschlägig zu beantworten,<br />

ohne dabei den Ideengeber zu entmutigen.<br />

Acht Jahre saß er nun hier in seinem engen Büro, mit<br />

zehn Kilo Übergewicht, einer Prothese statt des rechten<br />

5


Unterschenkels und einer massiven Gastritis. Der Psychologe,<br />

der ihn vor geraumer Zeit besucht hatte, stellte<br />

fest, dass in dem kleinen Büroraum nichts auf den<br />

Benutzer hinwies. Es gab keine Bilder an den Wänden,<br />

keine Fotos von Familienmitgliedern auf dem Schreibtisch.<br />

Alles war ordentlich, beinahe penibel sauber und<br />

aufgeräumt. Bereit zum Quittieren, hatte der Psychologe<br />

gedacht. Der Mann hat geistig mit seinem Beruf abgeschlossen.<br />

Wie alt ist er – knapp sechzig? Der Mann<br />

wird seine Arbeit machen, aber nicht mehr, war ausgebrannt,<br />

frustriert und wartete auf seine Pensionierung.<br />

Der Psychologe machte sich eine entsprechende Notiz.<br />

Politzky trug in einen Akt einen kurzen handschriftlichen<br />

Vermerk ein, ordnete das Schriftstück in einen<br />

Hefter ein, legte ihn beiseite und starrte aus dem Fenster.<br />

Verdammt heiß ist es heute, dachte er, oder werde<br />

ich langsam empfindlich? Er wischte mit einem Papiertaschentuch<br />

über Stirn und Glatze, dann warf er einen<br />

bösen Blick auf den Ventilator über ihm, der träge seine<br />

großen Blätter kreisen ließ. Eine echte Klimaanlage war<br />

er der israelischen Armee scheinbar nicht wert. Abfall,<br />

dachte er, nichts anderes war er, und warf das Taschentuch<br />

zu den anderen in den Papierkorb.<br />

Fünf Jahre noch, dann war Schluss. Schluss mit der<br />

stumpfsinnigen Arbeit hier. Jeden Tag kamen Dutzende<br />

von Memos in seinem Postfach an, Ideen von irgendwelchen<br />

Freaks, mit denen er sich herumzuschlagen<br />

hatte. Mal erfand einer Zusatztreibstoff zum Kerosin,<br />

der die Maschinen der Luftwaffe doppelt so schnell machen<br />

sollte; ein anderer schlug vor, einen Tunnel nach<br />

Damaskus zu treiben und die Stadt zu sprengen; auch<br />

6


Vorschläge zur verpflichtenden Einführung von ruthenischen<br />

Volkstänzen in der Armee gab es, um die Disziplin<br />

und den Kameradschaftsgeist zu fördern.<br />

Das meiste war technisches Zeug, das er nicht verstand<br />

und an die jeweilige Einrichtung mit der Bitte<br />

um Prüfung weiterleitete. Die Antworten waren durch<br />

die Bank negativ, ab und zu kam eine positive Reaktion.<br />

Selten gab es wirklich pfiffige Ideen. Mit leichtem<br />

Schmunzeln erinnerte er sich an die Bitte eines Soldaten,<br />

der aus einer Familie ungarischer Juden stammte. Der<br />

Kerl bat so flehentlich um die Einführung des Pörkölts<br />

bei der Verpflegung, wenigstens einmal im Monat, dass<br />

Politzky sich mit dem Verpflegungsamt in Verbindung<br />

setzte und hartnäckig blieb, bis tatsächlich der Wunsch<br />

erfüllt wurde. Natürlich nicht genau, es war ein simples<br />

koscheres Gulasch und nicht Pörkölt von Mama. Trotzdem<br />

erhielt Politzky ein gerührtes Dankschreiben.<br />

Nur ganz selten kam es vor, dass einer der Ideengeber<br />

persönlich vorsprechen wollte, denn die Ideen mussten<br />

schriftlich eingebracht werden. Aber einer dieser seltenen<br />

Fälle lag nun vor ihm. Ein Mann aus der Bildauswertungsstelle<br />

hatte um einen Termin gebeten. Wie<br />

hieß der Bursche? Schlomo Kardim.<br />

Politzky zuckte mit den Schultern und schob den Aktenhefter<br />

vor ihm hin und her. Die Leute der Bildauswertungsstelle<br />

waren zumeist zivile Vertragsbedienstete<br />

des Militärs, und so war es auch in diesem Fall, wie<br />

seine Recherche in den Personaldaten ergeben hatte.<br />

Zumindest pünktlich ist der Bursche, dachte Politzky,<br />

als er eine Bewegung vor der Milchglasscheibe seiner<br />

Tür wahrnahm, gefolgt von einem fordernden Klopfen.<br />

7


„Herein!“<br />

Durch die Tür schob sich ein spindeldürrer junger<br />

Mann, aufgrund des langen schwarzen Kaftans, des<br />

schwarzen Hutes und der bis auf die Brust herabhängenden<br />

Schläfenlocken als einer der Ultraorthodoxen<br />

zu erkennen. Politzky seufzte innerlich. Er hatte nichts<br />

übrig für die sogenannten Orthodoxen, die in seinen<br />

Augen eher als Radikale denn als Religiöse vorgingen.<br />

Es waren diese Leute, die mit ihren immerwährenden<br />

Tiraden und hasserfüllten Aktionen, mit ihrer verbohrten<br />

Sturheit Israel nicht zur Ruhe kommen ließen. Was<br />

soll’s, dachte sich Politzky, the show must go on.<br />

„Major Politzky?“, fragte der Bursche schüchtern<br />

und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.<br />

„Jawohl, mein Freund!“, entgegnete Politzky jovial,<br />

stand auf und reichte dem Besucher über den Schreibtisch<br />

hinweg die Hand. Über Kardims Gesicht glitt ein erfreutes<br />

Leuchten, er ergriff die dargebotene Hand mit beiden<br />

Händen und bearbeitete sie wie einen Pumpenschwengel.<br />

Politzky brachte seine Hand wieder an sich und wies auf<br />

den Besuchersessel. „Nehmen Sie doch Platz!“ Beide setzten<br />

sich. Politzky schüttelte, vom Besucher unbemerkt,<br />

seine Hand aus, legte sie dann wieder auf den Schreibtisch,<br />

beugte sich Interesse vortäuschend vor und fragte leutselig:<br />

„Na, was haben Sie mir denn mitgebracht? In Ihrem<br />

Memo steht …“ Politzky öffnete umständlich den Aktenhefter.<br />

„… ah ja, da! Höchst wichtig, jedoch von militärisch<br />

nachgeordneter Bedeutung. Das klingt schon<br />

sehr interessant, nicht wahr?“<br />

Der junge Mann ließ Politzky misstrauisch werden,<br />

doch das wollte er seinem Besucher nicht offenbaren.<br />

8


Die Ultraorthodoxen arbeiteten normalerweise nicht.<br />

Die waren üblicherweise nur an religiösen Studien interessiert<br />

und lagen dem Staat Israel auf der Tasche, da sie<br />

ihr Leben beinahe ausnahmslos durch die Sozialhilfe fristeten.<br />

Und nun saß doch tatsächlich einer von ihnen hier<br />

vor ihm. Wieso arbeitet der Kerl, fragte sich Politzky.<br />

Irgendetwas führte er im Schilde. Der ist nicht koscher.<br />

„Ja, das ist es auch, tatsächlich!“ Der Bursche rückte<br />

auf dem Sessel herum, fuhr sich wieder mit der Zungenspitze<br />

über die Lippen. „Höchst wichtig!“<br />

„Na, dann legen Sie los! Ich bin schon sehr gespannt!“<br />

Politzky fragte sich, wohl zum hundertsten Mal,<br />

wie diese Kerle die Hitze Israels in ihren schwarzen<br />

Kaftans aushielten.<br />

„Ja, also … es ist folgendermaßen … die Sache ist<br />

die …“ Der Bursche ist voller Hemmungen, dachte<br />

Politzky. Ich mach’s auf positiv.<br />

„Lassen Sie sich Zeit. Ich hab mir extra für Sie eine<br />

ganze Stunde freigehalten, also können wir Ihre Idee in<br />

aller Ruhe besprechen. Und glauben Sie mir, ich höre<br />

Ihnen aufmerksam zu.“<br />

„Danke.“ Der junge Mann nickte, wobei die Krempe<br />

seines Schabbesdeckels kurz sein Gesicht verdeckte.<br />

„Ja, also … ich bin in der Bildauswertungsstelle angestellt,<br />

arbeite dort schon zwei Jahre. Sie wissen, was wir<br />

dort machen?“<br />

„Keine Ahnung.“ Politzky schüttelte den Kopf. „Ich<br />

komme aus der regulären Armee, und ich kenne leider<br />

nicht alle Stabsstellen. Ich glaube, Sie untersuchen Bilder,<br />

die von Aufklärungsflugzeugen und Drohnen gemacht<br />

werden, auf militärisch interessante Objekte. Stimmt’s?“<br />

9


„Ja, also … im Prinzip schon, nur meine Abteilung<br />

hat ein Spezialgebiet, müssen Sie wissen. Wir werten<br />

nämlich die Bilder der amerikanischen Satellitenüberwachung<br />

aus.“<br />

Politzky nickte. Jedermann wusste, dass Israel unbeschränkten<br />

Zugang zu allen Informationen hatte,<br />

welche die amerikanischen Aufklärungssatelliten aus<br />

Europa, Afrika und Asien lieferten.<br />

„Ich selbst bin für das nördliche Afrika zuständig.“<br />

Wieder nickte Politzky.<br />

„Wissen Sie …“ Kardim begann wieder nervös auf<br />

dem Sessel herumzurutschen, „… wir erhalten Bilder,<br />

in digitalisierter Form. Das heißt, wir bekommen eigentlich<br />

gar keine Bilder, sondern Daten ströme, aus denen<br />

die Computer Bilder erzeugen. Bestandteile dieser<br />

Datenströme sind fixierte geografische Koordinaten<br />

und genaue Zeit- und Datumsangaben, sodass bei jedem<br />

neuen Bild eines Satelliten ein ganz genauer Vergleich<br />

mit der vorherigen Aufnahme aus derselben Region<br />

entsteht. Wenn es nun zu Abweichungen zwischen<br />

zwei Bildern kommt, können wir über die Koordinaten<br />

feststellen, ob es sich um Fahrzeuge auf einer Straße,<br />

Schiffsbewegungen, Baustellen oder ähnliches handelt.<br />

Die Daten werden gespeichert, selbstverständlich,<br />

daher sind wir in der Lage, auch historische Abläufe<br />

sichtbar zu machen. Etwa, welche Strecke ein Auto<br />

fährt, oder welche Fortschritte beim Bau eines Hauses<br />

in welcher Zeit gemacht werden und vieles mehr.“<br />

„Na, das stelle ich mir aber kompliziert vor. Da haben<br />

Sie ja ständig eine Unmenge von Fotos vor sich, die<br />

Sie vergleichen müssen.“<br />

10


„Nein, nein!“, er schüttelte heftig den Kopf. Politzky<br />

fürchtete schon, dass sich der Hut selbstständig machen<br />

und als schwarzes Ufo durch sein Büro segeln würde.<br />

Kardim drückte den Hut wieder fest. „Das geht natürlich<br />

mit Computervergleichsprogrammen. Wir können<br />

ja nicht alle Bewegungen von Fahrzeugen auf einer<br />

Straße kontrollieren. Das machen wir nur dann, wenn<br />

wir bestimmte Abläufe verfolgen wollen. Wir verfügen<br />

über entsprechende Software, welche die Vergleiche<br />

der Datensätze selbstständig vornimmt. Darüber<br />

sind noch Algorithmen und Regeln gelegt, die eben<br />

den Straßenverkehr und andere Dinge ausblenden. Wir<br />

sind also in der Lage, uns jederzeit auch die minimalste<br />

Veränderung genauer am Bildschirm anschauen zu<br />

können. Und dann gibt es Regeln, die vom Computer<br />

eine Meldung an uns Bildbeobachter aus lösen, wenn<br />

Veränderungen eintreten, die völlig neu sind oder<br />

nach vorgegebenen Parametern speziell überwacht<br />

werden sollen.“<br />

„Ah ja.“ Politzky nickte wieder, Verständnis signalisierend.<br />

Das sind diese Techniken, die ihm immer fremd<br />

geblieben waren und wohl für den Rest seines Lebens<br />

auch fremd bleiben würden. „Und Sie haben jetzt eine<br />

Idee, wie man diese elektronischen Auswertungen optimieren<br />

könnte?“<br />

Kardim sah Politzky sprachlos, beinahe gelähmt an.<br />

In seine Augen trat Furcht, dass Politzky überhaupt<br />

nichts verstanden haben könnte. Wieder schüttelte er<br />

den Kopf, doch wesentlich weniger heftig als vorher.<br />

„Nein, nein, das nicht. Das wäre ja militärisch höchst<br />

wichtig, oder?“<br />

11


„Ja, ja, da haben Sie völlig recht“, meinte Politzky<br />

und nahm wieder die leicht nach vorn gebeugte, interessierte<br />

Haltung ein, blickte Kardim mit großen Augen<br />

an. Der beruhigte sich wieder und kam zu seiner nervösen<br />

Vorgangsweise zurück.<br />

„Nein, ich habe etwas sehr Merkwürdiges entdeckt.“<br />

Mit diesen Worten zog er aus seinem Kaftan einen Aktenhefter<br />

ähnlich jenem, den Politzky vor sich liegen<br />

hatte, schlug ihn auf und nahm vier großformatige Fotos<br />

heraus, legte sie der Reihe nach vor Politzky hin.<br />

„Das sind Aufnahmen aus dem Mursuq im Fezzan, jede<br />

jeweils im Abstand eines Monats aufgenommen.“<br />

„Ah ja.“ Politzky betrachtete die Fotos, die ihm überhaupt<br />

nichts sagten. Er hatte keine Ahnung, was Mursuq<br />

und Fezzan bedeuteten, geschweige denn wo das<br />

war. Vor ihm lagen hochglänzende Farbfotos im Format<br />

B3, die langwellige Sanddünen aus der Vogelperspektive<br />

zeigten, im unteren Bereich der Fotos wurden<br />

die Sanddünen von Geröll und Felsen abgelöst. „Jetzt<br />

bitte ich um Nachsicht, Herr Kardim. Ich bin kein Spezialist<br />

der Fotoauswertung und weiß daher nicht, wie<br />

man an so etwas herangeht. Könnten Sie mir helfen?“<br />

„Selbstverständlich!“ Wieder fuhr die Zunge über<br />

die Lippen. Kardim rückte näher und zeigte auf das<br />

Foto, auf einen Bereich, wo die Sanddünen ins Geröll<br />

übergingen. „Sehen Sie hier? Das war im Juni. Nachdem<br />

die Dünen langsam, aber sicher wandern, filtern<br />

wir diese Wanderbewegung aus unserem Analyseprogramm<br />

heraus, sodass der Computer keine Meldung<br />

über die normale Wanderbewegung gibt. Aber es kam<br />

trotzdem im Juli eine Meldung. Daher machte ich einen<br />

12


Ausdruck, und zwar diesen.“ Er deutete auf das zweite<br />

Foto. „Sehen Sie die Veränderung?“<br />

Politzky bemühte sich ehrlich, in dem von Kardim<br />

bezeichneten Bereich des Fotos einen Unterschied zum<br />

vorherigen zu entdecken, es gelang ihm jedoch nicht.<br />

Er schüttelte den Kopf. „Nein, leider, ich kann keinen<br />

Unterschied erkennen.“<br />

„Das wäre auch sehr schwer.“ Kardim nickte zustimmend<br />

und zeigte nun auf das dritte Foto. „Und erkennen<br />

Sie hier einen Unterschied zur ersten Aufnahme?“<br />

Politzky sah es nun. Eine Düne hatte sich offenbar bewegt<br />

und dadurch Strukturen freigegeben, die Politzky<br />

an Mauern erinnerten. Ein Blick auf das vierte Foto überzeugte<br />

ihn. Einige rechtwinkelige Strukturen wie von<br />

altem Gemäuer waren von der Düne freigelegt worden.<br />

„Ja, jetzt erkenne ich es auch.“<br />

„Gut“, meinte Kardim und legte ein weiteres Foto<br />

dazu. Auf diesem waren einige Mauern mehr zu erkennen.<br />

„Und das ist vom Januar, die jüngste Aufnahme,<br />

die ich habe.“<br />

Politzky nahm dieses Foto, betrachtete es, nickte dann<br />

und legte es zu den anderen. „Sehr schön. Ich beglückwünsche<br />

Sie zu Ihrer Entdeckung. Und wie, meinen<br />

Sie, soll nun das israelische Militär dazu in Verbindung<br />

gebracht werden? Gibt es da irgendeine militärische<br />

Konsequenz?“<br />

„Nicht in erster Linie“, sagte Kardim. „Wie gesagt sind<br />

diese Ruinen im Mursuq aufgetaucht, das ist sicherlich<br />

weit jenseits unserer militärischen Interessensphäre.“<br />

Politzky nickte. Wo, zum Teufel, ist dieses Mursuq?<br />

„Gut. Gehen wir die Sache methodisch an. Sie ent-<br />

13


decken im Mursuq Ruinen, die bisher vom Dünensand<br />

bedeckt waren, nicht wahr?“<br />

„Genau.“ Kardim richtete sich auf, nahm eine feierliche<br />

Haltung an. „Und nachdem die israelische Armee<br />

dem israelischen Staat verpflichtet ist …“<br />

„Zweifellos“, nickte Politzky.<br />

„… ist es die Verpflichtung der israelischen Armee,<br />

die Ruinen zu untersuchen!“<br />

„So, meinen Sie. Wo liegt denn dieses Mursuq?“<br />

„Im Fezzan.“<br />

Politzky sah Kardim an, bewegte einige Male rasch die<br />

Augenlider, um zu signalisieren, dass er nahe daran war,<br />

die Geduld zu verlieren. „Gut. Und wo liegt der Fezzan?“<br />

„Ach so, Sie sind mit den geografischen Gegebenheiten<br />

nicht vertraut.“ Beinahe erleichtert schlug Kardim<br />

eine Karte von Nordafrika vor Politzky auf. „Sehen<br />

Sie, hier, im westlichen Libyen, nahe den Grenzen zu<br />

Algerien und Niger.“<br />

„Aber das ist ja mitten in der Sahara!“<br />

Kardim nickte eifrig.<br />

„Und was soll die israelische Armee 2500 Kilometer<br />

entfernt von Tel Aviv mit alten Ruinen?“<br />

„Sie erforschen natürlich.“<br />

Politzky blies Luft aus. „Also, ich meine, Sie haben<br />

etwas ganz Außerordentliches entdeckt. Ich gratuliere<br />

Ihnen, wirklich. Mazel tov. Aber bei uns sind Sie da an<br />

der falschen Adresse, glaube ich. Das ist doch sicherlich<br />

für das Archäologische Amt im Bautenministerium<br />

interessanter.“<br />

„Nein.“ Kardim wirkte plötzlich ganz bestimmt. „Es<br />

ist für den Staat Israel von enormem Interesse. Und<br />

14


daher hat die Armee die Pflicht, dieses Interesse festzustellen<br />

und zu schützen.“<br />

„Bitte sagen Sie mir, wieso diese alten Gemäuer in<br />

der Sahara für Israel von enormem Interesse sein sollen.“<br />

Politzky konnte seinen Sarkasmus nicht mehr<br />

unterdrücken.<br />

„Weil es sich ganz bestimmt um die Siedlungen des<br />

verlorenen dreizehnten Stammes Israels handelt!“<br />

Politzky atmete tief durch. Immer wenn die Ultraorthodoxen<br />

ihre Hände irgendwo dranhatten, gab es Schwierigkeiten.<br />

Wie kam dieser Kerl dazu, aus alten Mauern in<br />

der Sahara, die zugegebenermaßen erst jetzt aufgetaucht<br />

waren, zu schließen, dass diese dem dreizehnten Stamm<br />

Israels, dem verlorenen Stamm, zuzuordnen waren?<br />

„Ah ja. Und weshalb meinen Sie, dass dies die Spuren<br />

des verlorenen Stammes sind?“<br />

„Aber das ist doch ganz klar! Das geht aus der Geschichte<br />

Josefs hervor, der berichtete, dass der Stamm<br />

nach Westen zog – genau hierher!“ Kardim tippte erregt<br />

mehrmals auf das Foto.<br />

„Gut.“ Politzky hatte einen Entschluss gefasst. „Ich bewundere<br />

Ihr Engagement, Herr Kardim, aber ich bin mir<br />

sicher, dass wir hier in der Armee nicht zuständig sind.“<br />

„Wer sonst?“<br />

Politzky zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es<br />

nicht. Wahrscheinlich das Archäologische Amt. Wir jedenfalls<br />

nicht.“<br />

„Da irren Sie sich gewaltig.“<br />

Politzky, der die Fotos gemustert hatte, hob den Kopf<br />

und sah in das Gesicht eines zu allem entschlossenen<br />

Kardim. „Wie bitte?“<br />

15


„Herr Major! Es handelt sich um die wichtigste Entdeckung<br />

der Geschichte des Volkes Israel. Da können<br />

wir nicht einfach die Hände in den Schoß legen und es<br />

den Schlafmützen im Archäologischen Amt überlassen!<br />

Hier haben wir im Interesse des Volkes Israel und seines<br />

Einen Herrn zu handeln! Wissen Sie, in welchem Staat<br />

diese Ruinen liegen?“<br />

„Ja, in Libyen. Und was, bitte, sollen wir im Hinterhof<br />

der Nachfolger von Muammar al-Gaddafi machen?<br />

Glauben Sie, die werden uns freundlich empfangen,<br />

wenn wir ihnen sagen, entschuldigt bitte, große arabische<br />

Revolutionäre, aber wir haben gerade auf eurem<br />

Territorium eine jüdische Stadt entdeckt und jetzt werden<br />

wir sie untersuchen und in Besitz nehmen. Glauben<br />

Sie wirklich, dass die das zulassen werden?“<br />

„Nein, natürlich nicht.“<br />

„Aber um des Herrn Willen, warum sind Sie dann<br />

hier bei mir?“<br />

„Sind wir die Armee oder nicht? Haben wir unsere<br />

Leute aus Entebbe herausgehauen oder nicht? Und Entebbe<br />

ist viel weiter weg als das hier!“ Kardim war aufgesprungen<br />

und hatte sich weit über den Schreibtisch<br />

gelehnt. Politzky sprang ebenfalls auf.<br />

„Glauben Sie wirklich, dass wir uns auf einen Krieg<br />

mit den verrückten Warlords dort einlassen sollen, um<br />

diese Ruinen in Besitz zu nehmen?“<br />

„Ja!“<br />

„Lächerlich.“ Politzky ließ sich wieder in seinen Sessel<br />

fallen. „Absolut lächerlich. Packen Sie Ihren Kram<br />

zusammen und dann raus hier!“<br />

„Sicher nicht.“<br />

16

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!