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Leopold <strong>Hnidek</strong><br />
DIE ERSTE<br />
STADT<br />
Roman
Die Erste Stadt
LEOPOLD HNIDEK<br />
DIE ERSTE STADT<br />
Roman<br />
Literaturgruppe Textmotor
Umschlaggestaltung: Nikola Stevanović<br />
Satz: Daniela Seiler<br />
Hergestellt in der EU<br />
Leopold <strong>Hnidek</strong>: Die erste Stadt<br />
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von:<br />
MA 7 – Kulturabteilung der Stadt Wien<br />
Land Niederösterreich<br />
Alle Rechte vorbehalten<br />
© HOLLITZER Verlag, Wien 2019<br />
www.hollitzer.at<br />
ISBN 978-3-99012-589-2
I<br />
Ein Blick auf seinen Terminkalender ließ in Major<br />
Daniel Politzky die Überzeugung aufkeimen, dass die<br />
in wenigen Minuten folgende Besprechung eine überaus<br />
lästige Angelegenheit werden könnte. Er öffnete<br />
eine Lade seines Schreibtisches, holte ein Medikamentenröhrchen<br />
heraus und schüttelte eine Tablette in die<br />
linke Handfläche. Mit Schwung warf er sich die Tablette<br />
in den Mund, nahm einen Schluck Kaffee dazu<br />
und verzog wie üblich sein Gesicht zu einer angewiderten<br />
Grimasse, schüttelte sich und verstaute das Medikament<br />
wieder in der Tischlade.<br />
Ein Systemposten war ihm vom israelischen Militär<br />
zugewiesen worden, nachdem ihm irgendein Heckenschütze<br />
der Fatah sein Bein zerschossen hatte. Er werde<br />
das Kreativzentrum der Truppeninspektion leiten, hatte<br />
man ihm gesagt. Schließlich seien israelische Militärangehörige<br />
pfiffige Köpfe, hätten viele Ideen, und an<br />
ihm werde es liegen, diese Ideen zu bewerten, auf ihre<br />
Umsetzungsmöglichkeit hin zu prüfen, an die richtigen<br />
Stellen weiterzuleiten oder auch abschlägig zu beantworten,<br />
ohne dabei den Ideengeber zu entmutigen.<br />
Acht Jahre saß er nun hier in seinem engen Büro, mit<br />
zehn Kilo Übergewicht, einer Prothese statt des rechten<br />
5
Unterschenkels und einer massiven Gastritis. Der Psychologe,<br />
der ihn vor geraumer Zeit besucht hatte, stellte<br />
fest, dass in dem kleinen Büroraum nichts auf den<br />
Benutzer hinwies. Es gab keine Bilder an den Wänden,<br />
keine Fotos von Familienmitgliedern auf dem Schreibtisch.<br />
Alles war ordentlich, beinahe penibel sauber und<br />
aufgeräumt. Bereit zum Quittieren, hatte der Psychologe<br />
gedacht. Der Mann hat geistig mit seinem Beruf abgeschlossen.<br />
Wie alt ist er – knapp sechzig? Der Mann<br />
wird seine Arbeit machen, aber nicht mehr, war ausgebrannt,<br />
frustriert und wartete auf seine Pensionierung.<br />
Der Psychologe machte sich eine entsprechende Notiz.<br />
Politzky trug in einen Akt einen kurzen handschriftlichen<br />
Vermerk ein, ordnete das Schriftstück in einen<br />
Hefter ein, legte ihn beiseite und starrte aus dem Fenster.<br />
Verdammt heiß ist es heute, dachte er, oder werde<br />
ich langsam empfindlich? Er wischte mit einem Papiertaschentuch<br />
über Stirn und Glatze, dann warf er einen<br />
bösen Blick auf den Ventilator über ihm, der träge seine<br />
großen Blätter kreisen ließ. Eine echte Klimaanlage war<br />
er der israelischen Armee scheinbar nicht wert. Abfall,<br />
dachte er, nichts anderes war er, und warf das Taschentuch<br />
zu den anderen in den Papierkorb.<br />
Fünf Jahre noch, dann war Schluss. Schluss mit der<br />
stumpfsinnigen Arbeit hier. Jeden Tag kamen Dutzende<br />
von Memos in seinem Postfach an, Ideen von irgendwelchen<br />
Freaks, mit denen er sich herumzuschlagen<br />
hatte. Mal erfand einer Zusatztreibstoff zum Kerosin,<br />
der die Maschinen der Luftwaffe doppelt so schnell machen<br />
sollte; ein anderer schlug vor, einen Tunnel nach<br />
Damaskus zu treiben und die Stadt zu sprengen; auch<br />
6
Vorschläge zur verpflichtenden Einführung von ruthenischen<br />
Volkstänzen in der Armee gab es, um die Disziplin<br />
und den Kameradschaftsgeist zu fördern.<br />
Das meiste war technisches Zeug, das er nicht verstand<br />
und an die jeweilige Einrichtung mit der Bitte<br />
um Prüfung weiterleitete. Die Antworten waren durch<br />
die Bank negativ, ab und zu kam eine positive Reaktion.<br />
Selten gab es wirklich pfiffige Ideen. Mit leichtem<br />
Schmunzeln erinnerte er sich an die Bitte eines Soldaten,<br />
der aus einer Familie ungarischer Juden stammte. Der<br />
Kerl bat so flehentlich um die Einführung des Pörkölts<br />
bei der Verpflegung, wenigstens einmal im Monat, dass<br />
Politzky sich mit dem Verpflegungsamt in Verbindung<br />
setzte und hartnäckig blieb, bis tatsächlich der Wunsch<br />
erfüllt wurde. Natürlich nicht genau, es war ein simples<br />
koscheres Gulasch und nicht Pörkölt von Mama. Trotzdem<br />
erhielt Politzky ein gerührtes Dankschreiben.<br />
Nur ganz selten kam es vor, dass einer der Ideengeber<br />
persönlich vorsprechen wollte, denn die Ideen mussten<br />
schriftlich eingebracht werden. Aber einer dieser seltenen<br />
Fälle lag nun vor ihm. Ein Mann aus der Bildauswertungsstelle<br />
hatte um einen Termin gebeten. Wie<br />
hieß der Bursche? Schlomo Kardim.<br />
Politzky zuckte mit den Schultern und schob den Aktenhefter<br />
vor ihm hin und her. Die Leute der Bildauswertungsstelle<br />
waren zumeist zivile Vertragsbedienstete<br />
des Militärs, und so war es auch in diesem Fall, wie<br />
seine Recherche in den Personaldaten ergeben hatte.<br />
Zumindest pünktlich ist der Bursche, dachte Politzky,<br />
als er eine Bewegung vor der Milchglasscheibe seiner<br />
Tür wahrnahm, gefolgt von einem fordernden Klopfen.<br />
7
„Herein!“<br />
Durch die Tür schob sich ein spindeldürrer junger<br />
Mann, aufgrund des langen schwarzen Kaftans, des<br />
schwarzen Hutes und der bis auf die Brust herabhängenden<br />
Schläfenlocken als einer der Ultraorthodoxen<br />
zu erkennen. Politzky seufzte innerlich. Er hatte nichts<br />
übrig für die sogenannten Orthodoxen, die in seinen<br />
Augen eher als Radikale denn als Religiöse vorgingen.<br />
Es waren diese Leute, die mit ihren immerwährenden<br />
Tiraden und hasserfüllten Aktionen, mit ihrer verbohrten<br />
Sturheit Israel nicht zur Ruhe kommen ließen. Was<br />
soll’s, dachte sich Politzky, the show must go on.<br />
„Major Politzky?“, fragte der Bursche schüchtern<br />
und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.<br />
„Jawohl, mein Freund!“, entgegnete Politzky jovial,<br />
stand auf und reichte dem Besucher über den Schreibtisch<br />
hinweg die Hand. Über Kardims Gesicht glitt ein erfreutes<br />
Leuchten, er ergriff die dargebotene Hand mit beiden<br />
Händen und bearbeitete sie wie einen Pumpenschwengel.<br />
Politzky brachte seine Hand wieder an sich und wies auf<br />
den Besuchersessel. „Nehmen Sie doch Platz!“ Beide setzten<br />
sich. Politzky schüttelte, vom Besucher unbemerkt,<br />
seine Hand aus, legte sie dann wieder auf den Schreibtisch,<br />
beugte sich Interesse vortäuschend vor und fragte leutselig:<br />
„Na, was haben Sie mir denn mitgebracht? In Ihrem<br />
Memo steht …“ Politzky öffnete umständlich den Aktenhefter.<br />
„… ah ja, da! Höchst wichtig, jedoch von militärisch<br />
nachgeordneter Bedeutung. Das klingt schon<br />
sehr interessant, nicht wahr?“<br />
Der junge Mann ließ Politzky misstrauisch werden,<br />
doch das wollte er seinem Besucher nicht offenbaren.<br />
8
Die Ultraorthodoxen arbeiteten normalerweise nicht.<br />
Die waren üblicherweise nur an religiösen Studien interessiert<br />
und lagen dem Staat Israel auf der Tasche, da sie<br />
ihr Leben beinahe ausnahmslos durch die Sozialhilfe fristeten.<br />
Und nun saß doch tatsächlich einer von ihnen hier<br />
vor ihm. Wieso arbeitet der Kerl, fragte sich Politzky.<br />
Irgendetwas führte er im Schilde. Der ist nicht koscher.<br />
„Ja, das ist es auch, tatsächlich!“ Der Bursche rückte<br />
auf dem Sessel herum, fuhr sich wieder mit der Zungenspitze<br />
über die Lippen. „Höchst wichtig!“<br />
„Na, dann legen Sie los! Ich bin schon sehr gespannt!“<br />
Politzky fragte sich, wohl zum hundertsten Mal,<br />
wie diese Kerle die Hitze Israels in ihren schwarzen<br />
Kaftans aushielten.<br />
„Ja, also … es ist folgendermaßen … die Sache ist<br />
die …“ Der Bursche ist voller Hemmungen, dachte<br />
Politzky. Ich mach’s auf positiv.<br />
„Lassen Sie sich Zeit. Ich hab mir extra für Sie eine<br />
ganze Stunde freigehalten, also können wir Ihre Idee in<br />
aller Ruhe besprechen. Und glauben Sie mir, ich höre<br />
Ihnen aufmerksam zu.“<br />
„Danke.“ Der junge Mann nickte, wobei die Krempe<br />
seines Schabbesdeckels kurz sein Gesicht verdeckte.<br />
„Ja, also … ich bin in der Bildauswertungsstelle angestellt,<br />
arbeite dort schon zwei Jahre. Sie wissen, was wir<br />
dort machen?“<br />
„Keine Ahnung.“ Politzky schüttelte den Kopf. „Ich<br />
komme aus der regulären Armee, und ich kenne leider<br />
nicht alle Stabsstellen. Ich glaube, Sie untersuchen Bilder,<br />
die von Aufklärungsflugzeugen und Drohnen gemacht<br />
werden, auf militärisch interessante Objekte. Stimmt’s?“<br />
9
„Ja, also … im Prinzip schon, nur meine Abteilung<br />
hat ein Spezialgebiet, müssen Sie wissen. Wir werten<br />
nämlich die Bilder der amerikanischen Satellitenüberwachung<br />
aus.“<br />
Politzky nickte. Jedermann wusste, dass Israel unbeschränkten<br />
Zugang zu allen Informationen hatte,<br />
welche die amerikanischen Aufklärungssatelliten aus<br />
Europa, Afrika und Asien lieferten.<br />
„Ich selbst bin für das nördliche Afrika zuständig.“<br />
Wieder nickte Politzky.<br />
„Wissen Sie …“ Kardim begann wieder nervös auf<br />
dem Sessel herumzurutschen, „… wir erhalten Bilder,<br />
in digitalisierter Form. Das heißt, wir bekommen eigentlich<br />
gar keine Bilder, sondern Daten ströme, aus denen<br />
die Computer Bilder erzeugen. Bestandteile dieser<br />
Datenströme sind fixierte geografische Koordinaten<br />
und genaue Zeit- und Datumsangaben, sodass bei jedem<br />
neuen Bild eines Satelliten ein ganz genauer Vergleich<br />
mit der vorherigen Aufnahme aus derselben Region<br />
entsteht. Wenn es nun zu Abweichungen zwischen<br />
zwei Bildern kommt, können wir über die Koordinaten<br />
feststellen, ob es sich um Fahrzeuge auf einer Straße,<br />
Schiffsbewegungen, Baustellen oder ähnliches handelt.<br />
Die Daten werden gespeichert, selbstverständlich,<br />
daher sind wir in der Lage, auch historische Abläufe<br />
sichtbar zu machen. Etwa, welche Strecke ein Auto<br />
fährt, oder welche Fortschritte beim Bau eines Hauses<br />
in welcher Zeit gemacht werden und vieles mehr.“<br />
„Na, das stelle ich mir aber kompliziert vor. Da haben<br />
Sie ja ständig eine Unmenge von Fotos vor sich, die<br />
Sie vergleichen müssen.“<br />
10
„Nein, nein!“, er schüttelte heftig den Kopf. Politzky<br />
fürchtete schon, dass sich der Hut selbstständig machen<br />
und als schwarzes Ufo durch sein Büro segeln würde.<br />
Kardim drückte den Hut wieder fest. „Das geht natürlich<br />
mit Computervergleichsprogrammen. Wir können<br />
ja nicht alle Bewegungen von Fahrzeugen auf einer<br />
Straße kontrollieren. Das machen wir nur dann, wenn<br />
wir bestimmte Abläufe verfolgen wollen. Wir verfügen<br />
über entsprechende Software, welche die Vergleiche<br />
der Datensätze selbstständig vornimmt. Darüber<br />
sind noch Algorithmen und Regeln gelegt, die eben<br />
den Straßenverkehr und andere Dinge ausblenden. Wir<br />
sind also in der Lage, uns jederzeit auch die minimalste<br />
Veränderung genauer am Bildschirm anschauen zu<br />
können. Und dann gibt es Regeln, die vom Computer<br />
eine Meldung an uns Bildbeobachter aus lösen, wenn<br />
Veränderungen eintreten, die völlig neu sind oder<br />
nach vorgegebenen Parametern speziell überwacht<br />
werden sollen.“<br />
„Ah ja.“ Politzky nickte wieder, Verständnis signalisierend.<br />
Das sind diese Techniken, die ihm immer fremd<br />
geblieben waren und wohl für den Rest seines Lebens<br />
auch fremd bleiben würden. „Und Sie haben jetzt eine<br />
Idee, wie man diese elektronischen Auswertungen optimieren<br />
könnte?“<br />
Kardim sah Politzky sprachlos, beinahe gelähmt an.<br />
In seine Augen trat Furcht, dass Politzky überhaupt<br />
nichts verstanden haben könnte. Wieder schüttelte er<br />
den Kopf, doch wesentlich weniger heftig als vorher.<br />
„Nein, nein, das nicht. Das wäre ja militärisch höchst<br />
wichtig, oder?“<br />
11
„Ja, ja, da haben Sie völlig recht“, meinte Politzky<br />
und nahm wieder die leicht nach vorn gebeugte, interessierte<br />
Haltung ein, blickte Kardim mit großen Augen<br />
an. Der beruhigte sich wieder und kam zu seiner nervösen<br />
Vorgangsweise zurück.<br />
„Nein, ich habe etwas sehr Merkwürdiges entdeckt.“<br />
Mit diesen Worten zog er aus seinem Kaftan einen Aktenhefter<br />
ähnlich jenem, den Politzky vor sich liegen<br />
hatte, schlug ihn auf und nahm vier großformatige Fotos<br />
heraus, legte sie der Reihe nach vor Politzky hin.<br />
„Das sind Aufnahmen aus dem Mursuq im Fezzan, jede<br />
jeweils im Abstand eines Monats aufgenommen.“<br />
„Ah ja.“ Politzky betrachtete die Fotos, die ihm überhaupt<br />
nichts sagten. Er hatte keine Ahnung, was Mursuq<br />
und Fezzan bedeuteten, geschweige denn wo das<br />
war. Vor ihm lagen hochglänzende Farbfotos im Format<br />
B3, die langwellige Sanddünen aus der Vogelperspektive<br />
zeigten, im unteren Bereich der Fotos wurden<br />
die Sanddünen von Geröll und Felsen abgelöst. „Jetzt<br />
bitte ich um Nachsicht, Herr Kardim. Ich bin kein Spezialist<br />
der Fotoauswertung und weiß daher nicht, wie<br />
man an so etwas herangeht. Könnten Sie mir helfen?“<br />
„Selbstverständlich!“ Wieder fuhr die Zunge über<br />
die Lippen. Kardim rückte näher und zeigte auf das<br />
Foto, auf einen Bereich, wo die Sanddünen ins Geröll<br />
übergingen. „Sehen Sie hier? Das war im Juni. Nachdem<br />
die Dünen langsam, aber sicher wandern, filtern<br />
wir diese Wanderbewegung aus unserem Analyseprogramm<br />
heraus, sodass der Computer keine Meldung<br />
über die normale Wanderbewegung gibt. Aber es kam<br />
trotzdem im Juli eine Meldung. Daher machte ich einen<br />
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Ausdruck, und zwar diesen.“ Er deutete auf das zweite<br />
Foto. „Sehen Sie die Veränderung?“<br />
Politzky bemühte sich ehrlich, in dem von Kardim<br />
bezeichneten Bereich des Fotos einen Unterschied zum<br />
vorherigen zu entdecken, es gelang ihm jedoch nicht.<br />
Er schüttelte den Kopf. „Nein, leider, ich kann keinen<br />
Unterschied erkennen.“<br />
„Das wäre auch sehr schwer.“ Kardim nickte zustimmend<br />
und zeigte nun auf das dritte Foto. „Und erkennen<br />
Sie hier einen Unterschied zur ersten Aufnahme?“<br />
Politzky sah es nun. Eine Düne hatte sich offenbar bewegt<br />
und dadurch Strukturen freigegeben, die Politzky<br />
an Mauern erinnerten. Ein Blick auf das vierte Foto überzeugte<br />
ihn. Einige rechtwinkelige Strukturen wie von<br />
altem Gemäuer waren von der Düne freigelegt worden.<br />
„Ja, jetzt erkenne ich es auch.“<br />
„Gut“, meinte Kardim und legte ein weiteres Foto<br />
dazu. Auf diesem waren einige Mauern mehr zu erkennen.<br />
„Und das ist vom Januar, die jüngste Aufnahme,<br />
die ich habe.“<br />
Politzky nahm dieses Foto, betrachtete es, nickte dann<br />
und legte es zu den anderen. „Sehr schön. Ich beglückwünsche<br />
Sie zu Ihrer Entdeckung. Und wie, meinen<br />
Sie, soll nun das israelische Militär dazu in Verbindung<br />
gebracht werden? Gibt es da irgendeine militärische<br />
Konsequenz?“<br />
„Nicht in erster Linie“, sagte Kardim. „Wie gesagt sind<br />
diese Ruinen im Mursuq aufgetaucht, das ist sicherlich<br />
weit jenseits unserer militärischen Interessensphäre.“<br />
Politzky nickte. Wo, zum Teufel, ist dieses Mursuq?<br />
„Gut. Gehen wir die Sache methodisch an. Sie ent-<br />
13
decken im Mursuq Ruinen, die bisher vom Dünensand<br />
bedeckt waren, nicht wahr?“<br />
„Genau.“ Kardim richtete sich auf, nahm eine feierliche<br />
Haltung an. „Und nachdem die israelische Armee<br />
dem israelischen Staat verpflichtet ist …“<br />
„Zweifellos“, nickte Politzky.<br />
„… ist es die Verpflichtung der israelischen Armee,<br />
die Ruinen zu untersuchen!“<br />
„So, meinen Sie. Wo liegt denn dieses Mursuq?“<br />
„Im Fezzan.“<br />
Politzky sah Kardim an, bewegte einige Male rasch die<br />
Augenlider, um zu signalisieren, dass er nahe daran war,<br />
die Geduld zu verlieren. „Gut. Und wo liegt der Fezzan?“<br />
„Ach so, Sie sind mit den geografischen Gegebenheiten<br />
nicht vertraut.“ Beinahe erleichtert schlug Kardim<br />
eine Karte von Nordafrika vor Politzky auf. „Sehen<br />
Sie, hier, im westlichen Libyen, nahe den Grenzen zu<br />
Algerien und Niger.“<br />
„Aber das ist ja mitten in der Sahara!“<br />
Kardim nickte eifrig.<br />
„Und was soll die israelische Armee 2500 Kilometer<br />
entfernt von Tel Aviv mit alten Ruinen?“<br />
„Sie erforschen natürlich.“<br />
Politzky blies Luft aus. „Also, ich meine, Sie haben<br />
etwas ganz Außerordentliches entdeckt. Ich gratuliere<br />
Ihnen, wirklich. Mazel tov. Aber bei uns sind Sie da an<br />
der falschen Adresse, glaube ich. Das ist doch sicherlich<br />
für das Archäologische Amt im Bautenministerium<br />
interessanter.“<br />
„Nein.“ Kardim wirkte plötzlich ganz bestimmt. „Es<br />
ist für den Staat Israel von enormem Interesse. Und<br />
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daher hat die Armee die Pflicht, dieses Interesse festzustellen<br />
und zu schützen.“<br />
„Bitte sagen Sie mir, wieso diese alten Gemäuer in<br />
der Sahara für Israel von enormem Interesse sein sollen.“<br />
Politzky konnte seinen Sarkasmus nicht mehr<br />
unterdrücken.<br />
„Weil es sich ganz bestimmt um die Siedlungen des<br />
verlorenen dreizehnten Stammes Israels handelt!“<br />
Politzky atmete tief durch. Immer wenn die Ultraorthodoxen<br />
ihre Hände irgendwo dranhatten, gab es Schwierigkeiten.<br />
Wie kam dieser Kerl dazu, aus alten Mauern in<br />
der Sahara, die zugegebenermaßen erst jetzt aufgetaucht<br />
waren, zu schließen, dass diese dem dreizehnten Stamm<br />
Israels, dem verlorenen Stamm, zuzuordnen waren?<br />
„Ah ja. Und weshalb meinen Sie, dass dies die Spuren<br />
des verlorenen Stammes sind?“<br />
„Aber das ist doch ganz klar! Das geht aus der Geschichte<br />
Josefs hervor, der berichtete, dass der Stamm<br />
nach Westen zog – genau hierher!“ Kardim tippte erregt<br />
mehrmals auf das Foto.<br />
„Gut.“ Politzky hatte einen Entschluss gefasst. „Ich bewundere<br />
Ihr Engagement, Herr Kardim, aber ich bin mir<br />
sicher, dass wir hier in der Armee nicht zuständig sind.“<br />
„Wer sonst?“<br />
Politzky zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es<br />
nicht. Wahrscheinlich das Archäologische Amt. Wir jedenfalls<br />
nicht.“<br />
„Da irren Sie sich gewaltig.“<br />
Politzky, der die Fotos gemustert hatte, hob den Kopf<br />
und sah in das Gesicht eines zu allem entschlossenen<br />
Kardim. „Wie bitte?“<br />
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„Herr Major! Es handelt sich um die wichtigste Entdeckung<br />
der Geschichte des Volkes Israel. Da können<br />
wir nicht einfach die Hände in den Schoß legen und es<br />
den Schlafmützen im Archäologischen Amt überlassen!<br />
Hier haben wir im Interesse des Volkes Israel und seines<br />
Einen Herrn zu handeln! Wissen Sie, in welchem Staat<br />
diese Ruinen liegen?“<br />
„Ja, in Libyen. Und was, bitte, sollen wir im Hinterhof<br />
der Nachfolger von Muammar al-Gaddafi machen?<br />
Glauben Sie, die werden uns freundlich empfangen,<br />
wenn wir ihnen sagen, entschuldigt bitte, große arabische<br />
Revolutionäre, aber wir haben gerade auf eurem<br />
Territorium eine jüdische Stadt entdeckt und jetzt werden<br />
wir sie untersuchen und in Besitz nehmen. Glauben<br />
Sie wirklich, dass die das zulassen werden?“<br />
„Nein, natürlich nicht.“<br />
„Aber um des Herrn Willen, warum sind Sie dann<br />
hier bei mir?“<br />
„Sind wir die Armee oder nicht? Haben wir unsere<br />
Leute aus Entebbe herausgehauen oder nicht? Und Entebbe<br />
ist viel weiter weg als das hier!“ Kardim war aufgesprungen<br />
und hatte sich weit über den Schreibtisch<br />
gelehnt. Politzky sprang ebenfalls auf.<br />
„Glauben Sie wirklich, dass wir uns auf einen Krieg<br />
mit den verrückten Warlords dort einlassen sollen, um<br />
diese Ruinen in Besitz zu nehmen?“<br />
„Ja!“<br />
„Lächerlich.“ Politzky ließ sich wieder in seinen Sessel<br />
fallen. „Absolut lächerlich. Packen Sie Ihren Kram<br />
zusammen und dann raus hier!“<br />
„Sicher nicht.“<br />
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